Durch die Auswirkungen des demografischen Wandels, einen steigenden Anteil immaterieller Vermögenswerte am Unternehmenswert sowie die zunehmende Regulierung operationeller Risiken entwickelt sich das Human Capital mehr und mehr zu einer strategischen Ressource im Wettbewerb. Dennoch fehlen bisher geeignete Modelle, die das Risikomanagement von Human-Capital-Risiken in einen zentralen Fokus der Unternehmensführung stellen. Diese Thesis entwickelt ein risikoorientiertes Human-Capital-Modell, das die Unternehmensführung bei der Steuerung der Human-Capital-Risiken sowie dem Werterhalt und -ausbau des Human Capital unterstützen soll. Als konzeptionelle Grundlage dient dabei der klassische Regelkreis des Risikomanagements, der um einen kulturellen Rah-
men sowie eine Verankerung des Human Capital in der Unternehmensstrategie erweitert wird. Darauf aufbauend werden Empfehlungen zur Ausgestaltung der einzelnen Phasen des Regelkreises (Identifikation, Bewertung, Steuerung, Kontrolle und Weiterentwicklung) mit geeigneten Methoden, Instrumenten sowie Maßnahmen gegeben. Im Rahmen der Steuerungsphase wird zudem die Nutzungsmöglichkeit eines Frühwarnsystems aufgezeigt. Neben der Implementierung des Modells liefert diese Thesis ebenfalls Vorschläge für dessen ablauforganisatorische Ausgestaltung. Abschließend werden über den Aspekt des Risikomanagements hinausgehende Möglichkeiten zur strategischen Nutzung des Modells entwickelt und dargestellt. Diese beziehen sich auf das HR-Management, die Kundenbeziehungen sowie die externe Berichterstattung.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Ziel der Arbeit
1.3 Aufbau und Methodik der Arbeit
2 Human Capital
2.1 Begriff
2.2 Historische Entwicklung
2.3 Bedeutung für Unternehmen
2.4 Allgemeines und spezifisches Human Capital
2.5 Schlüsselpersonal
2.6 Problem der Bewertbarkeit
3 Risikomanagement von Human Capital
3.1 Begriff
3.2 Operationelle Risiken
3.3 Zentrale Risiken des Human Capital
3.3.1 Risiken aus dem Personalmanagement
3.3.2 Personen- und prozessbezogene Risiken
3.4 Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg
4 Entwicklung des Human-Capital-Modells
4.1 Resource-based View als Ausgangspunkt
4.2 Ressourcenorientierte Risikomanagementkultur als Rahmen
4.3 Regelkreis des Human-Capital-Modells
4.4 Identifikation von Human-Capital-Risiken
4.4.1 Identifikation von Schlüsselpersonal
4.4.2 Identifikationsmethoden
4.4.3 Risikokatalog
4.4.4 Zusammenfassung wesentlicher Aspekte
4.5 Bewertung von Human-Capital-Risiken
4.5.1 Messung
4.5.2 Priorisierung von Risiken
4.5.3 Quantifizierung von Risiken
4.5.4 Zusammenfassung wesentlicher Aspekte
4.6 Steuerung von Human-Capital-Risiken
4.6.1 Risikostrategien
4.6.2 Entwicklung eines Maßnahmenkatalogs
4.6.3 Nutzung eines Frühwarnsystems
4.6.4 Zusammenfassung wesentlicher Aspekte
4.7 Überwachung des Human-Capital-Modells
4.7.1 Kontrolle
4.7.2 Weiterentwicklung
4.7.3 Zusammenfassung wesentlicher Aspekte
4.8 Zusammenfassende Darstellung
5 Implementierung des Human-Capital-Modells
5.1 Prozessuale Gestaltung
5.2 Berücksichtigung von Change Management
5.3 Ablauforganisatorische Gestaltung
5.4 Zusammenfassung wesentlicher Aspekte
6 Strategische Nutzung des Human-Capital-Modells
6.1 HR-Management
6.2 Kundenbeziehungen
6.3 Externe Berichterstattung
6.4 Zusammenfassung wesentlicher Aspekte
7 Fazit und Ausblick
7.1 Fazit
7.2 Ausblick
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Aufbau der Arbeit
Abb. 2: Definition Human Capital
Abb. 3: Human Resource Accounting
Abb. 4: Human Resource Value Accounting
Abb. 5: Markt-Buchwert-Verhältnis S&P 500
Abb. 6: Human-Capital-Bewertung
Abb. 7: Risikokategorisierung
Abb. 8: Zentrale Risiken des Human Capital
Abb. 9: Balanced Scorecard
Abb. 10: Auswirkung von Human-Capital-Risiken auf den Unternehmenserfolg
Abb. 11: Einbindung von Human Capital in die Unternehmensstrategie
Abb. 12: Ressourcenorientierte Risikomanagementkultur
Abb. 13: Kulturanalyse
Abb. 14: Regelkreis des Human-Capital-Modells
Abb. 15: Identifikation allgemeines/spezifisches Human Capital
Abb. 16: Aufbau Butterfly-Methode
Abb. 17: Katalog Human-Capital-Risiken
Abb. 18: Messung Human-Capital-Risiken
Abb. 19: Human-Capital-Risiken
Abb. 20: Risikolandkarte
Abb. 21: Risikopolitische Strategien
Abb. 22: Maßnahmenkatalog
Abb. 23: Sechs-Stufen-Frühwarnsystem
Abb. 24: Human-Capital-Modell
Abb. 25: Acht-Stufen-Modell von Kotter
Abb. 26: Ablauforganisation des Human-Capital-Modells
Abb. 27: Strategische Nutzung des HC-Modells durch das HR-Management
„Europas Reichtum liegt im Wissen und Können seiner Menschen: Dies ist der Schlüssel zu Wachstum, Beschäftigung und sozialem Zusammenhalt.“
(Berliner Erklärung zu Europa, März 2007)
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
„Personal stellt für die Commerzbank eine zentrale Ressource dar.“ (Commerzbank, 2010, p. 195) Solche oder ähnliche Formulierungen lassen sich in nahezu allen Geschäftsberichten der deutschen DAX-30-Unternehmen wiederfinden. Ebenso sind der Fachkräftemangel bzw. eine herausfordernde demografische Entwicklung zentrale Schlagwörter in den Unternehmenspublikationen. „Projekt ‚Heute für morgen‘ - den demografischen Realitäten aktiv begegnen“ lautet beispielsweise der aktuelle Slogan der BMW AG (2010, p. 30) in Bezug auf diese Thematik.
