Die Erkrankung Alzheimer wird in jüngerer Zeit als ein Massenphänomen wahrgenommen. Ihre Bedeutung steigt mit dem demografischen Wandel der Gesellschaft. Die vorliegende, kurze Auseinandersetzung bemüht sich darum, die Klinik der Erkrankung, also die beobachtbaren Krankheitsanzeichen, für den interessierten Laien systematisch vorzustellen. Sodann werden die Interventionsmöglichkeiten bei Alzheimer vorgestellt. Hier liegt der Blickwinkel weniger auf einer medizinischen Sichtweise, sondern auf einer sprachlich-linguistischen. Eine Zusammenfassung der Interventionsmöglichkeiten und ein Ausblick runden dieses Arbeitspapier ab.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Phämenologie der Alzheimer-Krankheit (SDAT)
2.1 Psychopathologische Klinik
2.2 Computer-tomographische Klinik
2.3 Neurologische Klinik
2.4 Testpsychologische Klinik
3. Intervention und Behandlung von SDAT als interdisziplinäres Problem
3.1 Medizinische und pharmakologische Ansätze zur
Behandlung
3.2 Psychologische und psychotherapeutische Ansätze zur Behandlung der Senilität
3.3 Überlegungen zu linguistischen Interventionsmöglichkeiten
4. Analyse und Diskussion der Zielsetzungen von therapeutischen Bemühungen bei SDAT
4.1. Was bedeutet „kommunikative Kompetenz“ bei Alzheimer-Patienten als Zieldimension?
4.2 Interdisziplinäre Zusammenarbeit als „Chance“ bei der Behandlung von Alzheimer-Patienten
5. Zusammenfassung und Ausblick
6. Literatur
1. Einleitung
Die Alzheimersche Krankheit, im anglophilen Sprachgebrauch besser als „Alzheimer Disease“ (AD) bekannt, war in den letzten Jahren nur selten Thema der öffentlichen Diskussion. Obwohl in der Bundesrepublik Deutschland nach Schätzungen zwischen 300.000 und 600.000 Personen an einer Variante der Alzheimer-Krankheit leiden, stehen für die Grundlagenforschung weniger Mittel zur Verfügung als beispielsweise für die AIDS-Forschung.[1]
Vielleicht ist das mangelnde Interesse an der Alzheimer-Krankheit durch den Zeitgeist der neunziger Jahre bedingt, in dem typische Alterskrankheiten generell eine geringe Aufmerksamkeit erhalten. Als Erklärung plausibler ist aber die erschreckende Tatsache, daß ALzheimer-Patienten aus naheliegenden Gründen selbst keine Lobby bilden können.
Aufgabe und Ziel dieser Arbeit ist es dagegen, sich der Alzheimer-Krankheit als Beeinträchtigung bzw. Verlust der kommunikativen Fähigkeiten unter Berücksichtigung der Klinik und den Interventionsmöglichkeiten zuzuwenden. Auch vor dem Hintergrund der Fragestellung im Seminar „Kommunikation mit älteren Menschen“ ist der spezielle Blick auf die Kommunikation mit älteren Menschen, die an der Alzheimerschen Krankheit leiden, von großer Relevanz.
Das Thema dieser Ausarbeitung lautet „Senile Demenz vom Alzheimer Typ (SDAT) und Kommunikationsprobleme: Klinik und Analyse von Möglichkeiten zur Erhaltung von kommunikativen Fähigkeiten“. In der Arbeit versuche ich deduktiv zu bestimmen, welche Bedingungen bedeutsam für die Konzipierung von Kommunikationssituationen mit SDAT-Patienten sind bzw. für Interventionen relevant sind. Ich arbeite dabei mit den folgenden Leitfragen:
- Grundsätzlich: Welche Symptome weist SDAT auf? („Klinik“)
- Welche grundsätzlichen Behandlungsansätze („Inter-ventionen“) gibt für SDAT?
- Welche Auswirkungen hat SDAT auf kommunikative Situationen?
- Welche Strategien zur Verbesserung der kommunikativen Fähigkeiten bei SDAT-Patienten gibt es?
- Wie könnten Eckpunkte bei der Gestaltung von kommunikativen Situationen mit SDAT-Patienten aussehen?
