Auszug aus dem Interpretationstext:
In der ersten Strophe sind die oberen Regionen Zeus zugeordnet: Wolken, Bergeshöhn und die Wipfel der Eichen. Damit sind typische Machtbereiche von Zeus benannt: Er ist der Wolkensammler und kann die Eichen mit seinem Blitz treffen. Zweimal steht das Verb am Beginn („Bedecke“ und „Musst“, V. 1 und 6), was die Provokation des Prometheus gegenüber Zeus unmittelbar aufzeigt. Zeus wird verspottet: Das Kompositum „Wolckendunst“ lässt seine Macht schwächlich erscheinen, vergleicht man es mit der sonst in Gedichten (wie etwa Klopstocks „Die Frühlingsfeier“) häufig beschriebenen Bedrohung durch schwarze Gewitterwolken, Donner und Blitz. Den Spott verstärkend wird Zeus mit einem Knaben verglichen („Knabengleich“, V. 3), der zu Übungszwecken mit leichten Schwerthieben Disteln köpft. Zeus kann anscheinend nur da mächtig wirken, wo ihm kein starker Widerstand entgegentritt. Mit dem höhnischen Hinweis „Übe […] dich“ wird der Herr-scher der Götter doppelt infantilisiert. Seine drohende Gewalt bleibt ein hilfloser Versuch. In den Versen 3 bis 5 verschwindet der angeredete Zeus durch das Auseinanderreißen von „Übe“ und „dich“ zwischen Eichen und Bergeshöhn. In den Zeilen 6 und 7 fehlt das Personalpronomen „Du“. Zeus erscheint deshalb auch auf syntaktischer Ebene machtlos und unwichtig.
Durch die Verkürzung zahlreicher Worte entsteht eine intensivierende, geradezu rücksichtslos insistierende Wirkung („Musst“ statt „Du musst“, „stehn“ statt „stehen“). Komposita wie „Wolckendunst“, „Knabengleich“ und „Bergeshöhn“ bedeuten ebenfalls eine Verdichtung. Aus Dreisilbern werden Zweisilber, aus Zweisilbern Einsilber, wodurch sich die schlagende Wucht der Sprache verstärkt.
In der zweiten Strophe wird der freie Rhythmus genutzt, um in kurzen Zeilen triumphierende Ausrufe hervorzustoßen und starke Erregung anzuzeigen. Die Erde, die Hütte, der Herd sind das Reich des Prometheus. Hütte und Herd sieht das Sprecher-Ich als sein Werk an, über das Zeus keine Macht hat. Die Alliteration auf ‚m’ („Musst mir meine Erde […] meine Hütte […] meinen Heerd […] mich beneidest“, V. 6, 8, 10, 12), die die erste mit der zweiten Strophe verbindet, unterstreicht zum einen die Bedeutung des Prometheus-Ich, zum anderen das Insistieren auf den Besitz (Possessivpronomen) eines eigenen Machtbereichs.
Form
Die Zeilenzahl der einzelnen Strophen ist ungleich verteilt, ebenso unterschiedlich ist die Länge der einzelnen Verse. Das Gedicht ist reimlos. Das sich mächtig äußernde Gefühl wird nicht dem Korsett einer festen Metrik unterworfen. Das Metrum wechselt fast von Zeile zu Zeile.[1] Der freie Rhythmus ist kennzeichnend für die Gedichtform Hymne, die auch als pindarische Ode bezeichnet wird (obwohl pindarische Oden tatsächlich rhythmisch gebunden sind). Im Sturm und Drang waren neben der Regelfreiheit der erhabene Ton und hoher Stil die Kennzeichen der Hymne.[2]
Traditionell beinhaltet eine Hymne den lobenden Anruf eines Adressaten (einer Gottheit, eines Orts, eines Gefühls). Der Gegenstand des Gedichts ruft eine leidenschaftliche Bewegung hervor, beinhaltet aber auch eine reflexive Haltung.[3] Adressat ist in der vorliegenden Hymne zunächst Zeus, dann die gesamte Götterwelt, welche allerdings nicht belobigt, sondern mit Verachtung und Spott überschüttet werden. Goethe benutzt somit eine Strategie der Umkehrung der Traditionen.[4]
Der freie Rhythmus erlaubt eine freie Verfügung über die Wortstellung. Dies hat zur Folge, dass besonders gefühlsbeladene Worte an exponierter Position platziert werden und damit maximale Wirkung entfalten können. Zudem erhält das Gedicht durch freie Rhythmen den Charakter des Mündlichen.[5]
Gliederung
In den ersten drei Strophen wird eine starke Verachtung erst gegenüber Zeus und dann gegenüber allen Göttern ausgedrückt. Diese Verachtung wird durch eigene Erfahrungen begründet.
