Als eine aufgebrachte Schar von Protestanten am 23. Mai 1618 die Statthalter Jaroslav Martinitz und Wilhelm Slavata aus dem Fenster des Audienzsaales der königlichen Burg zu Prag stieß, hatte wohl keiner der Anwesenden damit gerechnet, einen Konflikt loszutreten, der heute gemeinhin als dreißigjähriger Krieg bezeichnet wird. Wie kam es jedoch zu dem folgenschweren Prager Fenstersturz? Welche vorangegangenen Ereignisse wogen so schwer, dass sie die protestantischen Ständevertreter zu solch einer Tat bewegten? Antworten scheint hierfür einer der Betroffenen, der Statthalter Martinitz selbst, bereit zu halten. Dieser verfasste einen Bericht, der en detail den Vorfall im Prager Schloss darstellt. Es wäre jedoch schlichtweg nicht wissenschaftlich, diesem Schreiben unkritisch Glauben zu schenken. Es bedarf einer eingehenden Analyse dessen, da vom kaisertreuen Stadthalter kaum zu erwarten ist, er habe eine objektive und sachliche Position vertreten.
Die folgende Arbeit wird sich auf der Grundlage des Berichtes von Martinitz eingehend mit der Frage auseinandersetzen, was die Ständevertreter veranlasste, ihren Protest in solch drastischer Weise zu äußern. Hierbei muss von vornherein differenziert werden zwischen den Antworten des Statthalters auf diese Frage und anderen möglichen Gründen, die eventuell viel gewichtiger waren. Ein intensiver Blick auf Zwischenfälle und angebliche Benachteiligungen der Protestanten zu dieser Zeit vermag hier hilfreich zu sein. Ein großer Konfliktherd bildete die Frage, wo nicht-katholische Kirchen neu erbaut werden durften, und wo nicht. Da sich die Protestanten in dieser Frage immer wieder auf den 1609 von Kaiser Rudolf II. ausgestellten Majestätsbrief beriefen und dieser im Bezug auf den Fenstersturz eine große Wichtigkeit zu haben scheint, muss eine Beschäftigung mit diesem Dokument ebenfalls Bestandteil der Arbeit sein.
INHALTSVERZEICHNIS
1 Hinführung zum Thema
2 Welche Gründe beschreibt der Stadthalter Jaroslav Martinitz als Ursache für den protestantischen Aufruhr und den anschließenden Fenstersturz?
3 Der Majestätsbrief und das Problem seiner Auslegung
3.1 Ausstellung und Bestätigung durch Rudolf II., Matthias und Ferdinand
3.2 Der Konflikt um den rechtlichen Status von Kirchen am Beispiel von Braunau und Klostergrab
4 Die religiöse und politische Zurückdrängung der Protestanten.
5 Fazit
6 Quellen- und Literaturverzeichnis
1 Hinführung zum Thema
Als eine aufgebrachte Schar von Protestanten am 23. Mai 1618 die Statthalter Jaroslav Martinitz und Wilhelm Slavata aus dem Fenster des Audienzsaales der königlichen Burg zu Prag stieß, hatte wohl keiner der Anwesenden damit gerechnet, einen Konflikt loszutreten, der heute gemeinhin als dreißigjähriger Krieg bezeichnet wird. Wie kam es jedoch zu dem folgenschweren Prager Fenstersturz? Welche vorangegangenen Ereignisse wogen so schwer, dass sie die protestantischen Ständevertreter zu solch einer Tat bewegten? Antworten scheint hierfür einer der Betroffenen, der Statthalter Martinitz selbst, bereit zu halten. Dieser verfasste einen Bericht, der en detail den Vorfall im Prager Schloss darstellt. Es wäre jedoch schlichtweg nicht wissenschaftlich, diesem Schreiben unkritisch Glauben zu schenken. Es bedarf einer eingehenden Analyse dessen, da vom kaisertreuen Stadthalter kaum zu erwarten ist, er habe eine objektive und sachliche Position vertreten.
