Wahrscheinlich kein deutscher Autor hat sein eigenes Leben so akribisch festgehalten wie
Johann Wolfgang von Goethe, und wohl ebenso hat kein anderer sich darum bemüht, sich
selbst so sehr in Szene zu setzen. Goethe hat zu seinen Lebzeiten einen Großteil seiner
Energie darauf verwendet, sich selbst unsterblich zu machen. Nie hat er eine umfassende
Autobiografie geschrieben, und doch ist beinahe jeder Tag in Einzelheiten noch heute aus
Selbstzeugnissen nachvollziehbar. Aus unzähligen Briefen, die den Großteil seiner Gesamtausgabe
ausmachen, lässt sich sein Leben rekonstruieren. In späteren Lebensphasen
entstanden rückerinnernde Aufsätze, in denen er ausgesuchte Ereignisse seines Lebens
noch einmal niederschrieb und sie so stilisiert für die Nachwelt konservierte. Ab 1823
beschäftigte er Johann Eckermann einzig dafür, Gespräche, die er ihm diktierte, aufzuschreiben.
Darüber hinaus sorgte er mit ebenso großer Energie dafür, dass er seinen Zeitgenossen
präsent war. In jungen Jahren zeigte er regen Anteil an Versammlungen, später
konnte er es sich leisten, in seinen eigenen Räumen regelrechte Audienzen zu geben, bei
denen er sich nach Belieben inszenierte, bevorzugt in der Rolle des Kauzes.
Diese ein Leben andauernde Selbstinszenierung hat ihre Wirkung nicht verfehlt, sie hat zur
Goetherezeption der vergangenen 170 Jahre, die um 1900 in gottesähnlichen Glorifizierungen
kulminierte1, maßgeblich beigetragen. Grundlegend für diese Entwicklung war
sicherlich die Einführung des Abiturs in Preußen 1818, das Pflicht zur Zulassung an der
Universität wurde. Sie machte die Einführung eines Lehrkanons in Lehrplänen um 1830
notwendig, der ganzdeutsch sein musste, denn die Lehrplankommissionen mussten ein
Curriculum erarbeiten, das überall im Land angewendet werden konnte, und was bot sich
mehr an als Goethe und Schiller, die in ihren Werken gerade das Grundlegende in der
Kunst gesucht und eine Einheit der deutschen Kunst angestrebt hatten. Darüber hinaus
waren sie in Bezug auf die Bikonfessionalität der Deutschen nicht anstößig, da sie sich in
ihrem Werk nicht religionspolitisch engagierten. So wurden Goethe und Schiller bereits
unmittelbar nach Goethes Tod Bestandteil des deutschen Schulkanons, und die Germanistik
brachte um 1850 die ersten Schulbücher heraus, die die Schüler flächendeckend mit
Texten von Goethe und Schiller versorgten.
1 Ein gutes Beispiel dafür ist Bielschowsky 1896-1904.
Inhalt
1. Einleitung
2. „Friedrich Schiller“ – Benno von Wiese
3. „Schillers Leben“ – Peter Lahnstein
4. „Schiller“ – Oellers/Gellhaus
5. Abschließende Bemerkungen
6. Bibliografie
1. Einleitung
Wahrscheinlich kein deutscher Autor hat sein eigenes Leben so akribisch festgehalten wie Johann Wolfgang von Goethe, und wohl ebenso hat kein anderer sich darum bemüht, sich selbst so sehr in Szene zu setzen. Goethe hat zu seinen Lebzeiten einen Großteil seiner Energie darauf verwendet, sich selbst unsterblich zu machen. Nie hat er eine umfassende Autobiografie geschrieben, und doch ist beinahe jeder Tag in Einzelheiten noch heute aus Selbstzeugnissen nachvollziehbar. Aus unzähligen Briefen, die den Großteil seiner Gesamtausgabe ausmachen, lässt sich sein Leben rekonstruieren. In späteren Lebensphasen entstanden rückerinnernde Aufsätze, in denen er ausgesuchte Ereignisse seines Lebens noch einmal niederschrieb und sie so stilisiert für die Nachwelt konservierte. Ab 1823 beschäftigte er Johann Eckermann einzig dafür, Gespräche, die er ihm diktierte, aufzuschreiben. Darüber hinaus sorgte er mit ebenso großer Energie dafür, dass er seinen Zeitgenossen präsent war. In jungen Jahren zeigte er regen Anteil an Versammlungen, später konnte er es sich leisten, in seinen eigenen Räumen regelrechte Audienzen zu geben, bei denen er sich nach Belieben inszenierte, bevorzugt in der Rolle des Kauzes.
