Die zu untersuchende Dramenszene IV, 4 ist ein Auszug aus Johann Wolfgang von Goethes Drama „Iphigenie auf Tauris“, das bereits vor 1786 entstand, aber erst 1786 von Goethe in das heutige Versdrama umgeformt wurde. Das Werk Goethes lässt sich in die Epoche der Weimarer Klassik einordnen, hat aber durchaus auch Teile der Aufklärung in sich.
Die zu untersuchende Dramenszene IV, 4 ist ein Auszug aus Johann Wolfgang von Goe- thes Drama „Iphigenie auf Tauris“, das bereits vor 1786 entstand, aber erst 1786 von Goethe in das heutige Versdrama umgeformt wurde. Das Werk Goethes lässt sich in die Epoche der Weimarer Klassik einordnen, hat aber durchaus auch Teile der Aufklärung in sich.
Behandelt wird eine Geschichte der griechischen Mythologie, in der die Hauptcharakterin Iphigenie, eine Priesterin der Gottheit Diana, auf Tauris ihrem Bruder Orest, der mit dem Fluch der Tantaliden belegt ist, wiederfindet. Orest und sein Beglei- ter Pylades (der gleichzeitig sein und Iphigenies Cousin ist) sind dazu bestimmt, als Menschenopfer dargebracht zu werden, was sie durch die von Pylades geplante hinter- listige Flucht zu vermeiden suchen. Iphigenie soll Ihnen dabei helfen, kann jedoch ihren als zweiten Vater betrachteten König Thoas nicht betrügen und versucht so, ihn durch geschickte Verhandlung dazu zu bewegen, die zum Tode Verdammten gehen zu lassen. Ihre Methoden haben Erfolg: König Thoas lässt Iphigenie, Orest und Pylades ziehen. Da- mit verliert der Tantalidenfluch gleichzeitig seine Wirksamkeit bei Orest.
Vorangegangen ist der Dramenszene IV, 4, die sich ungefähr letzten Viertel des Werkes befindet, die Instruktion Iphigenies durch Pylades, wie Iphigenie den König zum Zeitauf- schub bewegen kann, um den zu Opfernden - Orest und Pylades - die Flucht zu ermögli- chen. Der Gesandte des Königs, Arkas, drängt Iphigenie jedoch dazu, endlich ihr Opfer darzubringen.
Nachdem die Szene IV, 4 ein auftretendes Problem hinsichtlich der Flucht behandelt hat, fordert Pylades Iphigenie auf, den König zu hintergehen, um sich selbst, Pylades und den geliebten Bruder zur Flucht zu verhelfen.
In den nachfolgenden Szenen zögert Iphigenie weiter, sodass Arkas schließlich Verdacht von den Fluchtplänen schöpft. Die Szene IV, 4 selbst behandelt das Gespräch, das zwi- schen Iphigenie und Pylades geführt wird. Pylades geht zu Beginn davon aus, dass die Flucht durch Iphigenies Verzögerungstaktik gewiss sei, und damit verbunden auch die Heilung Orests durch die Aufhebung des Tantalidenfluchs. Zudem haben Pylades und Orest die Gefährten, mit denen sie per Schiff angereist waren, wieder gefunden (Verse 1532-1570). Iphigenie zerstört jedoch Pylades voreiliges Hoffen, indem sie ihm erklärt, dass ihr Plan nicht gänzlich aufgegangen sei, und sie erst auf die Zustimmung des Königs zu warten hätten: Die Flucht ist nunmehr nicht gewiss (Verse 1571-1581). Iphigenie gibt zur Kenntnis, dass sie König Thoas nicht betrügen könnte, weil sie ihm ihr Leben auf Tauris verdanke und ihn als ihren „zweiten Vater“ (Vers 1641) ansieht. Pylades redet nun auf Iphigenie ein, um sie endgültig davon zu überzeugen, den König zu betrügen, da er es schließlich ist, der ihren Bruder „schlachtet“ (Vers 1643). In der längeren verbalen Auseinandersetzung zwischen Iphigenie und Pylades behält Pylades das letzte Wort und sagt ihr, dass er wiederkommen werde, um endlich die Statue der Diana, „der Rettung schönen Spiegel“ zu empfangen“ (Verse 1582-1689).
Möchte man die Szene gliedern, so bieten sich die in der Inhaltszusammenfassung ange- gebenen Teile an: Pylades sieht die Rettung als gewiss an (Verse 1532-1570), doch Iphigenie muss ihn vom Gegenteil überzeugen (Verse 1571-1581). Daraufhin redet Pylades auf Iphigenie ein, die Gründe nennt, warum sie den König nicht betrügen kann, um sie dazu zu bewegen, den König weiter hin zu halten, um sich, Pylades und Orest zu retten (Verse 1582-1689).
Möchte man die auftretenden Personen kurz charakterisieren, so fällt vor allem auf, dass Pylades der „Gesprächsführer“ bleibt, der zum einen etwas weniger spricht als Iphigenie, zum anderen aber energisch seine Ansichten vertritt, um Iphigenie zu überzeugen. Auch behält Pylades am Ende das letzte Wort. Dieses Verhalten zeugt von seiner Angst, nicht gerettet werden zu können, weshalb er - für den Leser auf sicher verständliche Weise - alles versucht, um seine Haut zu retten. Iphigenie hingegen scheint nicht sonderlich stark auf die Rettung fixiert zu sein, sie hat vielmehr Angst, ihren „zweiten Vater“ (Vers 1641) Thoas „tückisch zu betrügen, zu berauben“ (Vers 1642). Iphigenie behält während des Gespräches einen klaren Kopf und unterstellt Pylades sogar, sturköpfig zu sein (vgl. Vers 1679) und sich vor ihren Sorgen zu verschließen (vgl. ebenda).
