Zwischen den zwei verschiedenen Versionen des Medeia-Mythos, die eine von dem griechischen Dramatiker Euripides und die andere von der deutschen Schriftstellerin Christa Wolf, liegen mehrere Unterschiede vor, die sowohl auf den Zeitpunkt ihrer Entstehung, die beiden Autoren und auch auf ihren jeweiligen Entstehungshintergrund zurückzuführen sind. Das Drama des Euripides hat eine etwas kürzere Handlung und fokussierte Thematik, die sich im wesentlichen mit dem Mord Medeas an ihren gemeinsamen Kindern mit Iason (bei Wolf, Jason) und dem Mord an seiner neuen Frau Kreusa (bei Wolf, Glauke) befasst. Das Drama setzt an der Stelle ein, als Medea erfährt, dass Iason mit Kreusa verlobt und in sie verliebt ist. Ab diesem Zeitpunkt nimmt die Tragödie ihren Verlauf. Wie in den klassischen Dramen üblich gibt es keine parallel verlaufenden Handlungsstränge oder viele Personen, die an der Handlung teilhaben.
Christa Wolfs Prosaroman ist so aufgebaut, dass insgesamt sechs Personen in zehn Kapiteln in inneren Monologen, die sogenannten 'Stimmen', verschiedene Teile des Medeia-Mythos, der sich in Korinth abspielt, wiedergeben. Auch diese Handlung setzt ein, nachdem Jason und Medea in Korinth angekommen sind, dort schon einige Zeit leben, aber Jason noch nicht mit Glauke verlobt ist. In den Kapiteln von Medea und Jason werden durch Rückblicke auch noch Teile der Argonauten-Sage erzählt, die den Geschehnissen in Korinth vorausgehen und ihre Handlungen und Motive zum Teil erklären. Die einzelnen Stimmen, die zwar chronologisch angeordnet sind, aber nicht unbedingt in sich chronologisch erzählen, geben verschiedene Ereignisse wieder, die erzählen wie Medea in Korinth ankommt, herausfindet, dass der König Kreon seine Tochter Iphinoe geopfert hat um die Stadt weiter beherrschen zu können und dass Medea wegen dieser Entdeckung durch verschiedene Gerüchte und Intrigen dazu verurteilt werden kann, die Stadt verlassen zu müssen. Anschließend werden ihre Kinder von den Korinthern getötet und ihr der Mord angehängt.
Der wichtigste Unterschied zwischen den zwei Bearbeitungen ist die Figur der Medea. Wolf so wie Euripides entwerfen beide eine Version der Geschichte, in der das Patriarchat gegenüber Medea versagt. Inwiefern sich die zwei Werke unterscheiden und was die möglichen Gründe für diese Unterschiede sind, obwohl ihnen ein gemeinsamer Mythos zugrunde liegt, ist die Frage mit der sich diese Arbeit beschäftigt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung in die Thematik
2. Formale Unterschiede
3. Inhaltliche Unterschiede
3.1 Die Figur der Medea
3.2. Andere inhaltliche und thematische Unterschiede
4. Ergebnisse des Vergleichs
Literaturverzeichnis
1. Einführung in die Thematik
Zwischen den zwei verschiedenen Versionen des Medeia-Mythos, die eine von dem griechischen Dramatiker Euripides und die andere von der deutschen Schriftstellerin Christa Wolf, liegen mehrere Unterschiede vor, die sowohl auf den Zeitpunkt ihrer Entstehung, die beiden Autoren und auch auf ihren jeweiligen Entstehungshintergrund zurückzuführen sind. Das Drama des Euripides hat eine etwas kürzere Handlung und fokussierte Thematik, die sich im wesentlichen mit dem Mord Medeas an ihren gemeinsamen Kindern mit Iason (bei Wolf, Jason) und dem Mord an seiner neuen Frau Kreusa (bei Wolf, Glauke) befasst. Das Drama setzt an der Stelle ein, als Medea erfährt, dass Iason mit Kreusa verlobt und in sie verliebt ist. Ab diesem Zeitpunkt nimmt die Tragödie ihren Verlauf. Wie in den klassischen Dramen üblich gibt es keine parallel verlaufenden Handlungsstränge oder viele Personen, die an der Handlung teilhaben.
