Online-Kommunikation schafft einen neuen Lebens- und Erlebensraum, in dem sich Jugendliche abseits der Realität ausprobieren können. Sei es zur Kontaktaufnahme, Erprobung unterschiedlicher Rollen, Identitätsfindung oder Abgrenzung. Welchen Stellenwert das Rollenhandeln in Rollenspielen einnimmt, welche Auswirkungen sich dadurch auf Identitätsexperimente ergeben und inwiefern sogenannte Multi-User-Dungeons gemeinschaftsstiftende Strukturen aufweisen, die zur Schaffung einer Jugendkultur beitragen, soll im Rahmen dieser Arbeit beantwortet werden.
Inhalt
1. Internetbasierte Kommunikationsmedien als neue soziale Sphäre
2. Virtuelle Räume als Handlungs-, Identitäts- und Inszenierungsräume
3. Virtuelle Räume als neue Kulturen
4. Kritische Betrachtung der Funktionserweiterung des Internets
Quellenverzeichnis
1. Internetbasierte Kommunikationsmedien als neue soziale Sphäre
„Die heutige Jugend ist die erste Cybergeneration, die erste Gruppe, die von Beginn an Kultur als Medien- und Computerkultur kennengelernt hat. Jugendliche spielen Computer- und Videospiele, ihnen steht ein Überangebot an Fernsehkanälen zu Verfügung, sie surfen durch das Internet, schaffen Gemeinschaften, soziale Beziehungen, Gegenstände und Identitäten in einem ganz und gar neuen und originären kulturellen Raum, der durch den Begriff „postmodern“ semiotisch markiert wird“ (Kellner 1997, zit. n. Thimm 2000, S.240)
Kellners Beschreibung von internetbasierten Kommunikationsmedien als Möglichkeit der Etablierung neuer Sozialräume, Identitäten und Kulturen verweist auf die Qualitäten virtueller Gemeinschaft. Online-Kommunikation bietet die Chance als eine Art soziale Sphäre einen neuen Lebens- und Erlebensraum zu schaffen, in dem sich Jugendliche abseits der Realität ausprobieren können. Sei es zur Kontaktaufnahme, Erprobung unterschiedlicher Rollen, Identitätsfindung oder Abgrenzung. Welchen Stellenwert das Rollenhandeln in Rollenspielen einnimmt, welche Auswirkungen sich dadurch auf Identitätsexperimente ergeben und inwiefern sogenannte MUDs1 gemeinschaftsstiftende Strukturen aufweisen und dadurch zur Schaffung einer Jugendkultur führen, soll im Folgenden erläutert werden.
2. Virtuelle Räume als Handlungs-, Identitäts- und Inszenierungsräume
Eine typische Form computervermittelter Kommunikation sind sogenannte MUDs, die Turkle als „text-based social virtual reality“ (Köhler 2003, S.35) versteht. Diese Definition inkludiert bereits die wichtigsten Merkmale von Internet-Spielewelten.
Spielrealität entsteht hier durch Schaffung von Präsenz- und Handlungsräumen (wie zum Beispiel Gildenhäuser, Zimmer, Landschaften etc.) in denen die meist schriftliche Kommunikation soziale Praxis ermöglicht.
