“A math curriculum that focused on real-life problems would […] expose students to the abstract tools of mathematics, especially the manipulation of unknown quantities. But there is a world of difference between teaching “pure” math, with no context, and teaching relevant problems that will lead students to appreciate how a mathematical formula models and clarifies real-world situations.” – Was Garfunkel and Mumford (2011) hier für den amerikanischen Mathematikunterricht fordern, kann ebenso auf den deutschen Lehrplan für das Fach Mathematik übertragen werden. Auch hierzulande – und das haben nicht nur die PISA-Studien eindrucksvoll gezeigt – mangelt es den Schülerinnen und Schülern an Problemlösefähigkeiten und den Kompetenzen, abstrakt Gelerntes auf praktische Alltagssituationen zu übertragen. Will man die kommende Generation für die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten, so muss auch ein Umdenken im Mathematikunterricht geschehen. Dazu gehört es, dass Lebensweltbezüge im Mathematikunterricht hergestellt und genutzt werden. Modellierungsaufgaben bieten den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, den Alltag in ihrem Unterricht wiederzuentdecken und Bezüge herzustellen.
Schülerinnen und Schülern eines Vereinten Europas bieten sich zahlreiche Perspektiven, aber auch Herausforderungen, denen sich die Schule nicht verschließen darf. Fremdsprachenkompetenz, die über die im traditionellen Fremdsprachenunterricht vermittelten Kenntnisse hinausgeht, ist Voraussetzung für den beruflichen Erfolg einer jeden Schülerin und eines jeden Schülers. Der bilinguale Sachfachunterricht ermöglicht die Aneignung einer Sachfachkompetenz nicht nur in der Mutter-, sondern auch in mindestens einer Fremdsprache.
Wenn auch dieses Konzept zukunftsweisend und Erfolg versprechend scheint, so musste ich während meines Studiums des Bilingualen Lehrens und Lernens an der Pädagogischen Hochschule Freiburg doch feststellen, dass es noch immer sehr wenig Fachliteratur gibt, die den Bereich des bilingualen Mathematikunterrichts allgemein sowie des bilingualen Mathematikunterrichts in der Grundschule speziell näher erforscht.
Dabei bieten gerade Modellierungsaufgaben durch ihren Alltagsbezug die Chance, Verständnis, welches durch die Verwendung einer Fremdsprache erschwert wird, bei den Schülerinnen und Schülern zu generieren und sorgen für echtes Diskussionspotenzial in einem Unterrichtsfach, welches oft als kommunikationsfrei missverstanden wird.
[...]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Teil 1
1. Bilingualer Unterricht
1.1. Begriffsbestimmung
1.2. Gründe für bilingualen Unterricht
1.3. Didaktik und Methodik
1.4. Mathematikunterricht bilingual
2. Modellierungsaufgaben
2.1. Begriffsbestimmung
2.2. Gründe für Modellierungsaufgaben
2.3. Umsetzung
2.4. Modellierungsaufgaben im bilingualen Unterricht der Grundschule
Teil 2
1. Unterrichtsversuch - ausführlicher Unterrichtsentwurf
1.1. Situationsanalyse
1.2. Sachanalyse
1.3. Methodisch - Didaktische Analyse
1.4. Lernziele
1.5. Verlaufsplanung
1.6. Reflexion
1.7. Materialien
2. Erfahrungen aus einem bilingualen Unterrichtsprojekt
Teil 3
Resümee
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Einleitung
“A math curriculum that focused on real-life problems would […] expose students to the abstract tools of mathematics, especially the manipulation of unknown quantities. But there is a world of difference between teaching “pure” math, with no context, and teaching relevant problems that will lead students to appreciate how a mathematical formula models and clarifies real-world situations.” - Was Garfunkel and Mumford (2011) hier1 für den amerikanischen Mathematikunterricht fordern, kann ebenso auf den deutschen Lehrplan für das Fach Mathematik übertragen werden. Auch hierzulande - und das haben nicht nur die PISA-Studien eindrucksvoll gezeigt - mangelt es den Schülerinnen und Schülern an Problemlösefähigkeiten und den Kompetenzen, abstrakt Gelerntes auf praktische Alltagssituationen zu übertragen. Will man die kommende Generation für die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten, so muss auch ein Umdenken im Mathematikunterricht geschehen. Dazu gehört es, dass Lebensweltbezüge im Mathematikunterricht hergestellt und genutzt werden. Modellierungsaufgaben bieten den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, den Alltag in ihrem Unterricht wiederzuentdecken und Bezüge herzustellen.
Schülerinnen und Schülern eines Vereinten Europas bieten sich zahlreiche Perspektiven, aber auch Herausforderungen, denen sich die Schule nicht verschließen darf. Fremdsprachenkompetenz, die über die im traditionellen Fremdsprachenunterricht vermittelten Kenntnisse hinausgeht, ist Voraussetzung für den beruflichen Erfolg einer jeden Schülerin und eines jeden Schülers. Der bilinguale Sachfachunterricht ermöglicht die Aneignung einer Sachfachkompetenz nicht nur in der Mutter-, sondern auch in mindestens einer Fremdsprache.
Wenn auch dieses Konzept zukunftsweisend und Erfolg versprechend scheint, so musste ich während meines Studiums des Bilingualen Lehrens und Lernens an der Pädagogischen Hochschule Freiburg doch feststellen, dass es noch immer sehr wenig Fachliteratur gibt, die den Bereich des bilingualen Mathematikunterrichts allgemein sowie des bilingualen Mathematikunterrichts in der Grundschule speziell näher erforscht.
Dabei bieten gerade Modellierungsaufgaben durch ihren Alltagsbezug die Chance, Verständnis, welches durch die Verwendung einer Fremdsprache erschwert wird, bei den Schülerinnen und Schülern zu generieren und sorgen für echtes Diskussionspotenzial in einem Unterrichtsfach, welches oft als kommunikationsfrei missverstanden wird.
In der Grundschule kann man die Basis für Sachfachkompetenz in beiden (oder mehreren) Sprachen legen und Fremdsprachenfähigkeiten bei den Schülerinnen und Schülern aufbauen, die mit ihrer sachfachlichen Kompetenz wachsen und dadurch einer Diskrepanz zwischen der Kompetenz im Sachfach und dem Können in der Fremdsprache vorbeugen.
