Das Genre des Horrorfilms fasziniert. Nicht nur sein Fandom oder das Mainstream-Publikum, sondern vor allem auch seine Kritiker und Analytiker haben ein großes Interesse an diesem Kunstgenre. Für die Einen ist es gute Unterhaltung, für die Anderen schlechte Unterhaltung und für wieder Andere einfach nur die Gefährdung des jugendlichen Rezipienten. Doch was genau macht das Horrorgenre so faszinierend? Die grauenerregenden Geschichten und Gestalten bringen uns Zuschauer dazu, im Kinosessel zusammenzuzucken, vor Entsetzen zu erstarren oder unsere Hände schützend vor die Augen zu halten, obwohl wir doch auch gleichzeitig nur zu gern sehen wollen, was uns da so ängstigt. Es mag paradox erscheinen, dass etwas derart Unangenehmes wie Angst, Schauer, Schrecken oder Ekel etwas sehr viel Angenehmeres wie Unterhaltung erzeugen kann.
Die Zuschauer lassen sich gerade wegen der Ängste unterhalten, die der Horrorfilm in ihnen auslöst. Das Horrorgenre ist untrennbar mit den Ängsten seines Publikums verbunden. Genau genommen versucht es gezielt, diese Emotion in uns zu evozieren. Der Horrorfilm sowie jedes andere Medium des fiktionalen Horrors lebt von diesen negativen Emotionen der Menschen. Sobald nichts mehr existiert, was uns Menschen ängstigen oder ekeln würde, wäre das Genre zu jenem Tod verdammt, den es eigentlich selbst so gern im Scheinwerferlicht zelebriert. Durch die Erzeugung der Emotionen führt uns das Horrorgenre diese Emotionen vor Augen. Betrachtet man die Entwicklung des Horrorfilms seit seinen Anfängen über die Jahrzehnte hinweg, so kommt die Vermutung auf, dass die modernen und aktuellen Werke mit anderen Ängsten arbeiten als es die klassischen Filme getan haben. Wenn wir uns heute Friedrich Wilhelm Murnaus
Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens von 1922 ansehen, können wir recht wenig Beängsti-
gendes entdecken, wohingegen uns ein Film wie Blair Witch Project (The Blair Witch Project, Daniel Myrick, Eduardo Sánchez, 1999) einen kalten Schauer über den Rücken jagt. Es ist also anzunehmen, dass der Horrorfilm sich nicht nur auf immer gleiche Weise der menschlichen Urängste bedient. In der Annahme, dass Filme im Allgemeinen die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Entstehungszeit behandeln und reflektieren, liegt es nicht fern, den Horrorfilm als Spiegel der vorwiegenden, durch diese Bedingungen geschaffenen Ängste zu sehen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das Horrorgenre
2.1 Terminologie und Definition von Horror
2.2 Einordnung in die Phantastik und Abgrenzung zu anderen Genres
2.3 Charakteristik des Horrorgenres
Exkurs: Horror in anderen Medien
2.3.1 Das Unheimliche nach Sigmund Freud
2.3.2 Archetypen des Horrors
2.3.3 Klassifizierung der Motive des Horrors
2.3.3.1 Klassifizierung nach Lovecraft
2.3.3.2 Klassifizierung nach Armstrong
2.3.3.3 Klassifizierung nach McKee
2.3.3.4 Klassifizierung nach Seeßlen und Jung
2.3.3.5 Klassifizierung nach Baumann
2.3.4 Erzählweise des Horrors
2.3.5 Entwicklung des Horrorgenres
2.3.5.1 Gothischer und moderner Horror
2.3.5.2 Von der antiken Mythologie bis zum Horrorfilm
2.4 Der Horrorfilm
2.4.1 Subgenres des Horrorfilms
2.4.2 Ästhetik des Horrorfilms
2.4.2.1 Dramaturgie
2.4.2.2 Visuelle Gestaltungsmöglichkeiten
2.4.2.3 Auditive Gestaltungsmöglichkeiten
2.4.3 Akzeptanz des Horrorfilms
2.4.3.1 Kritik am Horrorfilm
2.4.3.2 Zensur
3 Horror und Angst
3.1 Psychologie der Angst
3.1.1 Definition der Emotion Angst und Abgrenzung zu anderen Begriffen
3.1.2 Theorie der Angst nach Sigmund Freud
3.1.3 Merkmale der Angst
3.1.4 Weitere relevante Emotionen
3.2 Angsterleben durch Fiktion und Realität
3.3 Phänomen der Angstlust
3.4 Wie der Horrorfilm Angst schürt
3.4.1 Intention des Filmemachers
3.4.2 Durch das Dargestellte
3.4.3 Durch die Darstellung
3.4.4 Relevanz der Rezeptionssituation
4 Horror und Gesellschaft
4.1 Einfluss der gesellschaftlichen Situation auf das Horrorgenre
4.2 Einfluss des Horrorgenres auf die Gesellschaft
4.3 Die Gesellschaft im 20. Jahrhundert
5 Historische Entwicklung von Horrorfilm und Gesellschaft -
Eine Parallelbetrachtung
5.1 Die klassische Periode - Zerrüttet von zwei Weltkriegen (1910 bis 1953)
5.1.1 Stummes Grauen in Deutschland (1913 bis 1927)
5.1.2 Stummes Grauen in den USA (1910 bis 1935)
5.1.3 Europäische Tonfilme (1927 bis 1953)
5.1.4 Horrorklassiker Hollywoods (1931 bis 1953)
5.2 Die experimentelle Periode - Die bipolare Welt (1954 bis 1969)
5.2.1 USA
5.2.2 Europa
5.3 Die nihilistische Moderne - Die Konsumgesellschaft in der Depression (1970 bis 1979)
5.3.1 USA
5.3.2 Europa
5.4 Die moderne Wirklichkeit - Die Leistungsgesellschaft und zerbrechende Familien (1980 bis 1989)
5.4.1 USA
5.4.2 Europa
5.5 Die metaphysische Postmoderne - Globalisierung und Kommunikations gesellschaft (1990 bis 1999)
5.6 Rebooten des Genres - Die Jahrtausendwende als Umbruchphase (2000 bis 2008)
5.7 Und was bringt die Zukunft?
6 Fazit
7 Anhang
7.1 Filmographie
7.2 Bibliographie und Sonstige Quellen
7.3 Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
Das Genre des Horrorfilms fasziniert. Nicht nur sein Fandom oder das Mainstream-Publikum, sondern vor allem auch seine Kritiker und Analytiker haben ein großes Interesse an diesem Kunstgenre. Für die Einen ist es gute Unterhaltung, für die Anderen schlechte Unterhaltung und für wieder Andere einfach nur die Gefährdung des jugendlichen Rezipienten. Doch was genau macht das Horrorgenre so faszinierend? Die grauenerregenden Geschichten und Gestal- ten bringen uns Zuschauer dazu, im Kinosessel zusammenzuzucken, vor Entsetzen zu erstar- ren oder unsere Hände schützend vor die Augen zu halten, obwohl wir doch auch gleichzeitig nur zu gern sehen wollen, was uns da so ängstigt. Es mag paradox erscheinen, dass etwas derart Unangenehmes wie Angst, Schauer, Schrecken oder Ekel etwas sehr viel Angenehmeres wie Unterhaltung erzeugen kann. „Die Lust am filmischen Horror ist ein Massenphänomen, das auf allgemeinmenschlichen Urängsten beruht“ (Vossen 2004, S. 9). Demnach lassen sich die Zuschauer also gerade wegen der Ängste unterhalten, die der Horrorfilm in ihnen auslöst. Das Horrorgenre ist untrennbar mit den Ängsten seines Publikums verbunden. Genau genom- men versucht es gezielt, diese Emotion in uns zu evozieren. Der Horrorfilm sowie jedes andere Medium des fiktionalen Horrors lebt von diesen negativen Emotionen der Menschen. Sobald nichts mehr existiert, was uns Menschen ängstigen oder ekeln würde, wäre das Genre zu jenem Tod verdammt, den es eigentlich selbst so gern im Scheinwerferlicht zelebriert. Durch die Erzeugung der Emotionen führt uns das Horrorgenre diese Emotionen vor Augen. Betrach- tet man die Entwicklung des Horrorfilms seit seinen Anfängen über die Jahrzehnte hinweg, so kommt die Vermutung auf, dass die modernen und aktuellen Werke mit anderen Ängsten arbei- ten als es die klassischen Filme getan haben. Wenn wir uns heute Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens von 1922 ansehen, können wir recht wenig Beängsti- gendes entdecken, wohingegen uns ein Film wie Blair Witch Project (The Blair Witch Project, Daniel Myrick, Eduardo Sánchez, 1999) einen kalten Schauer über den Rücken jagt. Es ist also anzunehmen, dass der Horrorfilm sich nicht nur auf immer gleiche Weise der menschlichen Urängste bedient. In der Annahme, dass Filme im Allgemeinen die gesellschaftlichen Bedin- gungen ihrer Entstehungszeit behandeln und reflektieren, liegt es nicht fern, den Horrorfilm als Spiegel der vorwiegenden, durch diese Bedingungen geschaffenen Ängste zu sehen. Im Rahmen dieser Diplomarbeit mit dem Thema Der Horrorfilm als Spiegel unserer Angst möchte ich den Versuch unternehmen, Parallelen zwischen der Evolution des Horrorfilms und der Entwicklung der Gesellschaft mit ihren Ängsten aufzudecken und zu untersuchen. Lassen sich demnach die Motive, Inhalte und Darstellungsweisen des filmischen Horrors als Analo- gien zu den aktuellen Ängsten verstehen, die sich in der Gemeinschaft und im Individuum durch wirtschaftliche, politische und soziokulturelle Aspekte sowie Probleme niederschlagen? Forschungsgegenstand dieser Arbeit ist nicht nur die Geschichte des Horrorfilms, sondern das Wirkungsdreieck aus den Komponenten Horrorgenre, Angst und Gesellschaft, die sich der These nach gegenseitig in ihrer Entwicklung bedingen.
Die Motivation für die Bearbeitung gerade dieser Thematik liegt in mehreren Faktoren begrün- det. Horrorfilme sind recht beliebt und erfolgreich - sie können ihr zumeist eher junges Publi- kum begeistern. Anhand der US-amerikanischen Einspielergebnisse beispielsweise, hat es im Zeitraum von 1995 bis 2008 zwar nur einen Marktanteil von 4,97 % erreicht und landet damit auf einem abgeschlagenen siebten Platz (vgl. Abb. 1). Doch dieser Wert bezieht sich auf das totale Einspielergebnis an den US-Kinokassen. Betrachtet man die Zahl der veröffentlich- ten Filme und errechnet daraus das durchschnittliche Einspielergebnis pro Film, dann schlägt Horror die Genres Drama, Thriller und Komödien. Während also vergleichsweise wenig Horror- filme auf den Markt kommen, können diese große Erfolge bei ihren Zuschauern erzielen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Marktanteile der Kinofilmgenres nach Einspielergebnissen in den USA (1995 bis 2008)
Des Weiteren bin ich selbst seit mehreren Jahren fasziniert vom Horrorgenre, obwohl ich mir nach der Rezeption eines solchen Filmes stets die Frage stelle, warum ich mich immer wieder gern von Neuem dieser beängstigenden Unterhaltung aussetze. Gerade im letzten Jahrzehnt konnte ich eine Veränderung des Genres feststellen. In zunehmendem Maße steht eine brutale Körperlichkeit im Mittelpunkt. Gegenwärtige Horrorfilme wie Saw (Saw, James Wan, 2004) mit seinen Sequels oder auch Hostel (Hostel, Eli Roth, 2005) präsentieren die Destruktion des menschlichen Körpers bin hin zu dessen Auflösung und dies auf recht kreative Art und Weise. Wie lässt sich der Erfolg derartiger intensiv physischer Filme erklären, wo es noch vor einem Jahrzehnt vergleichsweise sanft im Genre zuging bzw. warum werden diese Horror- filme gerade in den letzten Jahren produziert? Des Weiteren verweisen Filmrezensionen und auch die Fachliteratur zum Thema Horrorfilm oft auf die Tatsache, dass sich das Genre auf die realen, gesellschaftlichen Gegebenheiten bezieht, doch verdeutlichen dies nur anhand der Analyse eines einzigen Filmes oder verweigern vollkommen eine nähere Stellungsnahme zu diesen Bezügen. So schreibt Vossen beispielsweise: „Die Gefühle, die das Horrorkino beim Betrachter auslöst, sind aber ebenso extrem individuell, wie das, was sie hervorruft, äußerst zeitabhängig ist“ (Vossen 2004, S. 15). Zudem stellt sie fest, dass Horrorfilme sehr schnell alt- modisch wirken können, gibt jedoch keine umfassenden Belege für diese Ansicht. Auch Seeß- len und Jung bemerken, dass man die Entwicklung des Horrorfilms „mit anderen Aspekten der Zeit- und Filmgeschichte in Beziehung setzen kann“, gehen aber auch nicht näher darauf ein (Seeßlen/Jung 2006, S. 530). Die alleinige Intention des Horrorfilms, nach Meinung vieler Filmtheoretiker, sei der Verweis auf unsere tiefsten instinktiven Urängste, die im Kindes- alter in Erscheinung treten. Dabei scheinen sie aber zu vergessen, dass sich das Genre weiter- entwickelt hat und heute (auch) andere Ängste anspricht, als noch vor 40 Jahren. Die vorhan- dene Literatur zum Thema „Entwicklung des Horrorfilms“ beschäftigt sich nur geringfügig bis gar nicht mit möglichen Parallelen zwischen der Entwicklung der Gesellschaft mit ihren Ängsten und dem sich entfaltenden Horrorgenre. Aus diesen Gründen möchte ich mich dieser genaueren Betrachtung annehmen und untersuchen, ob es eine Verbindung zwischen den realen Bedingungen mit ihren Schrecken und dem Horrorschrecken gibt.