Die folgende Arbeit wird sich auf der Grundlage des Berichtes von Martinitz eingehend mit der Frage auseinandersetzen, was die Ständevertreter veranlasste, ihren Protest in solch drastischer Weise zu äußern. Hierbei muss von vornherein differenziert werden zwischen den Antworten des Statthalters auf diese Frage und anderen möglichen Gründen, die eventuell viel gewichtiger waren. Ein intensiver Blick auf Zwischenfälle und angebliche Benachteiligungen der Protestanten zu dieser Zeit vermag hier hilfreich zu sein. Ein großer Konfliktherd bildete die Frage, wo nicht-katholische Kirchen neu erbaut werden durften, und wo nicht. Da sich die Protestanten in dieser Frage immer wieder auf den 1609 von Kaiser Rudolf II. ausgestellten Majestätsbrief beriefen und dieser im Bezug auf den Fenstersturz eine große Wichtigkeit zu haben scheint, muss eine Beschäftigung mit diesem Dokument ebenfalls Bestandteil der Arbeit sein.
Neben dem Bericht des Statthalters und dem Majestätsbrief, der in einem Atemzug mit dem zwischen Katholiken und Utraquisten geschlossenen Vergleich zu nennen ist, wird zur Beantwortung der Leitfrage auch Fachliteratur herangezogen. Hierbei besonders zu nennen sind die Werke des Historikers Anton Gindely „Geschichte des Böhmischen Aufstandes von 1618“ sowie „Der böhmische Aufstand und seine Bestrafung 1618 bis 1621“, in denen die Zeit vor dem 23. Mai 1618 so detailliert beschrieben ist wie nirgends sonst. Ebenfalls sehr hilfreich erwies sich Geoffrey Parkers „Der dreissigjährige Krieg“, wo anschaulich die Zurückdrängung der Protestanten aus dem öffentlichen Leben dargestellt wird. An dieser Stelle zu nennen ist ebenso die Abhandlung über „Die böhmischen Länder von 1471-1740“ von Karl Richter, dem mit seinem Werk nicht nur eine facettenreiche Darstellung des böhmischen Lebens gelingt, sondern der auch den dreißigjährigen Krieg nicht nur als religiösen Konflikt präsentiert, sondern die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Differenzen der Zeit berücksichtigt.
2 Welche Gründe hatten – nach Jaroslav Martinitz – die böhmischen Ständevertreter für ihren Aufruhr und den anschließenden Fenstersturz?
Auch wenn der Autor des Berichts der Defenestration unbekannt wäre – schnell ist dem Leser klar, auf welcher Seite der Verfasser steht. Die Protestanten seien „unangemeldet, gar keck“[1] in der Kanzlei aufgetaucht, hätten die Statthalter mit Pistolen bedroht und „ihre Hand gewalttätigerweis an die oft gemelte zwei Herren[2] furiose angelanget“[3]. Martinitz selbst jedoch bezeichnet sich als „ehrlicher Herr und getreuer Diener, auch Martirer Gottes und des Kaisers unseres Königs und Herrn“[4]. Selbst die Jungfrau Maria sei auf der Seite der Stadthalter und habe diese vor Schäden durch den tiefen Sturz bewahrt[5].
