1. Einführung
“Einmal kommt ja die Frau, die uns unbewußt an allen anderen Frauen rächt und die uns radikal frißt. Mit Haut und Haaren, Leib und Seele.” 1
Schon immer wies die literarische Imago der Frau eine Zwiespältigkeit auf, die von Lena Lindhoff in ihrer “Einführung in die feministische Literaturtheorie” wie folgt definiert wird:
"Die Bilder, die die Literaturgeschichte überliefert, umfassen so unterschiedliche Imagines wie das der Madonna, der Hexe, der jugendlichen Unschuld [...]. Sie spalten das Weibliche in eine idealisierte und eine dämonische Gestalt. Die Frau ist [...] Heilige oder Hure, Engel oder Dämon." 2
Daraus lässt sich schließen, dass die Bilder der imaginierten Weiblichkeit in der Literatur entweder in den Rang des Vollkommenen gehoben und angebettet oder in das Reich des Abstoßenden, der Sünde verwiesen werden. Das Schöne der idealisierten Frauenimago erfährt in der Literatur wenig Beachtung. Dieser Typus des Weiblichen erleidet Passivität, ist in seinem gesellschaftlichen Rahmen eingeschränkt und infolgedessen auch beschränkt. Monotonie bestimmt das narrative Dasein dieser Frauengestalt. Anders ihr Gegenstück: das dämonisierte Frauenbild. Impulsiv und von ihrer unbändigen Lust getrieben, weckt die Dämonin geheime Wünsche und Ängste und ist ihrem idealisierten Gegenbild weit überlegen. Das Sinnbild dieser verhängnisvollen, dämonenhaften Frau, die zeitgleich die Merkmale des Eros und des Thanatos impliziert, ist in der Geschichte des Altertums und in der Mythologie tief verankert. Beispiele für Personifikationen des dämonischen Weiblichen liegen dabei auf der Hand und sind entweder als Meduse und Salome oder als Helena und Loreley allseits bekannt.
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1 Wegner, Matthias. Klabund und Carola Neher. Berlin 1996. S. 102. Zitiert nach: Borrmann, Norbert. Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. München 1999. S. 231.
2 Lindhoff, Lena. Die Einführung in die feministische Literaturtheorie. 1. Aufl. Stuttgart 1995. S. 17.
Die Gestalt der Wiedergängerin, des weiblichen Vampirs, die nicht zuletzt wegen ihres verworfenen Frauenbildes ein interessantes Forschungsfeld darstellt, gliedert sich in diese scheinbar endlose Reihe von verhängnisvollen Frauen ein, die die männliche Angst vor der (sexuell) potenten Weiblichkeit widerspiegeln. Durch “verschiedene Motivationen geleitet, der Gier nach Liebe, Blut oder Sex”3, stellt die Wiedergängerin darüber hinaus eine Erweiterung des
Mythos der verhängnisvollen Frau dar ..
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Pathologie einer “Mörderin”: Die literarische Genese der Wiedergängerin
2.1 Der (un)tote Mythos und die Auferweckung der Wiedergängerin
2.2 Blutige Küsse und romantische Gattung: Die (Un)Tote im Spiegel der Schwarzen Romantik
2.3 Die Wiedergängerin als femme fatale und “New Woman”
3. Die Rezeption des Wiedergängerin-Motivs in der russischen Literatur Mitte des 19. Jahrhunderts: Aleksej Tolstoj - Ivan Turgenev
3.1 Von Wieder- und Doppelgängerinnen
3.1.1 Die Wiedergängerin zwischen Wunschtraum und Double
3.1.2 Die wiedergängerische Hexe: Die Frau als Teufelsweib
3.2 Von femme fragile zu Vamp: Der “gefährliche” Eros
3.2.1 Zdenka: Femme zwischen fragile und fatale
3.2.2 Die (a)sexuelle Dimension der “russischen” Wiedergängerin
3.3 Die Frage des Geschlechts oder das Versagen der “russischen” Wiedergängerin
3.3.1 Das Blut. Die Kraft des “besonderen Saftes”: Ein Exkurs
3.3.2 Die Wiedergängerin im Spannungsfeld der Geschlechter
3.3.3 Der (un)gültige Tod oder die Frage nach dem Versagen der “russischen“ Wiedergängerin
4. Schlussbetrachtung
5. Literaturverzeichnis
1. Einführung
“Einmal kommt ja die Frau, die uns unbewußt an allen anderen Frauen rächt und die uns radikal frißt. Mit Haut und Haaren, Leib und Seele.” [1]
Schon immer wies die literarische Imago der Frau eine Zwiespältigkeit auf, die von Lena Lindhoff in ihrer “Einführung in die feministische Literaturtheorie” wie folgt definiert wird:
"Die Bilder, die die Literaturgeschichte überliefert, umfassen so unterschiedliche Imagines wie das der Madonna, der Hexe, der jugendlichen Unschuld [...]. Sie spalten das Weibliche in eine idealisierte und eine dämonische Gestalt. Die Frau ist [...] Heilige oder Hure, Engel oder Dämon. " [2]
Daraus lässt sich schließen, dass die Bilder der imaginierten Weiblichkeit in der Literatur entweder in den Rang des Vollkommenen gehoben und angebettet oder in das Reich des Abstoßenden, der Sünde verwiesen werden. Das Schöne der idealisierten Frauenimago erfährt in der Literatur wenig Beachtung. Dieser Typus des Weiblichen erleidet Passivität, ist in seinem gesellschaftlichen Rahmen eingeschränkt und infolgedessen auch beschränkt. Monotonie bestimmt das narrative Dasein dieser Frauengestalt. Anders ihr Gegenstück: das dämonisierte Frauenbild. Impulsiv und von ihrer unbändigen Lust getrieben, weckt die Dämonin geheime Wünsche und Ängste und ist ihrem idealisierten Gegenbild weit überlegen. Das Sinnbild dieser verhängnisvollen, dämonenhaften Frau, die zeitgleich die Merkmale des Eros und des Thanatos impliziert, ist in der Geschichte des Altertums und in der Mythologie tief verankert. Beispiele für Personifikationen des dämonischen Weiblichen liegen dabei auf der Hand und sind entweder als Meduse und Salome oder als Helena und Loreley allseits bekannt.
