Das Referat faßt die Geschichte des deutschsprachigen Schulwesens in Namibia von der deutschen Kolonalzeit bis in die Übergangszeit zur Unabhängigkeit Namibias zusammen.
Zur Geschichte des deutschsprachigen Schulwesens in Namibia
(Vortrag gehalten um 1988)
Einleitung
Unverzichtbare Voraussetzung für den Fortbestand einer Volksgruppe als ethnische und kultu- relle Minderheit in jedem Staat der Erde ist die Möglichkeit der Weitergabe des kulturellen Er- bes und der Vermittlung der nationalen Identität an die nachwachsende Generation in der eige- nen angestammten Sprache, der Muttersprache. Allein schon in der Sprache dokumentiert sich kaum deutlicher als auf andere Weise die Wesensart eines jeden Volkes. Im Philosophischen Wörterbuch von SCHISCHKOPF (Stuttgart 1974) wird unter dem Begriff Sprache ausgeführt: "Die Geschichte der Sprache spiegelt die Sozialgeschichte des betreffenden Volkes wider. Die Wortstämme einer Sprache zeigen an, welche Gegenstände für das Volk zur Zeit der Sprach- formung die wichtigsten waren. Der Wortschatz einer Sprache zeigt an, was ein Volk denkt, die Syntax zeigt an, wie es denkt. Da die Sprache objektiver Geist ist, charakterisiert sie ein Volk am genauesten." Weiter heißt es: "Die Sprache ist mit dem Volk unmittelbar verbunden." Die Sprache ist das allgemeinste und offensichtlichste Bekenntnis zum Volkstum. Das Bewußtsein einer kulturellen Identität kann demzufolge nur auf dem Umgang mit der Muttersprache und deren Pflege beruhen. Völker oder Volksgruppen, die freiwillig oder zwangsweise ihre eigene Sprache bis zur völligen Aufgabe vernachlässigt haben, liefern sich - Beweise gibt es in der Geschichte - zunächst dem kulturellen, dann dem physischen Verfall aus. Nach Jakob GRIMM hängen die Kraft und die Dauer eines Volkes in seiner angestammten Sprache. Demzufolge bedeutet Sprachzerstörung Volkszerstörung. Neben der Spracherziehung im Elternhaus ist für das Kind der schulische Muttersprachenunterricht der zweite wichtige Faktor bei der Vermittlung von Sprache und Kultur.
Damit ist für den Fortbestand der deutschen Volksgruppe in Namibia der Erhalt des deutschen Schulwesens von elementarer Bedeutung. Stützen kann sich die deutsche Volksgruppe auf die Erklärung des Seminars über "Multinationale Gesellschaftsordnungen" vom 8.-21. Juni 1965 im slowenischen Laibach (Ljubljana), die von 23 teilnehmenden Staaten und 13 Organisationen verfaßt wurde: "Es wurde allgemeine Übereinstimmung darin erzielt, daß alle Regierungen die Rechte ethnischer, religiöser, sprachlicher oder nationaler Gruppen fördern und schützen sollen, und zwar nicht nur durch verfassungsmäßige und gesetzliche Vorkehrungen, sondern auch durch die Förderung jeglicher Art von Aktivitäten, die mit den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten des betreffenden Staates oder Landes vereinbar sind."
Die deutsche Kolonialzeit
In ihrer mehr als einhundertjährigen Geschichte hat die deutsche Volksgruppe in Südwestafrika das schulische Erziehungswesen stets mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht. Nicht selten wurden unter großen Opfern der nach wachsenden Generation deutscher Muttersprachenunter- richt ermöglicht. Das deutsche Schulwesen in Südwestafrika kann auf eine relativ lange Tradi- tion zurückblicken. Der Ethnologe und Theologie VEDDER gibt in seinem 1934 erschienenen Buch "Das alte Südwestafrika" an, daß die erste deutsche Schule am 1. Februar 1876 vom Missionar BERNSMANN in Otjimbingwe errichtet wurde. Nach der Errichtung der deutschen Schutzherrschaft über Südwestafrika wurde die erste staatliche Schule nach der Art einer ein- klassigen deutschen Volksschule im Juni 1894 in Windhuk gegründet. Diese Schule wurde fünf Jahre später, 1899, vorübergehend geschlossen, als die Lehrerin Helene NITZE geheiratet hatte. 1901 erfolgte die Wiedereröffnung der Staatsschule in Windhuk. 1900 wurde die Volks- schule in Gibeon gründet, 1901 folgten Schulen in Grootfontein, Keetmanshoop und Swakop- mund.