Die vierte und fünfte Strophe bestehen aus Erinnerungen des Sprechenden an seine Kindheit. Sie sind durch einen Tempuswechsel vom Präsens zum Präteritum als neuer Abschnitt markiert. Zudem beschäftigt sich das Sprecher-Ich nun mit sich selbst und redet die Götter nicht mehr direkt an. Früher glaubte das Sprecher-Ich zunächst an die Hilfsbereitschaft der Götter, entdeckte dies aber als Täuschung.
In der sechsten und siebten Strophe wird dargestellt, wie der Sprecher auf die Täuschung reagiert. Am Anfang der sechsten Strophe steht die Rückkehr zur direkten Anrede des Zeus. Auf der Ebene des Tempus steht am Beginn das Präsens, dann findet ein Wechsel zum Perfekt und zum Präteritum statt. Eine Verehrung der Götter wird nun abgelehnt, ebenso aber auch ein Rückzug aus dem Leben oder Resignation.
Die Schlussstrophe ist durch die lokale Bestimmung „Hier“ abgegrenzt. Sie kehrt wieder in die Gegenwart zurück (Tempuswechsel zum Präsens) und blickt zugleich in die Zukunft, indem vom Sprecher-Ich die Bildung eines künftigen Menschengeschlechts angekündigt wird. Die Missachtung der Götter wird auf diese Weise in der Zukunft fortleben.[6]
Interpretation
Die Gemeinsamkeit des ganzen Textes ist es, dass es sich durchgehend um eine Anrede handelt.[7] Als Empfindung dominiert der Trotz. Die Hymne beinhaltet aber auch ein Gefühl des Verlassenseins und des Zurückgeworfenseins auf sich selbst, was aber letztendlich zur Selbstermächtigung des Sprecher-Ich führt. Ellipsen, Inversionen und Wortkürzungen geben dem Gedicht den Eindruck des jugendlich Stürmenden, Unbekümmerten.[8]
In den ersten beiden Strophen[9] wird Zeus lautstark angerufen und ihm zugleich durch den Imperativ ein Befehl erteilt (V. 1f.), ein erster Hinweis auf ein Sturm-und-Drang-Gedicht, das typischerweise von starkem Freiheitsverlangen geprägt ist. Hier wird die traditionelle Hierarchie umgekehrt.[10] Zudem wird eine scharfe Trennung zwischen dem Reich des Zeus – „deinen Himmel“ (V. 1) – und dem Reich des Prometheus – „meine Erde“ (V. 6) – gezogen. Der Gegensatz zwischen Zeus und Prometheus entsteht demnach nicht erst während der Ansprache, sondern besteht direkt von Anfang an. Der Leser wird unmittelbar in die Auseinandersetzung hineingezogen.
In der ersten Strophe sind die oberen Regionen Zeus zugeordnet: Wolken, Bergeshöhn und die Wipfel der Eichen. Damit sind typische Machtbereiche von Zeus benannt: Er ist der Wolkensammler und kann die Eichen mit seinem Blitz treffen. Zweimal steht das Verb am Beginn („Bedecke“ und „Musst“, V. 1 und 6), was die Provokation des Prometheus gegenüber Zeus unmittelbar aufzeigt. Zeus wird verspottet: Das Kompositum „Wolckendunst“ lässt seine Macht schwächlich erscheinen, vergleicht man es mit der sonst in Gedichten (wie etwa Klopstocks „Die Frühlingsfeier“) häufig beschriebenen Bedrohung durch schwarze Gewitterwolken, Donner und Blitz. Den Spott verstärkend wird Zeus mit einem Knaben verglichen („Knabengleich“, V. 3), der zu Übungszwecken mit leichten Schwerthieben Disteln köpft. Zeus kann anscheinend nur da mächtig wirken, wo ihm kein starker Widerstand entgegentritt.[11] Mit dem höhnischen Hinweis „Übe […] dich“ wird der Herrscher der Götter doppelt infantilisiert. Seine drohende Gewalt bleibt ein hilfloser Versuch. In den Versen 3 bis 5 verschwindet der angeredete Zeus durch das Auseinanderreißen von „Übe“ und „dich“ zwischen Eichen und Bergeshöhn. In den Zeilen 6 und 7 fehlt das Personalpronomen „Du“.[12] Zeus erscheint deshalb auch auf syntaktischer Ebene machtlos und unwichtig.
