„Lustbetont und Sinnenfroh“ lautet der Titel des vorliegendes Texes, der damit einige dezidierte Positionen der Postmodernen Sexualpädagogik thematisert. Ausgehend von der Lust- und Sinnenfeindschaft vieler menschlicher Kulturen wird nach der geographischen Verbreitung und der Praktik genitaler Beschneidungen von Mädchen und Knaben gefragt und die Resolution zur Beendigung der Genitalverstümmelung von Ashley MONTAGU erwähnt. Sodann wendet sich die Analyse entbehrungsreichen und gewalthaltigen Erziehungsprozeduren zu. Die Sozialisation von Kindern in matriarchalischen Gesellschaften wird mit der im Patriarchat verglichen. Der Begriff der Somatosensorischen Deprivation beschreibt den Entbehrungsreichtum moderner Sozialisationspraktiken. Im dritten Kapitel steht die Evolutionstheorie und die Kleinkind-Erziehung im Zentrum der Erörterungen. Der Homo Sapiens teilt mit dem Bonobo-Schimpansen 99,1 Prozent der Gene. Ein Vergleich zwischen Mensch und Tier untermauert das Kontinuum-Konzept und Prinzipien für eine Kleinkind-Erziehung zur Förderung von Glück, Sozialität und Friedfertigkeit. Grundlegende Gedanken zur Lustbetonung und Sinnenbejahung finden sich bei dem Philosophen Jaen-Jaques ROUSSEAU, dem Sexualwissenschaftler Wilhelm REICH und dem Pädagogen Alexander S. NEILL. Pädagogisch und sexualpädagogisch relevante Anregungen werden im Biophilie-Konzept Erich FROMMs, im Positiven Denkens Louise HAYs und in den Vorschlägen zur Etablierung der Sexuellen Menschenrechte gesucht.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Lust- und Sinnenfeindschaft
1.1 Geographie der Beschneidung
1.2 Mädchen-Beschneidung
1.3 Knaben-Beschneidung
1.4 Die MONTAGU Resolution
2. Entbehrungsreiche und gewalthaltige Erziehung
2.1 Kindheit im Matriarchat und Patriarchat
2.2 Gewalttätige Erziehung
2.3 Entbehrungsreiche Kindheit
2.4 Somatosensorische Deprivation
3. Evolution und Kleinkind-Erziehung
3.1 Evolutionstheorie und Bonobo
3.2 Das Kontinuum-Konzept von Jean LIEDLOFF
3.3 Wurzeln von Liebe, Glück und Frieden
4. Lustbetonung und Sinnenbejahung
4.1 ROUSSEAUs Naturphilosophie
4.2 Wilhelm REICHs Sexualwissenschaft
4.3 Alexander S. NEILLs Pädagogik
5. Positives Denken und Sexuelle Menschenrechte
5.1 Erich FROMMs Biophilie-Konzept
5.2 Louise HAYs Positives Denken
5.3 Sexualpädagogik und Sexuelle Menschenrechte
Nachwort
Literaturverzeichnis
Über den Autor
Alles ist gut,
wie es aus den Händen
des Schöpfers der Dinge
hervorgeht;
alles entartet
unter den Menschen.
Jean-Jacques ROUSSEAU
Einleitung
„Lustbetont und Sinnenfroh“ lautet der Titel des vorliegendes Texes, der damit einige dezidierte Positionen der Postmodernen Sexualpädagogik thematisert. Ausgehend von der Lust- und Sinnenfeindschaft vieler menschlicher Kulturen wird nach der geographischen Verbreitung und der Praktik genitaler Beschneidungen von Mädchen und Knaben gefragt und die Resolution zur Beendigung der Genitalverstümmelung von Ashley MONTAGU erwähnt. Sodann wendet sich die Analyse entbehrungsreichen und gewalthaltigen Erziehungsprozeduren zu. Die Sozialisation von Kindern in matriarchalischen Gesellschaften wird mit der im Patriarchat verglichen. Der Begriff der Somatosensorischen Deprivation beschreibt den Entbehrungsreichtum moderner Sozialisationspraktiken. Im dritten Kapitel steht die Evolutionstheorie und die Kleinkind-Erziehung im Zentrum der Erörterungen. Der Homo Sapiens teilt mit dem Bonobo-Schimpansen 99,1 Prozent der Gene. Ein Vergleich zwischen Mensch und Tier untermauert das Kontinuum-Konzept und Prinzipien für eine Kleinkind-Erziehung zur Förderung von Glück, Sozialität und Friedfertigkeit. Grundlegende Gedanken zur Lustbetonung und Sinnenbejahung finden sich bei dem Philosophen Jean-Jaques ROUSSEAU, dem Sexualwissenschaftler Wilhelm REICH und dem Pädagogen Alexander S. NEILL. Pädagogisch und sexualpädagogisch relevante Anregungen werden im Biophilie-Konzept Erich FROMMs, im Positiven Denkens Louise HAYs und in den Vorschlägen zur Etablierung der Sexuellen Menschenrechte gesucht.
1. Lust- und Sinnen-Feindschaft
1.1 Geographie der Beschneidung
James DeMEO hat auf dem Ersten Internationalen Symposium über Circumcision am 1.und 2. März 1989 in Anaheim, Kalifornien, U.S.A., ein Referat mit dem Titel „The Geography of Genital Mutilation“ gehalten. Der Text des Referates fasst wichtige Resultate vorangegangener Studien über geographische Aspekte menschlichen Verhaltens von Naturvölkern, die auf einem Subsistenz-Niveau leben, zusammen (Vgl. DeMEO 1986, 1988). Der Fokus seines Referates ist auf das Phänomen der männlichen genitalen Verstümmelung zentriert. Genitale Beschneidungen oder Verstümmelungen werden oft als „Kulturelle Praktiken“ klassifiziert, aber es gibt eine zunehmende Evidenz, dass diese edel klingenden Euphemismen lediglich dazu dienen, die schmerzvollen und verkrampfenden Effekte dieser Verstümmelungen auf Körper und Seele des Kindes zu verharmlosen und zu vertuschen.
Beschneidung und genitale Verstümmelung bereiten Keinkindern und Kindern ernsthafte Schmerzen und lösen Angsttraumata aus und sind oftmals sehr gefährlich für die Gesundheit. Es erheben sich wichtige Fragen, wieso diese Prozeduren ursprünglich entstanden sein mögen. Völker, die diese Praktiken nicht kennen, blicken stets voller Schrecken und Unverständnis auf Beschneidung und Verstümmelung, während Völker, die diese Operationen praktizieren, Schwierigkeiten haben, sich ein Leben ohne genitale Verstümmelung vorzustellen.
Oft wird das Vorhandensein oder Fehlen dieser sexuellen Riten als wichtige Erfordernisse für die Wahl eines heiratsfähigen Partners angesehen und außerordentlich kraftvolle Gefühle sind mit diesen genitalen Verstümmelungen verbunden. Außer den variationsreichen Theorien über die Funktion der Genitalbeschneidungen sind deren geografische Verbreitung selten diskutiert worden (Vgl. DEMEO 1986).
Die globale Verbreitung der männlichen und weiblichen Genitalverstümmelungen unter nativen, nicht-westlichen Völkern, zusammen mit historischen und archäologischen Daten, legt die Vermutung nahe, dass deren Entstehung in den Wüstenregionen Nordost Afrikas und im Nahen Osten lag mit einer anschließenden Weiterverbreitung in die an die Sahara Wüste angrenzenden Regionen, in Teile Ozeaniens und sogar in Teile der „Neuen Welt“. Die Praktiken der Genitalbeschneidung wurden von einer Region zur anderen übertragen, meist begleitet von militärischen Interventionen und militärischen Eroberungen von Kulturen, die ihre Kinder nicht verstümmeln. Oder die Prozeduren wurden freiwillig von den Eroberern übernommenin Zusammenhang mit anderen kulturelle Veränderungen antisexueller und kinderfeindlicher Art. Man darf nicht übersehen, dass diese genitalen Beschneidungen ursprünglich im vorehelichen, pubertären Lebensalter stattfanden, in einem Entwicklungsalter, in dem aus biologischen Gründen ein großes sexuelles Interesse und eine starke Leidenschaft erwachen.
DeMEO ( 1986) hat in anderen, groß angelegten wissenschaftlichen Studien dargelegt, dass die Verbreitung genitaler Verstümmelungen gleichzeitig mit der Ausbreitung patristische, kinderfeindlicher, frauenfeindlicher und antisexuellen Faktoren, wie zum Beispiel Schädeldeformationen im Kindesalter, festes Einwickeln der Kinder, Virginitätsgebot, Tabuisierung vaginalen Blutes, männlicher Domination in den Verwandtschaftsbeziehungen und im Erbrecht, und so weiter( Vgl. DeMEO 1986).
Incision, die geringfügigste der männlichen genitalen Beschneidungen, besteht aus entweder einem kleinen Einschnitt der Vorhaut, um eine Blutung zu erzeugen, oder aus einem umfassenden Einschnitt der Vorhaut, um die Eichel des Penis bloßzulegen.
Die Incision gibt es haputsächlich unter den Naturvölkern der Ost-Afrikanischen Küste, in einigen Inseln Asiens und Ozeaniens und unter wenigen Naturvölkern der Neuen Welt.
Bei der Circumcision, einer gravierenden Form der Verstümmelung, wird die Vorhaut des Penis abgeschnitten oder abgezogen, wurde und wird am meisten in der Alten Welt im Wüstengürtel und in einer Reihe von Völkern der Sub-Sahara, in Zentral-Asien und im Pazifik praktiziert. Insofern sie in der Pubertät durchgeführt wurde, war die Zirkumzision (Circumcision) meistens ein voreheliches Ritual des Schmerzen ertragens.
Die Circumcision gewann den Status einer hygienischen Operation erst in relativ neuester Zeit, obgleich die jüngsten und besten medizinischen Untersuchungsresultate tatsächlich ergeben haben, dass routinemäßige Circumcision weder kurz- noch langzeitige hygieneschen Vorteile hat. Tatsächlich zeitigt die Circumcision schwere negative psychologische und physiologische Folgen. Insbesondere in der Provinz, unter weniger sanitären Bedingungen, hat der beschnittene Junge oder das männliche Kleinkind ein größeres Gesundheitsrisiko als ein unbeschnittener Junge.