Die Gestalt der Wiedergängerin, des weiblichen Vampirs, die nicht zuletzt wegen ihres verworfenen Frauenbildes ein interessantes Forschungsfeld darstellt, gliedert sich in diese scheinbar endlose Reihe von verhängnisvollen Frauen ein, die die männliche Angst vor der (sexuell) potenten Weiblichkeit widerspiegeln. Durch “verschiedene Motivationen geleitet, der Gier nach Liebe, Blut oder Sex”[3], stellt die Wiedergängerin darüber hinaus eine Erweiterung des Mythos der verhängnisvollen Frau dar, indem sie diesen Aspekt der imaginierten Weiblichkeit mit neuen Attributen, wie etwa das der tabuisierten, nekrophilen Sexualität, ausstattet, was der Wiedergängerin etwa im Zeitalter der Schwarzen Romantik den vielsagenden Beinamen “Totenbraut” einbringt.
Wiewohl der Höhepunkt der literarischen Umsetzung des Vampirmotivs unzweifelhaft mit dem 19. Jahrhundert zu datieren ist[4], gewinnt dieses insbesondere in Bezug auf die Gestalt des weiblichen Vampirs in den letzten Jahren seitens der Literaturwissenschaften immer mehr an Aufmerksamkeit, wobei zunehmend nach neuen Interpretationswegen dieses Motivs gesucht wird. An dieser Stelle seien vor allem zwei Arbeiten hervorzuheben: die Arbeit von Petra Flocke “Vampirinnen’ [5] (1999) sowie Publikation von Angelika Schoder mit dem Titel “Blutsaugerinnen und Femmes Fatales’ [6] (2009). Wer jedoch darauf hofft, im Hinblick auf die Ergebnisse dieser Untersuchungen ein homogenes Abbild der Wiedergängerin vorzufinden, wird unweigerlich feststellen, dass die Perspektive der beiden Forschungsarbeiten von den Genderstudies bis über die religiös, feministische Sichtweise des Wiedergängerin-Motivs reicht.
Bereits zu Beginn ihrer Ausführung weist Petra Flocke darauf hin, dass die Vampire im Grunde weiblicher Natur sind und spricht damit die Vorherrschaft über die Vampirdomäne dem männlichen Pedanten, dem Vampir, direkt ab, indem sie ihre Behauptung durch die vorrangige Stellung des weiblichen Vampirs in altertümlichen Mythen und Literatur begründet.[7] Die vorrangige Stellung der Wiedergängerin im Rahmen des Wiedergänger-Mythos weiß Petra Flocke auch anders zu belegen, wenn sie den weiblichen Revenant in einem religiösen Aspekt zu wissen glaubt und das “männliche[] Bild dämonischer Weiblichkeit’ [8] sogar als eine Vertreterin des Göttlich-Weiblichen[9] kennzeichnet. Die anschließende Schilderung der alles umspannenden Trinität des naturnahen Göttlich-Weiblichen (Erde, Himmel, Unterwelt oder Geburt, Leben, Tod usw.) seitens der Autorin liefert letztendlich den Hinweis darauf, dass die dreifältige Göttin sowohl eine helle als auch eine dunkle Seite aufzeigt, wobei beide Seiten eine Affinität zu Blut aufweisen. Die helle Göttin, die über Geburt und Leben herrscht, suggeriert das Blut als Leben spendenden Saft, wohingegen die dunkle Göttin das Blut als Sinnbild von Gewalt und Tod wahrnimmt.[10]
Die Wiedergängerin ist demzufolge mit ihrem (un)toten Körper der dunklen Seite der dreifaltigen Göttin zugewandt. Die Blutsaugerin hinterfragt jedoch das Göttlich-Weibliche in allen drei Aspekten, so Petra Flocke, indem sie dieses in seiner Funktion als Mutter untergräbt.[11] Die Göttin spendet zwar analog zur Wiedergängerin den Tod, doch sie kehrt diesen aufgrund ihrer Periodität um und erschafft daraus neues Leben. Die Vampirin ist in dieser Hinsicht egoistisch. Sie ist in der Lage, ein Leben zu nehmen, indem sie sich des Blutes ihrer Opfer bemächtigt; doch verlängert sie damit lediglich ihr eigenes klägliches Dasein, anstatt wie die Göttin ein neues Leben zu erschaffen, und kehrt somit das Mutterprinzip der Göttin ins Negative um.
Die Umkehrung des Leben gebenden Prinzips der weiblichen Mutter-Gottheit durch die Wiedergängerin sieht Petra Flocke in der Sicherung der “Nachkommenschaft nicht mehr durch den Akt des Gebärens, sondern durch den Biß”[12] und verweist daraufhin auf das Triebhafte der Wiedergängerin, die auf diese Weise “in männliches Terrain einbricht”[13] und “eine Position der sexuellen Machtausübung”[14] zu erreichen vermag.
