Information ist die Grundlage einer partizipatorischen Gesellschaftsform. Bereits die
großen Gesellschaften nationaler Staaten haben das Lokale in zahlreichen
Lebensfragen transzendiert. Die Verteilung von Ressourcen, die Gesetzgebung,
sowie generelle Leitlinien von Politik werden räumlich, wie inhaltlich „weit weg“
von der Lebensrealität der Bürger beschlossen. Die Abstraktheit vieler
Entscheidungen in Relation zur alltäglichen Lebenswelt erfordert externe
Information. Der über die Verwendung staatlicher Mittel für Agrarsubventionen oder
die Neustrukturierung von Bildungseinrichtungen mitbestimmende Wähler kann nur
dann eine reflektierte Entscheidung treffen, wenn er die Fragestellung versteht und
verschiedene Handlungsoptionen einzuordnen weiß. In einer räumlich, wie
wirtschaftlich und kulturell über Landesgrenzen hinweg zusammenrückenden Welt
nimmt die Komplexität der Handlungsoptionen nur weiter zu.
Als Mittel der Informationsverbreitung dienen Kommunikationsmedien. Diese
stellen keine neutralen Mittler dar. Vielmehr sind ihnen Eigenschaften inhärent,
welche unabhängig vom Inhalt der Nachricht und der Intention des Vermittelnden
sich in die Botschaft „einbrennen“ und weit über den Moment der eigentlichen
Kommunikation hinaus prägende Wirkung entfalten. Diese Prägungen beeinflussen
sowohl die Informationsvermittlung, wie –aufnahme und –rezeption, als auch den
zukünftigen Erwartungshorizont an die Form medialer Inhalte.
Die Notwendigkeit gesellschaftliche, fachübergreifende und letztlich supranationale
Zusammenhänge zu verstehen entstand überhaupt erst durch Veränderungen an
denen Kommunikationsmedien einen großen Anteil hatten. So schuf die
Informationsrevolution des Buchdruckzeitalters die Voraussetzungen mit für
Gesellschaften in denen die mehrheitliche Masse nicht mehr bloßes
Herrschaftssubjekt ist, sondern ihr Mitbestimmung gewährt wird oder sie sogar
letztlich zum Souverän aufsteigt. Eine Identifikation und Einordnung derjenigen
Strukturmerkmale des Buchdrucks, die zu dieser Entwicklung geführt hat, erlaubt es
Rückschlüsse auf die Prägewirkung anderer Kommunikationsmedien zu ziehen. Der
Zusammenhang zwischen vorherrschendem Kommunikationsmedium und der Staatsform beziehungsweise Regierungskultur einer Gesellschaft erstreckt sich
zurück bis zu den Anfängen der Zivilisation innerhalb oraler Stammeskulturen und
führt über Schrift- zu Bild- und Telemedien und reicht bis in die Gegenwart einer
entstehenden digitalen Kultur.[...]
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Dominante Kommunikationsmedien: Strukturmerkmale und Prägewirkungens
1. Stimme
2. Phonetisches Alphabet / (Hand-)Schrift
3. Buchdruck
4. Optische-Elektronische Medien
a. Telegraph
b. Fotografie
c. Fernsehen
III. Internet
1. Medientheoretischer Determinismus
2. Umstände der Kommunikationssituation
a. Kommunikationsbeteiligung
b. Kommunikationsrichtung: DerRückkanal
c. Zeitliche/Räumliche Eigenschaften
d. Einordnung
aa. Kommunikationsgeschwindigkeit als Partizipationsvoraussetzung
bb. Folgen diskursiver Gleichberechtigung
cc. Anonyme Kommunikation - Fluch oder Segen?