Zur Beantwortung dieser Fragen bietet sich die folgende Vorgehensweise an: im zweiten Kapitel wird die Klinik der senilen Demenz vom Typ Alzheimer unter besonderer Berücksichtigung der medizinischen Teildisziplinen beschrieben. Im dritten Kapitel geht es dann um die Beschreibung von Interven-tionsmöglichkeiten der Disziplinen Medizin/Pharmakologie, Linguistik und Psychologie/Psychotherapie und - soweit vorhanden - um Anknüpfungspunkte an Fragen der Kommunikation. Im vierten Kapitel werden die aus der Arbeit hervorgehenden zentralen Aspekte zur Grundlage einer Reflexion gemacht.
2. Phämenologie der Alzheimer-Krankheit (SDAT)
In diesem Kapitel wird die senile Demenz vom Typ Alzheimer vorgestellt.[2] Das geschieht durch Besprechung zwei inhaltlichen Schwerpunkten: Zunächst wird die Klinik (Phämenologie) dieser speziellen Alterskrankheit nach medizinischen und sozialwissenschaftlichen Disziplinen gegliedert vorgestellt; eine Darstellung des Ursachengefüges, das heute zumeist biochemischer Natur ist, wird in dieser Arbeit nur kurz angesprochen.
Die Alzheimersche Krankheit wurde vor rund achtzig Jahren von dem bayerischen Psychiater Alois Alzheimer entdeckt, der erstmals die Auswirkungen dieser speziellen Form der Demenz an einer 51jährigen Patientin in den psychiatrischen Kliniken von Emil Sioli in Frankfurt beobachten konnte. Die Geisteskrankheit untersuchte der Mediziner für Deutschland einmalig auch post mortem: Er entdeckte im Gehirn der Patientin massenhafte Amyloid-Ablagerungen (eigentl. Stärkemehl) und stellte diese Entdeckung 1906 in Fachkreisen zur Diskussion. Das Interesse an seiner Entdeckung war äußerst gering.[3]
Die Beschreibung der Krankheitssymptome hat sich vom Zeitpunkt der Entdeckung bis heute nicht wesentlich verändert. Die Denk- und Verhaltensstörungen lassen sich nach Stadien untergliedert wie folgt beschreiben[4]:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1: Stadienübersicht bei seniler Demenz vom Typ Alzheimer[5]
Der Verlauf der Krankheit kann zwar im Einzelfall von den Stadien abweichen, übergreifendes Merkmal ist aber die zunehmende Vergeßlichkeit. Anfangs sind davon nur kleine Angelegenheiten des täglichen Lebens betroffen, zuletzt werden nach Sprachverlust und daraus folgender kommunikativer Isolation nicht einmal nahe Angehörige und das eigene Spiegelbild erkannt.
Die Betroffenen selbst merken häufig lange vor der medizinschen Diagnose, daß sie in ihrem täglichen Lebensrhythmus beeinträchtigt sind und bemühen sich zumeist, diese ersten Anzeichen einer senilen Demenz zu verschleiern: Dem Unvermögen einem Gespräch inhaltlich folgen zu können, wird z.B. mit einer Paraphrasierung von schon Gesagtem und/oder ausweichenden Allgemeinplätzen begegnet.
2.1 Psychopathologische Klinik
Pathologische Phänomene der Psyche finden sich bei Alzheimer-Patienten in einem breiten Spektrum, das sich unter die folgenden Oberbegriffe subsummieren läßt:
- Störungen von Konzentration, Mnestik und Orientierung,
- Hirnleistungsstörungen,
- Denkstörungen,
- Verstimmungen und Gefühlsstörungen,
- Störungen des Antriebs, des Sozialverhaltens und Selbständigkeit und
- Schlafstörungen.