Diese Arbeit stellt im ersten Teil zuerst das Konzept des bilingualen Unterrichts im Allgemeinen sowie des bilingualen Mathematikunterrichts im Besonderen vor, bevor auf Modellierungsaufgaben eingegangen wird. Dabei werden auch die besonderen Bedingungen betrachtet, unter denen Modellierungsaufgaben im bilingualen Mathematikunterricht behandelt werden.
Im zweiten Teil schließt sich der ausführliche Unterrichtsverlauf eines durchgeführten Unterrichtsversuchs an. In der anschließenden Reflexion sollen die Stärken und Schwächen von Modellierungsaufgaben im bilingualen Mathematikunterricht herausgearbeitet werden.
Diese Arbeit soll einen Beitrag bei der näheren Erforschung des bilingualen Mathematikunterrichts, besonders der Modellierungsaufgaben im bilingualen Mathematikunterricht der Grundschule, leisten. Sie soll darüber hinaus für Lehrerinnen und Lehrer im Schuldienst als Anregung für ihren eigenen Unterricht dienen.
Ohne die Hilfe und Unterstützung einiger Personen wäre diese Arbeit undenkbar gewesen. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle bei Prof. Dr. Katja Maaß und Simone Kary für die Betreuung der Arbeit bedanken. Mein aufrichtigster Dank gilt weiterhin der Direktorin der Internationalen Grundschule Glauchau (Sachsen), Frau Gläser, sowie der Lehrerin Frau Karrasch, die mir Einblick in ihren Unterricht gestattete und mich anschließend selbst unterrichten ließ. In diese Arbeit flossen weiterhin Erfahrungen ein, die ich im Rahmen eines bilingualen Projektes an der Grundschule Ohorn (Sachsen) sammeln konnte. Aus diesem Grund möchte ich mich ganz herzlich bei der Direktorin Frau Brückner sowie den Lehrerinnen Frau Röhle und Frau Höhrenz bedanken, die mir wertvolle Unterrichtszeit überließen und sich und ihre Schule für neue Ideen öffneten. Nicht zuletzt gilt mein Dank den Schülerinnen und Schülern der Klasse 4a und 4b der Grundschule in Glauchau sowie der Klasse 4 der Grundschule in Ohorn, die mich ohne Bedenken als ihre temporäre Lehrerin akzeptierten und mit Freude und unglaublicher Motivation an die gestellten Aufgaben gingen. Nicht unerwähnt bleiben sollen außerdem die zahlreichen Korrekturleser, welche diese Arbeit in Teilen oder im Ganzen lasen und mir mit Kritik und Unterstützung zur Seite standen. Dank gebührt hierbei besonders meinen Eltern Ute und Uwe Liebold, die trotz großer Distanzen schnell auf Anfragen antworteten, sowie meiner Kommilitonin und guten Freundin Christina Bochmann, welche durch ihre wertvolle Zusammenarbeit und aufmunternde Nachrichten sehr zum Verfassen dieser Arbeit beitrug.
Freiburg im Oktober 2011 Luisa Liebold
Teil 1
1. Bilingualer Unterricht
Was 1963 mit einem Kooperationsvertrag zwischen Deutschland und Frankreich begann (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2006), etablierte sich über die Jahre zu einem anerkannten Konzept in den verschiedenen Schularten und -fächern. 1999 gab es 366 Schulen mit bilingualem Angebot in Deutschland, 2005 waren es bereits 847 Schulen (ebd.), wobei die tatsächliche Zahl wohl höher liegt, wenn man auch kurzzeitige Projekte und die Initiativen einzelner Lehrkräfte beachtet.
Was aber versteht man unter „bilingualem Unterricht“ und wieso ist es sinnvoll, Unterricht in dieser Art und Weise durchzuführen? Wie sieht bilingualer Unterricht konkret aus? Welche Methoden kommen zum Einsatz? Nach genauerer Untersuchung dieser Fragestellungen soll im letzten Teil dieses Kapitels ein Augenmerk auf den bilingualen Mathematikunterricht gelegt werden.
1.1. Begriffsbestimmung
Die Terminologie „bilingualer Unterricht“ ist zeitweise irreführend, wird sie doch in unterschiedlichen Kontexten verschieden verstanden. In den USA wird „bilingual“ als Begriff verwendet, wenn man von Integration in den dominant monolingualen sozialen Kontext spricht (Bach 2000):
„In the United States, the term bilingual education […] refers to the education of children whose home language is not English. […] Bilingual children are often branded as not only children whose English is inferior, but as students who are themselves inferior.” (Brisk 2006, S. 1, Herv. i. Orig.).
Damit ist hier eine Annäherung der Minoritätensprache an die Majoritätensprache gemeint. In Kanada ist dies ähnlich, wenn hier auch ein bilingualer sozialer Kontext vorherrscht (Bach 2000).
Ganz anders versteht man „bilingual“ hingegen in Europa und Deutschland: Hier steht „bilingual“ im schulischen Kontext eher als Synonym für „erhöhte Fremdsprachenkompetenz“ (ebd., Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2006, S.11). Dennoch herrscht auch hier große Verwirrung um Begrifflichkeiten. Es wird gesprochen von „Bilingualem Unterricht“ (BiLi) (Dalton-Puffer 2007, Zydatiß 2000), „Bilingualem Sachfachunterricht“ (Thürmann 2000, Vollmer 2007, Badertscher / Bieri 2009), „Fremdsprache als Arbeitssprache“ (Abuja 1999), „Immersion2 “ (Wode 2009), „Content And Language Integrated Learning“ (Wilhelmer 2008), „Inhaltsbezogenem Fremdsprachenlernen“, „Fremdsprachlichem Sachfachunterricht“, „Language Across The Curriculum“ (Bach 2000), „Content-Based Instruction“ (CBI), „Bilingual Teaching“, „Dual Language Programs“, „English Across The Curriculum“ und „Englisch als Arbeitssprache“ (EAA) (Dalton-Puffer 2007). Nicht immer ist klar, ob unterschiedliche Terminologien auch tatsächlich unterschiedliche Konzepte ausdrücken. Abgrenzungen scheinen zu verschwimmen und sind nicht immer sinnvoll. So stellt Schlemminger (2008) bei der Vorstellung verschiedener Ansätze dem Immersionsmodell, welches er als „Steigerung der Zielsprachenkompetenz durch vermehrtes Sprachangebot“ definiert, Content and Language Integrated Learning gegenüber („Erweiterung der Zielsprachenkompetenz durch Sachfachorientierung“), während Piske (2008) im selben Band Immersion synonym mit bilingualem Lehren und Lernen verwendet.