Beinahe dieselbe Meinung vertritt auch Angelika Schoder, die sich in ihrer Abhandlung dem Aspekt der Wiedergängerin, “dem Weib als Vampir”[15], viel eher aus sozialgeschichtlichem Blickwinkel nähert und dabei verstärkt auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts eingeht. Infolge dieser genderbehafteten Kurzbetrachtung kommt die Autorin schließlich zu dem Ergebnis, dass die Wiedergängerin “aus der den Frauen zugewiesenen Rolle [ausbricht] und [...] dabei die Grenzen von Geschlecht und Geschlechtlichkeit [lockert bzw. Übertritt]”[16], während der “bedrohliche Vampirkörper [...] als Veranschaulichung der Übertretung der Definitionsgrenzen zwischen Mann und Frau [dient]”.[17] Die Wiedergängerin verliert innerhalb des von Angelika Schoder aufgestellten Definitionsrahmens ihre festgeschriebene Geschlechtlichkeit des Weiblichen und entwickelt sich zu einem Zwitterwesen, dessen biologisches Geschlecht (sex) zwar weiblich bleibt, dessen soziales Geschlecht (gender) aber zur männlichen Geschlechtlichkeit tendiert.[18] Darüber hinaus wird der Wiedergängerin aufgrund ihrer nicht geschlechtlichen Reproduktionsmöglichkeit durch den Biss die Rolle des “dritte[n] Geschlecht[s]”[19] zugeschrieben, welches in der Lage ist, “das Konzept eines biologischen Geschlechtes”[20] gänzlich zu untergraben.[21]
Zugegebenermaßen beziehen sich die Schilderungen beider Autorinnen, sowohl die von Petra Flocke als auch die von Angelika Schoder, auf die Beispieltexte westlicher, englisch-, deutsch- oder französischsprachiger Publikationen, die das Motiv der Wiedergängerin gänzlich oder nur teilweise thematisiert haben. Während Abraham Stokers Roman “Dracula” (1897) oder Sheridan Le Fanus Novelle “Carmilla” (1872) sich allseitiger Interpretationsvielfalt erfreuen können, wird der Gestalt des “russischen” Wiedergängers und insbesondere der im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehenden Figur des weiblichen Wiedergängers vonseiten der obengenannten Autorinnen kaum Aufmerksamkeit geschenkt. So bleiben Aleksej Tolstojs Erzählungen “Upir'” (1841) und “Sem'ja vurdalaka” (1840) wie auch Ivan Turgenevs Werk “Prisraki” (1864) in der Forschungsliteratur weitgehend unbeachtet, was nicht nur einen Mangel der besagten Forschungsarbeiten darstellt, sondern auch eine Vielzahl an weiteren Untersuchungen über den Vampirinnen-Mythos betrifft.
Die mangelnde Rezeption dieser drei das Motiv der Wiedergängerin explizit aufgreifenden Werke seitens der Literaturwissenschaft ist einer der ausschlaggebenden Gründe für das Abfassen vorliegender Arbeit, deren Absicht es ist, das Motiv der Wiedergängerin in der russischen phantastischen Literatur Mitte des 19. Jahrhunderts einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. Darüber hinaus soll unter Zuhilfenahme der neuen Forschungsansätze des Wiedergängerin-Mythos versucht werden festzustellen, ob die Imago der “russischen” Wiedergängerin sich vom Pendant ihrer westlichen Genossinnen abhebt bzw. unterscheidet.
Um beide weiblichen Gestalten des Wiedergängertums, die “russischen” und die “westlichen”, einem Vergleich unterziehen zu können, wird zu Beginn der Untersuchung eine Übersicht der literarischen Genese der Wiedergängerin dargelegt, die zudem das Gesamtbild der “westlichen” Wiedergängerin zu vermitteln vermag. Im darauffolgenden dritten Kapitel der Arbeit kann direkt zur Analyse des Wiedergängerin-Motivs in der russischen Literatur übergegangen werden, wobei die Gestalt der “russischen” Wiedergängerin vor allem im Hinblick auf ihr Erscheinungsbild als Tag- bzw. Nachttraum, als Doppelgängerin und Teufelsweib in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt werden soll.
Der zweite Abschnitt des dritten Kapitels widmet sich dem erotischen Aspekt des Wiedergängerin-Motivs, der zwischen Eros und Gefahrpotenz zu schwanken scheint. In diesem Zusammenhang soll die Entwicklung der Wiedergängerin von der femme fragile zur femme fatale anhand Tolstojs Erzählung “Sem'ja vurdalaka” nachverfolgt werden, um anschließend die sexuelle bzw. asexuelle Tragweite der Gestalt der “russischen” Wiedergängerin aufzeigen zu können. Diesem Abschnitt der Arbeit fügt sich das dritte Unterkapitel an, in dessen Mittelpunkt zum einen die symbolische Tragweite des Blutes in Bezug auf das Motiv der Wiedergängerin zur Sprache kommen soll. Des Weiteren ist der Frage des symbioseähnlichen Intermezzos zwischen Blut und Macht nachzugehen, wobei Blut und Macht in der literarischen Umsetzung des Wiedergängerin-Mythos wichtige Elemente der “sexuelle[n] Machtausübung”[22] repräsentieren. Dabei soll versucht werden, die Figur der “russischen” Wiedergängerin in Relation zu ihrem männlichen Gegenüber zu charakterisieren.
Bevor die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit im vorletzten Passus zusammengefasst werden und ein Fazit gezogen wird, stellt sich im dritten und letzten Abschnitt des dritten Unterkapitels dieser Untersuchung die Frage nach dem Versagen bzw. dem Unvermögen der “russischen” Wiedergängerin, die zwar zum Töten auserkoren, aber dennoch nicht in der Lage ist, diese Todsünde letztendlich auch zu begehen bzw. die Tötung ihres Opfers in die Tat umzusetzen. Die Ursache des Unvermögens der Wiedergängerin als Täterin mag hauptsächlich in ihrer Wesenheit per se verborgen liegen, doch steht die endgültige Antwort auf diese Frage noch nicht fest und kann erst im Verlauf der gesamten Untersuchung gefunden werden.
