Abstract
Bei der Auseinandersetzung mit Dil Ulenspiegel wird zwangsläufig die Frage nach dem Karnevalesken dieser Figur aufgeworfen. Man erkennt sofort, dass Ulenspiegel eine inhomogene Figur ist, wobei in dieser Arbeit der Versuch einer Verortung und Typisierung unternommen wird. Es stellt sich heraus, dass Dil einen diabolischen Schalksnarren darstellt, der die Attribute des lustigen Narren, des hinterlistigen Schalks und den boshaften Teufels in sich vereint.
Wichtig für die Analyse der vielen karnevalesken Elemente in diesem Schwankroman sind die Betrachtungen Michail Bachtins des Karnevalesken und des volkstümlichen Karnevalslachen im Renaissanceroman Gargantua und Pantagruel von Rabelais. In seinem Werk Rabelais und seine Welt stellt Bachtin eine Reihe von theoretischen Überlegungen zum Karneval in diesem Roman an und entwirft somit eine Karnevalstheorie, welche die Ideen vom Karnevalslachen und vom grotesken Körper einschließt. Diese Theorie dient in weiterer Folge als Basis für die Analyse der karnevalesken Elemente im Schwankroman, wobei besonderes Augenmerk auf die Elemente Fäkalien, Fressen, Verkehrte Welt und das befreiende Lachen gelegt wird.
So gelangt man schließlich zu der Erkenntnis, dass Dil Ulenspiegel mit Einschränkungen einen karnevalesken Helden darstellt.
Inhalt
1 Einleitung
2 Einfuhrung
2.1 Der Schwank und die Schwankfiguren
2.2 Die Narrentypen
2.2.1 Der Hofnarr
2.2.2 Der burgerlich-bauerliche Narr
2.2.3 Der Eulenspiegeltyp
2.3 Wer oder was ist Dil Ulenspiegel?
2.3.1 Was ist ein Narr?
2.3.2 Was ist ein Schalk?
2.3.3 Die Konzeption des Diabolischen
2.3.4 Der Teufel und der Karneval
2.3.5 Ulenspiegel als diabolischer Schalksnarr
3 Michail Bachtin: Der Karneval
3.1 Das volkstumliche Karnevalslachen
3.1.1 Rituell-szenische Formen
3.1.2 Komische Texte
3.1.3 Formen und Gattungen der familiaren Rede des Marktplatzes
3.2 Das materiell-leibliche Lebensprinzip
3.3 Tabu und Tabuverletzung
3.4 Das Karnevalslachen
3.5 Kritik an Bachtin
4 Die karnevalesken Elemente bei Dil Ulenspiegel
4.1 Fakalien
4.1.1 Psychoanalytischer Ansatz
4.1.2 Fakalien als Tabubruch
4.1.2.1 Der blanke Hintern
4.1.2.2 Die Sunder und die Unschuldigen
4.1.3 Fazit
4.2 Fressen
4.3 Verkehrte Welt
4.3.1 Alphabetischer Gehorsam
4.3.2 Materielle Verkehrungen
4.3.3 Das Spiel der Verstellung
5 Das befreiende Lachen
6 Dil, der karnevaleske Held
7 Quellenverzeichnis
7.1 Primarliteratur
7.2 Sekundarliteratur
7.3 Internetquellen
8 Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
Die Figur des Till Eulenspiegel hat sich im Laufe der Jahrhunderte stark verandert. Heute sehen wir ihn in Zeichentrickfilmen mit Narrenkappe und Glockchen lustige Possen reifien. Man halt ihn fur einen ulkigen Spafimacher, einen Schelm, der zwar den Spiegel vorhalt, aber niemandem ernsthaft Schaden zufugen konnte.
Geht man in der Entstehungsgeschichte dieser Figur jedoch zuruck und verfolgt man den Ursprung bis zum altesten erhaltenen Druck des Eulenspiegelbuches von 1515 (Strafiburg von Johannes Grieniger), so erhalt man ein ganz anderes Bild dieses Charakters. Er spottet, stiehlt, bricht das Gesetz, defakiert mitten in der Stube, bereichert sich auf Kosten anderer und vieles mehr. Er ist ein schelmischer Schurke, der im ganzen Land bekannt ist und den die meisten Leute nicht gerne in ihrer Nahe wissen. Doch was macht diese Figur aus? Was veranlasst einen dazu, immer noch uber ihre Streiche zu lachen, auch wenn sie so bosartig sind? Dil[1] ist kein gewohnlicher Dieb oder Schurke, er ist ein Schalksnarr, der seine Umwelt durch sein Verhalten verstort und aufruttelt, die Welt in ein anderes Licht ruckt und Grenzen pausenlos uberschreitet. Diese Ubertretungen sind es, die in dieser Arbeit Beachtung finden.
Dil Ulenspiegel ist eine durchwegs inhomogene Figur, welche es sehr schwer macht, sie einem Typus zuzuordnen. Im ersten Teil dieser Arbeit wird versucht, Aufschluss daruber zu geben, welche Art von Figur Dil verkorpert. Da es im Schwank des 16. Jahrhunderts ein festes Personeninventar gibt, zu dem auch die Figur des Narren zahlt, werden die verschiedenen Narrentypen vorgestellt. Anschliefiend mussen die Wortherkunft von Narr und Schalk untersucht werden, um Dil Ulenspiegel als Charakter greifbar zu machen und die Interpretation der Historien uber den Protagonisten und seine Handlungsweisen zu ermoglichen. Schnell wird jedoch klar, dass Dil nicht nur als boshafter Schalk dargestellt wird, sondern von der 1. Historie an das Element des Bosen in sich tragt. Die Gestaltung als teuflisches Wesen wirft die Frage auf, inwiefern der Teufel und der Narr miteinander in Zusammenhang stehen. Beide Figuren treffen historisch im Karneval aufeinander und sind als Meister und Handlanger in der Ideengeschichte des Mittelalters untrennbar miteinander verbunden. So liegt die Vermutung nahe, dass Dil Ulenspiegel als Konzeption eines diabolischen Schalksnarren eine karnevaleske Figur darstellt. Um dieser These eine Basis zu schaffen, wird die Theorie von Michail Bachtin zum Karnevalslachen und zur volkstumlichen Karnevalskultur herangezogen. In seiner Studie zu Rabelais Romanzyklus Gargantua und Pantagruel fuhrt er seine Theorien zur Karnevalskultur aus und bietet somit die Grundlage fur die Analyse der karnevalesken Elemente in dieser Arbeit. Da Bachtins Theorien jedoch stark umstritten sind, werden seine Thesen in Kapitel 3.4 kritisch betrachtet und die Eignung zur Anwendung fur die Analyse gepruft.