Auch die sozialen Ziele, die mit dem Einsatz einer Unterrichtssprache einhergehen, welche keine gängige Sprache der unterrichteten Schülerschaft ist, sind in den verschiedenen Ländern unterschiedlich (Johnstone 2007):
- In Kanada soll der Französisch sprechenden Bevölkerung gezeigt werden, dass sich die Englisch sprechende Bevölkerung dem Gedanken von Kanada als bilingualer und multikultureller Nation verpflichtet fühlt. Es ist ein Beitrag zum Aufbau einer kanadischen Identität (ebd.).
- In Australien ist man auf der Suche nach einer effektiveren Fremdsprachenpädagogik (ebd.).
- In Katalonien und in Schottland setzt man dieses Konzept zur Stärkung einer Minoritätensprache ein (ebd.).
Zumindest auf europäischer Ebene hat man sich jetzt auf die Bezeichnung „Content And Language Integrated Learning“ (CLIL) geeinigt (Wilhelmer 2008, S. 6):
„The acronym CLIL is used as a generic term to describe all types of provision in which a second language (a foreign, regional or minority language and / or another official state language) is used to teach certain subjects in the curriculum other than language lessons themselves.“ (Eurydice 2006, S. 8).
Über die Ziele von CLIL heißt es weiter: “It is meant to ensure first that pupils acquire knowledge of curricular subject matter and secondly develop their competence in a language other than the normal language of instruction.” (ebd., S. 22). Diese klare Hierarchie von Sachfachwissen über Sprachkompetenz spielt bei der Implementierung dieses Unterrichtskonzepts eine große Rolle. Deswegen kann man Begrifflichkeiten wie „Immersion“ oder „bilingualer Unterricht“ als schwierig bewerten, weil hier der Akzent auf der sprachlichen Dimension liegt (Badertscher / Bieri 2009), wohingegen „bilingualer Sachfachunterricht“ und „CLIL“ beide Perspektiven gleichwertig betonen und den Inhalt in die Bezeichnung mit aufnehmen (ebd.).
Wenn auch die Problemhaftigkeit des Begriffs „bilingualer Unterricht“ bewusst ist, so soll dieser dennoch in der vorliegenden Arbeit verwendet werden, da er sich bereits umgangssprachlich bei vielen Diskussionen zum bilingualen Sachfachunterricht eingebürgert hat. Bilingualer Unterricht wird hier ganz konkret verstanden als Sachfachunterricht in der Fremdsprache Englisch, wobei der Fokus weniger auf der Spracharbeit als vielmehr auf den Sachfachinhalten liegt.
Auch mit Blick auf die Realisierungsformen bilingualen Unterrichts lassen sich in Deutschland „große Unterschiede hinsichtlich Zielsetzung, Organisationsstruktur (Schülerschaft, Dauer und Intensität des Lehrgangs, Sprachenwahl und beteiligte Fächer)“ (Otten / Wildhage 2009, S. 13) feststellen. So findet man bilingualen Unterricht in festgefügten Strukturen („bilinguale Züge“, „bilinguale Bildungsgänge“), aber auch als flexible „bilinguale Angebote“ oder „Module“ (Christ n.d., S. 2). Einwöchige Projekte zählen genauso dazu wie durchgehender Unterricht in einem oder mehreren Schulfächern (Abuja 1999). Oft werden zusätzliche Unterrichtsstunden in der Fremdsprache erteilt, um auf den Sachfachunterricht in der Fremdsprache vorzubereiten (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2006, S. 11f.). Anschließend wird oft die Stundenzahl des Sachfachs erhöht, um Verständnis und Fachterminologie abzusichern (ebd.). Tabelle 1 zeigt, dass bilingualer Unterricht an allen Schularten in allen Bundesländern zu finden ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1 Bilingualer Unterricht an unterschiedlichen Schulformen (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2006, S. 14)3
Dennoch ist auffällig, dass wenige Hauptschulen bilingualen Unterricht anbieten. Dabei soll bilingualer Unterricht „kein Mittel allein der Eliteförderung darstell[en], sondern auf allen Schulstufen, in allen Schularten und in den verschiedensten Organisationsformen“ zu finden sein (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2006, S. 11).
„Die Sorge derjenigen, die Zweisprachigkeit in der schulischen Bildung nur […] für Kinder aus sozio-ökonomischen höheren Schichten und bildungsnahen Elternhäusern möglich hielten, erweist sich als unbegründet. Vielmehr kann gezeigt werden, dass die bilinguale Alphabetisierung und darauf aufbauende bildungssprachliche Unterrichtung dafür geeignet ist, die Benachteiligung von Kindern aus bildungsfernen Schichten mit niedrigem sozioökonomischem Status zu verhindern und ihren Bildungserfolg von Herkunftsmerkmalen unabhängiger zu machen.“ (Gogolin u.a. 2009)
Damit hat bilingualer Unterricht heute in allen Schulformen seine Legitimation und wird nicht mehr nur verstanden als Mittel zur Eliteförderung (vgl. Lohmann 2009). Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass auch Schülerinnen und Schüler mit weniger guten Noten vom bilingualen Unterricht profitieren (Kickler 1995).