Die allerschlimmste Form der männlichen genialen Verstümmelung war eine Art der Hautabziehung, die entlang des Roten Meeres in Arabien und Yemen verbreitet war und bis ins 19. Jahrhundert stattfand.
Der Ethnographische Atlas von G. P. MURDOCK (1967) liefert die Daten für kulturvergleichende Studien. MURDOCKs Atlas enthält einige Daten über das Alter, in dem die Beschneidungen traditionsgemäß durchgeführt werden, anhand von 350 Naturvölkern, die über den ganzen Erdball verteilt sind. DeMEO hat Daten zusammengestellt, aus denen hervorgeht, dass Genitalverstümmelungen eine weite Verbreitung besitzen und ihr Zentrum in Nord-Ost-Afrika und Arabien haben. Weiterhin ergab sich, dass mit zunehmender Distanz von diesem Zentrum die Beschneidung an zunahmend älteren Jungen durchgeführt wurde (DeMEO 1986, S. 159). Je weiter man sich vom Osten Afrikas und vom Nahen Osten entfernt, desto älter sind die Jungen zur Zeit der Genitalverstümmelung. Weiterhin kommt die Operation seltener vor und verliert graduell an Grausamkeit, je weiter man sich vom Zentrum der Genitalbeschneidung entfernt. Die genitale Hautabziehung, die schwerste Form der Verstümmelung, fand sich um die Rote Meer Region zentriert. Die weniger einschneidende Form der Genitalverstümmelung, die Incision, findet sich in östlichen Regionen, wenn man den Pazifischen Ozean überquert. Genitale Verstümmelungen fehlten bei sämtlichen Naturvölkern Amerikas und des Östlichen Ozeaniens. Genau in jenen Regionen der Erde, in der es keine Beschneidungen gab, fanden sich unter den Eingeborenen die bekannten dekorativen „Penis Tops“, Penis-Futterale, aus denen ein Interesse und eine Beachtung der Genitalien ersichtlich wird, allerdings in einem dekorativen, schmückenden und lustvollen Sinn.
Es hat mehrere Phasen der Verbeitung der Verstümmelungsparktiken gegeben. Antike Ägyptische Reliefs bezeugen die Evidenz von männlicher Beschneidung, das als Pubertätsritual während der Epochen der frühen Dynastien ausgeführt wurden (PAIGE 1978; MONTAGU 1946). Jedoch ist es wahrscheinlich, dass die genitalen Verstümmelung bereits vor 2.300 Jahren vor Christus praktiziert wurde, als militante Nomaden das Niltal um 3.100 vor Christus eroberten. Diese Eroberer lebten in einer Ära mit Gott-Königen, mit Witwen-Ritualmorden, mit einer Milität- und Priester-Kaste, massiven Grabmalen und wertvollen Grabbeilagen, mit kolossaler Tempel-Architektur und anderen Merkmalen extrem patriachalischer, autoritärer Kultur ( DeMEO 1986, S. 218 – 294).
Gemäß biblischer Überlieferung institutionalisierten die Hebräer die männliche Vorhautbeschneidung nach dem Exodus aus Ägypten. Danach wurde die männliche Beschneidung ein besonderes Merkmal des Stammes der Hebräer. Die Genitalverstümmelung tauchte im Nahen Osten bereits vor den Eroberungen der moslemischen Armeen in Jahren um 600 nach Christi Geburt auf, wurde dann aber überall flächendeckend gefordert wo immer die moslemischen Armeen intervenierten. Weder männliche noch weibliche genitale Verstümmelungen werden vom Koran gefordert. Nichtsdestotrotz hielt Mohammed sie für wünschenswert und daher dominieren sie in moslemischen Regionen. Dennoch gibt es Regionen nicht-moslemischen Afrikas und Ozeaniens, in denen Genitalbeschneidungen vorkommen, die diese Praktiken wahrscheinlich aus vor-moslemischer antiker Zeit übernommen haben. Aus diesen frühesten Periode mögen auch die isolierten, seltenen Beispiele der Bescheidung in der Neuen Welt stammen (DeMEO 1986, S. 358-426).
Die männliche Genitalverstümmelung wurde niemals in Europa, im Europäischen Australien, in Kanada, Latein-Amerika, im Orient, bei Hindus, in Süd-Ost-Asien, oder bei den Ureinwohnern Amerikas praktiziert. Die Verbreitung der Circumcision im Kindesalter in den Vereinigten Statten von Amerika während der späten Jahre des 19. Jahrhunderts und in den frühen Jahrend es 20. Jahrhunderts ist ein sehr junges Phänomen. Die Circumcision gewann an Verbreitung in den USA, nachdem einige Ärzte vorherrschende sexuelle Ängste entfachten, indem sie die Genitalbeschneidung als Heilmethde für eine lange Liste von Kinderkrankheiten empfahlen. Diese Liste umfasste Kinderlähmung, Tuberkulose, Bettnässen, und besonders ein damals neuartiges Syndrom, das als masturbatorisches Leiden bezeichnet wurde. Die Verbeitung der Circumcision in den USA muss also auch als Methode im Kampf protestantischer Puritaner gegen die kindliche Selbstbefriedigung gesehen werden.
FREUD und andere Psychoanalytiker haben die Genitalverstümmelungen als Methode diskutiert, im Kind Kastrations-Angst zu erzeugen, um das Tabu gegen Inzestwünsche und Vatermord-Tendenzen in pathologischer Weise zu verstärken (Vgl. DeMEO 1986).
MONTAGU (1946) und BETTELHEIM (1962) diskutierten die Symbolhaltigkeit der „symbolischen Wunden“ in ihrer Beziehung zur männlichen Furcht vor dem vaginalen Blut, indem die menstruelle Blutung imitiert wird, z.B. durch Subincision, oder indem der Knabe rituell reingewaschen werden soll vom giftigen Geburtsblut, bei der kindlichen Circumcision, oder vom Deflorationsblut bei der puberalen Circumcision.
REICH (1967, 1973) identifizierte Genital-Verstümmelungen als eine der Vielzahl an brutalen und grausamen, gegen Säuglinge und Kinder gerichteten Handlungen mit verborgenen Motiven, die darauf abzielen, eine schmerzvolle, permanente Verkrampfung des körperlichen und emotionalen Selbst des Kindes zu bewirken. REICH sah den tatsächlichen Zweck von Beschneidung und anderen Angriffen auf die Sexualität des Kindes in der Reduktion des Flusses der Lebensenergie und des Energie-Niveaus des Kindes, um die Fähigkeit der Lusterfahrung im späteren Leben zu vermindern. REICH sah darin einen schwerwiegenden Eingriff, um den Homo Sapiens in einen Homo Normalis zu mutieren. REICH argumentierte, dass Eltern und Doktoren blindlings die Genitalverstümmelung verteidigen oder ausführen, und andere schmerzerzeugende schamanistische medizinische Prozeduren befürworten, entsprechend ihren eigenen emotionalen Charakter-Panzerungen und eigenen Ängsten vor Lusterfahrung, um die Kinder so wie sie selber zu formen: gehorsam, unterwürfig, mit vermindertem sexuellen Begehren und unterdrückter emotionaler Vitalität.
Diese Ideen, so befremdlich sie zunächst erscheinen mögen, finden Unterstützung in kulturvergleichenden Studien über Kulturen, die die Geschlechtsteile ihrer männlichen Kinder und Jugendlichen verstümmeln. TEXTORs ( 1967 ) kulturvergleichende Untersuchung zeigt positive Korrelationen zwischen männlicher Genitalbeschneidung und den folgenden anderen kluturellen Charakteristika (Vgl. PRESCOTT 1975; vgl. DEMEO 1986):
Hoher Narzissmus
Existenz von Sklaverei und Kasten
Schichtung und hohes soziale Klassensystem
Land-Erbfolge in männlicher Linie
Patrilineare familiale Abstammungslinie
Existenz eines Bautpreises
Familienautorität liegt beim Vater
Existenz von Polygamie des Mannes
Residenz nach der Hochzeit bei der Familie des Ehemannes
Existenz schmerzhafter weiblicher Initiationsriten
Hohe Segregation der männlichen und weiblichen Jugendlichen
Hohes Angst-Potential
Geringes durchschnittliches Befriedigungspotential
Niedriges Aufmerksamkeitsverhalten auf die Bedürfnisse des Kindes
Existenz eines mächtigen Gottes, der aktiv die menschlichen Moralsitten kontrolliert
Die zu Grunde liegende Psychologie der Genitalverstümmelungen ist Angst vor sexueller Lust, hauptsächlich vor dem heterosexuellen Geschlechtsverkehr, verbunden mit dem strikten Jungfräulichkeitsgebot und rituellen Vorschriften gegen das menstruelle vaginale Blut. Letztendlich sagen diese Genitalbeschneidungen mehr über die vorherrschenden Einstellungen hinsichtlich sexueller Lust und geschlechtlichen Freuden aus als alles andere.
Der Gebrauch von Eunuchen ist in den letzten 100 Jahren mit der Abschaffung des Harem-Systems ausgestorben. Aber weibliche Infibulation und andere Formen weiblicher genitaler Verstümmelungen bestehen weiterhin zusammen mit dem System der arrangierter Ehen, mit Kinderehen und einem hysterischen Virginitäts-Tabu.
Die Genitalverstümmelung männlicher und weiblicher Kinder und Jugendlicher sind die hauptsächlichen Beispiele kultureller Sitten und Gebräuche, die aus tiefenpsychologischer Sicht ihre Wurzeln in schweren Lust-Ängsten mit sadistischen Komponenten haben. Da die Eltern oder die Ältesten des Naturvolkes, die die Genitalien kleiner Kinder und Jugendlicher abschneiden, diesem grausamen Ritual im Kindes- und Jugendalter selber unterworfen waren, werden sie ärgerlich, wenn sie mit Kindern oder Jugendlichen konfrontiert werden, deren Geschlechtsteile noch nicht verstümmelt sind.
Diese Unfähigkeit, lustvolle Gefühle bei anderen zu tolerieren, wurde für den Homo Sapiens zuerst von Wilhelm REICH als Lust-Angst identifiziert. REICH erkannte auch die Rolle der sozialen Institutionen bei der Erzeugung von Traumata und Charakterdeformationen in jeder neuen Generation.