In der Folge werden Funktion und Darstellung der drei karnevalesken Elemente, namlich Fakalien, Fressen und Verkehrte Welt, in den einzelnen Historien betrachtet, analysiert und interpretiert. Vor allem beim Thema Fakalien darf auch der psychoanalytische Ansatz Sigmund Freuds und Karl Abrahams nicht ausgelassen werden und so wird Dils Analverhalten auch unter dem Licht der Psychoanalyse untersucht. Interessant sind auch die anderen beiden karnevalesken Elemente, namlich Fressen und Verkehrte Welt. Vor allem von letzterem finden wir eine Vielzahl und Vielfalt an Beispielen bei Dil Ulenspiegel, sei es sein alphabtischer Gehorsam, mit dem er die Menschen hereinlegt, seine materiellen Verkehrungen und somit das aus den Angeln heben der Alltagswelt oder mit seinem Spiel der Verstellungen, wenn er sich fur etwas ausgibt, was er gar nicht ist.
Ziel dieser Arbeit ist es, die inhomogene Figur Dil Ulenspiegel greifbar zu machen und mithilfe des Karnevalesken auch absurde und auf den ersten Blick vollig unverstandliche Handlungen und Verhaltensweisen zu erklaren. Die Frage, die hier nun beantwortet werden soll, lautet: Ist Dil Ulenspiegel ein karnevalesker Held und das Werk somit ein karnevalesker Schwankroman?
2 Einfuhrung
2.1 Der Schwank und die Schwankfiguren
Bevor man eine Figur in Augenschein nimmt, ist es notwendig, sich zunachst mit ihrem Umfeld zu beschaftigen. Fur die Figur des Dil Ulenspiegel heifit dies, dass man die Gattung, in welcher er auftritt, naher betrachten muss. Man kann Ein kurzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel als Schwanksammlung bezeichnen, sogar als Schwankroman, weil die Geschichten sich uber das ganze Leben Dils ereignen und noch nach seinem Tod weiter erzahlt werden. Es gibt also eine mehr oder weniger chronologische Abfolge.
Doch was ist ein Schwank? Das Wort leitet sich von „schwingen“ ab, daher hat es die ursprungliche Bedeutung ,eine Waffe schwingen und einen Streich mit ihr ausfuhren‘ [2]. Spater wurde dies dann auf eine Erzahlung eines Streiches ubertragen. So bestimmt auch diese Definition den Handlungsaufbau des Schwanks:
„Er zeigt eine Steigerung zum Ende hin, wobei die Schlusspointe mehr oder weniger ausfuhrlich oder auch umstandlich vorbereitet wird. Der pointierte Aufbau fordert einen moglichst geradlinigen Handlungsverlauf, eine knappe Skizzierung der handelnden Figuren und der Erzahlsituation. Gerade diese knappen, auf das Ende hin konzipierten Schwanke, die von erzahlerischem Beiwerk weitgehend frei sind, zeigen die grofite Wirkung, da ihr Handlungsaufbau dem Wesen der Gattung am besten entspricht.“[3]
Diese Definition stimmt mit dem Aufbau der Historien im Dil Ulenspiegel grofitenteils uberein. Zwar gibt es durchaus grofie Unterschiede in der Lange der einzelnen Historien, doch kann fur alle gelten, dass es eine Pointe gibt, ein geradliniger Handlungsverlauf vorhanden ist und die Figuren nie ausfuhrlich beschrieben werden, sondern sie (wie auch Dil selbst) nur holzschnittartig vorgestellt werden.
Die Schwankfigur des 16. Jahrhunderts zeichnet sich durch ihre soziale Stellung und durch ihre Funktion in der standischen Gesellschaft aus. Sie hat charakteristische Eigenschaften und Schwachen, die nicht auf ihren Stand beschrankt, sondern von allgemein menschlicher Natur sind.[4]
Wilfried Deufert geht bei seiner Beschreibung der Schwankfiguren in seinem Buch Narr, Moral und Gesellschaft - Grundtendenzen im Prosaschwank des 16. Jahrhunderts besonders auf den Narren und seine Funktion ein und unterscheidet dabei verschiedene Narrentypen in der Schwankliteratur des 16. Jahrhunderts. Er bezieht sich bei seinen Ausfuhrungen auf verschiedene Schwanke, wie beispielsweise Paulis Schimpf und Ernst und Lindeners Rastbuchlein und Katzipori.
Ich orientiere mich zunachst an seinem Modell, werde aber spater seiner Bezeichnung „Narr“ fur Dil Ulenspiegel widersprechen mussen.
2.2 Die Narrentypen
Der Narr nimmt eine Sonderstellung im Personeninventar des Schwanks ein, denn er ist gesellschaftlich nicht fixiert. Er ist ein Aubenseiter, gehort nicht zur standisch gegliederten Gesellschaft und ist somit sozial nicht einzustufen. Ein besonderes Merkmal des Narren ist auberdem, dass man ihm nicht bestimmte Eigenschaften zuweisen kann, denn er ist kein torichter Mensch, in „ihm ist vielmehr die Eigenschaft der Torheit schlechthin zu einer lebendigen Figur verdichtet.“[5] Er verkorpert das Prinzip der Narrheit und kann nur zum Opfer seiner eigenen Narrheit werden.[6]
Nach Deufert gibt es kein einheitliches Narrenbild in der Schwankdichtung, welches den Narren schlechthin darstellen konnte. Es gibt aber verschiedene Narrentypen, die man durchaus kategorisieren kann. Zuvor soll aber darauf hingewiesen werden, dass es sich bei keinem dieser Typen um einen weisen Narren handelt, der Verstand besitzt und sich die Narrenkappe nur aufsetzt, um unter ihrem Schutz die Wahrheit sagen zu konnen. Eine derartig weise und einsichtige Figur gibt es laut Deufert im Schwank des 16. Jahrhunderts schlichtweg nicht.