Bilingualer Unterricht hat zudem Einzug in alle Fächer gehalten, wie Tabelle 2 zeigt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2 Bilinguale Fächer (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2006, S. 17)4
Verwunderlich ist hierbei jedoch, dass naturwissenschaftliche Fächer wie Mathematik, Chemie und Physik eher selten bilingual unterrichtet werden. „Der Zugang zu einkommensträchtigen Tätigkeiten, die als zukunftsorientiert gelten und mit einem entsprechend sozialen Prestige belegt sind, scheint doch eher über ökonomisches, technisches und naturwissenschaftliches Wissen eröffnet zu werden.“ (Breidbach 2000, S. 178). Am Beispiel von Mathematik als bilinguales Unterrichtsfach soll später noch gezeigt werden, dass ein einseitiger Fokus auf gesellschaftswissenschaftlichen Fächern ungerechtfertigt ist (siehe Kapitel 1.4. Mathematikunterricht bilingual).5
1.2. Gründe für bilingualen Unterricht
Schule, die ihre Schüler auf das Leben vorbereiten will, muss heute offen sein für Internationalisierung und Globalisierung. Sie muss Fähigkeiten vermitteln, „which allow students to stand their ground in international contexts“ (Dalton-Puffer 2007, S. 1). Das Konzept des bilingualen Unterrichts bietet dabei einen Lösungsansatz zu Gogolins Kritik Mehrsprachigkeit in deutschen Schulen ignoriert. Ziel des bilingualen Unterrichts ist das Erreichen eines hohen Niveaus an Fremdsprachenkenntnissen und die Förderung von Mehrsprachigkeit, die besonders vor dem Hintergrund der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Europa und der Welt immer bedeutsamer wird (Burmeister 2002, S. 51, Werner 2007). Dabei soll „mehr erreicht werden als bei einem herkömmlichen […] Fremdsprachenunterricht möglich ist“ (Neumann 2009, S. 322). Dass der traditionelle Fremdsprachenunterricht trotz frühzeitigem Beginn in der Grundschule wenig ausrichtet, zeigte zuletzt die Studie Deutsch Englisch Schülerleistungen International (DESI, vgl. auch Bach 2000, S. 13) (Abbildung 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf die Kompetenzniveaus in Englisch Hörverstehen zu Beginn und am Ende des neunten Schuljahres (Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung 2006, S. 13)
Beim Hörverstehen bleiben auch am Ende des neunten Schuljahres mehr als 60% aller Schüler unter oder auf Kompetenzniveau A6 und können damit auch nach langjährigem „Leitziel jeglichen schulischen Fremdsprachenunterrichts […] die Fähigkeit [ist], die fremde Sprache in kommunikativen Situationen verwenden zu können“ (Klippel 2000, S. 22).
An der Studie nahmen auch Schülerinnen und Schüler teil, welche mindestens seit der siebten Klasse bilinguale Programme besuchten (Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung 2006, S. 59). Dabei kam man zu einem erstaunlichen Ergebnis: „Prüft man die Unterschiede von Schülern in den bilingualen Programmen […], findet sich in allen Kompetenzen im Englischen ein substanzieller Vorsprung dieser Gruppe, der von 46 Punkten im Schreiben bis zu 74 Punkten im Hörverstehen reicht.“ (ebd.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 Mittlere Englisch-Kompetenzen zum Ende des neunten Schuljahres in Klassen mit bilingualem Unterricht (Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung 2006, S. 60)7
Die Klassen mit bilingualem Unterricht haben dabei in allen Bereichen einen erheblichen Vorsprung in der englischen Sprache (siehe Abbildung 2). Wenn man bedenkt, dass diese enormen Unterschiede nach nur drei Schuljahren bilingualen Unterrichts zu verzeichnen sind, so ist davon auszugehen, dass noch beträchtlichere Fortschritte erreicht werden können, wenn der bilinguale Unterricht eher in der schulischen Laufbahn einsetzt. Ein Beginn bilingualen Unterrichts in der Grundschule scheint deshalb sinnvoll, auch weil „hier bereits die Dispositionen für den Erwerb weiterer Fremdsprachen und für die Entfaltung
Detailverstehen sind sie in der Lage eine sehr begrenzte Anzahl von Informationen beim Hören zu verknüpfen, um Hauptaussagen zu verstehen.“ (Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung 2006, S. 12).
von Mehrsprachigkeit […] gelegt“ werden (Zydatiß 2000, S. 54). Beide Sprachen können altersgerecht weiter entwickelt werden (vgl. Neumann 2009) und stehen somit der Fachkompetenz der Schülerinnen und Schüler in höheren Klassen nicht im Weg, denn „it takes most individuals from five to seven years to acquire the second language well enough to function academically“ (Torres-Guzmán 2007, S. 51).
Aber auch auf politischer Ebene erweist sich ein früher Beginn des bilingualen Unterrichts als sinnvoll, fordert die Europäische Kommission doch, dass „every European citizen should have meaningful communicative competence in at least two other languages in addition to his or her mother tongue“ (Commission of the European Communities 2003, S. 4). Beginnt man in der Grundschule mit der ersten Fremdsprache, bleibt dann in der weiterführenden Schule Zeit für das erfolgreiche Erlernen einer zweiten (vgl. Wode u.a. 1999).
Ein weiterer positiver Effekt von bilingualem Unterricht ist die Steigerung der Motivation. Stebler und Maag Merki (2010) haben in diesem Zusammenhang bei einer Untersuchung von Gymnasialklassen in der Schweiz Interessantes herausgefunden: Bei einer Befragung zur Zufriedenheit mit der Art des Englischunterrichts von Schülerinnen und Schülern in der zehnten, elften und zwölften Klasse sowie ein Jahr nach Beendigung der Schule in Immersionsklassen sowie einsprachigen Klassen kamen starke Unterschiede zwischen beiden Klassenarten zutage. Demnach nahm die Zufriedenheit in den Immersionsklassen bis zur zwölften Klasse leicht zu, während sie in den einsprachigen Kontrollgruppen stark abfiel (Abbildung 3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 Zufriedenheit mit der Art des Englischerwerbs - Immersionsklassen und Kontrollklassen im Vergleich bei den Erhebungen 2005, 2007, 2008 (Antwortskala: 1 = "trifft gar nicht zu" bis 4 = "trifft genau zu") (Stebler / Maag Merki 2010, S. 51)
Es lässt sich vermuten, dass die Zufriedenheit stark mit der Motivation der Schülerinnen und Schüler zusammenhängt. Bilingualer Unterricht ist handlungsorientierter und führt zu mehr und länger anhaltender Motivation gegenüber dem monolingualen Unterricht (Theis 2006, S. 116). Der Lernkontext ist authentischer (ebd.). Damit wirkt der Unterricht auch für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler motivierend (Abuja 1999). Sprache ist ein Handlungsmittel, wie es „sonst nur im Rahmen von Besuchen im Zielsprachenland verstärkt auftritt“ (ebd.). Durch die doppelte Konzentration auf Sache und Sprache werden die Denkfähigkeiten herausgefordert, was wiederum zum Lernen der neuen Sprache anregt (vgl. Bentley 2009). „The use of a second language stimulates neurons in the brain, because every language has its own patterns of communication. Therefore, the brain gets trained in different ways and one’s horizon is widened, which has a mind- expanding effect” (Wilhelmer 2008, S. 96). Badertscher und Bieri (2009) verweisen auf verbesserte Verarbeitungstiefe als wesentliche Voraussetzung für effektiven Spracherwerb (S. 19) und meinen damit verstärkte mentale Verarbeitungsabläufe beim Umgang mit einem neuen Wort (ebd.). Auch Christ (n.d.) stellt fest, dass „der bilinguale Unterricht durch die doppelte Perspektive, das „zweimal Hinschauen“, Vertiefung gewinnt“ (S. 18, Herv. i. Orig.). Hörverstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben, die vier Sprachkompetenzen, die auch das Grundgerüst für den Fremdsprachenunterricht bilden (Tabelle 3), sind im bilingualen Unterricht in authentische und Sinn gebende Sprachaktivitäten integriert (Torres-Guzmán 2007, S. 53) und erfüllen eine wahrhaftige soziale Funktion (Dong 2007, S. 258).