Vor diesem Hintergrund erscheint es mehr als verwunderlich, dass bei einer Vielzahl der Unternehmen noch immer keine adäquaten Steuerungs- und Risikomodelle in Bezug auf das eigene Human Capital existieren (Kobi, 2002, p. 13). Am deutlichsten wird dieser Missstand bei einem krisengetriebenen Personalabbau. Während eines solchen Perso- nalabbaus werden die Mitarbeiter nach wie vor primär als Kostenfaktor bzw. Einsparpo- tenzial betrachtet (Barthel et al., 2004, p. 5). Dabei bleibt jedoch der individuelle Wert, das Human Capital des einzelnen Mitarbeiters, in der Regel völlig unberücksichtigt. Die Unter- nehmen wissen schlicht nicht, wie viel Know-how, Netzwerke usw. mit dem Abgang des Mitarbeiters verloren gehen. Betrachtet man dieses Vorgehen, so könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass das Management dem Unternehmen durch die konsequente Missachtung dieser Komponente zwar kurzfristig eine Kostenersparnis beschert, langfris- tig aber fahrlässig wirtschaftlichen Schaden zufügt (Steiner, 2004, p. 509). Lediglich feh- lende Modelle und Studien sowie Schwierigkeiten bei der monetären Berechnung dieser Folgekosten lassen einen Schaden bisher unentdeckt bleiben.
Dabei ist der unmittelbare Einfluss von Verhandlungsgeschick, Innovationsfähigkeit, Moti- vation, Erfahrung und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter auf die Ertragslage der Unter- nehmen unbestritten. Ebenso ist die Erkenntnis verbreitet, dass die Mitarbeiter - im Zuge der andauernden gesellschaftlichen Entwicklung hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft weiter an Bedeutung gewinnen werden. Sie entwickeln sich mehr und mehr zum imma- teriellen Wertfaktor und strategischen Wettbewerbsfaktor der Unternehmen (Dürndorfer et al., 2005, p. 18). Infolge der zunehmenden Wichtigkeit von Human Capital bedeutet dies aber auch, dass das Risikomanagement des Human Capital sowie dessen strategische Stärkung und Weiterentwicklung unmittelbare und kernstrategische Managementaufga- ben sein sollten.
1.2 Ziel der Arbeit
Ziel dieser Arbeit ist es, ein risikoorientiertes Human-Capital-Modell zu konzipieren, das der Unternehmensführung als Basis für strategische und operative Entscheidungen dient und das Human Capital in eine zentrale strategische Position rückt. Im Mittelpunkt der Überlegungen soll dabei ausdrücklich das Human Capital des Schlüsselpersonals stehen, da es geeignet erscheint, einem Unternehmen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. In diesem Zusammenhang sind insbesondere folgende Fragen von vorrangigem Interesse:
Wie sollte ein solches Modell konzipiert sein? Wie lässt sich das Schlüsselpersonal identifizieren? Welche Risiken muss das Modell abdecken und wie kann ein Früh- warnsystem integriert werden?
Wie lässt sich ein derartiges Modell in das Unternehmen implementieren und wie kann der organisatorische Ablauf des Modells gestaltet werden?
Welchen zusätzlichen Nutzen kann ein solches Modell, neben der Reduktion der Risi- ken, für das strategische Management eines Unternehmens haben?
1.3 Aufbau und Methodik der Arbeit
Aufbau
Durch die Erläuterung der Problemstellung und konkreten Zielsetzung wird der Leser zunächst in die Arbeit eingeführt. Anschließend erfolgt in Kapitel 2 eine Diskussion der für das Verständnis von Human Capital relevanten wissenschaftlichen Ansätze. Kapitel 3 ergänzt diese um den Aspekt des Risikomanagements. Die jeweiligen Ansätze werden systematisch konkretisiert und auf die Zielsetzung der Arbeit zugeschnitten.
Auf der Basis dieser Erkenntnisse befasst sich Kapitel 4 im Rahmen einer diskursiven, sachlogischen Herleitung mit der konzeptionellen Erstellung des Human-Capital-Modells. Die einzelnen ausgewählten Komponenten, Instrumente und Methoden des Modells wer- den umfassend dargestellt und in einen Gesamtkontext gebracht. Neben der Modellierung der einzelnen Prozessstufen des Modells wird zudem die Implementierung eines Früh- warnsystems beschrieben.
Im Anschluss daran beschäftigt sich Kapitel 5 mit der prozessualen und ablauforganisatorischen Implementierung des Human-Capital-Modells. Kapitel 6 erarbeitet darauf aufbauend weitere, über den Aspekt der Risikoreduktion hinausgehende, strategische Nutzungsmöglichkeiten des Modells.
Die Arbeit schließt in Kapitel 7 mit einem kritischen Fazit der gewonnenen Erkenntnisse und einem Ausblick auf weitere Entwicklungen sowie ggf. notwendige Forschungsarbei- ten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Aufbau der Arbeit
Methodik
Die Datengrundlage dieser Arbeit bildet die in Bezug auf das Thema relevante betriebswirtschaftliche sowie organisationspsychologische Primär- und Sekundärliteratur. Auf eine eigene Primärforschung wird verzichtet.
2 Human Capital
Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den für diese Arbeit bedeutsamen Begriffen und wissenschaftlichen Ansätzen des Themas Human Capital. Diese werden zunächst in ihrer Entwicklung und Bedeutung breit dargestellt und erläutert. Anschließend erfolgt jeweils eine Eingrenzung auf das für die Entwicklung des Human-Capital-Modells erforderliche Maß.
