Die demographische Entwicklung in Deutschland impliziert Konsequenzen für die Systeme der sozialen Sicherung. Insbesondere die Gesetzliche Rentenversicherung ist in ihrer Funktionalität gefährdet. Ein Grund hierfür ist das double aging, also die statistische Alterung der Bevölkerung aufgrund längerer Lebenserwartung und niedriger Geburtenraten. Dieses Problem stellt sich in allen OECD-Ländern in ähnlicher Form dar. Daher befasst sich die vorliegende Arbeit mit dem schwedischen Modell der Alterssicherung, welches den Spagat zwischen sozialer Absicherung im Alter und finanzieller Stabilität zu lösen versucht. Das schwedische Modell der Alterssicherung ist contribution defined, das bedeutet, die Höhe des Rentenanspruches eines Versicherten hängt von dessen geleisteten Beiträgen ab. Weiterhin ist das System zweigeteilt: Der Hauptteil wird über das Umlageverfahren finanziert, ein kleinerer Teil ist kapitalgedeckt. Die Rentenhöhe ergibt sich im umlagefinanzierten Teil aus der Summe der eingezahlten Beiträge, wobei der reale Wert jeder Beitragszahlung über Anpassungsmechanismen erhalten bleibt. Im kapitalgedeckten System ergibt sich die Rentenhöhe aus dem Wert des Kapitalmarktportfolios, wobei dem Versicherten verschiedene Auszahlungsoptionen zur Verfügung stehen. Die Restlebenserwartung jeder Versichertenkohorte wird explizit in der Berechnung der individuellen Rentenhöhe berücksichtigt. Die Kommission zur Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme (Rürup-Kommission) stellt in ihrem Bericht verschiedene Kriterien auf, die ein Reformvorschlag für die deutsche GRV ihrer Meinung nach erfüllen muss. Das schwedische Rentensystem wird anhand dieser Kriterien untersucht, wobei ein Kriterium in seiner Sinnhaftigkeit hinterfragt wird. Die dazu durchgeführte, modellhafte Analyse stellt fest, dass das Kriterium unter den real gegebenen Bedingungen gelockert werden sollte, da dies zu Nutzensteigerungen bei den Versicherten führt. Die Arbeit kommt zu dem Ergebnis, dass nach den Kriterien der Rürup-Kommission die Reform der deutschen GRV nach Vorbild des schwedischen Modells durchaus möglich ist, für eine endgültige Empfehlung jedoch zu viele Fragen, vor allem bezüglich der Gerechtigkeit noch ungeklärt sind.
Inhalt
1. Einleitung
2. Klassifizierung von Rentensystemen
3. Die Ausgestaltung der staatlichen Alterssicherung in Schweden
3.1 Das „alte schwedische Modell“ der Alterssicherung
3.2 Das „neue schwedische Modell“ der Alterssicherung
3.2.1 Steuerfinanzierung der Umverteilungselemente
3.2.2 Das NDC-System
3.2.3 Das FDC-System
3.2.4 Berechung und Anpassung der Rentenhöhe
3.3 Sicherung der Finanzierbarkeit des neuen Systems
3.3.1 Der Automatic Balance Mechanism (ABM)
3.3.2 Der Puffer-Fonds
4. Anforderungen an Reformvorschläge in Deutschland: Die Kriterien der Rürup-Kommission
4.1 Äquivalenzprinzip und Einkommensersatzfunktion
4.2 Sozialer Ausgleich
4.3 Kapitalgedeckte Zusatzvorsorge
5. Fazit
Literatur
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Allgemeiner Rahmen zur Gestaltung von Rentensystemen.
Tabelle 2: Einordnung des alten schwedischen Rentensystems.