dd. Gefahr und Folgen der Informationsflut
3. Tendenzverstärkung
4. Informationszugang und -Verbreitung
5. Modularität
6. Ermöglichung von Gemeinschaften
IV. Utopien / Dystopien
1. E-Demokratie - Internet und direkte Partizipation
2. Datenuniversum - Internet als Informationsgrundlage
3. Widerbelebung von Literalität
4. Globalisierung der Kommunikation - Transnationale Öffentlichkeiten
5. Backlash: Institutionalisierung und Regulierung
V. Fazit
VI. Hilfsmittel
1. Literatur
2. Websites
I. Einleitung
Information ist die Grundlage einer partizipatorischen Gesellschaftsform. Bereits die großen Gesellschaften nationaler Staaten haben das Lokale in zahlreichen Lebensfragen transzendiert. Die Verteilung von Ressourcen, die Gesetzgebung, sowie generelle Leitlinien von Politik werden räumlich, wie inhaltlich „weit weg" von der Lebensrealität der Bürger beschlossen. Die Abstraktheit vieler Entscheidungen in Relation zur alltäglichen Lebenswelt erfordert externe Information. Der über die Verwendung staatlicher Mittel für Agrarsubventionen oder die Neustrukturierung von Bildungseinrichtungen mitbestimmende Wähler kann nur dann eine reflektierte Entscheidung treffen, wenn er die Fragestellung versteht und verschiedene Handlungsoptionen einzuordnen weiß. In einer räumlich, wie wirtschaftlich und kulturell über Landesgrenzen hinweg zusammenrückenden Welt nimmt die Komplexität der Handlungsoptionen nur weiter zu.
Als Mittel der Informationsverbreitung dienen Kommunikationsmedien. Diese stellen keine neutralen Mittler dar. Vielmehr sind ihnen Eigenschaften inhärent, welche unabhängig vom Inhalt der Nachricht und der Intention des Vermittelnden sich in die Botschaft „einbrennen" und weit über den Moment der eigentlichen Kommunikation hinaus prägende Wirkung entfalten. Diese Prägungen beeinflussen sowohl die Informationsvermittlung, wie -aufnahme und -rezeption, als auch den zukünftigen Erwartungshorizont an die Form medialer Inhalte.1
Die Notwendigkeit gesellschaftliche, fachübergreifende und letztlich supranationale Zusammenhänge zu verstehen entstand überhaupt erst durch Veränderungen an denen Kommunikationsmedien einen großen Anteil hatten. So schuf die Informationsrevolution des Buchdruckzeitalters die Voraussetzungen mit für Gesellschaften in denen die mehrheitliche Masse nicht mehr bloßes Herrschaftssubjekt ist, sondern ihr Mitbestimmung gewährt wird oder sie sogar letztlich zum Souverän aufsteigt. Eine Identifikation und Einordnung derjenigen Strukturmerkmale des Buchdrucks, die zu dieser Entwicklung geführt hat, erlaubt es Rückschlüsse auf die Prägewirkung anderer Kommunikationsmedien zu ziehen. Der Zusammenhang zwischen vorherrschendem Kommunikationsmedium und der
Staatsform beziehungsweise Regierungskultur einer Gesellschaft erstreckt sich zurück bis zu den Anfangen der Zivilisation innerhalb oraler Stammeskulturen und führt über Schrift- zu Bild- und Telemedien und reicht bis in die Gegenwart einer entstehenden digitalen Kultur.
Stimme und Schrift waren Leitmedien, nicht aber für eine partizipatorische Gesellschaft. Buchdruck, Telegraphie, Fotografie und Film, sowie Radio und Fernsehen haben die informativen Grundlagen für partizipatorische Gesellschaften geliefert. Dabei fungierten sie nicht als neutrale Mittler, viel mehr entfalteten sie prägende Wirkung sowohl auf gesellschaftliche Strukturen, wie auf Individuen. Die Prägung umfasste dabei die Kultur genau so, wie das ökonomische System oder die Organisation der Speicherung und Verteilung von Wissen. Der Mensch selbst wurde beeinflusst in seiner Wahrnehmung der Welt (in einem konstruktivistischen Sinne) und seiner Erwartungshaltung an Kommunikation. Dabei entsprang die Prägung einer inneren Tendenz der Medien die Kommunikation auf eine spezifische Weise zu gestalten.