2.1 Begriff
Die Vereinten Nationen (United Nations, 1997) definieren Human Capital im Rahmen ihrer Demografie- und Populationsstatistik als „productive wealth embodied in labour, skills and knowledge“. In der Literatur lassen sich weitere, ähnliche Definitionen finden. Beispiels- weise beschreibt Jaeger (2004, p. 1) Human Capital als „personengebundene Wissens- bestandteile in den Köpfen der Mitarbeiter“. Barthel et al. (2004, p. 5) fassen unter Human Capital alle „kurzfristig einsetzbaren, fachlichen und sozialen Potenziale der Mitarbeiter und Führungskräfte eines Unternehmens“ zusammen. Eine weitergehende und deutlich konkretere Definition entwickelt Friederichs (2004, p. 35). Zusätzlich zur reinen Betrach- tung der intellektuellen, motivationalen und integrativen Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter werden, nach dieser Definition, ausdrücklich auch die unterstützenden Prozesse, Struktu- ren und Systeme in das Begriffsverständnis integriert. Demnach entsteht Human Capital aus den Synergien dreier Werttreiber:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 Definition Human Capital In Anlehnung an Friederichs, 2004, p. 34
Diese um die Wirkungszusammenhänge erweiterte Betrachtung erscheint, auch aufgrund der Komplexität des Begriffs, durchaus sinnvoll. Sie bietet umfangreiche Ansatzpunkte und eine hohe Praxistauglichkeit und dient im weiteren Verlauf als begriffliche Grundlage.
2.2 Historische Entwicklung
Bereits 1875 weist der Ökonom Johann H. von Thünen (1875, p. 145) auf gesellschaftliche Vorbehalte im Zusammenhang mit einer simultanen Verwendung der Begriffe Human und Kapital hin:
“Eine innere Scheu scheint die Schriftsteller und überhaupt alle von der Betrachtung, was der Mensch kostet, welches Kapital in ihm enthalten ist, abzuhalten. Der Mensch scheint uns zu hoch zu stehen, und wir fürchten eine Entwürdigung zu begehen, wenn wir eine solche Betrachtungsweise auf ihn anwenden.“
Dies hat sich bis zum heutigen Tage kaum geändert. Exemplarisch kann die Wahl des Wortes „Humankapital“ zum „Unwort des Jahres 2004“ durch die Gesellschaft für deut- sche Sprache (2004) angeführt werden. Der Vorwurf damals wie heute ist die Reduzie- rung des Menschen auf eine ausschließlich ökonomisch bedeutsame Größe. Betrachtet man jedoch die Entwicklung der Humankapitaltheorie und deren Hintergründe, scheint die einseitige Reduktion der Diskussion auf rein monetäre Aspekte der Theorie zu eng ge- fasst. Denn insbesondere in den 1960er Jahren setzt sich der Gedanke durch, dass Hu- mankapital ein Wert ist, der geschützt und entwickelt werden muss (Bombach, 1965). Als Beispiel können an dieser Stelle die Vereinten Nationen herangezogen werden, die darauf hinweisen, dass eine Verbesserung der Situation in den Dritte-Welt-Ländern am wahr- scheinlichsten durch den Aufbau von Know-how und die Investition in Human Capital zu bewerkstelligen sei (United Nations, 1962, pp. 99 - 102). Ebenso fungiert die Humankapi- taltheorie in den USA als Argumentationsgrundlage - für Vertreter des Gleichstellungsge- dankens - auf dem Weg zur Chancengleichheit zwischen schwarzer und weißer Bevölke- rung (Coleman, 1968, pp. 9 - 15).
Auch die Gründerväter der heutigen Humankapitaltheorie und Nobelpreisträger der Wirt- schaftswissenschaften Theodore W. Schultz (1963) und Gary S. Becker (1964) beziehen ausdrücklich das - bisher in den ökonomischen Theorien fehlende - menschliche Verhal- ten mit ein und legen damit den Grundstein für eine neue Betrachtungsweise des Faktors Mensch in ökonomischen und betriebswissenschaftlichen Zusammenhängen (Coleman, 1988, p. 100). Laut Schultz (1981, p. 7 ff.) wird beispielsweise die Bedeutung der Men- schen im Vergleich zum Produktionsfaktor Boden deutlich unterbewertet. Für ihn sind Investitionen in Bildung und Gesundheit wichtige Einflussfaktoren, um die Wohlfahrt der Gesellschaft deutlich zu verbessern. Diese Sichtweise verdeutlicht die zunächst führende Rolle der volkswirtschaftlichen Theorie in Bezug auf die Einbeziehung von Humankapital.
Allerdings hat das Humankapital auch großen Einfluss auf die betriebswirtschaftlichen Ziele der Unternehmen, so dass sich die Frage nach der Quantifizierung des Mitarbeiter- wertes stellt. Dies wird beispielsweise in der divergenten Entwicklung der Erfolge USamerikanischer und sowjetischer Unternehmen in der Rüstungs- und Raumfahrtindustrie in den 1960er Jahren deutlich. Die dauerhaft besseren Ergebnisse sowjetischer Unternehmen werden insbesondere auf das höhere Human Capital zurückgeführt (Gebauer, 2005, p. 16). Im Zeitraum 1964-1974 werden auf der Grundlage dieser Problemstellung erste betriebswirtschaftliche Bewertungsansätze entwickelt. Diese können in kostenorientierte Modelle (Human Resource Accounting) und wertorientierte Modelle (Human Resource Value Accounting) unterteilt werden (Flamholtz, 1999). Nachfolgend werden einige bedeutende Modelle im Zeitablauf dargestellt:
Human Resource Accounting
Bewertung mit Opportunitätskosten
Bei diesem Modell liegt der Fokus auf Mitarbeitern, die im Unternehmen mehrere Aufgaben überneh- men könnten und in der Folge einen besonderen Wert für das Unternehmen darstellen. Dadurch, dass sie jedoch nur eine Aufgabe ausfüllen können, entstehen Opportunitätskosten. Diese stellen den individuellen Wert des Mitarbeiters dar. Ermittelt werden die Opportunitätskosten durch Bieterverfah- ren auf einem fiktiven internen Arbeitsmarkt. Mitar- beiter, die diese Fähigkeiten nicht besitzen, werden nicht betrachtet, da sie ohne Probleme auf dem ex- ternen Arbeitsmarkt zu beschaffen wären.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3 Human Resource Accounting
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4 Human Resource Value Accounting
In den 1980er Jahren wird die Diskussion um das Human Capital erneut durch wirtschaftliche Divergenzen angefacht. Deutlich spürbare Produktivitätsvorsprünge japanischer Unternehmen - gegenüber ihren US-amerikanischen Wettbewerbern - werden wiederum auf einen nachhaltigeren Umgang mit dem Human Capital der Unternehmen zurückgeführt (Hayes, 1994, p. 79). Einerseits wird zu diesem Zeitpunkt deutlich, dass das Human Capital eine bedeutsame und wichtige Komponente der Unternehmen zu sein scheint, andererseits fehlt es den bis dahin entwickelten Bewertungsverfahren jedoch an Rationalität und Genauigkeit (Dürndorfer et al., 2005, p. 17).