2. Pathologie einer “Mörderin”: Die literarische Genese der
Wiedergängerin
Die Gestalt der Wiedergängerin, wie man sie in heutiger Belletristik und im Film als laszive femme fatale zur Kenntnis nehmen kann, hat im Laufe der Zeit eine umfangreiche Entwicklung durchmachen müssen, um sich von einer menschenfressenden und kindermördernden Dämonin in einen schönen Vamp verwandeln zu können. Bei der Betrachtung der Entwicklungsgeschichte der Revenantin, die vor allem auf dem Gebiet der Literatur festzuhalten ist, ist eine Unterteilung der literarischen Genese des Wiedergängerin-Mythos in drei Perioden unerlässlich. So kann zwischen einer Anfangssphase des Wiedergängerin-Mythos, der Romantisierung des Motivs der Wiedergängerin zum Zeitpunkt der Schwarzen Romantik und der partiellen Neuerfindung des Wiedergängerin-Motivs am Ende des 19. Jahrhunderts unterschieden werden. Im Folgenden stehen zuerst die Anfänge des Wiedergängerin-Motivs im Zentrum der Untersuchung, wobei nicht nur die Mythen über die (un)tote Dämonin, sondern auch ihre “Auferweckung” als ein Motiv des Literarischen zur Sprache kommen sollen.
2.1 Der (un)tote Mythos und die “Auferweckung” der Wiedergängerin
Die Mythen, die sich um die Gestalt der Wiedergängerin reihen, sind zahlreich und lassen ihren Ursprung bereits in der vorchristlichen Zeit vermuten. Einer der ältesten überlieferten Wiedergängerin-Mythen ist im Talmud zu finden und handelt von Lilith, der ersten Frau Adams. Der Legende nach weigert sich Lilith, sich Adam zu unterwerfen, und flieht, um sich schließlich in einer Wüste niederzulassen und mit einem Dämon eine Heerschar an Kindern zu zeugen. Als Gott davon erfährt, tötet er Hunderte ihrer Kinder, um sie zu einer Rückkehr zu Adam zu bewegen. Doch Lilith verweigert Gott den Gehorsam und schwört Rache. Fortan verfolgt sie der Überlieferung nach sowohl Männer als auch Wöchnerinnen und Kinder, saugt ihnen des Nachts das Blut aus und trachtet ihnen nach dem Leben.[23]
In der Dichtung der Antike erscheint die Blutsaugerin hauptsächlich in der Gestalt der Lamia und der Empuse, um auch hier vorwiegend männliche Opfer ihres Samens bzw. ihres Blutes zu berauben. So wird etwa in Philostratos’ Schriften über das “Leben des Apollonions von Tyana” (entstanden etwa 217-238 n. Chr.) von einem Mann berichtet, der einer Empuse in menschlicher Gestalt beinahe zum Opfer fällt. Norbert Borrmann weist zudem darauf hin, dass in den “Metamorphosen” (ca. 175 n. Chr.) von Apuleius oder in Ovids “Fasti” (ca. 8 n. Chr.) ebenfalls Hinweise auf bluttrinkende Dämoninnen zu finden sind, die sich als nächtliche Succubi ihres Opfers bemächtigt haben.[24]
Abgesehen von den mythischen Überlieferungen über weibliche, bluttrinkende Dämonen sind diese antike Dichtungen wohl den ersten Zeugnissen der literarischen Abfassung des Wiedergängerin-Motivs zuzuordnen und sind außerdem bis ins 18. Jahrhundert hinein vorerst die letzten literarischen Spuren der Wiedergängerin. Als jedoch in den 1720er-1730er Jahren des 18. Jahrhunderts eine Reihe von medizinischen Berichten über Vampirismusfälle in Bosnien und Serbien in Europa eine Vampirpanik auslöst, gewinnt die Gestalt der Wiedergängerin nebst ihrem männlichen Gegenstück erneut an Präsenz. Aufgrund der Meldungen aus Osteuropa, die von Exhumierungen von nicht verwesten und sich bewegenden Leichen handeln, wird der Vampir bzw. die Vampirin zwar zum Gesprächsstoff in Kreisen der Wissenschaft, bleibt jedoch auf der Ebene der belletristischen Literatur bis auf ein paar wenige Ausnahmen, wie etwa das anekdotische Gedicht “Der Vampir” (1748) aus der Feder des deutschen Lyrikers Heinrich August Ossenfelder oder Gottfried August Bürgers Schauerballade “Lenore” (1774), weitgehend unbeachtet.[25]
Susanne Pütz macht deutlich, dass dieses Nichtbeachten des Wiedergänger- bzw. Wiedergängerin-Motivs auf eine allgegenwärtige “rationalistische Geisteshaltung”[26] der Dichtung zurückzuführen ist, die sich gänzlich auf die Vernunft und Erkenntnisse der Wissenschaft berufen hat.[27] Erst 1797, im Zeitalter der Romantik, ist es Johann Wolfgang von Goethe, der das Motiv der Wiedergängerin aufgreift und in seiner Ballade “Die Braut von Korinth” dem Mythos der Blutsaugerin neues Leben einzuhauchen vermag. Goethes Ballade ist dabei zwar mit typischen Elementen “einer spätantiken Gespenstergeschichte”[28] ausgestattet, doch weist sie dem Motiv der Wiedergängerin gleichermaßen eine zentrale Stellung zu und liefert ein anderes, modifiziertes Bild der antiken Dämonengestalt. Erscheint die Figur der Wiedergängerin in der Antike noch als ein blutrünstiger und menschenverschlingender Dämon, nimmt sie in Goethes “Braut von Korinth” die Züge einer nächtlichen Besucherin an, die von ihrer Trauer um die unerfüllte Liebe gekennzeichnet ist. Die wiedergängerische Braut, von ihrer frommen Mutter in den Tod gehetzt, verlässt ihre Grabstätte, um in ihrem ehemaligen Elternhaus auf ihren Bräutigam zu treffen, nach dem sie sich sehnt. Anfangs noch zögernd und schüchtern, legt die Totenbraut ihre Scheu jedoch bald ab, um die Werbungsversuche ihres Bräutigams anzunehmen. Nach einem gemeinsamen Mahl und subtilen erotischen Annäherungsversuchen saugt sie gierig an “seines Mundes Flammen”[29] und nimmt den Jüngling schließlich mit in den Tod.