Tabelle 3: Einordnung des neuen schwedischen Rentensystems.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Der Zuschuss durch die Garantierente variiert mit der Höhe des Rentenanspruches.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
In den meisten OECD-Ländern sind die jeweiligen Alterssicherungssysteme den gleichen Herausforderungen ausgesetzt. Die steigende Lebenserwartung der Bevölkerungen und Geburtenraten unterhalb des bestandserhaltenden Niveaus von 2 Kindern pro Frau führen zu höheren Ausgaben der Rentenversicherungen bei geringeren Einnahmen pro durchschnittlichem Versicherten [vgl. Settergren 2001:339; Stecker 2005:168]. Die Zahl der Rentner wird daher in den kommenden Jahren stark ansteigen. Verstärkend kommt hinzu, dass da die so genannte Babyboom-Generation das Renteneintrittsalter erreicht [vgl. Schermann 2004:163]. Einen weiteren Problemkreis stellt die Veränderung der Arbeitswelt dar. Die „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“ (Stecker 2005:161), also die Zunahme versicherungsfreier oder niedrig bezahlter (Teilzeit-)Beschäftigungen sowie häufiger auftretende Zeiten der Erwerbsunterbrechung führen nicht nur zu einem Rückgang der Einnahmen[1], sondern wegen mangelnder Ansprüche auch zu einer ungenügenden Absicherung des Individuums im Alter [vgl. Stecker 2005:161, 168; Rürup-Kommission 2003:68].
Als Reaktion auf diese Herausforderungen wurde die Alterssicherung in Schweden seit 1994 in mehreren Stufen komplett reformiert [vgl. Palmer 2001:1]. Die durchgeführten Maßnahmen finden sich in ähnlicher Form in den Alterssicherungssystemen anderer Länder[2] wieder [vgl. Stecker 2005:189]. Aus diesem Grund untersucht die vorliegende Arbeit die Frage, ob das „neue schwedische Modell“ der Alterssicherung auch als Vorlage für eine Reform der deutschen Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) dienen kann.
Vor diesem Hintergrund werden zunächst in Kapitel 2 prinzipielle Möglichkeiten zur Ausgestaltung von Alterssicherungssystemen beschrieben. Kapitel 3 befasst sich mit der Ausgestaltung der Alterssicherung in Schweden und beschreibt das alte System sowie die seit 1994 eingeführten Änderungen. In Kapitel 4 wird geprüft, ob das neue schwedische System den normativen Anforderungen der Kommission zur Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme (Rürup-Kommission) an das deutsche Rentensystem zu vereinbaren ist. Kapitel 5 fasst schließlich die Erkenntnisse bezüglich der Fragestellung zusammen.
Ziel dieser Arbeit ist es nicht zu diskutieren, warum Reformen in Deutschland notwendig sind oder sein könnten. Weiterhin konzentriert sich diese Arbeit auf die erste Säule des Alterssicherungssystems. Die zweite und dritte Säule werden nur angeschnitten. Die Analyse distributiver Wirkungen und die Diskussion des umfangreichen Transitionsproblems müssen ebenfalls anderen Arbeiten überlassen bleiben.
2. Klassifizierung von Rentensystemen
Rentensysteme lassen sich anhand von zwei Merkmalen charakterisieren. Zum einen sind sie nach der Art der Finanzierung, also Umlage- (non-financial, pay-as-you-go, notional) oder Kapitaldeckungsverfahren (financial), differenzierbar. Bei Ersterem entsprechen sich Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherung betragsmäßig in jedem Jahr. Dieses Verfahren wird auch Generationenvertrag genannt. Bei Letzterem werden die Beitragszahlungen am Kapitalmarkt angelegt und bei Rentenbezug wieder abgerufen [vgl. Homburg 1988:5,18].
Zum anderen kann die Art des Zusammenhangs zwischen Beiträgen und Rentenhöhe variieren. Ein Defined Contribution (DC)-System macht die Rentenhöhe von den eingezahlten Beiträgen des Versicherten abhängig. In einem Defined Benefit (DB)-System spielen die Beiträge des Versicherten keine Rolle für die Höhe der ihm zustehenden Leistungen[3] [vgl. Góra/Palmer 2004:1; Settergren 2001:339ff]. Mit diesen Merkmalen lassen sich die in Tabelle 1 dargestellten vier verschiedenen Rentensysteme klassifizieren.
