Italien war immer ein Kindheitstraum des jungen Goethe. Die Erzählungen des Vaters Johann Caspar Goethe, welcher im Jahre 1740 Italien bereiste, hatten seine Sehnsucht nach dem fernen "Paradies" geprägt. In seiner Schriftstellerei steckte Goethe 1786 in einer schweren Schaffenskrise und die Arbeit als Geheimrat in Weimar brachte ihm keine Erfüllung. Er fühlte, wie sehr er sich unter der Last der täglichen Amtsgeschäfte von seiner eigentlichen Existenz entfremdet hatte und sich die Schriftstellerei immer mehr dem Leben unterordnen musste. Der Verdruss über die zermürbenden Regierungsgeschäfte, das immer stärker als Belastung empfundene Verhältnis zu Charlotte von Stein und schließlich der Wunsch sich den Wissenschaften, Künsten und seinem Geist zu widmen, führten zu Goethes Entschluss, sich für unbestimmte Zeit aus Weimar zu entfernen. Bei Nacht und Nebel flüchtete er am 3. September 1786 aus Karlsbad - wo er sich auf einer Badereise befand - in Richtung Italien und meldete sich erst wieder aus Rom.
Goethe war in besonderem Maße ein bewusster Reisender. Mit der detaillierten Planung seiner Reise und der Bereitschaft, in der Fremde seinen Charakter zu bessern, entsprach Goethe dem Bild eines prototypischen Bildungsreisenden. Selbstbildung war für Goethe das Ziel dieser Reise, doch eine bedeutende Rolle spielte dabei auch die Selbstfindung. Hauptgegenstand der vorliegenden Arbeit ist Goethes Kunsterlebnis auf der italienischen Reise. Ziel ist es, seine Interessen und Beobachtungen in bezug auf die Kunst in Italien darzustellen und zu analysieren. Methodisch werde ich dabei werkimmanent vorgehen. Aufbauend auf einer Darlegung seines Kunstinteresses, gehe ich im zweiten Kapitel auf Goethes Auffassungen zu Kunst und Gesellschaft und Kunst in Verbindung mit der Natur ein. Anschließend beschreibe ich anhand einiger bedeutender Stationen der Reise Goethes Erfahrungen mit der Kunst in Rom, in Neapel und auf Sizilien. Abschließend beschäftige ich mich mit Goethes Persönlichkeitswandel und untersuche, welche Veränderungen sich in seinem Leben durch die Auseinandersetzung mit der Kunst in Italien vollzogen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Goethes Kunstinteresse
2.1. Kunst und Gesellschaft
2.2. Kunst und Natur
3. Goethes erster Aufenthalt in Rom
3.1. Neapel
3.2. Sizilien
4. Goethes Rückkehr nach Rom
5. Wandlung und Wiedergeburt
6. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Italien war immer ein Kindheitstraum des jungen Goethe. Die Erzählungen des Vaters Johann Caspar Goethe, welcher im Jahre 1740 Italien bereiste, hatten seine Sehnsucht nach dem fernen „Paradies“ geprägt. In seiner Schriftstellerei steckte Goethe 1786 in einer schweren Schaffenskrise und die Arbeit als Geheimrat in Weimar brachte ihm keine Erfüllung. Er fühlte, wie sehr er sich unter der Last der täglichen Amtsgeschäfte von seiner eigentlichen Existenz entfremdet hatte und sich die Schriftstellerei immer mehr dem Leben unterordnen musste. Der Verdruss über die zermürbenden Regierungsgeschäfte, das immer stärker als Belastung empfundene Verhältnis zu Charlotte von Stein und schließlich der Wunsch sich den Wissenschaften, Künsten und seinem Geist zu widmen, führten zu Goethes Entschluss, sich für unbestimmte Zeit aus Weimar zu entfernen. Bei Nacht und Nebel flüchtete er am 3. September 1786 aus Karlsbad - wo er sich auf einer Badereise befand - in Richtung Italien und meldete sich erst wieder aus Rom.
Goethe war in besonderem Maße ein bewusster Reisender. Mit der detaillierten Planung seiner Reise und der Bereitschaft, in der Fremde seinen Charakter zu bessern, entsprach Goethe dem Bild eines prototypischen Bildungsreisenden. Selbstbildung war für Goethe das Ziel dieser Reise, doch eine bedeutende Rolle spielte dabei auch die Selbstfindung.
Hauptgegenstand der vorliegenden Arbeit ist Goethes Kunsterlebnis auf der italienischen Reise. Ziel ist es, seine Interessen und Beobachtungen in bezug auf die Kunst in Italien darzustellen und zu analysieren. Methodisch werde ich dabei werkimmanent vorgehen.