Das Motiv der einst dämonischen Blutsaugerin erfährt im Zuge einer Neuaufarbeitung des Wiedergängerin-Mythos scheinbar eine Romantisierung und wird mit Merkmalen des Anthropomorphen ausgestattet. Denn die vampirische Totenbraut handelt nicht aus Boshaftigkeit und Rache, wie einst Lilith, sondern aus morbidem Liebesverlangen und Sehnsucht nach ihrem Geliebten. Sie ist nicht mehr die Täterin, sondern ein Opfer, das unschuldig das Los des Wiedergängertums empfangen hat, weil ihre Mutter sie in den Tod und somit ins Verderben des Daseins als (Un)Tote getrieben hat. Vielleicht genau aus diesem Grund erwarten die unglückliche Braut und ihren Bräutigam “nach ihrem irdischen Ableben”[30] nicht die Qualen der ewigen Verdammnis, sondern sie dürfen “den alten Göttern”[31] entgegeneilen, um auf diese Weise den Sieg der lustbejahenden Welt “griechischer Paganität”[32] (der nicht getaufte Bräutigam) über “ein lustfeindliches, düsteres Christentum”[33] (die gottfürchtige Brautmutter) zu feiern.
Goethes liebeskranke Revenantin ist jedoch nicht die einzige Totenbraut, die an der Schwelle des 19. Jahrhunderts die Schauerliteratur mit ihrer Motivik zu bereichern weiß. Beinahe zur selben Zeit erscheint etwa Robert Southeys epische Erzählung “Thalaba the Destroyer” (1797), in deren Rahmen der Titelheld von seiner vampirischen Geliebten heimgesucht wird, oder Samuel T. Coleridges unvollendete Schauerballade “Christabel” (zwischen 1797 und 1800). Letztere ist vor allem durch die Gestalt der geheimnisvollen Geraldine bekannt geworden, die heimtückisch die junge Christabel mit einem Zauber belegt, um ihre eigene Identität als Wiedergängerin und Hexe zu verbergen. Die platonische Beziehung zwischen Geraldine und Christabel ist dabei von unterschwelligen homoerotischen Spannungen durchdrungen, die sowohl im Kontext des Mutter-Kind-Verhältnisses (zwischen Geraldine und Christabel) als auch im Kontext der schwesterlichen Liebe zwischen den beiden Frauen ihre Umsetzung findet. Coleridges Ballade “Christabel” stellt damit einen Wendepunkt in der literarischen Geschichte des Wiedergängerin-Motivs dar, indem es nicht die Liebe bzw. das Verliebtsein zwischen einem Mann und einer Frau zu thematisieren sucht, sondern sich des Gedankens von gleichgeschlechtlicher Partnerschaft bedient.
Obwohl die beiden zuletzt genannten Schauerballaden ihren Anteil zur Etablierung des Motivs der Wiedergängerin in der Gattung der Schwarzen Romantik beigetragen haben, ist es Goethes namenlose Totenbraut, die ein vorläufiges Muster der späteren Wiedergängerin vorformuliert und dieses Motiv zumindest in dessen “Geburtsstunde” geprägt hat. Auch wenn Goethes Ballade “Die Braut von Korinth” die Wiedergängerin nicht gänzlich zum festen Bestandteil der Literatur um 1800 gemacht hat, hat sie die blutrünstige Wiedergängerin doch zu zähmen gewagt, ihr das dämonische Sinnbild partiell abgesprochen, um diese somit salonfähig zu machen.
Wenn bis jetzt lediglich die mythologischen und literarischen Anfänge des Wiedergängerin-Motivs zur Sprache kommen konnten, soll nachfolgend der Darstellung der Wiedergängerin im Kontext der Schauerromantik nachgegangen werden.
2.2 Blutige Küsse und romantische Gattung:
Die (Un)Tote im Spiegel der Schwarzen Romantik
Wenn die Rezeption des Wiedergänger-Mythos im 18. Jahrhundert bis auf wenige Ausnahmen (Goethe, Southey und Coleridge) noch weitgehend den Kreisen der Wissenschaft vorbehalten bleibt, worauf bereits im vorhergehenden Kapitel hingewiesen wurde, ändert sich dies im 19. Jahrhundert. Das Interesse am Phänomen des Wiedergängers bzw. der Wiedergängerin nimmt um 1800 stark zu,[34] was sowohl durch das aufsteigende Interesse an Märchen, Sagen und Volksmythen als auch durch die Konstitution des Vampirs bzw. der Vampirin als fester Bestandteil des Repertoires der Schwarzen Romantik (nebst Gespenstern, Teufeln usw.) zu erklären ist.[35] Das melancholiebehaftete Genre der Schwarzen Romantik[36] bedient sich dabei der Gestalt des Wiedergängers bzw. der Wiedergängerin als Projektionsfläche der “Nachtseiten der menschlichen Natur”[37] und verleiht ihr auf diese Weise eine psychologische Tiefe.[38] Ist die literarische Figur des Wiedergängers am Ende des 18. Jahrhunderts noch hauptsächlich durch das weibliche Geschlecht repräsentiert, so ist es nach Mario Praz bereits “in der ersten Hälfte [des 19. Jahrhunderts] in der Regel ein Mann”[39], der seine Opfer “mit seiner verhängnisvollen-grausamen Liebe”[40] in den Tod treibt. Der männliche Vampir erscheint in dieser Zeit als ein von Wollust und Grausamkeit gepeinigter blutgieriger Aristokrat und hat diese Charaktermerkmale nicht zuletzt John Polidoris Werk “The Vampyre” (1819) zu verdanken. Die Erzählung “The Vampyre”, die bereits im Jahr ihres Erscheinens in die deutsche und die französische Sprache übersetzt wird, thematisiert die Geschichte des jungen Engländers Percy Aubrey, der auf einem Ball Lord Ruthven begegnet und diesem fortan als treuer Reisegefährte zur Seite steht. Nicht ahnend, dass der Edelmann in Wirklichkeit ein Blutsauger ist, verliert Aubrey zunächst seine Geliebte und alsbald seine Schwester an den Wiedergänger, um sodann an den Folgen seiner späten Erkenntnis über die Wahrheit zu sterben.
