Der Begriff „szenische Interpretation“ schließt sehr viele verschiedene Verfahren ein.
Hierzu gehören z.B. auch Phantasiereisen, Rollenschreiben, szenisches Lesen,
Rollengespräche, Standbilder, usw.1 In dieser Arbeit möchte ich mich jedoch auf das
Verfahren des „szenischen Spiels“ oder auch des „literarischen Rollenspiels“ beschränken,
da ich mit dieser Form auch selbst schon Erfahrungen gesammelt habe.
Im ersten Teil soll es darum gehen, weshalb produktions- und handlungsorientierte
Unterrichtsformen sinnvoll erscheinen. Des weiteren möchte ich klären, welches
Textverständnis und welche Rezeptionsauffassung für dieses Verfahren von Nöten sind,
bevor ich mich der Beschreibung des Verfahrens zuwende. Abschließend möchte ich noch
ein Beispiel aus eigener Erfahrung anbringen.
1.2 Sammlung von Materialien
Als ich auf der Suche nach geeignetem Material für diese Arbeit war, stellte ich sehr bald
fest, dass es einerseits sehr viel Literatur zum Thema „Theater in der Schule“ und
„Aufführungen in der Schule“ gibt, andererseits viel zu „sprachdidaktischen Rollenspielen“
als Therapieform oder zur Konfliktbewältigung. Über die Literaturhinweise in diesen
Büchern gelang es mir aber dann schließlich, etwas zu dem Thema zu finden, wie literarische
Texte durch Rollenspiele oder andere szenischen Darstellungsformen analysiert und
interpretiert werden können. So beschäftigte ich mich zunächst mit „Handlungs- und
Produktionsorientierten“ Unterrichtsformen, bevor ich mich den eigentlichen
Vorgehensweisen von „literarischem Rollenspiel“, „szenischer Interpretation“ und deren
verschiedenen Arbeitsformen widmete.
1 Vgl.: Scheller, Ingo: Wir machen unsere Inszenierungen selber (1) – Szenische Interpretation von
Dramentexten. Universität Oldenburg: Zentrum für pädagogische Berufspraxis 1989
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Konzeption
1.2 Sammlung von Materialien
1.3 Wie es zur Arbeit kam
2 Didaktische Grundgedanken
2.1 Weshalb andere Unterrichtsformen?
2.2 Problem des Rezeptionsmodells
2.3 Textverständnis der Schüler
3 Das Spiel
3.1 Prinzipien
3.2 Ganzheitliches Lernen
3.3 Beschreibung des Spiels
3.3.1 Spielverlauf
3.3.2 Einfühlung in Rollen
3.3.3 Raum und Requisiten
3.4 Die Rolle des Spielleiters/Lehrers
3.5 Grenzen des Spiels
4 Eigene Erfahrungen
5 Abschließende Bemerkung
6 Anhang
6.1 Literaturverzeichnis
6.2 Verwendeter Textausschnitt aus Friedrich Dürrenmatts Die Physiker
1 Einleitung
1.1 Konzeption
Der Begriff „szenische Interpretation“ schließt sehr viele verschiedene Verfahren ein. Hierzu gehören z.B. auch Phantasiereisen, Rollenschreiben, szenisches Lesen, Rollengespräche, Standbilder, usw.[1] In dieser Arbeit möchte ich mich jedoch auf das Verfahren des „szenischen Spiels“ oder auch des „literarischen Rollenspiels“ beschränken, da ich mit dieser Form auch selbst schon Erfahrungen gesammelt habe.
Im ersten Teil soll es darum gehen, weshalb produktions- und handlungsorientierte Unterrichtsformen sinnvoll erscheinen. Des weiteren möchte ich klären, welches Textverständnis und welche Rezeptionsauffassung für dieses Verfahren von Nöten sind, bevor ich mich der Beschreibung des Verfahrens zuwende. Abschließend möchte ich noch ein Beispiel aus eigener Erfahrung anbringen.
1.2 Sammlung von Materialien
Als ich auf der Suche nach geeignetem Material für diese Arbeit war, stellte ich sehr bald fest, dass es einerseits sehr viel Literatur zum Thema „Theater in der Schule“ und „Aufführungen in der Schule“ gibt, andererseits viel zu „sprachdidaktischen Rollenspielen“ als Therapieform oder zur Konfliktbewältigung. Über die Literaturhinweise in diesen Büchern gelang es mir aber dann schließlich, etwas zu dem Thema zu finden, wie literarische Texte durch Rollenspiele oder andere szenischen Darstellungsformen analysiert und interpretiert werden können. So beschäftigte ich mich zunächst mit „Handlungs- und Produktionsorientierten“ Unterrichtsformen, bevor ich mich den eigentlichen Vorgehensweisen von „literarischem Rollenspiel“, „szenischer Interpretation“ und deren verschiedenen Arbeitsformen widmete.
1.3 Wie es zur Arbeit kam
Im Rahmen des Kompaktseminars „Projekt im Theater“ fand ein zehnstündiger Workshop statt, in welchem unter anderem grundlegende Techniken und Formen des Theaterspielens vermittelt werden sollten.
