Ein wesentliches Kriterium, auf das sich die Fluglärm-Gegner im Rhein-Main-Gebiet stützen, sind die gesundheitlichen Auswirkungen von Fluglärm. Sie führen an, dass Fluglärm u.a. zu Bluthochdruck, Herzinfarkten, Schlaganfällen und Stressreaktionen führt. Die hier vorliegende, grob orientierende Gesundheitsfolgenabschätzung soll die möglichen Auswirkungen von Fluglärm im der Einflugschneise des Flughafens Frankfurt/Main im Hinblick auf das Herzinfarktrisiko der dort lebenden Bevölkerung beurteilen. Hiernach waren im Jahr 2007 im Definitionsgebiet zwischen 6 und 27 von insgesamt 1.037 Herzinfarkten auf Tagesfluglärm in Höhe von LDEN > 55 – 60 dB(A) und zwischen 3 und 12 von insgesamt 1.037 Herzinfarkten auf Tagesfluglärm in Höhe von LDEN > 60 – 65 dB(A) zurückzuführen. Um die Zahl der im Text genannten Unsicherheiten/Annahmen in Zukunft zu senken, wäre es sinnvoll, weltweit weitere epidemiologische Studien durchzuführen, die den vermuteten Zusammengang zwischen Fluglärm und Herzinfarkt-Risiko untersuchen.
I. Einführung
1. Szenario
Seit Monaten demonstrieren tausende Fluglärm-Gegner in regelmäßigen Abständen im Rhein-Main-Gebiet gegen den Ausbau des Flughafens Frankfurt/Main, insbesondere gegen die umstrittene neue Landebahn (Nordwest-Bahn) sowie die Genehmigung von Nachtflügen durch die hessische Landesregierung. Nun untersagte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 04.04.2012 die vom Land Hessen genehmigte Regelung von Nachtflügen (Az: BVerwG 4 C 8.09)[1]. Danach sollten ursprünglich durchschnittlich 17 Starts und Landungen pro Nacht zwischen 23 und fünf Uhr erlaubt sein. Nach dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil werden nun zwischen 23 und fünf Uhr grundsätzlich keine Starts und Landungen mehr möglich sein. Der Flughafenausbau mit der neuen, vierten Landebahn wurde jedoch für zulässig erklärt.
Ein wesentliches Kriterium, auf das sich die Fluglärm-Gegner[2] im Rhein-Main-Gebiet stützen, sind die gesundheitlichen Auswirkungen von Fluglärm. Sie führen an, dass Fluglärm u.a. zu Gehörschäden, Schlafstörungen, Bluthochdruck, Herzinfarkten, Schlaganfällen und Stressreaktionen sowie zu Lernstörungen bei Kindern führt. Aus diesem Grund wurde von der Gemeinnützigen Umwelthaus GmbH (UNH) in Kelsterbach die Lärmwirkungsstudie NORAH („ No ise- R elated A nnoyance, Cognition, and H ealth“ in Auftrag gegeben. Ihr Ziel ist es, eine möglichst repräsentative und wissenschaftlich abgesicherte Beschreibung der Auswirkungen des Lärms vom Flug-, Schienen- und Straßenverkehr im Rhein-Main-Gebiet auf die Gesundheit und Lebensqualität der betroffenen Wohnbevölkerung zu erhalten. Über zwei Teilprojekte (Sekundärdatenanalyse und Fall-Kontroll-Studie) sollen die Krankheitsrisiken für Fluglärm sowie für Straßen- und Schienenlärm ermittelt werden.
Vor dem Start der aufwändigen Fall-Kontroll-Studie soll nun zuerst eine Gesundheitsfolgen-abschätzung im Hinblick auf das Herzinfarktrisiko als Folge von Fluglärm durchgeführt werden.
Das Instrument der Gesundheitsfolgenabschätzung beurteilt die möglichen Auswirkungen einer Maßnahme auf die Gesundheit einer Bevölkerung. Ihr Ziel ist es, Lösungen vorzuschlagen, mit deren Hilfe die Risiken für die Bevölkerung minimiert und Chancen maximiert werden können[3].
- Definitionen
(1) Als Myokard- oder Herzinfarkt werden alle akuten, lebensbedrohlichen Ereignisse aufgrund einer Durchblutungsstörung von Teilen des Herzmuskels bezeichnet [ICD-10 (WHO Version 2011): I21 und I22].