Die Hintergründe der Entstehungsgeschichte der Erzählung “The Vampyre”, die in Anlehnung an Lord Byrons Schauergeschichte “A Fragment” (1819) entstand, sind mit den Ereignissen um das berühmt berüchtigte Treffen in der Villa Diodati am Genfer See im Jahre 1816 verbunden, bei dem nicht nur John Polidoris “The Vampyre”, sondern auch der Grundentwurf für Mary Shelleys späteren Roman “Frankenstein” niedergeschrieben wurde. Im verregneten Sommer 1816 versammeln sich dort Lord Byrons Leibarzt John Polidori, Percy Bysshe Shelley, dessen Verlobte Mary Godwin (später Mary Shelley) und der “Inszenator des Ganzen” [41] Lord Byron. Nach dem Rezitieren von Coleridges Ballade “Christabel” schlägt Lord Byron schließlich vor, dass jeder der Anwesenden ebenfalls eine Schauergeschichte verfassen solle. Auf diese Weise wird “nicht nur Frankenstein, sondern auch die moderne Vampirerzählung geboren” [42], die als “Auslöser des bis in die Gegenwart andauernden literarischen Vampirfiebers” [43] zu identifizieren ist.
Durch die bösartige Gestalt des charismatischen Lord Ruthven, der “Byronsche Züge”[44] innehabend den Mythos des modernen (männlichen) Vampirs nährt, beflügelt John Polidori die Phantasien anderer Dichter seiner Zeit. Die Erzählung “The Vampyre” zieht eine ganze Reihe von literarischen Beiträgen zur Thematik des Vampirismus nach sich, [45] in deren Mittelpunkt bisweilen ein männliches Subjekt die Rolle des blutgierigen Verführers übernimmt, was Mario Praz Annahme einer Prävalenz des männlichen Vampirs in der Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestätigen würde.
In dieser Periode der Vorherrschaft des männlichen Wiedergängers erscheinen jedoch auch einige namhafte Erzählungen, die den Typus der wiedergängerischen Frau aufgreifen und dessen Weiterentwicklung entscheidend beeinflussen. Sowohl die liebeskranke Totenbraut (Goethe, Southey) als auch Coleridges hexenhafte Wiedergängerin dienen hierbei als Vorlagen für die Gestalt der Blutsaugerin, die nun als feenhafte “Dame ohne Gnade” in John Keats Schauerballade “La Belle Dame sans Merci” (1819) oder als “morte amoureuse” aus Théophile Gautiers Erzählung “Die liebende Tote” (1836) die Leserwelt bezirzt. Das Liebesverbrechen der Wiedergängerin, so wie es etwa in Goethes Ballade “Die Braut von Korinth” vorzufinden ist, wird von der Schauerromantik gleichermaßen thematisiert und lässt die Vampirin zeitgleich in einem Kontext der Grausamkeit erscheinen, “der seitdem oft und gern mit ihrer allgemeinen Apostrophierung einhergeht” [46] . Die Grausamkeit der Blutsaugerin, als ein wichtiges Charakteristikum der Wiedergängerin, wird zwar in John Keats Ballade “La Belle Dame sans Merci” (deut. “Schöne Dame ohne Gnade”) bereits im Titel des Werkes verankert, doch bleibt die Demonstration dieser Grausamkeit letztendlich aus. Durch den Feengesang der Wiedergängerin in den Schlaf gesungen, erscheinen dem schlafenden Ritter “bleiche Könige und auch Fürsten, bleiche Krieger” [47] , die ihm die schreckliche Wahrheit offenbaren, dass “La Belle Dame sans Merci” ihn in ihrem Bann halte. Fiebrig und bleich wacht der Ritter am nächsten Morgen auf, in der Erinnerung an die “verschmachteten Lippen” [48] der Dame, “die sich in grausiger Warnung weit öffneten” [49].
Théophile Gautiers wiedergängerische Kurtisane Clarimonde ist aus ihrer Liebe zu Priester Romuald genauso wenig zur Grausamkeit veranlagt wie die sogenannte “Dame ohne Gnade” bei Keats. In Gautiers Erzählung “Die liebende Tote” ist es der Priester Romuald, der Nacht für Nacht von der Kurtisane Clarimonde nach deren Tode aufgesucht wird. Diese Begegnungen sind jedoch nicht als Heimsuchungen konzipiert, sondern als Liebestreffen, die durch die Ausschweifungen mit der Kurtisane Clarimonde gekennzeichnet sind. Es findet zwar ein dezenter Blutaustausch zwischen Romuald und Clarimonde statt, doch dient dieser lediglich der Existenzerhaltung der Wiedergängerin: “Einen Tropfen nur, ein kleines rotes Tröpfchen [...] Da du mich liebst, darf ich nicht sterben.” [50] Die Grausamkeit der Wiedergängerin, die sie aufgrund ihrer Dämonie ausüben sollte, wird somit durch die Liebe zwischen Clarimonde und Romuald gebändigt.