2.2.1 Der Hofnarr
Der erste Grundtyp ist der Hofnarr, wobei das Narrentum bei diesem Fall institutionalisiert ist. Er hat am Hofe einen festen Platz, wenn auch nicht in, sondem neben der Gesellschaft. Er ist kritischer Beobachter, halt den Narrenspiegel vor oder wird „Zielscheibe grober Spafie“[7]. In der Schwankdichtung wird er, anstatt dass er die Rolle des Kritikers einnimmt, oft zum „verspotteten oder verprugelten Opfer seiner eigenen Narretei“[8]. Der Narr ist anders und dieses Anders-Sein macht ihn entweder zum Gespott oder befahigt ihn selbst zum Spott und ist somit die Voraussetzung zur Kritik an seiner Umwelt. Genau diese Andersartigkeit lasst ihn „die Schranken der Konvention uberwinden, weil er sie nicht sieht, bzw. weil sie fur ihn nicht vorhanden sind.“[9] So verhalt er sich oft gegen die Norm, handelt anders als seine Mitmenschen und halt sich nicht an die von der Gesellschaft entwickelten Regeln. Dies macht ihn zum Aufienseiter.
2.2.2 Der burgerlich-bauerliche Narr
Ein Mensch, der von der Narrheit wie von einer Krankheit befallen ist, stellt den zweiten Grundtypus dar. Er ist in allen Standen vertreten, doch auch wenn die Zugehorigkeit zu einer Gesellschaftsschicht erwahnt wird, ist sie trotzdem irrelevant. Dieser Narr hat die Rolle des Aufienseiters inne, denn er sondert sich durch seine „Krankheit“ von der Gesellschaft ab und fallt gewissermafien aus dem Rahmen. Im Gegensatz zum Hofnarren, der sich in der Adelsgesellschaft aufhalt, bewegt sich der zweite Typus im burgerlichen bzw. bauerlichen Milieu. Man kann ihn deshalb als burgerlich-bauerlichen Narren bezeichnen. Er bleibt aufierlich im Bereich seiner Umwelt, „auch wenn er sich innerlich von ihr durch sein Anders-Sein gelost hat.“[10] Dieser wie auch der Hofnarr besitzen beide einen geistigen Defekt und zeigen deshalb abnormes Verhalten.[11]
2.2.3 Der Eulenspiegeltyp
Nach Deufert zahlen zum Eulenspiegeltyp jene Figuren, die man gemeinhin als Abenteurer, Glucksritter und Spafivogel bezeichnet. Sie treten in sehr vielen Schwanken auf und so kann man diesen Typ als eine „Grundfigur der Schwankdichtung“[12] bezeichnen. Daher ist der dritte Grundtypus im engeren Sinne eigentlich kein Narr, sondern weist nur narrenhafte Verhaltensweisen auf. Er steht der Gesellschaft von Anfang an als Aubenseiter gegenuber und bei ihm ist der Konflikt von Narr und Umwelt am starksten. Die Narrheit ist hier keine Krankheit, kein angeborener Defekt, sondern ein Werkzeug, das bewusst gegen die Gesellschaft eingesetzt wird. Die „Auseinandersetzung [reicht] vom harmlosen oder grobianischen Spott uber treffende Kritik bis zur, zuweilen bosartigen, Ubervorteilung der Umwelt.“[13] Dieser Typ setzt sich selbst die Narrenkappe auf, um zu kritisieren und zu spotten. Dabei tritt er als Fremder von auben an die Gesellschaft heran.[14] Der Eulenspiegeltypus ist kein weiser Narr. Hier ist nicht die Erkenntnis oder das Aussprechen von Wahrheit oder Weisheit das Ziel seiner Handlungen, sondern „[das Ziel] besteht eindeutig in der Uberlistung und Ubervorteilung seiner Umwelt.“[15]
„Der Eulenspiegel-Narr ist seiner Umwelt nicht nur geistig uberlegen; ihn kennzeichnet auch die bewubte Mibachtung aller Normen der Moral. Er lugt, stiehlt und betrugt nicht, weil er in einer bestimmten Situation zu moralischem Handeln zu schwach ist, sondern weil dieses Verhalten seiner Natur entspricht. Unmoral ist also nicht eine menschliche Schwache dieses Narren, sondern gerade umgekehrt seine Starke, mit deren Hilfe er sich seiner Umwelt gegenuber behauptet und uber sie triumphiert. Dadurch, dab er die Normen der Moral fur seine Person nicht anerkennt, stellt er sie zugleich in Frage.“[16]
Ich stimme Deufert an diesem Punkt nur teilweise zu. Dil Ulenspiegel auf die dritte Kategorie zu reduzieren, ist bei dieser komplexen Gestalt meines Erachtens zu kurz gegriffen. In der weiteren Analyse soll gezeigt werden, dass Ulenspiegel sich nicht nur als „Eulenspiegeltypus“ prasentiert, sondern durchaus alle drei Grundtypen vereinnahmt, wenn auch nicht gleichzeitig. Durch dieses inhomogene Bild des Charakters konnte man auch die Frage stellen, ob mehrere Autoren oder Redakteure an der Schwanksammlung gearbeitet haben und es dabei nicht schafften, diese Figur zu einem homogenen Konstrukt zu machen, oder ob der Autor Ulenspiegel bewusst diese Vielfalt und dadurch auch Einzigartigkeit und Freiheit gelassen hat. Diese Frage wurde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen und soll deshalb unberucksichtigt gelassen werden. Es scheint mir aber trotzdem wichtig, auf diese Vielschichtigkeit hinzuweisen.