Das Kompaktseminar stand unter dem Thema „Woyzeck“ von Georg Büchner. Alle Teilnehmenden hatten sich bereits im Vorfeld auf verschiedene Arten mit dem Stück auseinander gesetzt. In einem Teil des Workshops wurden alle Teilnehmenden in Zweiergruppen eingeteilt. Diese erhielten eine Szene aus dem Dramenfragment, die einen Dialog zwischen Woyzeck und dem Hauptmann enthielt. Im vorgelegten Text jedoch fehlten jegliche Regieanweisungen. Nach verschiedensten Sprechübungen und ähnlichem, welche anhand der Szene durchgeführt wurden, sollten die Gruppen schließlich den Dialog auf ein Minimum zusammenkürzen, um ihn dann an einem Ort ihrer Wahl und auch nach „Regieanweisungen ihrer Wahl“ aufzuführen.
Am Abend fand dann noch ein gemeinsamer Theaterbesuch des Stückes „Woyzeck“ im Theater Freiburg statt. Als die am Nachmittag selbst inszenierte Szene an der Reihe war, ging ein Schmunzeln über die Gesichter wohl aller Seminarteilnehmer. Jeder war gespannt, wie die Szene wohl hier umgesetzt werden würde.
Im Gespräch mit meinen Komillitonen machte ich eine interessante Feststellung; auch diejenigen, die zuvor keinen persönlichen Bezug zu dem Stück aufbauen konnten oder ihm sogar abgeneigt waren, hatten nun einen Zugang und eine andere Sichtweise gefunden. Dies faszinierte mich so sehr, dass ich mich näher mit diesem Thema beschäftigen wollte. Später sammelte ich in einem anderen Seminar noch mehr praktische Erfahrungen zu diesem Thema. Davon möchte ich, wie bereits erwähnt, am Ende der Arbeit ein Beispiel nennen.
2 Didaktische Grundgedanken
2.1 Weshalb andere Unterrichtsformen?
Die Freizeit von Kindern und Jugendlichen wird immer mehr von den „neuen Medien“ wie Computer, Fernsehen, Spielkonsolen, usw. bestimmt. Das „traditionelle“ Buch hingegen wird immer weiter in den Hintergrund gerückt. Schließlich erfordert das Lesen eines Textes aber, sich das Geschriebene auch veranschaulichen zu können. Diese Aufgabe wird dem Rezipienten jedoch von den audiovisuellen Medien zum Teil abgenommen.[2] Vielen „ungeübten“ Lesern wird der Zugang zur Literatur über diese Medien zwar erleichtert. Das beweisen die Erfolge von „Büchern zum Film“, obwohl häufig das Buch zuerst da war. Jedoch verändert sich dadurch auch das Rezeptionsverhalten. Marcel Kunz fasst diese Veränderungen zusammen:
- Das Überangebot von weitgehend austauschbaren Programmen führt zu einem schnellen und vordergründigen, reizorientierten, aber intellektuell nicht reflektierten Entscheidungs-verhalten, das sich auch auf andere Lebensbereiche (auch auf die Schule) überträgt.
- Die immer zahlreicher werdenden und weitgehend identischen Serienfilme haben in der Wahrnehmung eine zunehmende Typisierung zur Folge. Dies führt zu einer Verknappung von Handlungsalternativen und damit auch zu einem Verlust an Singularität und Individualität.
- Die zunehmende Vernebelung der Grenze zwischen Realität und Fiktion wie auch das Verlangen nach „virtueller Realität“ auf der Seite der Produktion wie auch der Rezeption führen zu einem Verlust des Entsetzens: Alles wird mit Gleichmut und Distanz wahrgenommen.[3]
Nun stellt sich natürlich die Frage, wie man solche „medienerprobten und reizgesättigten Schüler von heute“[4] an (auch klassische) Literatur heranführen soll. Der gewöhnliche Deutschunterricht beschränkt sich auf das Lesen von Texten, gefolgt von einem lehrergelenkten Gespräch zur Textanalyse. Die wenigsten Schüler besitzen jedoch die Begabung zum nur analytischen Umgang mit Literatur. So muss man sehen, dass durch diese Herangehensweise nur einem kleinen Teil der Schüler ein „wirklicher“ Zugang zur Literatur eröffnet wird. Bei einem anderen Teil kann möglicherweise sogar der gegenteilige Effekt eintreten und das Interesse an Literatur teilweise ganz verloren gehen.
Sowohl ältere, klassische Literatur als auch neuere, moderne verschließen sich Schülern häufig auf den ersten Blick. Es müssen also verschiedenste Interpretationsansätze mit den jeweiligen Klassen getestet werden, bis man einen findet, der möglichst vielen Schülern einen Zugang zur Literatur ermöglicht. Die traditionellen Unterrichtsformen sollten ergänzt werden durch handlungs- und produktionsorientierten Unterricht.