In den 1990er Jahren erreicht die Aufmerksamkeit für die Human-Capital-Diskussion ei- nen neuen Höhepunkt. Neben der Verleihung des Nobelpreises an Gary S. Becker im Jahr 1992 liegt dies aber im Wesentlichen an der zunehmenden Abkopplung der Markt- werte der Unternehmen von deren ausgewiesenen Unternehmensvermögen. Eine mögliche, wenngleich sicherlich nicht die einzige Erklärung für diese Entwicklung kann eine stärkere Berücksichtigung des individuellen Human Capital der Unternehmen durch die Investoren sein (Gebauer, 2005, p. 22).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5 Markt-Buchwert-Verhältnis S&P 500 In Anlehnung an Becker et al., 2001, p. 8
Die Vermutung der zunehmenden praktischen Bedeutung von Human Capital lässt sich ebenfalls durch den konstant ansteigenden Anteil immaterieller Vermögenswerte - im Rahmen der Kaufpreisberechnung bei M&A-Transaktionen in den 1990er Jahren - stützen (Jaeger, 2004, p. 2). Zudem lassen laut Jaeger (2004, p. 2) die von 4 Milliarden DM in den 1970er Jahren auf 36 Milliarden DM im Jahr 1995 angestiegenen Aufwendungen für betriebliche Weiterbildungen ähnliche Schlüsse zu.
Eine Verdoppelung der zum Thema Human Capital veröffentlichten Artikel im Laufe der 1990er Jahre zeigt eine analoge Entwicklung in Wissenschaft und Forschung (Friedman et al., 1999, p. 25). Diese wird zunächst durch Arbeiten zu kennzahlorientierten Ansätzen, wie beispielsweise dem Personalcontrolling, dominiert (Dürndorfer et al., 2005, p. 17). Sukzessive erfolgt dann jedoch die Implementierung der Human-Capital-Ansätze in das strategische Management. Dabei dienen u. a. Führungsinstrumente wie die Balanced Scorecard (Kaplan & Norton, 1993) als Grundlage. Norton (2001) beschreibt das Vakuum in Bezug auf den strategischen Umgang mit Human Capital wie folgt: „But the worst grades are reserved for the typical executive team for their understanding of strategies for developing human capital. There is little consensus, little creativity, and no real framework for thinking about the subject. Worse yet, we have seen little improvement in this over the past eight years.” Die Entwicklung der HR-Scorecard durch Becker et al. (2001) sieht er in diesem Zusammenhang als vielversprechenden Schritt zur nachhaltigen Implementierung von Human Capital in die Unternehmensstrategie an. In der Folge hat sich die bis heute andauernde Diskussion - um das Human Capital Management und den richtigen Umgang mit dem Mitarbeiter als zentralem immateriellem Vermögenswert (Scholz et al., 2003, p. 50) und Schlüsselfaktor zur Steigerung der unternehmerischen Wertschöpfung (Dürndorfer et al., 2005, p. 19) - für eine immer breiter werdende Zielgruppe geöffnet.
“Human, not financial, capital must be the starting
point and ongoing foundation of a successful strategy.“
Bartlett/Ghosal (MIT Sloan Review, 2002)
2.3 Bedeutung für Unternehmen
Nach Norton (2001) liegt der Anteil immaterieller Vermögenswerte am Gesamtwert eines Unternehmens bei durchschnittlich 75 %. Da Human Capital eine entscheidende Größe der immateriellen Vermögenswerte darstellt, kann es als strategisch bedeutsame Größe für den Unternehmenserfolg betrachtet werden. Zugleich sehen sich die Unternehmen mit einer erheblichen Kapitalbindung und Kostenintensität durch das Human Capital konfron- tiert. Während nahezu alle Unternehmen mit großer Akribie die Steigerung der Rendite ihres finanziellen Kapitals verfolgen, sind ähnliche Versuche in Bezug auf das Human Capital bisher nur selten zu beobachten (Dürndorfer et al., 2005, p. 21). In diesem Zu- sammenhang kommt eine von der Hans-Böckler-Stiftung in 2011 herausgegebene Studie zur Personalberichterstattung der größten deutschen börsengelisteten Unternehmen zu einem interessanten Ergebnis. Demnach scheint das operative Verhalten der Unterneh- men in einem diametral entgegengesetzten Verhältnis zu ihrer externen Berichterstattung zu stehen. Dieser Widerspruch wird bei der Betrachtung der drei wesentlichen Kernaus- sagen der Studie deutlich (Beile, 2011, p. 96):
- Mitarbeiter werden von den Unternehmen als wichtige Ressource für den Unterneh- menserfolg betrachtet.
- Der demografische Wandel verschärft die Konkurrenz um Fach- und Führungskräfte.
- Die Unternehmen legen zunehmend Wert auf die interkulturellen Kompetenzen ihrer Mitarbeiter.
