Krisen und Katastrophen haben seit jeher die Frage nach ihren Ursachen aufgeworfen. Auch die derzeitige globale Umweltkrise stellt uns nicht nur vor neue Herausforderungen, sondern wirft auch die Frage nach ihren Ursachen auf. Mitten in den Zeitgeist der 60er/70er Jahre, der vom Beginn der ökologischen Bewegung geprägt war, stellte der renommierte Historiker Lynn Townsend White die These auf, dass die Umweltzerstörung auf die jüdisch-christliche Religion zurückzuführen sei. Whites provokante These verhallte nicht, sondern fand weltweit zahlreiche Vertreter wie Carl Amery und Eugen Drewermann allein in Deutschland. Als geistiger Vater dieser Schuld¬zuweisung an das Christentum wurde White der Vorwurf gemacht, die Kirche in Misskredit gebracht zu haben, zumal seine Thesen heute als widerlegt gelten. Dass White trotz seines massiven Vorwurfs zugleich aber ein entscheidender Förderer christlicher Theologie gewesen ist und die scharfe Kritik gegen ihn letztlich unberechtigt ist, soll im Folgenden aufgezeigt werden.
Krisen und Katastrophen haben seit jeher die Frage nach ihren Ursachen aufgeworfen. Auch die derzeitige globale Umweltkrise stellt uns nicht nur vor neue Herausforderungen, sondern wirft auch die Frage nach ihren Ursachen auf. Mitten in den Zeitgeist der 60er/70er Jahre, der vom Beginn der ökologischen Bewegung geprägt war, stellte der renommierte Historiker Lynn Townsend White die These auf, dass die Umweltzerstörung auf die jüdisch-christliche Religion zurückzuführen sei.[1] Whites provokante These verhallte nicht, sondern fand weltweit zahlreiche Vertreter wie Carl Amery und Eugen Drewermann allein in Deutschland.[2] Als geistiger Vater dieser Schuldzuweisung an das Christentum wurde White der Vorwurf gemacht, die Kirche in Misskredit gebracht zu haben, zumal seine Thesen heute als widerlegt gelten. Dass White trotz seines massiven Vorwurfs zugleich aber ein entscheidender Förderer christlicher Theologie gewesen ist und die scharfe Kritik gegen ihn letztlich unberechtigt ist, soll im Folgenden aufgezeigt werden.
Als Historiker befasste sich White als erster mit der Technikgeschichte des Mittelalters, wobei er insbesondere das Verhältnis zwischen christlichem Glauben und technologischer Entwicklung untersuchte.[3] Im Zentrum seiner Betrachtung stand die These: „Die ökologischen Beziehungen des Menschen werden größtenteils von seinen Glaubensvorstellungen über die Natur und das Schicksal bestimmt – also von der Religion.“[4] White verweist darauf, dass im 7. Jh. der Hakenpflug eingeführt wurde, der den Boden in bislang unbekannten Maße nutzbar machen konnte. Es sei kein Zufall, dass diese Innovation, die einen derart großen Einfluss auf die Ausbeutung der Natur besaß, ausgerechnet in Europa eingeführt wurde.[5] Denn auch das geistige Verhältnis zur Natur sei im Frühmittelalter einer Wende unterzogen worden. Zuvor geschah die Darstellung von Monaten auf Kalendern als passive Personifizierungen. Ab dem Spätmittelalter wurden die Kalender mit Bildern von Kultivierungsmaßnahmen illustriert.[6] Der Wandel im Verhältnis des Menschen zur Natur ist gemäß White auf die Aussagen in der biblischen Schöpfungsgeschichte zurückzuführen. In dieser werde der Mensch als transzendentes Ebenbild Gottes erwähnt, wodurch der Mensch der Natur entrückt würde.[7] Insbesondere Gen 1,28 habe zum gestörten Verhältnis beigetragen, indem es dort heißt: „bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem land regen.“ White sieht in diesen Zeilen die Legitimation dafür, die Natur für menschliche Zwecke auszubeuten. Der heidnisch-animistische Gedanke des genius loci, der von einer beseelten Natur ausgeht, sei damit von der jüdisch-christlichen Religion verworfen worden.[8]
Im Gegensatz zur Ostkirche, in welcher die Naturphilosophie, nach der Gott durch die Natur als symbolisches System zum Menschen spricht, zum Tragen kommt, habe man sich im Westen von dieser ab dem 13. Jh. abgewandt. Hier hätten nun nicht mehr ästhetische Aspekte der Natur im Vordergrund gestanden, sondern wissenschaftliche. Man hätte versucht, das Funktionieren der Schöpfung zu verstehen. Ab dem 13. Jh. habe sich im Westen jeder große Naturwissenschaftler bis Newton bei seinen Forschungen auf religiöse Motive berufen.[9] Erst ab dem 18. Jh. nahm der Gottesbezug der Forschung ab. Allerdings sei kein neues System von Werten an die Stelle des Christentums getreten.[10] Die moderne Naturwissenschaft bleibe damit eine Erfindung des Christentums und auf sein Naturverständnis bezogen.[11]
