In den 1930er Jahren beschäftigte sich der deutsch-jüdische Soziologe Norbert Elias in seinem Londoner Exil „mit den Entwicklungen des Mittelalters, des Humanismus, der höfischen Gesellschaften und der Aufklärung im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts“. Sein Hauptaugenmerk lag dabei vor allem auf den langfristigen und permanenten Transformationen der Persönlichkeits- und Gesellschaftsstrukturen innerhalb der westlichen Gesellschaften. Diese Arbeit wird die Frage klären wie sich das Zusammenspiel von Psychogenese und Soziogenese innerhalb den Zivilisationsprozesses gestaltet und welche Bedeutung der Enkulturation in diesem Kontext beibemessen wird. Elias wollte untersuchen, was der innere ‚Antrieb’ des kulturellen Fortschrittes war und wie die Menschen im Laufe der Jahrhunderte sich selbst und auch ihre Mitmenschen dazu brachten „allmählich zivilisiertere Verhaltenweisen anzunehmen“. Als empirisches Material dienten dabei die in verschiedenen Sprachen verfassten Manieren- und Erziehungsschriften sowie Anstands- und Zeremoniellbücher. Er untersuchte die Verhaltensänderungen der höfischen Eliten vom ausklingenden Mittelalter bis ins 18te Jahrhundert wobei die Zeit des französischen Absolutismus den zentralen Punkt seiner Forschungen bildete. Diese monumentale zweibändige Monographie aus dem Jahr 1939 ist mit „Über den Prozess der Zivilisation“ tituliert und wahrscheinlich Elias’ bedeutendstes Werk. Die darin enthaltene Zivilisationstheorie erhält ihre hohe Aussagekraft bis zum heutigen Tag vor allem durch die interdisziplinäre Leistung, welche die Soziologie mit der Geschichtswissenschaft, der Ethnologie, Anthropologie, Psychologie, Rechts- wissenschaft und Kulturwissenschaft verknüpfte. "Die Strukturen der menschlichen Psyche, die Strukturen der menschlichen Gesellschaft und die Strukturen der menschlichen Geschichte, sie sind Komplementärerscheinungen und nur im Zusammenhang miteinander zu erforschen." Im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen soziologischen Theorien und der bloßen Beschreibung von gesellschaftlichen Tendenzen in der Gegenwart ermöglicht sie es, weitaus längerfristige Vorgänge in der Kulturgeschichte zu erfassen, zu verstehen und zu deuten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Zivilisationsprozess
2.1. Der Begriff der Zivilisation
3. Psychogenese
3.1. Affektbändigung
3.2. Fremdzwänge zu Selbstzwängen
3.3. Scham- und Peinlichkeitsgefühle
4. Soziogenese
4.1. Veränderung der Ordnungsstrukturen durch Affektkontrolle
4.2. Entwicklung von Herrschaftsstrukturen und das Gewaltmonopol
5. Enkulturation
5.1. Enkulturationsbegriff
5.2. Figurationen/Interdependenzgeflechte
6. Schlussbetrachtung
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In den 1930er Jahren beschäftigte sich der deutsch-jüdische Soziologe Norbert Elias in seinem Londoner Exil „mit den Entwicklungen des Mittelalters, des Humanismus, der höfischen Gesellschaften und der Aufklärung im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts“. Sein Hauptaugenmerk lag dabei vor allem auf den langfristigen und permanenten Transformationen der Persönlichkeits- und Gesellschaftsstrukturen innerhalb der westlichen Gesellschaften.1 Diese Arbeit wird die Frage klären wie sich das
Zusammenspiel von Psychogenese und Soziogenese innerhalb den Zivilisationsprozesses gestaltet und welche Bedeutung der Enkulturation in diesem Kontext beibemessen wird. Elias wollte untersuchen, was der innere ‚Antrieb’ des kulturellen Fortschrittes war und wie die Menschen im Laufe der Jahrhunderte sich selbst und auch ihre Mitmenschen dazu brachten „allmählich zivilisiertere Verhaltenweisen anzunehmen“.2 Als empirisches Material dienten dabei die in verschiedenen Sprachen verfassten Manieren- und Erziehungsschriften sowie Anstands- und Zeremoniellbücher. Er untersuchte die Verhaltensänderungen der höfischen Eliten vom ausklingenden Mittelalter bis ins 18te Jahrhundert wobei die Zeit des französischen Absolutismus den zentralen Punkt seiner Forschungen bildete.3 Diese monumentale zweibändige Monographie aus dem Jahr 1939 ist mit „ Ü ber den Prozess der Zivilisation “4 tituliert und wahrscheinlich Elias’ bedeutendstes Werk. Die darin enthaltene Zivilisationstheorie erhält ihre hohe Aussagekraft bis zum heutigen Tag vor allem durch die interdisziplinäre Leistung, welche die Soziologie mit der Geschichtswissenschaft, der Ethnologie, Anthropologie, Psychologie, Rechts- wissenschaft und Kulturwissenschaft verknüpfte. "Die Strukturen der menschlichen Psyche, die Strukturen der menschlichen Gesellschaft und die Strukturen der menschlichen Geschichte, sie sind Komplementärerscheinungen und nur im Zusammenhang miteinander zu erforschen."5 Im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen soziologischen Theorien und der bloßen Beschreibung von gesellschaftlichen Tendenzen in der Gegenwart ermöglicht sie es, weitaus längerfristige Vorgänge in der Kulturgeschichte zu erfassen, zu verstehen und zu deuten.6
2. Der Zivilisationsprozess