Ich werde in dieser Analyse folgendermaßen vorgehen: Das Wirkungsdreieck aus Horror, Angst und Gesellschaft soll als Ausgangspunkt für die Struktur dieser Arbeit dienen. Dabei möchte ich zunächst auf Grundlegendes der drei Wirkungseinheiten eingehen. Besonders die Bereiche von Horror und Angst sind jedoch recht diffus in ihrer Begrifflichkeit sowie ihrer Analysierbar- keit. Das Horrorgenre zeichnet sich durch seine Intention aus, einen emotionalen Zustand, vor allem den der Angst, beim Zuschauer zu erzeugen. Und die Angst wiederum lässt sich als subjektives, emotionales Phänomen schwer untersuchen, da diese Untersuchung auf einer kognitiven Herangehensweise beruht. Etwas Nicht-Kognitives wie die Emotion Angst kann im Grunde nicht über die Kognition erklärt werden. Dennoch sollen die Erkenntnisse der Angst- psychologie darstellen, was diese menschliche Emotion auszeichnet. Auch für die Parallel- betrachtung der beiden Entwicklungsstränge Horrorfilm und Gesellschaft bleibt diese Pro- blematik bestehen. Zum Einen stehen mir leider nicht die Möglichkeiten zur Verfügung, eine Analyse der erzeugten Ängste bei den Rezipienten von Horrorfilmen durchzuführen. Genau genommen wurden die Ängste, die Horrorfilme auslösen, so habe ich in der Recherche feststellen müssen, noch nie empirisch erforscht. Die Schwierigkeit einer qualitativen und quantitativen Untersuchung hindert die entsprechenden Disziplinen daran, signifikante und repräsentative Ergebnisse zum Angstphänomen beim Horrorfilm zu erlangen. Aus diesem Grund musste auch ich auf eine Primärforschung mittels Befragung von Zuschauern verzich- ten. Außerdem steht nicht die Wirkung des Horrorfilms auf den Rezipienten im Vordergrund, sondern die Intention der Produzenten und Filmemacher, die im Rezipienten Angst auslösen wollen und dies, meiner These nach, darüber tun, dass sie mit Hilfe des Mediums Horrorfilm auf gesellschaftliche Probleme und Krisen reagieren. Das Horrorgenre an sich sieht sich zudem mit einer enormen Deutungswut konfrontiert, die sich über mehrere wissenschaftliche Disziplinen erstreckt. Analytiker neigen schnell dazu, ihren disziplinären Hintergrund in den Mittelpunkt zu stellen und allerlei Andeutungen in einen Horrorfilm hineinzuinterpretieren. Dabei ist es jedoch fraglich, inwieweit ein normaler Rezipient über diese Kompetenzen verfügt und einen Film nach solchen Vorgaben liest. Innerhalb dieser Diplomarbeit möchte ich versuchen, eine angemessene Balance zwischen der Subjektivität eines Rezipienten und der wissenschaftlichen Objektivität zu halten, ohne die Untersuchung der Horrorfilme mit allzu viel Interpretationen zu füttern. Die Betrachtung der Entwicklung soll anhand exemplarischer Horrorfilme erfolgen, die möglichst die breite Vielfalt des Genres wiedergeben. Diese werden anhand dessen, was sie darstellen und wie sie es darstellen, analysiert. Über Screenshots der entsprechenden Film- beispiele lässt sich diese Betrachtung besser nachvollziehen. In der nachfolgenden Schreibweise entspricht der erstgenannte Titel des Films der Bezeichnung in Deutschland; der Originaltitel, der Regisseur sowie das Jahr der Veröffentlichung sind in Klammern angegeben. Um den Ver- lauf dieser Entwicklung parallel zu jener der Gesellschaft zu verdeutlichen, wird sie in Phasen eingeteilt und außerdem über einen ausklappbaren Zeitstrahl nachvollziehbar gemacht, der sich im Anhang dieser Arbeit befindet. Zudem beschränke ich mich auf die relevanten Produk- tionsländer von Horrorfilmen und lasse die für ihre Film weniger populären Nationen außer Acht. Obwohl die in Asien produzierten Horrorfilme zunehmend auch ein westliches Publikum erreichen können, werden sie bei dieser Betrachtung vernachlässigt. Im Fokus steht die histo- rische Entwicklung der Gesellschaft der westlichen Industrienationen und jener Horrorfilme, die sie kurz nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bis heute hervorgebracht haben. Im Folgenden soll das Horrorgenre selbst, auch unter Berücksichtigung anderer Medien außer dem Film, näher beleuchtet werden.
2 Das Horrorgenre
Die exakte Skizzierung des Horrorgenres gestaltet sich als relativ problematisch. Erstens neigt das Horrorgenre dazu, keine klaren Grenzen zu anderen Gattungen zu ziehen. Es ist ein Geben und Nehmen zwischen den verschiedenen Genres: Der Horror bedient sich vielfach aus dem Repertoire der Komödie oder der Science Fiction und liiert sich häufig mit dem Thriller. Im Gegenzug adaptieren diese und andere Genres auch die spezifischen Elemente des Horrors. Zweitens erweist sich das Genre in sich selbst als enorm vielfältig und hat nicht wenige, sich stark voneinander differenzierende Subgenres hervorgebracht. Drittens lässt es das Genre eigentlich nicht zu, sich rational betrachten zu lassen. Horror ist auf subjektiven Wahrnehmun- gen und emotionalen Zuständen begründet. Und viertens befindet sich besonders das Horror- genre in einer stetigen Entwicklung. Es wächst mit den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Veränderungen in der Gesellschaft, stößt in neue Sphären von Verboten und Tabus vor oder aber erlangt hin und wieder ein Stück Unschuld zurück.
Was das Genre jedoch auszeichnet, ist die jahrtausendlange Faszination der Menschen für Horror, Schauer oder Grusel. Diese zieht sich flächendeckend über beinahe alle Bereiche der Kunst und Kultur hinweg. Horror zeigt sich nicht nur in der Literatur oder in Film und Fern- sehen, sondern spielt auch in den bildenden und darstellenden Künsten, in der Musik genauso wie in der Computerspielindustrie eine wichtige Rolle. Die eindeutige Charakterisierung des Genres fällt zwar schwer, allerdings treffen jene Werke, die zurecht das Prädikat „Horror“ tragen, in einem gemeinsamen Punkt zusammen: Sie versuchen gezielt, beim Rezipienten Emotionen wie Angst oder Ekel zu evozieren. Horror stellt die uns vertraute, heile Welt auf den Kopf - die Idylle gerät ins Wanken und das Chaos bricht aus. Kurz gesagt ist Horror „die denkbar radikalste Negation einer heilen Welt“ (Vossen 2004, S. 10).
Im Folgenden möchte ich trotz der oben genannten Hindernisse versuchen, das Horrorgenre, insbesondere den Horrorfilm, anhand der spezifischen Merkmale näher zu beleuchten und zu erklären, worauf sich die Faszination am Horror begründen lässt.
2.1 Terminologie und Definition von Horror
Der Begriff Horror ist in der deutschen sowie der englischen Sprache in den alltäglichen Gebrauch übergegangen und dient demzufolge nicht nur als Bezeichnung eines Teilgebiets in Kunst und Kultur. Wenn wir sagen, etwas sei „der Horror“ gewesen, können wir ein ganzes Spektrum von Emotionen ausdrücken. Für gewöhnlich bewerten wir dadurch Ereignisse oder Situationen als unangenehm.
Etymologisch betrachtet, stammt das Wort vom Lateinischen horror ab und meint die ganze Bandbreite von Entsetzen, Grausen, Starren bis hin zu Schauder (vgl. wiktionary.org). Anfäng- lich war es der medizinische Fachausdruck für Schüttelfrost. Vergleichbar damit steht auch das Verb horrere für sträuben (wie es bei Haaren der Fall sein kann). Die eigentliche Konzeption des Begriffes stellt die Verbindung einer anormalen physiologischen Reaktion zu einem Ge- fühlszustand dar. Des Weiteren steht das französische Wort horreur für Schrecken und Abscheu; im Englischen wird horror mit Grauen, Gruseln und Entsetzen gleichgesetzt. Horror beschreibt demnach nicht, wie in unserem alltäglichen Sprachgebrauch, bestimmte Situationen oder Ereignisse an sich. Es geht vielmehr darum, was Derartiges im Betroffenen auslöst. Horror ist also „ein Bewußtseinszustand von Menschen, die bestimmten Situationen ausgesetzt sind und auf diese in bestimmter Weise reagieren“ (Baumann 1993, S. 30). Beim subjektiven Erleben solcher Situationen haben wir es mit Angst, Grauen, Erschrecken und Abscheu zu tun. Sobald wir die auslösenden Bedingungen beschreiben wollen, können wir sagen, dass sie angst- einflössend oder grauenerregend seien. „Das Besondere des Horrors gegenüber den Einzel- begriffen, in die er sich übersetzen läßt, ist, daß er nicht in ihnen aufgeht, sondern sie erst in ihrer Gesamtheit erfaßt. [...] Der einzige deutsche Begriff, der in ähnlicher Weise umfassend ist, ist der des Grauens“ (ebd.). Über das Grauen schreiben die Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm in ihrem Deutschen Wörterbuch Folgendes: „der bedeutung des zugrunde liegenden verbs entsprechend, bezeichnet grauen [...] überwiegend die empfindungen des abscheus und der furcht, die ein äuszeres oder (und) inneres erschaudern begleitet [...]. die beziehung des wortes auf den gegenstand des grauens [...] ist demgegenüber erheblich seltener“ (Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, vgl. germazope.uni-trier.de). Dement- sprechend stimmen Horror und Grauen in ihrer Bedeutung weitestgehend überein. Baumann trifft allerdings noch die Unterscheidung, dass Horror nur jene Reaktionen meint, die „durch fiktionale Darstellungen [...] ausgelöst werden - als Grauen hingegen die Reaktionen auf das wirkliche Entsetzliche“, wobei aber das Erleben des Protagonisten innerhalb einer fiktiven Horrorgeschichte auch als Grauen bezeichnet werden kann (Baumann 1993, S. 31). Auch in der englischen Fachliteratur findet sich die Abgrenzung zwischen Horror wieder, entweder bedingt durch Realität oder durch Fiktion: Carroll beispielsweise grenzt den natürlichen, realen „horror“ vom künstlichen, fiktiven „art-horror“ ab (vgl. Carroll 1990, S. 12). Allerdings kann der fiktionale Horror auch auf tatsächlichen Ereignissen unserer Realität beruhen und den realen Schrecken als Fiktion wiedergeben.
Diese Klärung der Terminologie erleichtert nun die Annäherung an eine Definition des Horrors als ein Kunstgenre. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei Horror nicht um einen Aspekt zur Beschreibung von Sachverhalten, sondern um eine ganze Bandbreite von Emotionen, die bei jenem Individuum ausgelöst werden, das mit diesen Sachverhalten konfrontiert wird. Im Falle des Horrorgenres kann der Rezipient durch bestimmte Inhalte und Darstellungsweisen über ein Medium, vorrangig Literatur und Film, Emotionen wie Angst und Ekel erfahren. Horror wird demzufolge über den Affekt definiert, den es beim Publikum provozieren möchte. Zweifellos können Werke zum Horrorgenre hinzugezählt werden, wenn ihre Produzenten jene Werke mit der Intention herstellen, im Rezipienten solche Emotionen hervorzurufen. Dabei nutzen sie ein angst- und ekelverstärkendes, meist standardisiertes Zeichenrepertoire, um die emotionale Beteiligung des Rezipienten zu erzwingen. Dieser wiederum befindet sich bei der Rezeption in einer ständigen Zwickmühle: Er muss sich entscheiden zwischen Sehen und Nicht-Sehen- Wollen, zwischen Hören und Nicht-Hören-Wollen, zwischen Lesen und Nicht-Lesen-Wollen, weil einerseits etwas da ist und andererseits nicht da sein darf (vgl. Seeßlen/Jung 2006, S. 66). Und schließlich landet man wieder bei der Frage, was das Publikum so am Horror fasziniert: Warum empfindet man Lust daran, sich zu ängstigen und zu ekeln? Auf dieses Paradoxon möchte ich jedoch später näher eingehen.
Als eine Form der Kunst, im Besonderen des Phantastischen, ist auch das Horrorgenre nicht an die Gesetze der Wirklichkeit gebunden. Demnach hätte das Genre „einen unerschöpflichen Themenvorrat, es bestünde aus Innovation, Phantasie und Erfindung. Doch genau das Gegen- teil ist der Fall“ (ebd., S. 45). Horror nutzt eine vergleichsweise kleine Auswahl der immer gleichen, auf Mythen basierenden Themen, aber er kombiniert und variiert sie in enormen Ausmaß oder setzt einen neuen Baustein hinzu. Dem liegt zugrunde, dass die Emotionen der Rezipienten auf sozialen Erfahrungen beruhen, und da diese sich „ständig wandeln, müssen immer neue Objekte erfunden - oder alte modifiziert - werden, um Projektionsflächen aktuel- ler Bedrohung zu erschaffen“ (Baumann 1993, S. 287). Deshalb gehört der Horror zu einem der wandlungsfähigsten Kunstgenres überhaupt.