PRESCOTT (1975) hat viele dieser Zusammenhänge in einer kulturvergleichenden Studie belegt. Die hier zu Grunde gelegten Materialien bestätigen die geografische Verbreitung der Genitalverstümmelung und ermöglicht die Identifikation von Wurzeln in spezifischen Regionen der Erde. Das Gefühl der Notwendigkeit von Geschlechtsverstümmelungen an Kindern stammt aus tief verwurzelten kulturellen Befürchtungen hinsichtlich sexueller Lust, von Liebesfreuden und sexuellen Glücks.
Genitalverstümmelung existiert immer zusammen mit einem ganzen Komplex anderer sozialer Institutionen, die die Ausübung erwachsenen Sadismus und destruktiver Aggression gegenüber Kindern und Kleinkindern erlaubt und legitimiert. Die unbewusste Motivation zielt auf die Zerstörung oder Vernichtung der Fähigkeit zu lustvollen emotionalen Bindungen zwischen Müttern und Babies und liebevollen sexuellen Bindungen zwischen männlichen und weiblichen Jugendlichen. Bei einem Fehlen dieser unbewussten tieferen Motivationen würde die Verstümmelung kindlicher oder jugendlicher Genitalien nicht erwünscht sein und von Eltern und Kinderärzten nicht gestattet werden.
1.2 Mädchen-Beschneidung
HOSKEN (1989) prangert seit Jahrzehnten die weibliche Genitalverstümmelung an, die weiterhin in weiten Teilen Afrikas vom Roten Meer bis den Küsten des Atlantiks praktiziert wird. Nach konservativen Schätzungen sind auf dem afrikanischen Kontinent gegenwärtig mindestens 84 Millionen Frauen und Mädchen verstümmelt, und gleiche Operationen werden entlang des Persischen Golfs und auf dem südlichen Teil der Arabischen Halbinsel praktiziert. In Indonesien und Malaysia werden weniger drastische Formen der weiblichen Beschneidung von einigen moslemischen Bevölkerungsgruppen dieser Region praktiziert.
Mit der zunehmenden Mobilität von Immigranten aus Afrika und dem Mittleren Osten nach Europa , in die USA und auch nach Australien, werden diese Verstümmelungen über die ganze Welt verbreitet. Tatsächlich hat Groß-Britannien jüngst spezielle Gesetze erlassen, um diese Operationen zu verbieten, die von willigen Ärzten gegen hohe Gebühren durchgeführt wurden. In Frankreich hat die Strafverfolgungsbehörde Anklage gegen Afrikanische Väter und Familien aufgenommen, nachdem drei kleine Mädchen als Resultat dieser in Frankreich ausgeführten Operationen starben. Einer der vor Gericht gebrachten Väter hatte seine Tochter im Babyalter mit einem Taschenmesser operiert – das Kind verblutete.
Die medizinische Literatur beschreibt „circumcision“ oder „sunna ciscumcision“ als die Entfernung der Klitoris-Vorhaut und der Kitzler-Eichel. „Sunna“ bedeutet im Arabischen „Tradition“. Aber, um die Vorhaut der Clitoris zu entfernen, was eine sehr delikate Operation ist, besonders, wenn sie an einem Kind ausgeführt wird, würde große Operationserfahrung, gute Beleuchtung, sterile Operationsinstrumente, einen betäubten, bewegungslosen Körper, ganz zu schweigen von gründlichen Kenntnissen der Anatomie erfordern. Keine dieser Bedingungen existiert, wo diese Operationen in Afrika und im Mittleren Osten an einem zappelnden, schreienden Kind durchgeführt werden, das mit Gewalt in dunklen Hütten am Boden festgehalten wird, mit groben Messern oder irgendwelchen Schneidewerkzeugen. Was in der Realität getan wird, das ist das Abschneiden von allem, was der Operateur zu fassen bekommt, einen Teil oder alles des Kitzlers und oft Teile der kleinen Schamlippen.
Excision oder Clitoridectomy, die am häufigsten in Afrika durchgeführten Operationen, besteht in der Entfernung der gesamten Clitoris, üblicherweise zusammen mit den angewachsenen Teilen der inneren Schamlippen (labia minora) und manchmal der gesamten inneren Schamlippen, ausgenommen die äußeren Schamlippen (labia majora). Einige Operateure machen zusätzliche Einschnitte, um die Öffnung der Vagina zu vergrößern, da man glaubt, dass dadurch später die Geburten erleichtert werden würden. Aber das Gegenteil ist wahr.
Infibulation oder Pharaonische Beschneidung, das heißt Excision mit Infibulation, bedeutet, dass der gesamte Kitzler und die kleinen Schamlippen abgeschnitten und die beiden inneren Seiten der großen Schamlippen teilweise abgeschnitten oder aufgekratzt und dann zusammengenähnt werden, oft mit Katzendarm. Im Sudan und in Somalia werden Dornen benutzt, um die blutenden Seiten der Vulva zusammen zu halten, oder eine Paste aus Gummi Arabicum, Zucker und Eiern wird dazu benutzt. Der Introitus oder Eingang der Vagina wird verschlossen, was der Zweck der Operation ist, ausgenommen einer winzigen Oeffnung, um das Urinieren zu ermöglichen und um später das menstruelle Blut austreten zu lassen. Die Beine des Mädchens werden unverzüglich nach der Operation zusammen gebunden, und es wird für einige Wochen immobilisiert, bis die Wunde der Vulva sich geschlossen hat, ausgenommen die kleine Oeffnung, die durch die Einführung eines Splitters aus Holz oder Bambus erreicht wird.
Die Todesrate von Mädchen und Frauen durch diese Operationen ist zweifellos hoch; aber es werden nirgendwo Berichte gesammelt. Todesfälle werden nicht berichtet und Todesfälle während der Geburt, die auf Infibulation zurückzuführen sind, werden nirgends mit den genitalen Operationen in Verbindung gebracht. Und die schrecklichen lebenslangen psychologischen Traumata sind niemals aus der Sicht der Frauen untersucht worden.
Der Grund der Infibulation ist es, Geschlechtsverkehr unmöglich zu machen. Gegenwärtig wird die Infibulation meistens von Moslems praktiziert, entsprechend allen verfügbaren Quellen, wegen der Wichtigkeit und wegen des Wertes, dem sie der Jungfräulichkeit beimessen. Infibulation wird ausgeführt, um zu garantieren, dass die Braut jungfräulich intakt ist – je kleiner ihre genitale Oeffnung, desto höher der Brautpreis. Ein Mädchen wird oft von den weiblichen Verwandten des zukünftigen Ehemannes untersucht, bevor der Brautpreis gezahlt wird. Der Brautpreis, bei dem der Ehemann oder sein Vater dem Vater des Mädchens eine angemessene Summe zahlt, ist immer noch eine Hochzeitserfordernis fast überall in Afrika und dem Mittleren Osten.
Infibulierte Frauen müssen aufgeschnitten werden, um Geschlechtsverkehr zu ermöglichen, und zusätzliche Schnitte sind nötig, um die Geburt eines Kindes zu ermöglichen. Frauen werden der Tradition entsprechend nach der Geburt erneut infibuliert, zum Beispiel im Sudan. Und wenn das Kind abgestillt worden ist, werden sie für den Geschlechtsverkehr erneut aufgeschnitten. Während ihrer fruchtbaren Lebenszeit durchsteht eine Frau diesen Prozess mit jedem Kind. In West-Afrika wird die Infibulation normalerweise nicht durch Zusammennähen oder Zusammenheften berwerkstelligt, sondern durch enges Zusammenbinden der Beine des Mädchens nach der Operation wird das gleiche Resultat erreicht.
Anläßlich eines Besuches in Ouadagougou, Burkina Faso, im Jahre 1977 war HOSKEN in einem Hospital für werdende Mütter und wurde dort Zeugin einer Frau mit Geburtswehen, die ihr erstes Kind nicht gebären konnte, weil sie völlig infibuliert war. Von ihren äußeren Genitalien war nichts übrig geblieben und die Wunde war sehr fest verheilt. Offensichtlich hatte sie durch eine winzige Öffnung empfangen.
Alle diese Operationen werden auf dem Boden ausgeführt, unter unsterilen Bedingungen, mit dem selben Messer oder Werkzeug für alle Mädchen einer Gruppen-Operation, was noch immer der Brauch unter vielen ethnischen Gruppen in ländlichen Gebieten ist.
Im Falle von Komplikationen und Todesfällen wird weder die Operateurin noch die Operation jemals beschuldigt. Vielmehr nimmt man an, dass ein böser Geist verantwortlich ist. Oder das Ritual wurde nicht entsprechend den Wünschen der Vorfahren ausgeführt. Oder das Mädchen selber ist Schuld, weil sie vor der Operation bereits Sex hatte.
Die Infibulation oder die Pharaoische Beschneidung wird im Sudan praktiziert, ebenso in Regionen Somalias, in Teilen Äthiopiens, im Süden Ägyptens und im Norden Kenias und in einigen Gebieten Westafrikas, zum Beispiel in Mali. Die Infibulation oder Pharaoische Beschneidung ist die brutalste Operation. Sie wird „Pharaoisch“ genannt, weil sie historischen Dokumenten zufolge bereits aus dem Antiken Ägypten berichtet wird, mehr als vor 2000 Jahren noch zu Pharaoischen Zeiten. Der Begriff Infibulation stammt von fibula, was auf Lateinisch Klammer oder Nadel heißt und auf das Antike Römische Reich zurückgeht. Eine fibula wurde zum Zusammenhalten der Falten der Toga gebraucht – der losen Bekleidung, die die Römischen Männer trugen. Die Römer nähten auch die großen Schamlippen der Sklavenmädchen zusammen, um einer Schwangerschaft vorzubeugen, die die Arbeitsleistung beeinträchtigen würde.
