Veit Harlan macht schnell Karriere. Als Filmemacher im Deutschland der dreißiger Jahre verläuft seine Erfolgskurve steiler und schneller nach oben, als die seiner Kollegen. Diese Meinung vertritt zumindest Wolfgang Kraushaar in seiner 1995 erschienenen Analyse „Der Kampf gegen den ‚Jud-Süß’-Regisseur Veit Harlan“1. Der Grund für seinen überragenden Erfolg als Drehbuchautor und Regisseur liege dem zu Folge in dem Film „Jud Süß“. Den 1940 erschienenen Streifen hatten bis kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges allein im Deutschen Reich über 22 Millionen Menschen gesehen. Rund sechs Millionen Reichsmark, das Dreifache seiner damaligen Produktionskosten, hatte der Film innerhalb von nur 15 Monaten eingespielt. „Jud Süß“ ist nach dem Kriegsende verboten. Herbert Pardo und Siegfried Schiffner bezeichnen den Film 1949 als „einen psychologischen Wegbereiter für die späteren Massenermordungen in den Konzentrationslagern“2. Veit Harlan beantragt kurz nach Kriegsende ein Entnazifizierungs-Verfahren für sich selbst, um möglichst bald wieder als Filmschaffender tätig werden zu können. Als die Presse Anfang des Jahres 1948 berichtet, Harlan solle vom zuständigen Zentralausschuss für die Ausschaltung von Nationalsozialisten in Hamburg als „unbelastet“ eingestuft werden, spitzt sich der öffentliche Konflikt um den „Prestige-Regisseur der Nazis“ zu. Die Hamburger Staatsanwaltschaft erhebt im Juli 1948 Anklage gegen Veit Harlan wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Dem Freispruch Harlans durch das Landgericht Hamburg folgt eine Revisionsverhandlung, wiederum am Landgericht in Hamburg. Das Verfahren endet wiederum mit einem Freispruch Harlans. Der Regisseur setzt seine Karriere fort, dreht einen weiteren Film namens „Unsterbliche Geliebte“. Gegen diesen Film ruft Erich Lüth, Leiter der staatlichen Pressestelle, am 20. September 1950 zum Boykott auf. Wenig später verhängt die 15. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen Lüth, die ihm weitere Boykottaufrufe untersagt. Teile der deutschen Bevölkerung, der Politiker und der Presse wenden sich in der Folge auf der Seite von Lüth gegen neue Arbeiten Harlans. Lüth legt beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Beschwerde gegen das Urteil ein, er beruft sich auf sein in Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschriebenes Recht der „freien Meinungsäußerung“. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Veit Harlan – Symbol des Antisemitismus in Deutschland?
2.1 Der antisemitische Propagandafilm „Jud Süß“
2.2 Die Harlan-Prozesse – Skandalisierung und Medienrummel
2.3 Freispruch – ein Skandal?
3. Erich Lüth – Symbol eines „Anderen Deutschland“?
3.1 Recht vs. Moral – Die Boykott-Aufrufe gegen Harlan-Filme
3.2 Das Lüth-Urteil – ein später Wegweiser für die Deutschen
4. Zusammenfassung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Veit Harlan macht schnell Karriere. Als Filmemacher im Deutschland der dreißiger Jahre verläuft seine Erfolgskurve steiler und schneller nach oben, als die seiner Kollegen. Diese Meinung vertritt zumindest Wolfgang Kraushaar in seiner 1995 erschienenen Analyse „Der Kampf gegen den ‚Jud-Süß’-Regisseur Veit Harlan“[1]. Der Grund für seinen überragenden Erfolg als Drehbuchautor und Regisseur liege dem zu Folge in dem Film „Jud Süß“. Den 1940 erschienenen Streifen hatten bis kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges allein im Deutschen Reich über 22 Millionen Menschen gesehen. Rund sechs Millionen Reichsmark, das Dreifache seiner damaligen Produktionskosten, hatte der Film innerhalb von nur 15 Monaten eingespielt. „Jud Süß“ ist nach dem Kriegsende verboten. Herbert Pardo und Siegfried Schiffner bezeichnen den Film 1949 als „einen psychologischen Wegbereiter für die späteren Massenermordungen in den Konzentrationslagern“[2].
