PETER SZONDI, meines Erachtens einer der grössten Literaturtheoretiker des 20. Jahrhunderts, erlangte vorwiegend durch seine Theorie des historischen Formwandels Bekanntheit, die gegen EMIL STAIGERS werkimmanente Rezeptionstheorie auf einer Spannung zwischen den formalen und den inhaltlichen Aspekten eines literarischen Werkes beruht. Ich möchte mich allerdings mit einem weniger bekannten Aspekt seines literaturtheoretischen Schaffens auseinandersetzen, der ‚literarischen Hermeneutik‘. Im Zusammenhang mit seinem expliziten Bezug auf hermeneutische Traditionen der Antike und auf die Auslegungen FRIEDRICH SCHLEIERMACHERS, in denen zwischen dem sog. sensus literaris und dem sensus spiritualis eines literarischen Textes unterschieden wird, behaart SZONDI auf der Ausarbeitung einer hermeneutischen Vorgehensweise mit literarischen Werken, die den wörtlichen (denotativen) und allegorischen (konnotativen) Sinn synthetisieren würde, ohne aber „[…] das dichterische denotativen Wort auf Eindeutigkeit zu reduzieren“. Hinsichtlich dieser Wiederaufnahme der antiken Tradition und der Verständnistheorie SCHLEIERMACHERS möchte ich die interessante Frage nach der Rolle des Autors in SZONDI`S Hermeneutik aufwerfen. Mit anderen Worten, es soll eruiert werden, wie SZONDI die Rolle des Autors in seinem hermeneutischen Konstrukt positioniert?
...aber das ist die Meinung undEinschatzung des Autors und wer hort schon auf den Autor Gunter Grass (Interview wahrend der Frankfurter Buchmesse 2009) [1]
Peter Szondi, meines Erachtens einer der grossten Literaturtheoretiker des 20. Jahrhunderts, erlangte vorwiegend durch seine Theorie des historischen Formwandels Bekanntheit (Lammert 1994, S. 6), die gegen Emil Staigers werkimmanente Rezeptionstheorie auf einer Spannung zwischen den formalen und den inhaltlichen Aspekten eines literarischen Werkes beruht. Ich mochte mich allerdings mit einem weniger bekannten Aspekt seines literaturtheoretischen Schaffens auseinandersetzen, der ,literarischen Hermeneutik‘. Im Zusammenhang mit seinem expliziten Bezug auf hermeneutische Traditionen der Antike und auf die Auslegungen Friedrich Schleiermachers, in denen zwischen dem sog. sensus literaris und dem sensus spiritualis eines literarischen Textes unterschieden wird (Szondi 1975, S. 14f.), behaart Szondi auf der Ausarbeitung einer hermeneutischen Vorgehensweise mit literarischen Werken, die den wortlichen (denotativen) und allegorischen (konnotativen) Sinn synthetisieren wurde, ohne aber „[...] das dichterische denotativen Wort auf Eindeutigkeit zu reduzieren“ (Klawitter 2008, S. 37). Hinsichtlich dieser Wiederaufnahme der antiken Tradition und der Verstandnistheorie Schleiermachers (Sexl 2004, S. 131f.) mochte ich die interessante Frage nach der Rolle des Autors in Szondi's Hermeneutik aufwerfen. Mit anderen Worten, es soll eruiert werden, wie Szondi die Rolle des Autors in seinem hermeneutischen Konstrukt positioniert?
Die multisemantische Funktionalitat der literarischen Sprache, die sich aus der Tatsache des Daseins einer allegorischen Zeichendeutung ergibt, besitzt, basierend auf Szondis ,Einfuhrung in die literarische Hermeneutik‘ (1975), die Fahigkeit, das Recht des Autors auf die Deutung seines Textes zu bestreiten. Solange das Zeichen im wortlichen Sinne zu verstehen ist (sensus literaris), kann der Rezipient durch die Untersuchung der fruheren Textfassungen eines literarischen Werkes dem Sinn des Textes empirisch nachgehen (Szondi 1975, S. 23). Gemass Szondi zielt die Entschlusselung der Bedeutung eines Textes jedoch nicht darauf ab, die Intention des Autors zu ermitteln. Genannt werden zwei wichtige Argumente fur solche Dysfunktionalisierung des Autors im Rezeptionsprozess eines literarischen Werkes (Szondi 1975, S. 110f.).
