Am 1. Februar 1874 wird Hugo Laurenz August Hoffmann Edler von Hofmannsthal in Wien geboren. Bereits mit siebzehn veröffentlichte er, als ersten dramatischen Versuch, den Einakter „Gestern“. Nach der Begegnung mit dem deutschen Dichter Stefan George ist der Stil des jungen Hugo von Hofmannsthal zur Perfektion gereift.
Doch dann der Umbruch. Schon länger zweifelte Hofmannsthal an der Kraft der Worte. Er wandte sich schließlich ganz vom lyrischen Schreiben ab und schrieb sich nur mehr dem Theater und der Oper zu.
In dieser Zeit hat eine möglicherweise entscheidende Veränderung innerhalb der literarischen Welt stattgefunden. Die naturalistische Weltanschauung wurde vom Ästhetizismus weitläufig abgelöst und man neigte jetzt eher dazu, in einer übertrieben schönen Ausdrucksweise zu schreiben. Hugo von Hofmannsthal war ein Dichter der alten Schule und wollte sich diesem Prozess der literarischen Überfeinerung nicht hingeben.
Gegenstand dieser Arbeit soll es also sein, diese Wandlung herauszustellen und die Flucht Hofmannsthals zu analysieren. Dies geschieht am Beispiel der fiktiven Figuren Philip Lord Chandos und Niklas, einem Puppenspieler. So wurde einführend eine Zusammenfassung des „Chandos – Briefes“ gegeben und daran anschließend eine Darstellung der verschiedenen Gesichter dieser Gestalt. Weiter möchte ich die „Sprachkrise“ Hofmannsthals mit denen durch den „Chandos – Brief“ gegeben Möglichkeiten analysieren und im letzten Teil der Arbeit, mittels der Marionettenpantomime „Die grüne Flöte“, analysieren, ob die Figur „Niklas“ eine Weiterführung des „Lord Chandos“ in Bezug auf Hofmannsthals Auffassung von Sprache und Wort darstellt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Ein Brief
3. Die Maske: Lord Chandos als fiktive Gestalt
4. Die Sprachkrise bei Hugo von Hofmannsthal
4.1 Das Junge Wien – Sprachkrise zur Jahrhundertwende
4.2 Die Sprachentwicklung Hofmannsthals im Kontext der Zeit
4.3 Der Umbruch
5. Die grüne Flöte
5.1 Die Figuren
5.2 Das sprachkritische Moment
6. Schlussbemerkung
7. Literaturverzeichnis
Das Ohr ist stumm,
der Mund ist taub,
aber das Auge vernimmt und spricht
(Johann Wolfgang von Goethe)
1. Einführung
Am 1. Februar 1874 wird Hugo Laurenz August Hoffmann Edler von Hofmannsthal in Wien geboren. Bereits mit siebzehn veröffentlichte er, als ersten dramatischen Versuch, den Einakter „Gestern“. Nach der Begegnung mit dem deutschen Dichter Stefan George ist der Stil des jungen Hugo von Hofmannsthal zur Perfektion gereift.
Doch dann der Umbruch. Schon länger zweifelte Hofmannsthal an der Kraft der Worte. Er wandte sich schließlich ganz vom lyrischen Schreiben ab und schrieb sich nur mehr dem Theater und der Oper zu.
In dieser Zeit hat eine möglicherweise entscheidende Veränderung innerhalb der literarischen Welt stattgefunden. Die naturalistische Weltanschauung wurde vom Ästhetizismus weitläufig abgelöst und man neigte jetzt eher dazu, in einer übertrieben schönen Ausdrucksweise zu schreiben. Hugo von Hofmannsthal war ein Dichter der alten Schule und wollte sich diesem Prozess der literarischen Überfeinerung nicht hingeben.
Gegenstand dieser Arbeit soll es also sein, diese Wandlung herauszustellen und die Flucht Hofmannsthals zu analysieren. Dies geschieht am Beispiel der fiktiven Figuren Philip Lord Chandos und Niklas, einem Puppenspieler. So wurde einführend eine Zusammenfassung des „Chandos – Briefes“ gegeben und daran anschließend eine Darstellung der verschiedenen Gesichter dieser Gestalt. Weiter möchte ich die „Sprachkrise“ Hofmannsthals mit denen durch den „Chandos – Brief“ gegeben Möglichkeiten analysieren und im letzten Teil der Arbeit, mittels der Marionettenpantomime „Die grüne Flöte“, analysieren, ob die Figur „Niklas“ eine Weiterführung des „Lord Chandos“ in Bezug auf Hofmannsthals Auffassung von Sprache und Wort darstellt.