Die Thesen Whites wurden exegetisch, geschichts- und religions- wissenschaftlich widerlegt. White zieht die falschen exegetischen Schlüsse, wenn er Gen für die „magna charta“ der Umweltzerstörung hält. Zugegeben bedient sich die Genesis-Erzählung harter Worte für den Schöpfungsauftrag an den Menschen. So fällt in Gen 1,28 die hebräische Bezeichnung für das „Niedertreten“ der Natur.[12] Dieses bezieht sich an dieser Stelle jedoch nur die unbelebte Natur, also die Bearbeitung des Ackerbodens oder das Zerdrücken von Wein zur Maischeherstellung.[13] Die belebte Natur, also die Tiere, treten vielmehr als Bundesgenossen des Menschen auf. Diese erhalten damit einen Eigenwert, der nicht mit einem Nutzwert für den Menschen gleichzusetzen ist.[14] Folgend tritt der Mensch nicht als absoluter Herrscher über die Natur, sondern als „Statthalter Gottes“ auf.[15] Die Natur ist ein dem Menschen „zur Nutzung anvertrautes Gut, für das er Verantwortung trägt und Rechenschaft ablegen muss."[16] Demgemäß spricht Gen 2,15 von einem Garten, den der Mensch bebauen und bewahren soll. In Gen 2,7 steht geschrieben, dass Adam nicht als Mensch geschaffen wurde. Das hebräische Wort kann eher mit aus Lehm geformter „Erdling“ übersetzt werden. Die Unterscheidung zwischen Mensch und Natur ist demnach nicht so groß wie die Übersetzung glauben machen will. Es existiert vielmehr eine organische Verbindung zwischen Adam und der Natur. Nach seinem Tode kehrt der Mensch auch in den Boden zurück, aus dem er geformt wurde (Gen 3,19).[17]
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[1] White, Lynn Townsend: The Historical Roots of Our Ecologic Crisis. in: Science 155 (1967), Heft 3767, S. 1203-1207. Eine deutsche Übersetzung des Aufsatzes findet sich in: White, Lynn Townsend: Die historischen Ursachen unserer ökologischen Krise. in: Michael Lohmann (Hg.): Gefährdete Zukunft. Prognosen angloamerikanischer Wissenschaftler. München 1970, S. 20-29.
[2] Amery, Carl: Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums. Hamburg 1972. Drewermann, Eugen: Der tödliche Fortschritt. Von der Zerstörung der Erde und des Menschen im Erbe des Christentums. Regensburg 1981. Zu weiteren Vertretern außerhalb Deutschlands siehe Löhr, Gebhard: Ist das Christentum für die gegenwärtige ökologische Krise verantwortlich? Das Naturverständnis der Religionen in der gegenwärtigen Diskussion. in: Berliner theologische Zeitschrift 14 (1997), Heft 1, S. 93-117, S. 94.
[3] Zum geschichtswissenschaftlichen Gesamtwerk Whites siehe Hall, Bert: Lynn White's 'medieval technology and social change' after thirty years. in: Technological change. Methods and themes in the history of technology. Amsterdam 1998, S. 85-101.
[4] White, Ursachen, S. 23.
[5] White, Ursachen, S. 22f.
[6] White, Ursachen, S. 23.
[7] White, Ursachen, S. 24.
[8] White, Ursachen, S. 24f.
[9] White, Ursachen, S. 26.
[10] White, Ursachen, S. 28.
[11] White, Ursachen, S. 25f.
[12] Koch, Klarstellungen, S. 224.
[13] Koch, Klarstellungen, S. 226-230. Wegenast, Klaus: "... und machet sie euch untertan!" Von den gnadenlosen Folgen der Freiheit. in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 55 (2003), Heft 3, S. 231-235, S. 232.
[14] Koch, Klarstellungen, S. 231-237.
[15] Daeke, Sigurd Martin: Natur und Schöpfung im Christentum. Auf dem Weg von der Ausbeutung der Schöpfung zur Versöhnung mit ihr. in: Katechetische Blätter 117 (1992), S. 234-241, S. 238.
[16] Wegenast, Folgen, S. 233.
[17] Hawkin, David J.: The disenchantment of nature and Christianity's "burden of guilt". in: Laval théologique et philosophique 55 (1999), Heft 1, S. 65-71, S. 67.
- Citation du texte
- Johann Mair (Auteur), 2008, Die globale Umweltkrise als Folge des Christentums?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197765
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