Im Unterschied zu anderen Computerspielen wird in MUDs nicht gegen den Rechner gespielt, sondern mit und gegen andere Personen, die in Gestalt ihrer Spielfigur in der Fantasywelt interagieren. Dabei stehen den Spielern verschiedene Möglichkeiten der Kommunikation zur Verfügung. Meist findet Gruppenkommunikation in Form eines öffentlichen „News“-Kanals statt, bei dem alle Mitglieder die Chatnachrichten empfangen. Eine Alternative dazu bietet die private Kommunikation zu zweit, bei der ausschließlich ausgewählte Spieler die gesendeten Nachrichten erhalten. Allen Kommunikationen ist der Verlust des Körperlichen und damit der Mangel an Kommunikationskanälen gemeinsam (vgl. Bahl 1997, S.63). Die Kommunikation wird zwar manchmal durch bestimmte Programme wie „Skype“2 erweitert und gewinnt dadurch an auditativem Charakter; es fehlen aber in jedem Fall die non-verbalen Elemente. Diese werden meist durch verschiedene Befehlssyntax zu kompensieren versucht, indem eine Auswahl bestimmter Verben (weinen, lächeln, umarmen etc.) die emotionale Ebene verstärkt. Die Artikulation von Körpersprache durch Beschreibung der Selbigen im Chatfenster oder Ausführung durch den gestalteten Charakter hilft dabei bestimmte Rollen zu verkörpern. Die körpersprachlichen Signale, die also entweder beobachtbar als Kommunikation auf dem Bildschirm auftreten, indem die Spielfigur sie ausführt oder im Chatfenster formuliert werden, machen die virtuellen Orte zu einer Art Handlungsraum. In der Soziologie wird der klassische Begriff des Handelns nach Max Weber als ein Verhalten definiert, dem ein subjektiv gemeinter Sinn unterliegt (Weber 1972, zit. n. Nassehi 2008, S.31). Virtuelle Orte versuchen das Problem des nicht offensichtlichen Sinns einer Handlung oft durch übertriebene Adverben und starke Betonung körpersprachlicher Signale abzuschwächen. Genau wie in der Realität muss hier dem beobachtbaren Verhalten ein Sinn unterstellt werden, bei dessen Interpretation eben beschriebene Hilfsmittel eine wesentliche Rolle spielen. Die „wechselseitige Intransparenz“3 (Nassehi 2008, S.37), welche vor allem in der Realität dazu führt, dass wir Handlungen Anderer stets Motive zurechnen müssen, die wir nur erahnen können, kommt an virtuellen Orten etwas schwächer zum Tragen, wenn Handlungen im Chatfenster zusätzlich kommentiert und mit einem bestimmten Charakter versehen werden4. Die Möglichkeiten der Kommunikation und des Handelns machen virtuelle Orte somit auch zu einer Art sozialen Sphäre, die unabhängig von physisch realen Orten exisitiert. Leopold von Wiese spricht von einem „sozialen Raum“ (1968, zit. n. Stegbauer 2001, S.140), der vom physischen Raum zu trennen ist und die Funktion von Distanzveränderungen in der zwischenmenschlichen Sphäre übernimmt - unabhängig von geographischer Nähe und Ferne.
Die durch das Internet grundsätzlich gegebene Anonymität ermöglicht es innerhalb des „sozialen Raumes“ durch Entwerfen eines Charakters verschiedene Identitäten auszuprobieren. Der Verlust von Körperlichkeit beschränkt dabei nicht nur die Kommunikation, sondern kann gleichzeitig einen Ausgangspunkt für Identitätsexperimente darstellen. Während im wirklichen Leben Rolle und Person habituell aufeinander abgestimmt sein müssen um Verhaltenserwartungen Anderer nicht zu enttäuschen und aus diesem Grund zum Rollenhandeln ein bestimmter Habitus gehört (vgl. Nassehi 2008, S.58), ist in MUDs der Rollenwechsel erheblich simplifiziert, indem das Körperliche wegfällt bzw. selbst gestaltet werden kann.
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1 „Multi User Dungeons“ als Oberbegriff für Mehr-Personen-Fantasy-Rollenspiele (Bahl 1997, S.60)
2 Ein Programm, welches hauptsächlich Telefonieren über das Internet ermöglicht
3 Die Tatsache, das wir nicht wissen können, was der Andere denkt
4 So kann ein Lächeln beispielsweise zusätzlich als erleichtert, unsicher oder glücklich beschrieben werden - die Deutung der Handlung übernimmt somit teilweise der Handelnde selbst und ist nicht vollständig „dem Beobachter“ überlassen
- Arbeit zitieren
- Bachelor of Arts Elena Gratzke (Autor:in), 2012, Möglichkeiten und Grenzen von Internet-Spielewelten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202133
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