Sachtextanalyse von: Wilhelm Heinrich Wackenroder: Von zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft. In: Wilhelm Heinrich Wackenroder/Ludwig Tieck: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 1994, S. 60-63.
Sachtextanalyse:
Wilhelm Heinrich Wackenroder - Von zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft 1
Wilhelm Heinrich Wackenroder verfasste 1796 ein Essay, in dem er Poesie, Religiosität und Vernunftdenken gegenüberstellt: „Von zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft“. Auf den ersten Blick erscheint die Abhandlung wie eine antiquierte Lobeshymne auf Gott. Dieser voreilige Schluss berücksichtigt jedoch nicht die aus heutiger Sicht relevanten Aspekte des Textstückes. „Von zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft“ ist eine authentische Quelle, die ein für die deutsche Romantik typisches Weltbild beschreibt. Daher bietet sich eine ausführliche Analyse an. Insbesondere eingegangen soll hierbei auf Parallelen bzw. Unterschiede zu unserem heutigen Naturverständnis.
Wackenroder eröffnet den behandelten Abschnitt, indem er dem Leser die enorme Bedeutung der Sprache - und auch der Poesie - aufzeigt. An Wichtigkeit wird diese nur vom Metaphysischen übertroffen. Der Verfasser stellt die These auf, dass die Faszination, die von Gott und dessen Schöpfung ausgeht, den Rezipienten auf einer viel tieferen Ebene anspricht als beispielsweise die einfache Sprache. Diese These wird dadurch erweitert, dass Gott nicht der Einzige ist, dem diese Macht zu eigen ist, da sie auch von Künstlern imitiert werden kann. Als Beispiel führt Wackenroder seine eigene Begeisterung für die Natur, die er in Gott begründet sieht, an. Im Speziellen geht er darauf ein, dass der Mensch zwar nicht mit der Schöpfung reden könne, aber dennoch von Verständnis und Verbundenheit zu dieser geprägt sei.
Dann übt Wackenroder massive Kritik an den Gedanken der Aufklärung. Rationalisten handeln zwar in guter Absicht, sind aber Wackenroders Ansicht nach nicht befugt, Aussagen über Gott zu treffen. Der Autor legt nahe, dass der Mensch viel zu beschränkt ist, Gott und dessen Wirken zu erklären.
Der nächste Abschnitt befasst sich wieder mit der Kunst, die in ihrer Wirkungsweise derer Gottes gleicht und die den Menschen auf unbewusste Weise anspricht.
Letztendlich zieht Wackenroder das Fazit, dass reines Vernunftdenken den Menschen nicht erfüllen kann. Kunst und Glaube hingegen schon, da sie sowohl Erkenntnisstreben als auch die spirituellen Bedürfnisse des Menschen vereinen.
Die Lexik des Textes ist durch theologische und poetische Begriffe geprägt (vgl. Z.37: „Güte“; „Schöpfers“; Z. 59f: „Vermag der schwache Mensch die Geheimnisse des Himmels aufzuhellen?“). Dadurch unterstreicht Wackenroder seine Frömmigkeit und seine Kompetenz in theologischen Fragen.
Poetische Formulierungen (vgl. z.B. Z.74: „Die Lehren der Weisen“) dienen dazu, die eigentlich unbeschreibliche Natur in Worte zu fasse und bestärken damit Wackenroders Thesen zusätzlich. Poetisch ist die Sprachebene auch im Allgemeinen, wenngleich sich der Verfasser auch um eine gewisse Wissenschaftlichkeit bemüht. Die zielt darauf ab, den Leser sowohl zu begeistern als auch nachvollziehbar zu überzeugen. Zielgruppe des Textes waren vorrangig theologisch, philosophisch oder literarisch Interessierte aus der bürgerlichen Mittelschicht und Geistliche. Im Text finden sich zahlreiche Metaphern, die den Leser von der Schönheit der Natur, der Kunst und Gott überzeugen sollen (z.B. Z. 3: „alle Schätze der Erde“; Z. 23f: „...war mir die Natur immer das gründlichste Erklärungsbuch“)
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1 Wilhelm Heinrich Wackenroder: Von zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft. In:
Wilhelm Heinrich Wackenroder/Ludwig Tieck: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 1994, S. 60-63.
- Citation du texte
- Sebastian Kern (Auteur), 2012, Sachtextanalyse: Wilhelm Wackenroder: Von zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195963