Diese verbotene Liebe ist zeitgleich ein Austragungsort der Überwindung des Konflikts zwischen dem christlichen Glauben und dem Gottlos-Heidischen, was Priester Romuald und die Clarimonde sinngemäß vertreten. Die Herstellung der alten Ordnung wird allerdings gegen Ende der Erzählung erneut angestrebt, als der fromme Abeé Serapion das Grab der Kurtisane mit Weihwasser besprenkelt und der Wiedergängerin auf diese Weise ihre Daseinsberechtigung entzieht. In E. T. A. Hoffmans Erzählung “Vampirismus”, auch “Cyprians Erzählung” genannt, aus der Reihe “Die Serapionsbrüder” (1819/1821) steht nicht das Verbrechen - begangen von der Wiedergängerin als einer Liebenden - im Vordergrund, sondern ein Verbrechen aus Grausamkeit bestimmt das Dasein einer Blutsaugerin, die bei Hoffmann in einen Kontext des Hexenhaften und des Teuflischen gesetzt wird. Im Mittelpunkt der Erzählhandlung steht das Verhältnis zwischen dem Grafen Hyppolit und der jungen Aurelia, die durch einen Fluch ihrer Mutter, der Baronesse, den diese vor ihrem Tod ausspricht, eine Modifikation zur Wiedergängerin erfahren muss. Die Umstände der Transformation von Aurelia zur Blutsaugerin bzw. einer Lamia, die sich an Leichen satt isst, werden lediglich als Symptome einer Krankheit dargelegt, die den körperlichen Verfall der jungen Ehefrau Graf Hyppolits herbeiführt und sie menschenscheu macht. Eines Nachts bemerkt Graf Hyppolit das Verschwinden seiner Gattin Aurelia und macht sich auf die Suche nach ihr. Er findet sie im Garten inmitten einer Schar von alten Weibern, die hungrig an einer Leiche zehren.
Die Versammlung der alten Weiber im Garten, die an dieser Stelle analog zu einem Hexensabbat stehen soll, [51] offenbart dem Grafen die Wahrheit über das Wesen seiner Frau. Als Graf Hyppolit seine Ehefrau mit der Wahrheit konfrontiert, greift Aurelia ihren Ehemann an und beißt ihn dabei in die Brust. Daraufhin bringt der Graf seine Gattin, die “zur Reinkarnation ihrer leichenhaft-widrigen Mutter” [52] wird, in Notwehr um. Der Angriff Aurelias gegen ihren Ehemann stellt hierbei eines der wenigen Momente dar, in denen sich Aurelias vampirische Natur erkennen lässt. Die Andeutungen des Autors bezüglich der wahren Natur der jungen Gräfin fallen sehr subtil aus; die Gefahr, die von der Ehefrau des Grafen Hyppolit ausgeht, wird nur angedeutet, bis es zur besagten Szene im Garten des Schlosses und dem anschließenden Angriff auf den Ehemann kommt. Die Aussparung von Details in Hoffmanns Erzählung verstärkt das Gefühl des Grotesken und des Irrationalen, was an dieser Stelle dem Genre der Schwarzen Romantik geschuldet ist, und dient gleichzeitig dem Spannungsaufbau und der gezielten Desexualisierung [53] der Geschehnisse. Klar ist ebenfalls, dass dieses bewusste Aussparen von Details nicht nur in der Erzählung Hoffmanns vorzufinden ist, sondern gleichermaßen auch Keats “La Belle Dame sans Merci” betrifft und, wie man im weiteren Verlauf der Untersuchung sehen wird, in weiteren Werken, die sich des Wiedergängerin-Motivs bedienen, auftaucht. Die Symbiose zwischen dem Wiedergängerin-Motiv und dem Motiv der Hexe ist nicht nur ein Bestandteil der westlichen Literatur, sondern tritt ebenso in der Erzählung “Vij” des russischen Schriftstellers Nikolaj Gogol’ auf, der sich zwar des Blutsaugerin-Mythos bedient, doch dies eigens, um die Grausamkeit der Hexe zu demonstrieren. Das teuflische Werk der Hexe wird hierbei durch das Aussagen eines Kindes und dessen Mutter vollzogen, was eine Umkehrung des Mutter-Prinzips (in Bezug auf das Kind) impliziert. Die Problematik der Aufhebung des Mutter-Prinzips, die bereits in der Einleitung im Hinblick auf Petra Flockes Ausführung zur Verbindung zwischen dem Göttlich-Weiblichen und der Wiedergängerin angesprochen wurde, ist in ihrer Darstellung stets auf eine Beziehung zwischen der Mutter (bzw. der Frau) und dem Kind angewiesen, indessen die Aufhebung dieser Mutter-Kind-Beziehung angestrebt wird.
In der literarischen Umsetzung des Wiedergängerin-Mythos ist die Aufhebung des Verhältnisses zwischen Mutter und Kind ein häufig verwendetes Element, das bereits in Goethes “Braut von Korinth”, in Coleridges “Christabel” oder in Hoffmanns “Vampirismus” vorzufinden ist. Die Tatsache, dass die Opfer der Wiedergängerinnen meist blutjunge Männer bzw.
[...]
[1] Wegner, Matthias. Klabund und Carola Neher. Berlin 1996. S. 102. Zitiert nach: Borrmann, Norbert. Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. München 1999. S. 231.
[2] Lindhoff, Lena. Die Einführung in die feministische Literaturtheorie. 1. Aufl. Stuttgart 1995. S. 17.
[3] Schoder, Angelika. Blutsaugerinnen und Femmes Fatales. Diedorf 2009. S. 23.
[4] Allein zwischen 1790 und 1820 sind laut Norbert Borrmann über 300 Schauerromane zum Thema Vampirismus erschienen. Vgl. Borrmann, Norbert. Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. München 1999. S. 64.
[5] Siehe: Flocke, Petra. Vampirinnen. Ich schaue in den Spiegel und sehe nichts. Die kulturellen Inszenierungen der Vampirin. Tübingen 1999.
[6] Siehe: Schoder, Angelika. Blutsaugerinnen und Femmes Fatales. Diedorf 2009.