Zusammenfassend scheint das Human Capital als wichtiger Wettbewerbsfaktor erkannt worden zu sein. Dies unterstreicht eine von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in 2008 durchgeführte Studie. Demnach lassen sich 41 % der Outperformance besonders erfolgreicher Unternehmen auf den besseren Umgang mit entscheidenden qualitativen Human-Capital-Kriterien zurückführen. Als wesentliche Werttreiber identifiziert die Studie (Schubert et al., 2008, pp. 100 - 104):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse ist es erforderlich, ein Umdenken im Top- Management der Unternehmen einzuleiten. Viel zu oft stehen nach wie vor die sofort wirksame Kostenersparnis durch Personalabbau und eine damit verbundene, einmalige positive Beeinflussung von Ertragskennzahlen im Fokus. Dieses Verhalten führt jedoch langfristig häufig zu deutlich höheren Kosten (Dürndorfer et al., 2005, p. 20), beispielswei- se durch entstehende Personalengpässe und Know-how-Verlust im Bereich des spezifi- schen Human Capital. Einer der Gründe für diese immer wieder auftretenden Manage- mentfehler lässt sich leicht ausmachen. Die zu einem späteren Zeitpunkt entstehenden Kosten werden schlicht nicht mit den in der Vergangenheit getroffenen Managementent- scheidungen in Verbindung gebracht. Das im weiteren Verlauf der Arbeit beschriebene Modell soll helfen, diese Faktoren bereits für heutige Managemententscheidungen zu operationalisieren und transparent zu machen.
2.4 Allgemeines und spezifisches Human Capital
Becker (1964, pp. 33 - 51) unterscheidet zwischen zwei Arten von Human Capital. Nach seinem Verständnis können Investitionen in allgemeines Human Capital („general training“) oder spezifisches Human Capital („on-the-job training“) erfolgen. Die Unterscheidung dieser Arten des Human Capital ist von großer praktischer Bedeutung, so dass beide nachfolgend kurz dargestellt werden.
Allgemeines Human Capital
Bei allgemeinem Human Capital handelt es sich um Wissen bzw. Fähigkeiten, die der Mitarbeiter nicht nur im eigenen Unternehmen, sondern theoretisch auch bei anderen Un- ternehmen produktivitätssteigernd einbringen kann. Als Beispiele können an dieser Stelle Fortbildungen im Bereich der EDV oder das Erlernen von Projektmanagementmethoden angeführt werden. Für die Unternehmen bedeutet dies einerseits, dass das ggf. in allge- meines Human Capital investierte Kapital bei einem Ausscheiden des Mitarbeiters dem eigenen Unternehmen verloren geht und in der Folge durch andere Unternehmen unent- geltlich genutzt werden kann. Andererseits kann dieses Human Capital am Arbeitsmarkt, durch die Rekrutierung von Mitarbeitern mit entsprechenden Fähigkeiten, wiederbeschafft werden.
Spezifisches Human Capital
Im Gegensatz zum allgemeinen Human Capital lässt sich das spezifische Human Capital, zumindest nach der theoretischen Definition, nicht zu einem anderen Unternehmen trans- ferieren. Konkret umfasst das spezifische Human Capital Wissen und Fähigkeiten, die nur zu einer Produktivitätssteigerung im eigenen Unternehmen führen. Beispielhaft können interne Netzwerke, Erfahrung, internes Prozess-Know-how, spezielle Kundenbeziehungen oder auch die Anwendung einer unternehmensspezifischen Software genannt werden. Verlässt der Mitarbeiter das Unternehmen, wird das spezifische Human Capital nach dem Verständnis von Becker (1964, pp. 33 - 51) für Unternehmen und Mitarbeiter wertlos, da es dem neuen Unternehmen keinen Mehrwert bietet und dort erst erneut aufgebaut wer- den muss. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass einzelne Elemente des spezifischen Hu- man Capital durchaus transferiert werden können, so dass diese Annahme der gänzlichen Wertlosigkeit im Falle eines Mitarbeiteraustritts gewissen Einschränkungen unterliegt (Hering et al., 2008, p. 138). Wechselt beispielsweise ein Mitarbeiter mit hervorragenden individuellen Kundenbeziehungen das Unternehmen, verliert das spezifische Human Ca- pital nur in dem Falle seinen Wert, dass die Kunden nach wie vor Kunden des eigenen Unternehmens bleiben. In der Praxis lässt sich laut Hering et al. (2008, p. 138) jedoch häufig beobachten, dass die Kunden direkt oder zu einem späteren Zeitpunkt dem Mitar- beiter zu dessen neuem Unternehmen folgen. Das spezifische Human Capital des Mitar- beiters lebt dann ggf. bei seinem neuen Unternehmen wieder auf. Eine ähnliche Konstel- lation kann laut Hering et al. (2008, p. 138) dann auftreten, wenn spezifisches Human Capital in teaminternen Prozessen bzw. Synergien gebunden ist. Verlässt ein einzelner Mitarbeiter das Unternehmen, verfällt dieses Human Capital bei dem einzelnen Mitarbei- ter. Wechselt aber das ganze Team zu einem Mitbewerber, kann das spezifische Human Capital transferiert werden. Solche Vorgänge stellen demnach ein ernst zu nehmendes Risiko für Unternehmen dar. Sie verlieren nicht nur das spezifische Human Capital im eigenen Unternehmen, sondern tragen auch das Risiko, dass sich Wettbewerbsvorteile zu Gunsten ihrer Mitbewerber verlagern können.
An dieser Stelle ist es wichtig hervorzuheben, dass solche Wettbewerbsvorteile nicht nur auf das spezifische Human Capital zu beschränken sind (Wright & McMahan, 2011, p. 98). Auch durch das allgemeine Human Capital können solche Vorteile entstehen. Zwar ist dieses, wie bereits erwähnt, grundsätzlich frei am Markt verfügbar und steht nicht origi- när einem einzelnen Unternehmen zu, wohl aber das Niveau des Wissens und der Fähig- keiten sowie dessen einzigartige Allokation bezogen auf den einzelnen Mitarbeiter.