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Tabelle 1: Allgemeiner Rahmen zur Gestaltung von Rentensystemen.
Quelle: in Anlehnung an Góra/Palmer (2004).
In einem NDC-System erwirbt der Versicherte Leistungsansprüche durch Beitragszahlungen. Die Beiträge jedes Jahres werden für die Rentenzahlungen desselben Jahres verwendet. Je nach Ausgestaltung werden Beitragsüberschüsse in einen Rücklagenfonds eingezahlt, um trotz Schwankungen bei Einnahmen und Ausgaben den Beitragssatz stabil halten und die Rentenauszahlungen garantieren zu können [vgl. Settergren 2001:340]. In einem FDC-System werden die Beitragszahlungen in einen oder mehrere Kapitalmarktfonds angelegt. Die Rentenhöhe ist abhängig von der Höhe der Einzahlungen und der Wertentwicklung des oder der Fonds. In NDB-Systemen ist die Rentenhöhe eine politische Größe und unabhängig von den Beitragszahlungen. Die Einnahmen müssen so angepasst werden, dass sie die Ausgaben decken. Folgen der Entwicklungen von Demographie und Wirtschaft werden den Beitragszahlern angelastet. In FDB-Systemen erhalten die Rentner ihre Leistungen aus einem am Kapitalmarkt angelegten Rentenfonds. Die Höhe der Rente ist wie in NDB-Systemen unabhängig von den Beiträgen, die der Versicherte in den Fonds eingezahlt hat [vgl. Homburg 1988:26ff.].
3. Die Ausgestaltung der staatlichen Alterssicherung in Schweden
3.1 Das „alte schwedische Modell“ der Alterssicherung
Von 1960 bis 1994 bestand die staatliche schwedische Alterssicherung aus einem zweistufigen System. Die Basis bildete eine nominal einheitliche Grundrente (Folkpension), die jedem Einwohner des Landes im Rentenalter zustand. Dazu kam ein einkommensabhängiger Zuschlag (Almänna Tilldäggspension, ATP), der für die gesamte staatliche Rente eine Lohnersatzrate von 65% garantieren sollte. Damit dieses Rentenniveau nicht im Zeitverkauf sinkt, fand eine jährliche, an der Inflationsrate orientierte Rentenanpassung statt [vgl. Palmer 2000:19; Ståhlberg 1989:53; 2001:1; Stecker 2005:166]. Für den vollen Rentenanspruch mussten mindestens 30 Beitragsjahre erfüllt und das Renteneintrittsalter von 65 Jahren erreicht sein. Die Höhe der ATP errechnete sich nach der „Beste-15-aus-30“-Regel aus dem Durchschnitt der 15 höchsten Jahreseinkommen dieser 30 Beitragsjahre [vgl. Palmer 2000:1; 2001:1]. Um die Grundsicherung im Alter zu gewährleisten, gab es Zuschläge für Rentnerhaushalte, deren Rentenansprüche für ein existenzsicherndes Einkommen nicht ausreichten [vgl. Ståhlberg 1989:53]. Daraus folgt, dass die Leistungshöhe unabhängig von den insgesamt geleisteten Beiträgen des Versicherten war. Daher handelte es sich um ein DB-System.
Die Finanzierung erfolgte nach dem Umlageverfahren, wobei ein Puffer-Fonds mit finanziellen Reserven angelegt wurde, um Schwankungen von Einnahmen und Ausgaben ausgleichen zu können. Er hatte einen Wert von etwa 40% des Bruttoinlandsproduktes, was den Rentenzahlungen von fünf Jahren entspricht [vgl. Palmer 2000:30]. Trotz dieser Besonderheit ist das System als NDB-System zu klassifizieren [vgl. Settergren 2001:340]. Tabelle 2 veranschaulicht die Einordnung des Systems nach dem aus Kapitel 2 bekannten Schema.
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Tabelle 2: Einordnung des alten schwedischen Rentensystems.
Quelle: in Anlehnung an Settergren (2001) und Góra/Palmer (2004).