Erstens, wenn man auf den durchaus metaphorischen Titel aus dem beruhmten, wenn nicht gar revolutionaren Artikel von Roland Barthes an dieser Stelle rekurrieren wurde, dann kann gesagt werden, dass die Ursache, die zum ,Tod des Autors‘ (Barthes 2000) in seinem eigenen literarischen Werk beitragt, die Polisemie der Zeichen ist. Mit Polisemie wird die Mehrdeutigkeit der in diesem Text enthaltenen Zeichen gemeint. Hierbei handelt es sich nicht nur um[2], bei den literarischen Texten macht diese Art der Zeichen allerdings eine eindeutige Mehrheit aus. Diese Polisemie, die meines Erachtens fur ein wichtiges Merkmal der Literarizitat eines Textes gehalten werden kann, ergibt sich aus der Vielzahl des sensus spiritualis (bzw. sensus allegoricus) eines Textes, welcher das potenzielle semantische Spektrum eines Zeichens erweitert. So wird das Zeichen nicht auf seine denotativen Semantik beschrankt, sondern es findet eine Sinnerweiterung auf seine paradigmatischen Konnotationen statt. Es gibt naturlich die Ansatze, die versuchen, trotz dieser semantischen Freiheit der Zeichen in einem literarischen Text, den Autor und seine Intentionalitat in das Spiel der Textinterpretation einzubringen, indem behauptet wird, dass Worter nur dann polisemisch zu verstehen sind, wenn ein solches Verstandnis durch den Autor beabsichtigt wurde. Aber auch diesen Versuch der Reanimation des Autors, um auf die schone Metapher Barthes zuruckzugreifen, steht Szondi sehr skeptisch gegenuber und beurteilt ihn kritisch. Dies wurde doch die von ihm postulierte Maxime der Selbststandigkeit des Werkes verletzen. Diese Maxime aussert Szondi in seinen ,Holderlin Studien. Mit einem Traktat uber philologische Erkenntnis‘ (Szondi 1984) in Anlehnung an Wilhelm Diltheys Unterscheidung zwischen den naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Diskursen. Szondis Meinung nach besteht die Aufgabe der Literaturwissenschaft im Verstandnis der Texte, und der Unterschied zwischen beiden Bereichen liegt in ihrer Vorgehensweise. Der naturwissenschaftliche Grundsatz „einmal ist keinmal“ (Altenhofer 1979, S. 168) (statistisch bedingte Signifikanz) gilt im Fall von literaturwissenschaftlicher Tatigkeit nicht, er wird sogar in das Gegenteil verkehrt, „[...] denn die Texte geben sich als Individuen und nicht als Exemplare [...]“ (ebd.).
Neben dem Argument der Polisemie wird von Szondi noch ein zweiter relevanter Aspekt aufgeworfen: die strikte Trennung zwischen dem Autor als Individuum, d. h. als historische / reale Figur, und dem Autor als Urheberinstanz eines literarischen Werkes (Szondi 1975, S. 110f.). An dieser Stelle wird auch der enge Zusammenhang zwischen Szondis hermeneutischer Auslegung und dem franzosischen Strukturalismus deutlich (vgl. auch Altenhofer 1979, S. 172).
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[1] Siehe Online-Link im Literaturverzeichnis.
[2] Symbolisch im Sinne der Saussureschen Unterscheidung zwischen symbolischen, indexikalischen und ikonischen Zeichen (Linke et al. 2004, S. 14-42).
- Citar trabajo
- Bachelor of Arts (B.A.) Mateusz Cwik (Autor), 2011, Literatur als Polisemie? - Die (Dys)Funktionalität des Autors in Peter Szondi`s Hermeneutik, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195986