Hier ist die Beschreibung eines Augenzeugen über eine Operation in Somalia:
„ Bei den Somalis wird die Beschneidung der Mädchen zu Hause zwischen Verwandten und Nachbarn durchgeführt. Die Großmutter oder eine ältere Frau führt die Ausschneidung durch. Es wird üblicherweise nur ein Mädchen zur Zeit oder es werden zur gleichen Zeit zwei Schwestern operiert. Aber alle Mädchen, ohne Ausnahme, müssen dieser Verstümmelung unterzogen werden als Voraussetzung zur Heirat. Die Operation selbst wird nicht von irgendwelchen Zeremonien oder Ritualen begleitet. Das völlig nackte Kind wird auf einen niedrigen Stuhl gesetzt. Einige Frauen halten das Mädchen fest und spreizen ihre Beine weit auseinander. Nachdem die äußeren und inneren Schamlippen auseinander gezogen worden sind, setzt sich die Operateurin, die üblicher Weise eine in dieser Prozedur erfahrene Frau ist, vor das Kind. Zuerst sticht die Operateurin mit einem Küchenmesser in die Vorhaut des Kitzlers und schlitzt sie auf. Dann beginnt sie, den Kitzler heraus zu schneiden. Während eine andere Frau das Blut mit einem Lappen abwischt, gräbt die Operateurin mit ihrem scharfen Fingernagel ein Loch unter den Schwellkörper des Kitzlers, um ihn zu fassen und das Organ heraus zu ziehen. Das kleine Mädchen, das von den anderen Frauen festgehalten wird, schreit in extremem Schmerz. Aber keine der Frauen schenkt dem Kind nur die geringste Beachtung. Die Operateurin beendet ihren Job, indem sie die Klitoris vollständig herauszieht und sie mit ihrem Messer am Knochen abschneidet. Die Helferinnen wischen wieder das spritzende Blut mit einem Lappen ab. Die operierende Frau schneidet dann das übrig gebliebene Fleisch ab und gräbt mit ihrem Finger in der blutenden Wunde, um alle Überreste der Klitoris zu beseitigen. Die Frauen der Nachbarschaft werden dann eingeladen, ihre Finger in die blutige Wunde zu stecken, um sich zu vergewissern, dass auch jedes Stückchen der Klitoris abgeschnitten worden ist. Aber das ist noch nicht das Ende. Nach einer kurzen Pause ergreift die Frau das Messer erneut und schneidet die inneren Schamlippen des Opfers ab. Danach schneidet sie mit Messerschnitten die Innenseiten der großen Schamlippen ein und zieht die Haut ab. Nachdem das Abziehen der Haut erfolgte, schließt die Operateurin die blutenden großen Schamlippen und befestigt sie aneinander mit großen Akazien-Dornen.
In diesem Stadium der Operation ist das Kind schon so erschöpft, dass es zu weinen aufhört, aber oft Krämpfe bekommt. Eine Frau steckt dem Mädchen dann gewaltsam eine Pflanzenmischung in die Kehle.
Die Hauptsorge der Chefoperateurin ist es, eine Öffnung zu lassen, die nicht größer als ein Körnchen ist, gerade noch groß genug, um Urin und später das Menstruationsblut ausfließen zu lassen. Die Ehre der Familie hängt davon ab, die Öffnung so klein wie möglich zu machen, weil bei den Somalis die Sitte herrscht, je kleiner die künstliche Öffnung ist, desto größer ist der Wert des Mädchens und desto höher ist der Brautpreis.
Die meisten Afrikaner, die diese Operatinen praktizieren, glauben, dass die Ausschneidung des Kitzlers ein Brauch ist, der von den Vorfahren vorgeschrieben wird. Die allermeisten afrikanischen Männer weigern sich, unbeschnittene Mädchen zu heiraten. Da die Heirat immer noch die einzige Karrieremöglichkeit in Afrika und im Mittleren Osten ist, werden diese Operationen weiterhin durchgeführt. „Kein echter Kikuyu würde auch nur im Traum daran denken, ein Mädchen zu heiraten, dass nicht beschnitten ist“ stellte Jomo KENYATTA, der Präsident von Kenia in seinem Buch „Facing Mount Kenya“ fest, das in den 30er Jahren geschrieben worden ist und immer noch in Touristenshops in Nairobi verkauft wird. Als Kenias Präsident auf Lebenszeit hatte KENYATTA großen Einfluss auf Afrikaner auch über die Grenzen Kenias hinaus. HOSKEN wirft KENYATTA vor, durch seine Ansichten mitschuldig zu sein an der genitalen Verstümmelung vieler tausend hilfloser kleiner Mädchen mit unermesslichem Leid, Komplikationen und Todesfällen.
Der deutsche Prof. Dr. Ernest BORNEMAN begegnete KENYATTA während seiner Studienzeit bei Geza ROHEIM in Groß Britannien vor und während des Zweiten Weltkrieges. BORNEMAN berichtet, dass KENYATTA den Versuch unternahm, die Klitoris-Beschneidung in Kenia zu verbieten, jedoch angesichts bewaffneter Aufstände der Stämme der Kikuyu und Massai zur Verteidigung dieser grausamen kulturellen Tradition, seine Reformbemühungen aufgeben musste (Persönliche Mitteilung Prof. BORNEMANNs an den Autor des vorliegenden Textes).
Der Nachfolger KENYATTAs, Präsident Arap MOI, setzte ein kategorisches Verbot der weiblichen Genitalbeschneidung im Jahre 1982 durch. Er alarmiert auch das Gesundheitswesen, dass keine derartige Operationen in Krankenhäusern durchgeführt werden dürften, was beweist, dass das Kenianische Gesundheitswesen in die Verstümmelungen verwickelt waren. Unglücklicher Weise gab es keine weiteren Erlasse, Ausbildungen oder Erziehungsprogramme für die Bevölkerung gegen die Genitalverstümmelungen. Als ein Resultat sind diese Praktiken nun in den Untergrund gegangen.
Die Exzision, das Herausschneiden der empfindlichsten Nervenenden des Körpers einer Frau, löscht sexuelle Sensibilität, Lust und Berührungsempfindlichkeit aus. Die Beseitigung der weiblichen sexuellen Lust ist der am häufigsten genannte Grund für die genitale Verstümmelung. Dadurch soll das moralische Verhalten der Frauen in der Gesellschaft und die Treue der Frau ihrem Ehemann gegenüber erreicht werden, der selbst keineswegs treu ist, sondern üblicherweise mehrere Ehefrauen hat.
Frauen, deren Geschlechtsteile nicht verstümmelt worden sind, werden als Prostituierte angesehen. Eine weit verbreitete Ansicht ist, zum Beispiel in Mali und Burkino Faso, dass die Klitoris Männlichkeit und die Vorhaut des Penis Weiblichkeit bedeute. Daher müssen beide entfernt werden, bevor eine Person als erwachsen in ihrer und seiner Sexualität und in der Gesellschaft akzeptiert werden kann. Man glaubt auch, dass ein unbeschnittenes Mädchen sexuell verwahrlosen und der Familie Schande bereiten würde. In Ägypten und anderen Regionen Afrikas wird gesagt, dass die äußeren Genitalien der Frau hässlich seien und deshalb entfernt werden müssen, um sie schön und akzeptabel für den Mann zu machen.
Die Katholische Kirche hat die Genitalverstümmelung aller weiblichen Kinder seit dem 17. Jahrhundert, in dem der Papst eine medizinische Mission nach Äthiopien sandte, gebilligt und abgesegnet.
Oft werden Gesundheitsgründe zitiert, besonders in städtischen Gebieten, in denen die traditionellen Mythen vergessen worden sind. Sauberkeit ist die Begründung der Frauen der Mittelschichten in Regionen wie Kairo und Bamako. Auch im Sudan werden genitale Verstümmelungen mit Sauberkeit in Verbindung gebracht und „Tahur“ genannt, was im Arabischen Reinheit bedeutet. Eine Frau wird als schmutzig und verdorben angesehen, solange sie noch nicht beschnitten worden ist. Offensichtlich sind alle diese Mythen dazu bestimmt, die weibliche Genitalverstümmelung zu rechtfertigen, aus der die Männerwelt Macht und Kontrolle über die Frauen als Gruppe erlangen. Dies ist der wirkliche Grund, warum diese Operationen bis heute weiterhin praktiziert werden, und warum sie schleunigst in den modernen Sektor überall auf dem afrikanischen Kontinent eingeführt werden, in Zusammenarbeit mit Männern aus westlichen Ländern und besonders im von Männern dominierten Gesundheitssystem.
Obwohl die sozialen Riten und Zeremonien weitgehend in Vergessenheit geraten sind, wird diese Operation fortgesetzt, und damit kann viel Geld verdient werden. Die genitalen Operationen werden jetzt an immer jüngeren Kindern, besonders in den Städten, ausgeführ, weil die Männer fürchten, dass die Mädchen Widerstand leisten würden, wenn sie erst einmal zur Schule gingen. Sogar in Gegenden, in den die Operationen traditionell Pubertätsriten waren, werden sie jetzt sehr kleinen Kindern angetan, manchmal nur wenige Jahre alt oder sogar schon kurz nach der Geburt. Der vorgegebene Zweck der Operation – Einführung ins Erwachsenenleben – ist verschwunden. Nichtsdestotrotz werden die Verstümmelungen weiterhin ausgeführt, sogar in Familien von Regierungsvertretern und politischen Führern, von denen viele Männer an europäischen oder westlichen Universitäten studiert haben. Die Begründung dieser Männer ist die Tradition – obwohl diese Männer sämtliche afrikanischen Tradition zugunsten ihres westlichen Lebensstil aufgegeben haben.
Über Jahrtausende und durch ihre Isolation sind die afrikanischen Frauen zu der Überzeugung gekommen, dass die Verstümmelung ihrer Geschlechtsteile notwendig sei. Tatsächlich glauben viele Frauen, dass diese Operationen überall auf der Welt an allen Frauen der Welt vorgenommen werden. Sie akzeptieren sie als natürlich. Viele afrikanische Frauen können es einfach nicht glauben, dass diese Operationen in anderen Teilen der Welt nicht praktiziert werden.
Es ist das Verdienst HOSKENs, dass eine breitere Öffentlichkeit im Jahr 1979 durch den Bericht der Feministin Fran P. HOSKEN – der später als „HOSKEN-Report“ bekannt wurde – auf das Thema aufmerksam wurde. Der vorherigen nahezu vollständigen Nichtbeachtung folgte eine extensive und teilweise stark emotional gefärbte Berichterstattung der Medien sowie die Publikation zahlreicher Bücher zu dieser Thematik ( Vgl. HOSKEN 1979, 1989 ) .