Veit Harlan beantragt kurz nach Kriegsende ein Entnazifizierungs-Verfahren für sich selbst, um möglichst bald wieder als Filmschaffender tätig werden zu können. Als die Presse Anfang des Jahres 1948 berichtet, Harlan solle vom zuständigen Zentralausschuss für die Ausschaltung von Nationalsozialisten in Hamburg als „unbelastet“ eingestuft werden, spitzt sich der öffentliche Konflikt um den „Prestige-Regisseur der Nazis“ zu. Die Hamburger Staatsanwaltschaft erhebt im Juli 1948 Anklage gegen Veit Harlan wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Dem Freispruch Harlans durch das Landgericht Hamburg folgt eine Revisionsverhandlung, wiederum am Landgericht in Hamburg. Das Verfahren endet wiederum mit einem Freispruch Harlans. Der Regisseur setzt seine Karriere fort, dreht einen weiteren Film namens „Unsterbliche Geliebte“.
Gegen diesen Film ruft Erich Lüth, Leiter der staatlichen Pressestelle, am 20. September 1950 zum Boykott auf. Wenig später verhängt die 15. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen Lüth, die ihm weitere Boykottaufrufe untersagt. Teile der deutschen Bevölkerung, der Politiker und der Presse wenden sich in der Folge auf der Seite von Lüth gegen neue Arbeiten Harlans. Lüth legt beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Beschwerde gegen das Urteil ein, er beruft sich auf sein in Artikel 5 des Grundgesetzes festgeschriebenes Recht der „freien Meinungsäußerung“. Sechs Jahre später kommt es zur Verhandlung des Falles am BVerfG, im Januar 1958 bekommt Lüth Recht.
Der „Fall Harlan“ spiegelt verschiedene Aspekte der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit wieder. Zum einen ist die Frage gestellt worden, welchen Anteil antisemitische Propaganda an der Verfolgung und Ermordung der Juden im Dritten Reich hatte. In diesem Fall wurde aber auch nach der zukünftigen Rolle derart belasteter Personen im öffentlichen Leben der Bundesrepublik Deutschland gefragt. Werner Bergmann spricht in diesem Zusammenhang gar von einer paradigmatischen Bedeutung des Falles[3]. Er begründet dies mit der immer noch aktuellen Frage nach der Bestrafung von Künstlern und Intellektuellen am Beispiel eines 1995 erschienenen Artikels in der „taz“[4].
Betrachtet man die Umstände des „Falles Harlan“ genauer, so wird jedoch noch ein weiterer Aspekt sichtbar. Aus Presseberichten, Politiker-Reaktionen und all den anderen Äußerungen vor, während und nach den Harlan-Prozessen lässt sich nämlich auch ein Bild vom „Antisemitismus im Nachkriegs-Deutschland“ zeichnen. Der Publizist Hans-Schwab-Felisch hatte dies bereits 1951 erkannt, als er formulierte: „Der Boykott ist ins Rollen gekommen, ob Lüth nun verurteilt bleibt zu schweigen oder nicht. Das ist genauso gewiß, wie daß der neue Film Veit Harlans anlaufen wird [...] Man wird es also mit einer Art Volksabstimmung über den Antisemitismus in Deutschland zu tun haben, bei der Lüth zum Symbol des ‚Anderen Deutschland’ geworden ist [...]. Während Veit Harlan durch die letzten Ereignisse in noch stärkerem Maße als bisher zu einem Symbol des Antisemitismus in Deutschland geworden ist.“[5].
In dieser Arbeit geht es nicht um die Rekapitulation der Harlan-Prozesse im Einzelnen. Aus Platzgründen wird auf wichtige Aspekte in Fußnoten gesondert hingewiesen. Vielmehr steht hier der Versuch im Vordergrund, ein Bild vom „Antisemitismus im Nachkriegsdeutsch-Land“ nach zu zeichnen. Es soll die geistige Haltung verschiedener Teile der deutschen Öffentlichkeit untersucht werden, und wie sie mit der Antisemitismus-Debatte um Harlan umgegangen sind. Dabei soll chronologisch vorgegangen werden. Stehen im ersten Teil noch die Reaktionen auf die zwei Harlan-Prozesse im Vordergrund, so wird im zweiten Teil der Widerstand der Deutschen in Form von Boykottaktionen deutlich. Dabei soll diskutiert werden, ob es wirklich zu einer „Volksabstimmung über den Antisemitismus“ gekommen ist, und welchen Einfluss Medien, Politiker und Justiz auf die weitere Entwicklung im Deutschland der späten 50er Jahre gehabt haben könnten, oder hatten.