Obwohl der Bericht stark tendenziös und subjektiv verfasst wurde, gibt er doch einen ersten Hinweis darauf, was die Ständevertreter in die Prager Burg trieb[6]:
„Nachdem Ihro kais. Mt Ihro Gnaden Herren Statthaltern ein scharfes Schreiben zugeschickt, […] in welchen sich auf unserer aller dreier Ständen sub utraque höchst erschröckenden Schreiben Ihro Mt allbereits uns alle des Leibs und der Ehre verlustig erklären. […] Weilen aber kundbar, daß solches Schreiben auf etlicher unserer Religions-Feinde Beratschlagung beschehen, als wollen wir wissen und die anwesenden Herren Statthaltere befragt haben, ob sie, oder etliche aus ihnen, von gemeltem Schreiben gewußt, dazu geraten und dasselbig approbirt hätten.“
Die Frage nach dem Urheber[7] des Schweren Briefes[8], in dem Matthias die böhmischen Protestanten scharf zurückweist, mag sicher ein Grund gewesen sein, weshalb die Ständevertreter so zahlreich und aufgebracht am Morgen in die Kanzlei kamen. Damit jedoch den Akt des Fenstersturzes erklären zu wollen, vermag nicht zu überzeugen. Mag man Martinitz in seinem Bericht Glauben schenken, dann wurde diese Frage ausreichend beantwortet. Trotzdem schwand nicht der Ärger auf die Statthalter, sondern stieg im Verlauf der Auseinandersetzung auf der Prager Burg weiter an. Was also brachte die Protestanten dazu, Martinitz und Slawata nicht zu glauben? Die Antwort liest sich nicht nur zwischen den Zeilen des Berichts: „Ihr [die Stadthalter Slawata und Martinitz J.B.] seind eben dieselbe unsere und unserer Religion Feinde, welche uns um den Majestätsbrief habet bringen wollen“[9]. Doch nicht nur die anwesenden königlichen Vertreter werden beschuldigt, auch Matthias als König von Böhmen gerät wegen seinem aggressiven Antwortschreiben in die Kritik der Ständevertreter[10].
Die Wortwahl des Schweren Briefs mag wohl den Ausschlag gegeben haben, dass die Protestanten derart erbost auf die Prager Burg kamen. Doch der eigentliche Grund war ein anderer – der angebliche Verstoß der Statthalter sowie Matthias gegen den Majestätsbrief. Deutlich wird dies bei weiteren Anschuldigungen gegen die Statthalter. Sie hätten ihre „Untertanen, […] die sub utraque gewesen, sehr geplagt und zu eurer Religion [die der Stadthalter J.B.] wieder ihrer Willen gezwungen“[11] und so „uns [die protestantischen Ständevertreter J.B.] um den Majestätsbrief habet bringen wollen“[12]. Der Protest richtete sich auch deshalb gegen die Stadthalter Slavata und Martinitz, da sich diese bereits im Jahr 1609 gegen den Majestätsbrief ausgesprochen hatten[13]. Auch mit persönlichen Anschuldigungen gegen die Statthalter wurde am 23. Mai 1618 in der Prager Burg nicht gespart. „So hat man auch den unsrigen frommen ehrlichen Herrn Graf Thurn das Burggrafenamt zu Carlstein genohmen und ihn um die Nutzung desselbigen Guts gebracht“[14]. Zwar wurde Thurn gleichzeitig zum Obersthoflehenrichter befördert, was in der Hierarchie des böhmischen Kronbeamtentums höher stand als der Burggraf von Karlstein, doch war gleichzeitig das Einkommen immens verringert[15]. Eine feindliche Stimmung verbreitete Wilhelm von Lobkowitz, als er daran erinnerte, dass bei der Krönung Ferdinand's II. zum König von Böhmen die Privilegien an die Protestanten nur in der allgemeinen Klausel, nicht jedoch alle Rechte im Speziellen gewährt werden sollten[16]
[...]
[1] martinitz, Jaroslav Boritas, Die Schilderung des Prager Fensterstutzes am 23. Mai 1618, in: Koči, Josef; Polišenský, Josef; Čechová, Gabriela (Hauptred.); Toegel, Miroslav u.a. (Hrsg.), Documenta Bohemica Bellum Tricennale Illustrantia. Tomus II. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Der Kampf um Böhmen. Quellen zur Geschichte des Böhmischen Krieges (1618-1621), Prag 1972, S. 42-49, hier S. 42.