Aufbauend auf einer Darlegung seines Kunstinteresses, gehe ich im zweiten Kapitel auf Goethes Auffassungen zu Kunst und Gesellschaft und Kunst in Verbindung mit der Natur ein. Anschließend beschreibe ich anhand einiger bedeutender Stationen der Reise Goethes Erfahrungen mit der Kunst in Rom, in Neapel und auf Sizilien. Abschließend beschäftige ich mich mit Goethes Persönlichkeitswandel und untersuche, welche Veränderungen sich in seinem Leben durch die Auseinandersetzung mit der Kunst in Italien vollzogen.
2. Goethes Kunstinteresse
Goethes Interesse während des Aufenthaltes in Italien gilt drei großen Bereichen: Natur, menschliche Gesellschaft und Kunst. Im 18. Jahrhundert war die Antike eine Utopie an der man sich gerne orientierte. Goethe versucht sie auf seiner Reise wieder lebendig werden zu lassen, den idyllischen Urzustand zu finden und tiefere Erkenntnisse zu gewinnen. Er sieht in Italien ein Land voller Geschichte und Kunst, doch man bekommt den Eindruck, als suche er ausschließlich das antike Griechenland in Italien, da er auf seiner Reise auffällig oft auf den Spuren der Antike wandelt und insbesondere die antiken Ruinen sehr ausführlich schildert. Goethe zeigt eine große Begeisterung für die Antike, aber keine große Urteilskompetenz. Er beschreibt Bauwerke und Gemälde, doch seine Beschreibungen sind sehr von persönlichen Eindrücken und Kritik geprägt. Immer wieder findet man bestätigt, dass Goethe sein Kunstverständnis auf dieser Reise mehr und mehr erweitert. In Bologna schreibt er am 19. Oktober:
„...es geht mit der Kunst wie mit dem Leben: je weiter man hineinkommt, je breiter wird sie.“[1]
Die Zeugnisse der Renaissance werden in der italienischen Reise fast keiner Beschreibung gewürdigt. Goethe berichtet nicht über die Barockkunst oder die italienische Gotik. Die Mosaiken in Venedig und Monreale können sein Interesse nicht wecken. Goitto und Bernini erwähnt er kaum und in Florenz verweilt er nur sehr kurz. In der Sixtinischen Kapelle schläft Goethe sogar ein. Auch die politischen Zustände Italiens sind ihm mehr oder minder gleichgültig. Vom großen Musikleben Italiens verspürt er wenig. Vor allem die Oper langweilt ihn. Selbst seine Dichtung ist ihm zu Beginn der Reise nicht wichtig. Die Fragmente nimmt er nur auf Drängen von Freunden mit. Im Gegensatz dazu, spricht er von der Antike immer wieder in den höchsten Tönen. Er ist ein Vertreter der Klassik und sieht im Alten das ewige Vorbild.
Auf seiner italienischen Reise beobachtet Goethe die verschiedenen Kunstgattungen sehr genau. Insbesondere die Baukunst, Malerei und Plastik wecken sein Interesse. Er macht sich auch damals schon Gedanken über die Farbenlehre. Während des langen Italien - Aufenthaltes vollzieht sich eine Erweiterung Goethes Kunstverständnisses. Er versucht sich immer wieder selbst in der bildenden Kunst, um den Kern der Kunst zu erkennen. Goethes Ziel ist es, zu malen, seine Augen mit neuen Eindrücken und Bildern zu füllen und innere Ruhe zu finden in dem fernen Land.
Gemälde betrachtet er mehr pflichtgemäß, um darüber zu berichten. Er bekennt selbst, dass er von der Kunst und von dem Handwerk des Malers wenig verstehe. Besonders bei Raffael wird Goethe jedoch die Bedeutung des Geschichtlichen für seine Betrachtungen bewusst. Er betrachtet die Vorgänger und Meister des Künstlers als dessen Fundamente. Raffael markiert für Goethe den Gipfelpunkt der neueren Kunstentwicklung in der Malerei. Er ist neben Palladio der einzige nachantike Künstler, der neben den griechischen Originalen für ihn bestehen kann. Es ist weniger das fertige Werk, welches Goethe fasziniert, sondern die Idee des wahren Schöpfertums. Er glaubt Raffael handelte und dachte bei der Schaffung seiner Kunstwerke in diesem Sinne. Raffaels Bildnis der St. Agatha scheint Goethe derart gelungen, dass er sich vornimmt, er werde seine Iphigenie „nichts sagen lassen, was diese Heilige nicht aussprechen möchte“[2].