2. Veit Harlan – Symbol des Antisemitismus in Deutschland
2.1 Der antisemitische Propagandafilm „Jud Süß“
Die Geschichte, der Stoff des Films „Jud Süß“ beruht auf einem historischen Vorbild. Auf die genaue Biographie des Joseph Süß Oppenheimer, vor rund 300 Jahren in Heidelberg geboren, ab 1733 als Bankier und Privatsekretär des Herzogs Karl Alexander von Württemberg tätig und 1738 öffentlich hingerichtet, soll hier nicht eingegangen werden.[6] Wesentlich und für diese Arbeit von Bedeutung bleibt dagegen die Umarbeitung des Stoffes für das Drehbuch des 1940 erschienen Propagandafilms „Jud Süß“. Autor und Regisseur Veit Harlan hatte dazu den Auftrag vom Reichspropagandaministerium erhalten.
Verglichen mit der historischen Figur also, ist Süß Oppenheimer für den Plot des Films von Harlan wesentlich umgeschrieben worden.[7] Im Film kommt ihm die Rolle des großen Verführers zu, ob nun in finanzieller oder insbesondere auch in sexueller Hinsicht. Karl Alexander indes erscheint als schwächelnder, leicht zu manipulierender Trottel. Süß Oppenheimer wandelt sich im Film vom bloßen Intriganten zum Hauptdarsteller und großen Lenker. Er erschleicht sich die Erlaubnis an den Hof kommen zu dürfen, erfindet neue Zölle, überredet den Herzog zu Kriegshandlungen und lässt verarmte Juden im Herzogtum ansiedeln, denen dann wiederum Posten „zugeschustert“ werden. Dramatischer Höhepunkt der Filmhandlung ist die Vergewaltigung einer jungen deutschen Frau durch Süß. Die Rolle der „arischen Unschuld“ spielt im übrigen Harlans schwedische Ehefrau Kristina Söderbaum. Die Vergewaltigungsszene inszeniert Harlan besonders aggressiv, indem er mit Einblendungen von Folterungen des Verlobten (der Vergewaltigten) arbeitet. Die emotional besonders ansprechend intendierte Wirkung beim Publikum hatte mithin darin bestanden, alle erdenklichen Charaktereigenschaften, Bilder und negativ konnotierten Stereotypen eines Juden zu bedienen bzw. „auf einen Nenner zu bringen“. Egal ob Macht- oder Geldgier, als Ursprung allen Übels ist der Geschlechtstrieb gesehen worden. Simpel formuliert heißt das nichts anderes als: im Juden kommen alle möglichen Charakterschwächen zusammen, zudem stiehlt er noch die Unschuld deutscher Frauen. Ob eine solche Sicht auf „Jud Süß“ beim deutschen Publikum auf Gegenliebe gestoßen ist, darf stark angezweifelt werden. Gerade sexuelle Aspekte verleiten den Menschen immer wieder zu Affekthandlungen, emotionalen Überreaktionen, schüren Hass, Abscheu oder Neid. Ein idealer Nährboden für Rassenhass also. Der Vater der Geschändeten verkündet dann am Ende des Films, nachdem Süß spektakulär hingerichtet worden ist: „Alle Juden haben innerhalb eines Monats Württemberg zu verlassen.“[8] Und eine Stimme aus dem Off spricht: „Mögen unsere Nachfahren an diesem Gesetz ehern festhalten, auf daß ihnen viel Leid erspart bleibe an ihrem Gut und Leben und an dem Blut ihrer Kinder und Kindeskinder.“[9] Mit diesen Worten endet der Film „Jud Süß“.
[...]
[1] Kraushaar 1995, S. 7ff.
[2] Pardo/Schiffner 1949, S. 42.
[3] Bergmann 1997, S. 86.
[4] „Filmemacher laufenlassen?“, taz vom 27. April 1995 (zit.nach: Bergmann 1997).
[5] Schwab-Felisch 1951, S. 422.
[6] Zur Biographie des historischen Vorbilds vgl. beispielsweise Elwenspock 1926; Stern 1929 und Gerber 1990; um die Wirkungsgeschichte und die eigentümliche Faszination der Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer zu rekapitulieren vgl. vor allem Gerber 1990.
[7] Vgl. dazu und im Folgenden: Hollstein 1983, S. 79ff.
[8] Protokoll des Films „Jud Süß“, in: Hollstein 1983, S. 314.
[9] Ebd.
- Arbeit zitieren
- Oliver Enke (Autor:in), 2002, Der Fall Harlan, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19401
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