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Tabelle 3 Die vier grundlegenden Sprachfähigkeiten (Baker 2011, S. 7)
Die Integration von Sprache und Inhalt führt folglich zu einem sinnvollen Grund für die Verwendung der Fremdsprache in echten Kommunikationssituationen (Wilhelmer 2008, S. 42, Kickler 1995, S. 15) und zu entsprechend größerer Motivation. Gleichzeitig steht aber der Inhalt im Vordergrund, wodurch Ängste abgebaut werden (ebd.). Es geht darum „[to] get the children talking“ (Suomela 1999, S. 90). Besorgnis, dass der Stoffumfang und die Erkenntnisqualität durch die Fremdsprache leiden (vgl. Vollmer 2007, S. 59), können deshalb als unbegründet angesehen werden (vgl. Lohmann 2009, S. 47). Tatsächlich wurde nachgewiesen, dass „bilingual unterrichtete Schüler schon nach sieben Monaten BIU [bilingualem Unterricht] einen deutlich umfangreicheren und differenzierten aktiven Wortschatz im mündlichen Gebrauch“ haben (Kickler 1995, S. 135f.). Dies beschränkt sich nicht nur auf die Fremdsprache, sondern „research shows that learners become more sensitive to vocabulary and ideas presented in their first language as well as in the target language and they gain more extensive and varied vocabulary“ (University of Cambridge 2000, S. 2, Herv. L.L.).
Die Verwendung authentischer Materialien führt zwangsläufig auch dazu, dass kulturelle Elemente anderer nationaler Kontexte in die Unterrichtsinhalte und -methoden eindringen (Neumann 2009). Dadurch werden die Schülerinnen und Schüler für interkulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten sensibilisiert (Wilhelmer 2008, S. 42). Interkulturelles Wissen wird aufgebaut und Fähigkeiten entwickelt (ebd.). Ziel ist die kognitive und emotionale Auseinandersetzung mit Differenz und Heterogenität (Neumann 2009). Ein Blick nach außen, aber auch die Außensicht auf das Eigene wird ermöglicht: „Die in den bilingualen Bildungsangeboten vermittelte kulturelle Vielfalt [lässt] Begegnungen mit anderen Nationen und Ländern als Bereicherung der eigenen Sicht- und Denkweise erleben und schärft so den Blick für Eigenheiten des persönlichen Kulturkreises.“ (Uzerli / Isberner 2002, S. 26, zit. in Wegner 2011, S. 171, vgl. Schubnel 2009). Die hierbei erworbene interkulturelle Kompetenz ist notwendig für das friedliche Zusammenleben der Völker (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2006, S. 11).
Die Fähigkeiten, welche im bilingualen Unterricht erworben werden, stellen zusätzliche Qualifikationen dar, die Berufsaussichten positiv beeinflussen können (Wilhelmer 2008, S. 15 99): „CLIL or bilingual education in general is highly beneficial for students, as it creates better job prospects and allows them to study in English speaking countries.“ (ebd., S. 105). Englisch ist im Zeitalter des Internets für den Zugang zu Informationen notwendig (Stebler / Maag Merki 2010), nicht nur auf Grund des Prestiges der englischen Sprache und der englischsprachigen Nationen sowie der Popularität der anglo-amerikanischen Kultur, sondern „access to English means access to valued forms of knowledge and access to affluent and prestigious social and vocational positions“ (Baker 2011, S. 85). Englisch dominiert viele Bereiche und Funktionen wie internationale Kommunikation, Naturwissenschaften, Technologie, Medizin, Computer, Forschung, Tourismus, Handel, Unterhaltung, Politik und viele andere mehr (ebd.). Englisch ist Lingua Franca, Verkehrs- und Fachsprache, in einer Welt, die immer kleiner wird. Nicht zuletzt ist die englische Sprache zum internationalen Austausch in den Naturwissenschaften notwendig (Wilhelmer 2008). Nordmeyer (2010) spricht von der englischen Sprache als „basic tool for academic literacy, cultural access, and economic opportunity“ (S. 5). Die Beherrschung des Englischen befähigt zur Kommunikation im europäischen Rahmen und darüber hinaus und erleichtert dadurch den Zugang zum europäischen Bildungs- und Arbeitsmarkt (Wegner 2011, S. 184). Sprachkompetenz im Englischen kann somit entscheidend für die berufliche Zukunft eines Individuums sein.
Dazu kommt, dass der Einsatz bilingualen Unterrichts kaum zusätzliche Zeit beansprucht, da er direkt im Sachfach stattfindet. So werden die Sachfachinhalte entwickelt, während gleichzeitig die Englischkenntnisse verbessert werden (vgl. Nordmeyer 2010) - „getting two for the price of one“ (Vollmer 2007).
Das Ziel des bilingualen Unterrichts ist, „den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten im jeweiligen Sachfach mit der Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit in einer Fremdsprache zu verknüpfen“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden- Württemberg 2006, S. 7). Gegenüber dem Fremdsprachenunterricht ist damit ein höherer Input in der Fremdsprache verbunden, der mehr Konversationsmöglichkeiten bietet. Es können öfter authentische Sachtexte eingesetzt werden, wodurch spezifisches Fachvokabular angeeignet werden kann, welches die Schülerinnen und Schüler auf Beruf und Studium vorbereitet. Des Weiteren bietet der bilinguale Unterricht die besondere Chance, kulturelle Kontexte von verschiedenen Blickwinkeln aus zu betrachten.