Betrachtet man den Horror anhand seiner Thematik, so lässt sich feststellen, dass die Werke des Genres mit Gegensätzen spielen. Zwei Pole, seien es Gut und Böse, die Ordnung und das Chaos, das Reale und das Irreale, das Heimliche und das Unheimliche treffen immer aufeinan- der, schieben sich ineinander und heben ihre Grenze zueinander auf. Im Gegensatz zu unserer wirklichen Realität kann sich im Horror das Unwirkliche materialisieren - es erhält ein Bild, ein Gesicht, eine Form. Auch wenn sich der Rezipient auf emotionale Weise auf die künstliche Realität einlässt, so braucht der Horror als Teil des Phantastischen „den ,ironischen’ Abstand seines Konsumenten, der seine Bilder nicht mit Aussagen über die ,Realität’ verwechseln darf. Es muss grundsätzlich als ,Kunst’, das heißt als etwas Künstliches betrachtet werden“ (Seeßlen/ Jung 2006, S. 60). In dieser künstlichen Realität muss jedoch das Unwirkliche oder das Über- natürliche zugleich unmöglich wie auch möglich sein. „Wenn es ganz und gar unmöglich wäre, ließe es sich nicht in einer Weise beschreiben, die für den Rezipienten nachvollziehbar wäre“ (Baumann 1993, S. 173).
Horror, beschränkt auf die Medien Literatur und Film, lässt sich anhand eines einfachen Rasters definieren: „Horror in Film und Literatur beruht darauf, daß zentrale Charaktere anfangs in einer aus ihrer Perspektive normalen und heilen Welt leben. Der Horror erscheint stets in Form eines aus Sicht des Charakters und des Publikums außergewöhnlichen Vorgangs, welcher die heile Welt, in welcher sich der Charakter befindet, empfindlich und außerhalb seiner Kontrolle bedroht“ (Ramge 2006, S. 240, vgl. retro-park.de). Es gibt noch weitere Methoden, mit Hilfe derer sich Autoren an die Definition des Horrorgenres nähern, meist mit dem Ergebnis der verbleibenden Vagheit. Während Ramge sich nur auf die inhaltliche Ebene bezieht und jene der Ästhetik sowie der emotionalen Wirkung vernachlässigt, geht Carroll beispielsweise nur von den Affekten der Rezipienten aus, welche ausgelöst werden, sobald jene sich mit dem Monster der Fiktion konfrontiert sehen. Damit schränkt er seine Definition aber weitestgehend auf einen Mythos des Horrors ein. Dies zeigt nur, wie schwierig es letztlich ist, das Horrorgenre, trotz seiner Popularität, exakt und allgemeingültig zu umreißen. Die Definition des Horror- begriffs verbleibt in der Sphäre der Relativität.
2.2 Einordnung in die Phantastik und Abgrenzung zu anderen Genres
Wie bereits erwähnt, kann der Horror als Genre zur Phantastik gezählt werden. Beim Phan- tastischen sind die Grenzen zwischen Phantasie und Wirklichkeit verschwommen. Es wird nun das zur Realität, was wir bisher für phantastisch gehalten haben, was es eigentlich, aus unseren Erfahrungen heraus resultierend, nicht geben darf. Die phantastische Fiktion kann laut Baumann vor allem daran festgemacht werden, „dass in ihr die Gesetze von Natur und Gesellschaft nicht bedingungslos gelten“ (Baumann 1993, S. 98). Dennoch ist im Horror- genre die Welt der Fiktion mit der Welt unserer Realität, der des Rezipienten, weitestgehend deckungsgleich - bis auf eine entscheidende Störung. Diese Deckungsgleichheit ist überhaupt die Voraussetzung dafür, dass beim Rezipienten Emotionen evoziert werden können. Findet in unserer oder der gleichrangigen fiktionalen Welt etwas wider unsere Natur statt, beschrei- ben wir es als übernatürlich. Wenn wir nun ein Ereignis als übernatürlich betiteln, welches in der fiktionalen, unserer realen gleichenden Welt stattgefunden hat, kann es genau genom- men nicht mehr als übernatürlich bezeichnet werden. Es erfolgte in unserer Welt, womit es zum natürlichen Ereignis geworden ist. Letztlich können also nur die Ursachen des Ereignisses übernatürlich sein (vgl. ebd., S. 100). Und gerade das macht Horror aus, wie auch Baumann konstatiert: „Und beim Horror schließlich sind es häufig die nur durch Übernatürliches, also Unbekanntes, erklärbaren Ursachen von Sachverhalten und Vorgängen, welche das Unheim- liche hervorrufen. Die Störung des empirisch Erwartbaren ist für das Genre grundlegend“ (ebd., S. 101). Zudem ist es für die phantastische Fiktion durchaus typisch, mit der Interpre- tation durch den Rezipienten zu spielen. Er verbleibt stets dabei, das Gelesene, Gehörte oder Gesehene logisch zu erklären, als etwas natürlichen Ursprungs. Es könnte sich ja immernoch als ein Traum oder Wahnsinn entlarven. Carroll schreibt dazu über die phantastische Literatur: „And, because these possibilities are left open in the story, the reader cannot settle for the supernatural interpretation. Rather, the reader suspends judgment between the naturalistic and the supernatural explanation“ (Carroll 1990, S. 146).
Was den Horror aber nun, vor allem in Literatur und Film, von der sonstiges Phantastik trennt, ist die Reaktion der Protagonisten auf die unmöglichen und übernatürlichen Ereignisse. Diese Menschen begegnen derartigen Geschehnissen mit Verwirrung, Panik, Ekel und Angst. So fasst Baumann treffend zusammen: „Horror ist eine Gattung der Phantastik, in deren Fiktionen das Unmögliche in einer Welt möglich und real wird, die der unseren weitgehend gleicht, und wo Menschen, die uns ebenfalls gleichen, auf diese Anzeichen der Brüchigkeit ihrer Welt mit Grauen reagieren“ (Baumann 1993, S. 109).
Und diese Brüchigkeit unterscheidet den Horror von anderen Genres. Wenn sie nicht mehr nötig ist, um Unmögliches im Kontext der fiktionalen Welt geschehen zu lassen, so haben wir es nicht mit Horror, sondern mit Märchen zu tun. „In der Phantastik des Horror-Genres gibt es, im Gegensatz zum Märchen, das Wunderbare nicht als Errettung oder Erlösung; das Wun- derbare (das Unerklärliche) ist das Problem des Genres“ (Seeßlen/Jung 2006, S. 60). Während das Märchen dem Rezipienten also stets ein Happy End anbietet, erlaubt es der Horror auch dem Bösen, den Sieg davonzutragen. Zudem braucht das Horrorgenre keine Legitimation für Gewalt, im Gegensatz zum Märchen, bei dem noch Voraussetzungen für die Gewalt gegeben werden, indem sie beispielsweise als verdiente Strafe für eine böse Tat eingesetzt wird. Man denke hier nur an das Märchen der Gebrüder Grimm von Schneewittchen, deren Stiefmutter sich in glühend heißen Schuhen auf der Hochzeit zu Tode tanzt, nachdem sie Schneewittchen vergiftet hatte.
Der Horror übernimmt die Naturgesetze der realen Welt weitestgehend, wohingegen im Mär- chen genauso wie in der Science Fiction und der Fantasy diese Gesetze mehr oder minder auf- gehoben sind. Und aus diesem Grund wirken die Fiktionen dieser Genres kaum angsterregend auf den Rezipienten, da die dargestellte Welt mit all den abweichenden Gesetzen nicht seine reale Welt widerspiegelt. Das Genre der Fantasy zeigt eine Welt, die mit unserer, zeitlich und räumlich betrachtet, nicht identisch ist. Genau genommen können Geschichten der Fantasy weder zeitlich noch räumlich eingeordnet werden; auch die soziale Struktur entspricht nicht zwingend unseren Erfahrungen. Die Protagonisten können Menschen oder menschenähnlich sein und erscheinen häufig wie aus der Sagenwelt entsprungen. Bestes Beispiel ist die Herr der Ringe-Trilogie. „In den Welten der Fantasy ist das Übernatürliche nicht die Ausnahme, sondern die Regel. [...] Von außen betrachtet, ist die Fantasy voller Wunder - von innen gesehen, für die Helden, gibt es keine, da der Eingriff des Übernatürlichen zur natürlichen fiktionalen Welt- ordnung gehört“ (Baumann 1993, S. 157).
Ähnlich wie in der Fantasy wird auch in der Science Fiction das Übernatürliche als natürlich angesehen. Allerdings ordnet die Science Fiction übernatürliche, in dieser fiktionalen Welt stattfindende Ereignisse dem Anormalen zu, da diese „als Folge der natürlichen Störung eines bekannten Naturgesetzes oder im Grenzfall als Auswirkung eines bisher unbekannten“ iden- tifiziert werden (ebd., S. 158). Somit liefert die Science Fiction konsequent mal mehr, mal weniger nachvollziehbare Erklärungen für ein solches Überschreiten der Erfahrung.
Im Gegensatz zur Science Fiction und zur Fantasy hat der Thriller mit dem Horrorgenre gemein, dass beide in einer der unseren Realität entsprechenden Welt angesiedelt sind. Das Über- natürliche spielt im Thriller nicht die Rolle einer wirklich existierenden Macht und wird auch nicht als solche in Betracht gezogen. Und wie das Horrorgenre strebt auch der Thriller (engl. thrill: Schauer, Nervenkitzel, Erregung) danach, bestimmte Emotionen beim Rezipienten aus- zulösen und bedient sich somit auch unserer Lust an der Angst. Horror und Thriller ähneln sich in ihrer Erzählweise, wobei das Spiel mit der Spannung im Vordergrund steht. Diese Span- nung soll durch gezielte Effekte erzeugt werden. Die dargestellte Bedrohung ist aber immer - anders als beim Horror - auf menschliche Verursacher zurückzuführen, die sich zumeist fernab jeglicher Normalität bewegen und deren Taten aus psychologischen Defekten, wie Perversion oder Obsession resultieren. Im Thriller geht es kaum um die Aufklärung, wie z. B. bei der Kriminalliteratur und -filmen, als vielmehr um den Prozess dieser Bedrohung, die dem Rezi- pienten einen Blick in die Psyche der Protagonisten oder Antagonisten gewähren lässt. Mehr noch als die Fantasy oder Science Fiction liegt der Thriller im Grenzbereich zum Horror und nicht selten kommt es zum regen Austausch genretypischer Elemente. Teilweise werden die Elemente beider Genres so ineinander vermischt, dass deren Kombination ein eigenes Sub- genre hervorgebracht hat: den Horrorthriller. So erweist sich dann beispielsweise ein Film wie Alfred Hitchcocks Psycho (Psycho, 1960) als uneindeutig bezüglich seiner Zuordnung zu einem dieser Genres.
Dass sich oft eine eindeutige Zuordnung der Werke zum Horror- oder seinen Nachbargenres als problematisch erweist und viele Werke die Elemente des Horrors adaptieren, liegt daran, wie auch Baumann für den Bereich der Filme treffend feststellt, dass der Horror als emotionaler Zustand eben „kein Merkmal ist, das ein Werk von der ersten bis zur letzten Szene durchgängig und in gleicher Ausprägung durchzieht“ (ebd., S. 154). Und so produzierte der Horror unzählige Crossover-Nachkommen mit den unterschiedlichsten Genres: vom Krimi und Western über die Komödie bis hin zur pornographischen Darstellung.
2.3 Charakteristik des Horrorgenres
Obwohl sich eine konkrete Abgrenzung genauso wie eine exakte Definition des Horrorgenres als nahezu nicht realisierbar herausgestellt haben, möchte ich im Folgenden dennoch ver- suchen, die Spezifika des Genres zu verdeutlichen. Auch im Kapitel Horror und Angst werde ich darauf näher eingehen, insbesondere auf die Wirkungsmechanismen des Genres auf sein Publikum. Wie bereits angeführt, beschränkt sich das Genre des Horrors nicht nur auf den Bereich der Literatur und des Films. Nur wenige Kunstgenres haben sich so weitläufig und medienübergreifend ausgebreitet wie das des Horrors, was nicht zuletzt daran liegt, dass das Grauen auf der verbalen und nonverbalen sowie auf der visuellen und auditiven Ebene erzeugt werden kann. Es seien deshalb jene Medien erwähnt, in denen sich durchaus auch Motive des Horrors wiederfinden lassen. Allerdings hat sich der Horror hier - im Gegensatz zu Literatur und Film - kaum als eigenständiges Genre etabliert.
