Dass der Klimawandel eine der größten Herausforderungen ist, vor denen die Menschheit heute steht, und dass er Millionen Existenzen bedroht, daran zweifelt kaum noch jemand. Doch dass er auch ein moralisches Problem ist, scheint keinesfalls offensichtlich. Zu behaupten, dass dem Einzelnen angesichts des Klimawandels moralische Verpflichtungen zukommen, ist in der bisherigen Literatur zur Klimaethik alles andere als gängig. Vielmehr wird darin in erster Linie über Politik geredet. Das hat durchaus seine Berechtigung, ist aber nicht ausreichend. Deswegen versucht diese Arbeit zunächst festzustellen, was genau das moralische Problem am Klimawandel ist, und untersucht dies mithilfe der klassischen Normtheorien Kantianismus und Utilitarismus. Bei beiden Theorien wird sie an Grenzen stoßen und sich daher, wie in der Klimaethik oft üblich, mit Gerechtigkeitskonzepten behelfen, wobei aufgezeigt wird, wie Kantianismus beziehungsweise Utilitarismus als begründende Normkonzepte hinter ihnen stehen.
Es wird deutlich werden, dass man zwei Ebenen, auf denen sich Klimaethik abspielt, unterscheiden kann – die des Kollektivs und die des Individuums. Dabei wird gezeigt, mit welchen Argumenten man auf welcher Ebene operieren kann, und warum das Individuum sich aus der Ethik des Klimawandels keinesfalls heraushalten darf.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Klimawandel
2.1 Klima und Treibhauseffekt
2.2 Die globale Erwärmung
2.2.1 Evidenz
2.2.2 Ursachen
2.2.3 Folgen
2.2.4 Maßnahmen
2.3 Eine bequeme Wahrheit
2.3.1 Typen von Klimaskeptikern
2.3.2 Die kalte Sonne
2.4 Zwei unbequeme Wahrheiten
3 Setting the Scene
3.1 Möglichkeit und Notwendigkeit einer Ethik
3.1.1 Freiheit und Verantwortung
3.1.2 Epistcmisehcr Wcrtanthropozcntrismus
3.2 Adressaten einer Ethik des Klimawandels
3.3 Über den Gegenstand der Umweltethik
3.4 Rechtfertigung eines Anthropozcntrismus
4 Kantischer Anthropozentrismus
4.1 Der kategorische Imperativ
4.2 Kantisehe Umweltethik
4.2.1 Niehtinstrumentell
4.2.2 Instrumenten
4.2.3 Verpflichtung gegen Zukünftige
4.3 Grenzen des kantisehen Anthropozcntrismus
5 Utilitarismus
5.1 Utilitarismus: Ein Überblick
5.1.1 Merkmale utilitaristischer Ethiken
5.1.2 Schwierigkeiten des Utilitarismus
5.1.3 Utilitaristische Umweltethik
5.2 Utilitaristische Klimacthik
5.2.1 Ökonomische Erwägungen
5.2.2 Quasidiskontierende Faktoren
5.2.3 Umgang mit Unsicherheit
5.2.4 Vier Strategien nach Gesang
5.3 Kooperation von Individuen
6 Gerechtigkeit
6.1 Gcrcchtigkcits- und Spargrundsätze bei Rawls
6.2 Gleichc-pro-Kopf-Anteile bei Singer
6.3 Konvergenzhypothese von Norton
6.4 Kosmopolitische Gerechtigkeit bei Harris
7 Handeln
7.1 Das Kollektiv
7.1.1 Begrenzung
7.1.2 Anpassung
7.1.3 Kompensation
7.1.4 Hemmnisse
7.2 Das Individuum
7.3 Grundsätzliche Schieflagen
8 Zusammenfassung und Fazit
A Glossar
Kapitel 1 Einleitung
George Tom verliert buchstäblich den Boden unter den Füßen. Den 61 .Jahre alten .Jäger vom Volk der Yup’ik in Alaska ereilte ein Schicksal, das er mit vielen indigcncn Völkern in der Arktis teilt: Sein Haus versank im schmelzenden Permafrost. Grant Kashatok, der das gleiche Problem zu beklagen hat, fürchtet nicht nur um seinen Wohnsitz, sondern auch um seine Identität:
„Wenn wir von hier Weggehen, sind wir keine Yup’ik mehr. Das heißt wörtlich übersetzt ’der wahrhaftige Mensch’. Doch wenn wir von hier Weggehen, sind wir nicht mehr wahrhaftig.“1
Monira Khatun aus Bangladesch sagt, sic lebe von der Hand in den Mund. Sic erinnert sieh, dass früher Reisanbau und Gemüse die Menschen in ihrem Dorf ernährten. Doch Überschwemmungen haben die Reisfelder weggespült, das Land ist unfruchtbar, das Wasser versalzen. Der chinesische Bauer Yang Guorui beklagt verdorrte Pflanzen auf seinen Ackern und fürchtet sieh vor der Ausbreitung der Wüste. Tscring Tundup Chupko aus Ladakh in Indien bemerkt in seinem Umfeld soziale Spannungen.
„Lange Zeit waren wir in diesem Dorf gute Freunde und Nachbarn, doch in der letzten Zeit ist cs wegen des Wassermangels häufiger zu Auseinandersetzungen gekommen. Wir machen Veränderungen durch, wie ich sic in meinem Leben noch nicht erlebt habe.“2
Diese Geschichten von Menschen, die sieh in einem existenziellen Kampf mit ihrer sieh verändernden Umgebung befinden, stammen aus einem der intelligenteren Bücher, die über den Klimawandel geschrieben worden sind. Es ist ein Bildband der Fotografen Mathias Brasehlcr und Monika Fischer, die 2009 um die Welt reisten, um Menschen zu treffen, die sieh als Opfer des Klimawandels begreifen. Es gelang ihnen damit ein künstlerischer und sensibler Beitrag zu einem sonst überwiegend akademisch diskutierten Thema. Sic erzählen Schicksale, porträtieren Menschen in Sorge. Dabei ist cs egal, ob die Situationen, in denen diese sieh befinden, durch den Klimawandel verursacht sind oder nicht. Es sind zumindest Situationen, die durch den Klimawandel sicher nicht besser werden.
