I Einleitung
Die „Schuldenfrage“ scheint im Zuge der Staats- und Euroschuldenkrise in den letzten Jahren nicht mehr nur die Wirtschaft in der Hand zu haben, sondern auch außerhalb des ökonomisch interessierten Fachkreises eine breite Anhängerschaft gefunden zu habe. Zeitungen haben eigene Schuldenkrise-Seiten eingerichtet, Autoren widmen sich mit Verve dem Thema und auch innerhalb der Bevölkerung scheinen sich immer mehr Menschen mit dem so unangenehmen und negativ konnotierten Wort der „Schuld“ zu befassen.
Doch was genau ist unter „der“ Schuld zu verstehen? Im normalen Sprachgebraucht steht man in der Schuld eines anderen, wenn man sich etwas hat zu Schulden kommen lassen hat. Ökonomisch betrachtet stellen Schulden das Pendant zu dem positiven Vermögen dar. Innerhalb der Rechtsordnung wird der zivilrechtliche Schuldbegriff (z.B. §§ 366, 371 BGB) mit dem der Verbindlichkeiten (z.B. §§ 257, 762 BGB) gleichgesetzt. Das Handelsrecht verwendet den Begriff der bilanziellen Schuld als Oberbegriff für die (feststehenden) Ver-bindlichkeiten und die (noch ungewissen) Rückstellungen. Auf diese handels-rechtliche Definition stützt sich aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzip zunächst auch das Bilanzsteuerrecht, und grenzt erst später infolge gesetzlicher statuierter Spezialnormen den Ansatz und die Bewertung etwaiger Schuldposten ein. Doch selbst wenn man sich für eine Interpretation des Schuldbegriffs entschieden hat, stellt sich noch immer die Frage, ab wann sie bestehen kann. Wie hoch und wahrscheinlich muss die Verpflichtung sein um von einer Schuld sprechen zu können? Ab wann besteht ein Risiko der Inanspruchnahme? Schließlich ist für einen außen stehenden Dritten teilweise auch nicht immer sogleich ersichtlich, wer genau der eigentliche Schuldner ist. Denn so wie sich im großen Wirtschaftssystem der Banken und Staaten ein Schuldenberg wie eine „Schöpfung aus dem Nichts“ gebildet zu haben scheinen mag, der sich allein mit Hilfe einer einfachen Rechnungslegung zwischen Soll und Haben kein konkreter Schuldner zuordnen lässt, fragt sich auch manch kleiner Unternehmer, wen er zur Rechenschaft ziehen kann....
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
I Einleitung
II. Der Schuldbegriff
1. Verbindlichkeiten
2. Rückstellungen
III. Besonderheiten bei der Bilanzierung von Schulden
1. Handelsbilanz
2. Steuerbilanz
3. Wesentliche Prinzipien der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung im Fall der Passivierung
a) Vollständigkeitsgebot
b) Vorsichtsprinzip
aa) Imparitätsprinzip
bb) Realisationsprinzip
c) Periodisierungsprinzip
IV. Abstrakte Passivierungsfähigkeit
1. Passivierungsvoraussetzungen
a) Die Verpflichtung gegenüber einem Dritten
aa) Aufwandsrückstellungen
bb) Neue Regelung durch BilMoG
cc) Fazit
b) Die wirtschaftliche Belastung
aa) Erfolgsorientiertes Verursachungskonzept
aaa) Unmittelbare Zugehörigkeit zum abgelaufenen Wirtschaftsjahr
bbb) Mittelbare Zugehörigkeit zum abgelaufenen Wirtschaftsjahr
bb) Vermögensorientiertes Verursachungskonzept
cc) Ausprägung der Konzepte in der Rechtsprechung mit neuer Tendenz
dd) Anwendung der Konzepte in der Praxis
ee) Bewertung
ff) Wirtschaftliche Verursachung vor der rechtlichen Entstehung
c) Quantifizierbarkeit der Schuld
Bewertung
2. „Entschuldung“ der passiv latenten Steuerny durch BilMoG
A
3.TOC \o "1-5" \h \zThesenartiges Fazit
a) Neuinterpretation des handelsrechtlichen Schuldbegriffs
b) Problematik der ermessensbehafteten Quantifizierbarkeit
c) Wirtschaftliche Zugehörigkeit von Schulden im Zuge der abstrakten
Passivierungsfähigkeit
4. Der endgültige handelsrechtliche Schuldbegriff
5. „Automatische“ Abhandlung der Passvierung durch Aktivierung
aa) Treuhandschulden
bb) Leasingverhältnisse
V. Konkrete Passivierungsfähigkeit
1. Steuerbilanz
a) Die Handelsbilanz als maßgeblicher Rahmen der steuerlichen
Gewinnermittlung
b) Steuerrechtliche Besonderheiten bei der konkreten Bestimmung abstrakt passivischer Wirtschaftsgüter
c) Zusammenfassung
2. Persönliche Zurechnung
a) Grundsatz der wirtschaftlichen Zurechnung nach § 39 II Nr. 1 AO im Fall der Verpflichtung
b) Auseinanderfallen zivilrechtlicher und wirtschaftlicher Verbindlichkeiten
aa) Gesamtschuldner
bb) Treuhänderisch übernommene Verbindlichkeit
cc) Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung
dd) Betriebsführungsvertrag
ee) Schuldmitübernahme
ff) Erfüllungsübernahme
gg) Der besondere Fall des „In- substance defeasance“
3. Sachliche Zurechnung
a) Zuordnung in der Handelsbilanz
aa) Einzelkaufmann
bb) Personengesellschaft
cc) Kapitalgesellschaft
b) Zuordnung in der steuerlichen Gewinnermittlung
aa) Einzelunternehmer
B
aaa) Umwidmung, Umschuldung, Umwandlung und das
Zwei- Konten- Modell
Fall 1: Die „private“ Schuldfrage
bbb) Finanzierte Entnahmen
ccc) Schenkweise begründete Darlehensschulden
ddd) Passivisches gewillkürtes Betriebsvermögen des Einzelkaufmanns
(R 4.2 EStR I S.2)
eee) Fazit
bb) Personenhandelsgesellschaft
aaa) Die Gesamtbilanz der Mitunternehmerschaft
(1) Notwendiges Betriebsvermögen der Gesellschaft
(2) Sonderbetriebsvermögen, § 15 I S.1 Nr. 2 EStG
(3) Notwendiges Sonderbetriebsvermögen
(a) Sonderbetriebsvermögen I (SBV I)
Fall 2: Erbauseinandersetzung als betrieblicher Vorgang oder
Privatangelegenheit?