Exkurs: Horror in anderen Medien
Allein im Bereich der bildenden Künste, im Speziellen der Malerei, ließen sich Dutzende von Künstlern aufzählen, deren Werke, wenn auch nur im Entferntesten, etwas Grauenerregendes darstellen. Exemplarisch seien hier die rätselhaften Gemälde von Hieronymus Bosch (um 1450 bis 1516) genannt, die zumeist eine düster-groteske und visionär anmutende Welt zeigen. Alptraumartig und mit dem Hang zum Phantastischen spiegelt die Versuchung des Heiligen Antonius aus dem Tryptichon Antoniusaltar eine Menschheit, die das innere Böse nach außen gekehrt hat (vgl. Abb. 1). In der irrealen, ruinenhaften Landschaft tummeln sich Kreaturen, die eine Kreuzung aus Tieren, Gegenständen und Menschen zu sein scheinen. Auch Francisco de Goya (1746-1828) hat in seinen letzten Lebensjahren Werke geschaffen, die Motive des Grauens enthalten, wie z. B. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer oder auch Saturn verschlingt seinen Sohn (vgl. Abb. 2 und 3). Als Künstler unserer Zeit beeinflusste H. R. Giger mit seinen Gemälden und Skulpturen das Horrorgenre im Allgemeinen und besonders das des Horrorfilms. Für einige Filme lieferte Giger Entwürfe der unheimlichen Monster, wie beispiels- weise zu Poltergeist II - Die andere Seite (Poltergeist II: The Other Side, Brian Gibson, 1985) oder Alien - Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt (Alien, Ridley Scott, 1979) inner- halb seiner Alienmonster-Serie (vgl. Abb. 4). Seine beängstigenden Motive entstammen einer unwirklichen Welt der Biomechanik. „Gigers Werkzeuge und seine technische Arbeitsweise bieten insofern hervorragende Grundlagen für die Darstellung des Grauenerregenden, als ihre Unschärfe es dem Betrachter erlaubt, seine eigenen Ängste in die Leerstellen des organischmechanischen Chaos zu projizieren“ (Baumann 1993, S. 169).
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Abb. 2 Hieronymus Bosch: Versuchung des Heiligen Antonius
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Abb. 3 Francisco de Goya: Der Schlaf der Ver- aus dem Tryptichon Antoniusaltar (1505/06) nunft gebiert Ungeheuer (1797/98)
In Deutschland weniger populär geworden als in den USA sind die Comics des Genres, allen voran die Entertainment Comics, kurz EC Comics, der 1950er Jahre. In diesen eigenständigen Geschichten wie Tales from the Crypt konnten die Grenzen überschritten werden, die die Horrorfilme jener Zeit noch einhalten mussten.
Des Weiteren spielt Horror auch in den Computerspielen eine wichtige Rolle. Einige Ego- Shooter-Spiele betten den Kampf des Spielers in eine Horrorgeschichte ein, so wie in Doom 3 (id Software) aus dem Jahr 2004. Es hat sich aber auch schon ein eigenes Subgenre in der Computerspiel-Branche herausgebildet: das des Survival-Horrors. Bei diesem Spielgenre muss der Spieler die Angriffe von Monstern mit Hilfe verschiedenster Waffen überleben und zusätz- lich bestimmte Rätsel lösen, um die Handlung des Spiels voranzutreiben. Neuere Beispiele für diesen Überlebenshorror sind Resident Evil 4 (Capcom, 2005) oder Silent Hill 4 (Konami, 2004).
Auch in der Musik lassen sich grauenerregende Inhalte finden. Während sich in klassischen Musikstücken der Bezug zum Horror weniger offensichtlich darstellt, gibt es unzählige Song- texte, die von Monstern, Blut und diversen alptraumhaften Szenarien erzählen. Häufig dienen diese Elemente als Mittel der Metaphorik, wie das Beispiel Squank von ZZ Top zeigt: „Woman, grab your children, run and hide. Don’t let it catch up with you. You gotta fight it to tay alive,
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Abb. 4 H. R. Giger: Alienmonster IV (1980er Jahre)
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Abb. 5 Francisco de Goya: Saturn ver schlingt seinen Sohn (1819)
and if it gets you, man, you’re through. It smells so rotten and rank. Well, everybody calls it the squank. It’s sick, depressin‘, gettin’ bigger all the time. Don’t help it any way you can. It’s grey and brown and sometimes lime and it’s spreadin’ all over the land [...]“ (magistrix.de).
Derartige Beispiele könnten nun beliebig fortgeführt werden. Festzuhalten bleibt, dass sich das Horrorgenre nicht nur auf Literatur, Film sowie Fernsehen beschränken lässt, sondern sich über viele Bereiche der (Unterhaltungs-)Kultur erstreckt. Dennoch sollen diese medialen „Randgruppen“ des Horrorgenres hier nur ihre Erwähnung gefunden haben. Den Fokus dieser Arbeit möchte ich auf den fiktionalen Horror im Medium Film legen, wobei im Folgenden auch die Horrorliteratur eine Rolle spielen wird.
2.3.1 Das Unheimliche nach Sigmund Freud
Um sich einer Antwort zur Frage über die Lust am Horror zu nähern, lohnt es sich, einen Blick auf Freuds Abhandlung über Das Unheimliche aus dem Jahr 1919 zu werfen. Dies dürfte sich insofern als aufschlussreich erweisen, als dass es zu klären gilt, warum beim Menschen auch durch die Fiktion Grauen erzeugt werden kann. Obwohl sich diese psychoanalytische Über- legungen nach Sigmund Freud nicht namentlich mit dem Phänomen Horror befassen, können sie dennoch als eine der grundlegendsten Untersuchungen zur Thematik des fiktionalen Grauens gesehen werden. Freud betrachtete das Unheimliche als einen gesonderten Bereich der Angst-Psychologie und hat versucht, seine Psychoanalyse diesbezüglich auf die Literatur, unter anderem auf den Roman Der Sandmann von E. T. A. Hoffmann, anzuwenden. An dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass Freuds psychoanalytische Weise der Interpretation eines litera- rischen Werkes vielfach kritisiert worden ist. Es könne nur ein Zeichen von Naivität sein, fiktio- nale Personen als lebende Menschen zu betrachten und sie somit, metaphorisch gesehen, auf die Couch des Psychotherapeuten zu legen. Die häufig exzessiv praktizierte, psychologische Untersuchung von Fiktionalem im Sinne Freuds ist demnach mit Vorsicht zu genießen. Hier werden jedoch seine Überlegungen zum Unheimlichen im Vordergrund stehen und nicht ihre psychoanalytische Anwendung.
Anhand seiner etymologischen Auseinandersetzung mit dem Begriff des Unheimlichen kommt Freud zu dem Ergebnis, dass das „Unheimliche [...] jene Art des Schreckhaften [ist], welche auf das Altbekannte, Längstvertraute zurückgeht“ (Freud 2005, S. 230). Diese relativ paradox anmutende Schlussfolgerung begründet sich auf die ambivalente Wortbedeutung vom gegen- sätzlichen Heimlichen, was einerseits das Heimatliche und Häusliche, also das Vertraute meint, andererseits aber auch all das, was sich unseren Augen entzieht, was fremd und geheim ist, also das Verborgene. Demzufolge wird das Heimliche mit dem Unheimlichen nahezu iden- tisch. Und so konstatiert Freud, dass das Unheimliche nichts Fremdes oder Neues darstellt, sondern vielmehr als „etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm nur durch den Prozeß der Verdrängung entfremdet worden ist“ (ebd., S. 254). Diese Verdrängung des Altvertrauten werde durch die Vorsilbe un deutlich.
Für das Genre des Horrors heißt das nun, dass das Grauenerregende nur durch das Vertraute mittelbar gemacht werden kann, was sich insbesondere auf der visuellen Ebene, vor allem im Medium Film zeigt. Das, was in uns Gefühle der Angst und des Ekels auslöst, dieses Unheim- liche, erscheint formlos, benötigt aber die Formung und zwingt die Produzenten des Horrors zur Konkretisierung. „Und konkret wird es wiederum in der Gestalt des Vertrauten, denn über anderes Material verfügen wir nicht. Wir haben also wohl letztlich nicht Angst vor dem Un- bekannten, sondern davor, dieses könnte sich als ähnlich furchtbar erweisen wie das Bekannte“ (Baumann 1993, S. 231). Und selbst wenn es keiner visuellen Erscheinung bedarf, wie in der Literatur, so bleibt das Prinzip das gleiche: Was das formlose Unbekannte grauenerregend werden lässt und was ihm somit eine Form verleiht, ist das, was der Rezipient darauf projiziert, nämlich das grauenerregende, verdrängte Vertraute.
Bezüglich des Unheimlichen bringt Freud noch zwei wichtige Bemerkungen an. Zum Einen können Gefühle gegenüber dem Unheimlichen von Generation zu Generation überwun- den werden. Was vor Jahrzehnten die Menschen noch beängstigt hatte, weil sie es teilweise auch für Realität hielten, kann heute meist rational erklärt werden. Dieser Hinweis wird sich für die folgende Untersuchung zur Entwicklung des Horrorfilms als relevant herausstellen. Zum Anderen verweist Freud auf die grundlegenden Unterschiede zwischen dem Unheim- lichen der Wirklichkeit, was man real erlebt, und dem der Fiktion und der Phantasie. Diese beiden Aspekte sollten stets getrennt voneinander betrachtet werden. Das Unheimliche der Fiktion ist laut Freud „weit reichhaltiger als das Unheimliche des Erlebens, es umfasst dieses in seiner Gänze und dann noch anderes, was unter den Bedingungen des Erlebens nicht vor- kommt. [...] Das paradox klingende Ergebnis ist, dass in der Dichtung vieles nicht unheimlich ist, was unheimlich wäre, wenn es sich im Leben ereignete, und dass in der Dichtung viele Möglichkeiten bestehen, unheimliche Wirkungen zu erzielen, die fürs Leben wegfallen“ (Freud 2005, S. 264). Allerdings bestätigt er auch, dass die Grenzen zwischen der Realität des Rezipienten und der Fiktionleicht verschwimmen,wenn sich derDichter oderjeder andere Produzent der Fiktion „auf den Boden der gemeinsamen Realität gestellt hat. Dann übernimmt er auch die Bedingun- gen, die im Erleben für die Entstehung des unheimlichen Gefühls gelten, und alles, was im Leben unheimlich wirkt, wirkt auch so in der Dichtung. Aber in diesem Falle kann der Dichter auch das Unheimliche weit über das im Erleben mögliche Maß hinaus steigern und vervielfältigen“ (ebd., S. 265). Und genau das trifft auch auf den modernen Horrorfilm zu, bei dem sich der Horror nicht mehr in den alten, fernen Ruinen und Schlössern abspielt, sondern direkt aus einer unserer Realität gleichenden Welt entstammt.
2.3.2 Archetypen des Horrors
Was aber ist nun das Unheimliche, was uns so in Angst versetzt? Auf welche Objekte und Wesen greifen die Macher des fiktionalen Horrors zurück, um sie uns dann brühwarm auf dem Teller unserer Ängste zu servieren? Eine Liste aller einzelnen Motive des Horrors könnte mehrere Bände füllen und bleibt, so lange es kreative Horrorproduzenten geben wird, zur Unvollständigkeit verdammt. Es gibt unzählige Versuche die typischen Motive zu klassifizieren, die ich im nächsten Absatz auszugsweise darstellen möchte. Zuvor lohnt es sich, einen Blick auf die eigentlichen Grundformen des Horrors zu werfen. Baumann hat fünf verschiedene Archetypen des Horrors identifiziert, die die angstauslösenden Hauptbestandteile der Mythen repräsentieren: das Böse, das Alte, das Fremde, die Dunkelheit und die Leere (Baumann 1993, S. 288ff.). Sie sind das ursprüngliche Grundgerüst, auf dem die Motive des Horrors gebaut sind und entsprechen den tief in uns verankerten Ängsten. Diese Urängste liegen in der Evolution der Menschheit begründet und begleiten unsere Wahrnehmung seit Kindesalter an (vgl. Seeßlen/Jung 2006, S. 31).
Der fiktionale Horror als Erzeugung des mittelbaren Grauens wirkt auf uns, weil die Macher des Horrors ihre Protagonisten entsetzlichen Situationen aussetzen. Deren Erleben sowie die Gefühle, die dabei ausgelöst werden, übertragen sich bei der Rezeption auf uns. Die Protago- nisten reagieren auf etwas, dass innerhalb ihrer Erfahrungswelt unmöglich ist und eigentlich nicht sein darf. Und zum Horror wird es, weil es gegen die Erwartungen dieser Charaktere und zum großen Teil auch gegen unsere eigenen Erwartungen geschieht. Es resultiert also aus der Identifikation des Rezipienten mit bestimmten Protagonisten, dass der Horror überhaupt bei ihm wirken kann. Es kommt in der Regel nicht vor, dass die Protagonisten, die zur Identifika- tion vorgesehen sind, gegen das Gute kämpfen. Insofern bildet das Böse eines der fundamen- talen Urbilder des Horrorgenres. Es kann in allen möglichen Varianten in Erscheinung treten, wobei der Horror hier auch nicht vor der Unschuld der Kinder halt macht, wie beispielsweise in Das Omen (The Omen, Richard Donner, 1975), in dem der kleine Damien als Sohn Satans sein Unheil treibt. Die absolute Manifestation des Bösen ist die leibhaftige Existenz des Teufels. Begründet in der christlichen Mythologie entsteigt Satan dem jenseitigen Ort der Strafe - der Hölle - und bringt bei seinem personalen Erscheinen oder dem seiner Boten allerlei Anzeichen wie Tierplagen mit sich. Das Konzept von Hölle und Teufel wurde dabei in der Geschichte des Horrorgenres immer weiterentwickelt und den jeweiligen epochalen Bedingungen der Gesell- schaft und deren Affinität zur Grausamkeit entsprechend angepasst. Der moderne Horrorfilm nutzt kaum noch die Gestalt des Teufels, sondern verfrachtet das Böse lieber in den Geist der Protagonisten.