1.3. Didaktik und Methodik
Mit der Verknüpfung von Sachfach und Fremdsprache soll im bilingualen Unterricht vor allem Zweisprachigkeit erreicht werden. Um Inhalts- und Sprachlernen erfolgreich betreiben zu können, muss ein gezielter Aufbau fachsprachlicher Elemente erfolgen. Damit sollen die Schülerinnen und Schüler neben Basic Interpersonal Communicative Skills (BICS) wie grüßen, Einladungen aussprechen, sich entschuldigen und weiteren Fähigkeiten, die für gesellschaftliche und kommunikative Situationen benötigt werden, besonders Cognitive Academic Language Proficiency (CALP) erlangen, die sie zur Aneignung neuer Kenntnisse und Fähigkeiten sowie spezifischer Thinking Skills wie Analysieren, Fragen stellen, Begründen, Hypothesen bilden, Beschreiben, Schlussfolgerungen ziehen, Definieren und Vorhersagen befähigt und somit zur Verzahnung von Denken und Sprache führt (Dalton-Puffer 2007). Dieses von Cummins entwickelte Konzept wurde später auch als content-obligatory language (im Gegensatz zu content-compatible language) bezeichnet (Bentley 2009).
Lose (2007) hat die Verwendung fachbezogener Diskursfunktionen im bilingualen Unterricht untersucht und musste feststellen, dass nur wenige Varianten für den Ausdruck der jeweiligen Redeabsicht bei den untersuchten Diskursfunktionen gefunden wurden. Daraus lässt sich schließen, dass solche Strukturen (CALP) gezielt im bilingualen Unterricht vermittelt werden müssen (ebd.)
Wiederkehrende Kommunikationsbedürfnisse und -ziele führen zum Ausbilden von Mustern: „Der Aufbau des morphosyntaktischen Systems ist stark von der Quantität des Inputs abhängig. Erst wenn eine kritische Masse erreicht ist, können Regeln extrahiert werden“ (Valkema 2007, S. 151). Das Erkennen von Mustern auf lexikalischer, grammatischer und textueller Ebene und das damit verbundene Beherrschen von Routinen ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung kommunikativer Kompetenz8, nicht nur in der Fremdsprache (Dalton-Puffer 2007). Gemäß Krashens Input-Hypothese kann eine Sprache nur durch hohen Input gelernt werden (vgl. Hellekjaer 1999). Der Input sollte dabei ein wenig über dem aktuellen Kompetenzlevel der Schülerinnen und Schüler liegen (input+1) (Wilhelmer 2008). Entsprechend sollte der bilinguale Unterricht möglichst einsprachig gestaltet werden und die Lehrkraft den Einsatz der Muttersprache nur zur Klärung schwieriger Vokabeln und aus Zeitgründen planen (Otten 1999). Dennoch ist zu beachten, dass eines der Hauptziele des bilingualen Unterrichts Kompetenz in beiden Sprachen ist, so dass auch die Muttersprache im Sachbereich weiterentwickelt werden muss (Butzkamm 2000). Dies kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass Schülerinnen und Schüler den fremdsprachlichen Input in der Muttersprache erklären müssen und durch die Verwendung zweisprachiger Wort- und Phrasenlisten, die als Hilfestellung nachgereicht werden (ebd.).
Sprache kann unterschiedliche Funktionen im Lernprozess übernehmen: Sie kann sowohl Lerngegenstand sein sowie als Lern- und Arbeitssprache als auch als Unterrichtssprache und als Erschließungssprache dienen (Schlemminger 2008). Zusätzlich kann sie als Metakommunikationssprache bei der Verhandlung über Sprache und Kommunikation zum Einsatz kommen (ebd., vgl. Otten 1999). Je nach funktionaler Verwendung gilt es, über Verwendung von Fremd- oder Muttersprache zu entscheiden. Krechel (1999) betont, dass die Fremdsprache dabei nicht zum Gegenstand des Unterrichts gemacht, sondern lediglich als Vehikular- und Arbeitssprache angewandt werden sollte. Auch Schlemminger (2008) möchte formalsprachlichen Unterricht nicht als Teil des bilingualen Unterrichts sehen, hält es aber dennoch für notwendig, Sachfach- und Sprachorientierung gleichberechtigt zu berücksichtigen und „Sprachinseln“ im Sachfachunterricht zu schaffen, die sprachliche Konflikte thematisieren und somit zum Verständnis beitragen (vgl. Vollmer 2000). Für diese Vernetzung von fremdsprachlichem und sachfachlichem Unterricht hat Butzkamm (2000) die Methodik der Pendelstrategie beschrieben: „Das Pendel sollte […] so lange wie möglich auf der Seite der Informationsvermittlung und des sachorientierten Gedankenaustausches bleiben, um nur zu kurzen Übungseinschüben herüber- und gleich darauf wieder zurückzupendeln“ (ebd., S. 101). Dies muss nicht zwangsläufig mit einem Sprachwechsel verbunden sein (ebd., S. 100), denn „die Muttersprache darf ihr [der Fremdsprache] keine wertvolle Sprechzeit stehlen“ (ebd., S. 97).
Um die Entwicklung der Fremdsprache voran zu treiben, ist eine kindorientierte Interaktion förderlich (Zydatiß 2000). Dies ist „eine rhetorische Technik […], die die Momente des Einbringens eines neuen inhaltlichen Beitrags und des Reagierens auf Redebeiträge des Kindes in einer den Fortgang des Gesprächs fördernden Weise miteinander verbindet“ (ebd., S. 68). Das Verständnis der Fremdsprache kann unterstützt werden durch Paraphrasieren, Übersetzen eines unklaren Begriffs, Umschreiben in der Fremdsprache, Illustrationen (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden- Württemberg 2006). Eine wichtige Feststellung ist, dass die Unterstützung sich nicht nur auf mündliche Äußerungen konzentrieren darf: „They [teachers] must ensure that the listening can be active, in other words that pupils can make sense of what they are hearing and be given opportunities to participate, whether through speech or other activities“ (Gravelle 2000, S. 6). Auf Grund des starken Fokus der Schülerinnen und Schüler auf die Fremdsprache am Anfang des bilingualen Unterrichts, gehen diese durch eine Silent Period (Zydatiß 2000). Während dieser Phase findet ein Überprüfen von Hypothesen und Regeln auf die Systemhaftigkeit der Fremdsprache statt, welches der Sprachproduktion vorausgeht (ebd.). Gerade deshalb aber ist es wichtig, dass die Lehrkraft als Vorbild auftritt und die Quantität und Qualität des Inputs steuert (ebd., vgl. Torres-Guzmán 2007). „Die methodisch-didaktisch wichtigste Konsequenz für die Vermittlungsverfahren am Anfang eines Immersionsprogramms ist die Einsicht, dass das aktive Sprechen (gewissermaßen vom ersten Tag an) nicht „erzwungen“ werden kann“ (ebd., S. 64, Herv. i. Orig.). In den Unterricht müssen deshalb Aktivitäten integriert werden, die eine mündliche Produktion zum Nachweis von Verständnis nicht notwendig machen (z.B. TPR9 ) bzw. muss die Verwendung der Muttersprache erlaubt werden.
