Im Rahmen eines Seminars zur Gartenstadtbewegung befaßt sich die vorliegende Arbeit mit der Wandlung der Deutschen Gartenstadtgesellschaft (DGG) von einer sozialutopischen zur praxisorientierten Bewegung. Daher ist im folgenden weniger von künstlerischen Fragen zur konkreten Ausgestaltung der deutschen Gartenstadt die Rede, als vielmehr von historisch-institutionellen Vorgängen innerhalb der deutschen Gartenstadtbewegung.
Nach einem kurzen Überblick über die Missstände im Wohnungswesen gegen Ende des 19. Jahrhunderts und den Ansätzen zu ihrer Behebung, die insbesondere aus Großbritannien kamen, wird der Blick auf die Pioniere des Gartenstadtgedankens in Deutschland gelenkt. Im Mittelpunkt der Arbeit steht dann die konfliktreiche Geschichte der Deutschen Gartenstadtgesellschaft bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Abgeschlossen wird die Darstellung mit der Rückschau auf das von den Protagonisten der Gartenstadt tatsächlich Erreichte und der Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse.
Hauptthese dieser Arbeit ist, dass die „Verwässerung“ der Gartenstadtidee notwendig und richtig gewesen war.
Inhalt
I. Einleitung
II. Hintergrund
A. Probleme des Städtebaus
B. Utopisten vs. Konservative
C. Ebenezer Howard
III. Die sozialutopische DGG
A. Gründung und Ziele
B. Adresse an Politik und Industrie
IV. Die praxisorientierte DGG
A. „Verwässerung des Vereinszieles“
B. Praktische Erfolge
V. Ergebnisse
VI. Literatur
I. Einleitung
Im Rahmen eines Seminars zur Gartenstadtbewegung befaßt sich die vorliegende Arbeit mit der Wandlung der Deutschen Gartenstadtgesellschaft (DGG) von einer sozialutopischen zur praxisorientierten Bewegung. Daher wird im folgenden weniger von künstlerischen Fragen zur konkreten Ausgestaltung der deutschen Gartenstadt die Rede sein, als vielmehr von historisch-institutionellen Vorgängen innerhalb der deutschen Gartenstadtbewegung.
Nach einem kurzen Überblick über die Mißstände im Wohnungswesen gegen Ende des 19. Jahrhunderts und den Ansätzen zu ihrer Behebung, die insbesondere aus Großbritannien kamen, soll der Blick auf die Pioniere des Gartenstadtgedankens in Deutschland gelenkt werden. Im Mittelpunkt der Arbeit steht dann die konfliktreiche Geschichte der Deutschen Gartenstadtgesellschaft bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Abgeschlossen wird die Darstellung mit der Rückschau auf das von den Protagonisten der Gartenstadt tatsächlich Erreichte und der Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse.
Hauptthese dieser Arbeit ist, daß die „Verwässerung“ der Gartenstadtidee[1] notwendig und richtig gewesen war. Der Versuch, diese Ansicht zu erhärten, geschehe nun im folgenden.
II. Hintergrund
A. Probleme des Städtebaus
Die industrielle Revolution, die wesentlich das Gesicht des 19. Jahrhunderts prägte, erschloß der Menschheit gewaltige, zuvor nicht zugängliche Energie- und Rohstoffquellen. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt erhöhte die Produktivität der Landwirtschaft enorm und ermöglichte gewaltige medizinische Erfolge vor allem bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Ein Ergebnis dieser Errungenschaften war eine bis dahin beispiellose Bevölkerungsexplosion: Lebten zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Europa etwa 187 Millionen Menschen, so waren es 100 Jahre später bereits 401 Millionen.[2] Mit der Schaffung von entsprechend viel Wohnraum waren die Städte – zumal in der sogenannten liberalen Phase des Städtebaus[3] – überfordert. Wie wild wucherten an ihren Peripherien neue Stadtteile mit nicht selten katastrophalen Wohnbedingungen. Mit einer Verspätung von einem halben Jahrhundert, in dem man Großbritanniens Umgang mit den Problemen der Urbanisierung mitverfolgen konnte, setzte auch in Deutschland die Industrialisierung ein. Hier wurde die Verstädterung früh von strengen baupolizeilichen Verordnungen begleitet und gesteuert, was unter anderem der Wohngesundheit zugute kam. Dieses war die postliberale Phase im Städtebau, in der wir uns quasi immer noch befinden.