Starke Resonanz erfuhr etwa die Autobiographie „Wüstenblume“ von Waris DIRIE 1998, die die Frauenbeschneidung scharf verurteilten. In Folge der Berichterstattung – und diese wiederum verstärkend – setzte eine gegen die Praktik agierende Aktivität ein, der vorerst von Frauen- und Menschenrechtsgruppen sowie kleineren NGOs ( Nicht- Regierungs- Organisationen ) getragen wurde. Zunehmend nahm sich die Politik des Themas an, große übernationale Organisationen wie die WHO oder die UNO setzten sich für die Bekämpfung der Frauenbeschneidung ein, und in den meisten westlichen Ländern wurde die Beschneidung unter teilweise strenge Strafe gestellt. Der 6. Februar wurde zum „Internationalen Nulltoleranztag gegen Verstümmelung weiblicher Genitalien“ erklärt ( Vgl. WIKIPEDIA, Beschneidung, 2012 ).
Inzwischen hat sich bei fast allen agierenden Parteien im westlichen Kulturkreis eine Haltung etabliert, welche der Frauenbeschneidung deutlich ablehnend gegenübersteht und an deren Abschaffung arbeitet. Die vorgebrachten Kritikpunkte sind dabei:
- die negativen gesundheitlichen Konsequenzen für die betroffenen Frauen sowie eine erhöhte Säuglingssterblichkeit bei der Geburt; -unhygienische und medizinisch unzureichende Vorgehensweise während der Operation; -die Unterdrückung der Frau durch sexuelle Kontrolle, also die Einschränkung ihrer Fähigkeit, sexuelle Lust zu empfinden; -allgemein eine Verletzung der Menschenwürde und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit durch einen medizinisch nicht notwendigen Eingriff ohne Einwilligung (informed consent) der Betroffenen.
Die zwischen 1997 und 2003 als UN-Sonderbotschafterin gegen die Beschneidung weiblicher Genitalien tätige Waris DIRIE lehnt Begründungen mit Kultur, Tradition oder Religion gänzlich ab. Die Beschneidungspraxis bezeichnet sie als Genitalverstümmelung („female genital mutilation“), Folter („torture“) und Verbrechen („crime“) ( Vgl. DIRIE 1998 ) .
Internationale Organisationen wie die UNICEF und die Weltgesundheitsorganisation streben seit den 1990er Jahren die vollständige Abschaffung der Beschneidung weiblicher Genitalien an. Auch zahlreiche lokale Organisationen und Initiativen in Ländern mit Beschneidungstradition arbeiten auf dieses Ziel hin, vor allem, indem sie die Praktizierenden über die mit der Beschneidung verbundenen negativen Auswirkungen informieren. Dies hat dazu geführt, dass verschiedene ethnische Gruppen und Dorfgemeinschaften die Abschaffung der Praxis erklärt haben. In einer Reihe von afrikanischen Ländern wurde die Beschneidung weiblicher Genitalien auch gesetzlich verboten; die Umsetzung dieser Verbote ist jedoch von Land zu Land unterschiedlich und oft lückenhaft.
Ein weiterer Ansatz besteht darin, alternative Berufsmöglichkeiten für die traditionellen Beschneiderinnen zu schaffen. Allerdings kehren manche Beschneiderinnen trotz solcher Programme wieder zu ihrer früheren Tätigkeit zurück, da diese hoch angesehen, gut bezahlt und weiterhin nachgefragt wird.
Mehrere Initiativen versuchen, die Praxis der Mädchen- und Frauenbeschneidung mittels islamischer Rechtsgutachten (Fatwas) zu ächten. Zum Beispiel organisierte der Menschenrechtsaktivist Rüdiger NEHBERG am 22. und 23. November 2006 eine internationale Konferenz von Islam-Gelehrten in der al-Azhar-Universität Kairo. Die Gelehrten beschlossen, dass die Beschneidung weiblicher Genitalien nicht mit der Lehre des Islams zu vereinbaren sei:
„Die Genitalbeschneidung bei Frauen ist eine ererbte Unsitte... ohne Grundlage im Koran respektive einer authentischen Überlieferung des Propheten... Daher müssen die Praktiken unterbunden werden in Anlehnung an einen der höchsten Werte des Islam, nämlich den Menschen unbegründet keinen Schaden zufügen zu dürfen.“
Dr. Sheikh Ali Gum'a
Im März 2009 besuchten NEHBERG und Tarafa BAGHAJATI den in Katar lebenden islamischen Rechtsgelehrten Yusuf al-QARADAWI, der als die wichtigste zeitgenössische Autorität des sunnitischen Islam gilt. In einer vom Rechtsgelehrten ausgefertigten Fatwa wird die genitale Verstümmelung von Mädchen als „Teufelswerk“ bezeichnet und verboten, da sie gegen die Ethik des Islam gerichtet sei (Vgl. WIKIPEDIA, Beschneidung, 2012).
Der Anteil der Eingriffe, die von medizinisch geschultem Personal und unter hygienischen Bedingungen durchgeführt werden, hat namentlich in Ägypten, Guinea, Kenia, Nigeria, Nord-Sudan und Jemen deutlich zugenommen. UNICEF führt diesen Trend zur Medikalisierung wesentlich darauf zurück, dass Kampagnen gegen Mädchenbeschneidung vor allem die Gesundheitsrisiken betont haben. Sie vertritt dazu die Ansicht, dass jegliche Beschneidung, auch mit Medikalisierung, eine mit der Würde der Frau unvereinbare Menschenrechtsverletzung darstelle und dass Kampagnen diesen Aspekt verstärkt aufgreifen sollen.
Die in verschiedenen Ländern beobachtete Tendenz, dass das Beschneidungsalter nach unten verschoben wird, ist möglicherweise ebenfalls auf die Abschaffungsbestrebungen zurückzuführen. Traditionell wurde die Beschneidung im Wesentlichen während der Pubertät oder erst im Erwachsenenalter durchgeführt. Mittlerweile werden Mädchen vermehrt bereits im Kleinkindesalter beschnitten, auch wenn traditionell ein späterer Zeitpunkt üblich ist – so können Beschneidungen eher vor den Behörden verheimlicht werden. Zudem könnten sich Mädchen in höherem Alter, insbesondere wenn sie Schulbildung und Aufklärung erhalten haben, eher dem Eingriff widersetzen. Heute existiert die Gegenbewegung sowohl in den betreffenden afrikanischen als auch in westlichen Ländern. Sie wird unter anderem von prominenten afrika-stämmigen Frauen getragen, die selbst beschnitten sind; so zum Beispiel die an der Florida Atlantic University lehrende Kenianerin Wairimu NJAMBI oder Fuambai AHMADU von der University of Chicago, die ursprünglich aus Sierra Leone stammt. Von letzterer wurde 2008 die Organisation African Women Are Free to Choose (AWA-FC) gegründet, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die aus ihrer Sicht stark negativ verzerrte Berichterstattung zum Thema zu versachlichen.
Die Mehrzahl der beschnittenen Mädchen und Frauen betrachtet sich selbst nicht als verstümmelt, vielmehr wird die erfolgte Beschneidung als positiv bewerteter Teil der eigenen Identität betrachtet. Die in Deutschland ansässige Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes hat sich dafür entschieden, in der Öffentlichkeitsarbeit den Begriff Weibliche Genitalverstümmelung zu verwenden. In der Broschüre „Wir schützen unsere Töchter“, die sich speziell an Migrantinnen richtet, werde hingegen „fast ausschließlich“ der Begriff Beschneidung benutzt. In diesem Zusammenhang sei Beschneidung keine Verharmlosung, sondern nehme Rücksicht „auf die Würde der Betroffenen in Deutschland“.
Die United States Agency for International Development entschied sich im Jahre 2000 dafür, die als neutral eingeschätzte Bezeichnung Female Genital Cutting (FGC) zu verwenden. Diese Entscheidung wurde mit der Ablehnung der Bezeichnung Female Genital Mutilation (FGM) durch die praktizierenden Gemeinschaften aber auch durch Aktivisten begründet, welche den Begriff der Genitalverstümmelung für „verurteilend“, „abwertend“ und „für die Diskussion und Kooperation nicht förderlich“ halten. Auch würden jene, die die Abschaffungsbestrebungen mit der Kolonialzeit verbinden, in der Bezeichnung FGM ein Indiz für Kulturimperialismus sehen. Eine Frau als „verstümmelt“ zu bezeichnen, kränke sie und könne zu einem psychologischen Trauma führen, insbesondere bei jungen Mädchen und Frauen, die in nicht-praktizierenden Gemeinschaften leben. Denn jene, die Beschneidungen praktizieren, betrachteten diese als nützlich. Die Bezeichnung Female Genital Mutilation stigmatisiere die Praxis auch zum Schaden jener Programme, die sich um Veränderung bemühen (Vgl. WIKIPEDIA, Beschneidung, 2012).
Gegner der Medikalisierung sind zum Beispiel die WHO, Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen und das Inter-African Committee on Traditional Practices (IAC). Das häufigste Argument der Gegner ist, dass die Medikalisierung eine vollständige Abschaffung der Praktik behindern oder unmöglich machen würde, weil sie die Praktik so sehr legitimisiert, dass sie nicht nur einen Zwischenschritt darstellt, sondern – sind die Risiken erst einmal minimiert – bestehen bleibt. Eine Untersuchung zu Ägypten zeigte, dass trotz zunehmender Medikalisierung die Beschneidungsrate sinkt. Dennoch könnte nach Einschätzung durch Melanie BITTNER vom Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien die entsprechende Spezialisierung des Gesundheitspersonals eine kontraproduktive Wirkung bezüglich der Abschaffung von Beschneidungen haben. Für medizinisches Fachpersonal würde dann ein Rückgang der Beschneidungen aus ökonomischer Sicht einen Einkommensverlust bedeuten. Persönliches Profitstreben könnte somit zu einer Ursache dafür werden, dass sich Mediziner weniger deutlich für die Abschaffung aussprechen (Vgl. WIKIPEDIA, Beschneidung, 2012).
Während die Beschneidung weiblicher Genitalien ohne medizinische Indikation aufgrund des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und gerade in Bezug auf Minderjährige insbesondere in westlichen Ländern strafverfolgt wird, werden entsprechende Maßstäbe nur sehr begrenzt auf die männliche Beschneidung angewandt. Auch diese wird oftmals mit kultureller Begründung durchgeführt, bei der jüdischen Brit Mila beispielsweise einige Tage nach der Geburt. Obwohl einige Beschneidungsformen bei Mädchen und Jungen ähnlich sind, werden sie im westlichen Diskurs durchgehend als verschieden und unvergleichbar behandelt.