(b) Sonderbetriebsvermögen II (SBV II)
Fall 3: Bürgschaft für Verbindlichkeiten bei gespaltenem Betrieb
(c) Erweiterung des passiven Sonderbetriebsvermögens durch neue
Rechtsprechung
(d) Rechtsfolgen
(4) (Passivisch) gewillkürtes Sonderbetriebsvermögen
(R 4.2 II S.3 EStR)
(5) Zurechnungskollision - Bilanzierungskonkurrenz:
Fall 4:Kollision des Sonderbetriebs mit Eigenbetrieb des Mitunternehmers
(a) Zurechnungsgrundsatz bei doppelstöckiger Mitunternehmerschaft
Fall 5: Bilanzierungskonkurrenz bei Gesellschafterdarlehen einer entstehenden
doppelstöckigen Personengesellschaften
(b) Fazit
(6) Auswirkungen der Zurechnungskollision
bbb) Fazit Sonderbetriebsvermögen
bb) Kapitalgesellschaft
VI. Schlussfazit
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
I Einleitung
Die „Schuldenfrage“ scheint im Zuge der Staats- und Euroschuldenkrise in den letzten Jahren nicht mehr nur die Wirtschaft in der Hand zu haben, sondern auch außerhalb des ökonomisch interessierten Fachkreises eine breite Anhängerschaft gefunden zu habe. Zeitungen haben eigene Schuldenkrise- Seiten eingerichtet[1], Autoren widmen sich mit Verve dem Thema[2] und auch innerhalb der Bevölkerung scheinen sich immer mehr Menschen mit dem so unangenehmen und negativ konnotierten Wort der „Schuld“ zu befassen.
Doch was genau ist unter „der“ Schuld zu verstehen? Im normalen Sprachge- braucht steht man in der Schuld eines anderen, wenn man sich etwas hat zu Schulden kommen lassen hat. Ökonomisch betrachtet stellen Schulden das Pendant zu dem positiven Vermögen dar. Innerhalb der Rechtsordnung wird der zivilrechtliche Schuldbegriff (z.B. §§ 366, 371 BGB) mit dem der Verbindlichkeiten (z.B. §§ 257, 762 BGB) gleichgesetzt. Das Handelsrecht verwendet den Begriff der bilanziellen Schuld als Oberbegriff für die (feststehenden) Verbindlichkeiten und die (noch ungewissen) Rückstellungen. Auf diese handelsrechtliche Definition stützt sich aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzip zunächst auch das Bilanzsteuerrecht, und grenzt erst später infolge gesetzlicher statuierter Spezialnormen den Ansatz und die Bewertung etwaiger Schuldposten ein. Doch selbst wenn man sich für eine Interpretation des Schuldbegriffs entschieden hat, stellt sich noch immer die Frage, ab wann sie bestehen kann. Wie hoch und wahrscheinlich muss die Verpflichtung sein um von einer Schuld sprechen zu können? Ab wann besteht ein Risiko der Inanspruchnahme? Schließlich ist für einen außen stehenden Dritten teilweise auch nicht immer sogleich ersichtlich, wer genau der eigentliche Schuldner ist. Denn so wie sich im großen Wirtschaftssystem der Banken und Staaten ein Schuldenberg wie eine „Schöpfung aus dem Nichts“[3] gebildet zu haben scheinen mag, der sich allein mit Hilfe einer einfachen Rechnungslegung zwischen Soll und Haben kein konkreter Schuldner zuordnen lässt, fragt sich auch manch kleiner Unternehmer, wen er zur Rechenschaft ziehen kann. Derart verworren wie die Zurechnungsfrage im Rahmen der komplexen Schuldenspirale der Staaten und Banken stellt sich die Bilanzierung der Schulden innerhalb der Handels- und Steuerbilanz eines einzelnen Kaufmanns, einer Personengesellschaft oder auch einer Kapitalgesellschaft im Wirtschaftsverkehr zwar nicht dar, doch tun sich auch hier immer wieder Fragen der persönlichen und sachlichen Zurechnung von Schulden auf. Auffällig ist dabei besonders, dass die bilanzielle Zugehörigkeit der Verbindlichkeiten in der Literatur und Rechtspraxis nur untergeordnete Beachtung erfährt, während das Problem der wirtschaftlichen Zuordnung von Vermögensgegenständen einer umfassenden Diskussion unterworfen wird.[4] Bei wem der Gläubiger eines Schuldverhältnisses seine Forderung geltend machen kann ist bei dem durchschnittlichen Schuldverhältnis eines Einzelkaufmanns meist noch leicht zu bestimmen und somit auch bilanziell einfach auszuweisen. Schwieriger wird es jedoch bereits bei der Zurechnung von Darlehen, Krediten und anderen Schuldverschreibungen innerhalb eines Zusammenschlusses mehrerer Personen zu einem gemeinsamen Zweck, da sich neben der privaten und betrieblichen Bilanz zumindest im Ertragssteuerrecht oft auch Sonderbilanzen für den Ansatz der Passiva anbieten. Insbesondere relevant ist die Zurechnung bilanzieller Schulden in der Steuerbilanz für den Unternehmer aufgrund ihrer gewinnmindernden Wirkung, die den dem Fiskus geschuldeten Einkommensteuerbetrag oft um eine nicht unerhebliche Summe zum Schmelzen zu bringen vermag.
Bei den Kapitalgesellschaften finden sich Schulden wieder ganz klar ausschließlich in der betrieblichen Sphäre und somit dem Betriebsvermögen wieder, wobei sich auch hier gelegentlich Stimmen in der Rechtsprechung und der Finanzverwaltung auftun, die in der steuerlichen Gewinnermittlung in be- stimmten Fällen der gewerblich ausgerichteten Kapitalgesellschaft eine private Sphäre zuschreiben wollen.
In dieser Arbeit soll zunächst bestimmt werden wie der Begriff der Schuld in der handelsrechtlichen Rechnungslegung zu verstehen ist und welche Veränderungen sich bei der Interpretation des bilanzrechtlichen Schuldbegriffs jüngst ergeben haben. Eine eindeutige Begriffsbestimmung ist dabei von erheblicher Tragweite, da nicht nur dem Zweck der Gläubiger-und Anteilseigner schützenden Funktion[5] des handelsrechtlichen Jahresabschlusses nachgekommen wird, sondern aufgrund der in § 5 I EStG normierten materiellen Maßgeblichkeit[6] der Handelsbilanz, der Schuldbegriff auch als Grundlage für den Ansatz negativer Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz dient, sofern diese in der Handelsbilanz nicht nur passivierungsfähig, sondern auch -pflichtig sind und keine speziell steuerrechtlichen Vorschriften greifen.[7]
Im Rahmen dessen werden die Ansatzkriterien festgelegt, die es bei der bilanziellen Schuld bedarf, um zu bestimmen wie sie ihren Weg in die Bilanz findet. Dabei wird die Frage aufgegriffen, warum die bilanzielle Zurechnung von Schulden verhältnismäßig wenig Beachtung als gesondertes Ansatzkriterium in der handelsrechtlichen Rechnungslegung findet.[8] Anschließend soll sodann im zweiten Teil die Frage des bilanziellen Ausweises von Schulden sowohl auf der persönlichen wie auch auf der sachlichen Ebene behandelt werden . Bei letzterem wird schließlich die Zurechnung in Abhängigkeit von der gewählten Rechtsform des jeweiligen Unternehmens anhand von ausgewählten Beispielfällen der Rechtsprechung dargelegt und bewertet.