Legt man sein Augenmerk besonders auf die Werthaltung und Einstellung Pylades’ und Iphigenies, so möchte man Pylades unterstellen, dass er in erster Linie auf sein eigenes Leben, erst in zweiter Linie auch auf das seiner Begleiter Wert legt. Sein Lebenserhaltungstrieb, der ihn auch nicht vor Lüge und Betrug zurückschrecken lässt, ist das einzige, was ihm in dieser schier aussichtslosen Situation vor dem Wahnsinn bewahrt. Pylades lässt Iphigenie beispielsweise wissen, dass sie sich während des Gespräches mit Thoas auf ihr Priesterrecht hätte berufen sollen (vgl. Vers 1580 f.), er unterstellt ihr also regelrecht, Schuld daran zu sein, dass sein Plan nicht aufgeht. Pylades ist überdies hinaus dem König gegenüber negativ eingestellt, er bezichtigt ihn, nicht das Recht zu haben, eine Entscheidung zu treffen (vgl. Vers 1596 f.).
Pylades fordert Iphigenie direkt zur Lüge auf (vgl. Vers 1600 f.). Er malt sich in bunten Bildern aus, wie es nach der Rettung weitergehen könnte, um Iphigenie auf diese Weise von seinem Plan zu überzeugen (vgl. Verse 1614-1618). So nutzt Pylades beispielsweise ein Paralellismus, um Iphigenie das schöne Leben nach der Flucht besonders eindringlich vor Augen zu führen (Verse 1615-1618: „du bringst […Ȑ, entsühnst […Ȑ und schmückest […Ȑ“). Als Iphigenie Zweifel aufkommen, macht Pylades ihr deutlich, dass Thoas es ist, der ihren „Bruder schlachtet“ (Vers 1643). Dieses entmenschlichende Wort „schlachten“ soll Iphigenie die Grausamkeit Thoas’ vor Augen führen.
Anhand dieser und weiterer Aussagen erkennt man eindrucksvoll, dass Pylades der Rhe- torik mächtig ist und versucht, Iphigenie durch geschickt gewählte Wortwahl zu über- zeugen, ja sogar zu manipulieren. Im Gespräch wird dann die ablehnende Haltung dem König gegenüber deutlich. Für Pylades stehen jetzt sein Leben und das seiner Gefährten im Vordergrund.
Iphigenie stellt in ihren Einstellungen einen deutlichen Kontrast zu Pylades dar, so ist sie beispielsweise Thoas in keinster Weise abgeneigt, sie betrachtet ihn als ihre zweite Vaterfigur (vgl. Vers 1641) die auf vor allem auch Gutes tat und tut (vgl. Vers 1644). Sie will ihm gegenüber nicht undankbar sein, sieht aber gleichzeitig ein, dass die Not besteht, ihren Bruder zu retten (vgl. Vers 1646).
Durch die Injektion „O“ (Vers 1669) machte Iphigenie deutlich, wie sehr sie „zau- dern“ (Vers 1669) muss - sie ist hin und her gerissen zwischen ihrem Bruder und ihrem zweiten Vater. Iphigenie bedauert selbst ihre Unfähigkeit, sich entscheiden zu können, sie wünscht sich ein „männlich Herz“ (Vers 1679) in sich tragen zu können, um mit stu- ren Kopf entscheiden zu können. In der Wendung „männlich Herz“ fällt ein oft benutztes Stilmittel auf: „männlich“ wird hier ohne das eigentlich benötigte Anhängsel „-es“ benutzt, vor allem, um die Verse in das vorgegebene Versmaß zu bringen.
Fasst man zusammen, stellt man fest, dass Pylades in seinen Einstellungen beschränkt ist. Ihm geht es nur um die Rettung, wohingegen es Iphigenie um zwei Dinge geht: Rettung, aber gleichzeitig auch die Loyalität Thoas gegenüber. Sie wird von diesem inneren Konflikt belastet, Pylades drängt sie aber, sich für die Rettung zu entscheiden.
Sprachlich fallen beide durch durchgehend gehobene, genau gewählte Sprache auf, die es ihnen möglich macht, sowohl ihre Hoffnungen und Ängste vorzubringen, als auch mittels Sprache zu überzeugen und zu beeinflussen.
Betrachtet man die Szene IV, 4 im Kontext, kommt man zu dem Schluss, dass dem Werk etwas fehlen würde, fehlte diese Szene. Mit Szene IV, 4 verfolgt Goethe vor allem das Ziel, Pylades und Iphigenie zu charakterisieren und dem Leser zu zeigen, wie sich beide in Situationen, die über ihr Leben entscheiden können, verhalten. Zudem ist die Szene be- deutend im Hinblick auf das Vorangehen der Handlung im Werk. Sie legt den Grundstein für das weitere Vorgehen Iphigenies und ihr späteres Abweichen von Pylades hinterlis- tigem Plan hin zu ihrer Chance, den König davon zu überzeugen, sie gehen zu lassen, ohne ihn betrügen zu müssen.
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- Quote paper
- Tim Blume (Author), 2010, Johann Wolfgang von Goethe: Iphigenie auf Tauris – Analyse und Interpretation der Dramenszene IV, 4, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/194373
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