2. Ein Brief
Vor nunmehr 100 Jahren, am 18. und 19. Oktober 1902, veröffentliche Hugo von Hofmannsthal in der Berliner Tageszeitung „Der Tag“[1] seinen essayistischen Prosatext Ein Brief. Dieser Brief ist die Antwort der fiktiven Gestalt des Lord Chandos auf ein Schreiben Francis Bacons, nachdem Bacon die zweijährige literarische Untätigkeit des Lord Chandos beanstandet hatte. Anhand historischer und zeitgenössischer Bezüge erläutert er dieses Problem und er schließt mit dem Vorsatz, „auch im kommenden und im folgenden und in allen Jahren dieses meinen Lebens kein englisches und kein lateinisches Buch [mehr zu] schreiben“[2].
Hierbei verstrickt sich Lord Chandos in paradoxer Weise. Zum einen berichtet er von einer Sprachkrise in der er sich befindet und ihm sei „völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgendetwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen“[3]. Zum anderen drückt er sich aber in - für Hofmannsthal gewohnt - eleganter und präziser Art aus.
Nachdem Lord Chandos den Verlust, früher vorhandener Leichtigkeit im Umgang mit der Sprache beklagt hat, beschreibt er den Zustand in dem er sich befindet wie folgt: „Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnen Worte schwammen um mich; sie gerannen zu Augen, die mich anstarrten und in die ich wieder hineinstarren muß: Wirbel sind sie, in die hinabzusehen mich schwindelt, die sich unaufhaltsam drehen und durch die hindurch man ins Leere kommt.“[4]
Lord Chandos ist die Begabung verloren gegangen, Dinge im Schein des Augenblicks zu beschreiben. Die Welt erscheint ihm als großes Ganzes, in dem sich alles Sein nur durch die Gesamtheit der Möglichkeiten beschreiben lässt – also Sprache, Musik und Malerei.
Das Nachdenken über einen Weg aus der Krise ist die Reaktion auf das vorangegangene Schwelgen in der Vergangenheit. Die Illusion des „jungen Lord Chandos“, die Welt mittels Sprache beherrschen zu können, ist dem Bewusstsein gewichen, dass er nicht die Möglichkeit besitzt, der „Natur einen Spiegel“[5] vorzuhalten: „Ich konnte sie umschweben und sehen, wie sie zueinander spielten; aber sie hatten es nur miteinander zu tun, und das Tiefste, das Persönliche meines Denkens, blieb von ihrem Reigen ausgeschlossen.“[6]
Mit dem Verlust der Sprache verliert Lord Chandos auch die Fähigkeit zu lesen. Ohne jeglichen verstandesmäßigen Anspruch nimmt er nun die Dinge wahr, wie sie sind und es sind die selbstverständlichen, die alltäglichen Dinge des Lebens, die ihm bewusst werden. Gegenstand seiner Verzückung ist eher der Todeskampf einer Kreatur oder etwas Vergangenes wie z. B. „ein verkümmerter Apfelbaum“[7], als etwas Schönes oder Prachtvolles. „Denn mein unbenanntes seliges Gefühl wird eher aus einem fernen, einsamen Hirtenfeuer mir hervorbrechen als aus dem Anblick des gestirnten Himmels; eher aus dem Zirpen einer letzten, dem Tode nahen Grille, wenn schon der Herbstwind winterliche Wolken über die öden Felder hintreibt, als aus dem majestätischen Dröhnen der Orgel.“[8]
Aus der Erkenntnis, über eine alles beschreibende Sprache nicht zu verfügen, entseht der Entschluss, jegliche Schreibaktivität einzustellen. Lord Chandos schließt mit der Ankündigung, dass dies der letzte Brief an Francis Bacon gewesen sein wird. Wahrscheinlich die letzte literarische Aktivität überhaupt.
3. Die Maske: Lord Chandos als fiktive Gestalt
Die „geistige Starrnis“[9], der sich Lord Chandos ergeben fühlt wurde von vielen Interpreten Hofmannsthal´scher Texte als autobiographischer Einfluss in das prosaistische Werk Ein Brief gewertet. Werner Kraft zum Beispiel beschreibt es so in seinem viel zitierten Buch „Der Chandos – Brief“, indem er Lord Chandos direkt mit Hugo von Hofmannsthal in Verbindung setzt.[10] Weiter sagt er, dass „Hofmannsthal seine eigene Lage als Dichter [in diesem Text] festhält“[11]. Gemeinhin gilt diese Annahme in den heutigen Forschungsarbeiten als überholt und wird nicht mehr vertreten.