In einer Untersuchung von GUTZMANN aus dem Jahr 1988, die hier zur Grundlage der Psychopathologischen Klinik gemacht wird, wurden 39 Personen hinsichtlich der o.g. Ausprägungsmerkmale untersucht. Bei ihnen handelte es sich um 21 Frauen und 18 Männer. Das Alter der SDAT-Patienten lag zwischen 55 und 84 Jahren; der Durchschnitt betrug 69,6 Jahre.[6]
Die Störungen von Konzentration, Mnestik und Orientierung zählen nach den Auswertungen der Studie zu den Bereichen, die mit Abstand am häufigsten dysfunktional waren. Die Konzentration ist insbesondere bei kognitiven Vorgängen gestört, die das Kurzzeit- und Neuzeitgedächtnis betreffen. Daneben fällt die Schwierigkeit der SDAT-Patienten auf, eine Erstinformation zu memorieren, wenn nach Bekanntgabe sofort eine Zweitinformation gegeben wird: Nur 12.8% der Patienten erwiesen sich hier als unauffällig. Das Alltagsgedächtnis funktionierte bei allen Patienten altersübegreifend am besten: Immerhin 35,1% konnten sich an das Jahr ihres Schulabgangs korrekt erinnern, fast die Hälfte erinnerte sich an das korrekte Datum der Heirat und bei 41,0% lagen keine Schwierigkeiten bei der zeitlichen Ordnung von Ereignissen vor, die mit Personen verknüpft waren.[7]
Zu den mnestischen Funktionen kann festgestellt werden, daß bei allen SDAT-Patienten die Merkmale, die die Funktion des Gedächtnisses beschreiben, einen ausgeprägten zeitlichen Gradienten aufweisen. Ereignisse, die in jüngerer Zeit geschehen sind, konnten fast immer weniger gut reproduziert werden als Ereignisse, die im Langzeitgedächtnis gespeichert sind. Die statistischen Werte sind aber nicht so aussagekräftig, daß bei einem Fehlen der Symptome nicht von einer SDAT-Erkrankung gesprochen werden kann: 12,5% weisen trotz der Diagnose „SDAT“ keine Merkfähigkeitsstörungen auf, 6,25% keine Orientierungsstörungen und bei 22% lagen keine Orientierungsstörungen vor.[8] Diese Daten sind jedoch mit Vorsicht zu betrachten: Ihre Aussagekraft schwindet durch die große Spannbreite an anderen Ergebnissen aus der Forschung.
Die Hirnleistungsstörungen unterteilen sich in amnestische Aphasie, also den Verlust von Worten und Namen, die in Kontexten vielleicht noch erhalten sind, und die konstruktive Apraxie. Von der ersten Form sind etwa zwei Drittel der SDAT-Patienten betroffen.
An der konstruktiven Apraxie, der Unfähigkeit zur räumlichen Zuordnung von Handlungen, leiden 59% der Patienten.
Die Untersuchung ergab weiter, daß zwar zwei Drittel der SDAT-Patienten neuropsychologische Herdsymptome aufwiesen, diese aber zumeist nicht isoliert betrachtet werden können. Die Ursache dafür liegt darin, daß die Herdsymptome zu einem großen Teil Bestandteil eines breiten Spektrums an kortikalen Funktionsstörungen sind, da neben der konstruktiven Apraxie und der amnestischen Aphasie (auch Agraphie, Alexie und Akalkulie auftreten.[9]
Die Denkstörungen sind eines der ausgeprägtesten Merkmale von SDAT-Patienten: Fast 88% der Teilnehmenden an der Untersuchung von GUTZMANN leiden an einer umständlichen Art des Denkens; Lösungen und Einschätzungen werden nur nach sehr langer Zeit (im Verhältnis mit symptomfreien Personen) erreicht. Die Verlangsamung wird häufig von eingeengtem Denken und dem Abriß von von Argumentation und Äußerung begleitet: Eine ähnliche Einschätzung wird im Grundzug auch in der Studie von BOAZ & DENNEY formuliert:
„These findings are consistent with the hypothesis that the decline in memory performance evidenced by persons with DAT may be attributable in the time requirements of mnemotechnic processing.“[10]
Daneben treten auch immer wieder Wahnvorstellungen auf, die sich entweder in einer Beeinträchtigung und Annahme einer Verfolgung oder der ständigen Angst, bestohlen zu werden, äußern. Alle Wahnsymptome gehen mit Sinnestäuschungen einher.[11]
Die Verstimmungen und Gefühlsstörungen zeigen sich bei SDAT-Patienten in erster Linie durch eine auftretende Ratlosigkeit. Parallel dazu wird von einer depressiven Grundstimmung bei Erkrankten berichtet: Bei der Häufigkeit gehen die Ansichten in klinischen Studien allerdings weit auseinander. Das Vorliegen einer Depression (lt. Diagnose) schwankt nach Studie zwischen 58% und 38%. Die so unterschiedlichen Angaben lassen sich wohl nur die Untersuchung von unterschiedlichen Stadien bzw. die Vp-Zusammensetzung erklären.[12]
Die Störungen des Antriebs, des Sozialverhaltens und Selbständigkeit gehören zu den am häufigsten Erscheinungsformen in der Phämenologie der SDAT. Zugleich sind sie Anzeichen für eine fehlende Einsicht in ihre Krankheit; Symptome wie Antriebsschwäche sind in der Regel eng mit Formen der endogenen Depression verbunden, können aber, so zeigen es eigene praktische Erfahrungen, auch in das Gegenteil umschlagen und als motorische Unruhe und Antriebssteigerung erscheinen. Insgesamt weisen knapp 90% der SDAT-Patienten diese phänotypischen Störungen auf.[13]
Die Störungen des Schlafes werden bei SDAT-Patienten zwar regelmäßig bemerkt, können jedoch nicht als ein zentraler Indikator benannt werden. Je nach Studie liegen die Auffälligkeiten, z.B. eine konstante Abwesenheit am Tag (Vigilanzminderung), nächtliche Unruhe oder verschobene Wachphasen, bei ca. 30%. Die Schlafstörungen sind daher dem SDAT-Spektrum zuzuordnen, wenn auch nicht als zentrales Merkmal. Häufig erscheinen Schlafstörungen jedoch in Verbindung mit halluzinationsartigen Bildern, also Symptomen der Depression.[14] Diese Symptomatik läßt sich zumeist nur im Anfangsstadium „in Reinform“ sicher erkennen, später werden sie mit Sedativa behandelt und weitgehend unterdrückt.