Christa Wolfs Prosaroman ist so aufgebaut, dass insgesamt sechs Personen in zehn Kapiteln in inneren Monologen, die sogenannten 'Stimmen', verschiedene Teile des Medeia-Mythos, der sich in Korinth abspielt, wiedergeben. Auch diese Handlung setzt ein, nachdem Jason und Medea in Korinth angekommen sind, dort schon einige Zeit leben, aber Jason noch nicht mit Glauke verlobt ist. In den Kapiteln von Medea und Jason werden durch Rückblicke auch noch Teile der Argonauten-Sage erzählt, die den Geschehnissen in Korinth vorausgehen und ihre Handlungen und Motive zum Teil erklären. Die einzelnen Stimmen, die zwar chronologisch angeordnet sind, aber nicht unbedingt in sich chronologisch erzählen, geben verschiedene Ereignisse wieder, die erzählen wie Medea in Korinth ankommt, herausfindet, dass der König Kreon seine Tochter Iphinoe geopfert hat um die Stadt weiter beherrschen zu können und dass Medea wegen dieser Entdeckung durch verschiedene Gerüchte und Intrigen dazu verurteilt werden kann, die Stadt verlassen zu müssen. Anschließend werden ihre Kinder von den Korinthern getötet und ihr der Mord angehängt.
Der wichtigste Unterschied zwischen den zwei Bearbeitungen ist die Figur der Medea. Wolf so wie Euripides entwerfen beide eine Version der Geschichte, in der das Patriarchat gegenüber Medea versagt. Inwiefern sich die zwei Werke unterscheiden und was die möglichen Gründe für diese Unterschiede sind, obwohl ihnen ein gemeinsamer Mythos zugrunde liegt, ist die Frage mit der sich diese Arbeit beschäftigt.
2. Formale Unterschiede
In der Form liegen große Unterschiede zwischen dem Medea-Drama von Euripides und dem Roman „Medea. Stimmen“ von Christa Wolf.
Das Drama von Euripides entspricht in jeder Hinsicht den drei wichtigsten Konditionen des aristotelischen Theaters. Der Einheit der Zeit, der Handlung und des Ortes. Die Handlung findet innerhalb eines ganzen Tages oder möglicherweise sogar noch weniger statt, da es keinerlei Hinweise darauf gibt, dass eine der Personen schläft, die Sonne untergeht oder es überhaupt Unterbrechungen im Handlungsablauf gibt. Auch die Kongruenz der Handlung ist ununterbrochen. Es werden ausschließlich Medeas Erlebnisse und ihre Konversationen mit den anderen Charakteren bedient und dabei keine Unterbrechung oder ein Wechsel des Schauplatzes vorgenommen, so dass Medea immer anwesend ist und kein weiterer Handlungsstrang parallel dazu verläuft. Auch der Ort wechselt nicht zu einem anderen als Korinth, auch nicht als Medea Aegeus im Hilfe bittet, um nach ihrem Vorhaben in sein Land fliehen zu dürfen, da er zu Medea kommt, um sie anzuhören und nicht umgekehrt.
Nach diesen Normen verläuft das Werk von Euripides im Stil eines klassischen Dramas, das bis auf die Handlungszusammenfassung vor Beginn des Stücks und den Regieanweisungen am Anfang von jedem Aufzug nur aus direkt gesprochener Sprache besteht.
Der Prosaroman von Wolf ist dagegen in indirekter Sprache konstruiert. Er kommt somit dem klassischen Drama näher als ein gewöhnlicher Prosaroman der einen Erzähler hat, aber unterscheidet sich trotzdem in seiner Darstellung der Geschehnisse. Die von Wolf so benannten „Stimmen“ bilden die einzelnen Kapitel des Romans und sie sind es die in Monologen, persönlichen Berichten und dem indirekten Wiedergeben von Dialogen die Ereignisse und die Geschichte erzählen und kommentieren.
Durch die rein subjektiven Erzählperspektiven entsteht ein Roman, der keinen kontinuierlichen Plot hat, sondern mehrere Versionen der Ereignisse, die sich ergänzen aber nicht immer das gleiche Geschehen beschreiben. Der Leser muss sich aus den Erzählungen der „Stimmen“ den gesamten Handlungsverlauf selbst zusammensetzen.
Wolf stellt dabei aber nicht die Zuverlässigkeit der Personen in den Vordergrund sondern ihre Einstellungen und Charakterzüge, die ihre Sicht auf die Ereignisse prägen. Auch werden Vergangenheit und Gegenwart oft in ein und demselben Kapitel erzählt, so dass man die Zusammenhänge beim Lesen eher versteht, wenn man den Plot von dem Medea-Mythos bereits kennt.
Die Ereignisse die in „Medea. Stimmen“ erzählt werden, ziehen sich über mehrere Monate, möglicherweise sogar Jahre hinweg, auch wenn alles was in Korinth selbst passiert und damit keine länger zurückreichende Rückblende ist, vermutlich innerhalb weniger Wochen stattfindet.
Auch sind in Wolfs Prosaroman wesentlich mehr Charaktere erwähnt, Teil der Handlung und des Erzählens.
Während bei Euripides neben Medea, Jason, Kreon und dem Chor selten jemand einen längeren Sprechanteil hat, sind es bei Wolf insgesamt sechs „Stimmen“, die alle nicht nur Beobachter und Ratgeber sind, sondern eine Rolle in Medeas Geschichte einnehmen.