[7] Vgl. Flocke, Petra. Vampirinnen. Ich schaue in den Spiegel und sehe nichts. Die kulturellen Inszenierungen der Vampirin. Tübingen 1999. S. 7.
[8] Ebd. Umschlagtext des Buches.
[9] Mehr dazu: Göttner-Abendroth, Heide. Die Göttin und ihr Heros. 6. Aufl. München 1984.
[10] Flocke, Petra. Vampirinnen. Ich schaue in den Spiegel und sehe nichts. Die kulturellen Inszenierungen der Vampirin. Tübingen 1999. S. 16 ff.
[11] Ebd. S. 12 f.
[12] Flocke, Petra. Vampirinnen. Ich schaue in den Spiegel und sehe nichts. Die kulturellen Inszenierungen der Vampirin. Tübingen 1999. S. 12.
[13] Ebd. S. 12.
[14] Ebd. S. 13.
[15] Schoder, Angelika. Blutsaugerinnen und Femmes Fatales. Diedorf 2009. S. 14.
[16] Ebd. S. 18.
[17] Ebd. S. 18.
[18] Ebd. S. 18.
[19] Ebd. S. 18.
[20] Ebd. S. 18.
[21] Der Gedanke der Interpretationsmöglichkeit der Wiedergängerin als ein “drittes Geschlecht” kann ebenfalls auf ihr ambivalentes Daseinsgefüge ausgeweitet werden, denn die Wiedergängerin in ihrer Existenz als Grenzgängerin schwankt stets zwischen untot und tot, lebendig und nicht lebendig, beseelt und nicht beseelt.
[22] Flocke, Petra. Vampirinnen. Ich schaue in den Spiegel und sehe nichts. Die kulturellen Inszenierungen der Vampirin. Tübingen 1999. S. 13.
[23] Vgl. Pielow, Dorothee. Lilith und ihre Schwestern: Zur Dämonie des Weiblichen. Düsseldorf S. 39-42.
[24] Vgl. Borrmann, Norbert. Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. München S. 60.
[25] Vgl. Pütz, Susanne. Vampire und ihre Opfer. Bielefeld 1992. S. 23.
[26] Pütz, Susanne. Vampire und ihre Opfer. Bielefeld 1992. S. 24.
[27] Ebd. S. 24.
[28] Wilpert, Gero von. Die deutsche Gespenstergeschichte. Motiv - Form - Entwicklung. Stuttgart 1994. S.140.
[29] Goethe, Johann Wolfgang von. Die Braut von Korinth. In: Dieter Sturm, Klaus Völker (Hg.). Von denen Vampiren oder Menschen-Saugern. Dichtung und Dokumente. Bd. 1. München 1968. S. 18.
[30] Borrmann, Norbert. Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. München 1999. S. 63.
[31] Goethe, Johann Wolfgang von. Die Braut von Korinth. In: Dieter Sturm, Klaus Völker (Hg.). Von denen Vampiren oder Menschen-Saugern. Dichtung und Dokumente. Bd. 1. München 1968. S. 20.
[32] Borrmann, Norbert. Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. München 1999. S. 63.
[33] Ebd. S. 63.
[34] Vgl. Pütz, Susanne. Vampire und ihre Opfer. Bielefeld 1992. S. 24.
[35] Ebd. S. 24.
[36] Das Genre der Schwarzen Romantik repräsentiert “die irrationale Tendenz der Romantik zum Unheimllich-Gespenstischen, Phantastisch-Abseitigen und Dämonisch-Grotesken als Gestaltung von Ängsten, Träumen, Wahnvorstellungen und Nachtseiten des Menschlichen”. Wilpert, Gero von. Sachwörterbuch der Literatur. 8. Aufl. Stuttgart 2001. S. 743.
[37] Pütz, Susanne. Vampire und ihre Opfer. Bielefeld 1992. S. 24.
[38] Ebd. S. 24.
[39] Praz, Mario. Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik. 3. Aufl. München 1988. S. 91.
[40] Ebd. S. 91.
[41] Borrmann, Norbert. Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. München 1999. S. 66.
[42] Borrmann, Norbert. Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. München 1999. S. 66.
[43] Ebd. S. 68.
[44] Praz, Mario. Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik. 3. Aufl. München 1988. S. 91.
[45] Etwa: Rymer, James M., Prest, Thomas P.: Varney, der Vampir (1842/1847); Nodier, Charles: Le Vampire (1820); Boucicault, Dion: The Vampire. A Phantasm (1852) usw.
[46] Flocke, Petra. Vampirinnen. Ich schaue in den Spiegel und sehe nichts. Die kulturellen Inszenierungen der Vampirin. Tübingen 1999. S. 32.
[47] Keats, John. La Belle Dame sans Merci. In: Hans Walter Häusermann (Hg.). John Keats. Gedichte. München 1996. S. 83.
[48] Ebd. S. 83.
[49] Ebd. S. 83.
[50] Gautier, Théophile. Die liebende Tote. In: Dieter Sturm, Klaus Völker (Hg.). Von denen Vampiren oder Menschen-Saugern. Dichtung und Dokumente. Bd. 1. München 1968. S. 120 f.
[51] Vgl. Vieregge, Andrè. Nachtseiten. Die Literatur der Schwarzen Romantik. Frankfurt/M. 2008. S. 161.
[52] Volkmann, Silvia. “Gierig saugt sie seines Mundes Flammen”. Anmerkungen zum Funktionswandel des weiblichen Vampirs in der Literatur des 19. Jahrhunderts. In: Renate Berger, Inge Stephan (Hg.). Weiblichkeit und Tod in der Literatur. Köln 1987. S. 155.
[53] Gemeint ist der Moment des Bisses, der eine erotische Konnotation erhält.
- Citation du texte
- Irina Frey (Auteur), 2011, Die Lust am Töten - Der weibliche Vampir in der russischen Literatur von Aleksej Tolstoj und Ivan Turgenev, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/194858
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