Vielleicht ist der Klimawandel die größte Herausforderung, der sieh die Ethik je gegenübersah. Viele seiner Teilaspekte wurden bereits diskutiert, aber sic alle zu integrieren, dürfte eine herkömmliche Ethik sehlieht überfordern. Das Problem reicht räumlich und zeitlich weit über den Rahmen hinaus, in dem Ethik normalerweise betrieben wird.3 Die bislang erschienene Literatur zur Klimaethik ist charakterisiert durch zweierlei: Erstens untersucht sic ihren Gegenstand häufig mithilfe von Gcrcehtigkcitsprinzipicn. Und zweitens spricht sic am Ende immer über Politik. Das hat beides seine Berechtigung. Dennoch versucht diese Arbeit eine Öffnung des Blickwinkels in beider Hinsicht. Erstens werde ich, bevor ich über Gcrcehtigkcitsprinzipicn spreche, schon, wie weit eine Ethik des Klimawandels kommt, wenn man sic deduktiv aus klassischen Moralprinzipicn ableitet. Diese Herangehensweise werde ich am Kantianísimas (Kapitel 4) und am Utilitarismus (Kapitel 5) erproben. Bei beiden Theorien werde ich an Grenzen stoßen und mir daher auch mit Gcrcehtigkcitskonzcptcn behelfen (Kapitel 6), wobei ich bemüht bin aufzuzeigen, wie Kantianísimas beziehungsweise Utilitarismus als begründende Normkonzepte hinter ihnen stehen. Zweitens werde ich am Ende auch über Politik reden. Eine Ethik des Klimawandels, die das nicht täte, wäre geradezu albern. Aber ich werde auch über den Einzelnen reden, der mir in bisheriger Klimaethik zu leicht davonzukommen scheint. Folglich wird meine Arbeit darauf hinauslaufen, dass der Klimawandel ein ethisches Problem auf zwei Ebenen ist: auf der Ebene des Kollektivs und auf der Ebene des Individuums (Kapitel 7).
Der Klimawandel ist derart komplex, dass eine Ethik allein ihm unmöglich gerecht werden kann. Auch zwei Ethiken werden nicht alle Fragen beantworten können. Aber vielleicht wird klar, wer sieh angesprochen fühlen sollte. Die Politik, ja. Aber auch das Individuum werde ich nicht aus der Verantwortung lassen. Schließlich lässt der Klimawandel das Individuum ja auch nicht unberührt. George Tom, Grant Kashatok, Monira Khatun, Yang Guorui und Tscring Tundup Chupko sind solche Individuen. Der Klimawandel ist ihr konkretes Problem, und nicht das einer namenlosen Masse. Daher möchte ich mit einem Zitat Yang Guoruis enden „Vom Klimawandel habe ich nicht nur gehört, ich erlebe ihn am eigenen Leib.“4
- oder beginnen.
Kapitel 2 Der Klimawandel
„Der Planet wird es überstehen. Er hat Dutzende großer Temperatur Schwankung en hinter sich. Nur die Menschheit war bei einer so gravierenden Klimaveränderung noch nicht dabei.“
(Jean Jouzcl 2008, S. 33)
Das Phänomen „Klimawandel“ wird in der öffentlichen Diskussion nicht immer sehr differenziert wiedergegeben. Ein Sammelsurium aus dramatisierenden Zeitungsberichten, Relativierungen und erneuten Schrcckcnsmcldungcn hat diesen Begriff mittlerweile so weit aufgeblasen, dass von seiner eigentlichen, wissenschaftlichen Bedeutung nicht mehr viel übrig ist. In diesem Kapitel soll daher einigermaßen unaufgeregt versucht werden, dem Phänomen Kontur zurückzugeben. Die Darstellung wird sieh am jüngsten Synthesebericht des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC, siche Glossar A) von 20071 orientieren, diesen aber nicht sklavisch naehbeten. Auch die sogenannten Klimaskeptiker, die die Ergebnisse des Weltklimarats in Zweifel ziehen, kommen zu Wort. Am Schluss wird dieser Überblick integriert, sodass drei grundlegende Prämissen für eine Ethik des Klimawandels entwickelt werden können.
2.1 Klima und Treibhauseffekt
Die Sonne versorgt die Erde mit Energie. Die auftreffende Strahlung wird zu einem Teil direkt reflektiert (man spricht von der „Albedo“ der Erde, ihrem Rüekstrahlvcrmögcn. Es liegt derzeit bei etwa 30%.). Der Rest trifft auf die Erde und wird von ihr absorbiert - sie heizt sieh auf. Nach dem Stefan-Boltzmaim-Gesetz sendet ein Körper abhängig von seiner Temperatur Wärmestrahlung aus. So auch die Erde. Im simplen Gleichgewicht von cin- treffender und ausgesendeter Strahlung hätte sie eine Temperatur von -18°C. Das klingt ungemütlich, und es ist bekannt, dass es auf der Erde de facto gut 33°C wärmer ist. Der Grund für diesen Unterschied ist die Atmosphäre. Sic beheimatet neben Stickstoff, Sauerstoff und Argon auch eine Reihe weiterer Gase, die in sehr geringen Konzentrationen vorhanden sind und daher Spurengase heißen. Unter ihnen finden sieh die sogenannten Treibhausgase. Die prominentesten sind Wasserdampf (H2O), Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan (CH4), Stickstoffoxid (N20, „Lachgas“) und Ozon (O3). Was sie zu Treibhausgasen macht, ist ihre Fähigkeit, im Infrarotbcrcieh Strahlung zu absorbieren und zu emittieren. Sic fangen also die von der Erde abgestrahlte Wärme auf und senden wiederum Wärmestrahlung zurück („Treibhauseffekt“). Das bewirkt, dass die Erde sieh am Boden aufheizt, und das reicht aus, um aus einem Eisklotz einen bewohnbaren Planeten zu machen.