Logisch erscheint die Hypothese, dass Hofmannsthal durch das Schaffen einer Maske, in die Lage versetzt wurde, seine eigenen Gedanken wesentlich freier und von äußeren Faktoren (zum Beispiel gesellschaftlicher Kritik) unbeeindruckt zu formulieren. Lord Chandos könnte gewissermaßen die Funktion eines Katalysators für jene Problematik übernommen haben, der sich Hofmannsthal gegenübersah. Nämlich die Erkenntnis, dass die Schönheit der reinen Poesie es nicht vermag die Wirklichkeit zu erfassen.[12]
Phillip Lord Chandos ist eine überaus empfindliche Figur, die es in jungen Tagen vermochte, die Natur und die Dinge als Ganzes wahrzunehmen und in Worte zu fassen. Eine besondere Auffassungsgabe leitet ihn und er verfällt der Selbstüberschätzung. So möchte er z. B. die „Fabeln und mythischen Erzählungen, welche die Alten uns hinterlassen haben, [...], aufschließen als die Hieroglyphen einer geheimen, unerschöpflichen Weisheit,...“[13] und die Gedankengänge dieser Alten unter dem Titel Nosce te ipsum[14] mit denen verschiedener Kulturen vereinen. Aus dieser „aufgeschwollene[n] Anmaßung“ wird dann allerdings „Kleinmut und Kraftlosigkeit“[15], der sich Lord Chandos nun gegenüber sieht. Aus Übermut wird eine beängstigende Leere, die seinen Geist nun vollends den Verwirrungen des Lebens aussetzt. Lord Chandos ist nicht mehr in der Lage Wort und Bedeutung genau zu begreifen und beschreibt die Wörter wie folgt: „ Wirbel sind sie, in die hinabzusehen mich schwindelt, die sich unaufhaltsam drehen und durch die hindurch man ins Leere kommt.“[16] Er führt in seinem Brief noch viele weiter Beispiele an, die zeigen, wie er die Macht des Wortes im Laufe der Zeit verloren hat. Diese im einzelnen hier aufzuführen würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Gewichtig ist allein der Tatbestand, dass bei Lord Chandos eine deutliche Verschiebung seiner Wahrnehmung festzustellen ist. War er in jungen Tagen noch in der Lage offensichtlich bedeutsame Werke (wie z.B. „Traum der Daphne“[17]) niederzuschreiben, ist er zum Zeitpunkt der Brieferstellung nur schwerlich in der Lage überhaupt etwas zu schreiben. Er resigniert vor den auf ihn eindringenden Reizen und fügt sich seiner Erkenntnis nicht mehr reden, bzw. schreiben zu können.
[...]
[1] Hofmannsthal, Hugo von; Ritter, Ellen (Hrsg.), Sämtliche Werke – Kritische Ausgabe, Band 31,
S. Fischer Verlag, Frankfurt, 1991, S. 277
[2] Ebd., S. 54
[3] Ebd., S.48
[4] Ebd., S. 49
[5] Vgl. Le Rider, Jacques, Hugo von Hofmannsthal: Historismus und Moderne in der Literatur der
Jahrhundertwende, Böhlau Verlag, Wien, 1995, S. 121, 122
[6] Vgl. Hofmannsthal, Sämtliche Werke, Band 31, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 1991, S. 50
[7] Ebd., S. 52
[8] Ebd., S. 53
[9] Ebd., S. 45
[10] Kraft, Werner, Der Chandos - Brief und andere Aufsätze über Hofmannsthal, Agora Verlag,
Darmstadt, 1977, S. 9
[11] Kraft, Werner, Der Chandos - Brief und andere Aufsätze über Hofmannsthal, S. 9
[12] Vgl. Goldschmitt, Rudolf, Hofmannsthal – aus der Reihe: Dramatiker des Welttheaters
Friedrich Verlag Velberbei Hannover, 1971, S. 21
[13] Vgl. Hofmannsthal, Sämtliche Werke, Band 31, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 1991, S. 46
[14] Ebd., S. 47
[15] Vgl. Kraft, Werner, Der Chandos – Brief, S. 14
[16] Vgl. Hofmannsthal, Sämtliche Werke, Band 31, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 1991, S. 49
[17] Vgl. Hofmannsthal, Sämtliche Werke, Band 31, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 1991, S. 45
- Quote paper
- Christian Hutter (Author), 2003, Hugo von Hofmannsthal: Sprachkrise im Kontext der Zeit. "Ein Brief und die grüne Flöte", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19824
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