Laut Wright/McMahan (2011, p. 99) können solche nachhaltigen Wettbewerbsvorteile jedoch nur erzielt werden, wenn das Unternehmen in der Lage ist, die richtigen Anreize zu schaffen und die Mitarbeiter langfristig zu binden. Darüber hinaus ist eine faire Verteilung der Erträge, insbesondere aus dem spezifischen Human Capital, zwischen Mitarbeiter und Unternehmen eine Grundvoraussetzung für die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen. Schlüsselthemen sind an dieser Stelle beispielsweise die Aufteilung von Fortbildungskosten und Gehaltsanpassungen betroffener Mitarbeiter.
2.5 Schlüsselpersonal
Um solche konkreten Maßnahmen ergreifen zu können, muss das Unternehmen jedoch zunächst in der Lage sein, das entsprechende Schlüsselpersonal als Träger des Wettbe- werbsvorteile verschaffenden, allgemeinen oder spezifischen Human Capital zu identifizieren. Der immer stärker Einfluss nehmende demografische Wandel und in dessen Folge fehlende Nachwuchskräfte erhöhen laut Dürndorfer et al. (2005, p. 30) den Druck auf die Unternehmen, in diesem Bereich tätig zu werden. Dürndorfer et al. sehen insbesondere das nur kostenintensiv und langfristig aufzubauende spezifische Human Capital durch einen schwieriger werdenden Wissens- und Erfahrungstransfer gefährdet. Dies wiederum hat ggf. direkte negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Dürndorfer et al. (2005, p. 40) definieren daher die Identifikation und Bindung von Schlüs- selpersonal als bedeutenden Erfolgsfaktor für Unternehmen. Eine gezielte Einbindung dieser Komponenten in das Human Capital Management des Unternehmens kann dem- nach eine erhöhte Fluktuationsrate und die damit verbundenen Kosten (Wiederbeschaf- fung, Einarbeitung etc.) mindern. Zusätzlich lässt sich die Stärkung von Wettbewerbern - durch den Transfer von Know-how oder Kundenbeziehungen - verhindern.
Darüber hinaus eröffnen sich durch die gezielte Bindung, Förderung und Motivation von Schlüsselpersonal neue Potenziale. Nach einer Studie der Beratungsgesellschaft Gallup (2005) beträgt der jährliche Schaden durch fehlende Leistungsbereitschaft, Förderung und Bindung von Mitarbeitern in deutschen Unternehmen ca. 250,6 bis 254,2 Milliarden Euro. Gleichzeitig zeigen die jährlich veröffentlichten HR-Trendstudien der Beratungsgesellschaft Kienbaum (2009, 2010, 2011), welche Personalengpässe bereits jetzt bei den führenden, im deutschsprachigen Raum ansässigen Unternehmen vorherrschen. In den letzten fünf Jahren lag demnach jeweils die größte Priorität des HR-Managements der Unternehmen auf der Besetzung von Schlüsselpositionen.
An dieser Stelle schließt sich die Frage der Definition von Schlüsselpersonal an. Führing (2006, p. 181) erfasst in seiner Definition alle Mitarbeiter, die aufgrund ihrer einzigartigen und wertvollen individuellen Fähigkeiten von besonderer Bedeutung für die Erreichung erfolgsrelevanter Größen sind. Ein Ausfall oder Verlust dieser Mitarbeiter führt folglich zu einer Gefährdung der Erreichung der Unternehmensziele. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um Führungskräfte des Unternehmens handeln, wenngleich ihr Anteil am Schlüsselpersonal verhältnismäßig hoch ist. Ebenso können laut Führing (2006, p. 182) Mitarbeiter, die von besonderer Bedeutung für die Planung, Entwicklung und Durchfüh- rung marktbezogener Aktivitäten sind, dem Schlüsselpersonal zugeordnet werden. Nach Cosack et al. (2010, pp. 135 - 139) lassen sich grundsätzlich etwa 30-45 Prozent der Be- legschaft aufgrund ihrer spezifischen Fähigkeiten als Schlüsselpersonal definieren. Redu- ziert man diese Gruppe anschließend auf kernstrategisch bedeutsame Mitarbeiter, ent- sprechen diese etwa einem Anteil von 5-10 Prozent der Belegschaft.
Vor dem Hintergrund der offensichtlich großen praktischen Bedeutung von Schlüsselpersonal wird sich das im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu entwickelnde Human-Capital- Modell auf diese Zielgruppe fokussieren.
2.6 Problem der Bewertbarkeit
Um eine Abkehr von der etablierten Sicht der Unternehmen auf die Mitarbeiter als pri- mären Kostenfaktor zu erreichen, scheint die Entwicklung von Bewertungsverfahren nach Barthel et al. (2004, p. 5) ein geeignetes Mittel zu sein. Denn nach wie vor blockiert die einseitige Fokussierung der Manager auf konkrete Zahlen ein Verständnis für die strategi- sche Bedeutung des Human Capital (Schütte, 2007, p. 20). An dieser Stelle können zwei renommierte Vordenker ihrer Zeit zitiert werden. Ihre Aussagen beschreiben sinngemäß auch das bestehende Dilemma der Bewertbarkeit von Human Capital. Während einerseits der US-amerikanische Ökonom Peter F. Drucker (1909-2005) erklärt: “what you can’t measure you can’t manage“, führt andererseits der Nobelpreisträger der Physik des Jah- res 1921, Albert Einstein (1879-1955) aus: „not everything, that counts, can be counted, and not everything, that can be counted, counts“ (Schütte, 2007, p. 20). Letztlich erscheint es sinnvoll, beide Sichtweisen, einerseits harte, messbare Zahlen und andererseits wei- che, qualitative Beobachtungen, zu kombinieren (Mintzberg, 2009, p. 232). Beide müssen ihren Beitrag zur Bewertung von Human Capital leisten.