2.3 Wer oder was ist Dil Ulenspiegel?
Uber eines ist man sich in der Forschung einig: Dil ist eine uneinheitliche Figur, die einem bei jedem Interpretationsversuch neue Schwierigkeiten bereitet. Hier soll kein Abriss uber die Interpretationsgeschichte Dils gegeben, sondern lediglich ein weiterer Versuch unternommen werden, Ulenspiegels Charakter und seiner Natur etwas naher zu kommen.
Deufert bezeichnet Ulenspiegel als Narren, ohne eine Definition eines solchen anzugeben. Er verweist lediglich auf Beispiele aus Schwanken des 16. Jahrhunderts.
Nach dem Konsultieren verschiedener Worterbucher zu diesem Begriff, muss ich jedoch von dieser Bezeichnung teilweise Abstand nehmen. In der Schwanksammlung wird Dil nie als Narr, sondern als Schalk betitelt, was einen grofien Unterschied ausmacht. Im Folgenden werden die beiden Begriffe genauer beschrieben und damit wird deutlich gemacht, dass die Bezeichnung Narr, vor allem auch fur die von Deufert gegebene Charakterisierung des dritten Grundtypen, eigentlich nicht zutreffend ist.
2.3.1 Was ist ein Narr?
Das Etymologische Worterbuch der deutschen Sprache erklart das Althochdeutsche narro (8. Jh.) als alteste Belegte Vorstufe unseres heutigen Wortes Narr, allerdings vermag es nicht, die Herkunft zu nennen. Auch die Mittelhochdeutsche Form narre ist belegbar. Narr ist nur deutsch oder aus dem [17] Deutschen entlehnt.
Im Deutschen Worterbuch findet man sehr viele Bedeutungen fur das Wort Narr. Die nachweisbar alteste Bedeutung bezeichnet eine Person, die verruckt, irrsinnig und uberhaupt geisteskrank ist und an einer fixen Idee leidet[18].Narr kann aber auch einen Fratzenmacher und Spotter meinen, oder eine Person, die einen Narren spielt, ohne einer zu sein, also eine „possenhafte, lustige person, spaszmacher, gaukler“[19]. Naturlich pragt diese Bedeutung den Narren im Fastnachtsspiel oder auf der Buhne oder den „schalksnarr, hofnarr“ [20], welcher seit dem 12. Jahrhundert eine Institution zur Belustigung ist [21]. Dieser setzt sich bewusst die Narrenkappe auf und halt anderen den Spiegel vor. Er hat die Lizenz fur die Wahrheit, richtet so uber die Torheiten der anderen und kommt dadurch unbeschadet davon.
Im Gegensatz dazu steht die Beschreibung eines Narren als eine Person, „die thoricht, einfaltig, albern, vernarrt, eingebildet u. dergl. ist oder die von anderen dafur gehalten wird.“[22] In diesem Zusammenhang ist der Narr der Gegensatz zu einer „weisen, witzigen, klugen, gescheiden, verstandigen, vernunftigen person“[23] und er „unterscheidet sich vom weisen hauptsachlich durch unzeitiges, ungereimtes, dem gesunden verstande zuwiderlaufendes reden, fragen und lachen, wodurch er selbst lachen erregt oder zum spotte und gelachter dient“[24].
Laut dem Grimmschen Worterbuch werden in den didaktischen Schriften des Alten Testaments die moralischen Gebrechen und Fehler, sowie Sunden und Laster der Menschen als Torheiten aufgefasst und die Toren und Narren gelten als Personifikation dieses Fehlverhaltens. Auch die Didaktiker des Mittelalters wie Sebastian Brandt und seine Nachahmer bestatigen dieses Bild des Narren in 25 ihren Werken.[25]
Der Narr tut immer das Gegenteil von dem, was man ihm sagt oder was der Konvention entspricht:
„ich pin ein narr... wann das ich slafen solt, so wachet ich, wann das ich trauren solt, so lachet ich.“[26] Auch verdient das Verb narren in diesem Zusammenhang einige Aufmerksamkeit und bedeutet „zum narren machen, zum oder fur einen narren 27 haben, zum besten haben, affen, foppen, necken u. dgl.“[27]
Im Worterbuch der Deutschen Sprache findet man die Definition fur „eine Person, welche gegen die Regeln der Weisheit und Klugheit handelt.“[28] „Narr und Thor sind theils in sofern verschieden, dafi Narr harter und niedriger ist, theils in sofern, dafi die Handlungen des narren auffallender und zugleich 29 unschadlich sind, dafi man daruber lachen kann“ [29].
2.3.2 Was ist ein Schalk?
Das Wort Schalk ist wesentlich langer belegt als Narr und findet sich auch in einigen anderen alten Sprachen. Die Form *skalka- versucht den gemein Germanischen Ursprung zu konstruieren, aber auch im Gotischen findet man eine ahnliche Form, namlich skalks. Diesen Formen ahneln auch das 30 althochdeutsche sclac und das mittelhochdeutsche schalc(h).[30]
Dil wird immer wieder als Schalk und Schalckfinarr bezeichnet, doch darunter ist nicht der heitere Possenreifier und Spafimacher zu verstehen, sondern ein von Gott abgefallener Sunder. Wenn man den Eintrag im Deutschen Worterbuch der Bruder Grimm durchforstet, findet man eine Verwendung Martin Luthers, der den Schalk einem frommen Menschen gegenuberstellt: „es thue nu der teufel oder mensch, ein schalck oder fromer 31 solch werck.“[31]
Auch andere Eintrage bestatigen dieses Bild des Schalks: Die altesten Belege des Wortes zeigen die Bedeutungen Knecht oder Diener: „wahrscheinlich bezeichnete schalk zunachst den horigen, der wegen einer schuld seine freiheit 32 verloren hatte“[32].