II. Der Schuldbegriff
Als Passivierungsgegenstand in der handelsrechtlichen Rechnungslegung gilt die Schuld.[9] Da der Begriff gesetzlich in § 247 I HGB lediglich von dem Eigenkapital und den passiven Rechnungsabgrenzungsposten abgegrenzt wird und weiterführend nicht definiert ist[10], muss die Schuld unter Zugrundelegung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) ihrem bilanzrechtlichen Sinn nach bestimmt werden. Schulden sind als Gegenstück der Vermögensgegenstände in der Bilanz anzusetzen um dem Zweck der Handelsbilanz gerecht zu werden, denn eine sachgerechte Aufstellung des kaufmännischen Vermögens kann nur durch den gleichzeitigen Ansatz der Schulden neben den Aktiva am Ende eines jeden Wirtschaftsjahres in einem das Verhältnis der Bilanzposten darstellenden Jahresabschluss unter Bestimmung des Eigenkapitals gewährleistet werden. Diese, aus der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) bestehende Aufstellung, diene primär dem Ausweis der wirtschaftlichen Lage des Kaufmanns, um im Zuge des Gläubigerschutzes als Schuldende- ckungskontrolle[11] zu fungieren. Als „bilanzielle Schuld“[12] könne demzufolge jegliche Verpflichtung gegenüber Dritten aufgefasst werden, die der Kaufmann in Zukunft zu erfüllen hat. Dabei seien nicht nur, wie es beispielsweise das US- GAAP[13] vorsieht, rein rechtlich erzwingbare Verpflichtungen (legal enforcable obligation)[14] erfasst, sondern auch solche, die lediglich durch faktischen Leistungszwang verpflichtend wirken[15] zu passivieren. Dieser Ansatz entspreche einem im engeren Sinne verstandenen Schuldbegriff, welcher im Gegensatz zu der weiten Auslegung die Aufwandsrückstellungen weitestgehend außen vor lässt und allein sämtliche Verbindlichkeiten und Verbindlichkeitsrückstellungen erfasse.[16] Der Oberbegriff der Schulden umfasse demnach im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise[17] alle wirtschaftlichen Belastungen eines Unternehmens[18] aufgrund derer das Vermögen vermindert werden könnte. Vorstehende Kriterien lassen sich jedoch mangels einer abschließenden Legaldefinition des bilanziellen Schuldbegriffs nicht ohne kritische Hinterfragung als maßgeblich übernehmen. Dass sich bis dato noch kein von allen Seiten endgültig angenommener Schuldbegriff heraus kristallisiert hat, lässt sich auch der vielfältigen Rechtsprechung und der dazu besprechenden Literatur entnehmen, die sich immer wieder den verschiedenen Fragen der Passivierung von Schulden widmen.[19] Einer Begriffsbestimmung bedarf es vor allem auch deswegen, weil der handelsrechtlichen Passivierungspflicht nur solche Verpflichtungen unterfallen, die als Schuld im bilanzrechtlichen Sinne gelten.[20] Im weiteren gelte diese Pflicht sodann auch als Grundlage für die anzusetzenden Schuldposten in der steuerlichen Gewinnermittlung, denn die handelsrechtliche Pflicht zur Passivierung mündet in ein steuerliches Passivierungsgebot jeglicher negativer Wirtschaftsgüter und wird allein durch konkret im Handelsgesetzbuch oder Steuerrecht explizit genannte Verbote oder Passivierungsvoraussetzungen eingeschränkt. [21] Gegenläufig führten handelsrechtliche Passivierungswahlrechte stets zu einem steuerrechtlichen Passivierungsverbot, was nach dem derzeit bestehenden Bilanzrecht von untergeordneter Wichtigkeit ist, da wie noch zu sehen wird, im gegenwärtig gültigem HGB keine Passivierungswahlrechte für bilanzrechtliche Verpflichtungen vorgesehen sind.[22]
1. Verbindlichkeiten
Eindeutig kann zunächst bestimmt werden, dass eine Unterscheidung zwischen den Verbindlichkeiten und den Rückstellungen besteht. Diese ergebe sich nicht nur aus der gesetzlich vorgegebenen Gliederung im HGB in § 266 II, sondern auch bei systematischer Betrachtung der Normen, wonach für die in § 249 I benannten ungewissen Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden sind. Folglich seien im Umkehrschluss die sicheren Schulden als Verbindlichkeiten zu verstehen.[23] Unter einer Verbindlichkeit (§ 266 III Pos. C HGB) verstehe man somit nach allgemein herrschender Ansicht eine wirtschaftliche Verpflichtung, die zwar noch nicht erfüllt wurde, aber ihrer Existenz und dem Betrag nach als sicher und bereits im abgelaufenen Geschäftsjahr verwirklicht gilt.[24] Sie stellt somit eine passivierungspflichtige Schuld in der Handelsbilanz dar.
2. Rückstellungen
Von den bereits „sicheren Schulden“ müssen die Rückstellungen abgegrenzt werden. Sie stellen dem Grunde und/oder der Höhe nach noch unsichere Schuldposten der Bilanz dar.[25] Auch sie führten in der Zukunft zu betrieblichen Ausgaben und ließen sich einem bestimmten Aufwand im vorangegangenen oder einen davor liegenden Wirtschaftsjahr zuordnen. Daraus ergebe sich ihr Sinn und Zweck, der darin liegt, die Ausgaben der entsprechenden Verursachungsperiode sachgerecht zuzurechnen.[26] Der Rückstellungsansatz wird abschließend (Abs. II) von § 249 HGB bestimmt, welcher vier Arten passivierungspflichtiger Rückstellungen nennt und zwar solche für ungewisse Verbindlichkeiten, für drohende Verluste, für Aufwendungen und für Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtungen (§ 249 I S. 1, S. 2 Nr. 1 und 2 HGB). Rückstellungen werden (im Gegensatz zu Rücklagen[27] ) stets aufwandswirksam bilanziert, sodass sich bei der Erfolgsermittlung in der GuV eine erfolgsmindernde Wirkung zeigt, die sich im Rahmen der ertragssteuerliche Gewinnermittlung für den Steuerpflichtigen positiv auf seine geschuldete Steuerlast auswirkt. Dem bilanziellen Schuldbegriff unterfallen Rückstellungen immer dann, wenn sie die im Folgenden unter IV. 2. zu beleuchtenden Passivierungsvoraussetzungen erfüllen, da sie sodann zwingend der Passivierungspflicht un- terliegen.[28]
III. Besonderheiten bei der Bilanzierung von Schulden
Um dem Thema der Zurechnung der Schulden in der Handels - sowie in der Steuerbilanz gerecht zu werden, muss zusätzlich vorab bestimmt werden, welchem Sinn und Zweck die verschiedenen Bilanzansätze nachkommen und welche besonderen Merkmale der für die anzusetzenden Posten relevanten Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung in den Bilanzen maßgeblich sind.