(2) Bei der Messung von Lärmpegel n wird üblicherweise nicht nur die mit einem Messgerät registrierte Schalldruckschwankung (Schallpegel Lp), sondern auch die unterschiedliche Empfindlichkeit des menschlichen Ohres bei verschiedenen Frequenzen [in dB(A)] sowie auch die Dauer der Beschallung berücksichtigt. Bei zeitlich schwankenden Schalldruckpegeln wird ein Mittelwert gebildet (Mittelungspegel LAeq). Bei der Messung des Fluglärms spielen zeitlich gewichtete Lärmindikatoren wie der LDN oder der LDEN eine Rolle. Die Abkürzung DN steht für eine Tag-Nacht-Gewichtung (D ay- N ight), bei der nächtlicher Lärm (22.00 − 6.00 Uhr oder 23.00 – 7.00 Uhr) einen Zuschlag von 10 dB erhält. Bei DEN (D ay- E vening- N ight) erhält abendlicher Lärm (18.00 – 22.00 Uhr oder 19.00 – 23.00 Uhr) noch einen Zuschlag von 5 dB.[4]
- Bestimmung der maßgeblichen Exposition
Die Messung der Lärm-Exposition erfolgt zum einen durch den Lärmindikator LDEN ( ≈ Lday,16h) der den Umgebungslärm in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr wiedergibt, und zum anderen durch den Lärmindikator LNight, der den Verkehrslärm in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr wiedergibt.
In den meisten in der Meta-Analyse von Babisch (2008)[5] enthaltenen Umgebungslärm-Studien sind jedoch keine Informationen zum Lärmindikator LNight erhalten. Die Messzeiträume, die dort in den Tageswert Lday,16h mit eingeflossen sind, variieren etwas in den verschiedenen Studien. Im Durchschnitt sind die LDEN-Werte jedoch nur um etwa 2 dB(A) höher als die LDay,16h –Werte, sodass dieser Unterschied hier vernachlässigt werden kann.
- Bestimmung der Schwelle, ab der Effekte quantifiziert werden sollen
Die bisher zum Thema vorhandenen epidemiologischen Studien[6] konnten zeigen, dass eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Verkehrslärmbelastung und Infarktrisiko besteht. Ab einem Wert von 55 dB(A) steigt das Risiko an, einen Herzinfarkt zu erleiden. Die Schwelle, ab der der Effekt (Myokardinfarkt) quantifiziert werden soll, liegt also bei 55 dB(A).
- Bezugszeitpunkt und Bezugspopulation
Die folgenden Berechnungen beziehen sich auf das Jahr 2007. Die zu dieser Zeit im Auftrag des Hessischen Landesamtes für Umwelt und Geologie (HLUG) durchgeführte Lärmkartierung gibt die Zahlen der von Fluglärm belasteten Menschen im Einflugbereich des Flughafens Frankfurt/Main (Fläche von ca. 451 km2) an, in denen Fluglärmwerte von LDEN = 55 dB(A) und LNight = 45 dB(A) überschritten wurden[7]. Nach dem Bau der vierten Landebahn (Nordwest-Bahn), die im Jahr 2011 in Betrieb genommen wurde, dürfte sich die Zahl der betroffenen Menschen deutlich erhöht haben, da sich dadurch auch die Einflugschneisen geändert haben. Hierzu gibt es jedoch noch keine offiziellen Messdaten.
Nach Angaben des HLUG lebten 2007 in dem berechneten Einfluggebiet des Flughafens Frankfurt/Main ca . 349.000 Einwohner. In diesem Bereich lagen 214 Schulen bzw. Schulgebäude und 133 Krankenhausgebäude.