Eine weitere Grundform des Horrorgenres repräsentiert das Alte. Die Verbindung zur Ver- gangenheit wird geknüpft „durch den Verweis auf das Versunkene alter Kulturen, das ans Tageslicht gebracht wird und dort neues, bösartiges Leben entfaltet“ (Baumann 1993, S. 293). Es ist also das Gegenwärtige, was vom Alten bedroht wird und deren Verbindung äußert sich häufig im Antiquarischen oder in der Archäologie.
Das Fremde lässt sich als all das zusammenfassen, mit dem wir keinerlei Gemeinsamkeiten finden können. Je weiter es von unserer Vorstellung entfernt liegt, desto schwieriger wird eine Charakterisierung dieses Fremden. „Das Grauenerregende ist auch deshalb entsetzlich, weil uns die Begriffe fehlen, es zu erfassen“ (ebd., S. 294). Und dabei kommt es, wie bereits bei Freuds Auseinandersetzung mit dem Unheimlichen festgestellt wurde, zur Konstruktion des Unvorstellbaren aus Elementen des Vertrauten. Die Angst vor dem Fremden ergibt sich aus den fehlenden Prädispositionen für eine gemeinsame Kommunikation. Stehen wir etwas Fremdem gegenüber, wissen wir nicht, welche Zeichen auf eine Bedrohung verweisen. Somit „befinden wir uns in einem ständigen Zustand quälender Spannung und warten nervös auf Anlässe von Flucht oder Abwehr. Die Vorstellung fällt schwer, das absolut Fremdartige könnte freundlich gesonnen sein. Im besten Falle ist es amoralisch [...], was nicht heißt, daß es eine böse Moral hätte, sondern es hat gar keine, die irgendwie an unseren Maßstäben zu messen wäre“ (ebd., S. 295).
Ähnlich wie bei dem Archetypus des Fremden versetzt uns auch die Dunkelheit aufgrund ihrer Unbestimmtheit und Unbeschreibbarkeit in Angst. Diese Angst ist in der Hinsicht objektlos, da wir uns nicht vor der Dunkelheit an sich fürchten. Wir fürchten uns nur vor den Objekten, die sich in ihr verstecken und herauskommen könnten. Befinden wir uns selbst in der Dunkelheit, fehlt uns jeglicher visueller Bezug zu unserer Umwelt, was uns nur noch mehr beängstigt. Für das Medium Film gestaltet es sich jedoch schwierig, diese Bezuglosigkeit zu nutzen. Der Film lebt von den Bildern und kann seine Zuschauer nur zeitweilig mit der Finsternis quälen.
Im Gegensatz zum visuellen Nichts der Dunkelheit, umfasst die Leere das Fehlen jeglicher Reize für all unsere Sinne. In der Leere entfällt die im Dunkel noch verbliebene Orientierung durch den Boden unter den Füßen, durch Gerüche oder Geräusche. Dem Subjekt stehen zwar noch alle Handlungsmöglichkeiten offen, aber es fehlt ihm die Umwelt. So kann es in der Leere nur noch sich selbst wahrnehmen. Auch dieser Archetypus verweigert seine Nutzung über das Medium Film. „Die Leere offenbart die absolute Bezuglosigkeit des Menschen und ist als solche weder zu beschreiben noch visuell darzustellen. Nur das Subjekt in seiner völlig auf sich zurückgeworfenen Reflexion bleibt als Gegenstand übrig. [...] Die Bedrohung ist weniger die, daß sich ein Etwas aus dem Nichts materialisieren könnte [...], sondern die Leere ist als Bedrohung unmittelbar mit sich selbst identisch“ (ebd., S. 298).
Diesen Urbildern des Horrors fügt Baumann noch das des Alltags hinzu, die sich laut ihm in den letzten Jahrzehnten, besonders innerhalb des modernen Horrorfilms, zusätzlich herauskristallisiert haben. Das Grauen entspringt zunehmend einer Welt, die unserem Alltag gleicht. Dies verweist auch wieder auf Freuds Theorie über das Unheimliche: Das eigentliche Grauen wird durch das Vertraute hervorgerufen.
2.3.3 Klassifizierung der Motive des Horrors
Der fiktionale Horror greift auf die genannten Grundformen, die unseren Urängsten entspre- chen, zurück und hat auf dieser Basis eine Vielzahl von Motiven hervorgebracht, welche das Unheimliche materialisieren und ihm eine Erscheinung, eine Form geben. Die Fiktionen ähneln sich häufig in ihrer Erzählweise, variieren jedoch das grauenerregende Motiv. Viele Theoretiker als auch Autoren des Horrorgenres selbst haben sich daran versucht, die unterschiedlichen Formen zusammenzufassen und zu typologisieren. Allerdings erweist sich eine verallgemei- nernde und eindeutige Klassifikation dieser Motive als äußerst problematisch. Zum Einen liegt es nahe, dass die Unterteilung durch die ständige Weiterentwicklung ergänzt werden müsste. Neue Produktionen bringen neue Muster hervor, die sich womöglich nur schwer in ein vor- handenes Cluster einordnen ließen. Zum Anderen könnten bestimmte Werke des Horrors aus der Reihe tanzen, da sie mehrere Motive miteinander kombinieren oder aber zu keiner beste- henden Motivgruppe zuzuordnen sind. Dies mag zum größten Teil auch damit in Verbindung stehen, dass sich das Horrorgenre innerhalb seiner Definition und seiner Genreabgrenzung als relativ diffus dargestellt hat. Was nicht exakt definiert werden kann, entzieht sich automatisch einer richtigen Zuordnung.
Aus diesem Grund insistieren die Urheber dieser Motiv-Klassifikationen erst gar nicht auf deren Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit. Vielmehr sollen sie dazu dienen, wenigstens etwas Licht ins Dunkel der beinahe unendlich vielen Horrorwerke aus Literatur, Film und Fernsehen zu bringen. Im Folgenden sollen einige dieser Klassifikationen über die Wesen und Objekte des Horrors vorgestellt werden.
2.3.3.1 Klassifizierung nach Lovecraft
Der amerikanische Schriftsteller H. P. Lovecraft (1890-1937), einer der bedeutendsten Vertreter der phantastischen Literatur, hat sich in seinen „Anmerkungen zum Schreiben unheimlicher Erzählungen“ mit den Stereotypen der Schauerliteratur auseinandergesetzt und listet unter anderem auf (vgl. Lovecraft 1989, S. 255ff.):
1. Scheintot begraben
2. Ausgeburten von Sterblichen und Dämonen
3. Persönlichkeitsverdopplung
4. Entdeckung, dass der anscheinend Tote lebt
5. Mitgliedschaft bei Teufelskult von Hexerei
6. Psychisches Residuum in einem alten Haus - Gespenst
7. Ein Elementargeist wird beschworen
8. Gespenstische Rache
9. Ein Toter steigt aus dem Grab, um seinen Mörder fortzuschleppen oder zu bestrafen
10. Bei Ausgrabung eines uralten Wesens heftet sich ein feindlicher Schatten an den Grabenden und vernichtet ihn schließlich.
Lovecraft hält die Motivgruppen relativ spezifisch und eng eingegrenzt. Seine Klassifikation ist nicht allgemeingültig und viele, vor allem neuere Werke des Horrors würden aus seinem Raster herausfallen. Allerdings hat Lovecraft diese entscheidenden Themen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgearbeitet, als sich der Horrorfilm als Genre noch nicht etabliert hatte und sich somit nur auf die Horrorliteratur bezogen. Aus heutiger Sicht lässt sich diese Klassifizie- rung wohl weitestgehend nur auf klassische Horrorliteratur und -filme anwenden.
2.3.3.2 Klassifizierung nach Armstrong
Eine ähnliche Einteilung nimmt auch Armstrong vor, wobei er seine „seven basic horror themes“ in ihrer Formulierung weitaus allgemeiner fasst als es bei Lovecraft der Fall war. Armstrong unterscheidet in (vgl. König 2005, S. 24 zit. n. Armstrong 1971):
1. Insanity
2. Things from other planets
3. Monster created by madmen
4. The occult
5. Things from this planet
6. The undead
7. Metamorphoses
Diese Hauptmotive repräsentieren genau genommen die Basis-Plots von fiktionalem Horror. Armstrongs Klassifizierung erlaubt es, dass eines der Themen unterschiedliche Handlungs- stränge zulassen kann. Allerdings könnten die Motive bereits zu allgemein gewählt worden sein, so dass es leicht zu Überschneidungen kommen oder sich sehr viele Unterschiede in den zugeordneten Horrorfiktionen offenbaren könnten. Während sich die diversen Frankenstein- Filme relativ leicht in die dritte Kategorie einordnen lassen, wird es bei einem Film wie Der Exorzist (The Exorcist, William Friedkin, 1973) doch schon etwas schwieriger. Schließlich ver- eint der Film Elemente des Okkulten genauso in sich wie die der Metamorphose.
2.3.3.3 Klassifizierung nach McKee
Sehr verallgemeinernd stellt sich die Einteilung durch McKee dar, welche sich auf die rationale oder auch irrationale Erklärbarkeit der fiktionalen Phänomene aus Sicht des Rezipienten bezieht (vgl. McKee 1999, S. 80):
1. Uncanny
2. Supernatural
3. Super-Uncanny
„Uncanny“ meint das Unheimliche. Dieses kann innerhalb der Fiktion rational erklärt werden. Demgegenüber steht das Übernatürliche, das McKee als ein irrationales Phänomen aus der Geisterwelt versteht. Beim Horror, welcher der letzten Kategorie zugeordnet werden kann, muss der Rezipient zwischen dem ersten und zweiten Motiv abwägen. McKees entbildlichtes Raster ist jedoch sehr grobmaschig, auch wenn er damit alle verschiedenen Motive des Horror- genres einbeziehen kann. Er hat die wesentlichen Motive verallgemeinert, wodurch die Fik- tionen mit den unterschiedlichsten Themen und Richtungen gezwungenermaßen zu einem Thema zusammengefasst werden.
2.3.3.4 Klassifizierung nach Seeßlen und Jung
Seeßlen und Jung versuchen ebenfalls, die verschiedenen Motive des Horrors zu klassifizieren. Hier sei angemerkt, dass sie Horror über den Mythos des Halbwesens konzeptualisieren. Sie beschreiben das Halbwesen als den multikulturellen und -epochalen Wunsch der Menschen nach dem Überschreiten der eigenen Existenz. Der Mythos beruht darauf, dass die Menschheit seit ihrem Anbeginn über alle Zeiten und Kulturen hinweg nicht ohne ihre Ängste (über-)leben konnte. „Nur durch diese Universalität der Angst lässt sich erklären, dass sich in verschie- denen Völkern, unabhängig voneinander und teilweise ohne augenscheinliche Ähnlichkeit der Kulturen, die gleichen oder doch sehr ähnliche Mythen von Halbwesen herausgebildet haben“ (Seeßlen/Jung 2006, S. 18). Die Entstehung der Mythen liegt in individuellen und ethnologischen Entwicklungsprozessen begründet. Laut Seeßlen und Jung ergeben sie sich aus der Symbiose von Mutter und Kind als auch von Mensch und Natur. Ganz im Sinne Freuds Psychoanalyse sehen die Autoren demnach Horror als Rückfall in kindliche Entwicklungs- stadien, wobei das Halbwesen einerseits als Droh- und Bestrafungsmittel der Erwachsenen für die Kinder diene und andererseits Ausdruck des Es sei, das Impulsen folgt, im Gegensatz zum Über-Ich, das Ge- und Verbote einzuhalten versucht. Auf Basis dieses Mythos vom Halbwesen lassen sich nun folgende thematische Grundmuster identifizieren (vgl. ebd., S. 46ff.):
1. Der künstliche Mensch
2. Das Ungeheuer
3. Wesen, die nicht tot und nicht lebendig sind
4. Tiermenschen
5. Doppelgänger
6. Hexen
Auch bei dieser Klassifizierung wirft sich das Problem der Vereinbarkeit mit dem modernen Horror auf. Die Thementypologie nach Seeßlen und Jung spiegelt zum großen Teil nur jene Motive wider, die sich im klassischen Horror finden lassen. Die Rolle, die diese Halbwesen hier gespielt haben, kann auf den modernen Horror nur insofern übertragen werden, als dass er die klassischen Vorläufer aufgreift, reflektiert und stets weiterentwickelt. Viele Theoretiker des Genres hadern mit dem Konzept des Halbwesens als alleiniges Kenn- zeichen des Horrors und widersprechen dem von Seeßlen und Jung gegebenen Anspruch des Halbwesens auf Allgemeingültigkeit. Baumann beispielsweise schreibt diesbezüglich: „Dieses Konzept ist nicht falsch, aber es bedeutet eine unangemessene Reduzierung; nicht nur der innerhalb des Genres auftauchenden Angstobjekte, sondern sogar des engeren Berei- ches widernatürlichen Belebtseins in Form von Anthropo- oder Zoomorphisierung“ (Baumann 1993, S. 287).