Im Oktober 1906 wurde in Südwestafrika die allgemeine Schulpflicht für "Kinder der weißen Bevölkerung vom vollendeten 6. bis zum vollendeten 14. Lebensjahre" eingeführt. Somit be- stand die Notwendigkeit der Gründung weiterer Schulen.In den folgenden Jahren wurden im Schutzgebiet eine Reihe von Volks- und höheren Schulen eingerichtet, die den Anschluß an das Schulwesen im Deutschen Reich ermöglichten. Im Jahre 1907 nahm die Schule in Karibib, die noch 1982 ihr 75-jähriges Bestehen feiern konnte, den Lehrbetrieb auf. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 bestanden im Schutzgebiet die folgenden fünfzehn Volks- schulen: Aus, Gibeon, Grootfontein, Karibib, Keetmanshoop, Klein-Windhuk, Klippdamm, Kub, Lüderitzbucht, Maltahöhe, Omaruru, Swakopmund, Usakos, Warmbad und Windhuk. Hinzu kamen die Realschulen in Windhuk und Swakopmund und die private katholische Mädchen schule in Windhuk.
Die südafrikanische Mandatszeit
In den unmittelbaren Nachkriegsjahren 1919 und 1920 waren örtliche deutsche Schulvereine die Träger der deutschen Schulen. Das Geld für die Besoldung der Lehrkräfte wurde von der Reichsregierung über eine nicht näher bezeichnete dritte Macht zur Verfügung gestellt. Im September 1921 wurden dreizehn der achtzehn deutschen Schulen im nunmehrigen Mandats- gebiet Südwestafrika von der südafrikanischen Administration als Regierungsschulen über- nommen. Die Volksschulen in Karibib, Lüderitzbucht und die Schule in Tsumeb, die erst im September 1915 gegründet worden war, 1931 aber bereits wieder geschlossen wurde, sowie die Realschulen in Swakopmund (1929 geschlossen) und Windhuk wurden als Privatschulen weitergeführt. An den Privatschulen, deren Träger die deutschen Schulvereine blieben, bildeten weiterhin deutsche Lehrpläne die Grundlage des Unterrichts. An den Regierungsschulen blie- ben die Schulvereine bestehen und übernahmen die Funktion einer Interessenvertretung der Eltern gegenüber der staatlichen Schulbehörde. In Otavi und Otjiwarongo wurden Schulvereine die Träger der den Schulen angeschlossenen Schülerheime. 1926 wurde der deutschen Volks- gruppe von Seiten der südafrikanischen Verwaltung das Recht auf muttersprachlichen Schul- unterricht zuerkannt.
Am 1. Januar 1946 ließ die südafrikanische Regierung unter Ministerpräsident SMUTS die deutschen Regierungsschulen und deutschen Abteilungen an Regierungsschulen schließen und Deutsch als Unterrichtssprache für unzulässig erklären. Lediglich an den drei verbliebenen deutschen Privatschulen in Karibib, Lüderitzbucht (1972 geschlossen) und Windhuk konnte der Lehrbetrieb unter großen Schwierigkeiten aufrechterhalten werden. Die deutschen Schulvereine und deren führende Mitglieder standen unter starkem Druck der südafrikanischen Administra- tion.
Als im Jahre 1948 die Nationale Partei in Südafrika die Regierung übernahm und MALAN Mi- nisterpräsident wurde, zeichnete sich in der südafrikanischen Innen- und Außenpolitik wieder ein deutschfreundlicher Kurs ab. 1950 wurden die die deutsche Volksgruppe in SWA diskrimi- nierenden Schulgesetze aufgehoben. Bereits Anfang 1951 wurden an acht Regierungsschulen Abteilungen mit deutscher Unterrichtssprache eingerichtet. 1956 schlossen sich die Schulver- eine der Privat- und Regierungsschulen in der "Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schulvereine" zusammen. Der damalige deutsche Botschafter in der Republik Südafrika, Dr. SONNENHOL, äußerte bei einem Besuch in Südwestafrika, man sei überrascht zu sehen, "daß hier noch deut- sche Tradition gepflegt wird in einem Ausmaß, wie wir es in Deutschland fast gar nicht mehr kennen. Und auch da muß ich sagen: Wir müssen der südafrikanischen Regierung dankbar sein, daß sie dieses Traditionen pflegt, bzw., daß sie es den Deutschen ermöglicht, dieses Tra- ditionen aufrechtzuerhalten" (Allgemeine Zeitung, Windhuk/SWA, 11. Oktober 1968). In den Siebziger- und Achtzigerjahre gab es an zwölf Schulen Südwestafrikas staatlich finanzierten Unterricht in deutscher Sprache: Gobabis, Grootfontein, Keetmanshoop, Mariental, Okahandja, Omaruru, Otavi, Otjiwarongo, Outjo, Swakopmund, Tsumeb und Windhuk. In der ehemaligen südafrikanischen Enklave Walfischbucht gab es an der Regierungsschule eine deutsche Schul- abteilung. Hinzu kamen die beiden Privatschulen: die Privatschule Karibib (PSK) und die Deut- sche Höhere Privatschule in Windhuk (DHPS). Im März 1983 genossen ca. 2.300 Kinder deut- scher Eltern in Südwestafrika deutschen Muttersprachenunterricht. 