Veränderungen der Trcibhausgas-Konzcntrationcn können also einen Effekt auf die Durehsdmittstcmpcratur der Erde haben. Aber natürlich ist dies nicht der einzige Effekt. Eine Erhöhung der Albedo, etwa durch eine dichtere Wolkendecke, kann eine Abkühlung hervorrufen. Vulkancruptioncn können zum Beispiel verantwortlich für eine größere Menge von Aerosolen in der Atmosphäre sein. Diese begünstigen die Wolkcnbildung, wodurch mehr Sonnenstrahlung abgeschirmt wird. Da die Temperatur auf der Erde so entscheidend von der Sonne abhängt, verändert sieh das Klima aber auch, wenn sieh die Bestrahlung durch die Sonne ändert, etwa im Rahmen der 11-jährigen Aktivitätszyklen oder der sogenannten Milankovich-Zyklen. Letztere beschreiben eine dreifache Änderung der Erdbahnparameter: erstens die Tatsache, dass die Umlaufbahn der Erde mal mehr, mal weniger elliptisch ist (Änderung der Exzcntrität), die Entfernung der Erde von der Sonne also variiert. Zweitens berücksichtigen die Milankovieh-Zyklcn die Präzession der Erdachse, also das „Trudeln“ des Planeten, und drittens die Änderung ihres Neigungswinkels. Diese Zyklen haben Zeitskalen von mehreren zehn- bis zu hunderttausend Jahren. Ihre Auswirkungen sind alles andere als marginal: Die Milankovieh- Zyklcn gelten als ein Schlüssel zum Verständnis der in der Erdgeschichte immer wieder kehrenden Eiszeiten.
2006 versuchten ein paar Klimaaktivisten, den Welt .Jump Day ins Leben zu rufen. Die Idee war, dass 600 Millionen hüpfende Menschen in der Lage seien, die Umlaufbahn der Erde zu ändern und damit der Klimaerwärmung entgegenzuwirken. Abgesehen davon, dass diese Aktion aus physikalischer Sieht völliger Unfug ist, ist cs mit Sicherheit ein Symptom menschlicher Hybris, die Umlaufbahn der Erde um die Sonne beeinflussen zu wollen. Worauf der Mensch allerdings Einfluss nehmen kann und worauf er seit der Industrialisierung verstärkt Einfluss nimmt, ist die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre. Ihre Erhöhung führt seit dem vergangenen .Jahrhundert zu einer Erwärmung, die im öffentlichen Diskurs meist „Klimawandel“ heilst.
2.2 Die globale Erwärmung
2.2.1 Evidenz
Messungen offenbaren einen Anstieg der globalen Durehseimittstemperatur im vergangenen .Jahrhundert. Laut Weltklimarat ist die Erwärmung des Klimasystems eindeutig.2 Abbildung 2.1 zeigt die zeitliche Änderung der mittleren globalen Temperatur, und, damit einhergehend, die zeitliche Änderung des mittleren globalen Meeresspiegels und der nordhemisphärischen Selmeebederkling seit Beginn der Industrialisierung. Die Datenreihen bezeugen einen langfristigen Anstieg der Temperatur und des Meeresspiegels sowie eine Abnahme der Selmeebedeekung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.1: Änderungen von Durehsdmittstcmpcratur (gezeigt ist die Abweichung gegenüber dem Mittel von 1961-1990, Bild (a)), Meeresspiegel (b) und Selmeebedeekung in der Nordhemisphäre (e). Die Abbildung ist dem AR4 des IPCC entnommen [IPCC AR4, Abbildung 1.1].
Den linearen Trend des Temperaturanstiegs in den .Jahren 1906-2005 beziffert der Weltklimarat auf 0,74°C pro 100 Jahre.3 Der Meeresspiegel ist parallel dazu gestiegen, in der Zeit von 1961 bis 2003 um 1,8 Millimeter pro .Jahr.4 Zum Großteil ist das auf die thermische Ausdehnung der Ozcane zurückzuführen, zum geringeren Teil auf das Schmelzen von Gletschern, Eiskappen und den Verlust des polaren Eises.5
Während diese Erkenntnisse dem Weltklimarat als gesichert gelten,6 bespricht er auch einige andere beobachtete Klimaänderungen, bei denen er sieh auf Wahrschcinlichkcitsaussagcn beschränkt. Danach hat sieh die von Dürren bedrohte Fläche mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 66 Prozent vergrößert, während die Niederschlagsmengen in höheren Breiten der Nordhemisphäre Zunahmen.7 Mit gleicher Wahrscheinlichkeit litten einige Regionen häufiger unter Hitzewellen. Eine Zunahme tropischer Wirbclstürmc in Intensität und Häufigkeit ist im AR4 erwähnt, allerdings wird im Bericht der zuständigen Arbeitsgruppe deutlich, dass ein Zusammenhang mit der globalen Erwärmung nur vermutet und nicht naehgewiesen werden kann.8
Generell gilt für die Beobachtungen, die im AR4 zusammengefasst sind, dass sic „geographisch unausgewogen“ sind.9 Damit ist vor allem angespro- chcn, dass verlässliche, kontinuierliche Messdaten aus Entwicklungsländern schwieriger zu bekommen sind als aus Industrieländern.10
2.2.2 Ursachen
Bereits 1896 hatte der schwedische Chemiker und spätere Nobelpreisträger Svante Arrhenius ausgerechnet, dass eine Verdoppelung der C02-Konzentra- tion in der Atmosphäre mit einer Temperaturerhöhung von 5°C bis 6°C zu Buche schlagen könnte.11 Dies geschah also schon, bevor eine Erwärmung der globalen Durehsdmittstcmpcratur mit empirischen Mitteln festgestellt wurde. Arrhenius’ Rechnung war aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden begrenzten Mittel recht grob. Heute kann man die Auswirkung einer C02-Verdopplung mithilfe der hohen Rechenkapazität moderner Computer und dank jahrzehntelanger Erforschung der Prozesse etwas genauer abschätzen: Die doppelte Menge an C02-Molekülen in der Atmosphäre führt zu einer globalen Erwärmung von rund 3°C. Diese Zahl ist im AR4 als bester Schätzwert angegeben.12
Tatsächlich gelten die Treibhausgase als entscheidender Antrieb der im vergangenen .Jahrhundert beobachteten globalen Erwärmung. Ihre Konzentration in der Atmosphäre hat seit der Industrialisierung rasant zugenommen. Allein zwischen 1970 und 2004 sind die weltweiten Treibhausgasemissionen um 70 Prozent gestiegen.13 Sic entstehen in erster Linie bei der Nutzung fossiler Brennstoffe (Öl, Gas, Kohle) zur Energieerzeugung in Industrie und Verkehr, in der Landwirtschaft und bei der Rodung von Wäldern. Der Weltklimarat nennt vier langlebige Treibhausgase, die durch menschliche Aktivitäten entstehen: CO2, CH4, N20 und halogenierte Kohlenwasserstoffe.14
Die öffentliche Diskussion über den Klimawandel scheint manchmal auf die Diskussion über C02 reduziert zu sein. Das ist natürlich nicht ganz gerechtfertigt. Ein Grund dafür mag aber sein, dass C02-Emissionen einen erheblichen Teil der gesamten Treibhausgasemissionen ausmachen: 87,5 Prozent im Jahr 2010.15 Während die C02-Konzentration in der Atmosphäre vor der Industrialisierung noch bei etwa 280 ppm (parts per million)16 lag, stieg sic seitdem um rund 38 Prozent auf 385 ppm im Jahr 2008.17 Auch die Konzentrationen von CH4 und N20 haben deutlich zugenommen. Der Weltklimarat hält einen Zusammenhang dieses Anstiegs mit der globalen Erwärmung für so gut wie sicher.18 Dabei stützt er sieh auch auf Modcllrcdmungcn. Klimaspezifische Messgrößen wie die Temperaturen der vergangenen Jahrzehnte werden in solchen Modellen simuliert. In manchen dieser Simulationen ist anthropogener Einfluss berücksichtigt, in anderen nicht. Das Ergebnis: Modelle mit anthropogenen Antrieben reproduzieren die beobachteten Temperaturen deutlich besser.