Zu den Nachteilen des alten Systems gehörte, dass es als DB-System nur sehr eingeschränkte Reaktionsmöglichkeiten auf die veränderten demographischen und ökonomischen Rahmenbedingungen bot. De facto konnte auf Veränderungen der Ausgabensituation nur mit Veränderungen des Beitragssatzes reagiert werden. Lange stellte dies kein Problem dar, da das System in einer Zeit hoher Erwerbstätigkeit und eines realen Wirtschaftswachstums von 4% pro Jahr eingeführt wurde [vgl. Palmer 2000:1; 2001:2]. Ende der 1980er Jahre war die Zahl der Erwerbstätigen jedoch stagnierend bis leicht rückläufig und das reale Wirtschaftswachstum lag bei 2%. Unter diesen Rahmenbedingungen war das System nicht mehr finanziell stabil [vgl. Palmer 2000:1:22; 2001:2].
Zudem führte die „Beste-15-aus-30“-Regel laut Palmer (2001:1f.) zu einer politisch unbeabsichtigten Redistribution von Arbeitern („ blue collar workers “) zu einfachen und besser verdienenden Angestellten („ white collar workers “). Dies rühre daher, dass die erstgenannte Gruppe häufig lange Zeiten der Erwerbstätigkeit – und damit der Beitragszahlung – bei nur geringen Lohnänderungen aufweise. Die letztgenannte Gruppe habe, oft bedingt durch lange akademische Ausbildungen, eine vergleichsweise kurze Einzahlungszeit mit höheren Einkommen. Sie erhielte also eine höhere ATP, obwohl sie in der Summe über alle Jahre keine höheren Beiträge einzahle. Ståhlberg bestätigt diesen Effekt zwar, beschreibt aber zudem einen gegenteiligen Effekt als Resultat ihrer empirischen Untersuchung [vgl. Ståhlberg 1989:52]. Durch den höheren Anteil von Versicherten mit erwerbsunfähigkeitsbedingtem frühem Renteneintritt unter den blue collar workers erhielten diese verhältnismäßig höhere Leistungen als white collar workers [vgl. Ståhlberg 1989:59]. Die entstandenen Umverteilungseffekte schienen also wenig kontrolliert, nicht nachvollziehbar und damit willkürlich zu sein.
3.2 Das „neue schwedische Modell“ der Alterssicherung
Ein Ziel der seit 1994 in mehreren Schritten umgesetzten Reform war es, eine angemessene, am durchschnittlichen Lebenserwerbseinkommen orientierte Alterssicherung für alle Einwohner Schwedens zu schaffen. Ein weiteres Ziel bestand darin, die finanzielle Stabilität des Systems auch in Zeiten stagnierender Wirtschaftsentwicklung zu sichern. Zudem sollten Umverteilungsmaßnahmen in der Rentenversicherung über das Steuersystem und nicht über Beiträge stattfinden[4] [vgl. Palmer 2000:2f.; 2001:1,5]. Die Reformen betrafen hauptsächlich die staatliche Alterssicherung. Daher existieren die betrieblichen Renten weitgehend unverändert. Es ließe sich lediglich ein Trend hin zu DC- statt DB-Verträgen ausmachen [vgl. MHSA 2002:34]. Zahlungen im Rahmen privater Altersvorsorge sind mit der Reform begrenzt steuerabzugsfähig geworden, was zu einem Anstieg in diesem Bereich führte [vgl. MHSA 2002:7]. Trotzdem machen betriebliche und private Altersvorsorge nach wie vor nur einen relativ kleinen Teil der Versorgung im Alter aus. Der Hauptteil der Renten stammt aus der staatlichen Rentenversicherung, auf deren Ausgestaltung sich dieses Kapitel konzentriert.