[2] Gemeint sind die beiden Stadthalter Jaroslav Martinitz und Wilhelm Slavata.
[3] Martinitz, Prager Fenstersturz, S. 48.
[4] Martinitz, Prager Fenstersturz, S. 46.
[5] Martinitz, Prager Fenstersturz, S. 49.
[6] Martinitz, Prager Fenstersturz, S. 42f legt folgende Sätze Paul von Rziczan in den Mund, einem der protestantischen Ständevertreter.
[7] Was zu dem Zeitpunkt den protestantischen Ständevertretern nicht bekannt war: Der eigentliche Verfasser des Schweren Briefes waren weder die Stadthalter, noch Matthias. Geschrieben hatte die Antwort auf die Beschwerde der Protestanten der Minister des Kaisers Melchior Klesl, der nicht wollte, dass der Kaiser wie ein „Fuchs auftrete, sondern vielmehr wie ein Löwe“. Vgl. gindely, Anton, Geschichte des dreißigjährigen Krieges in drei Abteilungen. Band 1. Der böhmische Aufstand und seine Bestrafung 1618 bis 1621, Leipzig 1882, S. 32.
[8] Die hier als Schwerer Brief oder auch Schweres Schreiben bezeichnete Mitteilung war die Antwort Matthias', dem König von Böhmen, an die protestantischen Ständevertreter. Letztere hatten nach ihrem für den 5. März 1618 einberufenen Protestantentag ein Schreiben an Matthias aufgesetzt, in dem sie sich über die Situation der Nicht-Katholiken in Böhmen beschwerten. Das Antwortschreiben, eben dieser Schwere Brief, verbot jedoch im strengen Ton die bereits geplante Einberufung des zweiten Protestantentages und drohte dessen Urhebern mit einem Prozess. Vgl. gindely, Der böhmische Aufstand und seine Bestrafung, S. 30f.
[9] Martinitz, Prager Fenstersturz, S. 44.
[10] Vgl. Martinitz, Prager Fenstersturz, S. 44: „es lauft uns freilich das kais. Schreiben wider unseren Majestätsbrief“.
[11] Ebd.
[12] Ebd.
[13] Vgl. Martinitz, Prager Fenstersturz, S. 46. Dazu auch hoensch, Jörg K., Geschichte Böhmens. Von der slavischen Landnahme bis zur Gegenwart, 3. aktualisierte und ergänzte Auflage, München 1997, S. 206, der die zurückhaltende Position der Stadthalter Martinitz und Slavata bereits 1609 bei der Ausstellung des Majestätsbriefes beschreibt. Diese wollten Rudolf II. zurückhalten und erst auf eine Erlaubnis des Papstes warten, bevor die religiösen Rechte den Protestanten gewährt werden. Auch als Ferdinand II. in Böhmen an die Macht kam, versuchten Martinitz und Slavata den neuen König davon abzuhalten, den Majestätsbrief zu bestätigen. Vgl. wedgwood, Cicely V., Der 30jährige Krieg, München, 1965, S. 69. Möglicherweise hatten dies Thurn und seine Mitstreiter am Tag des Fenstersturzes noch im Gedächtnis.
[14] Martinitz, Prager Fenstersturz, S. 45.
[15] Als Burggraf von Karlstein erhielt Thurn ein Jahreseinkommen von 8000 Talern, als Obersthoflehenrichter lediglich 400 Taler im Jahr, was den zwanzigsten Teil seines Ursprungseinkommens darstellte. Vgl. franzl, Johann, Ferdinand II.. Kaiser im Zwiespalt der Zeit, Graz, Wien, Köln 1978, S. 168.
[16] Vgl. Martinitz, Prager Fenstersturz, S. 45. Dazu auch gindely, Anton, Geschichte des dreißigjährigen Krieges. Erste Abtheilung. Geschichte des Böhmischen Aufstandes von 1618. Erster Band, Prag 1869, S. 286.
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.