Bis hierhin lässt sieh also festhalten: Für den Weltklimarat, der weltweit produzierte Forschungsergebnisse zusammenträgt und begutachtet und somit eine gewisse Autorität in Klimafragen genießt, ist eine Erwärmung des Klimasystems offenkundig. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit können die anthropogenen Treibhausgasemissionen seit Beginn der Industrialisierung als ein Grund für diese Erwärmung angegeben werden. Es ist allerdings ein wiederkehrendes Motiv, dass irgendwo ein Zweifler auftaucht, wenn man glaubt, dass sieh alle emstzunehmenden Wissenschaftler endlich einig sind. Dazu wird mehr in Kapitel 2.3 zu sagen sein.
2.2.3 Folgen
Modelle lassen sieh nicht nur für das vergangene Klima in die Pflicht nehmen, sondern erlauben auch Projektionen für die Zukunft. Diese hängen natürlich von zahlreichen Faktoren ab, etwa von sogenannten Emissionsszc- naricn. Dort werden mögliche Entwieklungspfade entworfen.19 Man findet darin Annahmen über das Anwachsen der Wcltbcvölkcrung, die Zunahme ihres Wohlstands und der Verfügbarkeit alternativer Technologien zur Energieerzeugung und über die Wirksamkeit von Klimaschutzzielen wie denen einer Treibhausgasemissionsminderung, die zum Beispiel im Kvoto-Protokoll vorgesehen war. Auf der Grundlage solcher Szenarien werden die Modcllrcch- nungen angeworfen und mit ihrer Hilfe in die Zukunft geschaut.
Das Ergebnis: Selbst wenn der anthropogene Einfluss stagnieren sollte (statt weiter anzuwachsen, wonach cs realistischerweise aussieht), würde sich die Erde in den nächsten zwei Dekaden um 0,1°C pro Jahrzehnt weiter erwärmen.20 Das liegt an der Trägheit des Klimasystems und vor allem der Ozeane. Die Menschheit wird also in diesem Jahrhundert noch vergangene Emissionen auszubaden haben, von den hinzukommenden ganz zu schweigen.
Was von einer weiteren Erwärmung zu erwarten ist, hängt natürlich davon ab, wie extrem sic ausfällt, und das wiederum davon, wie sich die Treibhausgasemissionen weiterhin entwickeln. Bislang bleibt die Trendwende noch aus.21 Der Weltklimarat prognostiziert abhängig vom Emissionsszenario eine Erwärmung um 1,1°C bis 6,4°C gegenüber 1980-1999 bis zum Ende des 21. Jahrhunderts.22,23 Zu den befürchteten und sehr wahrscheinlichen Konsequenzen gehören:
- Gletscherschwund. Da das Schmelzwasser von Gletschern ganzjährig Süßwasscr zur Verfügung stellt, zum Beispiel in Lateinamerika oder in Südostasien, sind Millionen Menschen von Trinkwasserknappheit bedroht.24 Dazu kommen europäische Luxusproblcmc wie der Rückgang des Wintertourismus.25
- Abnahme der Schneebedeckung und Rückgang des arktischen Meereises. Damit einhergehen könnte eine Verringerung der Albedo und damit eine Verstärkung der Erwärmung.26 Viele Tiere, wie Eisbären und Robben, verlören ihren Lebensraum zumindest teilweise. Indigene Völker wie die Inuit wären in ihrer traditionellen Lebensweise beeinträchtigt. Als positive wirtschaftliche Auswirkung wird manchmal die mögliche Öffnung des arktischen Ozeans für die Schifffahrt gesehen.27
- Tauen von Permafrostböden, in denen Kohlenstoff gebunden ist, dessen Freiwerden als CO2 oder CH4 den Treibhauseffekt wiederum begünstigen könnte. Menschen, die in Permafrostregionen leben, müssen fürchten, dass ihnen Straßen und Häuser, die auf Permafrost gebaut sind, im Morast absinken.28
- Anstieg des Meeresspiegels. Je nach Emissionsszenario sagt der Weltklimarat einen Anstieg um 18 bis 59 Zentimeter bis zum Ende des 21. Jahrhunderts voraus, verglichen mit 1980-1999.29 Darin ist noch nicht der komplette Beitrag des Eisflusses berücksichtigt, weshalb das obere Ende dieses Bereichs nicht als Obergrenze verstanden werden darf.30 Es fehlt außerdem die Einbeziehung eines Rückgangs des grönländischen Eisschildes. Dort ist immerhin so viel Wasser gespeichert, dass der Meeresspiegel um sieben Meter ansteigen würde, wenn Grönland komplett abschmelzen sollte.31 Betroffen vom Meeresspiegelanstieg sind vor allem küstennahe Gebiete und kleine Inseln, die verstärkt mit Überschwemmungen zu tun haben werden.