Das neue schwedische Rentensystem ist beitragsfinanziert. Der Beitragssatz von 18,5% des steuerpflichtigen Erwerbseinkommens und empfangener Sozialtransfers[5] setzt sich aus zwei Komponenten zusammen [vgl. Palmer 2001:1, Settergren 2001:342]. Der Beitragssatz zum umlagefinanzierten Teil der Rentenversicherung beträgt 16%. Der Beitragssatz zum kapitalgedeckten Teil beträgt 2,5%. Folglich ist das System zu 86,5% umlagefinanziert und 13,5% kapitalgedeckt [vgl. Palmer 2001:1]. Die Rentenhöhe ist von den Beitragszahlungen des Versicherten abhängig, weshalb es sich um ein DC-System handelt [vgl. Settergren 2001:339ff].
Das neue schwedische Rentensystem ist demnach, wie in Tabelle 3 dargestellt, als eine Mischung aus NDC und FDC zu klassifizieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3: Einordnung des neuen schwedischen Rentensystems.
Quelle: in Anlehnung an Settergren (2001) und Góra/Palmer (2004).
Die Beiträge werden zu 59,5% (11/18,5) vom Arbeitgeber und zu 40,5% (7,5/18,5) vom Arbeitnehmer bezahlt[6] [vgl. Schermann 2004:164; Stecker 2005:165]. Die Versicherungspflicht tritt gekoppelt an die Steuerpflicht mit einem jährlichen Einkommen von 9000 SEK (etwa 975 €[7] ) ein [vgl. Palmer 2001:6]. Die lohnindexierte Beitragsbemessungsgrenze lag 2001 (2003) bei 300.000 (330.000) SEK pro Jahr, das entspricht etwa 32.500 (35.750) € [vgl. Settergren 2001:342; Schermann 2004:163]. Die Beitragsbemessungsgrenze gilt nur für den Arbeitnehmer. Der Arbeitgeberanteil ist auf die gesamte Lohnhöhe zu entrichten. Dem Versicherten werden dabei nur die Beitragszahlungen gutgeschrieben, die bis zur Beitragsbemessungsgrenze entstehen. Der Restbetrag wird dem allgemeinen Staatshaushalt zugeführt [vgl. Palmer 2000:27].
3.2.1 Steuerfinanzierung der Umverteilungselemente
Gemäß der Zielsetzung der Rentenreform werden die Kosten für Umverteilungsmaßnahmen durch entsprechend hohe Steuerzuschüsse beglichen. Das wichtigste, weil finanziell umfangreichste Beispiel für diesen Fall stellen die Kinder-Gutschriften (childbirth credits) dar. Sie werden einem Elternteil für Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Kindererziehung für vier Jahre pro Kind, aber maximal für ein Kind pro Jahr gewährt. Eine Aufteilung der Zeiten zwischen den Eltern ist ebenfalls möglich. Die Höhe der Kinder-Gutschrift kann auf verschiedene Arten berechnet werden[8] und deckt die ausgefallenen Rentenansprüche der Eltern fast komplett ab. Weitere Beispiele sind Leistungsansprüche für Zeiten des Wehrdienstes und der Hochschulausbildung. In ihrer Höhe beziehen sie sich auf den Sold bzw. das staatliche Stipendium[9]. Sorgt ein anderes soziales Sicherungssystem für den Unterhalt des Versicherten, übernimmt dieses System den Arbeitgeberanteil der Rentenbeiträge. Bei Einkommensausfall durch Krankheit zahlt bspw. die Krankenversicherung, bei Arbeitslosigkeit das Arbeitsamt. Im Falle einer Erwerbsminderung werden die vollen Beiträge basierend auf der Höhe des letzten Einkommens durch die Erwerbsunfähigkeitsversicherung gezahlt [vgl. Palmer 2001:7f].