1. Handelsbilanz
Die Ziele der für den Jahresabschluss zu erstellenden handelsrechtlichen Bilanz seien zum einen die Rechenschaftsablegung[29] als Informationsfunktion sowie die Kapitalerhaltung im Rahmen einer Zahlungsbemessungsfunktion sowohl für den Kaufmann selbst wie auch für Dritte, z.B. Gläubiger und Anteilseigner.[30] Der Verpflichtung zur Rechenschaftsablegung komme dabei insbesondere bei den zu bilanzierenden Verbindlichkeiten große Bedeutung zu, was insbesondere daraus hervorgehe, dass selbst die Einzelkaufleute, die nicht zur Offenlegung ihrer Jahresabschluss verpflichtet sind (vgl. § 325 HGB), ebenso einen handelsrechtlichen Abschluss erstellen müssen. Er übe insoweit eine selbstschützende Funktion aus und bewahre den Kaufmann davor, aufgrund fehlender Übersicht über seine finanzielle Lage in Zahlungsschwierigkeiten zu ge- langen.[31] Bedeutung für Dritte kommt dem Jahresabschluss insofern zu, als dass sie anhand der Übersicht entscheiden, ob sie dem entsprechenden Unternehmer ein Kredit gewähren, Lieferungen leisten oder andere Geschäfte mit ihm eingehen. Dem bilanzierenden Kaufmann liegt es insofern am Herzen in seiner Bilanz einen möglichst geringen Ausweis an Verbindlichkeiten auszuweisen um seinen Betrieb als gesundes und leistungsfähiges Unternehmen darzustellen.
2. Steuerbilanz
Die Ertragssteuerliche Gewinnermittlung habe vornehmlich die Intention der als fiskalpolitisch gelenktem Zweck der Zahlungsbemessungsfunktion[32] gerecht zu werden, die durch die nachfolgende auf dem Abschluss basierende Besteuerung des Unternehmens monetäre Folgen nach sich zieht. Es müsse mithin die Leistungsfähigkeit sowie die steuerliche Belastbarkeit des Unternehmens[33] bestimmt werden, damit insbesondere im Rahmen einer gleichmäßigen Besteu- erung dieses nicht ungerechtfertigt mit Steuerschulden belastet werde.[34] Es gehe dabei um die Darstellung des wirklichen Gewinns[35], den der Fiskalstaat vollständig ausgewiesen sehen möchte, wohingegen der Steuerpflichtige auf einen möglichst niedrigen Ausweis seines Vermögens abzielt. Im Gegensatz zu der Handelsbilanz kommt ihm somit ein erhöhter Ansatz von Schuldpositionen in der Handelsbilanz hier entgegen, da sich dadurch sein Gewinn und somit sein zu versteuerndes Einkommen (§ 2 V EStG) mindert.
3. Wesentliche Prinzipien der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung im Fall der Passivierung
Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) dürfen nicht allein als solche für die tatsächliche Buchführung gesehen werden, sondern auch als für den Jahresabschluss maßgeblichen Prinzipien.[36] Zugleich fungieren sie aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips auch als kodifizierte Regeln für die steuerliche Gewinnermittlung (vgl. Wortlaut § 5 I EStG). Sie haben dabei zunächst grundsätzlich für jegliche Rechtsformen zu gelten, da die Normen des HGB (z.B. §§ 238 I, 234, 256)[37] insofern keine Unterscheidung vornehmen.[38] Im Folgenden sollen allein die nach Meinung des Autors für die Bilanzierung von Schulden in der Handels - und Steuerbilanz relevanten Prinzipien hervorgehoben werden, sodass in den darauf folgenden Ausführungen die Bezugnahme auf die verschiedenen Grundsätze deutlicher wird.
a) Vollständigkeitsgebot
Der in § 246 HGB niedergelegte Grundsatz der Vollständigkeit verlangt die umfassende Erfassung aller Vermögensgegenstände, Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten in der Bilanz, sowie jeglicher Aufwendungen und Erträge in der GuV.[39] Wichtig ist dabei, dass es lediglich um die mengenmäßige Erfassung der zu bilanzierenden Posten gehe, unterdessen die wertbestimmende Bewertung erst nach der Bestimmung des Ansatzes erfolge.[40] Eine Ergänzung bzw. Durchbrechung findet das Gebot im Fall der Schuldposten in der abstrakten und konkreten Passivierungsfähigkeit der einzelnen Verbindlichkeiten, die grundsätzlich passivierungspflichtig seien[41] und nur dann aus der Rechnungsaufstellung außen vor gelassen werden können, sofern sie nicht dem Passivierungsgrundsatz unterfallen (vgl. unten unter IV. 1.).