„[Keiserberg] gibt von schalk folgende erklarung: „der heisset ein schalck (homo nihili) den man dannen oder neben usz schaltet, der nut wert, noch nyene zl ntitz ist, weder zu syeden, noch zu broten, ein unmensch. ein ding das man neben usz schaltet, das ist ein schalck, und heiszt im latin nequam, quasi nequicquam, ad nihil utilis.“[33]
Fur das Wort schalkhaft werden folgende Synonyme angeben: „arglistig, heimtuckisch, heuchlerisch, boshaft, meist in alterer sprache“ und „in neuerer zeit meist nach schalk [...] neckisch, mutwillig“.[34]
Auch im Worterbuch der Deutschen Sprache findet man die Bedeutungen Knecht und Diener, doch auch die negativen Wertungen:
„Eine Person, welche ohne den Schein davon zu haben, zu tauschen, zu hintergehen, wie auch zu betrugen und zu Schaden verstehet, sowol [sic]von groben arglistigen Betrugern, als auch am haufigsten von solchen Personen, die nur in Scherz hintergehen und eine Absicht, die sie Ursache haben, zu verbergen, mit Feinheit und Gewandtheit zu erreichen suchen.“[35]
Die Bedeutung des Wortes Schalk wird im Etymologischen Worterbuch der deutschen Sprache wesentlich einfacher dargestellt: „Die Bedeutung wird im Mittelhochdeutschen zu ‘gemeiner Mensch‘ (im ubertragenen Sinn), spater abgeschwacht, indem das Wort auf harmlosere Ubeltater, bes. Spotter, angewandt wurde.“[36] Auch hier ist die Wortherkunft unklar.
Aus diesen beiden Begriffsbestimmungen geht eindeutig hervor, dass wir es bei Dil Ulenspiegel mit einer Mischung aus Narr und Schalk zu tun haben. Er ist sicherlich ein Spafimacher und Possenreifier, denn sonst hatten ihn die Bremer Burger wohl kaum seiner Scherze wegen behalten („...das ihnn die Burger wol leiden mochten unnd ihn in allen Schimpffen haben wollten.“[37] ) Er narrt die Menschen in seiner Umgebung und oft kann man uber seine Streiche lachen. Doch ist es wichtig, Dil auch die Attribute des Schalks zuzuschreiben, der keineswegs dumm oder albern ist, sondern sich auf den Betrug versteht und darauf, anderen Menschen zu schaden. Er tauscht, hintergeht und spielt haufig mit einer Naivitat, die Kindern oder dummen Menschen eigen ist, beispielsweise wenn er einen Auftrag eines Handwerksmeisters wortlich nimmt und bei einer Ruge eine dummliche Beschwerde erhebt, dass egal was er mache, es nie Recht sein konne. Er weifi jedoch immer genau, was er tut und versucht sich nur hinter dieser gespielten Naivitat zu verstecken. Bei genauer Betrachtung kann daher festgestellt werden, dass die Figur Ulenspiegel nicht einfach ein lustiger Zeitgenosse ist, sondern durchaus eine Bedrohung fur Leben, Besitz und Ansehen der anderen Figuren darstellt. Bei diesem Schalksnarren ist definitiv eine negative Konnotation zu erkennen, die bei genauerer Analyse ihren Ursprung bereits in der ersten Historie findet. Hier wird bei intensiver Auseinandersetzung klar, dass Dil eine gottesferne Figur darstellt, die durch einen unglucklichen Zufall ihr ganzes Leben als Aubenseiter der Gesellschaft verbringen wird. Es erfolgt die Konzeption eines Schalks, der nicht nur die Leute aus reinem Egoismus ubers Ohr haut, sondern auch boswillig und niedertrachtig, oft ganz ohne ersichtliche Motivation agiert. Der Ruckschluss auf einen Teufel, bzw. ein diabolisches Wesen liegt nahe, denn wer ware gemeiner und gottesferner, wenn nicht der Teufel selbst? In weiterer Folge wird daher auf die Konzeption der Figur Dil Ulenspiegel eingegangen.
2.3.3 Die Konzeption des Diabolischen
Der Begriff Schalkheit vertritt vor allem „die grandiose Bosheit und 30 Gemeinheit, wie sie in vielen Episoden des Ulenspiegel zu Tage tritt.“ Reinhard Heinritz bezeichnet Ulenspiegel auch als „kleine[n] Teufel“, allerdings halt er ihn nicht fur einen anti-christlichen Rebellen, „der die religiosen Uberzeugungen seiner Umwelt zu untergraben trachtet. [...] [E]in sakularer Diabolus, der provoziert, um zu provozieren.“[39] In diesem Punkt kann man Heinritz durchaus Recht geben, doch ist es notwendig, diesen Gedanken des Diabolischen noch weiter zu verfolgen. Eine neue Perspektive auf Dil Ulenspiegel ergibt sich, wenn man den Verweis von Bernd Ulrich Hucker berucksichtigt, der einen Versuch einer Neuinterpretation dieser Figur unternimmt. Er verweist auf den Malleus maleficarum (Hexenhammer) von 1487, in dem ausdrucklich davor gewarnt wird, „ein Neugeborenes uber einen Steg zwischen zwei Pfarrdorfern zu tragen. Fallt es herunter, so geben die im Wasser lebenden Damonen statt seiner einen Wechselbalg heraus.“[40] So erscheint die dreifache Taufe Dils in der ersten Historie nicht mehr als lustiger Zufall, sondern als bewusste Konzeption einer damonischen Prasenz, welche die Boshaftigkeit Ulenspiegels uber das Werk hinweg rechtfertigt, denn ein gottesfurchtiger Mensch konnte nie so schelmisch, bosartig und hinterlistig sein wie Dil. So behauptet Hucker, dass Dil als Teufelsbrut konzipiert wurde. Dies ist einleuchtend, betrachtet man sich auch die anderen Historien, in denen es um Sakramente geht oder diese angedeutet werden, denn die sakralen Riten haben keinerlei Effekt auf Ulenspiegel. So bessert sich Dil beim Gang nach Rom auch nicht, und seine Reise bleibt erfolglos. Ebenso verweist Dil selbst auf den Heiligen Geist, als er sich im Heilig-Geist-Spital aufhalt:
„Ich hab da vast nach gestanden und Got allezeit gebetten, das der heilig Geist solt in mich kumen, so sendt er mir das Widerteil, daz ich nun in den heiligen Geist kum und er bleibt ub mir und kum in ihn.“[41]
Durch die missgluckte Taufe kann Dil auch kein anderes Sakrament mehr zu einem Christenmenschen machen. Wobei man aber an dieser Stelle betonen muss, dass der Protagonist sich keineswegs als anti-christlicher Widersacher aufspielt, der bewusst gegen den Klerus oder die Kirche vorgeht. Zwar wird auch die Geistlichkeit Opfer seiner Betrugereien, doch lassen sich keine revolutionaren oder gar reformistischen Tendenzen feststellen. Dil steht als das, was er ist, auberhalb der Gesellschaft und zwar in allen Bereichen.