2. 1. Der Begriff der Zivilisation
In der Einleitung von „Über den Prozess der Zivilisation“ bemüht sich Elias um eine vordergründige Trennung des Gegensatzpaares „Kultur“ und „Zivilisation“.7 Im deutschen Sprachraum stellt Zivilisation nur etwas zweitrangiges dar, denn „das Wort, durch das man den Stolz auf die eigene Leistung und das eigene Wesen zum Ausdruck bringt, heißt ‚Kultur’.“8 Kultur entspricht demnach den geistigen und künstlerischen Produkten einer Gesellschaft, wohingegen Zivilisation keinen endgültigen manifestierten Zustand, sondern einen Prozess bzw. eine Genese darstellt. Zivilisation ist demzufolge der Stand der Technik, die Art wie Frauen und Männer zusammenleben und miteinander umgehen, religiöse Ideen und Rituale, das Verhalten am Esstisch9 etc. „Insofern geht es im Grunde nicht um Zivilisation, sondern um Zivilisierung.“10 Als Untertitel für „Über den Prozess der Zivilisation“ wählte Elias „Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen“ welche er in seinem Werk erläutert. Psychogenese und Soziogenese bilden demzufolge eine Synthese und beeinflussen sich im laufe der Geschichte Europas gegenseitig. Zivilisation muss als ein geschichtlicher Prozess erklärt werden, welcher nur eingeflochten im historischen Rückblick seine Gültigkeit erhält. Die Betrachtung des ‚Jetzt-Zustandes’ einer Gesellschaft muss daher auch ihre historische Genese und Gesellschaftswerdung mit einbeziehen.11 Auf der Grundlage dieser Erkenntnis entwirft Elias zwei ebenfalls aufeinander aufbauende theoretische Konstruktionen: Die oben genannte Zivilisationstheorie, welche als eine Theorie des Persönlichkeits- und Verhaltenswandels bezeichnet werden kann, und die Staatenbildungstheorie, welche sich rund um die Entstehung der Gesellschaft und die damit verbundenen Faktoren wie die Stabilisierung und Integration dreht. Dabei ist festzuhalten, dass der gesamte Zivilisationsprozess nicht geplant durchlaufen wird, aber auch kein Produkt des plötzlichen Zufalls ist. Zivilisation ist kein Besitztum, welches sich eine Gesellschaft im Laufe der Zeit sichern kann da uns auch Dezivilisationsprozesse bekannt sind.
3. Psychogenese
Mit dem Begriff Psychogenese bezieht sich Elias auf die Mikroebene, sprich auf das Denken, Fühlen und die Handlungen des einzelnen Menschen. Er umschreibt damit den langfristigen Prozess der menschlichen Persönlichkeitsstrukturen, der Individualisierung, sowie die damit einhergehende Transformation des menschlichen Verhaltens im Kontext der gesamten Gesellschaft.12 Eine der Hauptthesen Elias’ ist, dass mit den Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen und damit einhergehenden größeren sozialen Verflechtungen die Relevanz zur Selbstkontrolle und zur Selbstregulierung der eigenen Affekte anstieg.13
3.1. Affektbändigung
Im Verlauf seiner Ausführungen bezieht er sich auf die Sonderstellung des absolutistischen Staates in dem die Adligen, vom absolutistischen Herrscher besiegt und in starker Abhängigkeit zu ihm, nicht mehr frei nach ihrem Gusto vom Faustrecht gebrauch machen können und Teil des Königshofes und der höfischen Gesellschaft sind.14 Im Kampf um die Aufmerksamkeit des Monarchen brachten es Elias zufolge diejenigen unter den Höflingen am weitesten, welche den Verhaltenscodex des jeweiligen Hofes am besten beherrschten und das bedeutete in erster Linie die eigenen Affekte und Impulse möglichst gut unter Kontrolle halten zu können. Die Etablierung von immer größeren Verflechtungs- und Interdependenzketten im zwischenmenschlichen Zusammenleben erfordert eine höhere Selbstregulierung bei den einzelnen Individuen und ist der immer komplexer werdenden Gesellschaft geschuldet.
Gleichzeitig dienten die gehobenen Verhaltensstandarte als eine Differenzierungsmöglichkeit vom ‚einfachen’ Volk und als zeremonieller Ausdruck von Macht. Diese ‚niederen’ Schichten, welche nach dem Ansehen und der Zugehörigkeit zu den reichen Oberschichten trachteten, ahmten die vorgegebenen Verhaltensregeln der Eliten nach und übernahmen sie für sich selber (Prätention). In allen Schichten kam es demnach zu einer zunehmenden Bändigung der Affekte.
[...]
1 Vgl. Schindler 2007, S. 10.
2 Vgl. Schindler 2007, S. 10.
3 Vgl. Paul 2011, S. 196.
4 Elias Norbert 19692: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und Psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde., Bern/München: Francke Verlag.
5 Vgl. Elias 1991, S. 60.
7 Vgl. Klein 2008, S. 238.
8 Vgl. Elias 1969, Band 1, S. 2.
9 Vgl. Elias 1969, Band 1, S. 94-110.
10 Vgl. Treibel (2008), S. 50.
11 Vgl. Elias 1969, Band 1, S. LXXVII.
12 Vgl. Ansorge/Geuenich/Loth 2001 S. 8.
13 Vgl. Dahlmanns 2008 S. 220ff.
14 Zur Kritik an Elias’ Modell zur Erforschung des Fürstenhofes vgl. Schattkowsky 2007, S. 10-22. 4
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- Mano Korsanke (Autor), 2011, Enkulturation, Psychogenese und Soziogenese, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192466
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