2.3.3.5 Klassifizierung nach Baumann
Baumann selbst versucht, die Motive so einzuteilen, dass sie eine Zuordnung des gothischen, als auch des modernen Horrors erlaubt. So greift er bereits vorhandene Typologien auf und zeigt schließlich folgende relevante Grundthemen auf (vgl. ebd., S. 301ff.):
1. Dunkle Mächte
2. Tote und Untote
3. Monster
4. Unheimliche Gegenstände und verdorbene Orte
Die dunklen Mächte sind laut Baumann die Dämonen, Götter, Antigötter und Hexen, die als das Übernatürliche in die fiktionale Welt hereinbrechen. Aus dieser wurden sie häufig mit oder ohne Absicht herbeibeschworen, um dann ihr übles Werk zu verrichten. Die Verbindung zum Okkulten und dem Satanischen liegt relativ nahe. Nicht all zu selten ergreifen diese dunklen Mächte Besitz von den Protagonisten und ihren Körpern.
Wie auch andere Autoren greift Baumann das Motiv der Toten und Untoten auf, die sich zwischen Leben und Nicht-Leben befinden, wie Vampire, Zombies, Mumien und Gespenster. Dabei zeigen diese, vor allem im moderneren Horror, meist all jene „Ästhetik“ auf, die die natürliche Verwesung mit sich bringt.
Der Vampir ist eines der meistgenutzten Motive des klassischen Horrorfilms, wobei es sich auch im modernen Horror in weiterentwickelter Form wiederfinden lässt. Der Mythos des Vampi- rismus, der blutsaugenden Wesen, existiert nicht erst seit Bram Stokers Dracula von 1897, sondern taucht bereits in der griechischen Mythologie auf. Allerdings erlangte das Vampir- Motiv erst seine Berühmtheit mit Stokers Roman. Er bezieht sich auf die historische Figur des rumänischen Fürsten Vlad Tepes mit dem Beinamen Dracul, der für grausamste Pfählungen der Gegner in seinen Feldzügen berüchtigt war. Das Typische des Vampirs ist, dass er das Blut der Lebenden aussaugen muss, um sein eigenes Untotsein zu erhalten. Sobald eine Figur von einem Vampir gebissen wurde, ist sie selbst mit dem Vampirismus infiziert. Das Sinnbild des Vampirismus als ansteckende Krankheit lässt sich demnach kaum von der Hand weisen. Seeß- len und Jung sehen im Motiv des Vampirismus, ganz in psychoanalytischer Manier Freuds, die „denaturierte Form der Liebe“, wobei der Vampir selbst zum „Mittler zwischen männlicher und weiblicher Erotik [wird] und definiert sie als ein Gewalt- und Unterdrückungsverhältnis“ (Seeßlen/Jung 2006, S. 70f.). Die langen Zähne des Vampirs repräsentieren dabei das männli- che Phallussymbol. Im Gegensatz zum Zombie kann sich der Vampir jedoch nicht seiner Ver- nunft entledigen und verbleibt als ein an seinen Begierden leidendes Individuum.
Zombies „sind - besser: waren - normale Mitmenschen ohne besonderen sozialen Hintergrund; im Gegenteil: In ihrer sich zersetzenden, fauligen Existenz bilden sie eine unerhört demokratische Gemeinschaft der Gleichen. Jeglicher Individualismus ist ihnen fremd, sie erscheinen als Masse“ (Baumann 1993, S. 307). Als wiederauferstandene Leichen und voller lustloser, stupider Aggression sind Zombies auf der Suche nach Menschenfleisch, um ihren Hunger zu stillen. Der Grund ihres Wiedergänger-Daseins wird in den Fiktionen auf widrige, meist konstruiert erscheinende Gründe zurückgeführt. Genauso eingeschränkt ist auch ihre Handlungsvielfalt, was dazu führt, dass ihre Vernichtung durch den oder die Helden nur wenig Mitleid auslöst. Die Banalität dieser Zombie-Masse wird von vielen Autoren als Metapher auf die reale Gesellschaft und ihren Konsumsüchten gedeutet.
Im Gegensatz zu den Vampiren und Zombies, die in voller Körperlichkeit erscheinen, zeich- nen sich Gespenster besonders durch ihre Immaterialität und Substanzlosigkeit aus. Dennoch spricht ihnen das Horrorgenre einen gewissen Grad der Einwirkung auf das Materielle zu. Das Konzept der Geister durch den Horror, besonders des Horrorfilms, hat sich stark gewan- delt. Während der klassische Horror dem Gespenst eine visuelle Darstellung mittels weißer Laken zuteil werden ließ, spielt der moderne Horrorfilm mit der Unsichtbarkeit und lässt den Zuschauer durch andere Phänomene an die Anwesenheit eines fremden Wesens glauben.
Das Konzept des Halbwesens von Seeßlen und Jung greift nun aber bei dem speziellen Motiv des Monsters. Meist bildet das Monster, das Ungeheuer, die Einheit aus dem Menschlichen und dem Nichtmenschlichen, wobei Letzteres oft auf etwas Tierisches, auf die animalischen Triebe verweist. Aber auch die Belebung nichtmenschlicher, insbesondere anorganischer Dinge, wie Autos und anderer Gegenstände, zählt laut Baumann zu dem Monster-Motiv. Es geht vorran- gig um die Erschaffung durch den Menschen selbst, denn der „Schwerpunkt dieses Motivkrei- ses liegt weniger in den nichtmenschlichen Komponenten der erschaffenen Wesen, sondern im Prozeß ihrer Belebung - es geht um den Menschen, der in grenzenlosem Hochmut die Rolle Gottes einnehmen will und aus eigener Kraft Leben schafft“ (ebd., S. 310). Das bekannteste Motiv des künstlich erschaffenen Monsters ist das Geschöpf Frankensteins. Seit Mary Shelleys Roman Frankenstein or the Modern Prometheus aus dem Jahr 1818 wird das Horrorgenre von dieser Thematik durchzogen. Vor allem im klassischen Horrorfilm tauchte der Stoff immer wieder in leicht abgewandelter Form auf. Es geht um das Geschöpf des Barons Frankenstein, dass nach seiner Erschaffung einen eigenen Willen entwickelt, wobei es „ursprünglich ein Wesen voller Unschuld [war], das erst durch die Begegnung mit verschiedenen ,Charakter- masken’ der Gesellschaft nach und nach böse und zerstörerisch wird“ (Seeßlen/Jung 2006, S. 52). Auch der Werwolf ist ein populäres Monster-Motiv des Horrorgenres. Charakteristisch für den Werwolf ist, dass es sich eigentlich um einen Menschen handelt, der sich durch besondere Umstände, meist durch die Erscheinung des Vollmondes, zu einem vonseinen Trieben geleite- ten wolfartigen Tier verwandelt und all seine üblichen sozialen Verhaltensweisen ablegt. Inner- halb dieses zeitweiligen Sieges des Es über das Über-Ich, zerfleischt und ermordet der Werwolf die Mitmenschen, kann sich jedoch nach seiner Rückverwandlung nicht mehr an derartige Taten erinnern. Aus dem Motiv des Werwolfes entstammen noch andere Formen, z. B. das Doppelgänger-Motiv der gespaltenen Identität Dr. Jekyll und Mr. Hyde sowie andere Formen der Verwandlungen. Eine Randposition des Monster-Motivs nehmen die isolierten Körperteile ein, die ein Eigenleben entwickeln, selbst nach ihrer Trennung vom Körper. Das Wesen des Monsters zeichnet sich letztlich immer dadurch aus, dass sich etwas Menschliches in etwas Nichtmenschliches, oder umgekehrt, verwandelt. Dieser Prozess der De- und Anthropomor- phisierung bildet den Kern des Monsters im Horrorgenre. Und dieser Prozess ist das, was uns Angst macht: Wir können hinter der bösen, tierhaften und nichtmenschlichen Erscheinung immer noch ein Stück des vertrauten Menschlichen durch bestimmte Verhaltensweisen oder das Aussehen erkennen. Ebenso verbirgt sich andersherum das Animalische und Nichtmensch- liche hinter der menschlichen Fassade und blitzt doch hervor. Und so wird der Mensch selbst zu einem der unheimlichsten Monster im Genre. Während der klassische Horrorfilm seine menschlichen Monster noch hinter einer Maske verborgen hat, verkleiden sich die bösen Men- schen im modernen Horrorfilm hinter anderen sozialen Identitäten. Und dies wiederum wirft den Blick auf den Rezipienten, auf dessen Umfeld, auf uns zurück: Das Monströse im Horror beängstigt uns, weil es uns vertraut ist - es schlummert in unserem realen Umfeld und auch in uns selbst.
Außer diesen Motiven nutzt das Horrorgenre auch unheimliche Gegenstände und Orte. So gehört allen voran der Spiegel zu einem der beunruhigendsten Alltagsgegenstände im fiktio- nalen Horror. Spiegel „eröffnen uns eine Welt, die zwar mit unserer Erfahrung identisch ist, in der wir uns sogar selbst nachweisbar befinden - die für uns aber trotzdem völlig unzugänglich ist, da sich die Grenzfläche nicht überwinden läßt“ (Baumann 1993, S. 322). Und so gibt es unzählige Erzählungen im Horrorgenre, in denen der Spiegel zum Tor in eine Welt wird, die sich von der Welt vor dem Spiegel unterscheidet. Ähnlich verhält es sich auch mit Bildern, die im Horror meist eine Bedeutung über ihr dargestelltes Abbild haben. So kann das Abbild selbst zur Wirklichkeit der Fiktion werden oder das Gezeigte verändert sich, um kommendes Unheil anzukündigen. Dies kann auch über das geschriebene Wort, beispielsweise durch ein Buch, vermittelt werden. Die Liste der Gegenstände, die der Horror nur allzu gern nutzt und die einen derartigen symbolhaften Charakter errungen haben, ließe sich unendlich fortsetzen. Neben den Gegenständen tragen auch die Orte im Horrorgenre häufig eine tiefere Bedeutung in sich. Vor allem im klassischen Horror waren es die Orte, an denen grauenvolle Ereignisse stattgefunden hatten, die sich auf die Charaktere auswirkten und ihr Handeln beeinflussten. Viele Orte erlangen auch ein unheimliches Eigenleben, wobei sie häufig ein Abbild dessen sind, was in ihnen rumort. So wurde besonders das Haus zu einem beliebten Motiv im Genre - Häuser, in denen es spukt oder die ihr Innenleben verändern oder gar verschlingen wollen. Damit kratzt der Horror an unserer Wahrnehmung der eigenen Realität, in der das Haus jener Ort ist, der die Sicherheit und Geborgenheit in der Familie symbolisiert und garantiert.
2.3.4 Erzählweise des Horrors
Neben diesen Grundmotiven zeichnet sich die Charakteristik des Horrorgenres auch noch durch eine besondere Erzählweise aus. Als Teil der Phantastik ist auch der fiktionale Horror dadurch gekennzeichnet, dass er nur einen kleines Stück, einen Ausschnitt der Welt zeigt. Sie muss eng umrissen sein - Orte und Charaktere müssen sich etablieren können. Erst innerhalb eines überschaubaren Mikrokosmos kann das Unheimliche geschehen. Und somit ist dem Genre die totale Sicht auf die Dinge fremd, es spielt vielmehr mit der Perspektive. Während sich dies im Horrorfilm über die Vorliebe für Halbnah- und Naheinstellungen äußert, hat sich in der Horrorliteratur eine Leidenschaft für die detaillierte Beschreibung des Überschaubaren entwickelt. Und wie das Räumliche verliert auch die Zeit im Horrorgenre seinen Anspruch auf Absolutheit. Die Zeit hört auf, „sich linear fortzuentwickeln; sie wird zu einem Medium zyklisch sich wiederholender Ereignisse [...] Die Einheit der Zeit im Horror-Genre ist die Wieder- kehr“ (Seeßlen/Jung 2006, S. 63). Aufgrund dieser Neuorganisation und dem Spiel mit der Zeit hat insbesondere das Medium Film das Genre für sich entdeckt.
Obwohl Horror sich also nicht der normalen Bedingungen von Raum und Zeit bedient, bleibt er dennoch extrem logisch. Jeder „logische Sprung zerstört seine Faszination. In der Inszenie- rung des Grauens ist es nur erlaubt, einige ganz bestimmte Axiome und Gesetze außer Kraft zu setzen: den Unterschied zwischen belebten und ,toten’ Erscheinungen, zwischen Mensch und Tier, zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem“ (ebd.). Wird beispielsweise auch der Unterschied zwischen Erlebtem und Gedachtem angezweifelt, so verlagert sich das Genre in den Bereich des psychologischen Horrorthrillers. Bezeichnend für den Horror ist zudem, dass es keine Zufälle gibt. Die Dinge und Ereignisse sind von Determinismus geprägt und steigen häufig gar auf die Ebene der Symbolhaftigkeit. Und ohne Zufälle kann auch die Anwesenheit des Unheimlichen vom Rezipienten besser akzeptiert werden. Auch wenn er es nicht gleich direkt vor seinen Augen sehen kann, so wird er zumindest mit Indizien genährt, die auf das Unheimliche verweisen. Horror kann letztlich also nur funktionieren, wenn das Publikum seine Spielregeln akzeptiert und sich auf diese einlässt.
