Die vorliegende Arbeit möchte an diesem Punkt ansetzen, um die
verschiedenen Sichtweisen des Problems deutlich zu machen, einen Überblick
über die Entwicklung des Strukturwandels zu geben und bestehende Vergleiche
mit anderen OECD-Ländern, insbesondere mit den USA als „Idealfall“ näher zu
erläutern. Dabei soll im wesentlichen den folgenden Fragen nachgegangen
werden:
- Was bedeutet dieser Strukturwandel, und wie äußert er sich?
- Wie hat sich dieser Strukturwandel in der Bundesrepublik Deutschland
entwickelt, ist die Bundesrepublik noch immer „überindustrialisiert“ oder
schon eine Dienstleistungsgesellschaft?
- Kann die amerikanische Dienstleistungsgesellschaft als Modell für die
Bundesrepublik dienen?
- Warum kann man für Deutschland trotzdem nicht von einer
Dienstleistungslücke sprechen?
Der angesprochene Strukturwandel ist jedoch kein rein wirtschaftlicher, es ist
auch ein gesellschaftlicher Wandel, in dem die Mentalität des Dienens immer
stärker in den Vordergrund tritt. Daher soll in dieser Arbeit auch untersucht
werden, ob in Deutschland eine Dienstleistungsmentalität existiert, oder ob das
Wort von der „Servicewüste“ Deutschland berechtigt ist. Um diese Fragen
näher zu beleuchten, soll erst das theoretische Grundkonzept von Jean
Fourastié dargestellt werden, zusammen mit den wesentlichen Kritiken daran
von Jonathan Gershuny, Wolfgang Schettkat und Fritz W. Scharpf. Im Anschluss daran wird ein Vergleich zwischen der Beschäftigungsentwicklung in
den USA und der Bundesrepublik anhand von OECD-Zahlen gezogen. In
diesem Zusammenhang wird auch die Problematik bei der Auswertung der
Statistiken nach sektoraler und funktionaler Gliederung in den beiden Ländern
deutlich. In einem weiteren Kapitel soll die Entwicklung des Strukturwandels in
Deutschland, aber auch die Diskussion um eine Dienstleistungslücke in der
Bundesrepublik vorgestellt werden. Auch hier wird das Problem der Auswertung
der verschiedenen Statistiken wieder berücksichtigt werden müssen. Aus der
Diskussion entstehende Lösungsvorschläge, wie die Bundesrepublik den
Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft schneller, sozialer oder effektiver
gestalten könnte, werden in einem weiteren Kapitel bearbeitet. Zuletzt sollen die
Ergebnisse zusammengefasst und erläutert werden, warum die angesprochene
Dienstleistungslücke eben nur bei einseitiger Betrachtung der Statistiken
aufzufinden ist, in der Realität durch die besondere Situation in der
Bundesrepublik aber nicht auftritt. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft.