1.523 Kinder besuchten deutsche Regierungsschulen, 658 bzw. 120 Kinder wurden an den Privatschulen in Windhuk und Karibib unterrichtet. Die Finanzierung der deutschen Regierungsschulen erfolgte vor der Unabhängigkeit Namibias ausschließlich aus dem Etat der für die weißen Volksgruppen zu- ständigen Regierung der Zweiten Ebene. Eine Unterstützung durch die westdeutsche Bundes- regierung erhielten diese Schulen nicht. Die beiden Privatschulen in SWA, deren Träger die deutschen Schulvereine sind, wurden von drei Seiten her finanziert. Zum einen war es die Ei- genfinanzierung durch die Schulvereine aus Elternbeiträgen und privaten Spenden, die zu ei- nem nicht geringen Teil aus Westdeutschland kamen. Zum zweiten gab das Auswärtige in Bonn direkte finanzielle Zuschüsse, hinzu kam die Entsendung von Lehrkräften. Schließlich gewährte die bereits genannte Regierung der Zweiten Ebene aus ihrem Haushalt Zuschüsse, deren Höhe nach der Schülerzahl bemessen wurde. Als Beispiel für die Finanzierung soll die Privatschule Karibib dienen. Für die Jahre 1948 bis 1975 ergaben sich folgende Anteile:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nicht eingeschlossen in den für die Bundesrepublik Deutschland genannten Betrag sind erhebliche Finanzmittel in Form von Personalzuschüssen, Bauzuschüssen und Lehrmitteln.
Die Übergangszeit zur Unabhängigkeit
Ende der Siebzigerjahre wurden in den Kampf gegen Südafrikas Apartheid auch die deutsche Volksgruppe und die deutschen Schulen in Südwestafrika einbezogen. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland scheute sich 1978 nicht, die finanzielle Unterstützung der Privat- schulen in Karibib und Windhuk von der Erfüllung politisch motivierter Forderungen abhängig zu machen. Eine Fortsetzung der Unterstützung wurde von der Aufnahme schwarzer und farbiger Kindern abhängig gemacht. Im Kampf gegen die Apartheid ließ sich dieser Sektor auswärtiger Kulturpolitik trefflich instrumentalisieren. Als sich Karibib gegen diese Art der Einflußnahme sperrte, wurde die Finanzhilfe vorübergehend eingestellt. Schließlich akzeptierten beide Schu- len die Bonner Forderung und kamen ihr nach. An der Deutschen Höheren Privatschule Wind- huk (DHPS) begann bereits Ende der Siebzigerjahre der Umbau von einer Volksgruppenschule (Sprachgruppenschule) zu einer von der Deutschen Bundesregierung als modellhaft angesehenen "Begegnungsschule". Hauptaufgabe dieses Schultyps sollte nicht mehr die schulische Erziehung deutscher Kinder in der Muttersprache sein.
Vielmehr sollte die Begegnungsschule "weiten Bevölkerungskreisen" geöffnet werden, wie es der Bundestagsabgeordnete Helmut SCHÄFER (FDP), seit 1987 Staatsminister im Auswärtigen Amt, schon 1982 forderte. Als "faszinierendes und zukunftsweisendes Modell" beurteilte er "das Zusammenleben und die Zusammenarbeit junger ausländischer Schüler und ihre Einführung in zwei verschiedene Sprachen und Kulturen". Dementsprechend wurde die Ausstattung der DHPS mit Finanzmitteln von Seiten des Auswärtigen Amtes großzügig gehandhabt. Spätestens 1982 konnten Schulverein und Schulleitung auf die Zuschüsse der SWA-Administration verzichten. Dem Weg der DHPS folgte auch die Privatschule Karibib, die in den Achtzigerjahren vorübergehend geschlossen war, nach der Wiederaufnahme des Lehrbetriebes. Vollständigkeitshalber muß abschließend der "Verein zur Förderung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schulvereine in Namibia" (FADS) genannt werden, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Finanzmittel zur Aufrechterhaltung des muttersprachlichen Unterrichts in einem Fond zusammeln und im Bedarfsfall bereitzustellen.
Olaf Otto Dillmann
- Quote paper
- Dr. Olaf Otto Dillmann (Author), 1988, Zur Geschichte des deutschsprachigen Schulwesens in Namibia, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/194706
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