Obwohl auch an der Beschneidung männlicher Neugeborener Kritik geübt wird und Rechtsexperten den Straftatbestand der Körperverletzung als gegeben ansehen, ist diese in den meisten westlichen Ländern mit Ausnahme von Schweden ohne effektive Strafbedrohung der Sorgeberechtigten oder des Arztes durchführbar. Religiöse und kulturelle Motive werden gesellschaftlich als Rechtfertigung für die Zirkumzision weitgehend akzeptiert. Bei der weiblichen Beschneidung werden entsprechende Begründungen hingegen abgelehnt, und zudem als Rückständigkeit und Aberglaube interpretiert. Gleichwohl ist auch die männliche Beschneidung, insbesondere bei Minderjährigen, der Kritik ausgesetzt und hat zu einem ersten Verbot durch das Landgericht Köln in Deutschland im Jahre 2012 geführt.
Die Umgestaltung der natürlichen Anatomie der Genitalien zum Zweck der Verschönerung und Angleichung an ein Ideal findet sich in afrikanischen wie auch in westlichen Kulturen. Die operative Veränderung der weiblichen Genitalien als Schönheitsoperation findet in Europa zunehmend Verbreitung. Dabei werden überwiegend die inneren Schamlippen und mitunter die Klitorisvorhaut teilweise oder vollständig entfernt. Seltener werden auch Venushügel und/oder äußere Schamlippen mit einbezogen. Obwohl in einigen Fällen eine medizinische Indikation vorliegt, ist der Eingriff in der Regel aus persönlichen ästhetischen Vorstellungen heraus motiviert. Westliche Intimoperationen werden allerdings an erwachsenen, einwilligungsfähigen Frauen durchgeführt, während bei der Beschneidung weiblicher Genitalien vor allem Kinder und Jugendliche zu dem Eingriff gezwungen werden.
Wenngleich auch die Eingriffe nicht identisch sind, so gibt es dennoch Gemeinsamkeiten zu einigen Formen der Beschneidung. Bei der Labioplastik wird die Klitoris nicht verändert. Die Entfernung von inneren Schamlippen und Klitorisvorhaut ist jedoch mit den entsprechenden Beschneidungsformen Typ I und II vergleichbar. Auch im Fall der afrikanischen Beschneidung spielen ästhetische Motive oftmals eine Rolle und sind mit traditionellen und kulturellen Gründen verwoben. Es werden jedoch im Rahmen der westlichen kosmetischen Operationen mitunter auch Veränderungen an Klitoris oder Vagina vorgenommen. So werden ästhetisch motivierte Verkleinerungen der Klitoris angeboten, vereinzelt wird eine vollständige Entfernung der Klitoris aus ästhetischen Gründen durchgeführt. Auch Straffungen und Verengungen der Vagina, deren Hauptziel eine Steigerung des männlichen Lustempfindens ist, werden nachgefragt.
Ästhetisch motivierte Genitaloperationen in westlichen Ländern decken mittlerweile ein Spektrum ab, das in weiten Teilen deckungsgleich mit den FGM-Definitionen der WHO ist. Eine Abgrenzung zwischen beiden Kategorien auf einer rein anatomischen Ebene nicht mehr möglich. Nach vorherrschender westlicher Sichtweise unterscheiden sich die Praktiken in Bezug auf Freiwilligkeit, hygienische Umstände der Operation und Auswirkungen auf die Sexualität. Jedoch werden diese dichotomen Positionen zunehmend in Frage gestellt (Vgl. WIKIPEDIA, Beschneidung, 2012).
Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen beiden Eingriffen sind komplex und Gegenstand aktueller kulturwissenschaftlicher Forschung. Da bestimmte Kritikpunkte, die als Grundlage für Abschaffungsbestrebungen der Genitalbeschneidung herangezogen werden, in gleichem Maße auf die westlichen Schönheitsoperationen zutreffen, wird der Vorwurf einer Doppelmoral erhoben und von Seiten der Abschaffungsbewegung das Problem erkannt, dass vor dem Hintergrund einer wachsenden Nachfrage nach Labioplastik im Westen die an Afrika gerichteten Vorwürfe an Glaubwürdigkeit verlieren.
Es regt sich jedoch auch zunehmender Widerstand gegen diese sogenannten Schönheitsoperationen. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtenhilfe e. V. merkt beispielsweise an, dass „Risikoeinschätzungen und Komplikationsraten dieser Operationen fehlen, nicht bekannt sind oder verharmlost werden“, und rät von derartigen Eingriffen ab.
Es besteht also die Situation, dass die Entfernung der männlichen Vorhaut mit religiöser Begründung selbst bei kleinen Kindern geduldet wird, während sich der Arzt von langjährigen Haftstrafen bedroht sieht, wenn er bei einer erwachsenen Frau mit Migrationshintergrund auf deren Wunsch und ohne medizinische Indikation z. B. die Entfernung der Klitorisvorhaut vornimmt. Im Fall operativer Geschlechtsangleichung von Intersexuellen kann diese Bewertung zu juristischen Problemen bei einer Frau-zu-Mann-Umwandlung führen.
Der US-amerikanische Anthropologe Richard SHWEDER plädiert für eine – nach seiner Ansicht – faire und kultursensitive Kompromisslösung. Ziel sei eine Annäherung zwischen den Kulturen und eine angestrebte Übereinkunft unterschiedlicher kultureller Werte. Dabei wird von folgenden Voraussetzungen ausgegangen (Vgl. WIKIPEDIA, Beschneidung, 2012):
Die männliche Beschneidung wird im westlichen Kulturkreis geduldet und von Medizinern offiziell durchgeführt. Dieses Vorgehen ist durch kulturell und religiös verankerte Werte gerechtfertigt, eine Änderung dessen scheint nicht vertretbar zu sein. Die Verletzung der körperlichen Integrität des Kindes erscheint hinnehmbar, soweit keine ernsten negativen Folgen zu erwarten sind. Folglich sei auch ein vergleichbarer Eingriff bei Mädchen nicht abzulehnen. Eine Ungleichbehandlung zwischen den Geschlechtern oder den Kulturen sei jenseits von medizinischen Gründen nicht vertretbar. Eine Veränderung der Klitoris oder die Infibulation sei jedoch aufgrund der erwartbaren Folgen strikt abzulehnen.
Im Fall von Erwachsenen und mündigen Frauen ist jeglicher Eingriff vertretbar, sofern eine aufgeklärte Einwilligung stattfindet. Gegebenenfalls sollte über ein psychologisches Gutachten Freiwilligkeit und Mündigkeit sichergestellt sein. Sollte eine Frau unter diesen Umständen den Eingriff wünschen, könnte ihr die Möglichkeit dazu in einem hygienischen und professionellen Rahmen gegeben werden.
1.3 Knaben-Beschneidung
Ashley MONTAGU hat auf dem Zweiten Internationalen Symposium über Circumcision in San Francisco, Kalifornien, USA, vom 30. April bis 3. Mai 1991 ein Referat mit dem Titel “Mutilated Humanity” gehalten. Der folgende Text gibt Auszüge aus diesem wichtigen Referat in deutscher Übersetzung wieder.
Karl LINNEUS gab im Jahre 1753 in seinem großartigen Buch “Systema Naturae” der menschlichen Spezies einen bedeutungsvollen Namen, nämlich Homo Sapiens. LINNEUS bemerkte dazu kurz: “ Mensch, erkenne Dich selbst!” ( Homo nosce Te ipsum). Dies klingt wie eine Aufforderung, und sie ist es auch; damit sollte unterstrichen werden, dass die menschlichen Wesen die einzigen Kreaturen in der Welt seien, die die Fähigkeit zur Selbst-Erkenntnis und zur Kontemplation besitzen und durch eine unvergleichliche Kreativität charakterisiert werden können.
Jedoch, bereits ein flüchtiger Überblick über die Leistungen des Homo Sapiens seit 1753 ergibt, dass Oscar WILDE, wie üblich, den Nagel auf den Kopf traf, wenn er sagte, dass der Begriff Homo Sapiens eine der voreiligsten Definitionen war, die jemals einer Spezies gegeben wurde. Nicht, dass Weisheit als Potential garnicht vorhanden wäre. Jedes Kind wird mit der Weisheit seines Körpers und seines Geistes geboren, mit dem Streben nach Entwicklung und Wachstum in einer Umgebung, die seine Basisbedürfnisse befriedigt, um in körperlicher und mentaler Gesundheit aufzuwachsen.
Mit mentaler Gesundheit meint MONTAGU die Fähigkeit zu lieben, zu arbeiten, zu spielen und kritisch zu denken. Allerdings, diese Fähigkeiten sind vereitelt worden durch Erwachsenen, die selten das Kind konsultiert haben, sondern statt dessen ihre eigenen erwachsenen Wahnvorstellung durch Rituale auf das Kind übertragen haben. Vielleicht wird so erklärbar, warum die meisten Erwachsenen überwiegend unreife, gestörte Babies sind. Daher kommt es, dass man Gefahr läuft, die üblichen geistigen und manchmal körperlichen Verstümmelungen zu erleiden, wenn man in die menschliche Familie hineingeboren wird. MONTAGU glaubt, es wäre von Vorteil, wenn die Menschheit, anstatt sich Homo Sapiens zu nennen, sich besser Homo Mutilans, die verstümmelende Spezies, nennen würde, die Spezies, die beides verstümmelt, den Geist und den Körper, oft im Namen der Vernunft, der Religion, der Tradition, der Sitte, der Moralität und des Gesetzes. Gesetzt den Fall, wir würden eine derartige Bezeichnung für unsere Gattung akzeptieren, würde es unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, was falsch läuft mit uns, und wo wir beginnen müssten, uns zu korrigieren.
Wenn wir die Geschichte der Humanität überblicken, finden wir kaum einen Teil des menschlichen Körpers, der nicht irgendwelchen Formen der Verstümmelung unterworfen worden ist. Zum Beispiel hinterließen einige prähistorische Völker, nach ihren Höhlenzeichnungen zu schließen, negative Eindrücke ihrer Hände, bei denen Teile der Finger abgeschnitten wurden. Derartige Zeichnungen sind aus mehreren Höhlen aus dem Steinzeit - Alter oder der Paläolithischen Perigordian Kulturphase der Pyrenäen bekannt, die etwa 25.000 Jahren von der Gegenwart zurückdatiert werden. Derartige Verstümmelungen waren nicht unüblich unter indigenen Völkern userer eigenen Tage. Die Geschichte der körperlichen Verstümmelungen oder Beeinträchtigungen würde ein großes Kapitel der Menschheitsgeschichte füllen, und nur wenig Praktiken würden befremdlicher und interessanter sein als die männliche und weibliche Circumcision.