[...]
[1] Vgl. Furtmayr-Schuh, A. Das große Vergessen: die Alzheimer Krankheit. Zürich: Kreuz, 1992, S.7f. Vgl. Krämer, G. Alzheimer Kranke betreuen: praktische Ratschläge für den Alltag. Stuttgart: Thieme, 1995; S.13f.
[2] Der Begriff der Demenz wird im deutschen Sprachraum nicht eindeutig benutzt: Ich fasse unter Demenz in diesem Zusammenhang und in Anlehnung an die Begriffsklärungen von Lauter ein organisches oder hirnlokales Psychodrom in Abgrenzung zu den großen endogenen Psychosen. Die senile Demenz vom Typ Alzheimer wird im Rahmen dieser Arbeit also als psychoorganische Erkrankung verstanden. Vgl. im Überblick zu diesem Problem auch: Gutzmann, H. Senile Demenz vom Alzheimer-Typ: Klinische, computertomographische und elektroenzephalographische Befunde. Stuttgart: Enke, 1988, S.17ff.
[3] Vgl. Furtmayr-Schuh, A. Das große Vergessen: die Alzheimer Krankheit. Zürich: Kreuz, 1992, S.31f.
[4] Die Einordnung gilt gleichfalls wenn pharmakolgische Interventionen, heute zumeist durch Neuoleptika, vorgenommen werden. Die Beobachtung der nicht medikamentös abgedämmten senilen Demenz erfolgt heute zumeist im Frühstadium. Die späteren Stadien werden zumeist durch Gabe von Psychopharmaka in ihrer Beobachtbarkeit eingeschränkt.(d.Verf.)
[5] Krämer, G. Alzheimer Kranke betreuen: praktische Ratschläge für den Alltag. Stuttgart: Thieme, 1995, S.15.
[6] Vgl. Gutzmann, H. Senile Demenz vom Alzheimer-Typ: Klinische, computertomographische und elektroenzephalographische Befunde. Stuttgart: Enke, 1988, S.36ff. Die Studie aus dem Jahr 1988 scheint zwar im Kontext der anderen Literatur veraltet zu sein, kann hier aber herangezogen werden, weil es sich um eine Beschreibung der pathologischen Symptome handelt und nicht um eine Analyse des Ursachengefüges. (d.Verf.)
[7] Vgl. a.a.O., S.36f.
[8] Vgl., ebd.
[9] Vgl., a.a.O., S.38.
[10] Boaz, T. L.; D. R. Denney. Speed of Scanning in Primary Memory in Persons with Dementia of the Alzheimer Type. In: Psychology and Aging 8 (1993), Nr.2, S.294.
[11] Vgl. Gutzmann, H. Senile Demenz vom Alzheimer-Typ: Klinische, computertomographische und elektroenzephalographische Befunde. Stuttgart: Enke, 1988, S.39f.
[12] Vgl., ebd.
[13] Reisberg beschreibt die Antriebslosigkeit spezieller und m.E. auch präziser mit dem Begriff der „Affektverflachung“ tritt jedoch gegen die Verbindung mit depressiven Zügen ein. Vgl. Reisberg, B. Hirnleistungsstörungen: Alzheimersche Krankheit und Demenz. Weinheim/München: Beltz, 1986; S.124.
[14] Vgl. Gutzmann, H. Senile Demenz vom Alzheimer-Typ: Klinische, computertomographische und elektroenzephalographische Befunde. Stuttgart: Enke, 1988, S.41ff.
- Quote paper
- Oliver Krueger (Author), 1997, Senile Demenz vom Alzheimer Typ (SDAT) und Kommunikationsprobleme: Klinik sowie Analyse von Möglichkeiten zur Erhaltung von kommunikativen Fähigkeiten., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19730
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