Wesensemerkmale der Identität und Gruppendynamik amischer Lebensgemeinschaften im modernen Amerika, mit speziellem Fokus auf die verschiedenen Formen der Integration und gesellschaftlichen Abgrenzung gegenüber der Außenwelt.
Die Amische[1] sind eine heutzutage vorwiegend im Nordosten der Vereinigten Staaten beheimatete Glaubensgemeinschaft in der Tradition protestantisch-täuferischer Bewegungen[2] , deren Verwurzelung in ihrem religiösen Selbstverständnis die Mitglieder nachwievor entscheidend prägt, wobei sich die besondere Ausprägung ihrer Überzeugungen und Werte jedoch nicht nur ausschließlich im praktizierenden Bereich niederschlägt, sondern darüber hinaus auch nahezu sämtliche Bereiche des Alltagsleben derart beeinflusst und durchdringt, sodass sich ihr Gruppenbewusstsein und Zusammengehörigkeitsgefühl letztlich nicht nur alleine aus der Befolgung gleicher Gebote ergibt, sondern vielmehr die Gestalt eines tief verinnerlichten Lebensgefühls annimmt, welches eine Trennung zwischen Religion und Alltags- bzw. Berufsleben nahezu unmöglich macht[3] . Zweifelsohne steht dabei die praktische Auslebung der von ihnen formulierten und strikt befolgten Glaubenssätze im Mittelpunkt ihres alltäglichen Wirkens, sodass letzten Endes nahezu ihr gesamtes Dasein und Handeln stets in irgendeiner Weise nach jenen Überzeugungen ausgerichtet ist bzw. maßgeblich von ihnen geprägt wird. Dennoch genügt es nicht ihre spezifische Art der Gruppenzugehörigkeit einzig und alleine anhand gemeinsamer religiöser Werte festzumachen.
Das protestantisch-täuferische Glaubensbekenntnis mag zwar in der Tat als das zentrale und mit Abstand bedeutendste Bindeglied innerhalb ihrer Gesellschaft dienen; das Teilen gemeinsamer Werte und Überzeugungen alleine stellt jedoch zwangsläufig noch lange kein ausreichendes Mittel dar, mit dem sich Solidarität oder Identifikation mit der Gemeinschaft begründen lassen können. Letztere ist nämlich in erheblichem Maße auch an eine konkrete und sehr genau festgelegte Auslebung jener Normen und Grundeinstellungen gebunden, eine Lebensführung die zwar maßgeblich in der amischen Ethik begründet ist, welche sich darüber hinaus jedoch auch zusätzlich über eine ganze Reihe eigentümlicher Merkmale, Lebensstandards und Handlungsweisen definiert. Diese erstrecken sich über sämtliche Bereiche des privaten, öffentlichen und beruflichen Lebens, besitzen allgemeine Anerkennung und Geltung und werden folglich von den Mitgliedern der Gemeinschaft schlichtweg als zentraler Bezugspunkt ihres kollektiven Selbstverständnis angesehen, mit anderen Worten also im weitesten Sinne als das charakteristische und wesentliche Kriterium ihrer selbst gewählten Gruppenidentität. Wie genaue diese letztlich beschaffen ist, wie sie definiert wird und vor allem mit welchen spezifischen Formen und Ausdrucksmerkmalen identitärer Selbstzuschreibung sie gestaltet und ausgelebt wird soll im Folgenden näher dargelegt werden.
Eines der zentralen und wichtigsten Identitätsmerkmale amischer Gemeinschaften ist deren prinzipielle Gruppengeschlossenheit und Abgrenzung gegenüber Nichtmitgliedern, eine Tatsache die sich unmittelbar auf die historische Entstehungsgeschichte sowie auf das daraus entwickelte amische Glaubensbekenntnis zurückverfolgen lässt. Ursprünglich gehörten die Amische der aus der schweizerischen Täuferbewegung hervorgegangenen Glaubenskongregation der Mennoniten an, von welcher sie sich allerdings zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf Anlass ihres einflussreichen Gründungsvaters und letztendlichen Namensgebers Jakob Ammann abspalteten[4] .