Durch die Verkürzung zahlreicher Worte entsteht eine intensivierende, geradezu rücksichtslos insistierende Wirkung („Musst“ statt „Du musst“, „stehn“ statt „stehen“). Komposita wie „Wolckendunst“, „Knabengleich“ und „Bergeshöhn“ bedeuten ebenfalls eine Verdichtung. Aus Dreisilbern werden Zweisilber, aus Zweisilbern Einsilber, wodurch sich die schlagende Wucht der Sprache verstärkt.[13] Konsonanzen mit „d“ und „m“ sowie die Assonanz mit „u“ verstärken die Verdichtung zusätzlich.
[...]
[1] Conrady, Karl Otto (1981): Johann Wolfgang von Goethe. Prometheus, in: Wiese, Benno von (Hg.): Die deutsche Lyrik. Form und Geschichte. Interpretationen vom Mittelalter bis zur Frühromantik, Düsseldorf: August Bagel Verlag, S. 214-226, hier S. 222; Sowinski, Bernhard/Schuster, Dagmar (1992): Gedichte der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang, München: Oldenbourg, S. 87.
[2] Felsner, Kristin/Helbig, Holger/Manz, Therese (2009): Arbeitsbuch Lyrik, Berlin: Akademie-Verlag, S. 109f., 224. Aufgrund des Befunds eines freien Rhythmus und des unregelmäßigen Baus der Strophen könnten im Folgenden die Begriffe „Vers“ und „Strophe“ durch die Begriffe „Zeile“ und „Abschnitt“ ersetzt werden. Hierauf wird jedoch verzichtet, um die Lyrikinterpretation klar von Epik und Drama abzugrenzen, getreu der Definition: Lyrik/Gedichte sind „eine mündliche oder schriftliche Rede in Versen“. Burdorf, Dieter (21997): Einführung in die Gedichtanalyse, Stuttgart, Weimar: Metzler, S. 20.
[3] Burdorf, 21997, S. 126f. Eine Hymne kann auch ermunternd oder mahnend sein, Verachtung ist jedoch eher eine Ausnahme. Thomé, 2006, S. 428.
[4] Bosse, Anke (2009): Johann Wolfgang von Goethe: Prometheus. Von Revolte und Konkurrenzschöpfertum zur Sprachmacht, in: Enklaar, Jattie/Ester, Hans (Hg.): Schlüsselgedichte. Deutsche Lyrik durch die Jahrhunderte: Von Walther von der Vogelweide bis Paul Celan, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 38-54, hier S. 42f.
[5] Bosse, 2009, S. 42.
[6] Weimar, Klaus (21984): Prometheus, in: Ders.: Goethes Gedichte 1769-1775. Interpretationen zu einem Anfang, Paderborn u. a.: Schöningh, S. 87-94, hier S. 88f.; Thomé, 2006, S. 429f.; Sowinski/Schuster, 1992, S. 90.
[7] Weimar, 21984, S. 88.
[8] Conrady, 1981, S. 216, 222, 225.
[9] Spätere Versionen des Gedichts binden die in der hier vorliegenden Fassung getrennten ersten beiden Strophen zu einer Strophe zusammen, vgl. z. B. Sowinski/Schuster, 1992, S. 83f.
[10] Sowinski/Schuster, 1992, S. 87.
[11] Conrady, 1981, S. 222f.
[12] Bosse, 2009, S. 43.
[13] Bosse, 2009, S. 44.
- Arbeit zitieren
- Dr. Christiane Streubel (Autor:in), 2010, Johann Wolfgang Goethes Hymne "Prometheus" - Eine grundlegende Gedichtinterpretation im Detail, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199326
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