Unter Circumcision verstehen wir das Abschneiden eines Teils oder der Gesamtheit der männlichen Vorhaut des Penis. Die weibliche Genitalverstümmelung wird korrekterweise als Excision benannt und besteht im Abschneiden eines Teils oder der Gesamtheit der äußeren Genitalien. Zusätzlich wird häufig die Operation der Infibulation ausgeübt, bei der die beiden Seiten der Vulva zusammen genäht werden und nur eine kleine Öffnung für die Entleerung von Urin und Menstrualblut gelassen wird. Infibulation, das Schloss für das Tor, ist die männliche Erfindung eines künstlichen Keuschheitsgürtels. Excision und Infibulation zusammen genommen, werden als Pharaonische Beschneidung bezeichnet, da sie bereits zur Zeit der ägyptischen Pharaone praktiziert wurde.
Die schwierigste Frage, mit der die Anthropologen konfrontiert sind, ist die nach dem Ursprung einer jeden Sitte. Es sind alle möglichen Erklärungsversuche angeboten worden für die Ursprünge der Circumcision und diese Spekulationen scheinen genauso zahlreich zu sei, wie die Herbstblätter in Vallombrosa. Da die ursprünglichen Motivationen durch allerlei mythologische, religiöse, rituelle und säkularisierte Rationalisierungen verbrämt worden sind, erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass irgend jemand, ausgenommen vielleicht ein vorurteilsloser Forscher, vernünftige Erklärungen der Ursprünge der Genitalverstümmelungen erhalten kann. Hier stoßen wir auf das Problem der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit – oder wie Peter L. BERGER und Thomas LUCKMANN (1982) es ausgedrückt haben: “ die kollektive Überzeugung, dass es Realität gibt...ist ganz und gar nicht Realität, aber sicherlich ist alles soziale Wirklichkeit.”
Bruno BETTELHEIM hat in seinem Buch “Symbolische Wunden” (1962) von einem psychoanalytischen Standpunkt aus einen interessanten Versuch der Erklärung der tiefer liegenden Gründe für die verschiedenen Formen der Circumcision unternommen. MONTAGU kritisiert jedoch an BETTELHEIM, dass dieser die Forschungsresultate der Anthropologie zu wenig berücksichtigt hat und daher dessen Deutungen zu spekulativ seien.
Das erste, was über Circumcision festgestellt werden kann, dass sie einen Initiationsritus repräsentiert, der im Allgemeinen, aber nicht immer, als Ritual oder Zeremonie ausgeführt wird. Manchmal wird sie kurz nach der Geburt oder in irgendeinem Alter der Kindheit sogar bis ins Erwachsenenalter hinein ausgeübt. Die männliche Beschneidung wird üblicher Weise von Männern, die weibliche Beschneidung von Frauen durchgeführt. Jedoch ergibt ein Überblick über Geschichte und regionale Verbreitung, dass es wenig Zweifel gibt, dass beide Praktiken von Männern institutionalisiert worden sind. In jedem Falle, ausgenommen die wenigen Ausnahmen, in denen die Beschneidung eines Jungen von einer Frau ausgeübt werden, wird die Beschneidung von den Mitgliedern einer Gruppe ausgeführt, die diese Verstümmelung am eigenen Leibe erfahren haben. Jene, die aus irgendeinem Grunde nicht beschnitten worden sind, werden nicht als vollwertige Mitglieder der Gruppe akzeptiert und in vielen Fällen abfällig wie Ausgestoßene behandelt.
Bei den Aboriginals in Australien würde keiner Nahrung aus der Hand eines Jugendlichen annehmen, der nicht beschnitten worden wäre, noch würde jemand speisen in der Gegenwart eines Mannes von einem Stamm, indem die Beschneidung nicht üblich ist, weil er in spiritueller Hinsicht als unrein gilt. So sah die Reaktion auf Unbeschnittene in vielen Stämmen und Naturvölkern aus. Überdies würde in den meisten Gesellschaften, in denen die Beschneidungen üblich sind, kein Mann eine unbeschnittene Frau heiraten, und keine Frau würde einen unbeschnittenen Mann heiraten.
Die Beschneidung war bei den Assyrern und Babyloniern unbekannt, während bei den Hebräern, den heutigen Israelis, die Männer als Vorbereitung auf die Hochzeit beschnitten wurden. Im Antiken Ägypten scheint die Beschneidung bereits während der frühesten Dynastien, das sind mehr als 6.000 Jahre vor der Gegenwart, praktiziert worden zu sein, und man glaubte bisher, dass hier die Erfindung der Genitalverstümmelung lag. Allerdings regen sich Zweifel an dieser Version, da in Regionen, die heute als Sudan und Chad bekannt sind, die Praktiken der männlichen und weiblichen Beschneidung bereits lange vor der Entstehung des Ägyptischen Pharaonen-Reiches etabliert waren.
In jedem Falle ist die Bescneidung im Antiken Ägypten von Interesse, da sie als ein Zeichen der Verbindung mit dem Kult des Sonnen-Gottes, Amon-Re, dem Hauptgott und Schöpfer aller Dinge gedeutet wurde. In einigen Teilen der Ägyptischen Mythologie verstümmelt Amon-Re seine Genialien. Aus Klassischen Griechischen Quellen wissen wir, dass die Beschneidung der Genitalien ein Privileg der Priester-Kaste war.
Hanny LIGHTFOOT-KLEIN glaubt in ihrem Buch “Prisoners of Ritual” (1985), dass die weibliche Genitalverstümmelung zurückzuführen ist auf das Anfangsstadium der Menschheitsentwicklung. MONTAGU schließt sich dieser Ansicht nicht an, weil er der Überzeugung ist, dass frühe menschliche Gesellschaften tendenziell egalitär waren, und dass die Männer-dominierten Gesellschaften eine ziemlich späte Entwicklung in der menschlichen Geschichte darstellen. In egalitären Gesellschaften, wie in den meisten Jäger- und Sammler-Gesellschaften, tritt die Mädchen- und Frauenbeschneidung nicht auf, und auch die Beschneidung von Knaben und Männern ist selten. Diese Tatsache sollte ein Hinweis auf die tieferen Wurzeln der Beschneidung sein und auf die Wahrscheinlichkeit hindeuten, dass es Männer waren, die diese Verstümmelungen erfanden.
Die Aborigins in Australien sind ein interessantes Beispiel. Diese bemerkenswerten Völker haben auf dem Kontinent Australien mindestens 60.000 Jahre langgelebt. Circumcision und Subincision wurden weithin praktiziert im größeren Teil Australiens, aber wir haben keinen Anhaltspunkt, wann sie zum ersten Mal institutionalisiert wurden. Als die Europäer im 18. Jahrhundert Australien besiedelten, gab es rund 700 Stämme der Aborigines. Da die Circumcision und die Subincision in diesem sehr großen Kontinent weit verbreitet war, ist anzunehmen, dass diese Praktiken von beachtlichem Alter sein dürften.
Vor vielen Jahren, als MONTAGU zum ersten Mal von der Subincision erfuhr, rätselte er über den Ursprung und seine Bedeutung, bis er herausfand, dass bei den Aranda in Zentral Australien der eingeschnittene Penis mit dem gleichen Namen bezeichnet wurde wie die weibliche Vulva. Die Subincision ist die Praktik des Aufschneidens der Unterseite des Penis bis zur Harnröhre, manchmal beginnend an der Eichel des Penis bis zum Hodensack. Nach weiteren anthropologischen Studien über ähnliche Praktiken in vielen anderen Kulturen fand MONTAGU heraus, dass die Subincision mit der Absicht durchgeführt wurde, die äußeren männlichen Geschlechtsteile derart zu gestalten, dass sie den äußeren weiblichen Geschlechtsteilen ähneln. Die Blutungen bei dieser Form der Beschneidung wurde mit der weiblichen Monatsblutung verglichen. Um den gleichen Effekt wie die Menstruation zu erzielen, unterzogen sich die Männer dieser Australischen Ureinwohner periodisch der Einschneidung des Penis und nannten dies Menstruation.
Die Gesellschaften der Ureinwohner Australiens waren egalitär. Während die Circumcision und Subincision bei Knaben und Männern praktiziert wurden, blieben die Mädchen und Frauen frei von jeden genitalen Verstümmelungen. Deshalb scheint das Postulat richtig zu sein, dass es einige Korrelationen zwischen männlicher Dominanz einer Gesellschaft und der Praktik der Mädchenbeschneidung geben mag.
Nun wollen wir einmal sehen, wie die Beschneidung typischer Weise unter einigen Afrkanische Naturvölkern wie den Dogon, den Bambara und den Lobi in Mali angesehen wird. Bei diesen Völkern ist das fundamentale Gesetz der Schöpfung die Dualität der Zwillingshaftigkeit. Bei der Geburt wird jedes Kind als ein Zwilling angesehen, ausgerüstet mit einer doppelten Seele beider Geschlechter, ähnlich der Adrogynität. Beim Mädchen wohnt die männliche Seele im Kitzler, der als ihr männliches Organ gedeutet wird. Beim Jungen bedeutet die Entfernng der Vorhaut des Gliedes die Beseitigung seiner weiblichen Seele, von der angenommen wird, dass sie in der Vorhaut wohnt. Die Vorhaut-Beschneidung bestätigt die Männlichkeit des Knaben und seine Akzeptanz als soziales Mitglied des Eingeborenenvolkes. Durch die Clitoris-Ausschneidung, die Excision, wird das Mädchen aus der Sicht dieser afrikanischen Naturvölker von ihrem männlichen Element befreit.
Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass – was auch immer die Ursprünge des Glaubens und der Praktiken der Beschneidung sein mögen – es die Taten von Männern sind, und überall entspringen sie der gleichen Motivation: dem Wunsch der Männerwelt nach Errichtung ihres überlegenen Status und dem Supremat über andere, die durch bemerkenswerte Unterschiede wie Alter oder Geschlecht in verschiedene Klassen oder Kasten eingeordnet werden, minderwertiger als sie selbst.