2. Exposition
Nach Angaben des HLUG waren im Jahr 2007 im Berechnungsgebiet täglich 194.000 Menschen LDEN-Werten zwischen 55 und 60 dB(A) ausgesetzt, 44.700 Menschen waren LDEN-Werten zwischen 60 und 65 dB(A) ausgesetzt. Von nächtlichem Fluglärm LNight-Werten zwischen 50 und 55 dB(A) waren 103.000 Menschen betroffen, LNight-Werte zwischen 55 und 60 dB(A) belasteten 4.500 Menschen (s. Tab. 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1 Geschätzte Zahl der von Umgebungslärm belasteten Menschen auf alle Gebäudefassaden verteilt (nach VBEB) – Fluglärm Frankfurter Flughafen (auf die nächste Hunderterstelle gerundet)
- modifiziert nach Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie (HLUG); http://www.hlug.de → Lärm → Umgebungslärm → Lärmkartierung 2007→ Flughafen Frankfurt
Die am Tag von Fluglärm betroffenen Menschen leben in den in Abb. 1 organe [>55 dB(A) – 60 dB(A)] bis blau [> 75 dB(A)] gefärbten Bereichen der Lärmkarte für Tagespegel.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Lärmkarte für den Tagespegel (Fluglärm LDEN) im Einflugbereich des Flughafens Frankfurt/Main
- http://www.hlug.de/fileadmin/img_content/laerm/laermkartierung/Plot_Fraport_Lden.jpg
Die entsprechende Lärmkarte für Nachtpegel zeigt Abb. 2. Die in der Nacht von Fluglärm betroffenen Menschen leben in den braun [>50 dB(A) – 55 dB(A)] bis blau [> 75 dB(A)] gefärbten Bereichen der Lärmkarte für Tagespegel.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 Lärmkarte für den Nachtpegel (Fluglärm LNight) im Einflugbereich des Flughafens Frankfurt/Main
- http://www.hlug.de/fileadmin/img_content/laerm/laermkartierung/Plot_Fraport_Ln.jpg
Dass die Fluglärmbelastung in den benannten Gebieten heute nicht weniger geworden ist, zeigen die gegenwärtigen Messwerte, die kontinuierlich von der Flughafengesellschaft Fraport AG veröffentlicht werden (s. Abb. 3)[8].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3 Fluglärmmessungen im Einflugbereich des Flughafens Frankfurt/Main im Februar 2012 – Energie-äquivalente Dauerschallpegel
Quelle: http://apps.fraport.de/laermschutz/public?area=messung&wfAction=details&date=01.02.2012
Abbildung 4 zeigt, wie häufig der Maximalpegel von 70 dB(A) an einer bestimmten Messstation überschritten wurde. So lang z.B. der energieäqivalente Dauerschallpegel in Frankfurt-Lerchesberg im Februar 2012 am Tag bei 58 dB(A), in der Nacht bei 52 db(A). Der Maximalpegel von 70 dB(A) wurde dabei durchschnittlich am Tag 140mal und nachts 12mal überschritten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4 Fluglärmmessungen im Einflugbereich des Flughafens Frankfurt/Main im Februar 2012 – Tagesdurchschnittliche Anzahl der Maximalpegel von 70 dB(A) und mehr
Quelle: http://apps.fraport.de/laermschutz/public?area=messung&wfAction=details&date=01.02.2012Formularende
3. Gesundheitseffekte
Bei den Lärm bedingten Gesundheitseffekten unterscheidet man die Effekte auf das Gehör von den Gesundheitsfolgen, die nicht das Gehör betreffen. Zu bleibende Hörschäden kann es nicht nur dann kommen, wenn laute Geräusche kurzzeitig auf das Gehör einwirken, sondern auch durch eine Dauerschallbelastung bei niedrigeren Schallpegeln. Dies kann zu Lärm bedingtem Hörverlust führen, der oftmals von Ohrgeräuschen (Tinnitus) begleitet ist. Gesundheitsfolgen, die nicht das Gehör betreffen, sind ein Gefühl der Belästigung durch Lärm. Hier zeigen Meta-Analysen verschiedener internationaler Studien, dass Fluglärm bei gleichem Dauerschallpegel noch stärker belästigt als Straßen- oder Schienenverkehrslärm[9]. Die Guidelines for community noise der WHO[10] empfehlen, dass Tages-Immissionspegel von 55 dB(A) nicht überschritten werden. Lärm führt darüber hinaus aber auch zu messbaren Schlafstörungen (sog. Arousal-Reaktionen im EEG, Änderungen der Schlafstadien, Körperbewegungen sowie physiologische Reaktionen wie Blutdruck- und Herzfrequenzänderungen). Er verlängert die Einschlafzeiten, verkürzt die Gesamtschlafenszeiten und führt zu einer schlechteren Schlafqualität. Nach den Night Noise Guidelines for Europe der WHO[11] kann schon nächtlicher Außenlärm (LNight) mit Mittelungspegeln ab 30 dB(A) bei empfindlichen Menschen zu biologischen Auswirkungen (Blutdruck- und Herzfrequenzänderungen, Aufwachreaktionen) führen. Ab 55 dB(A) fühlt sich ein Großteil der Bevölkerung stark belästigt. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (s.u.) steigt an. Die nächtliche Lärmbelastung außerhalb von Wohnungen (LNight) soll daher 40 dB(A) nicht überschreiten.[12]. Eine dauerhafte Lärmexposition am Wohnort führt bei Kindern darüber hinaus zu einer Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit sowie der Schulleistungen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Kinder Fluglärm ausgesetzt sind[13]. Sowohl akute Lärmereignisse wie auch eine dauerhafte Lärmbelastung führen zu einer Erhöhung des Blutdrucks. Dies ist insbesondere für nächtlichen Lärm nachgewiesen. Dauerlärmbelastung ab 60 dB(A) erhöht das Risiko, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden. Mit der Erhöhung der Lärmbelastung scheint das Risiko exponentiell anzusteigen[14]. Der Effekte auf das kardiovaskuläre System kommt dadurch zustande, dass Lärm als psychosozialer Stressor auf das sympathische Nervensystem und das Hormonsystem einwirkt. Abb. 5 zeigt in einer Pyramide das Ausmaß der Gesundheitseffekte durch Lärm im Verhältnis zur Zahl der betroffenen Personen.