Diese ein Leben andauernde Selbstinszenierung hat ihre Wirkung nicht verfehlt, sie hat zur Goetherezeption der vergangenen 170 Jahre, die um 1900 in gottesähnlichen Glorifizierungen kulminierte[1], maßgeblich beigetragen. Grundlegend für diese Entwicklung war sicherlich die Einführung des Abiturs in Preußen 1818, das Pflicht zur Zulassung an der Universität wurde. Sie machte die Einführung eines Lehrkanons in Lehrplänen um 1830 notwendig, der ganzdeutsch sein musste, denn die Lehrplankommissionen mussten ein Curriculum erarbeiten, das überall im Land angewendet werden konnte, und was bot sich mehr an als Goethe und Schiller, die in ihren Werken gerade das Grundlegende in der Kunst gesucht und eine Einheit der deutschen Kunst angestrebt hatten. Darüber hinaus waren sie in Bezug auf die Bikonfessionalität der Deutschen nicht anstößig, da sie sich in ihrem Werk nicht religionspolitisch engagierten. So wurden Goethe und Schiller bereits unmittelbar nach Goethes Tod Bestandteil des deutschen Schulkanons, und die Germanistik brachte um 1850 die ersten Schulbücher heraus, die die Schüler flächendeckend mit Texten von Goethe und Schiller versorgten.
Der letztendliche Schub, der die Glorifizierung um 1900 in Gang brachte, war der mit der Reichsgründung 1871 einsetzende Historismus. Nachdem Deutschland nun ein Reich mit einem Kaiser geworden war, kam die Frage nach den Ursprüngen dieser Entwicklung auf. Wie hatte es das deutsche Volk nach Jahrhunderten geschafft, sich als Einheit zu verstehen? Die Antwort fand sich nicht zuletzt in der Zusammenarbeit von Schiller und Goethe, denn hier sah man zum ersten Mal zwei Dichter, die Deutschland als Ganzes aufgefasst und sich für eine nationalistische Bildung des Volkes eingesetzt hatten, wie zum Beispiel Schiller in seinen Vorschlägen für ein deutsches Nationaltheater. Beide wurden jetzt zu echten Nationalhelden. Wenn man davon ausgeht, dass die Klassizität der Weimarer Klassik eine reine Konstruktion ist, kann man getrost sagen, dass gerade in dieser Phase des ausgehenden 19. Jahrhunderts der Titel „deutsche Klassik“ aus den oben genannten Gründen an die Schaffensperiode der beiden Dichter mehr oder weniger bewusst vergeben wurde.
Inzwischen haben Goethe und Schiller, und besonders ihr gemeinsames Wirken, im Sinne von Jan Assmann eine fundierende Funktion der deutschen Nation. Sie bilden nicht zuletzt das Fundament deutscher Identität, denn ihre Schaffensperiode hat nachhaltig auf das kulturelle Gedächtnis dieser Gruppe der Deutschen eingewirkt.[2]
Ausgehend von diesem Wissen, erstens der Wirkungskraft Goethes Selbstdarstellung auf die Nachwelt, zweitens der Mystifizierung und Legendenbildung um die Freundschaft der beiden Künstler und drittens der gewichtigen Bedeutung Schillers und Goethes für deutsche Identität, möchte ich hinterfragen, welche Möglichkeiten es gibt, auf diese Verankerung im kulturellen Gedächtnis zu reagieren. Es gibt eine sehr große Anzahl von Goethe- bzw. Schillerbiografien. Es gibt Abhandlungen über die unterschiedlichsten Aspekte der beiden Menschen, über ihre Anatomie und über ihre Trinkgewohnheiten[3], es wurden die möglichsten und unmöglichsten Teilgebiete sowohl ihres Lebens als auch ihrer Arbeit untersucht. Für mich hat sich die Frage gestellt, wie ein Biograf des 20. Jahrhundert auf die Vorgaben reagieren kann, die beide Dichter und vorhergehende Biografengenerationen hinterlassen haben. Dabei habe ich die Biografien unter folgendem Anspruch betrachtet: Es sollte meiner Meinung nach das Ziel jedes Historikers und Literaturwissenschaftlers sein, ein genaues und distanziertes Portrait der untersuchten Person zu zeichnen. Er sollte – soweit möglich – versuchen, die politischen und gesellschaftlichen Strömungen seiner Zeit zu umgehen und ein wissenschaftlich-sachliches Dokument zu erstellen. Da aber jeder in seiner Zeit und in dem kollektiven Gedächtnis seiner Gruppe gefangen ist, möchte ich einmal genauer hinsehen, welche dokumentarischen Techniken sich dem Biografen bieten, derer er sich als Hilfsmittel bedienen kann, um eine sachliche Distanz zu wahren.