Sein Hauptinteresse gilt immer wieder den Denkmälern der Antike. Goethe baut sich aus den Trümmern ein eigenes Bild auf, schmückt ein leeres Amphitheater mit Menschen aus, hilft sich mit Figuren der Mythologie und schmiedet sich oftmals in seiner Phantasie das Zeitalter der Antike so, wie er es sich in Italien erwartet hatte. Dies ist seine Art zu sehen. Kunstkennerschaft überlässt er anderen. Er orientiert sich dabei maßgeblich am Kunstgeschmack von Winkelmann und Volkmann, deren Schriften über Italien er stets bei sich trägt.[3] Außerdem wird ihm Meyer oftmals zum Führer und Berater. In Vicenza wird er zum Bewunderer Palladios und widmet sich der Architektur. Palladios Anlagen haben für Goethe „etwas Göttliches“[4]. Wie dieser das Problem löste, Mauern mit Säulen zu verbinden, beeindruckt Goethe. Palladio, der klassizierende Formen mit zeitgenössischer Architektur verband, führt Goethe zur Kunst der Antike. Doch Goethe sieht in Palladio keinen Nachahmer der Antike. In seinem Urteil über ihn sagt er, dass Palladio „weder die Alten einfach nur nachgeahmt, noch bloß erfinde“[5] ; vielmehr besitze er die „die Force des großen Dichters, der aus Wahrheit und Lüge ein Drittes bildet, dessen erborgtes Dasein uns bezaubert“[6]. Aus dieser Einschätzung Goethes spricht eine endgültige Absage an die Nachahmungsästhetik. Bei der Kunst Palladios gelingt ihm zum erstenmal die Umsetzung seiner klassizistischen Kunstanschauung, das heißt die Verbindung von persönlicher Wertschätzung des Künstlers und der objektiv kritischen Beurteilung des Werkes.
„Die Lektüre Winkelmanns überzeugte Goethe, dass die Römer in der Kunst nichts Originales geschaffen hatten und bloß unzulängliche Schüler der Griechen geblieben waren“.[7] Es stellt sich die Frage, warum Goethe das antike Griechenland in Italien sucht und nie den Versuch unternimmt selbst nach Griechenland zu reisen. Eine Antwort ist, dass die bekannten Meisterwerke der griechischen Bildhauerei sich fast alle auf italienischem Boden befanden und zwar in Neapel und auf Sizilien. Goethe kann sich den Zeugnissen der Antike widmen, ohne den weiten Seeweg nach Griechenland auf sich nehmen zu müssen. Möglicherweise schreckt er aber auch vor einer Enttäuschung seines Ideals zurück.
2.1. Kunst und Gesellschaft
Das gut erhaltene Amphitheater von Verona ist das erste bedeutende Monument der Antike auf seiner Reise. Es folgt eine subjektive Beschreibung des Betrachters, wobei die Menschen im Umgang mit dem Bauwerk an erster Stelle stehen. Goethe sieht im Amphitheater ein ideales Publikum vor sich. Das Theater wirkt - nach Goethe - nur wenn es gefüllt ist. Die Lebendigkeit der Menschen trägt in seinen Augen wesentlich zur Wirkung des Bauwerkes bei. Ähnliches beobachtet er auch in Venedig. Das Mitspiel der Zuschauer und ihre Beteiligung an einem Theaterstück bekräftigen ihn in der Annahme, dass die Zuschauer einen wesentlichen Teil des Stückes selbst ausmachen. In seinen zahlreichen Beschreibungen der Gesellschaft und des Volkes Italiens lässt sich erkennen, dass Goethes Menschenbild seinen Ursprung in der Natur hat. Goethe studiert das italienische Volk und hofft in ihm das Volk der homerischen Gedichte, das Urvolk wiederzufinden. Zum Menschen gehört auch die Kunst.
Sowohl Goethes Menschenbild, als auch seine Kunstanschauung finden ihren Ursprung in der Natur. Er begreift die Kunst und die Geschichte, die Gesellschaft und das Volk Italiens als naturhafte Erscheinungen.
[...]
[1] Goethe, Johann Wolfgang: Italienische Reise. S. 105
[2] Goethe, Johann Wolfgang: S. 107
[3] Es handelte sich hierbei um Winkelmanns „Geschichte der Kunst des Altertums“ und Volkmanns „Historisch - kritische Nachrichten“
[4] Goethe, Johann Wolfgang: S. 53
[5] Goethe, Johann Wolfgang: S. 53
[6] Goethe, Johann Wolfgang: S. 53
[7] Althaus, Horst: Ästhetik, Ökonomie und Gesellschaft. S. 150
- Quote paper
- Lenka Tucek (Author), 2002, Goethes Kunsterlebnis auf der Italienischen Reise, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20052
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