16 Jahre lang haben Helmut Kohl und die CDU/CSU die Politik der Bundesrepublik Deutschlands geprägt. Gleichzeitig hat die BRD immer eine wichtige Rolle im europäischen Integrationsprozess gespielt: Zum einen als ständiger Motor dieses Prozesses in starker Zusammenarbeit insbesondere mit Frankreich. Des weiteren als ein, über Jahrezehnte, geteiltes Land in der Mitte Europas, welches Streben nach Einigkeit auf nationaler und europäischer Ebene verkörpert. In der längsten Amtszeit der Bundesrepublik hat Helmut Kohl, wie nach Konrad Adenauer kein zweiter deutscher Bundeskanzler, neben der nationalen auch die gemeinsame europäische Politik mitgeprägt. Seit 1998 befindet sich die CDU/CSU (Union) nun in der Opposition. Und der europäische Einigungsprozess geht rasant weiter: Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union sind die großen Herausforderungen der Staatengemeinschaft, die erste europäische Verfassung nimmt immer mehr Gestalt an. Welche Rolle nun die „alten“ Europa- Experten der Union und ihre jungen Partei-Mitstreiter der BRD in diesem Prozess des europäischen Integrationsprozess zuschreiben, soll im folgenden dargestellt werden.
Zunächst soll das europapolitische Selbstverständnis der Union vorgestellt werden. Und gleichzeitig überprüft werden, inwiefern sich ein Wandel vollzogen haben könnte. Im folgenden Abschnitt werden die Vorschläge und Konzepte der Union zum europäischen Verfassungsgebungsprozess beleuchtet. Wobei zu klären sein wird, ob die Union mit „einer Stimme“ spricht, oder ob es innerhalb der Christdemokraten verschiedene Positionen gibt. Anschließend wird ein Blick auf die Position der Union zum Ergebnis des Verfassungskonvents geworfen. Hier muss auch überprüft werden, ob und inwieweit es verschiedene Vorstellungen in der Union gibt. Abschließend gilt es der Frage nach zu gehen, ob die Ideen und Vorstellungen der Union zum europäischen Verfassungsgebungsprozess realisierbar sind. Dabei muss vor allem ein möglicher Unterschied zwischen „Real-Europapolitikern“, wie Elmar Brok, MdEP und Konvents-Mitglied, auf der einen und Parteikollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf der anderen Seite kritisch begutachtet werden.
Inhalt
Die Herausforderer
Europapolitik in der Opposition
I. Einleitung
II. Das Erbe Kohls Das europa-politische Selbstverständnis der Union
1. Deutsche Europapolitik in den ersten Nachkriegsjahrzehnten -
„Die Vereinigten Staaten von Europa“
2. Wandel europapolitischer Grundverständnisse in der Europapolitik der CDU/CSU
3. Die neue christdemokratische Europapolitik
III. Die Europapolitik der Union Streben nach einer gemeinsamen europäischen Verfassung
1. „Modell Europa“
2. „Europa der Regionen“
3. Subsidiarität als maßgebliches Strukturprinzip
IV. Die neue Methode – Der Verfassungskonvent als Chance für nachhaltige Reformen
1. Einordnung der Bedeutung des Konvents
2. Bewertung der Ergebnisse des Konvents
a) Europa als Union der Staaten und Bürger
b) Diskussion um die christlich-jüdischen Wurzeln Europas
c) Konventsentwurf: gute Vorlage mit „Schönheitsfehlern“
Fazit
Die Herausforderer.
Europapolitik in der Opposition
Von André Schier
I. Einleitung
16 Jahre lang haben Helmut Kohl und die CDU/CSU die Politik der Bundesrepublik Deutschlands geprägt.
Gleichzeitig hat die BRD immer eine wichtige Rolle im europäischen Integrationsprozess gespielt:
Zum einen als ständiger Motor dieses Prozesses in starker Zusammenarbeit insbesondere mit Frankreich. Des weiteren als ein, über Jahrezehnte, geteiltes Land in der Mitte Europas, welches Streben nach Einigkeit auf nationaler und europäischer Ebene verkörpert.
In der längsten Amtszeit der Bundesrepublik hat Helmut Kohl, wie nach Konrad Adenauer kein zweiter deutscher Bundeskanzler, neben der nationalen auch die gemeinsame europäische Politik mitgeprägt.
Seit 1998 befindet sich die CDU/CSU (Union) nun in der Opposition. Und der europäische Einigungsprozess geht rasant weiter: Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union sind die großen Herausforderungen der Staatengemeinschaft, die erste europäische Verfassung nimmt immer mehr Gestalt an.