b) Vorsichtsprinzip
Das Gebot des vorsichtigen Bilanzierens erlegt dem Kaufmann aus Gründen der Gläubigerschutzfunktion[42] sowie aufgrund der Ausschüttungsbemessungsfunktion (bei Kapitalgesellschaften) die Pflicht, auf allein die Positionen in der Bilanz anzusetzen, die auch tatsächlich vorliegen. Er solle somit durch vorsichtiges Bilanzieren das Vermögen, welches er für künftig zu erfüllende Verpflichtungen benötigt an das Unternehmen binden und nicht anderweitig, z.B. durch Ausschüttung an seine Anteilseigner, verwenden.[43] Es gelte trotz seines systematischen Ausweises im Rahmen der Bewertungsnormen auch als maßgebliches Kriterium für den Ansatz.[44] Besonders deutlich werde das Gebot auf der Passivseite beispielsweise bei der Pflicht zur Rückstellung von drohenden Verlusten aus schwebenden Geschäften in § 249 I S. 1 HGB.[45]
aa) Imparitätsprinzip
Dem Vorsichtsprinzip (§ 252 I Nr. 4, Hs. 2 HGB) unterliegt das Imparitätsprinzip beziehungsweise lässt sich sagen, dass das Gebot der Vorsicht seine Ausprägungen deutlich in dem Gebot zur imparitätischen Bilanzierung wieder finde.[46] Es gelte mithin ebenso auch auf der Ebene des Ansatzes.[47] Dabei sei es darauf angelegt, dass die Ansatzkriterien auf der Aktiv - und auf der Passivseite nicht paritätisch zu behandeln seien. So sollen Gewinne erst bei tatsächlicher Realisation in der Bilanz berücksichtigt werden, währenddessen alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bei Bilanzstichtag bereits entstanden und lediglich noch nicht realisiert sind schon zu diesem Zeitpunkt antizipiert (sog. Verlustantizipation[48] ) und schließlich passiviert werden müssten.[49]
bb) Realisationsprinzip
Ebenso als Ausprägung des Vorsichtsprinzip gelte das Realisationsprinzip (§ 252 I Nr. 4, Hs. 2 HGB), das auch nicht allein als Bewertungsmaßstab, sondern bereits als maßgebliches Kriterium des Ansatzes zu betrachten sei.[50] Nach inzwischen herrschender Ansicht solle sich das Prinzip, welches sich im Grundsatz allein auf die Erträge bezieht und sie erst dann zum Ausweis zulässt, wenn sie auch tatsächlich realisiert sind, daneben nun auch auf jegliche Aufwendungen beziehen und sie erfassen.[51] Dies dürfe jedoch allein dann gelten, wenn durch das Imparitätsprinzip nicht ein vorheriger Ausweis geboten wäre.[52]
c) Periodisierungsprinzip
Das dem Vollständigkeitsgebot entspringende[53] Prinzip der periodengerechten Gewinnermittlung (§ 252 I Nr. 5 HGB) fordere, das sowohl alle Einzahlungen sowie auch alle Auszahlungen dem jeweiligen Geschäftsjahr zugerechnet werden, unabhängig von den Zeitpunkten ihrer tatsächlichen Zahlungsrealisation.[54] Es unterliege dabei jedoch nicht allein dem Gebot des vollständigen Ausweises, sondern stelle vielmehr ein dem Imparitäts - und Realisationsprinzip unterfallendes Kriterium dar, was sich daraus schließen lasse, dass die Zurechnung zu dem maßgeblichen Zahlungsjahr nicht aus § 252 I Nr. 5 HGB, sondern vielmehr aus dem vorherigen Absatz hervorgehe.[55] Im Rahmen der passivischen Bilanzseite geht aus dem Grundsatz hervor, dass der Aufwand, dem noch keine Auszahlung gegenüber stehe, entweder als Verbindlichkeit oder Rückstellung zu passivieren sei.[56]
IV. Abstrakte Passivierungsfähigkeit
Um den Gegenstand der Passivierung in der Bilanz festlegen zu können, ist zunächst abstrakt zu bestimmen, woraus sich der Schuldbegriff zusammensetzt. Anschließend muss die konkrete Passivierungsfähigkeit[57] für die einzelnen abstrakt passivierungsfähigen Schulden erörtert werden, welche sich danach richten, ob aufgrund abweichender konkreter handelsrechtlicher oder steuerrechtlicher Vorschriften ein Ansatz zwingend vorgenommen werden muss oder aber nicht gestattet ist.[58] Dies bestimmt sich maßgeblich nach dem Regelinhalt der Bilanz, welcher bei der Handelsbilanz wie oben gesehen ein anderer ist als bei der Steuerbilanz.[59]
1. Passivierungsvoraussetzungen
Um den Ansatz als Schuld in die Handelsbilanz zu finden, müssen sowohl die Verbindlichkeiten wie auch die Rückstellungen bestimmten Kriterien gerecht werden. Ob sich eine Verpflichtung als Verbindlichkeit oder als Rückstellung bilanzieren lässt hänge davon ab, ob die Verpflichtung wirtschaftlich verursacht und exakt bestimmbar sei und ob sie bereits sicher oder noch ungewiss erscheine.[60] Dabei hat sich nach ständiger Rechtsprechung des BFH[61] wie auch nach allgemein einheitlicher Meinung im bilanzrechtlichen Schrifttum[62] trotz der noch unbestimmten Schulddefinition zumindest ein für den Ansatz der Schulden auf der Passivseite der Bilanz bestimmender Definitionsgrundsatz hervor getan. Er sei als Passivierungsgrundsatz zu verstehen und gibt folgende Punkte als Passivierungsmerkmale vor:
a) Verpflichtung gegenüber einem Dritten
b) Wirtschaftliche Belastung
c) Quantifizierbarkeit der Verpflichtung
Da sich im Rahmen der abstrakten Bilanzierungsfähigkeit die Kriterien der bilanziellen Schuld sowohl für die Verbindlichkeiten wie auch für die Rückstellungen in weitestem Umfang entsprechen und sich auch in der steuerlichen Gewinnermittlung zur Definition des passiven Wirtschaftsguts wieder finden[63], ist an dieser Stelle keine aufgegliederte Trennung der beiden Bilanzpositionen in den beiden Bilanzarten notwendig. Sie unterliegen dem gleichen aus den Grundsatzen ordnungsmaßiger Buchführung abzuleitenden Passvierungsgrundsatz (R 5.7 I EStR) und sind daher gemeinsam bzw. nur an streitigen Stellen gesondert darzustellen.
Eine exaktere Unterteilung muss vielmehr erst bei der konkreten Passivierung der Schulden vorgenommen werden, da sich dort durch von einander abweichende Passivierungspflichten bzw. -verbote in den Bilanzen Unterschiede abzeichnen.
a) Die Verpflichtung gegenüber einem Dritten
Eine bilanzielle Schuld sei demnach wohl dann zu bejahen, wenn eine Verpflichtung gegenüber einem Dritten bereits vor Bilanzstichtag rechtlich aber auch wirtschaftlich entstanden sei.[64] Die rechtliche Verpflichtung könne dabei sowohl aus einem zivilrechtlichen Schuldverhältnis (§ 241 BGB) wie auch aus einer öffentlich- rechtlichen Leistung[65] bestehen, wie z.B. bei einer Kapitalgesellschaft die Pflicht zur Zahlung der Körperschaftssteuer[66] oder aber auch die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung (149 AO). Auch rein tatsächliche (faktische) Verpflichtungen können dem Kaufmann Anlass zum Ansatz eines Schuldpostens bieten, denn, so stellt Moxter[67] unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des BFH[68] fest, ist die Rechtsverpflichtung weder notwendig noch hinreichend um bilanziell als Verbindlichkeit zu zählen. Der bilanzrechtliche Begriff der ungewissen Verbindlichkeit könne demnach nicht mit einer formalrechtlichen Betrachtungsweise[69] gleichzusetzen sein, denn Bilanzzweck sei nicht die richtige Darstellung der rechtlichen Verpflichtungen, sondern vielmehr ein Spiegel der das Unternehmen wirtschaftlich belastenden Verbindlichkeiten. So läge beispielsweise eine wirtschaftliche Verpflichtung dann vor, wenn der Kaufmann aus Kulanzgründen für fehlerhafte Produkte[70] eine Preisminderung gewährt und sie als Wirtschaftslast[71] passiviert. Rechtlich verpflichtet ist er dazu nicht, doch ergäbe sich der tatsächliche Zwang zur Leistung daraus, dass er sich andernfalls in der Fortführung seines Betriebs einer Gefährdung ausgesetzt sehen müsse. So könne es betriebswirtschaftliche Nachteile nach sich ziehen, wie z.B. die Rufschädigung oder Gefährdung neuer Geschäftsbeziehungen (vgl. R 5.7 Abs. 12 EStR). Die somit dem Schuldbegriff unterliegende Verpflichtung ließe sich in diesem Fall in Form einer Kulanz- rückstellung[72] bilanzieren.