2.1 Fourastiés Theorie als Ursprung der Debatte
2.2 Kritische Stimmen: Baumol
2.3 Kritische Stimmen: Gershuny
2.4 Kritische Stimmen: Scharpf
2.5 Kritische Stimmen: Schettkat
3. Die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland und den USA
3.1 Die Entwicklung in den USA
3.2 Die Entwicklung in der Bundesrepublik
4. Hat Deutschland eine Dienstleistungslücke?
4.1 Zur Problematik von sektoraler und funktionaler Gliederung
4.2 Vergleich nach funktionaler Gliederung
4.3 Lösungsvorschläge und Ausblick
5 Zusammenfassung
6 Schlusswort.
Literaturverzeichnis
Anlagen:
Anlage 1: Der Weg nach vorne für Europas
Sozialdemokraten. Ein Vorschlag von
Gerhard Schröder und Tony Blair
Anlage 2: Dienstleistungen für Privathaushalte als
Beschäftigungsfaktor - Die aktuelle Debatte in
der Bundesrepublik Deutschland
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Beschäftigungsentwicklung in der OECD
1959 – 2000 (in Prozent)
Tabelle 2: Frauenerwerbsquote in der OECD
1966 – 2000 (in Prozent)
Tabelle 3: Beschäftigte nach Wirtschaftszweigen und
Tätigkeiten 1993 in West- und Ost-
deutschland und den USA (in Prozent)
Tabelle 4: Erwerbs- und Arbeitslosenquote 1997 in
ausgewählten Industrieländern
(in Prozent)
1. Einleitung
„Unsere Volkswirtschaften befinden sich im Übergang von der industriellen Produktion zur wissensorientierten Dienstleistungsgesellschaft der Zukunft.“[1] Darüber sind sich nicht nur der englische Premierminister Tony Blair und Bundeskanzler Gerhard Schröder seit 1999 einig. Dass ein globaler Strukturwandel stattfindet, wird nicht mehr bezweifelt, die Folgen und daraus resultierenden Probleme werden aber immer wieder heiss diskutiert. Eine dieser Diskussionen soll in der vorliegenden Arbeit aufgegriffen und näher beleuchtet werden: die Diskussion um die vermeintliche Dienstleistungslücke in Deutschland.
Durch den angesprochenen Strukturwandel, die zunehmende Rationalisierung werden immer mehr Arbeitsplätze in der Industrie eingebüßt. Um katastrophalen Arbeitslosenzahlen zu entgehen, muss eine entsprechende oder sogar höhere Anzahl von Arbeitsplätzen in den Unternehmen der Dienstleistungsbranche geschaffen werden. Nach den ursprünglichen Theorien zu diesem Strukturwandel, aufgestellt Mitte des letzten Jahrhunderts durch Jean Fourastié, würde eine verstärkte Nachfrage nach Dienstleistungen automatisch zu einem Arbeitsplatzanstieg in der Dienstleistungsbranche führen und so die Beschäftigungsverluste im Produktionssektor kompensieren. Vergleiche der Arbeitsplatzstruktur in Deutschland mit anderen OECD-Ländern, insbesondere aber mit den USA, weisen eine unterschiedliche Entwicklung auf. Die Zunahme der Beschäftigten in der Dienstleistungsbranche ist nicht so hoch wie in den USA, und auch die neu geschaffenen Arbeitsplätze in der Branche sowie die absolute Verteilung der Beschäftigten nach Sektoren bleibt weit hinter den amerikanischen Zahlen zurück. Dies wiederum wird als Beleg für eine mangelhafte Entwicklung der Dienstleistungsbranche in Deutschland genommen, damit einher geht auch meist die Forderung nach einem Ausbau des Niedriglohnsektors, weil man sich hier – ähnlich wie in den USA – den stärksten Anstieg von Arbeitsplätzen verspricht. Häufig macht in diesem Zusammenhang auch das Schlagwort der „Überindustrialisierung“ der Bundesrepublik die Runde. Manchmal scheint es so, in Deutschland ginge es „viel häufiger um den Erhalt alter Arbeitsplätze als um die Schaffung neuer Arbeitsplätze“[2]. Berücksichtigt man allerdings die besondere Lage der Bundesrepublik und den historischen Hintergrund, wird deutlich, das die Bundesrepublik nicht unbedingt eine Lücke im Dienstleistungssektor aufweist. Die vorliegende Arbeit möchte an diesem Punkt ansetzen, um die verschiedenen Sichtweisen des Problems deutlich zu machen, einen Überblick über die Entwicklung des Strukturwandels zu geben und bestehende Vergleiche mit anderen OECD-Ländern, insbesondere mit den USA als „Idealfall“ näher zu erläutern. Dabei soll im wesentlichen den folgenden Fragen nachgegangen werden:
- Was bedeutet dieser Strukturwandel, und wie äußert er sich?
- Wie hat sich dieser Strukturwandel in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt, ist die Bundesrepublik noch immer „überindustrialisiert“ oder schon eine Dienstleistungsgesellschaft?
- Kann die amerikanische Dienstleistungsgesellschaft als Modell für die Bundesrepublik dienen?
- Warum kann man für Deutschland trotzdem nicht von einer Dienstleistungslücke sprechen?