Um die Arbeitsatmosphäre für die Schülerinnen und Schüler so angenehm wie möglich zu gestalten und um eine mögliche Überforderung durch die Doppelbelastung von sachfachlichem Inhalt und Verwendung der Fremdsprache zu vermeiden, sollte der Einstieg in den bilingualen Unterricht behutsam gewählt werden. Hellekjaer (1999) schlägt dazu die Verwendung eines muttersprachlichen Buches parallel zur fremden Unterrichtssprache vor. Auch ist es empfehlenswert, die Durchführung der Planung von Lernwegen sowie die Evaluation der Arbeitsergebnisse und -prozesse zu weiten Teilen in der Muttersprache durchzuführen, um eine Überforderung zu vermeiden und Verständnis zu sichern (Krechel 1999). Anfangs sollte die Muttersprache toleriert werden, da die Schülerinnen und Schüler noch nicht über ausreichende sprachliche Mittel verfügen, um sich komplett in der Fremdsprache auszudrücken; später kann dann immer mehr die Kommunikation in der Fremdsprache eingefordert werden (Wode 2009). Vollmer (2000) hat in diesem Zusammenhang die Begriffe „negotiation of form“ und „negotiation of meaning“ geprägt. Grundlegend dabei ist die Erkenntnis, dass nur die Produktion von verstehbarem Output (comprehensible output) den Lerner dazu zwingt, von der semantischen Planung und Denkform auf die syntaktische Verarbeitungsebene überzugehen und diese(r) somit die Gelegenheit erhält, die Lücke zwischen vorhandenem Wissen und beabsichtigter Äußerung zu entdecken und selbstständig (mit oder ohne Hilfestellung) zu schließen. Negotiation of meaning findet dann statt, wenn der Lehrer bestimmte Maßnahmen einsetzt, unverständliche, falsche oder missverständliche Aussagen der Schülerin oder des Schülers überprüft und gegebenenfalls entsprechend wiederholt, präzisiert oder umwandelt (ebd.). Dieser gegenseitige inhaltliche Klärungsprozess kann durch explizites Rückfragen, die Aufforderung zur Wiederholung, eine Abwandlung des Gesagten und verbale sowie nonverbale Signale des Nichtverstehens durchgeführt werden (ebd.). Dabei sollte der Schülerin oder dem Schüler die Möglichkeit gegeben werden, diese Abänderung der ursprünglichen Aussage möglichst selbstständig durchzuführen, da dies besonders geeignet ist (self-repair statt other-repair) (ebd.). Wenn sich die Korrektur lediglich auf die Form beschränkt, so spricht man von negotiation of form (ebd.). Es ist darauf zu achten, dass hierbei keine Unterbrechung des Kommunikationsflusses erfolgt (ebd.). Die Lehrerin / der Lehrer steht grundsätzlich vor folgendem Dilemma: „Wenn Lehrer Fehler nicht korrigieren, reduzieren sie damit die Chancen von Lernern, den Zusammenhang zwischen Form und Funktion für sich herzustellen, wenn sie aber auf Fehler aufmerksam machen, riskieren sie eben doch eine Unterbrechung des Kommunikationsflusses.“ (ebd., S. 147f.). Lehrkräfte im bilingualen Unterricht sollten sich dieses Dilemmas bewusst sein und entsprechend feinfühlig korrigierend eingreifen.
Möller und Zaunbauer-Womelsdorf (2008) haben monolingual und bilingual unterrichtete Klassen in Grundschulen untersucht und kommen zu Ergebnissen, die darauf hindeuten, dass Konzepte und Wissen, welche in einer Sprache erlernt werden, auf eine andere Sprache übertragen werden können. Mutter- und Fremdsprache sind eng miteinander verknüpft (Wilhelmer 2008). Kompetenzen in der Muttersprache helfen auch bei der Entwicklung von Fremdsprachenkompetenzen (ebd.). Aus diesem Grund ist es wichtig, dass auch die Muttersprachkenntnisse der Lernenden im bilingualen Unterricht weiter gefördert werden: „If a child already understands the concepts of “justice” or “honesty” in her own language, all she has to do is acquire the label for these terms in English. She has a far more difficult task, however, if she has to acquire both the label and the concept in her second language.” (Shoebottom 2007, zit. in Wilhelmer 2008, S. 29, Herv. i. Orig.).
Des Weiteren sollten die Unterrichtsstunden einfach und klar strukturiert werden (Hellekjaer 1999). Der Stoff sollte sinnvoll reduziert und eingegrenzt werden (Krechel 1999, Vollmer 2007). Butzkamm (2000) bezeichnet dies als die „Kunst des breaking downs“ (S. 98). Es muss kleinschrittiger, anschaulicher und handlungsorientiert gearbeitet werden (Schlemminger 2008). Da die Schülerinnen und Schüler noch nicht über die sprachlichen Mittel verfügen, antworten sie durch das Ausführen einer Handlung (Schlemminger 2008). Es wird ein konstruktivistischer Ansatz verfolgt, bei welchem die Schülerinnen und Schüler die Prinzipien selbstständig entdecken (Dalton-Puffer 2007) und in die Struktur des bereits bestehenden Wissens einfügen können (Suomela 1999). Redundanz ist deswegen so wichtig, „da beim Lernen Neues immer nur auf der Basis des bereits Beherrschten erworben werden kann“ (Klippel 2000). Deswegen ist auf ein „ausgewogenes Verhältnis von Wiederaufgreifen bekannten Stoffes zu der Einführung neuer Lerninhalte zu achten“ (ebd.). Dabei sollte immer zuerst Bezug auf die Interessen und Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler genommen werden, bevor darüber hinaus die weitere Welt in Betracht gezogen wird (Torres-Guzmán 2007).