Die Tyrannei der Älteren über die Jüngeren, unterstützt durch eine machtvolle Mystik des Patrotismus, ermöglicht es ihnen, eine unermessliche Anzahl von Jüngeren in den Krieg zu senden - denn alte Soldaten sterben nie, nur die Jungen sterben. In einer Welt der künstlich geschaffenen Ultra-Nationalismen, wenn die Kugeln erst einmal fliegen, wird alle Vernunft fallen gelassen. So einfach ist das.
Die Tyrannei gutmeinender Eltern über ihre Kinder, die oft zu einem unbeabsichtigten emotionalen und intellektuellen Missbrauch führt, wirkt sich auch auf die Lehrer aus, die unbewusst die Werte des dominierenden Geschlechts vermitteln.
Es ist der Missbrauch der Macht der körperlich Stärkeren über die Schwächeren von jenen, die es schwierig finden, andere zu lieben, deren Liebe von der lieblosen maskulinen Art ist, deren Tyrannei – in den dunkleren Seiten der Geschichte bereits vereweigt – sich in vielen despotischen Weisen, nicht zuletzt häuslicher Gewalt, fortsetzt. Die traurige Geschichte der Religionen aus dem Mittleren Osten in ihrer Einstellung zu Frauen, hier vor allem in der Bibel und im Koran, die von den Kirchen sanktionierten Hexenjagden; die Unterwerfung der Frauen; die Doktrin von der Erbsünde; die negative Sichtweise der Kindheit; die religiösen und säkularen Kriege der Menschheit, in der die Psychologie des Krieges der des Friedens überwiegt – all dies und mehr bezeugt die unausweichliche Tatsache, dass - im Vergleich zu Frauen und Kindern- die Männer eine verstümmelnde Rolle gespielt haben, im psychologischen und im physischen Sinne.
In den jüngst vergangenen Jahren haben wir plötzlich entdecken müssen, dass der Missbrauch von Kindern weitaus häufiger ist als wir bisher dachten. Aber – bis auf wenige heldenhafte Menschen wie Fran HOSKEN, die ohne jede institutionelle Unterstützung, jahrelang versucht haben, die Aufmerksamkeit der Welt auf die Verbrechen an kleinen Mädchen in Form der Genitalverstümmelung zu lenken – gab es wenige Aktivisten, die gegen Clitorisbeschneidung, Infibulation und Circumcision protestiert haben. Heutzutage, da Kindesmissbrauch als weit verbreitete Psychopathie in Amerika erkannt worden ist, mag es leichter sein, Cicumcision als eine Form des Kindesmissbrauchs wahrzunehmen. Dieses operative Verbrechen – einerlei ob kurz nach der Geburt oder später – ist offensichtlich ein hoch traumatisches Erlebnis für das Kind. Man kann sich nur wundern, welche Effekte solch traumatisierende Erfahrungen auf das spätere Leben ausüben mögen. Heutzutage haben wir unwiderlegbare Beweise, dass der Geburtsprozess ein tramatisierendes Erlebnis für das Baby ist.
Was erforderlich ist, das ist ein gut durchdachter Ansatz zur Abschaffung antiquierter Aberglauben, Überzeugungen und Praktiken, die so viel unnötiges Leiden, Verstümmelung, Tragik bis hin zu Todesfällen verursachen. Wir können mit sorgfältig geplanten Programmen beginnen, möglicher Weise unter der Aufsicht der Vereinten Nationen oder ähnlicher Institutionen, mit der Absicht, die Praktik der Genitalverstümmelung bei Knaben und Mädchen abzuschaffen, einer archaischen rituellen Verstümmelung, die keinerlei Rechtfertigung und keinen Platz in einer zivilisierten Gesellschaft hat.
1.4 Die MONTAGU Resolution
James W. PRESCOTT hat die Petition an den Welt Gerichtshof in Den Haag, Belgien, auf dem Welt-Kongress des Rates der Säkulären Humanisten vom 27-30 Oktober 2005 in SUNY, Buffalo, USA, von Ashley MONTAGU unterstützt, einer Resolution für die Beendigung der Genitalverstümmelung von Kindern weltweit. Ashley MONTAGU fordert vom Welt-Gerichtshof in Den Haag ein Verbot der genitalen Verstümmelung von Knaben und Mädchen auf der ganzen Welt. Genitale Beschneidung von Kindern im nicht einwilligungsfähigen Kindesalter stellen MONTAGU zufolge Körperverletzungen dar und stehen im Widerspruch zu den Allgemeinen Menschenrechten. Genitale Verstümmelungen von kleinen Mädchen und Knaben sind mit den Allgemeinen Menschenrechten unvereinbar.
PRESCOTT schreibt unter anderem:
Gewalt gegen Frauen und Kinder bildet die größte Barriere gegen Frieden und Gleichberechtigung auf diesem Planeten. Sexuelle Gewalt ist ein Charakteristikum jeder modernen menschlichen Kultur und es erhebt sich fir Frage nach den Ursprüngen dieser andauernden Ungleichheit der Geschlechter und Altersgruppen. Homo Sapiens ist der gewalttätigste Primat auf unserem Planeten.
Um die sexuelle Gewalt zu verstehen, die die genitale Verstümmelung und Beschneidung von Kindern – einem ersten Akt der sexuellen Gewalt - einschließt, ist ein Verständnis der tieferen Wurzeln menschlicher Gewalt erforderlich, die gewalthaltige Kulturen unterstützen.
PRESCOTT sucht die Wurzeln gewalthaltigen Verhaltens in den schriftlichen Ueberlieferungen des Judentums, des Christentums und der Philosophie des Antiken Griechenlands. Eine radikale Transformation der kulturellen Werte und Tugenden unserer abendländischen Gesellschaften sei notwendig, in der Frauen als dem Manne moralisch unterlegen angesehen werden und in denen Schmerz und Leiden als moralische Tugenden aufgefasst werden, körperliche Lust des Körpers mit Sünde und moralischer Verdorbenheit assoziiert werden. PRESCOTT zeigt durch zahlreiche Zitate die philosophisch-religiösen Wurzeln der Ungleichheit der Geschlechter, des sexuellen Puritanismus und der Gewalt gegen Frauen und Kinder in den westlichen Zivilisationen auf.
Neuere Erkenntnisse in der Entwicklungspsychologie, Neuropsychologie und Verhaltenswissenschaft während des vergangenen halben Jahrhunderts haben dokumentiert, dass Gewalt und Gewalt gegen Frauen und Kinder ihre Ursachen in einer abweichenden Entwicklung des emotional-sozial-sexuellen Gehirns haben, die durch Sensorische Deprivation der physiologisch-affektionalen Beziehungsfähigkeit hervorgerufen wird. Diese Beziehungsunfähigkeit beginnt mit der fehlgeschlagenen emotionalen Mutter-Kind-Bindung und setzt sich in einer fehlgeschlagenen sexuell-emotionalen Beziehungsfähigkeit im Jugendalter fort( Vgl. PRESCOTT 1975, 1977, 1979, 1980, 1996).
Man muss Kenntnisse und ein Verständnis dafür entwickelt haben, wie das in der Entwicklung befindliche Gehirn von Geburt an codiert und programmiert wird, um es möglich zu machen, dass entweder friedliche, harmonische und egalitäre Werte und Verhaltensweisen entstehen oder die Gegensätze der Gewalt, der Aggression und des Autoritarismus zustande kommen. Im Lichte dieser Forschungsresultate muss die Abschaffung der genitalen Verstümmelung von Kindern beiderlei Geschlechts in allen menschlichen Kulturen gefordert werden.
James W. PRESCOTT (1989) hat einige Prinzipien für die Kleinkind-Erziehung formuliert:
1. Jede Schwangerschaft sollte eine erwünschte Schwangerschaft sein. Jedes Kind sollte ein erwünschtes Kind sein.
2. Jede Schwangerschaft sollte frei sein von Alkohol, Drogen, Tabak und anderen schädigenden Stressfaktoren.
3. Jede Schwangerschaft sollte unter optimalen Gesundheits- und Ernährungsbedingungen stattfinden können.
4. Jede normale Geburt sollte ohne Drogen stattfinden.
5. Jede Geburt sollte ein liebevolles Ereignis mit Familienangehörigen und Freunden sein.
6. Jedes Baby sollte zwei Jahre lang oder länger gestillt werden und jeden Tag eine liebevolle Massage erhalten.
7. Jedes Baby sollte so viel wie möglich am Körper der Mutter, des Vaters oder der Bezugsperson getragen werden.
8. Kein Baby, kein Kind oder keine Person sollte irgend einer Form von genitaler Verstümmelung unterworfen werden aus Gründen des religiösen Glaubens oder sozialen Brauchtums.
9. Kein Baby oder Kind sollte geschlagen, geprügelt oder misshandelt werden.
10. Kein Baby oder Kind sollte sich selbst überlassen werden beim Weinen und Schreien bis zum Einschlafen.
11. Die persönliche Würde eines jeden Babys oder Kindes sollte immer respektiert und bestätigt werden.
12. Die keimende Sexualität eines jeden Kindes und Jugendlichen sollte immer respektiert und geehrt werden.
13. Das Recht auf Selbst-Bestimmung im sexuellen Ausdruck von Gefühlen und Liebe ist ein grundlegendes Recht aller Personen.
14. Jede Person sollte täglich eine liebevolle Massage erhalten.
15. Sexuelle Gefühle und sexuelle Liebe sind wesentliche Quellen menschlicher Zufriedenheit, der Harmonie und des Friedens.
16. Das Zuhause und die Familie sind die Wiege von Vernachlässigung und Gewalt oder die Wiege von Liebe und universellem Frieden.
17. Das Kind ist der Vater der Menschheit
THE CHILD IS THE FATHER OF THE MAN
Das Kind ist die Mutter der Kultur
THE CHILD IS THE MOTHER OF CULTURE
Das Kind ist die Zukunft der Humanität
THE CHILD IS THE FUTURE OF HUMANITY
(Die Übersetzung aus dem Englischen erfolgte durch K.-H. I. Kerscher )
[...]
- Arbeit zitieren
- Professor Dr. phil. Karl-Heinz Ignatz Kerscher (Autor:in), 2012, Lustbetont und Sinnenfroh - Positionen Postmoderner Sexual-Pädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200713
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