Dabei war es insbesondere die Ausweitung der vermeintlichen religiösen Auserwähltheit der Gemeinschaft auf bestimmte Nicht-Mennoniten die Jakob Ammann konsequent und energisch ablehnte. Für ihn stellten Sympathie mit mennonitischen Überzeugungen bzw. deren nur heimliches Praktizieren keine ausreichende Begründung dar um jenen Menschen das gleiche Anrecht von „Hoffnung auf Errettung“ zukommen zu lassen. Für ihn zählte letzten Endes einzig und allein das offene Bekenntnis – und damit auch der Beitritt - zur mennonitischen Glaubensgemeinschaft, einschließlich aller damit einhergehenden Opfer und Pflichten[5] . Auch im Hinblick auf interne Gruppenstrukturen sowie die konkrete Art der gemeinschaftlichen und privaten Lebensführung verfolgte Ammann eine weitaus konservativere Linie, welche letztlich die Grundlage für das bis heute im Mittelpunkt amischen Selbstverständnisses stehende Konzept der sogenannten Ordnung ausmachte. Dabei handelt es sich allgemein um einen das gesamte private, öffentliche und zeremonielle Leben regulierenden Verhaltenskodex, welcher sich vordergründig in der strikten Befolgung etablierter Vorschriften sowie einer arbeitstüchtigen und bescheidenen Lebensführung äußert. Hierfür sind intensive gemeinschaftliche Vertrautheit und Verbundenheit allerdings von geradezu zentraler Wichtigkeit, sodass der besonderen Stellung und Bedeutung von Ordnung im Leben der Amische schließlich nicht nur in ihrer Funktion der Abgrenzung gegenüber der Außenwelt, sondern vor allem auch in Folge ihrer lokal unterschiedlichen, gemeindespezifischen Auslegung letztlich großes kollektives Identitätspotential beizumessen ist.[6]
Die charakteristische und identitätsstiftende Isolation amischer Gemeinden wurzelt also allen voran in der festen Überzeugung der religiös begründeten Einzigartigkeit ihrer Lebensführung[7] . Folglich ist es dann auch jenes fundamentale Wesensmerkmal des amischen Glaubensbekenntnisses, welches das rigorose Festhalten an einer strikten Abgrenzung von der Außenwelt zu erklären vermag. Soziale Abgeschiedenheit ist somit mehr als lediglich ein Mittel zur Hervorhebung der andersartigen amischen Lebensweise; vielmehr ist Alterität geradezu eine essentielle, um nicht zusagen existentielle und unabdingbare Notwendigkeit für amische Gruppenidentifikation.
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[1] Der Ausdruck „Amisch“ sei in dieser Arbeit lediglich als überordnender Begriff verwendet. Prinzipiell kann jedoch nicht von einer einheitlichen, homogenen „amischen“ Kultur gesprochen werden, da die einzelnen amischen Glaubensgemeinschaften sich sowohl im Hinblick auf Vorschriften und Gebote wie auch in Bezug auf ihre Weltansichten oftmals auf subtile Art und Weise voneinander unterscheiden. Untersuchungsgegenstand sind hier primär die Gemeinden der Old Amish Order. Vgl. Nolt, Steven M; Meyers, Thomas J., Plain diversity: Amish cultures and identities, p. viii.
[2] Aktuell leben in den Vereinigten Staaten fast 250 000 Amische, was einem Zuwachs von 10% alleine in den letzten zwei Jahren entspricht. Hauptgrund hierfür dürfte die vergleichsweise hohe Geburtenrate innerhalb amischer Familien (i.d.R. 5 Kinder/Frau) sein. Die Hälfte aller Gemeindemitglieder sind unter 18 Jahren alt, von welchen sich ca. 85% nach Erreichen des Erwachsenenalters für einen Verbleib innerhalb ihrer Kirche bzw. ihrer Gemeinschaft entscheiden. Zahlen entnommen aus: Hufftington Post, Ausgabe vom 28. Juli 2010 http://www.huffingtonpost.com/2010/07/29/amish-population-growth-n_n_663323.html
[3] Hostetler, Andrew Joseph, Amish Society, p. 10.
[4] Einen ausführlichen historischen Hintergrund zu den Ursprüngen und Auswanderungswellen amischer Gemeinschaften nach Nordamerika findet sich bei: Crowley, William K, Old Order Amish Settlement: Diffusion and Growth. In: Annals of the Association of American Georgraphers, Vol. 68, No. 2 (1978), pp. 249-264.
[5] Ibid, p. 249
[6] Nolt, Steven M; Meyers, Thomas J., Plain diversity: Amish cultures and identities, pp. 8-12.
[7] Kraybill, Donald B, The Riddle of Amish Culture, pp. 37-45.
- Citar trabajo
- Joe Majerus (Autor), 2011, Die Herstellung von Gruppenidentifikation am Beispiel amischer Glaubensgemeinschaften, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201281
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