- Ausdehnung der ariden und semi-ariden Flächen. In einigen Szenarien wird eine Ausdehnung der trockenen Gegenden in Afrika um 5 bis 8 Prozent bis 2080 vorhergesagt. Zusammen mit der sowieso vorherrschenden und sich durch den Klimawandel wahrscheinlich verstärkenden Wasserknappheit bedeutet das für Millionen Menschen drohenden Hunger. Der Weltklimarat befürchtet in einigen Ländern Afrikas einen Rückgang der landwirtschaftlichen Erträge um 50 Prozent bis 2020.32
- Versauerung der Ozeane. Da die Ozeane seit Jahren einen Teil des vom Menschen emittierten C02 aus der Atmosphäre aufnehmen, sinkt ihr pH-Wert: Sie werden saurer. Dies könnte Korallen schädigen und Arten, die von ihnen abhängen.33
Zu dieser Liste prognostizierter und gefürchteter Folgen des Klimawandels kommen noch Mutmaßungen über die Zunahme extremer Wetterereignisse wie Starkregen oder Hitzewellen. Laut Weltklimarat könnten bei einer Erwärmung um mehr als 1,5°C Ws 2,5° tersuchten Arten aussterben (Wahrscheinlichkeit >66%).34 Der ehemalige US-Vizepräsident und Friedensnobelpreisträger Al Gore, der sich unermüdlich im Kampf gegen den Klimawandel engagiert, warnt in seinen legendären Slide. Shows, die im Film Eine, unbequeme Wahrheit gezeigt sind, auch vor einem Stopp der globalen Umwälzbewegung des Ozeans. Für Europäer ist diese besonders interessant, weil ein Teil dieser Strömung, der Nordatlantikstrom, Wärme aus den Tropen zu uns bringt und Europa damit sehr wohnlich macht. Der Weltklimarat hält cs zwar für sehr wahrscheinlich, dass diese Strömung sieh tatsächlich im Laufe des 21. .Jahrhunderts abschwächen wird, eine abrupte Änderung oder gar ein Versiegen der Umwälzbewegung sei jedoch sehr unwahrscheinlich.35
2.2.4 Maßnahmen
Der Weltklimarat wurde 1988 vom Umwcltprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Environmental Programme, UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (World Meteorological Organization, WMO) ins Leben gerufen. Zwei .Jahre später erschien der erste Bericht zur Klimaänderung und Rufe nach einem internationalen Vertrag zum Klimasehutz wurden laut. Auf dem Weltgipfel in Rio de .Janeiro 1992 unterschrieben zunächst 166 Staaten die Klimarahmenkonvention über Klimaänderungen (United Nations Convention on Climate Change, UNFCCC).36 Darin erkannten die UNO-Staaten erstmals an, dass der Klimawandel eine Bedrohung darstellt, und bekräftigten, sieh dem entgegenstellen zu wollen. Wenngleich etwas unspezifisch, wird auch das Ziel der Parteien formuliert:
„Das Endziel dieses Übereinkommens und aller damit zusammenhängenden Rechtsinstrumente, welche die Konferenz der Vertragsparteien beschließt, ist cs, in Übereinstimmung mit den einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird. Ein solches Niveau sollte innerhalb eines Zeitraums erreicht werden, der ausreicht, damit sieh die Ökosysteme auf natürliche Weise den Klimaänderungen anpassen können, die Nahrungsmittelerzeugung nicht bedroht wird und die wirtschaftliche Entwicklung auf nachhaltige Weise fortgeführt werden kann.“37
Zum ersten Mal mit einer Zahl bedacht wurde dieses Ziel durch die Europäische Union, die in ihrem 1939. Ratstreffen eine Zahl in den Raum warf, die seither als „Zwci-Grad-Zicl“ diskutiert wird:38
„Given the serious risk of such an increase [of the global average temperature! and particularly the very high rate of change, the Council believes that global average temperatures should not exceed 2 degrees above pre-industrial level and that therefore concentration levels lower than 550 ppm C02 should guide global limitation and reduction efforts.“39
Erste konkrete Maßnahmen und verbindliche Handlungsziele beschloss die internationale Staatengemeinschaft im 1997 ratifizierten Kvoto-Protokoll,40 auch liebevoll ein „bürokratisches Monstrum“41 genannt. Die teilnehmenden Staaten setzten sich darin eine Emissionsreduktion zwischen 2008 und 2012 um ingesamt fünf Prozent unter das Niveau von 1990 zum Ziel.42.Jedem Land wird darin eine Quote zugewiesen, um die es seine Emissionen reduzieren soll - oder steigern darf. Rahmstorf und Schcllnhubcr sprechen in diesem Zusammenhang bezeichnenderweise von „unergründlichen Länderquoten“ und „Zahlenmystik“.43
Um ihre „unergründlichen Landerquoten“ einfacher zu erreichen, dachten sich die Vertragsparteien sogenannte flexible Mechanismen aus:
- Emissionshandel. Danach darf jedes Land erst einmal nur so viel Treibhausgase emittieren, wie es das Kvoto-Protokoll festgelegt hat. Emittiert es weniger, kann es Emissionslizenzen an andere Länder verkaufen, emittiert es mehr, muss es solche von anderen Nationen einkaufen. Die Preise bestimmt der Markt.
- Joint Implementation. Durch „gemeinsame Umsetzung“ oder Gemeinschaftsreduktion kann ein Industrieland durch die Finanzierung emissionsmindernder Maßnahmen in einem Schwellen- oder Entwicklungsland Emissionsrechte für seine eigene Industrie erwerben.44
- Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung. Industrieländer können Geld oder Technologie in Entwicklungsländer fließen lassen und sich damit um Emissionsreduktionen verdient machen.