2.3.5 Entwicklung des Horrorgenres
Für die Untersuchung der Entwicklung des Horrorfilms lohnt sich ein kurzer Blick auf die Ent- wicklung des Genres vor den Anfängen des Films. Der Beginn des Genres ist nicht erst in der Schauerliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts zu finden sind. Hier allerdings hat das Genre seine Prägung bezüglich der Thematik und Ornamentik erhalten, um zu jenem Unterhaltungs- genre zu werden, das es heute ist. Zunächst möchte ich auf die Abgrenzung des gothischen vom modernen Horror eingehen. Ersterer hat in der Entwicklung des Horrorfilms vor allem die klassische Periode geprägt.
2.3.5.1 Gothischer und moderner Horror
Die Unterscheidung zwischen gothischem und modernem Horror betrifft weniger die zeitliche Einordnung der Werke, sondern vielmehr ihre inhaltlichen Tendenzen. Allerdings wird vor allem in der Geschichte des Horrorfilms ersichtlich, dass man ab Mitte des 20. Jahrhunderts mehr und mehr eine Vorliebe für den modernen Horror entwickelte. Aber was genau unterscheidet diese beiden Aspekte des Horrors?
Beim gothischen Horror geschieht das Unheimliche in einer Welt, die so weit wie möglich von der eigenen, der des Autors und des Publikums entfernt liegt. Genau das war der Fall bei den frühen Formen der Horrorliteratur, die sich vor allem in England während des 18. und 19. Jahrhunderts herausbildeten. Die von der deutschen Romantik abstammenden gothic novels prägten dann den Begriff des gothischen Horrors. Das Gothische hat dabei nichts mit der Gotik als Stilepoche der europäischen Kunstgeschichte gemeinsam. Es beschreibt die beson- dere Ornamentik der spätromantischen Schauerliteratur - eine Bildsprache, die dem Leser den Weg in eine vergangene, mittelalterlich anmutende Zeit bereitete - mit alten Schlössern und Ruinen, Waffen und Gewändern, Totenköpfen und Kerzen. Der Begriff entstand schon sehr früh im englischen Sprachraum, meinte zunächst auch den Bezug auf das Mittelalterliche, hatte jedoch den Unterton des Barbarischen. Im 17. Jahrhundert war das Gothische gleich- bedeutend mit den germanischen Herrschaftsordnungen und gar eine negativ angehauchte Sammelbezeichnung für alle nordgermanischen Stämme. Mit dem verstärkten Aufkommen der gothic novels wurde der Begriff wieder recht positiv konnotiert. Charakteristisch für den gothischen Horror ist die Distanz seiner fiktionalen Welt von der realen Welt des Rezipienten; er geht dabei von „der Gegenwart in die Vergangenheit, vom Bürgertum zum Adel, von der Stadt zur einsamen Burg, vom ich-losen Massenmenschen zum perversen Super-Ego des Mons- ters [...]. Leser und Zuschauer werden dieser Welt nicht in ihrem alltäglichen Leben begegnen; man muss dorthin gelangen wollen, reisend, lesend, träumend“ (ebd., S. 33). Interessanter- weise hatte diese Form des Horrors gerade zu jener Zeit seinen Höhepunkt, als eine Phase der Erneuerung angebrochen war: während der Industrialisierung, der Verbürgerlichung und dem heranbrechenden Kapitalismus. Und somit hatten die gothic novels ihr Publikum besonders in den Reihen des skeptischen Kleinbürgertums, dass nicht an den Fortschritt zu glauben ver- mochte und sich vom aufklärerischen Bewusstsein abwendete. Carroll verweist auf die vier verschiedenen Formen des gothischen Horrors, die sich während seiner Blütezeit abzeichne- ten: den historischen, den natürlichen/erklärbaren, den mehrdeutigen und den übernatürli- chen Horror. „The historical gothic represents a tale imagined past without the suggestion of supernatural events, while the natural gothic introduces what appear to be supernatural phenomena only to explain them away. [...] The equivocal gothic [...] renders the supernatural origin of events in the text ambiguous by means of psychologically disturbed characters“ (Car- roll 1990, S. 4). Den größten Einfluss auf die spätere Entwicklung des Genres hatte das Motiv des Übernatürlichen in der Schauerliteratur, dass die Existenz und grausame Wirkungsweise der unnatürlichen Kräfte auf eine ungeschönte, bildliche Weise darstellte. Entgegen diesem Blick des gothischen Horrors hin zum Nicht-Alltäglichen richtet sich der moderne Horror auf die zeitgenössische und alltägliche Welt. Das Unheimliche erscheint aus einer unserer Realität gleichenden Wirklichkeit. Es gibt keine Distanz mehr, der Leser oder Zuschauer muss sich nicht mehr erst in diese andere Welt begeben, er befindet sich bereits in ihr. Der moderne Horror kann jeden zu jeder Zeit treffen. Innerhalb des modernen Zweiges des Genres lassen sich zwei Tendenzen unterscheiden. Zum Einen ist es das Alte, das in die neue Welt eindringt. Es bedeu- tet die Rückkehr des bereits Verdrängten, dass in der Mitte der Gesellschaft wieder auftaucht. Zum Anderen gebiert die Gesellschaft einen neuen Schrecken aus sich selbst heraus. Dieses moderne Unheimliche könnte unerkannt unter uns leben.
Seit den 1980er Jahren entwickelte sich noch eine weitere Linie des Horrors, die sich gerade im Horrorfilm offenbarte: Der postmoderne Horror vermischt die Aspekte des Gothischen und Modernen, genauer gesagt spielt er mit dieser Vermischung. „Nicht mehr um die Grenze zwi- schen Alltäglichem und dem Phantastischen allein geht es [...], sondern auch um die Grenze zwischen Fiktionen erster und zweiter Kategorie. Der postmoderne Horror lässt sich in gewis- ser Weise ein wenig in die Karten sehen, um dann freilich ein noch verblüffenderes Trickspiel zu zeigen. Postmoderner Horror spielt mit dem Wissen von Lesern und Zuschauern und kann sich darauf verlassen, dass selbst der ,durchschaute’ Mythos noch wirkt“ (Seeßlen/Jung 2006, S. 34).
2.3.5.2 Von der antiken Mythologie bis zum Horrorfilm
Die Faszination am Unheimlichen existiert nicht erst seit den Anfängen der englischen Schauer- literatur oder des Horrorfilms. Film und Literatur als Medien verhalfen dem Genre vielmehr zu dessen Blüte. Die Lust am Gruseln und die Begeisterung für das Unheimliche ist jedoch weit- aus älter - sie lässt sich auf mehrere Jahrtausende zurückverfolgen. Ihr Ursprung liegt in der Mythologie, der Literatur und den Theatern der Antike. Im griechischen Eretria fand man bei Ausgrabungen ein antikes Theater (um 370 v. Chr.), das eine wichtige Besonderheit aufwies: Durch ein unterirdisches Gewölbe konnten während eines Stückes unheimliche Gestalten von unten auf die Bühne gelangen, um das Publikum wirkungsvoll zu ängstigen (vgl. König 2005, S. 14). Aber allein die alte griechische sowie germanische Mythologie beweist, dass das Unheimliche seit jeher einen festen Bestandteil der menschlichen Kultur ausmachte. Es ließen sich zahlreiche Beispiele für das Unheimliche in den Mythen nennen. Man denke nur an die Ungeheuer, denen sich die Götter der griechischen Sagen stellen mussten, so z. B. Hydra, ein neunköpfiges Monstrum aus den Sümpfen, welches mit seinem giftigen Atem alles vernich- ten konnte und dessen Köpfe nach dem Abschlagen doppelt nachwuchsen. Homers Odyssee aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. beispielsweise erzählt unter anderem auch von geisterhaften Verstorbenen, wobei dies von Homer weitestgehend undramatisch dargestellt wurde. Auch in Lukians Totengesprächen, den Nekrikoi Dialogoi (2. Jh. n. Chr.), zeigen sich die ersten Ansätze des Unheimlichen in der Literatur. In William Shakespeares Dramen Hamlet (1602) und Mac- beth (1606) haben Gespenster einen wichtigen Einfluss auf die Handlung.
Den entscheidenden Anstoß für die Herausbildung eines eigenen Literaturgenres lieferte Horatio Walpole 1764 mit dem für das Genre namengebenden Roman The Castle of Otranto: A Gothic Novel. Das Publikum dieser Zeit gierte nach immer mehr Sensationen und so bot Wal- pole mit seinem Schauerroman eine Vielzahl grauenerregender Elemente an, wie ein gruse- liges Schloss, einen Geist und einen verfluchten Bösewicht. Während der Jahrhundertwende hatten die gothic novels ihre Konjunktur: Zwischen 1790 und 1818 wurden über 300 Schauer- romane in England veröffentlicht (vgl. Seeßlen/Jung 2006, S. 51). Das neue Genre erfreute sich äußerster Beliebtheit. Ann Radcliffe schrieb The Mysteries of Udolpho (1794), etab- lierte sich damit als eine der bedeutendsten Autoren der Schauerliteratur und bestach durch eine Mischung aus Rationalität und Romantik. 1795 veröffentlichte Gregory Lewis seinen Roman Ambrosio, or The Monk, in dem erstmals das Motiv des Doppelgängers auftaucht. Das Bewusstsein des Protagonisten ist gespalten und zeigt sich in der Nacht, wenn er nicht länger in Keuschheit lebt, sondern seinen Trieben und der Mordlust freien Lauf lässt. Mit Mary Shelleys Frankenstein or the Modern Prometheus von 1818 wird eines der für das Genre bedeutendsten Motive eines Monsters geboren, das in der Geschichte des Horrors unzählige Wiederbelebungen erfahren hatte. Shelley legte dem Monster aber seine Bosheit nicht als immanente Eigenschaft zugrunde, sondern ließ Frankensteins Geschöpf erst durch die Kon- frontation mit den Menschen einen eigenen bösen Willen entwickeln.
Ein Subgenre der gothischen Literatur bildeten die Vampirromane. Die Erzählungen über die Blutsauger wurden besonders deshalb populär, weil sie die Todesangst der Menschen in dieser Epoche ansprachen und Ausdruck der Hassliebe zum Alten und Irrationalen darstellten (vgl. ebd., S. 53). In einer Gesellschaft, in der Emotionen im Zuge der Aufklärung nicht mehr will- kommen waren, hatte es das Unheimliche der Fiktionen leicht, vom Publikum fasziniert aufge- nommen zu werden. John William Polidoris The Vampyre gilt als das erste literarische Beispiel, das den Mythos des Vampirs aufgriff und entstand 1816 aus einem dichterischen Wettstreit mit Mary Shelley heraus. Joseph Sheridan Le Fanu beschrieb in seiner Erzählung Camilla aus seiner Sammlung In a Glass Darkly von 1872 die Geschichte einer Vampirin, die eine Frau begehrt. Im Gegensatz zu Polidori erhält das Motiv des Vampirs bei Le Fanu die Komponente des tragischen Zerstörers. Der für das Horrorgenre bedeutendste Vampirroman stammt von Bram Stoker aus dem Jahr 1897. Als Höhepunkt und eine der letzten gothic novels betont Dracula noch mehr die Erotik innerhalb des Motivs und wurde aus diesem Grund zum Skan- dalerfolg. Stokers Roman verbindet überlieferte Legenden und die historischen Ereignisse um den tyrannischen Fürsten Vlad Tepes. Der Vampir Dracula kann als historische, moralische und erotische Metapher gesehen werden - als Vertreter der untergegangenen Klasse des Adels, als Mörder und als Verführer. Stoker hatte die romantische Tendenz, die die früheren gothic novels noch in sich trugen, weitestgehend verworfen. Durch diesen Roman wurde Dracula annähernd zum Synonym des Vampirs, auch weil er immer wieder im Verlauf der Geschichte des Horrors auftaucht. Die Internet-Filmdatenbank zählt über 150 Filme, die von diesem einen blutsaugenden Grafen handeln (vgl. imdb.com). Dracula hat eine enorme Popularität erlangt und ist, nicht nur aufgrund seines Vampirdaseins unsterblich geworden.
In Deutschland haben sich während des Booms der gothic novels im englischsprachigen Raum auch zahlreiche Autoren mit dem Schaurigen und Unheimlichen befasst. So waren hier in Zeiten der Aufklärung besonders Geschichten über Gespenster beliebt. Innerhalb der Roman- tik, die ein rationalistisches Weltbild ablehnte, versuchte man, das Publikum für die Undurch- schaubarkeit der Welt zu sensibilisieren. Nennenswert sind Ludwig Tiecks Der blonde Eckbert (1796) oder Heinrich von Kleists Das Bettelweib von Locarno (1810). Als Meister der gespensti- schen Geschichten erwies sich jedoch E. T. A. Hoffmann. Während sein Roman Die Elixiere des Teufels von 1815 noch sehr stark von der englischen Schauerliteratur geprägt war, trugen die Nachtstücke seine eigene Handschrift. Er ließ sich bei seinen unheimlichen Erzählungen von naturwissenschaftlichen und transzendentalphilosophischen Denkweisen inspirieren, auch wenn er selbst nicht daran glaubte. Eine verfremdete Welt wie sie Hoffmann darstellte, lässt sich auch in den Werken des amerikanischen Schriftstellers Edgar Allan Poe wiederfinden, wobei Poe noch mehr die psychische Situation seiner Charaktere in den Vordergrund rückte. Zu seinen bedeutendsten Werken zählen The Fall of the House of Usher (1839) und The Pit and the Pendulum (1843).