Heinritz untermauert Huckers These des diabolischen Ulenspiegels weiter, indem er auf die mittelalterliche Ikonographie verweist. Dabei bestehe eine „Affinitat des althergebrachten Teufelsbild zum Schmutz, zum Kot und zur amorphen Materie“[42]. Der Teufel verwende oftmals Exkremente als hollisches Zahlungsmittel oder verspotte damit christliche Ideen.[43] Ausscheidungen spielen in 23 Historien von Ulenspiegel eine zentrale Rolle. Das Fakalmotiv zeugt von der Korperlichkeit Dils, „bei der eine ebenso grund- wie mablose Bosheit in der obsessiven Betatigung der Ausscheidungsorgane zum Ausdruck kommt.“[44] Diese Motivik soll in Kapitel Fakalien noch naher betrachtet werden.
Es gibt auberdem verschiedene unauffalligere Motive fur eine Beziehung Dils mit dem Teufel, die nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Eines davon ist in der 19. Historie zu finden. Hier gibt der Backermeister Dil den Auftrag, in der Nacht zu backen. Auf Ulenspiegels Frage hin, was er denn Backen solle, antwortet der Meister zornig und voller Spott, dass man Eulen oder Meerkatzen zu backen pflege. Diese Anweisung nimmt Dil naturlich wortlich und formt das Brot zu Eulen und Affen. Doch diese Schalkheit birgt mehr als nur einen Streich in sich. Affen hatten im Mittelalter meist einen negativen Symbolgehalt und wurden mit einem Spiegel dargestellt. Sie galten als Symbol fur weltliche Begierde, Eitelkeit, Bosheit und den Teufel. Eine beruhmte Darstellung eines Affen in der Bildenden Kunst finden wir im Werk Albrecht Durers „Maria mit der Meerkatze“.[45]
Auch findet man Affendarstellungen an Aufienfassaden von Kirchen, wie beispielsweise an der Sankt Georg Kirche in Jak in Westungarn, die in der ersten Halfte des 13. Jahrhunderts erbaut wurde. Auf der Ruckseite, die gegen Norden gewendet ist, sitzen zwei Affen auf dem Fenstersims und spotten ihrer Betrachter. In der Broschure zur Kirche findet man hierzu einen Verweis auf Jesaia 14, dass alles Bose aus dem Norden komme.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Nordseite der Sankt Georg Kirche in Jak: Zwei Affen und ein Menschenkopf am Fenstersims. (Foto: Veronika Luther)
„Wje bistu vom Himel gefallen / du schoner Morgenstern? Wie bistu zur Erden gefellet / der du die Heiden schwechtest? Gedachtest du doch in deinem hertzen / Jach will in den Himel steigen / und meinen Stuel uber die sterne Gottes erhohen. Ich will mich setzen auff einen berg des Stiffts / an der seiten gegen mitternacht.“[46]
Dieses Bibelzitat bezieht sich auf den Fall Luzifers und seinen Hochmut, sich selbst uber Gott zu erheben. In der Lutherbibel finden wir „Mitternacht“, in anderen Ubersetzungen wie beispielsweise in der Elberfelder Bibel steht an dieser Stelle jedoch „Norden“. Diese Begriffe sind gleichzusetzen, da beide das Licht der Sonne und damit Gottes Heil niemals erreichen.
So deuten hier Dils Backwaren verschlusselt auf sein wahres Wesen hin, da man vor allem die Darstellung des Affen mit einem Spiegel in Bezug auf Ulenspiegel, der selbst eine Eule mit einem Spiegel als sein Zeichen benutzt und dieses an den Turstock der Opfer seiner Streiche malt. So konnte man auch den Namen Ulenspiegel bzw. Eulenspiegel neu interpretieren und die Eule, den Affen mit dem Spiegel und den Schalk in Zusammenhang setzen. Er nimmt als Tier die Eule, welche fur Schlaue steht, den Spiegel des Affen fur das Diabolische und macht daraus eine gerissene gottesferne Figur namens Eulenspiegel. Es gibt viele Interpretationen dieses Namens, wie z.B. die Ableitung aus dem Niederdeutschen: Ulenspiegel oder Eulenspiegel, lasst sich vom „Eule“ genannten Flederwisch[47] herleiten. Auf Niederdeutsch heifit Eule ule, wovon sich das Verb ulen „fegen, reinigen“ ableitet. So gehort auch der Name Ulenspiegel in dieses Wortfeld. Ulenspiegel wird als Satzname fur „Feg 48 mir den Spiegel“ gedeutet, wobei Spiegel scherzhaft fur „Hinterteil“ steht.[48] Diese Interpretation liegt naturlich nahe, wenn man genauer auf die Anale Gestik bei Ulenspiegel eingeht, die in der Schwanksammlung sehr dominant ist. Jedoch ist auch die erste Interpretation nicht von der Hand zu weisen. Einigen kann man sich bestenfalls darauf, dass unser Held auch bei der Herkunft seines Namens viele Moglichkeiten bietet und noch mehr Fragen offen lasst. Ulenspiegel als diabolische Figur zu interpretieren ist nicht von der Hand zu weisen. Doch besteht der Zusammenhang zwischen Teufel und Narr, bzw. Teufel und Karneval schon sehr lange. Es ist daher unumganglich, sich auch mit Brauchen und Bildmaterial des Mittelalters bzw. der fruhen Neuzeit zu beschaftigen, welches diese beiden Figuren in unmittelbare Nahe zueinander stellen. Im Folgenden soll ein Uberblick uber diese eng verwobenen Elemente gegeben werden.