Welche Rolle nun die „alten“ Europa-Experten der Union und ihre jungen Partei-Mitstreiter der BRD in diesem Prozess des europäischen Integrationsprozess zuschreiben, soll im folgenden dargestellt werden.
Zunächst soll das europapolitische Selbstverständnis der Union vorgestellt werden. Und gleichzeitig überprüft werden, inwiefern sich ein Wandel vollzogen haben könnte.
Im folgenden Abschnitt werden die Vorschläge und Konzepte der Union zum europäischen Verfassungsgebungsprozess beleuchtet. Wobei zu klären sein wird, ob die Union mit „einer Stimme“ spricht, oder ob es innerhalb der Christdemokraten verschiedene Positionen gibt.
Anschließend wird ein Blick auf die Position der Union zum Ergebnis des Verfassungskonvents geworfen. Hier muss auch überprüft werden, ob und inwieweit es verschiedene Vorstellungen in der Union gibt.
Abschließend gilt es der Frage nach zu gehen, ob die Ideen und Vorstellungen der Union zum europäischen Verfassungsgebungsprozess realisierbar sind. Dabei muss vor allem ein möglicher Unterschied zwischen „Real-Europapolitikern“, wie Elmar Brok, MdEP und Konvents-Mitglied, auf der einen und Parteikollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf der anderen Seite kritisch begutachtet werden.
II. Das Erbe Kohls – Das europa-politische Selbstverständnis der Union
Als konservative Partei verstehen sich CDU und CSU als nationale Parteien, welche im europäischen Einigungsprozess vor allem Chancen für die Wohlstandssicherung und Wirtschaftsstärkung der eigenen Nation sehen.
Deutschland muss und soll in Europa aufgrund seiner historischen Verantwortung und seiner herausragenden wirtschaftlichen Stärke eine wichtige Position in Europa einnehmen.[1]
1. Deutsche Europapolitik in den ersten Nachkriegsjahrzehnten - „Die Vereinigten Staaten von Europa“
Zu Beginn des westeuropäischen Integrationsprozess, Anfang der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts, sah die Union in den römischen Verträgen und der Teilnahme und Mitprägung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und der europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) die Chance der jungen Bundesrepublik nach dem 2. Weltkrieg zur Rehabilitation in der Staatengemeinschaft.
So verstand sie die Europapolitik als selbstverständlich für ein, um Frieden, Sicherheit und Einigkeit bemühtes Deutschland.
Die Idee der Einigkeit für Europa war immer mit dem Streben nach einer deutsch-deutschen Wiedervereinigung verbunden. So wurde über Jahrzehnte die christdemokratische Vorstellung der „Vereinigten Staaten von Europa“ entwickelt.[2]
Einer der stärksten Verfechter dieser Idee war Helmut Kohl. Der Terminus „Vereinigte Staaten von Europa“ entstammte von Winston Churchill. An dem US-amerikanischen System orientiert, sollte Europa zu einem föderalen Verbund ausgebaut werden, in welchem die Mitgliedsstaaten als Bundesstaaten einer gemeinsamen Verfassung unterstellt sein sollten. Die Vereinigung Europas wurde somit in einem sehr engen Sinne aufgefasst und wurde bis Ende der achtziger Jahre stets mit der deutschen Widervereinigung gekoppelt.
Die deutsche Frage verlange, laut Kohl, von deutscher Politik gerade auf europäischer Ebene ein starkes Einsetzen für die Europäische Einigung. Nur durch ein zusammenwachsendes Europa könne auch die Teilung Deutschlands überwunden werden.[3]
2. Wandel europapolitischer Grundverständnisse in der Europapolitik der CDU/CSU
Von der Formulierung „Vereinigte Staaten von Europa“ wurde in den neunziger Jahren allerdings abstand genommen. Oftmals wurde der Begriff falsch verstanden. Es wurde befürchtet, dass ein europäischer „Überstaat“ entstehen sollte, dem die Souveränität der einzelnen Nationalstaaten zum Opfer fallen solle. Es wurde eine zu enge Orientierung an den „Vereinigten Staaten von Amerika“ vermutet.[4]
Auch das Ende des Kalten Krieges und die damit verbundenen Änderungen der weltpolitischen Gesamtlage, haben in der Europapolitik der Union für einen Wandel gesorgt.
Die deutsche Wiedervereinigung wurde erlangt und mit den Themen Integration neuer Mitglieder in die Europäischen Staatengemeinschaft und der Vertiefung der bestehenden Europäischen Gemeinschaft, wurden von der Union neue europapolitische Zielrichtungen verlangt.