Während in Christa Wolfs Roman keinerlei Erzähler oder eine extradiegetische Partei zu Wort kommt, übernimmt der Chor der korinthischen Frauen bei Euripides eine erzählende wie auch urteilende Funktion. Der Chor urteilt allerdings nicht rein objektiv, sondern stellt sich mal auf die Seite von Medea und ihrem Schicksal und verurteilt sie aber auch für ihren Mord und ihre Rachepläne. Die Tatsache, dass sie Korintherinnen sind, ist für ihre Position, ganz im Gegensatz zu den korinthischen Frauen bei Wolf, nicht von Bedeutung. Es ist viel eher ihre Stellung als Frauen, die sie bis zu einem bestimmten Grad Verständnis oder eben auch Unverständnis für Medea aufbringen lassen.
3. Inhaltliche Unterschiede
3.1 Die Figur der Medea
Medea wird bei Euripides und Wolf auf jeweils recht unterschiedliche Weise dargestellt, obwohl ihre Fähigkeiten und Taten, dank des ähnlichen Verlaufs der Geschichte, größere Gemeinsamkeiten haben. Die Unterschiede finden sich hauptsächlich in Motiven und den Charakterzügen ihrer Taten. Hinzukommt, dass Medea in „Medea. Stimmen“ auch Opfer von Gerüchten und erfundenen Geschichten wird, die ihren Ruf schädigen sollen. Im Drama des Euripides dagegen, gibt es nicht die Möglichkeit Gerüchte oder Gespräche außerhalb der Figur von Medea darzustellen, da diese immer Zentrum des Dramas ist und die anderen vorhandenen Charaktere nicht auf der Bühne untereinander interagieren, sondern lediglich mit ihr.
Einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen den verschiedenen Versionen der Medea-Figur ist das Motiv des Kindermords. Während sie bei Euripides ihre Kinder tatsächlich eigenhändig umbringt (Planung des Mordes und seine Durchführung befinden sich zwischen den Versen 1062 – 1250)[1], ist in dem Roman von Wolf der Tot der Kinder nicht Medeas Handlung „Tot. Sie haben sie (Medeas Kinder) [anm. des Verf.] ermordet. Gesteinigt [...]“[2] sondern die der Korinther.
Diese zwei verschiedenen Darstellungen des Mythos sind zwei verschiedene Formen der Interpretation, die auf den Charakter von Medea zurückführen.
Wolf sagt in einem Interview sie habe ihren Roman auf Quellen aufgebaut, die noch vor der literarischen Schöpfung des Euripides liegen „in denen Medea nicht die Kindsmörderin, sondern zuallererst die Göttin […] ist […].“[3]. Außerdem sagt sie: „Die Kindsmörderin wird Medea erst bei Euripides“.[4] Durch die Kombination dieser Aussagen legt sie Euripides eine eigene Interpretation nahe, bei der der Mord an den eigenen Kindern nicht unbedingt Teil des Mythos ist. Einige Überlieferungen (Scholion zu Medea 9) gehen so weit, dass sie Euripides vorwerfen er hätte gegen Geld von den Korinthern den Kindermord zur Geschichte dazu erfunden.[5] Diese These wird von der Forschung aber eher für unwahrscheinlich gehalten.[6] Da der Kindermord auch eines der zentralen Motive der beiden Bearbeitungen der Medea-Sage von Euripides und Wolf ist und er außerdem das wichtige Aufbegehren der Frau gegen das Patriarchat in vielen weiteren Interpretationen ist, sollte er in diesem Vergleich nicht als bloße Erfindung angesehen werden. Des Weiteren ist es wichtig zu beachten, dass sämtliche Aussagen und Definitionen, die über den Medeia-Mythos getroffen werden Spekulationen sind. Auch wenn die Bearbeitung von Euripides die älteste ist, gibt es dennoch Versionen des Mythos, in denen Medea den Kindermord nicht begeht. Da diese allerdings noch älter sind als das Euripides-Drama selbst, ist auch hier keine hundert prozentige Zuverlässigkeit gegeben
[...]
[1] Euripides: Medea, hrsg. Karl Heinz Eller, Reclam, Stuttgart 1983, S. 85ff.
[2] Wolf, Christa: Medea. Stimmen, Suhrkamp 2008, S. 175
[3] Wolf, Christa: Medea. Stimmen, Suhrkamp 2008, S. 192
[4] Ebd.
[5] Otten, Georg: Die Medea des Euripides, Frank & Timme Verlag, Berlin 2005, S. 348
[6] Ebd.
- Citation du texte
- Jay Hem (Auteur), 2012, "Medea" von Christa Wolf und Euripides im Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/196325
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