Ein so gestalteter Unterricht bietet auch zahlreichere Gelegenheiten, um die Fremdsprache in fachbezogenen Situationen einzusetzen, so etwa bei Diskussionen und Gruppenarbeit (Hellekjaer 1999, Wilhelmer 2008). Zusätzlich wird die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler gefördert und sie lernen, Verantwortung für ihren eigenen Spracherwerb zu übernehmen (Thürmann 2000).
Überhaupt ist eine Lerner-Lerner-Interaktion anzustreben, da die Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig darin unterstützen können, die Aufmerksamkeit auf die Form sprachlicher Äußerungen zu lenken (Vollmer 2000, S. 152f.). Weil immer wieder die Gefahr besteht, dass in diesen schülerorientierten Lernformen auf die Muttersprache zurückgegriffen wird, schlagen Romu und Sjöberg-Heino (1999) das Bereitstellen von Vokabular für die Diskussion10 sowie die Bestimmung eines „language encourager“ (S. 85) in jeder Gruppe vor, welche(r) die Gruppe immer wieder an den Gebrauch der englischen Sprache erinnert. Bentley (2009) hält auch das gegenseitige Feedback für sehr wichtig und lässt dazu die Schülerinnen und Schüler in Gruppen- und Partnerarbeit gegenseitig „Friend Feedback“ geben. Das somit ausgesprochene Lob unter den Schulkameraden wirkt sehr motivierend auf die individuellen Schülerinnen und Schüler (ebd.).
Problematisch ist, dass im bilingualen Unterricht immer wieder ein Rückfall auf lehrerzentrierten Unterricht beobachtet werden kann (Stebler / Maag Merki 2010). Die Lehrkräfte begründen dies mit einer besseren Steuerungsmöglichkeit von ihrer Seite und dem Bestreben, auf diese Weise den Anteil der Fremdsprache hoch halten zu können (ebd., S. 85f.). Auch Dalton-Pfeffer (2007) berichtet, dass die von ihr „beobachteten CLIL- Stunden keine Lernumgebung sind, die den Erwerb von spezifischen, zielsprachlichen, auf den Wissenserwerb gerichteten Fertigkeiten in besonderer Weise unterstützen
[...]
1 In einem Artikel mit dem Titel „How to Fix Our Math Education“, erschienen am 24.08.2011 in der New York Times.
2 Zu einer Unterscheidung der verschiedenen Immersionsformen siehe Freeman (2007).
3 Grundschule (GS), Hauptschule (HS), Realschule (RS) [einschließlich Oberschule (BB), Regionalschule (RP), Mittelschule (SN), Regelschule (TH)], Gesamtschule (GE), Gymnasium/Sekundarstufe I (GY / S I), Gymnasium/Sekundarstufe II (GY / S II), berufsbildende Schulen (BbS)
4 Ek - Erdkunde, Ge - Geschichte, Po / Sl / Wi / Gesell.-L. - Politik / Soziologie / Wirtschaft / Gesellschaftslehre, Ku - Kunst, Mu - Musik, Bio - Biologie, Ph - Physik, Che - Chemie, Ma - Mathematik, Spo - Sport, Rl - Religionslehre, Ern.-L. - Ernährungslehre, HW - Hauswirtschaft, Nat.-w. - Naturwissenschaft
5 Eine detailliertere und vertiefte Darstellung zum Stand des bilingualen Unterrichts in Deutschland sowie zu verschiedenen Arten findet sich bei Finkbeiner / Fehling (2002). Dies ist die aktuellste mir bekannte Darstellung dieser Art. am „monolingualen Habitus“ der Schule (2006, S. 41), welcher die tatsächliche
6 Für das Hörverstehen verwendet die DESI-Studie drei verschiedene Kompetenzniveaus A, B und C. A wird definiert als: „Die Schülerinnen und Schüler können konkrete Einzelinformationen aus Kontexten alltäglicher Kommunikation verstehen, wenn diese Informationen mehr oder weniger wörtlich im Text enthalten sind, deutlich gesprochen und in einfacher Sprache präsentiert werden. Neben diesem elementaren Fremdsprachenunterricht nur basale Hörverstehensleistungen erbringen, obwohl das Detailverstehen sind sie in der Lage eine sehr begrenzte Anzahl von Informationen beim Hören zu verknüpfen, um Hauptaussagen zu verstehen.“ (Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung 2006, S. 12).
7 Die Vergleichsgruppe ist hinsichtlich Deutsch Gesamtleistung, Bildungsgang, sozio-ökonomischem Status, kognitiven Grundfertigkeiten, Erstsprache und Geschlecht parallel (Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung, S. 60).
8 Unter kommunikativer Kompetenz versteht man die Fähigkeit, angemessen sprachlich und nichtsprachlich an den Interaktionen und am Diskurs im Unterricht teilzunehmen (Schlemminger 2008). Die vier Teilkompetenzen kommunikativer Kompetenz sind linguistische Kompetenz (grammatikalisch korrekte Bildung, Beugung und Reihung einer Nachricht), soziolinguistische Kompetenz (bezüglich auf die adressierte Person, die allgemeinen Umstände und den Zweck der Kommunikation ist die Aussage angemessen), Diskurskompetenz (die Auswahl, Anordnung und Abfolge von Wörtern und Strukturen ist klar und effektiv im Sinne der beabsichtigten Aussage) sowie strategische Kompetenz (Strategien, die zum Überbrücken eventueller Schwächen in den oben erwähnten Gebieten verwendet werden) (Freeman 2007).
9 TPR, Total Physical Response, ist eine Methode für den Fremdsprachenunterricht, welche für die Verarbeitung von fremdsprachlichen Impulsen keine eigene Sprachproduktion notwendig macht. Stattdessen reagieren Schülerinnen und Schüler auf Aufforderungen durch physische Bewegung. So kann die Lehrkraft die Lernenden beispielsweise zum Zeigen („Show me the…“), zum Ausführen einer Bewegung („Jump on one leg.“) oder Handlung („Open the door.“) auffordern (Klippel 2000).
10 Klippel (2000) stellt Beispiele zur Interaktion im Unterricht zur Verfügung.
- Citation du texte
- Luisa Liebold (Auteur), 2011, Modellierungsaufgaben im bilingualen Mathematikunterricht der Grundschule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200961
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