Des weiteren wurde dieser Wandel durch die Kompetenzausweitung europäischer Institutionen forciert.
Europapolitik ist, insbesondere durch die Verträge von Maastricht und Amsterdam stärker in den Alltag der Bürger vorgedrungen. Wurde Europapolitik in den sechziger und siebziger Jahren noch meist von den politischen Eliten erarbeitet und war wenig im öffentlichen Interesse, hat sich dies mit dem fortschreitenden Integrationsprozess erheblich gewandelt.
Das öffentliche Interesse hat stark zugenommen und so musste sich auch die Europapolitik nationaler Parteien, wie der Union, wandeln, klarer positionieren und konkretere Standpunkte vertreten.[5]
Wichtig für neue Europapolitik sei auch eine weitereichende Finalitätsbestimmung. Europa müsse mehr als nur ein Staatenverbund sein. Eine „föderale Union neuen Typs“ müsse geschaffen werden, in der gleichberechtigte Nationalstaaten föderal zusammenarbeiten. Dieses System soll sich aber nicht mit klassischen Systemen vergleichen lassen und neue Wege zwischenstaatlicher Zusammenarbeit finden.[6]
Ein Wandel von idealistischer hin zu pragmatisch-praxisorientierter Europapolitik ist zu verzeichnen. Der Terminus Idealismus soll hier jedoch nicht falsch verstanden werden. Natürlich wurden beispielsweise mit dem Einsetzen der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) wichtige praktisch bezogene Politikbereiche erschlossen. Dennoch war die Formulierung europapolitischer Zielsetzungen mit allgemein-ideelen Grundsätzen wie Frieden, Freiheit und Einigkeit sehr allgemein gefasst.
Das Erlangen dieser allgemeinen Ziele, wobei die EU-Osterweiterung als letzter Schritt zur europäischen Einigung angesehen wird, und die immer stärker zunehmenden Einflüsse europäischer Politik haben nun jedoch für besagten Wandel gesorgt.
Diesen haben gerade die Christdemokraten Deutschlands in ihrem Selbstverständnis als eine „(Mit)Baumeistern des europäischen Integrationsprozesses“ stark aufgenommen.[7]
3. Die neue christdemokratische Europapolitik
Die Erweiterung und Reform der Europäischen Union bedürfe eines festen, aber nicht starren, Kerns. Dieses „Kerneuropa“ soll den Rückhalt und das Fundament einer starken europäischen Staatengemeinschaft darstellen.
Und hierbei sollen Deutschland und Frankreich den „Kern des Kerns“ bilden.[8]
Innerhalb der bundesdeutschen Parteienlandschaft versteht sich die Union, aufgrund Ihrer jahrelangen Erfahrung als regierungsbildende Partei und wegen der bedeutenden, europapolitisch äußerst aktiven und erfolgreichen, Alt-Bundeskanzler Adenauer und Kohl als die Partei mit der höchsten europa-politischen Kompetenz. Zugespitzt ausgedrückt, versteht sich die Union als „Hüterin der wahren deutschen Europapolitik“. Somit sieht sie sich in einem der Kernländer Europas als wahre Europa-Partei und damit letztlich als ein wichtiger Motor für den europäischen Einigungs- und Reformprozess.
Diese Rolle und jegliche europapolitischen Kompetenzen spricht sie den anderen deutschen Parteien nicht zu. Vielmehr verurteilt sie seit 1998, ganz ihrer Oppositionsrolle gemäß, vehement die Europapolitik der rot/grünen Bundesregierung.[9]
Doch dieses Maß an hoher Selbsteinschätzung verlangt auch ein starkes Engagement von der Union. Selbstverständlich haben die Christdemokraten somit auch klare Vorstellungen von deutscher Europapolitik.
Es werden deutliche Positionen vertreten wie das „Modell Europa“ auszusehen habe.
III. Die Europapolitik der Union – Streben nach einer gemeinsamen europäischen Verfassung
An dieser Stelle möchte ich mich auf die Thesen und Arbeitspapiere der letzten fünf bis zehn Jahre beschränken. Ich erachte dies als zweckmäßig, um in meiner Betrachtung zeitlich möglichst nah an dem Standpunkt der CDU zu bleiben.
Hierbei wird eine Abkehr von den „Vereinigten Staaten von Europa“ ersichtlich. Dies soll jedoch nicht eine Abwertung der europäischen Idee bedeuten, sondern vielmehr eine grundsätzliche Neuausrichtung konservativer Europapolitik ausdrücken.