B. Utopisten vs. Konservative
Die Ursprünge der Gartenstadtidee liegen im Utopismus des 19. Jahrhunderts. Ihren Protagonisten, wie Robert Owen, Charles Fourier oder Franz Heinrich Ziegenhagen ging es nicht nur darum, die Wohnverhältnisse der Arbeiter entscheidend zu verbessern, sondern die gesamte Gesellschaft neuzugestalten.[4] Wie später auch in Deutschland ließ sich in den wenigen frühen Experimenten in England und den USA nur die städtebauliche Idee verwirklichen, der sozialreformatorische Impetus blieb in der Regel stecken. Das Thema Wohnungsreform war auch keineswegs nur sozialistisch-progressiven Kräften vorbehalten, wie an Buckinghams Idealstadt Victoria von 1849 abzulesen ist. Sein absolutistisches Stadtmodell ist sozialhierarchisch und architektonisch klar zum Zentrum hin gegliedert, wo der Wohnturm der Regierung stehen sollte. Ganz ähnliche Vorstellungen finden sich auch in Theodor Fritschs Stadt der Zukunft wieder, wie sein Buch von 1896 heißt. In Fritschs Biographie – und erst recht in seinen zum Teil unerträglichen Publikationen[5] – wird deutlich, daß es auch völkisch-konservative Kreise gab, denen die Lösung der Wohnungsfrage, ihrer Gesinnung entsprechend, versteht sich, am Herzen lag. Fritsch wähnte, mit seinem Buch, das angeblich „in Deutschland totgeschwiegen wurde, [...] die eigentliche Grundlage der heutigen Gartenstadt-Bewegung“[6] gelegt zu haben. Und durchaus fanden seine Gedanken dort auch Erwähnung, doch wurde stets die Orientierung an der Idee Ebenezer Howards betont.
C. Ebenezer Howard
Howard sah das größte Hindernis auf dem Weg zu einer besseren Gesellschaft im Sinne der Londoner „Radicals“, die einen marktwirtschaftlichen Sozialismus propagierten und deren Veranstaltungen er besuchte, in den Großstädten. Deshalb entwarf er die Idee einer Verbindung der Vorzüge von Stadt und Land, die er Garden City nannte. In seinem 1898 erstmals veröffentlichten Werk To-morrow: A Peaceful Path to Real Reform, das 1902 unter dem bekannteren Titel Garden Cities of To-morrow wiederaufgelegt wurde,[7] stellte Howard seine neuartige Siedlungskonzeption vor, wobei er der konkreten Ausgestaltung der Gartenstadt allerdings nur ein einziges Kapitel widmete. Die Schrift behandelt ansonsten Fragen zur Machbarkeit: Bodenrecht, Organisation und Finanzierung. Privatbesitz an Boden wurde abgelehnt, das Land sollte in der Hand der kommunalen Betreibergesellschaft bleiben.
Howards Gartenstadtanlage zeichnet sich durch geometrische Strenge und Symmetrie aus: Sie ist kreisförmig und hat einen Radius von 1200 Metern. Im Zentrum befinden sich Parkanlagen und öffentliche Gebäude, die Industrie liegt am Rand, soll aber von den dazwischen wohnenden Arbeitern bequem zu Fuß zu erreichen sein. Um die Stadt herum liegt ein Grüngürtel mit Wäldern, Parks und Bauernhöfen mit ihrem Weide- und Ackerland. Die Einwohnerzahl sollte 32.000 nicht überschreiten.
Zur Umsetzung von Howards Ideen wurde am 10. Juni 1899 die Garden City Association ins Leben gerufen, die im Jahre 1903 die erste Gartenstadt Letchworth gründete.[8] 1919 folgte der Bau von Welwyn bei London, wo Ebenezer Howard 1928 starb.