2.3.4 Der Teufel und der Kameval
Zunachst muss auf Werner Mezgers Werk Narrenidee und Fastnachtsbrauch[49] verwiesen werden, welches einen Abriss uber Narren und den Karneval bzw. die Fastnacht liefert. Mezger verweist in seiner ethnologischen Arbeit bei den Brauchen des Mittelalters viel auf aufschlussreiche Bildzeugnisse und stellt somit einen Bezug zur Kunst her. Im Folgenden geht es um die Frage, wie sehr der Narr (bzw. der Tor oder Schalk) mit dem Teufel in der Vorstellung der Menschen des Mittelalters und der Fruhen Neuzeit verknupft war und welche Funktion Lucifer im Karneval erfullt. Wie man aus der Definition des Schalks aber auch des Narren erkennen kann, ist diese eine gottferne Figur. Dies belegt auch eine Passage in der Bibel, denn im 52. Psalm der Vulgata findet man eine knappe aber pragnante Schilderung des Narren, der sich weigert, Gottes Existenz anzuerkennen: „Dixit insipiens in corde suo: non est Deus - Der Narr sprach in seinem Herzen: >Es gibt keinen Gott.<“[50] Dieser Satz beinhaltet die Aussage, dass ungebuhrliches Verhalten die Entwicklung zum Narren und somit die Entfernung von Gott und sogar dessen Leugnung bedeutet. So entfernt ihn seine ignorante Haltung, dass es keinen Gott gebe, von der christlichen Gemeinschaft und ruckt ihn in die Nahe von Gottes Widersachen, Luzifer hochstpersonlich.[51] Gottes Gesetze gelten fur den Narren nicht, denn er ist SpieBgeselle des Teufels und agiert somit als sein Handlanger. Dass der Narr im Mittelalter oft mit dem Teufel in Verbindung gebracht wurde, beweisen diverse Bildzeugnisse aus dieser Zeit.
Das Initial zum Psalm 52 aus einer Psalterhandschrift aus Corbie (2. Viertel des 13. Jahrhunderts) zeigt einen Toren zusammen mit einem gehornten und felluberzogenen Teufel. Sie stehen einander gegenuber und es wirkt, als wurden die beiden einen Dialog fuhren. „Durch seine Gottlosigkeit wird der Narr zu einem Verbundeten des Teufels.“[52] Es finden sich im 15. Jahrhundert weitere Illustrationen, welche die Sicht der spatmittelalterlichen Theologie auf das Verhaltnis von Narr und Teufel bekunden.
So finden wir in Sebastian Brants Narrenschiff in Kapitel 20 einen Holzschnitt, welcher den Narren als Werkzeug des Teufels zeigt. Der Narr mit Eselsohren geht am Zugel eines diabolischen Vogels. So kann man den Toren durchaus als Marionette des Teufels verstehen, der nicht mehr Herr seines Handelns ist, sondern, ohne es zu merken, im 53 Bann des Teufels steht.[53]
Ein weiteres Bildzeugnis aus einer Handschrift aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, welche 170 Rebus enthalt, zeigt drei Narren, die den Teufel an ein Segel gebunden haben, der das Schiff offenbar zieht. Der picardische Titel lautet: « Au diable voit le follie et les fois. » Zu Deutsch: „Der Weg der Narrheit und der Narren fuhrt zum Teufel.“[54]
Mezger fuhrt auberdem an, dass in einigen Darstellungen des Mittelalters eine Verwechslung des Teufels mit einem Narren durchaus moglich ist. Die Holzschnittversion der Versuchung Christi aus dem Horologium devotionis (entstanden in Augsburg 1490) zeigt Christus und den Teufel, welcher Eselsohren tragt. Der Mensch ist das Ebenbild Gottes, doch Teufel und Narr sind Gott unahnlich, sie haben auberliche wie innerliche Defekte.
Werner Mezger und Dietz-Rudiger Moser Abbildung 3: Versuchung Christi, (Fasnacht - Fasching - Karneval), Autoren von Holzschnitt aus: Horologium devotionis (Ang^urg 1490). Der volkskundlichen Werken zu Fastnachtsbrauchen Bilderschmuck der Frahdracke in deutschsprachigen Raum, stellen den Narren Boo 4 Lin? 1921. A^ Mezger in ihren Studien zu den Kruppeln, da sie eines gemeinsam haben: einen schwerwiegenden Defekt, der sich bei den einen geistig und bei den anderen korperlich aubert. Mezger weist darauf hin, dass Kruppel ob ihrer Anomalien genauso verdachtig wie die Narren waren. Als Beweis moge man die Bibel heranziehen und in der Genesis nachschlagen, 1,27:
da Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat, sind alle Abweichungen von der Norm vom Teufel beeinflusst. Dies machte entstellte oder narrische Menschen unheimlich, vermutete man doch aus theologischer Sicht eine Verwandtschaft mit Luzifer. Historisch gesehen, gab es im Mittelalter zwei Arten von Narren: Den „naturlichen Narren“, wie man geistig Behinderte nannte, und jene, die sich zur Unterhaltung und Belustigung des Publikums narrisch gebardeten, die sogenannten „Schalksnarren“.[55] Beide waren auberhalb der Gesellschaft, bzw. am untersten Ende der Hierarchie und somit ehrlos.