Mich interessieren dabei vor allem:
a) die Erzählweise
b) die Auswahl von Zitaten.
Die Erzählweise kann einerseits standardmäßig distanziert sein, wie man es von Biografien gewohnt ist, oder sie nähert sich der geschilderten Person an und wird nahezu episch. Zitate können sehr hilfreich sein, eine Person näher vorzustellen, sie können aber auch ein Bild verfälschen, wenn sie ungenau gesetzt werden.
Als Grundlage habe ich drei Schillerbiografien aus den Jahren 1959 bis 1999 ausgewählt, und dort die jeweiligen Kapitel untersucht, die die Beziehung zwischen Goethe und Schiller behandeln. Das Ziel ist dabei aber nicht, die Begebenheiten der verschiedenen Epochen für die Begründung der unterschiedlichen Sichtweisen heranzuziehen, denn das wäre ein anderer Ansatz und würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es soll lediglich versucht werden, anhand dieser drei sehr unterschiedlichen Werke die Techniken der Autoren zu durchleuchten.
2. „Friedrich Schiller“ – Benno von Wiese
Das erste Werk, dem ich mich hier nähern möchte, ist Benno von Wieses 1959 erschienener Band „Friedrich Schiller“. Von Wiese, ein Literaturwissenschaftler, versteht sich hier als Biograf, der Schillers Leben erzählen und „die Gestalt als ein Ganzes von neuem sichtbar“[4] machen will. Die Absicht, das Leben zu erzählen, beschränkt sich aber fast ausschließlich auf Schillers literarische Arbeit und seine geistige Entwicklung, denn über sein Privatleben erfahren wir wenig. Charlotte Schiller, die Ehefrau, wird in einem eigenen Kapitel von unter 20 Seiten abgehandelt, auf den restlichen über 800 Seiten hingegen findet sie kaum mehr Beachtung.
Von Wieses Biografie liest sich in vielen Teilen wie eine Festschrift zu Schillers 200. Geburtstag, denn in seiner Beschreibung der Beziehung Schillers zu Goethe lässt er sich von den Selbstzeugnissen der beiden Dichter so sehr vereinnahmen, dass er sie kritiklos übernimmt.
Dazu möchte ich folgendes Beispiel nennen: Im Abschnitt über das Kennenlernen der beiden flechtet er die Schillerzitate, die seine Beziehung zu Goethe mit der von Brutus zu Cäsar gleichsetzt, unreflektiert ein. „In seiner ersten Weimarer Zeit begegnete Schiller überall der mächtige Schatten des großen Abwesenden, durch den er sich gequält und beunruhigt, aber auch angelockt und zur Vergleichung aufgefordert fühlte. Das Rätsel dieses Menschen, der alles was er ist, ganz ist und ‚wie Julius Caesar, vieles zugleich seyn kann’ blieb für ihn unauflösbar. Mochte Schiller sich dabei nicht selbst als ‚Brutus’ verstanden haben? ...“[5] Die Zitate werden angeführt und mit von Wieses Sätzen vermischt, ohne auf eine eventuelle Überhöhung beleuchtet zu werden. Leider werden sie aber auch nicht näher kommentiert. Es wäre zu erwarten, dass Schillers Hassliebe gegen Goethe relativiert oder bestätigt wird, dass entweder auf Schillers Hass oder Goethes Überheblichkeit, die Schiller verflucht, näher eingegangen wird. Beides tut von Wiese aber nicht, er vermeidet systematisch, über einen der beiden negativ zu urteilen, sondern stellt stattdessen bloß die wortgewaltigen Zitate in den Raum.
[...]
[1] Ein gutes Beispiel dafür ist Bielschowsky 1896-1904.
[2] Assmann 1997, S. 48 ff.
[3] Als Beispiele seien hier genannt: Bradish 1932, Märker 1927, Müller 1908, Widmann 1902.
[4] von Wiese 1959, S. V.
[5] von Wiese 1959, S. 516.
- Quote paper
- David Glowsky (Author), 2001, Sachlichkeit bei der Darstellung historischer Persönlichkeiten. Eine Analyse der Goethe-Schiller-Beziehung in drei Schillerbiografien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19797
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