Auch wenn kein gesellschaftlicher Aufbruch stattfand, konnten viele Vorstellungen von Howard verwirklicht werden. Die Gartenstädte wuchsen zwar, waren aber keine „Selbstläufer“. So blieb es nicht aus, daß sich an der Peripherie bestehender Großstädte Gartenvorstädte bildeten, z. B. Hampstead bei London. Wichtige Aspekte der original Howardschen Gartenstadt fehlten ihr, doch war sie ganz ähnlich strukturiert.[9] Aber ob Gartenstadt oder Gartenvorstadt, dem Moloch der bedrohlich wachsenden Großstadt war nun der Schrecken genommen. Zumindest für England kann man wohl sagen, daß die dortige Verwässerung der Idee der reinen Gartenstädte nicht von Schaden war. Ansonsten hätte sich die Wohnsituation in den bereits bestehenden Großstädten nicht so bald spürbar gebessert.
III. Die sozialutopische DGG
A. Gründung und Ziele
Das utopisch-sozialreformerische Gedankengut beeinflußte die deutsche Gartenstadtbewegung in ihrer Gründungsphase wesentlich stärker als die englische. Formuliert wurden solcherlei Ansichten in der literarischen Gemeinschaft um die naturalistischen Schriftsteller Wille, Bölsche und später die Brüder Heinrich und Julius Hart in Friedrichshagen bei Berlin in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Um die Jahrhundertwende riefen die Gebrüder Hart, Bernhard Kampffmeyer und andere ehemalige Friedrichshagener die Neue Gemeinschaft ins Leben: das Pilotprojekt einer revolutionären harmonischen Lebensform. Zu diesem Zwecke erwarb die Neue Gemeinschaft ein großes Haus in der idyllischen Umgebung des Schlachtensees und gab sich Satzungen zur Regelung des Alltags. Dort war unter anderem festgelegt, daß die Bewohner gewisse Verrichtungen wie Kochen und Putzen an bezahlte Hilfskräfte delegieren durften, was im Widerspruch zu der von der Neuen Gemeinschaft proklamierten Brüderlichkeit stand, woran sich ihre Mitglieder aber nicht stießen.
[...]
[1] Siehe H. Kampffmeyer, Die deutsche Gartenstadtbewegung, o. O. (Berlin) 1911, S. 6-7, zitiert nach Schollmeier 1990, S. 64.
[2] Der Brockhaus Multimedial 2001 Premium, Artikel Die bürgerliche Gesellschaft. Von der Aufklärung zur Moderne, Mannheim 2000.
[3] Diese währte nach Leonardo Benevolo (Die Geschichte der Stadt, Frankfurt und New York 61991) bis 1850 und betraf insbesondere England.
[4] Vgl. dazu Franziska Bollerey, Architekturkonzeption der utopischen Sozialisten. Alternative Planung für den gesellschaftlichen Prozeß, München 1977.
[5] 1887 veröffentlichte er unter dem Pseudonym Thomas Frey einen Catechismus für Antisemiten, der später unter seinem richtigen Namen mit dem Titel Handbuch der Judenfrage erschien und 1944 die 49. Auflage erreichte.
[6] Theodor Fritsch, Der falsche Gott, Leipzig 1921, Anhang, zitiert nach: Axel Schollmeier, Gartenstädte in Deutschland. Ihre Geschichte, städtebauliche Entwicklung und Architektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts (= Kunstgeschichte: Form und Interesse, Bd. 28), Münster 1990, S. 55.
[7] Ebenezer Howard, Gartenstädte in Sicht, ins Deutsche übertragen von Maria Wallroth Unterlip, Jena 1907.
[8] Die Ausschreibung für den Bau gewannen Barry Parker und Raymond Unwin, da sie auf die Einbeziehung der Landschaft und der schon existenten Gebäude Rücksicht nahmen.
[9] Während in Letchworth Kinder verschiedener sozialer Klassen in der Schule gemeinsam unterrichtet wurden, gab es in Hampstead allerdings noch eine Trennung.
- Citation du texte
- Julian Redlin (Auteur), 2001, Die Deutsche Gartenstadtgesellschaft und die "Verwässerung" der deutschen Gartenstadtidee, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19906
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