An diesem Punkt wird der Unterschied zwischen der gewissen (im Grunde die „eigentliche“ Schuld) und der ungewissen Verbindlichkeit, den (Schuld-) Rückstellungen deutlich. So sei die Verpflichtung bei den Verbindlichkeiten nicht nur gewiss, sondern auch objektiv der Art und Höhe nach bestimmbar.[73] Der Kaufmann weiß insofern genau, dass sein Unternehmen eine der Art und Höhe bestimmbare wirtschaftliche Belastung erfahren wird, da er beispielsweise bereits Lieferungen oder Leistungen erlangt hat, eine Darlehensverbindlichkeit gegenüber einem Kreditinstitut oder Verbindlichkeiten aus einem Ergebnisabführungsvertrag gegenüber einem verbundenen Unternehmen hat (vgl. § 266 II Pos. C). Im Gegenzug seien Rückstellungen für solche Vorfälle zu passivieren, deren Verbindlichkeitscharakter noch ungewiss erscheint, auch wenn die Verpflichtung (rechtlich oder faktisch) bereits verursacht wurde (R 5.7 EStR).
aa) Aufwandsrückstellungen
Unstreitig unter den bilanziellen Schuldbegriff sind Rückstellungen mit Schuldcharakter zu fassen. Sie lassen sich meist unproblematisch unter die Kriterien des Passivierungsgrundsatzes[74] subsumieren. Beispielhaft seien hier die Tatbestände der Garantieverpflichtungen[75], der Steuerschulden[76] und der Verpflichtungen im Zusammenhang mit Pensionszusagen[77] zu nennen. Es existieren zahlreiche weitere Tatbestände, die zur Bilanzierung von Verbindlichkeitsrückstellungen führen, doch ist auf diese mangels Notwendigkeit hier nicht näher einzugehen.
Streitigkeiten bestehen jedoch bei der Frage, ob auch die reinen Innenverpflichtungen, also die Aufwandsrückstellungen als Schuld im bilanzrechtlichen Sinne verstanden werden könnten, denn ihnen liege keine (unsichere) Außenverpflichtung zugrunde.[78] Unabhängig davon sei jedoch die Passivierungspflicht[79], die nichtsdestotrotz zweifellos weiterhin bestehen bliebe.[80] Es geht mithin lediglich um eine Begriffsabgrenzung. Für die Annahme als bilanzielle Schuld spreche sich das Gesetz aus, welches in der Gliederungsvorschrift des § 266 HGB die verschiedenen Arten der auszuweisenden Rückstellungen aufzählt und dabei Pensionsrückstellungen (und Rückstellungen für ähnliche Verpflichtungen), Steuerrückstellungen und sonstige Rückstellungen benennt, nicht jedoch die Aufwandsrückstellungen. Scheffler stellt insofern zutreffend fest, dass keine Unterscheidung zwischen den Schuld- und den Aufwandsrückstellungen gemacht wird.[81] Hätte der Gesetzgeber sich dafür entschieden, die Aufwandsrückstellung klar von den restlichen Rückstellungen abzugrenzen um sie insoweit nicht als bilanzielle Schuld gelten zu lassen, hätte er sie einem gesonderten Bilanzierungsposten unterstellen können (z.B. als Bilanzierungshilfe, die dann jedoch nur in der Handelsbilanz ausgewiesen würde, da sie nach h.M. kein Wirtschaftsgut[82] darstellt).[83] Auch die Regelung des § 249 I S.2 Nr.1 HGB gäbe zu verstehen, dass die Subsumtion unter den abstrakten Schuldbegriff sachgerecht erscheine. Die Norm bestimme die konkrete Bilanzierungsfähigkeit von Aufwandsrückstellungen, die nur dann sinnvoll erscheinen mag, wenn zuvor die abstrakte bejaht werde.[84]
Moxter[85] hingegen will die bloße „betriebswirtschaftliche Verpflichtung gegen sich selbst“[86], die eine reine Innenverpflichtung darstellt nicht als bilanzrechtliche Verbindlichkeit ausreichen lassen. Es käme einer Fiktion gleich, würde man es dem Kaufmann gestatten statt eines Versicherungsvertrages mit einem Dritten eine Selbstversicherung[87] mit sich selbst abzuschließen und infolge dessen die regelmäßigen Versicherungsprämien als Rückstellungen in der Bilanz aufzuführen.[88] Die Verbindlichkeitsbildung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach wäre ihm überlassen und unterlägen somit allein dem Ermessen des Bilanzierenden, wodurch bilanzpolitische Missbräuche zu erwarten wären. So können beispielsweise geplante Restrukturierungsmaßnahmen keine Außenverpflichtung bilden, da keine Leistungs- oder Auszahlungsverpflichtung einem Dritten gegenüber besteht.
Auch nach Hüttemann[89] sind die Rückstellungen mit Aufwandscharakter, welche allein der Abgrenzung des Aufwands dienlich sind, bei der Bestimmung der bilanzrechtlichen Schuld nicht zu beachten, da sie zu den Verbindlichkeiten keine näheren Berührungspunkte aufweisen. Ihnen läge keine gegenwärtige oder zukünftige Verpflichtung gegenüber Dritten zugrunde. Eine klare Abgrenzung der Innen- von der Außenverpflichtung[90] fordert ferner Kußmaul, der nur bei Vorhandensein eines Dritten[91] den notwendigen Zwang gegeben sieht. Ein durchsetzbarer Anspruch könne ihm zufolge nur von einem Außenstehenden geltend gemacht werden. Aufwandsrückstellungen fielen daher nicht unter den bilanziellen Schuldbegriff.
[...]
[1] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise (letzter Zugriff: 04.April 2012) http://www.wiwo.de/themen/Schuldenkrise(letzter Zugriff: 04.April 2012) http://www.stern.de/wirtschaft/geld/staatsschuldenkrise-91360274t.html (letzter Zugriff: 04.April 2012).
[2] Graeber, „Debt - The first 5000 years“ (zu dt.: „Schulden - Die ersten 5000 Jahre“), 544 Seiten.
[3] Schirrmacher. Und vergib uns unsere Schulden in: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/kapitalismus/eurokrise-und-vergib-uns-unsere- schulden-11527296.html (letzter Zugriff: 04. April 2012).