Der angesprochene Strukturwandel ist jedoch kein rein wirtschaftlicher, es ist auch ein gesellschaftlicher Wandel, in dem die Mentalität des Dienens immer stärker in den Vordergrund tritt. Daher soll in dieser Arbeit auch untersucht werden, ob in Deutschland eine Dienstleistungsmentalität existiert, oder ob das Wort von der „Servicewüste“ Deutschland berechtigt ist. Um diese Fragen näher zu beleuchten, soll erst das theoretische Grundkonzept von Jean Fourastié dargestellt werden, zusammen mit den wesentlichen Kritiken daran von Jonathan Gershuny, Wolfgang Schettkat und Fritz W. Scharpf. Im Anschluss daran wird ein Vergleich zwischen der Beschäftigungsentwicklung in den USA und der Bundesrepublik anhand von OECD-Zahlen gezogen. In diesem Zusammenhang wird auch die Problematik bei der Auswertung der Statistiken nach sektoraler und funktionaler Gliederung in den beiden Ländern deutlich. In einem weiteren Kapitel soll die Entwicklung des Strukturwandels in Deutschland, aber auch die Diskussion um eine Dienstleistungslücke in der Bundesrepublik vorgestellt werden. Auch hier wird das Problem der Auswertung der verschiedenen Statistiken wieder berücksichtigt werden müssen. Aus der Diskussion entstehende Lösungsvorschläge, wie die Bundesrepublik den Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft schneller, sozialer oder effektiver gestalten könnte, werden in einem weiteren Kapitel bearbeitet. Zuletzt sollen die Ergebnisse zusammengefasst und erläutert werden, warum die angesprochene Dienstleistungslücke eben nur bei einseitiger Betrachtung der Statistiken aufzufinden ist, in der Realität durch die besondere Situation in der Bundesrepublik aber nicht auftritt. Dabei sollen auch zukünftigen Entwicklungen ihre Berücksichtigung finden.
Angesichts ständig steigender Arbeitslosenzahlen gewinnt natürlich auch die Debatte um die mögliche Schaffung von Millionen neuer Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor an politischer Bedeutung. In diesem Zusammenhang wird häufig das hohe Arbeitsplatzpotential in einfachen, schlecht bezahlten Dienstleistungstätigkeiten angeführt. Um diese Abhängigkeit zu verstehen, ist die Auseinandersetzung mit dem theoretischen Ursprung dieser Debatte erforderlich.
2. Die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft
Der Name, der mit dem Modell der Dienstleistungsgesellschaft untrennbar verbunden ist und häufig zuerst genannt wird, ist der von Jean Fourastié. Obwohl dieser das Theorem der Entwicklung hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft einer breiten Masse bekannt gemacht hat, geht es jedoch nicht allein auf ihn zurück. Begonnen hat die Diskussion mit der sektoralen Einteilung der Beschäftigung von Allan Fisher, der 1939 die Produktion von Gütern je nach ihrer Lebensnotwendigkeit in drei Sektoren einteilt. Danach fallen Tätigkeiten, in dem „unmittelbar lebensnotwendige Güter produziert werden“, in den primären Sektor, „die Herstellung nachrangig notwendiger Produkte“ findet im sekundären Sektor statt, der tertiäre Sektor umfasst die Produktion von „Luxusbedürfnissen oder Bequemlichkeiten“.[3] Ein Jahr später entwickelt Colin Clark die „Drei-Sektoren-Theorie“, die auf Fishers sektorale Einteilung zurückgeht. Clark stellt die Hypothese auf, dass sich mit ökonomischem Wachstum die Nachfrage nach den Gütern, und damit auch die Beschäftigung vom primären Sektor zuerst zum sekundären und danach zum tertiären Sektor verschiebt.[4] Eingebunden in den historischen Kontext, ist „die Drei – Sektoren – Theorie (..) damit implizit auch eine Theorie über den Prozess der Zivilisation.“[5]
Auf diesem Erkenntnishorizont baut Fourastié nun seine Theorie von der Entwicklung hin zur Dienstleistungsgesellschaft auf, die er erstmals in seinem 1949 erschienenen Buch „Le Grand Espoir Du XXe Siècle“ („Die grosse Hoffnung des zwanzigsten Jahrhunderts“, deutsch 1954) veröffentlichte.