Begriffe wie „Modell Europa“ und „Europa der Regionen“ sind allgegenwärtig, wenn man die europapolitischen Positionen der Union betrachtet.[10]
So ist grundsätzliche Europapolitik für die Christdemokraten immer mit europäischer Verfassungspolitik verbunden.
1. „Modell Europa“
Schäuble und Lamers etwa, zeichnen ein „Modell von Europa“ in dem sich, durch den immer weiterschreitenden Integrationsprozess, ein neuer gesamteuropäischer „Wettbewerbs-Föderalismus“ entwickelt habe. Dieser Föderalismus strahle auf alle Politikbereiche, auch und vor allem auf nationale Politikbereiche.
Hierin sehen die Autoren für Deutschland die Möglichkeit durch starke Mitwirkung auf europäische Politik besonders wirtschaftliche Vorteile für die BRD herauszuziehen.
In diesem neuen Föderalismus solle vor allem die Position des Europäischen Parlaments (EP) gestärkt werden. Hier haben die nationalen Parteien, fernab von Regierungsmehrheiten, die Möglichkeit die Interessen ihrer Wähler zu vertreten.
Doch vor allem im Streben der EU nach mehr Legitimation durch die europäischen Bürger, müsse das EP als gesamteuropäische Volksvertretung erheblich gestärkt werden. Nur so könne ein mehr an Demokratie, Legitimation und Akzeptanz in den europäischen Integrationsprozess getragen werden.[11]
Doch die Mitwirkungsbestrebungen dürften für die Union noch ein andere Seite haben.
Wirkliche Mitgestaltung an europäischer Politik kann für die Union mittlerweile vornehmlich durch ihre Abgeordneten im Europäischen Parlament erfolgen.
Hier haben sich alle konservativen Parteien Europas in der Fraktion der europäischen Volksparteien (EVP-Fraktion) zusammengeschlossen.
So ist es nicht verwunderlich, dass führende konservative Europapolitiker wie etwa die MdEPs Brok und Pöttering eine Stärkung des EP fordern.
2. „Europa der Regionen“
An diese Kompetenzverteilungs-Diskussion anknüpfend, wird mit dem Streben nach einem „Europa der Regionen“ auch eine Stärkung der einzelnen Länderkammern gefordert.
Hier gibt es verschiedene Ansichten der praktischen Ausformung dieser Forderung.
Für ein neues, handlungsfähiges Europa muss ein gesunder „Dreiklang“ zwischen Europa-Nation und Region gefunden werden.[12]
Die Stärkung der Region auf europäischer Ebene soll den Bürger näher an Europa heranbringen. Dem Bürger soll somit die Politik transparenter dargestellt werden und ein Mangel an Legitimation vermieden werden.[13]
Doch die Stärkung der Regionen soll nicht zu einem Mehr an Bürokratie führen. Ein weiteres, unnötiges Aufblähen der europäischen Verwaltung wird als nicht zweckmäßig erachtet.
Viele Europapolitiker der Union verlangen hingegen eine klare, einfache Strukturierung der europäischen Institutionen. Und für die Aufgabenbewältigung und Interessenwahrung auf europäischer Ebene, würden die bestehenden Organe genügen. Vielmehr müssten diese reformiert und über die gesamteuropäische Kompetenzverteilung grundlegend nachgedacht werden.[14]
[...]
[1] Vgl. Schäuble/Lamers, S. 84f.
[2] Vgl. Hintze/Langguth, S. 360f.
[3] siehe dazu diverse Schriften Kohls, u.a. Helmut Kohl, „Europa und die deutsche Frage“, Beitrag in den „Lutherschen Monatsheften“ Mai 1981.
[4] Vgl Jopp/Maurer/Schneider (Schneider), S. 30f.
[5] Vgl. Jopp/Maurer/Schneider (Maurer), S. 321f.
[6] Vgl. Jopp/Maurer/Schneider (Schneider), S. 31.
[7] ebenda.
[8] Vgl. Schäuble/Lamers, S. 105f.
[9] Vgl. Nassauer.
[10] Vgl. dazu Stoiber; Merz/Glos/Merkel; Schäuble/Bocklet.
[11] Vgl. Merz/Glos/Merkel, Punkt 6.
[12] Vgl. Stoiber 2001.
[13] Vgl. Merz/Glos/Merkel Punkt 4.
[14] Vgl. Beschluss des 12. CDU Parteitag 1999.
- Arbeit zitieren
- André Schier (Autor:in), 2003, Die Herausforderer-Europapolitik der CDU/CSU, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20158
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