Das bedeutet, sie hatten wenig Rechte und dienten sozusagen als „Anschauungsobjekt“[56], denn durch diese „Behinderungen“ waren sie weit von der „Gottesahnlichkeit“[57] entfernt. Diesen „geistig Gestorten“ blieb somit der gottliche Heilsplan verborgen, da sie nicht genug Vernunft besaben, um diesen erfassen zu konnen.[58] In der bildenden Kunst wurden Behinderte oft als missgestaltet und mit eindeutigen Narrenattributen dargestellt[59].
So findet man bei Pieter Bruegel dem Alteren im Bild Der Kampf zwischen Karneval und Fasten (1559) eine Gruppe mit verkruppelten Bettlern auf der Seite des Karnevals, wobei einer der Bettler Schellen am Bein tragt und auf dem Umhang eines anderen Fuchsschwanze befestigt sind. Schellen und Fuchsschwanze zahlen zu den gangigen Accessoires eines Narren. In Bruegels spaterem Bild Die Kruppel findet man eine ahnliche Bettlergruppe, welche dieselben Attribute bei sich tragt und auch extrem verkruppelt ist.
[...]
[1] In dieser Arbeit wird die Schreibweise Dil Ulenspiegel nach dem Druck von 1515 verwendet.
[2] vgl. Deufert, Wilfried: Narr, Moral und Gesellschaft. Grundtendenzen im Prosaschwank des 16. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 1975, S. 138.
[3] Deufert 1975, S. 138.
[4] Deufert 1975, S. 122f.
[5] Deufert 1975, S. 123.
[6] vgl. Deufert 1975, S. 123.
[7] Deufert 1975, S. 124.
[8] Deufert 1975, S. 124.
[9] Deufert 1975, S. 126.
[10] Deufert 1975, S. 130.
[11] vgl. Deufert 1975, S. 131.
[12] Deufert 1975, S. 132.
[13] Deufert 1975, S. 132.
[14] vgl. Deufert 1975, S. 133.
[15] Deufert 1975, S. 136.
[16] Deufert 1975, S. 149f.
[17] vgl. Kluge: Etymologisches Worterbuch der deutschen Sprache. 25., durchgesehene und erweiterte Auflage. Bearbeitet von Elmar Seebold. Berlin/Boston 2011, S. 648.
[18] vgl. Grimm, Jacob und Grimm, Wilhelm: Deutsches Worterbuch. Band 8. Bearbeitet von und unter Leitung von Dr. Moritz Heyne. Munchen 1984, Sp. 354.
[19] Grimm 1984, Sp. 355.
[20] Grimm 1984, Sp. 355.
[21] vgl. Grimm 1984, Sp. 355.
[22] Grimm 1984, Sp. 356.
[23] Grimm, 1984 Sp. 357.
[24] Grimm 1984 Sp. 357.
[25] vgl. Grimm 1984, Sp. 358.
[26] Grimm, 1984, Sp. 360.
[27] Grimm, 1984, Sp. 368.
[28] Campe, Joachim Heinrich (Hg.): Worterbuch der Deutschen Sprache. Band III. In: Henne, Helmut (Hg.):Documenta Linguistica. Reihe I. Worterbucher des 17. und 18. Jahrhunderts. Hildesheim/New York 1969, S. 453.
[29] Campe 1969, S. 453.
[30] vgl. Kluge 2011, S. 793,
[31] Grimm, 1984, Sp. 2071
[32] Grimm 1984, Sp. 2067.
[33] Grimm 1984, Sp. 2071.
[34] Grimm 1984, Sp. 2077.
[35] Campe, Joachim Heinrich (Hg.): Worterbuch der Deutschen Sprache. Band IV. In: Henne, Helmut (Hg.): Documenta Linguistica. Reihe II Worterbuch des 17. und 18. Jahrhunderts. Hildesheim/New York 1969. S.65.
[36] Kluge 2011, S. 793.
[37] Lindow, Wolfgang (Hg.): Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel. Nach dem Druck von 1515. Mit 87 Holzschnitten. Stuttgart 2001, S. 210.
[38] Heinritz, Reinhard: Erde zu Erde. Fakalmotiv im Dil Ulenspiegel. In: Eulenspiegel-Jahrbuch. Band 42. Schoppenstedt 2002, S.21.
[39] Heinritz 2002, S.21.
[40] Hucker, Bernd Ulrich: Till Eulenspiegel - Zur Geschichte eines Nationalhelden. In: Ders. et al.: Till Eulenspiegel. Beitrage zur Forschung und Katalog der Ausstellung vom 6, Oktober 1980 bis 30. Januar 1981, Reihe Kleine Schriften, Braunschweig 1980, S. 8.
[41] Lindow 2001, S. 256.
[42] Heinritz 2002, S. 22.
[43] vgl. Heinritz 2002, S. 22.
[44] Heinritz 2002, S. 22.
[45] vgl. BeyArs.com. Das grosse Kunstlexikon von P.W. Hartmann http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_8834.html. Eingesehen am 4.07.2011 um 10.26 Uhr.
[46] Luther, Martin: Bibel. „Die gantze Heilige Schrift“. Der komplette Originaltext von 1545 in modernem Schriftbild. Band 2. Konigswinter 2008, S. 1193.
[47] 7 Flederwisch: fruher zum Putzen benutzter Ganseflugel.
Aus: DUDEN: Das Herkunftsworterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. Mannheim, Zurich 2007, S. 222.
[48] DUDEN 2007, S. 191.
[49] Mezger, Werner: Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europaischen Festkultur. Konstanz 1991.
[50] Moser, Dietz-Rudiger. Fastnacht - Fasching - Karneval. Das Fest der „Verkehrten Welt“. Graz/Wien/Koln 1986, S. 88.
[51] vgl. Moser 1986, S. 88.
[52] Mezger 1991, S. 102.
[53] vgl. Mezger 1991, S. 103.
[54] ‘ Mezger 1991, S. 103.
[55] vgl Moser 1986, S. 85.
[56] Moser 1986, S. 85.
[57] Moser 1986, S. 85.
[58] vgl. Moser 1986, S. 87.
[59] vgl. Mezger 1991, S. 34.
- Citation du texte
- Veronika Luther (Auteur), 2012, Narrentum und Karnevaleskes in „Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195682
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