In diversen psychologischen Untersuchungen fand man heraus, dass das menschliche Gehirn (insbesondere das Unterbewusstsein) leichter mit Bildern und Tönen umzugehen vermag als mit bloßen Worten[5]. So scheint es einleuchtend, dass sich ein Schüler z.B. einem Gedicht einfacher nähern kann, indem er versucht es in Bilder umzusetzen anstatt es nur durch rein sprachliche Erklärungen zu erfassen. Ebenso mag es für die meisten Schüler in komplexen Szenen aus Epik und Dramatik einfacher erscheinen, die Situation zu erfassen, indem sie versuchen sich in gewisse Personen hineinzuversetzen und die jeweilige Situation nachzuspielen, als alles durch literaturwissenschaftliche Methoden intellektuell zu erfassen.
Nun soll, wenn im Folgenden von szenischem Spiel gesprochen wird, jedoch nicht ein „(Schul-)Theater“ im klassischen Sinne gemeint sein, d.h. die Erprobung eines Stückes mit dem Ziel der Aufführung vor einem Publikum. Vielmehr ist eine Arbeitsform gemeint, die der Erschließung von Texten und Textinhalten dienen soll. Der Textsinn soll für die Schüler greifbar und erfahrbar gemacht werden. Er soll nicht gelehrt, sondern erlebt werden.
In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, sich eine klare Vorstellung des vieldeutig verwendeten Begriffes „Spiel“ zu machen. Hier soll nicht die Rede von Spiel im Sinne von „Spielerei“ sein, einer unverbindlichen Form von Unterhaltung oder einer Form des Zeitvertreibs. Denn wenn szenisches Spiel und literarisches Rollenspiel ernsthaft und auf einem angemessenen Niveau betrieben werden, muss man sie als eine kreative Arbeitstechnik sehen, welche sich zwar methodisch sehr stark von den klassischen Techniken der Texterschließung unterscheidet, aber dennoch Anspruch auf Legitimität besitzt. Bei dieser Art des Spiels geht es „nicht um Erlebnis, sondern um konkrete Erfahrung und zwar um eine möglichst direkte und authentische“[6].
2.2 Problem des Rezeptionsmodells
Um ernsthaft mit szenischem Spiel arbeiten zu können, muss man sich im Vorfeld klar darüber werden, welche Rezeptionsmodelle eine solche Herangehensweise überhaupt zulassen. Dabei wird sehr schnell klar, dass man sich von den älteren, traditionellen Modellen distanzieren muss, bei denen die „einzig richtige“ Interpretation im Vordergrund steht, „wobei die Kriterien für richtig oder angemessen aus Informationen über die Absichten des Autors gewonnen werden“[7].
Neuere Modelle hingegen lassen ein breiteres Feld der Textauslegung zu und sprechen von der „Vielfalt möglicher Lesearten, Verständnisweisen, Interpretationen“[8].
Eines dieser neueren Modelle ist die „Rezeptionsästhetik“ (auch Konstanzer Schule). Sie sieht das Lesen nicht als eine einfache „Informationsentnahme aus einem Text, sondern dass der Sinn eines Textes immer vom Leser mitgeschaffen wird“[9]. Rezeptionsästhetik geht davon aus, dass literarische Texte „Leerstellen“ oder „Unbestimmtheitsstellen“ enthalten. Diese müssen vom Leser, unter Zuhilfenahme eigener (Lebens-)Erfahrungen, gefüllt werden. Während des Leseaktes vervollständigt sich somit der jeweilige Text erst im Kopf des Lesers.
[...]
[1] Vgl.: Scheller, Ingo: Wir machen unsere Inszenierungen selber (1) – Szenische Interpretation von Dramentexten. Universität Oldenburg: Zentrum für pädagogische Berufspraxis 1989
[2] Vgl.: Spinner, Kaspar H in: Kunz, Marcel: Spieltext und Textspiel – Szenische Verfahren im Literaturunterricht der Sekundarstufe II. Seelze: Kallmeyer 1997 (Praxis Deutsch). S. 8
[3] Kunz, Marcel: Spieltext und Textspiel – Szenische Verfahren im Literaturunterricht der Sekundarstufe II. Seelze: Kallmeyer 1997 (Praxis Deutsch). S. 11
[4] Kunz, Marcel. S. 11
[5] Vgl. z.B.: Zimbardo, Philip G.: Psychologie. Berlin: Springer-Verlag 1983; Daco, Pierre: Psychologie für jedermann. Augsburg: Weltbild Verlag 1994
[6] Kunz, Marcel. S. 12
[7] Freudenreich, Dorothea; Sperth, Fritz: Rollenspiele im Literaturunterricht; Sekundarstufe I. Stuttgart: Klett 1983. S. 8
[8] Vogt, Jochen: Grundlagen des Textverstehens und der Interpretation. In: Bauer, Karl, W. (Hrsg.): Grundkurs Literatur- und Medienwissenschaft: Primarstufe 2. München: Fink 1995. S. 27
[9] Haas, Gerhard; Menzel, Wolfgang; Spinner, Kaspar H.: Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht. In: Praxis Deutsch 21. Jahrgang (Januar 1994), H. 123, S. 18
- Quote paper
- Jochen Haug (Author), 2002, Szenisches Spiel. Eine mögliche Form, um Zugang zu literarischen Texten zu gewinnen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19364
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