Da die Leistungen an die Beiträge gebunden sind, damit das Lebensarbeitseinkommen widerspiegeln [vgl. Palmer 2001:2], und folglich Versicherte mit einem niedrigen Einkommen auch eine niedrige Rente bekommen, wurde die Garantierente (guarantee benefit) eingeführt. Anspruchsvoraussetzung ist, dass der ständige Wohnsitz in den letzten 40 Jahren in Schweden lag[10], und der Versicherte mindestens 65 Jahre alt ist. Wie auch für die vorher genannten redistributiven Maßnahmen werden die entsprechenden Ausgaben der Rentenkasse aus Steuermitteln finanziert [vgl. Palmer 2000:20; 2001:13]. Die Garantierente variiert mit der Höhe der NDC-Ansprüche. Ein Versicherter, dessen Rente knapp unter der Anspruchsgrenze liegt, erhält einen niedrigeren Zuschuss als ein Versicherter, der bspw. gar keinen NDC-Anspruch hat. In der Summe hat der Erstere dennoch eine höhere Rente als der Letztere [vgl. Palmer 2000:20]. Abbildung 1 stellt den Verlauf des Garantierentenzuschlags für die 2002 gültigen Zahlenwerte dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Der Zuschuss durch die Garantierente variiert mit der Höhe des Rentenanspruches.
Quelle: in Anlehnung an MHSA (2002:31), Zahlenwerte aus 2002.
Die Garantierente soll keinen Anreiz zum frühen Renteneintritt geben. Personen, die wegen ihres frühen Renteneintritts eine niedrige Rente erhalten, können diese nicht über die Garantierente ausgleichen. Zur Berechnung der Garantierente werden in diesem Fall die Beitragszahlungen extrapoliert und die Höhe des Zuschlags auf Basis der geschätzten Rente bei Renteneintritt mit 65 Jahren ermittelt. Zur Vermeidung von Altersarmut gibt es zudem Wohngeld und (seit 2003) den so genannten maintenance support, der für über 65-Jährige die Sozialhilfe ersetzt [vgl. MHSA 2002:3f.].
[...]
[1] Und zwar unabhängig von der Art der Finanzierung: Bei beitragsfinanzierten Systemen bleiben die Beitragszahlungen aus, bei steuerfinanzierten Systemen macht sich der Effekt über die niedrigeren Lohnsteuereinnahmen bemerkbar [vgl. Stecker 2005:168].
[2] Laut Stecker (2005) gehören dazu Lettland, Polen und Italien.
[3] Settergren (2001) merkt an, dass die häufig gebrauchte Unterscheidung „DC = fester Beitragssatz, DB = variabler Beitragssatz“ nicht korrekt ist. In einem DC-System kann der Beitragssatz durchaus geändert werden. Jedoch ist die Beitragssatzerhöhung keine Lösung für finanzielle Probleme, da sich daraus implizit höhere Leistungsansprüche in der Zukunft bilden. Der fixe Beitragssatz ist also eine Folge des DC-Systems.
[4] Ausnahme: Es findet bewusst keine geschlechterspezifische Unterscheidung bei Beiträgen oder Leistungen statt. Palmer (2001:17) begründet dies damit, dass Frauen aus verschiedenen Gründen ein empirisch niedrigeres Lebensarbeitseinkommen haben und das System keine anderen Ausgleichsmechanismen vorsieht.
[5] Im weiteren Verlauf wird vereinfachend nur noch der Begriff „Einkommen“ verwendet.
[6] Im Gegensatz zu den zitierten Autoren behauptet Palmer (2000:3; 2001:7), die Finanzierung erfolge paritätisch.
[7] Für die Umrechnung wurde mit einem Wechselkurs von 1SEK = 0.1083 € gerechnet.
[8] Es wird automatisch die für den Versicherten vorteilhafteste Methode gewählt.
[9] In Schweden erhält jeder Studierende innerhalb der Regelstudienzeit unabhängig vom Vermögen seiner Eltern ein so genanntes Studiengeld in Höhe von 1725 SEK pro Woche. Das entspricht etwa 187 €. Es ist zu etwa 1/3 tilgungsfrei und zu etwa 2/3 ein Darlehen [vgl. Svenska institutet 2004:4; Rudvall/Stimpel 1998:15].
[10] Versicherte, die seit weniger als 40 Jahren in Schweden wohnen, müssen für jedes fehlende Jahr mit einem Abschlag von 1/40 rechnen.
- Citar trabajo
- Dr. Christopher Müller (Autor), 2005, Die Alterssicherung in Schweden als Reformmodell für Deutschland?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200930
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