[...]
[1] Der Ausbau des Frankfurter Flughafens und das Nachtflugverbot. Rechtslupe | Verwaltungsrecht, 04.04.2012; http://www.rechtslupe.de/verwaltungsrecht/der-ausbau-des-frankfurter-flughafens-und-das-nachtflugverbot-340435
[2] BBI - Bündnis der Bürgerinitiativen. Kein Flughafenausbau - Nachtflugverbot von 22 – 6 Uhr; Worum geht’s? → Fakten + Argumente → Lärm; http://www.flughafen-bi.de
[3] Schweizer Plattform zur Gesundheitsfolgenabschätzung (GFA-Plattform) mit Unterstützung
von Gesundheitsförderung Schweiz (Hrsg.). Leitfaden für die Gesundheitsfolgenabschätzung in der Schweiz; http://www.impactsante.ch/de/spip/article.php3?id_article=99
[4] Röösli M, Babisch W. Lärm. In: Egger M, Razum O, Hrsg. Public Health - Sozial- und Präventivmedizin Kompakt, Kap. 5 Umwelt. Berlin: De Gruyter (im Druck)
[5] Babisch W. Road traffic noise and cardiovascular risk. Noise & Health 2008; 10: 38: 27-33
[6] Babisch W. s. FN. 5
Huss A, Spoerri A, Egger M, Röösli M, for the Swiss National Cohort Study Group. Aircraft Noise, Air Pollution, and Mortality From Myocardial Infarction. Epidemiology 2010; 21(6): 829-836
vgl. auch: WHO Europe. Burden of Disease from environmental noise. Quantification of healthy life years lost in Europe; http://www.euro.who.int/en/what-we-publish/abstracts/burden-of-disease-from-environmental-noise.-quantification-of-healthy-life-years-lost-in-europe
[7] Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie (HLUG); http://www.hlug.de → Lärm → Umgebungslärm → Lärmkartierung 2007→ Flughafen Frankfurt
[8] Fraport AG. Fluglärmmessung; http://apps.fraport.de/laermschutz/public?area=messung
[9] Babisch W. Quantifizierung des Einflusses von Lärm auf Lebensqualität und Gesundheit. UMID 2011, 1:28-36; http://www.umweltbundesamt.de/umid/archiv/umid_11_04_01_sonderdruck_laerm.pdf
[10] WHO. Guidelines for community noise. Geneva: World Health Organization, 1999; http://www.who.int/docstore/peh/noise/guidelines2.html
[11] WHO Regional Office for Europe. Night noise guidelines for Europe. Copenhagen, WHO Regional Office for Europe, 2009; http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0017/43316/E92845.pdf
[12] s. FN 4
[13] Stansfeld SA, Berglund B, Clark C et al., on behalf of the RANCH study team. Aircraft and road traffic noise and children’s cognition and health: a cross-national study. Lancet 2005; 365:1942-1949
[14] Babisch W. s. FN. 5
- Citation du texte
- Dr. Lotte Habermann-Horstmeier (Auteur), 2012, Gesundheitsfolgenabschätzung: Myokardinfarkte durch Fluglärm in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199793
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