2.1 Fourastiés Theorie als Ursprung der Debatte
Jean Fourastié (15. 04. 1907 – 25. 07. 1990) beschäftigt sich in seinem Werk vor allem mit dem (in seinen Augen positiven) Einfluss des technischen Fortschritts auf das Leben von Individuen und Gesellschaften in der Zukunft. Sein Ziel ist dabei die Definition des technischen Fortschritts sowie die Untersuchung der Auswirkungen auf die zukünftige Wirtschaft.[6] „Als technischer Fortschritt wird eine Steigerung des Produktionsvolumens je Rohstoff- oder Arbeitszeiteinheit bezeichnet.“[7] Dieser technische Fortschritt hat erst vor ca. 200 Jahren begonnen. Davor wurde die Produktion durch zwei weitgehend konstante Faktoren bestimmt: Natürliche Rohstoffe und Energie sowie die menschliche Arbeitskraft. Wissenschaftliche Erkenntnisse aber machen seitdem eine Steigerung der Produktivität möglich, und dieser Trend wird in Zukunft noch an Dynamik gewinnen. Die dafür erforderlichen Kenntnisse stammen aber nicht nur aus den Natur- und Ingenieurswissenschaften, Fourastié kreiert hier den Begriff der „...neuen Wissenschaften...: Rechnungswesen, Arbeitsorganisation, Absatzorganisation und Normung“.[8] Die Produktivitätssteigerungen lassen sich aber nicht gleichmäßig auf alle Tätigkeiten übertragen, so wird eine Unterteilung der Bereiche notwendig. Hier greift Fourastié auf das Drei – Sektoren – Modell von Fisher (1939) zurück, das Clark ein Jahr später in seinem Buch „The Conditions of Economic Progress“[9] weiterentwickelte. Anders als Fisher und Clark unterscheidet Fourastié aber die drei Sektoren nicht anhand ihrer Produkte, sondern nach möglichen Produktivitätssteigerungen. So sind im primären Sektor alle Produktionsprozesse zusammengefasst, in denen nur mäßige Produktivitätssteigerungen möglich sind, klassisches Beispiel auch hier die Landwirtschaft: zwar ist die Produktion von Lebensmitteln stark gestiegen, doch können allein durch technischen Fortschritt die Erträge nicht mehr stark gesteigert werden, nur unter Zuhilfenahme industrieller Güter wie Dünger. Der sekundäre Sektor umfasst diejenigen Produktionsprozesse, in denen starke Produktivitätssteigerungen möglich sind, was im wesentlichen auf Güterproduktion zutrifft. Im tertiären Sektor wiederum sind alle Produktionsprozesse aufgeführt, in denen keine oder nur geringe Produktivitätssteigerung absehbar ist. Hier treten Dienstleistungen besonders hervor, da z.B. eine Massage (was ökonomisch ein Produktionsprozess ist) nur durch einen Masseur bei einem Konsumenten zur Zeit möglich ist, auch technischer Fortschritt verspricht hier wenig Produktivitätssteigerung. Somit steht für Fourastié nicht das Produkt im Mittelpunkt des Interesses bei der Sektoreneinteilung (wie bei Fisher), sondern der technische Fortschritt.[10] Oder anders gesagt: „..der technische Fortschritt [wird] als zentrale Ursache von Produktivitätssteigerungen zum Schlüsselbegriff der Theorie der Dienstleistungsgesellschaft.“[11] Fourastié übernimmt zwar das Denkmodell der drei verschiedenen Sektoren der Beschäftigung, er distanziert sich aber auch deutlich von den Ansichten Clarks, die für ihn eine viel zu starre Einteilung der Sektoren vorsieht. Vielmehr ist Fourastié an einer dynamischen Einteilung der Sektoren gelegen, die einen Wechsel der Tätigkeit zwischen den Sektoren bei geänderten Produktivitätssteigerungen ermöglicht.[12]