Bis zum heutigen Tage hat sich diesbezüglich jedoch kein klarer Standard herausgebildet. Dies ist laut Welpe et al. (2007, p. 275) darauf zurückzuführen, dass bisher keines der bekannten Verfahren in der Lage ist, die exakten Auswirkungen des Human Capital auf den Unternehmenserfolg bzw. dessen Anteil am Wert des Unternehmens darzulegen. Allerdings sind solche „unscharfe“ Verfahren sehr wohl in der Lage, Tendenzen und Ent- wicklungen aufzuzeigen, die der Unternehmensführung, z. B. in Bezug auf das Personal- risikomanagement, nützlich sein können (Drumm, 2004, pp. 15 - 22). Die unterschiedli- chen Ansätze fassen Scholz et al. (2011, pp. 57 - 201) umfassend zusammen. Demnach können, in Ergänzung zu den in Kapitel 2.2 erwähnten Verfahren, derzeit folgende praxis- relevante Ansätze unterschieden werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 6 Human-Capital-Bewertung In Anlehnung an Scholz et al., 2011, p. 57
Marktwertorientierte Ansätze (spekulativ)
Im Rahmen dieser Ansätze erfolgt eine Bewertung des Human Capital über eine markt- seitige Einschätzung. Dies bedeutet, dass die Marktkapitalisierung des Unternehmens als zentrale Größe herangezogen und in Relation zum Buchwert gesetzt wird. Die Differenz entspricht dann dem Wert des Human Capital des Unternehmens. Dieser Wert kann in einer weiterentwickelten Form dieses Verfahrens beispielsweise zusätzlich durch das Vollzeitäquivalent geteilt werden, um so den Wertschöpfungsbeitrag eines einzelnen Mit- arbeiters ermitteln zu können. Solche Ansätze sind aufgrund ihrer Einfachheit und hohen Verfügbarkeit der erforderlichen Daten recht beliebt, unterliegen aber aufgrund ihrer gro- ßen Kapitalmarktabhängigkeit einer hohen Volatilität und werden daher von Scholz et al. (2011, pp. 60 - 78) als spekulativ eingestuft.
Accounting-orientierte Ansätze (kalkulativ)
Die monetäre Bewertung von Human Capital basiert bei diesen - historisch betrachtet ältesten Ansätzen auf bekannten Abschreibungsmethoden. Sie beziehen dabei möglichst alle Personalaufwendungen in die Bilanzierung und Rechnungslegung mit ein und inter- pretieren diese als Investitionen. Allerdings offenbaren sie laut Scholz et al. (2011, pp. 79 - 92) insbesondere aufgrund fehlender Regeln zur exakten Erfassung bestimmter Sachverhalte, der fehlenden Berücksichtigung von motivationalen Faktoren sowie ihrer Vergangenheitsorientierung einige Schwächen.
Indikatorenbasierte Ansätze (kumulativ)
Als Basis dieser Ansätze werden zunächst Wertindikatoren des Human Capital identifi- ziert. Anschließend werden diese nebeneinandergestellt oder kombiniert. Im Ergebnis kann ein monetärer Wert oder eine relative Zahl im Zusammenhang mit einem Human- Capital-Index ausgewiesen werden. Der Vorteil solcher Ansätze liegt in der direkten Aus- einandersetzung mit potenziellen Werttreibern des Human Capital. Bei einem Absinken bestimmter Indikatoren kann das Management unmittelbar durch gezielte Maßnahmen auf diese einwirken. Nachteilig wirkt jedoch die hohe Subjektivität bei der Auswahl der Indika- toren, die einen Vergleich zwischen unterschiedlichen Unternehmen nahezu unmöglich macht (Scholz et al., 2011, pp. 93 - 150).
Value-Added-Ansätze (derivativ)
Durch diese Ansätze wird das Human Capital der Mitarbeiter als Wertschöpfungspotenzial interpretiert. Jedem Mitarbeiter wird demnach aufgrund seiner Fähigkeiten etc. eine Wertschöpfungsrelevanz zugeschrieben. Der im Ergebnis als Residualgewinn aus den Outputgrößen (beispielsweise Umsatzerlöse) abzüglich der Inputgrößen (Kapital- oder Personalkosten) ermittelte Wert des Human Capital wird dabei immer monetär ausgewiesen (Scholz et al., 2011, pp. 151 - 182).
Renditeorientierte Ansätze (relativ)
Renditeorientierte Ansätze betrachten das Verhältnis einer individuell festzulegenden Erfolgsgröße (beispielsweise Umsatzertrag) zum aufgewendeten Kapital. Im Ergebnis wird eine dem Human Capital zuzuschreibende Rendite erwirtschaftet. Positiv erscheint bei diesen Ansätzen zudem die periodische Betrachtung, die eine Vergleichbarkeit mit vorangegangenen Jahren schafft. Jedoch besteht die Gefahr, dass beim Einsatz eines solchen Instruments ggf. falsche Anreize gesetzt werden könnten. Denn eine Renditesteigerung lässt sich ebenfalls durch die Reduzierung personalbezogener Kosten erreichen. Ein durch renditeorientierte Ansätze errechneter Human-Capital-Wert wird meist als Prozentzahl ausgedrückt (Scholz et al., 2011, pp. 183 - 200).
Ertragspotenzialorientierte Ansätze (integrativ)
Im Rahmen von ertragspotenzialorientierten Ansätzen werden die Belegschaft oder auch einzelne Mitarbeiter unabhängig von den derzeitigen Erträgen des Unternehmens bewer- tet. Diese Ansätze integrieren möglichst alle Human-Capital-bildenden Komponenten und drücken im Ergebnis - monetär, relativ oder als Index - das zukünftige Potenzial der Mit- arbeiter aus. Das Ergebnis stellt für das Unternehmen einen Erwartungswert an einen Mindestertrag dar, den es mit seinen Mitarbeitern erwirtschaften kann (Scholz et al., 2011, pp. 195 - 208). Aufgrund seiner Zukunftsorientierung und Fokussierung auf die wertbeein- flussenden Komponenten des Human Capital weist dieser Ansatz - im Vergleich zu den anderen beschriebenen Verfahren - insbesondere für das strategische Management von Human Capital eine hohe Praxisrelevanz auf.