Das Kvoto-Protokoll trat 2005 in Kraft. Es wurde international oft sehr kontrovers diskutiert und gilt als unzureichend.40 Dennoch ist es das einzig bindende Vertragswerk zum Klimaschutz und zur Treibhausgasemissionsreduktion. Als Spielverderber gelten seit dem Kampf um die Ratifizierung des
Kvoto-Protokolls die USA, die, obwohl (oder gerade weil) damals weltweit größter Emittent von Treibhausgasen,46 bis heute nicht unterzeichnet haben. Für einen öffentlichen Aufschrei sorgte 2011 die kanadische Regierung, weil sic sieh aus dem Kvoto-Protokoll zurückzog mit der Begründung, solange die USA nicht an Bord seien und cs für China keine Rcduktionsziclc gebe, bringe das ganze Unternehmen sowieso nichts.47
Angesichts des 2012 endenden Bindungszeitraumes des Kvoto-Protokolls und der fortschreitenden Erwärmung, wie sic im AR4 von 2007 bestätigt wurde, ruhten große Hoffnungen auf dem Klimagipfel der Vereinten Nationen 2009 in Kopenhagen, Dänemark. Sic wurden enttäuscht. Die Konferenz endete mit einem „Formclkompromiss“:48 Rund 30 reiche Staaten schrieben im „Copenhagen Accord“ im Alleingang fest, das Zwci-Grad-Zicl zu berücksichtigen. Ironisehcrwcisc musste sieh aber niemand zu Reduktionsmaßnahmen nach 2012 verpflichten, ohne die das Zwci-Grad-Zicl aber gar nicht erreichbar ist. In der deutschen Öffentlichkeit und unter Umwcltsehützcrn gilt Kopenhagen daher als gescheitert. Ähnlich ernüchternd verlief aus ihrer Sieht der Klimagipfel in Durban, Südafrika, 2011. Auch hier erzielte die Staatengemeinschaft keinen rechtsverbindlichen Konsens. Immerhin legte sic fest, nach 2012 in eine zweite Vcrpflichtungspcriodc des Kvoto-Protokolls einzutreten, aus der sieh allerdings einmal mehr die USA, aber auch Kanada, .Japan, Russland und Neuseeland heraushalten wollen.49 Ein Folgcabkommcn für Kyoto, das auch die Sehwellenländer einbinden sollte, wurde allerdings vertagt und soll erst bis 2015 erarbeitet werden.50 Sein Inkrafttreten ist vor 2020 nicht zu erwarten.
2.3 Eine bequeme Wahrheit
Angesichts der Komplexität des Klimasystems liegt cs in der Natur der Sache, dass Wissenschaftler nicht alle Prozesse im Detail überblicken können und eine gewisse Unsicherheit bleibt. Die sogenannten Klimaskeptiker nehmen das zum Anlass, die Existenz oder das Ausmaß des anthropogen verursachten Klimawandels in regelmäßigen Abständen infrage zu stellen. Der jüngste Abkömmling dieser Debatte ist ein gut vierhundert Seiten dickes Buch mit dem Titel Die kalte Sonne. Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet von Fritz Vahrcnholt und Sebastian Lüning, das bereits in mannigfacher Weise in den deutschen Medien gepriesen oder zerpflückt wurde.
Doch mit einem Kopfsehüttcln über die Klimaskeptiker hinwegzugehen wäre unproduktiv. Wenn auch nicht unbedingt in der Bundesrepublik, haben sie durchaus Einfluss auf politische Zielsetzungen. Der Zweifel dient als allzu bequeme Wahrheit, die es erlaubt, ein entschlossenes Handeln gegen den Klimawandel zu unterlassen. Während Klimaskeptiker in der deutschen Öffentlichkeit einer überbordenden Welle der Kritik ausgesetzt sind, ist ihre Haltung in den USA durchaus salonfähig.51 Daher sei auch ihnen in dieser Arbeit etwas Raum gewährt. Zunächst werden verschiedene Typen von Klimaskepsis vorgestellt. Am Beispiel der Kalten Sonne, werden ihre Argumente illustriert.
2.3.1 Typen von Klimaskeptikern
Der Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf unterscheidet drei Typen von Klimaskeptikern anhand dessen, worauf sich deren Zweifel bezieht.52
- Trendskeptiker: Sie leugnen einfach, dass es eine Klimaerwärmung gibt. Trendskepsis beruht auf dem Missverständnis, der Grund zur Sorge sei der seit Mitte des vergangenen .Jahrhunderts gemessene Temperaturanstieg. Er ist aber allenfalls ein Grund zur Sorge, der andere ist theoretischer Natur und wurde bereits von Arrhenius lange vor der empirischen Evidenz ins Feld geführt: Dass ein Anstieg der Treibhausgaskonzentrationen, wie der Mensch ihn vorantreibt, zu einer Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur führt.53 Dass diese Sorge vor allem die Zukunft betrifft, ist eine Tatsache, die Trendskeptiker außer Acht lassen.
- Ursachenskeptiker: Sie bezweifeln, dass die Erderwärmung anthropogene Ursachen hat. Ein paar Exoten bezweifeln gar, dass der Mensch es war, der die CCU-Konzentration in der Atmosphäre erhöht hat. Andere bezweifeln, dass die anthropogenen CCU-Emissionen ernsthafte Auswirkungen auf das Klima haben. Ein Argument hierfür ist, dass menschliche Emissionen mit einer negativen, also stabilisierend wirkenden Rückkopplung einhergehen, etwa der vermehrten Bildung von Wolken, durch die mehr Strahlung zurück ins All reflektiert wird. In der Tat ist die Rolle der Wolken und anderer Rückkopplungseffekte noch relativ schlecht verstanden. Ein anderes Argument der Ursachenskeptiker ist das von Vahrenholt und Lüning vorgebrachte Hauptargument: Die Sonnenaktivität steuere das Klima, der menschliche Einfluss werde überbewertet. Dazu wird im Abschnitt 2.3.2 einiges zu sagen sein.
- Folgenskeptiker: Wärmer heißt nicht gleich schlechter, finden die Folgenskeptiker. Sie betonen für den Menschen positive Auswirkungen des 1,1 Siehe dazu die Ausführungen von Rahmstorfund Schellnliuber 2007, S.82-86 “2 Folgende Auflistung nach Rahmst.orf 2004 5:1 vgl. dazu auch Gardiner 2004, S. 567
Klimawandels und fordern, diese den negativen zumindest gegenüberzustellen. Sie argumentieren also konsequent utilitaristisch.
2.3.2 Die kalte Sonne
Vahrenholt und Lüning operieren mit einer Bandbreite sowohl trend- als auch Ursachen- und folgcnskcptisehcr Argumente. Am deutlichsten bezweifeln sic die Schuld des Menschen am Klimawandel. Sic räumen hingegen der Sonne eine Prot agonist enrolle in der Klimaentwicklung ein. Wenn der Einfluss der Sonne aber bislang unterschätzt wurde, so die Argumentation, wurde der Einfluss der Treibhausgase überschätzt. Die Autoren widmen sieh ausführlich den Variationen der Sonneneinstrahlung und zeigen, wie sieh diese in der Erdgeschichte auf das Klima auswirkte. Dabei kommen sic zu dem Schluss, dass das Klima vor allem von der Sonne, zusätzlich aber auch durch klimainterne Schwankungen gesteuert wird. Auch eine Klimawirksamkeit der Treibhausgase gestehen sic ein, bewerten sic aber weniger dramatisch als der Weltklimarat. Soweit das ursachcnskcptischc Argument, das von den Autoren am meisten betont wird.