[4] Vgl.Kußmaul in: K/P/W, Kap.6 Rz.28; Siemers in: Beck'sches HdBGmbH, § 10, Rz. 45; Weber - Grellet in: Schmidt 2012, § 5, Rz. 151; Wied in: Blümich, § 4, Rz. 279 ff.
[5] Tiedchen, S.18.
[6] Winnefeld, Kap. C, Rz. 555.
[7] BFH v. 03.02.1969, GrS 2/68, BStBl. II 1969, S.291; BFH v. 23.06.1980 - I R 28/77, BStBl. II 1981, S.62; Nds. FG v. 26.05.2011 - Az.: 14 K 229/09. Weber- Grellet in: Schmidt, § 5, Rz. 305.
[8] Kußmaul in: K/P/W, Kap.6 Rn.28; ders in K/P/W, § 246 HGB, Rz.14. Tiedchen in: HHR, § 5, Anm. 312; Förschle/Kroner in: BBK. § 246, Rz. 51.
[9] Der Begriff wird im Bilanzrecht ausschließlich im Plural benutzt und soll auch im Folgenden so verwendet werden (vgl. §§ 240 I S.1; 246 I S.1 HGB).
[10] Baetge/Kirsch/Thiele, Kap. VIII, Absch.2, S.381; Kozikowski/Schubert in: BBK, § 247, Rz. 201.
[11] Baetge/Kirsch/ Thiele, S.95f ; Lutz/Schlag in: HdJ I/4 Rz.4; Siemers in: Beck'sches HdBGmbH, § 10 Rz.45; Winnefeld, Kap. E Rz.3.
[12] Scheffler, S.92.
[13] US- amerikanische Rechnungslegung = United States Generally Accepted Accounting Standards: Rechnungslegung nach FASB (Financial Accounting Standards Board).
[14] Lutz/Schlag in: HdJ I/4, Rz.167.
[15] BFH v. 29.11.2000 - I R 87/99, BStBl. II 2002, S.655.
[16] Begriff der Schuld im engeren und weiteren Sinne (i.e.S / i.w.S.) von Ballwieser in: Beck'sches HdBR, B 131 Rz.74 oder auch ders. in: MüKoHGB, § 246, Rz. 69.
[17] Winnefeld, Kap. D, Rz. 94.
[18] Der Begriff des Unternehmens sei an dieser Stelle noch rechtsformunabhängig zu betrachten, da eine weiter gehende Abgrenzung im Folgenden bei der konkreten Bilanzierungsfähigkeit vorzunehmen ist(vgl. V. 3.).
[19] Vgl. nur BFH v. 30.01.2011 - I R 100/10; BFH v. 08.09.2011 - IV R 5/09; Moxter in: DStR 2004, S.1098, sowie ders. in: DStR 2004, S.1057; Wehrheim/Rupp in: DStR 2010, 821.
[20] Len/Fiebiger in: HdJ, I/6, Rz. 133;
[21] Förschle/Usinger in: BBk, § 243, Rz. 113; Winnefeld, Kap. D, Rz. 859.
[22] Baetge/Kirsch/Thiele, Kap. III, Absch. 4, S. 179, Fn. 102; vgl. zum noch bestehenden Passivierungswahlrecht f. Aufwandsrückstellungen, Thiel/Lüdtke- Handjery, § 5, Rz. 479, sowie Winnefeld, Kap. D, Rz. 859.
[23] ADS, § 249 Rn.37; Lutz/Schlag in: HdJ I/4, Rz. 128; Kozikowski/Schubert in: BBK, § 247 Rz.201.
[24] St. Rspr: BFH v. 18. 2.2002 - I R 17/02, BStBl. II 04, S.126; BFH v. 20.10.2004 - I R 11/03, BStBl. II 05, S.581; BFH v.05.04.2006 - I R 43/05, BStBl. II 06, S.593; BFH v.11.10.2007 - IV R 52/04, BStBl. II 09, S.705; ALS, § 249 Rz.37; Ballwieser in: Beck'sches HdBR, B 131, Rz. 76; Lenz/Fiebiger in: HdJ I/6, Rz. 133; Lutz/Schlag in: HdJ I/4, Rz. 128; Kozikowski/Schubert in: BBK, § 247, Rz. 22.
[25] Baetge/Kirsch/Thiele, Kap. IX, S. 405;
[26] Mayer - Wegelin/Kessler/Höfer in: K/P/W, § 249, Rz. 7, 18; Merkt in: Baumbach/Hopt, § 249, Rz. 1.
[27] Vgl. zum Begriff der Rücklage im Gegensatz zur Rückstellung: Baetge/Kirsch/Thiele, Kap. IX, S. 405.
[28] Mayer - Wegelin/Kessler/Höfer in: K/P/W, § 249, Rz. 25 - 29.
[29] Pfitzer/Oser/Lauer in: K/P/W, Kap 2, Rz. 7.
[30] Scheffler, S. 37.
[31] Pfitzer/Oser/Lauer in: K/P/W, Kap 2, Rz. 7/8.
[32] Winnefeld, Kap. Einführung in das nationale Handels- und Steuerbilanzrecht sowie in die internationalen Rechnungslegungsgrundsätze, Rz. 26.
[33] BVerfG v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164; BFH v. 13.04.2011 - X R 54/09; Lang in: Tipke/Lang, § 4, Rz. 83 ff.; Thiel/Lüdtke - Handjery, § 4 II 2, Rz. 288.
[34] Für viele: BFH v.02.03.1969, GrS 2/68, BStBl. II 1969, S.291; BFH GrS 2/99, BStBl. II 00, S. 632.
[35] Esterer in: FS - Herzig, S.627, 636; Weber - Grellet in: Schmidt, § 5, Rz. 21; Winnefeld, Kap. C, Rz. 290 ff. m.w.N.
[36] Merkt in: Baumbach/Hopt, § 243, Rz. 1.
[37] Scheffler, S.37.
[38] Baetge/Kirsch/Thiele in: K/P/W, Kap. 4, Rz. 4.
[39] Baetge/Kirsch/Thiele, Kap. III, Absch. 2, S.119.
[40] Kußmaul in: K/P/W, § 246, Rz. 2.
[41] Baetge/Kirsch/Thiele, Kap. III, Absch. 2, S.128.
[42] BGH NJW 1982, S.2825; Kleindiek in: Staub, Rz. 36.
[43] Tiedchen in: MüKo AktG, § 252 HGB, Rz. 52
[44] Janke in: StuW 1994, 214 (215); Merkt in: Baumbach/Hopt, § 252, Rz. 10
[45] Ballwieser in: MüKoHGB, Rz. 61 (als Ausfluss des Imparitätsprinzips); Winnefeld, Kap. E, Rz. 78.
[46] Merkt in: Baumbach/Hopt, § 252, Rz. 10; Winkeljohann/Büssow in: BBK, § 252, Rz. 29.
[47] Christiansen in: DStR 2002, S.1637 (1638); Tiedchen in: MüKoAktG, § 252, Rz. 52.