Es erscheint an dieser Stelle wichtig hervorzuheben, dass die vorgestellten Ansätze in erster Linie der Informationsbeschaffung für das Management und andere Stakeholder dienen und einen Anreiz zur Förderung des Human Capital darstellen sollen. Scholz et al. (2011, p. 202) schlagen daher eine Implementierung in den Lagebericht der Unternehmen vor. Tatsächlich wäre eine direkte Bilanzierung des Human-Capital-Wertes schon rein rechtlich nicht möglich. Sowohl das deutsche Bilanzierungsrecht (§ 246 Abs. 1 HGB) als auch die IFRS (IAS 38) legen bestimmte Kriterien an die Bilanzierung immaterieller Ver- mögenswerte an. Demnach muss das Unternehmen u. a. die Beherrschbarkeit des imma- teriellen Vermögenswertes - in diesem Fall des Human Capital - nachweisen. Ein solcher Sachverhalt ist aber, aufgrund des fehlenden Eigentums des Unternehmens an seinen Mitarbeitern, nicht gegeben. Demgegenüber steht die indirekte Bilanzierung des Human Capital im Rahmen von § 266 Abs. 2 HGB und IFRS 3.51. Danach ist das Unternehmen verpflichtet, immaterielle Vermögenswerte im Anschluss an den Kauf eines Unterneh- mens - falls der Kaufpreis den Buchwert übersteigt (Goodwill) - bilanziell abzubilden. Allerdings ist selbst in diesem Fall eine detaillierte monetäre Abgrenzung des Human Ca- pital gegenüber anderen immateriellen Vermögenswerten nicht darstellbar.
3 Risikomanagement von Human Capital
Im Anschluss an die vorangegangene Betrachtung von Human Capital befasst sich das nachfolgende Kapitel mit dessen Risikomanagement. Zunächst erfolgt eine breite Darstellung der Begriffe sowie wesentlicher Aspekte, die anschließend sukzessive auf das für die Entwicklung des Human-Capital-Modells notwendige Maß eingegrenzt werden.
3.1 Begriff
Der Begriff Risikomanagement setzt sich aus den Wörtern „Risiko“ und „Management“ zusammen. Das Wort „Risiko“ lässt sich dabei auf das frühitalienische „risco“, eine Klippe, die es zu umschiffen gilt, zurückführen (Klöti, 2008, p. 29). Bezogen auf unternehmeri- sches Handeln kann das Risiko als „Gefahr eines Verlustes oder eines Schadens definiert werden“ (Götze et al., 2001, p. 5) und geht mit jeder getroffenen Entscheidung einher. „Management“ lässt sich allgemein als Leitungsfunktion in Unternehmen und Organisatio- nen definieren und umfasst die Funktionen Planung, Organisation, Führung und Kontrolle (Robbins et al., 2011, p. 468). Nach Kromschröder/Lück (1998, p. 1573) umfasst das Risi- komanagement die „Überwachung und Steuerung aller das Unternehmen bedrohenden Verlustgefahren“. Dabei kann das Risikomanagement durchaus als Element der strategi- schen Unternehmensführung verstanden werden (Götze et al., 2001, p. 11). Es berück- sichtigt möglichst alle relevanten Risikoursachen, beschreibt deren Auswirkungen auf die Zielerreichung des Unternehmens und schafft dadurch eine erweiterte Entscheidungs- grundlage - unter Berücksichtigung von Chancen und Risiken - für die Unternehmensfüh- rung. Zusammengefasst hilft es, die Gefahr strategischer und operationeller Fehlent- scheidungen zu minimieren. Es trägt laut Götze et al. (2001, p. 12) darüber hinaus dafür Sorge, eine gewisse Sensibilität hinsichtlich potenzieller Risiken unter den Führungskräf- ten und in der Belegschaft zu erzeugen. Zudem hat es die Aufgabe Systeme zu entwi- ckeln, die, ggf. unter Berücksichtigung einer gewissen Unsicherheit, dazu in der Lage sind, entscheidungsrelevante Informationen zu sammeln und auszuwerten.
Allgemeines Risikoprofil der Banken- und Finanzwelt
Bezüglich der Risikokategorisierung existieren vielfältige Ansätze und Definitionen. Dennoch zeigt die Diskussion, dass die Unterschiede meist im Detail liegen. Zusammenfassend lassen sich nach Klöti (2008, p. 34) folgende Risikokategorien beschreiben:
- Kreditrisiko: Gefahr eines unerwarteten Ausfalls bzw. einer unerwarteten Bonitätsverschlechterung eines Schuldners
- Marktrisiko: Gefahr eines unerwarteten Ausfalls aufgrund einer Wertmin derung eingegangener Positionen infolge einer nicht erwarteten Marktbewegung
- Operationelles Risiko: Risiken durch Personal, Systeme, Prozesse, Recht, externe Ereignisse
- Andere Risiken: Strategisches Risiko, Reputationsrisiko und Liquiditätsrisiko
Aus Sicht des Risikomanagements gliedern sich diese Oberkategorien - wie in der nach- folgenden Abbildung dargestellt - sukzessive in weitere Unterkategorien bis hin zu Einzel- risiken auf.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 7 Risikokategorisierung In Anlehnung an Klöti, 2008, p. 19
Im weiteren Verlauf der Arbeit werden zunächst die operationellen Risiken allgemein be- schrieben, um im Anschluss eine Fokussierung auf die Unterkategorie der Personalrisiken vorzunehmen.
3.2 Operationelle Risiken
Nach Definition des Basel Committee on Banking Supervision (2004, p. 127) können operationelle Risiken wie folgt definiert werden:
“Operational risk is defined as the risk of loss resulting from inadequate or failed internal processes, people and systems or from external events.”
Ursachen operationeller Risiken können demnach sowohl interner als auch externer Natur sein. Unabhängig von ihrem Ursprung werden sie nach Kunze (2007, pp. 29 - 43) dabei maßgeblich durch interne Verfahren beeinflusst. Daraus geht hervor, dass operationelle Risiken üblicherweise interne Leistungsbereiche betreffen und von diesen steuerbar sind.
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- Arbeit zitieren
- Christian J. Hassel (Autor:in), 2012, Human-Capital-Management: Abbau von Risiken und Steigerung des Human-Capital-Wertes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/193455