Das trcndskcptisehc Argument der Autoren ist, dass die Erwärmung der Erde seit zehn .Jahren stagniere. Außerdem habe der Weltklimarat durch kreatives Rechnen einen Temperaturanstieg vorgetäuscht, der eigentlich viel geringer sei.
Auch die Folgen des Klimawandels bewerten Vahrcnholt und Lüning schivici entspannter als der Weltklimarat. Auf das Eis der Arktis und Grönlands könne man verzichten, schließlich hätten schon die Wikinger Grönland besiedelt.54 Der Rückgang der Gletscher komme in der Klimagcschichtc auch immer mal wieder vor. Wozu also die Aufregung?
Natürlich geschieht die Infragestellung wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Überzeugungen nicht völlig zu Unrecht. Von erstem lebt die Wissenschaft, vom zweiten die Demokratie. Gleichwohl lassen die Polemik gegen den Weltklimarat und der populistische Stil zusammen mit der berufliehen Situation der Autoren (Vahrcnholt ist seit 2008 Geschäftsführer des Encr- gicuntcrnchmcns RWE Innogv, Lüning seit 2007 Angestellter der RWE Dca) darauf schließen, dass cs sieh bei der Kalten Sonne, um ein politisch motiviertes Projekt handelt.
Die Autoren unterstellen dem Weltklimarat, die Rolle des C02 in der Klimadebatte aus politischen Gründen überzubewerten und dagegen die Sonne wider besseres Wissen zu ignorieren. Dort ist von „Taschenspielertricks“55 und „wüsten Übertreibungen“56 die Rede, der Weltklimarat bastle sieh Kli- mamodcllc zurecht und führe die Öffentlichkeit an der Nase herum. Auf dem Höhepunkt ihrer Kampfansage vergleichen sic die Arbeit des Weltklimarats gar mit der des „Wahrheitsminisicriums“ in George Orwclls Zukunftsroman 1984-57 Insgesamt gebärdet sieh Die kalte Sonne, also mehr als Pamphlet denn als wissenschaftliche Publikation. Bis in die etablierten .Journale haben es die Autoren Vahrenholt und Lüning mit ihrer Vcrschwörungsthcoric auch nicht gebracht.
Es obliegt den Klimawisscnschaftlcrn, sachliche Argumente aufzugreifen, zu widerlegen oder, falls das nicht geschehen kann, zum Anlass für eine Modifikation der eigenen Theorie zu nehmen. Für die vorliegende Arbeit ist mit Blick auf die Klimaskeptiker vor allem von Belang, dass cs sic gibt.
2.4 Zwei unbequeme Wahrheiten
In der Diskussion um den Klimawandel gibt cs zwei unbequeme Wahrheiten. Die eine ist Ausdruck des wissenschaftlichen Konsens, dass sich unser Planet erwärmt und dass der Mensch diese Erwärmung aller Wahrscheinlichkeit nach verursacht hat. Die andere unbequeme Wahrheit ist, und darauf machen Klimaskeptiker aufmerksam, dass dies eben nur ein Konsens und keine Wahrheit ist. Die Prognosen mit Bezug auf den Klimawandel haben zwar teilweise beeindruckend hohe Wahrscheinlichkeiten, aber sic sind eben nicht hundertprozentig sicher.
Diese Unsicherheit wird vermutlich immer schon aus der Perspektive einer bereits vorhandenen ethischen Intuition her bewertet.58 Das dürfte auch der Grund dafür sein, weshalb die Diskussion über den Klimawandel oft emotional oder polemisch geführt wird. Dennoch scheint die wissenschaftliche Datenlage so überzeugend, dass die folgenden drei Prämissen, die in dieser Arbeit bei allen philosophischen Betrachtungen vorausgesetzt werden, wohl weitgehend konsensfähig sind (P2a und P2b sind als Erläuterungen von P2 zu verstehen):
PI Es gibt einen Klimawandel (eine globale Erwärmung).
P2 Der Klimawandel ist vom Menschen mit verursacht.
P2a Erhöhte Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre führen zu einem Temperaturanstieg.
P2b Der Mensch erhöht durch seine Aktivitäten die Trcibhausgaskonzcn- trationen in der Atmosphäre.
P3 Der Klimawandel wird positive und negative Auswirkungen auf Menschen, Tiere und Ökosysteme haben, wobei die negativen Auswirkungen überwiegen.
Die Prämissen PI und P2 sind mit dem wissenschaftlichen Konsens verträglich und so schwach formuliert, dass ihnen die meisten Klimaskeptiker zustimmen dürften.59,60 Folgenskeptiker dürften sich am ehesten an P3 stören. Eine Ethik des Klimawandels ist trotz dieser Unsicherheiten kein sinnloses Unterfangen, im Gegenteil, vielleicht ist sic wegen dieser Unsicherheiten umso dringender.
‘,H Selbst. Valirenliolt. und Lüning gestehen ja zu, dass die Erhöhung der Treibliaus- gaskouzeut.rat.ioueu in der Atmosphäre durch den Menschen zum Klimawandel beitragen. Vom wissenschaftlichen Konsens weichen sie nur ab, wenn es um die Größenordnung dieses Beitrags geht.
(>u Trendskepsis (contra PI) ist hier ausgeklammert, weil erstens alle empirischen Daten gegen sie sprechen und sie zweitens am Kernproblem des Klimawandels vorbeizielt, indem sie sich nur auf die aktuelle, nicht aber auf die zukünftige Erwärmung bezieht.
Kapitel 3 Setting the Scene
„Climate change is fundamentally an ethical issue. (Stephen M. Gardiner 2004, S. 556)
Nachdem das Phänomen Klimawandel im vorigen Kapitel von einer mehr deskriptiven Seite beleuchtet wurde, ist nun zu klären, an welchem Ort in der Philosophie cs anzutreffen ist. Intuitiv verortet man die Ethik des Klimawandels in den Bereich der Umweltethik. Daher wird in diesem Kapitel ein knapper Überblick über die wichtigsten umwclcthisehcn Positionen gegeben, allerdings nicht, ohne vorher gefragt zu haben, an wen sieh diese Ethik überhaupt richten kann. Abschließend wird aus dem Pool umwcltcthisehcr Positionen eine hervorgehoben, was gleichsam eine Grundentscheidung für die Ethik des Klimawandels bedeutet: Am Ende dieses Kapitels soll der moralische Anthropozcntrismus als Herangehensweise für den Gegenstand dieser Arbeit verteidigt werden.