Im Zuge des Realismus hatte es das literarische Genre der Schauerliteratur, bis auf Ausnahmen wie Stokers Dracula, relativ schwer und fand nicht mehr dieselbe Faszination beim Publikum wie um die Jahrhundertwende. Erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte die Literatur um das Unheimliche eine Wiederbelebung, in Deutschland beispielsweise durch Hanns Heinz Ewers mit seinen Erzählungen Das Grauen (1907), Die Besessenen (1908) und Alraune (1911). Nun wurde das Phantastische aber durch eine realistischere Darstellung geradezu domestiziert. Auch in der Dramatik waren die schaurigen Elemente seit Ende des 19. Jahrhunderts sehr beliebt. So führte der Théâtre Salon in Paris ab 1899 nur noch Schauer- und Horrorstücke auf. Seit den Anfängen des Kinos hat das Horrorgenre seine Nische im Film gefunden und gewann hier zunehmend an Bedeutung. Die neuen Möglichkeiten der Darstellung des Unheimlichen gegenüber dem geschriebenen Wort waren nicht mehr von der Hand zu weisen und wollten von den Regisseuren ausgetestet werden.
2.4 Der Horrorfilm
Die Lust, sich freiwillig in Grauen versetzen zu lassen, hat auch damit zu tun, dass es eine Lust ist, das Grauenerregende darzustellen, aber noch vielmehr es sich anzusehen. Und Beweise dafür muss man nicht erst in der Fiktion suchen - sie werden uns beinahe täglich in unserer eigenen Realität vorgeführt. Man nehme nur das einfache Beispiel auf unseren Autobahnen: wir stehen im Stau und sobald wir dem Grund desselben nähergerückt sind, können unsere
Augen nicht davon ablassen. Wir sehen Blaulicht, einen schrecklichen Unfall und unser Blick ist vom Geschehen magisch angezogen. Auf dieses Phänomen der Sensationslust möchte ich im Späteren noch einmal zu sprechen kommen.
Natürlich gibt es noch einen gehörigen Unterschied zwischen der Realität und der fiktiona- len Darstellung. Wir, die Rezipienten, sind schließlich nicht direkt am Geschehen der Fiktion beteiligt und betrachten es in der Regel als Außenstehende. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir nicht in den Verlauf der Dinge eingreifen können. Unsere einzige Möglichkeit ist es höchstens, die Rezeption abzubrechen - das Buch zuzuschlagen, das Kino zu verlassen oder den Fernseher auszuschalten. Beim Genuss der Fiktion können wir uns sicher sein, dass das fiktionale Grauenerregende nicht in unsere eigene Welt eintreten kann, sondern nur durch die Sprache oder Bilder und Ton seine Wirkung erzielt. Allerdings unterscheiden sich Literatur und Film sehr stark in ihrer Rezeptionsweise, vor allem in ihrer Glaubwürdigkeit: „Da wir zwar Erfahrung darin haben, mit Worten Nichtseiendes zu behaupten, also zu lügen, aber weni- ger, dasselbe mit Hilfe von Bildern zu tun, billigen wir diesen weitaus eher zu, Wirklichkeit unverfälscht wiederzugeben“ (Baumann 1993, S. 91). Dem Film ist es gegenüber der Litera- tur weitaus besser möglich, das Unheimliche realistisch zum Ausdruck zu bringen, wodurch er sich von allen medialen Möglichkeiten, die das Horrorgenre hat, besonders abhebt. „Der Film strahlt die Erscheinung des Entsetzlichen an, dem wir sonst im Dunklen begegnen, macht das in Wirklichkeit Unvorstellbare zum Schauobjekt“ (ebd. zit. n. Kracauer 1974). Wäh- rend der Leser auf das Kommentierende des Erzählers, insbesondere auf gefühlsauslösende Beschreibungen angewiesen ist, kann sich der Zuschauer eines Horrorfilms selbst ein klares Bild über das dargestellte Grauenhafte machen, weniger gefiltert und beeinflusst von der Wahrnehmung eines Autoren. Hierin liegt jedoch auch das Manko des Horrorfilms gegenüber dem geschriebenen Wort: Das Filmische zwingt das Dargestellte, konkret zu werden. Was in einer literarischen Erzählung noch vage beschrieben werden kann und somit die Vorstellungs- kraft des Lesers animiert, erhält im Film eine deutliche Erscheinung, die auf der subjektiven Vorstellung des Regisseurs basiert. Da das Unheimliche im Film sehr viel mittelbarer ist, kann es auch nur solange wirklich grauenerregend sein, wie es nicht in seiner Gesamtheit gezeigt wird und sein Bild in unserer Phantasie entsteht. Was das Medium Film der Literatur voraus hat, sind seine technischen und dramaturgischen Möglichkeiten. Die Kamera kann verschiedene Per- spektiven einnehmen und so auch den Blickwinkel des Zuschauers innerhalb des Geschehens verändern, wodurch wir es in seiner Gänze erleben können. Der Horrorfilm treibt dann ein Spiel mit der Identifikation: Wir sind nicht mehr nur stille Beobachter, sondern können auch mit den Augen der Opfer oder mit denen des Bösen sehen.
2.4.1 Subgenres des Horrorfilms
Innerhalb des Horrorfilmgenres haben sich verschiedene Subgenres herausgebildet, die sich aber, wie das Horrorgenre selbst mit anderen Kunstgattungen, nur schwer voneinander ab- grenzen lassen. Das hauptsächliche Unterscheidungskriterium ist dabei die Art der Darstellung und kaum das Gezeigte selbst. Bei Letzterem würden die Subgenres die Motive des Horrors wiederspiegeln, die zwar auch eine Einteilung der Horrorfilme ermöglicht, allerdings auf einer anderen Ebene. Viele der Horrorfilme verweigern eine Zuordnung zu einem der folgenden Subgenres oder befinden sich in ihren Grenzbereichen.
Aus Sicht der Jugendschützer und Kritiker des Horrors brachte die Familie der Horrorfilme ein schwarzes Schaf mit all jenen Filmen hervor, die sich mit der Destruktion bis hin zur totalen Auflösung des Körpers beschäftigen - diese gar zelebrieren. Der menschliche Körper wird zum Gegenstand des eigentlichen Interesses. Dieser harte und aggressive Horror kehrt das Innerste des Körpers nach Außen und scheint in dieser extremen Körperlichkeit keine Tabus und Gren- zen mehr zu kennen. In den Begrifflichkeiten spiegelt sich die Faszination dieser Filme für das Innere wider. Während das Subgenre des Gore, englisch für Blut, besonders das geronnene Blut und die Verwesung des Körpers in den Vordergrund stellt, zeigt der Splatter-Movie (engl. to splatter: herumspritzen) den Akt des Zerreißens und Zerstückelns selbst und wie dadurch die Eingeweide und Körpersäfte aus dem Körper heraustreten. Im Gegensatz zum Splatter, bei denen die Körper wie bei einem Metzger in ihre Einzelteile zerlegt werden, bevorzugt das Genre des Slasher (engl. to slash: schlitzen) das beinahe chirurgenhafte Eindringen einer schar- fen Waffe in den Körper. Diese besonders in den 1970er Jahren populäre Form des Horrorfilms berührt das Phantastische nur noch ein seinem Randbereich. „In der Regel beschränkt es sich auf die Begründung des terroristischen Wesens, eines maskierten, verunstalteten, grundlos Bösen, das durch Berührung mit einem magischen Objekt, als Wiedergeburt alter Dämonen oder als Ausdruck kranker Familienromane über die Menschen kommt, um mit Sorgfalt und Phantasie eine Serie von Morden zu begehen, die nicht so sehr einer Dramaturgie als vielmehr einer Art von Komposition gehorchen“ (Seeßlen/Jung 2006, S. 757). Auf der einen Seite sind die Täter übermächtige, böse und nicht sterbende psychotische Wesen, deren Wiederkehr geradezu garantiert wird. Auf der anderen Seite hat sich ein plakativer Slasher-Movie heraus- gebildet, bei dem sich das Unheimliche in Gestalt eines selektiv tötenden Serienmörders hinter einer Maske versteckt und die Frage nach dessen Identität die Spannung nach oben treibt. Den bedeutenden Startpunkt für dieses Subgenre setzte Halloween - Die Nacht des Grauens (Halloween, John Carpenter, 1978), an dem sich viele nachfolgende Slasherfilme orientierten. Häufig sind die Protagonisten und Opfer in den Filmen noch recht jung, wodurch sie auch als Teenage-Slasher bezeichnet werden. Dieser hatte einen erneuten Boom in den 1990er unter anderem mit Scream - Schrei! (Scream, Wes Craven, 1996). Alle drei Ausprägungen des körperlichen Horrorfilms geben kaum eine Begründung für das grausame Geschehen an den Körpern. Es geht also nicht um die Ursache, sondern um die Form der Gewalt.
Im Subgenre der Exploitation (engl. für Ausbeutung) werden bestimmte Tabuthemen regelrecht ausgeschlachtet, um die Sensationslust der Zuschauer zu befriedigen. Meist zeigen derartige Filme die Kombination aus Horror und Sex (Sexploitation), Missbrauch von Frauen, ethnologische Minderheiten, z. B. Blaxploitation mit afroamerikanischen Protagonisten oder auch historisch begründete Tabuthemen wie der Nationalsozialismus (Naziploitation). Nur all zu häufig rutschen die Filme der Exploitation auf die Ebene des billig produzierten Trashs ab und konnten somit nicht wirklich ein breites Publikum finden.
Gerne geht der Horror eine Verbindung mit anderen Genres ein. Zu einem sehr beliebten Crossover des Horrorgenres gehören die Horrorkomödien und -parodien. Sie bedienen nur noch unterschwellig das Ziel des Horrorfilms, den Zuschauer in Angst zu versetzen. Als beson- dere Form des Humors entsteht der Witz in den Horrorkomödien aufgrund der Kenntnis der Charakteristik und der Regeln des Horrorgenres. Sehr eindringlich kann das der Zuschauer in Roman Polanskis Tanz der Vampire (The Fearless Vampire Killers, 1966) erfahren, in dem das Motiv des Vampirs mit seinen klassischen Aspekten auf intelligente Weise parodiert wird. Mit weniger cleverem Witz, dafür recht erfolgreich, persifliert die aktuelle Scary Movie-Reihe (Scary Movie 1-4, Keenen Ivory Wayans, David Zucker, 2000-2006) gleich mehrere Horrorfilme auf einmal. Der Humor dieser Filme gründet sich fast nur noch auf Slapstick und auf im Fäkal- bereich angesiedelte Pointen.
Wie bereits schon erwähnt, liegt das Genre des Thrillers sehr nah an dem des Horrors. Als Crossover dieser Beiden beschäftigt sich der Horrorthriller mit den Komponenten des Psycho- logischen und des Unheimlichen gleichermaßen. Meist nistet sich das Böse als eine fremde Macht in die Psyche des Protagonisten ein, wie beispielsweise in Shining (The Shining, Stanley Kubrick, 1979).
Gesondert zu betrachten ist das Genre des Psycho-Horrors, bei dem das Unheimliche nicht offensichtlich gezeigt wird, sondern als subjektlose, diffuse Bedrohung wirkt und sich nur in unserer und der Psyche der Protagonisten abspielt. Nur bestimmte Indizien verweisen auf die Existenz dieses Unheimlichen, seine Erscheinung bleibt verschleiert, wie z. B. in The Blair Witch Project (The Blair Witch Project, Daniel Myrick, Eduardo Sánchez, 1998).
2.4.2 Ästhetik des Horrorfilms
Um den Zuschauer beängstigen zu können, braucht das Horrorgenre nicht nur das Unheimli- che als inhaltlichen Aspekt, sondern genauso - und besonders im Horrorfilm - die Ebene der grauenerregenden Ästhetik. Was die Literatur dem Medium Film voraus hat, muss Letzterer durch seine ästhetischen und technischen Möglichkeiten aufholen. Durch die im Horrorfilm erzwungene Konkretisierung des Unheimlichen bedarf es keiner weiteren Vorstellungskräfte des Zuschauers. Im Gegensatz dazu hat es die Sprache der Literatur einfacher, mehrdeutig zu bleiben und somit das Unheimliche im Kopf des Lesers entstehen zu lassen. Diesem ent- scheidenden Nachteil setzt das Medium Film sein darstellerisches Können entgegen. Um die Gefühle des Horrors beim Zuschauer auszulösen, macht sich der Horrorfilm die Möglichkeiten auf dramaturgischer und visueller Ebene zu Nutze. Zusätzlich verfügt er aber noch über einen ausschlaggebenden Vorteil gegenüber dem geschriebenen Wort: die Gestaltung auf auditiver Ebene. Und somit bedient sich der Horrorfilm unserer Fähigkeit des Hörens nicht nur über die Sprache, also Dialoge und Stimmen, sondern auch über die Musik und Geräusche, um uns zu erschrecken oder erschaudern zu lassen.
[...]
- Quote paper
- Heike Ulbrich (Author), 2007, Der Horrorfilm als Spiegel unserer Angst, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195023
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