In einer weiteren zentralen These wirft Fourastié einen Blick auf „die natürliche Struktur“[13] des Konsums: „Die physische Struktur des menschlichen Körpers, seine Ortsgebundenheit, die Dauer seines Lebens und sein Ruhebedürfnis begrenzen seinen Verbrauch. Wer kauft Fleisch, das er nicht mehr essen, Bücher, die er nicht mehr lesen, Pferde, die er nicht mehr reiten, Autos, die er nicht mehr fahren kann? Mit dem Überfluß wird auch die Sättigung sichtbar“[14] (sic). Wenn solche Sättigungsgrenzen erreicht sind, wird sich zwangsläufig die Nachfrage der Bevölkerung anderen Bereichen zuwenden, was langfristig zu einer Veränderung der Erwerbsstruktur führen muss. In der Vergangenheit hat der technische Fortschritt zunächst zu einer Steigerung der Nahrungsmittel-produktion geführt. Dadurch verändert sich aber auch die Nachfrage: „Wenn (...) der Lebensstandard die 2700 Kalorien, die ein gesunder Mensch braucht (...), erreicht oder überschreitet, dann treten im menschlichen Leben andere Wünsche und Bedürfnisse auf und wollen durch außerordentlich verschiedenartige individuelle Betätigungen befriedigt werden.“[15] Diese Betätigungen umfassen meist den Kauf von industriell gefertigten sogenannten Konsumgütern. Nach einer Sättigung des Marktes an Produkten des primären Sektors steigt die Nachfrage nach denen des sekundären Sektors. Jede weitere Produktivitätssteigerung im primären Sektor setzt Arbeitsplätze frei, während im sekundären Sektor neue Arbeitsplätze entstehen, der Abbau wird also kompensiert. Aber auch im sekundären Sektor gibt es eine Sättigungsgrenze, „die wir nicht überschreiten können, weil der Mensch weder die Zeit noch die physischen Möglichkeiten hat, mehr als eine bestimmte Menge von Gütern aufzunehmen, zu viele Dinge zu besitzen, sich an allen zu erfreuen“.[16] Da im industriellen Bereich die Produktivitätssteigerungen durch Automation und Rationalisierung sowie wissenschaftliche Fortschritte am höchsten sind, wird diese Höchstgrenze sogar noch schneller erreicht werden. Nach Deckung der Bedürfnisse durch primäre Güter (Nahrungsmittel) und sekundäre Erzeugnisse (z.B. Autos, Haushaltsgeräte) verändert sich das Interesse des Menschen ein weiteres Mal. „Er wird z.B. anspruchsvoll in der Wahl seines Berufes; er verringert seine Arbeitszeit und nimmt eine Senkung des Lebensstandards in Kauf, um mehr Freizeit zu haben; er strebt nach geistiger und künstlerischer Bildung und verlängert seine Schulzeit.“[17] Damit steigt das Bedürfnis nach Dienstleistungen, also nach tertiären Gütern,[18] und Arbeitskräfte, die im sekundären Sektor wegrationalisiert werden, finden im tertiären Sektor eine Anstellung. Hier ist per definitionem die Produktivitätssteigerung sehr gering, was Fourastié mit einem Vergleich bekräftigt. Der Unterschied wird deutlich, „wenn wir uns einmal die ‚Produktivität’ eines Universitätsprofessors oder eines Herrenfriseurs einerseits und die eines Automobilarbeiters andererseits vorstellen; während die eine sich in fünfzig Jahren verzehnfachte, blieb die andere praktisch unverändert“.