[48] ADS § 252 HGB, Rz. 93 m.w.N.; Kleindiek in: Staub, § 252, Rz. 33; Tiedchen in: MüKo AktG, § 252 HGB, Rz. 52.
[49] Tiedchen in: MüKoAktG, § 252, Rz. 54 - 57.
[50] Ballwieser in: MüKoHGB, § 252, Rz. 73; Christiansen in: DStR 2002, S.1637 (1638); Schulze-Osterloh in: FS Forster, 1992, S.653 (656);
[51] Ballwieser in: MüKoHGB, § 252, Rz. 82; Kleindiek in: Staub, § 252, Rz. 26; Weber - Grel- let in: Schmidt, § 5, Rz. 78 - a.A. Knobbe - Keuk § 3III4 c; Siegel in: BFuP 1994, S. 1.
[52] Tiedchen in: MüKoAktG, § 252 HGB, Rz. 61.
[53] Baetge/Kirsch/Thiele, Kap. II, Absch. 2, S. 120.
[54] Baetge/Kirsch/Thiele, Kap. II, Absch. 2, S. 120; Ballwieser in: MüKoHGB, § 252, Rz. 99.
[55] Moxter in: FS - Döllerer, S. 447 (449); Tiedchen in: MüKoAktG, § 252 HGB, Rz. 76.
[56] Tiedchen in: MüKoAktG, § 252 HGB, Rz. 79.
[57] Vgl. zu dem Begriff der „abstrakten / konkreten“ Passivierungsfähigkeit: Baetge/Kirsch/ Thiele, Kap.III, Absch.3, S.170 f.
[58] Vgl. dazu Tiedchen in: HHR, § 5, Anm.300, wonach die Unterscheidung zw. abstrakter u. konkreter Passivierungsfähigkeit selten gemacht wird, aber sinnvoll erscheine.
[59] Der Begriff der Steuerbilanz findet sich so weder im HGB noch im EStG, sondern nur in § 27 KStG und in R 5.7 EStR wieder.
[60] BFH v.06.03.2003 - XI R 52/01, BStBl. II 2003, S.658; Weber- Grellet in: Schmidt § 5, Rz. 361 ff.; vgl. auch Ausführungen oben unter II. 1. und 2., sowie weiter unten, IV. 1. Ad a).
[61] BFHE 155, 322, BStBl. II 1989, S. 359; BFHE 163, 146, BStBl. II 1991, S. 479; BFH v. 11.04 1990 - I R 63/86, BFHE 160, S.323; BFH v. 20.01.1993 - I R 115/91, BFHE 170, 234, BStBl. II 1993, S. 373; zuletzt in: BFH v. 30.11.2011 - I R 100/10.
[62] Vgl. z.B. Baetge/Kirsch/Thiele, Kap. III, Absch.3, S. 170f.; Hennrichs in: MüKoAktG., § 249 Rz. 27; Kußmaul in: K/P/W, Kap.6 Rn. 26 (4).
[63] Fall der inhaltlich identischen Maßgeblichkeit, wonach die Handelsbilanz rein deklaratorische Wirkung in der Steuerbilanz entfaltet, vgl. insofern BMF v.12.3.2010, BStBl. I 2010, S.239, Tz. 3, 4.
[64] Kozikowski/Schubert in: BBK§ 247 Rz. 205; vgl. auch Hüttemann, mit weiteren Kriterien zur „erzwingbaren Leistung“, S.8 ff.
[65] Hüttemann, S.12.
[66] Baetge/Kirsch/Thiele,Kap. III, Absch. 3, S.172.
[67] Moxter in: BB 1999, S.519.
[68] Z.B. BFH v.20.11.1962 -I 242/61 U, BStBl. III 1963, S.113; BFH v. 22.11.1988 -VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl. II 1989, S.227.
[69] Booking, S. 103; Moxter, Bilanzrechtsprechung, S.84.
[70] Bsp. entnommen aus Baetge/Kirsoh/Thiele, Kap.III Absch.3, S.172; Tiedohen in: HHR, § 5, Rz. 480.
[71] Begrifflichkeit entnommen von Hey in: Tipke, Steuerrecht, § 17, Rz. 105.
[72] Vgl. dazu mit ausführlichen Beispielen: Winnefeld, Kap. D, Rz. 1208.
[73] BFH v. 16.02.1996 - I R 73/95, BStBl. II 1996, S.592; BFH v. 03.07.1997 - IV R 49/96, BStBl. II 1998, S. 244 (255); BFH v. 25.10.2006 - I R 06/05, BStBl. II 2007, S.384 (385); Christiansen in: DStR 2007, S.127 (128); ders. in: DStR 2008, S.735.
[74] Mit Einschränkungen bei dem Kriterium der Quantifizierbarkeit, vgl. Ausführungen unter IV. 1. c).
[75] Winnefeld in: Kap. M, Rz. 285.
[76] Morck in: K/R/M, § 266, Rz. 13.
[77] Wiedmann in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 249, Rz. 29 ff.
[78] Ballwieser in: MüKoHGB, § 249, Rz. 83.
[79] Merkt in: Baumbach/Hopt, Weber - Grellet in: Schmidt, § 5, Rz. 305, 463.
[80] Ballwieser in: Beck'sches HdBR, B 131, Rz. 76.
[81] Scheffler, S.272.
[82] BFH v.07.08.2000, GrS 2/99, BStBl. II 00, S.632, 637; Wied in: Blümich, § 4, Rz. 263; We- ber-Grellet in Schmidt § 5, Rz. 32; Tiedchen in: H/H/R § 5 Rz. 365; a. A. Crezelius in: Kirchhof § 5 Rz. 37
[83] Scheffler, S.272.
[84] Scheffler, S.272.
[85] Moxter in: DStR 2004, S.1057; vgl. ders. in FS- Döllerer, S.447 (455) mit noch gegensätzlicher Meinung, nach welcher er Passivierung reiner Innenverpflichtungen bejahte; sowie Janke in: StuW 1994, S.214 (223).
[86] BFH v.19.01.1972 - I 114/65, BFHE 104, 422, BStBl. II 1972, S.392.
[87] Merkt in: Baumbach/Hopt, § 246, Rz. 13.
[88] Beispielfall aus Moxter, Bilanzrechtsprechung, S.84.
[89] Hüttemann, S.18.
[90] Diese nimmt auch Tiedchen in: MüKoAktG, § 253 HGB, Rz.28 vor, wenn sie die Abzinsung bei Aufwandsrückstellungen aufgrund mangelnden Zinsanteils verneint.
[91] Kußmaul in: K/P/W, Kap.6, Rz.26.
- Arbeit zitieren
- Esther Pauckert (Autor:in), 2012, Bilanzielle Zurechnung von Schulden in der Handels- und Steuerbilanz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198085
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