3.1 Möglichkeit und Notwendigkeit einer Ethik
„Als das beherrschende Säugetier auf der Erdoberfläche, als das kluge und das einzige, das - soweit uns bekannt ist - die Fähigkeit besitzt, zu denken und Wissen anzusammeln, haben wir die Pflicht, der niedrigeren Kreatur zu dienen, unsere Welt sauber zu halten und der Nachwelt ein Zeugnis zu hinterlassen, dessen wir uns nicht zu schämen brauchen.“1
Leicht gesagt. Aber die Behauptung einer solch umfassenden Pflicht verlangt Begründung. Die von Frank Frasier-Darling in diesem seinem Zitat nur angedeutete Begründung rekurriert (1) auf die Funktion des Mensehen als Herrseher, (2) auf seine Klugheit und (3) auf die Fähigkeit zu denken und Wissen anzusammeln. Den herrsehenden Mensehen (1) sieht Frasier-Darling als Aristokraten, der eine Verantwortung dafür trägt, die Erde zu erhalten, die ihm seine Entwicklung hin zum herrsehenden Säugetier überhaupt erst ermöglicht.2 Das erinnert stark an die Legitimation eines Herrschers durch das Ziel des Gemeinwohls, wie cs durch zahlreiche Staatsthcorctikcr im 17. und 18. .Jahrhundert versucht wurde. Bei denen war allerdings in der Regel der Einsetzung des Herrschers vorausgehend ein Vertrag aller mit allen gedacht. Einen solchen Vertrag kann man zwischen Mensch und Natur wohl kaum annehmen, da „der niederen Kreatur“ gewisse Fähigkeiten abgehen, die man für das Zustandekommen eines Vertrages voraussetzen muss. Das Bild des Menschen als Herrscher über die und gleichzeitiger Bewahrer der Schöpfung ist außerdem ein typisch christliches, das man also theologisch begründen könnte. Solch voraussctzungsrcichc theologische Prämissen möchte ich jedoch aus einer Ethik des Klimawandels heraushalten.3
Etwas brauchbarer erscheinen die angedeuteten Begründungen (2) und (3), die bei näherem Hinsehen zusammenfallen. Klugheit kann man mit Immanuel Kant verstehen als die Fähigkeit, ein vorgegebenes Ziel durch adäquate Wahl der Mittel zu erreichen.4 Das setzt die Fähigkeit zu denken voraus. Sicherlich können auch Tiere ein Ziel verfolgen und sieh bestimmter Mittel bedienen, doch sind diese Wege meist direkt. Weiter entfernte Zwecke durch eine Kette von Mitteln zu erreichen, erfordert schon gründliches Nachdenken über die Wege oder sogar die Aneignung von Wissen (3).
Nun folgt aus diesen Fähigkeiten, die Menschen zumindest in der Regel haben, noch nicht, dass sic auch moralisch Handeln sollen. Frasier-Darlings zackiger Schluss vom Vorhandensein bestimmter Fähigkeiten auf eine moralische Pflicht ist eine lchrbuehhaftc Illustration des naturalistischen Fehlschlusses vom Sein aufs Sollen. Trotzdem hat er insofern recht, als Vernunft zumindest dazu befähigt, moralisch zu handeln.
3.1.1 Freiheit und Verantwortung
Ohne bereits jetzt detaillierter auf Kants Moralphilosophic eingehen zu wollen - das wird später geschehen -, erlaube ich mir, mich eines Kantischcn Gedankens zu bedienen. Es wurde angedeutet, dass die Fähigkeit zu moralischem Handeln und die Vernunft etwas miteinander zu tun haben. Für Kant unterscheidet Mensch und Tier, dass letztere nur durch sinnliche Antriebe (pathologisch) bestimmt werden.5 Der Mensch hingegen, als ,,vernünftiges Naturwesen“6, kenne zusätzlich dazu Bewegursachen, welche nur von der Vernunft vorgcsteilet werden [...],7 Die praktische Vernunft tritt, wie Klaus Steigleder formuliert, vermittelnd in unsere tierische Antriebsstruktur ein und vermag unseren Willen zu bestimmen.8
Ein Wille, der durch die Vernunft oder gar durch moralische Gesetze bestimmbar ist, muss nach Kant notwendig als frei gedacht werden.9 Die Autonomie des Menschen, also die Möglichkeit zur Selbstgesetzgebung, ist Ausdruck einer positiven Freiheit.10,11 Für das moralische Handeln, das in Frasier-Darlings Aufruf zur Pflicht anklingt, und um das es in dieser Arbeit geht, ist Freiheit also unabdingbare Voraussetzung. Dies gilt für Handlungsfreiheit und Willensfreiheit gleichermaßen. Denn kann man sinnvoll an jemanden appellieren, etwas zu tun oder zu lassen, der sowieso nur eine einzige Handlungsoption hat? Wilhelm Wcischcdcl definiert daher Freiheit als ,Besitz eines Spielraums für ein Wählenkönnen, innerhalb dessen der Mensch von sich selber her über sich selbst bestimmen kann.“12
Freiheit stellt sich also dar als Bedingung der Möglichkeit von Moral. Wer frei ist, kann zwischen verschiedenen Handlungsoptionen wählen. Da Handlungen mit kausalen Folgen verbunden sind, trägt der Mensch für seine Wahl Verantwortung. Wenn er eine dumme Entscheidung trifft, spricht man auch von Schuld, wenn es eine gute war, von Verdienst. Die neutrale Kategorie ist die Verantwortung. Wie eng sie mit der Freiheit zusammenhängt, hat Hans Jonas auf den Punkt gebracht:
„Die Fähigkeit aber zur Verantwortung - eine ethische. Fähigkeit - beruht in der ontologischen Befähigung des Menschen, zwischen Alternativen des Handelns mit Wissen und Wollen zu wählen. Verantwortung ist also komplementär zur Freiheit,“13
Auch .Jonas ist bekannt für seine Schlüsse vom Sein aufs Sollen. In diesem Zusammenhang schließt er vom Vorhandensein einer Fähigkeit - der Fähigkeit zur Verantwortung - auf ein Gebot.
„Die Fähigkeit zur Verantwortung bedeutet schon das Unterstelltsein unter ihr Gebot:
[...]
- Citation du texte
- Denise Müller (Auteur), 2012, Die Ethik des Klimawandels, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197752
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