[19] Die Rationalisierungsmöglichkeiten im tertiären Sektor bleiben trotz Fortschritt eingeschränkt, die Nachfrage dafür aber „unstillbar“[20]: mehr und mehr werden Dienstleistungen dazu dienen, Zeit zu sparen, sei es durch den Lieferservice oder das Dienstmädchen. „Mit dem durchschnittlichem Reichtum des Menschen steigt auch sein Bedarf an Dienstleistungen, weil er nach einem Kompromiss zwischen den ihm angebotenen Freuden aller Art und der ihm zur Verfügung stehenden Zeit sucht. Sekundärer Verbrauch kostet Zeit, tertiärer Verbrauch spart Zeit.“[21] Die veränderte Konsumnachfrage wird so zu einer Ursache für vermehrte Dienstleistungstätigkeit. Bei den hier angesprochenen Dienstleistungen handelt es sich um sogenannte konsumorientierte Dienstleistungen, also solche, die direkt auf den Endverbrauch bezogen sind und mittel- oder unmittelbar dem Genuss dienen.[22] Allerdings gibt es noch eine weitere Ursache für die Zunahme der Dienstleistungstätigkeit, nämlich die Arbeitsteilung. Mit zunehmender Verwissenschaftlichung der industriellen Tätigkeiten gewinnt die geistige Arbeit an Bedeutung für den sekundären Sektor. „Die Produktion der materiellen Güter erscheint also in einem vorgerückten Stadium des technischen Fortschritts als ein äußerst komplizierter Mechanismus, in dem nur der geringste Teil der Arbeitskräfte auf die Ausführung selbst entfällt, während um so mehr zur Vorbereitung, Planung, Beobachtung, Forschung, kurz zum Denken benötigt werden und in dem diese geistige Arbeit für das Laufen der Maschine absolut unerlässlich sein wird.“[23] Diese geistige Arbeit umfasst, was heute als produktionsorientierte Dienstleistungen verstanden wird, nämlich Dienste für die Güterproduktion. Sie „entstehen im Zuge der Rationalisierung der industriellen Produktion, (...) steigern (...) die Produktivität der Güterherstellung und erzeugen Innovation.“[24]
[...]
[1] SCHRÖDER, G.; BLAIR, T.: Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten. Ein Vorschlag von Gerhard Schröder und Tony Blair. Berlin 1999. www.berlinews.de/archiv v. 17.03.2003, S. 5, s. Anlage 1.
[2] KRUPP, H.-J.: Beschäftigungsperspektiven des Strukturwandels zu den Dienstleistungen. Bonn 1986, S. 5.
[3] Vgl. HÄUßERMANN, H.; SIEBEL, W.: Dienstleistungsgesellschaften. Frankfurt/Main 1995, S. 28.
[4] Vgl. ebd., S. 27f.
[5] GRAßL, H.: Strukturwandel der Arbeitsteilung. Globalisierung, Tertiarisierung und Feminisierung der Wohlfahrtsproduktion. Konstanz 2000, S. 105 (Hervorhebung im Original).
[6] Vgl. FOURASTIÈ, J.: Die grosse Hoffnung des zwanzigsten Jahrhunderts. Köln 1954, S. 27 f.
[7] Ebd., S. 28.
[8] Ebd., S. 71. Diese „neuen Wissenschaften“ haben heute bereits ihren Eingang gefunden in z. B. Betriebswirtschaftslehre oder Wirtschafts- und Organisationswissenschaft.
[9] Vgl. CLARK, C.: The Conditions of Economic Progress. London 1940.
[10] Vgl. FOURASTIÉ 1954, S. 27 ff.
[11] HÄUßERMANN/SIEBEL 1995, S. 29.
[12] Vgl. FOURASTIÉ 1954, S. 17 f.
[13] Ebd., S. 84.
[14] Ebd., S. 38.
[15] Ebd., S. 243.
[16] Ebd., S. 273.
[17] Ebd., S. 244.
[18] Vgl. ebd., S. 81 f.
[19] Ebd., S. 31.
[20] Ebd., S. 113.
[21] Ebd., S. 275.
[22] Vgl. HÄUßERMANN/SIEBEL 1995, S. 13.
[23] FOURASTIÉ 1954, S. 277.
[24] HÄUßERMANN/SIEBEL 1995, S. 13.
- Arbeit zitieren
- Dirk Mindermann (Autor:in), 2003, Eine sozioökonomische Analyse zur Kontroverse über die 'Dienstleistungslücke' in der Bundesrepublik Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19505
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