Diese Arbeit soll sich mit diesen im Medium angelegten prägenden Eigenschaften beschäftigen. Dabei steht im Mittelpunkt der Betrachtung das Internet, ein Kommunikationsweg der sich abzeichnet in seiner gesellschaftlichen Durchdringung (weltweit) zum Leitmedium aufzusteigen, ob langfristig neben dem Fernseher oder alleine sei hier dahingestellt. Der Vergleich mit vorangegangen dominanten Kommunikationsmedien und deren Strukturmerkmalen ist gedacht Rückschlüsse auf die spezifische Prägewirkung des Internets zu ermöglichen. Seine medientheoretischen Eigenschaften sollen im Kontext des Bereichs der Politik innerhalb einer partizipatorischen Gesellschaft betrachtet werden. Welchen Einfluss auf die Ausgestaltung der Demokratie als Staatsform hat es? Inwieweit dient es als Informationsgrundlage individueller Partizipation innerhalb einer Gesellschaft?
Die Begriffe partizipatorische Gesellschaft und Politik sind hierbei teilweise bedeutungsgleich. Hinreichende Bedingung für Erstere sei eine Zivilgesellschaft mit einem formal wie inhaltlich unabhängigen Wahlsystem, sei es für direkte Volksbefragungen oder zur Ernennung von Volksvertretern. Dieses Wahlsystem und der mit ihm einhergehende Wahlkampf wiederum sind neben dem die Tagespolitik betreffenden Diskurs die metaphorischen Zentralgestirne des gesellschaftlichen Bereichs Politik. Je größer die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure an politischer Kommunikation (tagespolitischer Diskurs und Wahlkampf), Sachentscheidungen sowie der Besetzung staatlicher Posten ist, desto partizipatorischer sei die Gesellschaft. Übergreifend formuliert soll der Einfluss dominierender Kommunikationsmedien auf das Spannungsfeld Zivilgesellschaft / Herrschaftsausübung untersucht werden.
Weiterhin sollen die Tendenzen des Internets für sozialpolitische Veränderungen abgeglichen werden mit vorhergehenden utopischen und dystopischen Vorstellungen. Inwiefern ist das Internet imstande diese Ideen zu aktualisieren und auf welche Weise wird es sich in politische Prozesse einbinden?
II. Dominante Kommunikationsmedien: Strukturmerkmale und Prägewirkungen
Dieses Kapitel beschreibt die Wirkungen, die dominante Medien auf die Kommunikationssituation innerhalb von Gesellschaften hatten und haben, ausgehend von medientheoretischen Eigenschaften dieser. Die Prägewirkungen der Strukturmerkmale sollen auf ihren Einfluss auf die Umstände von Kommunikation und damit auf politische Prozesse und gesellschaftliche Ordnungsprinzipien hin betrachtet werden.
Diese Mediengeschichte umfasst die Epochen oraler und handschriftlicher Kultur, obwohl diese nicht kommunikative Grundlage einer partizipatorischen Gesellschaft waren. Die demokratischen Anteile an den politischen Strukturen des antiken Athen oder auch Rom folgten eher oligarchischen Prinzipien, eine Demokratie der Eliten.
Dazu sei gesagt, dass die Wirkungen eines Mediums nicht unabhängig sind von weiteren Faktoren. Es besteht kein monokausaler Zusammenhang zwischen medialen Prägewirkungen und gesellschaftlichen Veränderungen. Jedoch können abhängig von der Umwelt in die ein Medium trifft, verschiedene Dynamiken dafür sorgen, dass unterschiedliche Prägewirkungen stärker zum Tragen kommen. Gerade für die Betrachtung eines Konvergenzmediums wie des Internets ist das McLuhan-Diktum, dass der Inhalt eines Mediums ein anderes (älteres) Medium ist, zu beachten. Beispielhaft sei die Rückkehr der Stimme im Radio genannt. Das Internet verbindet variabel zahlreiche ältere Kommunikationsformen auf einer neuen technischen Grundlage. Erkenntnisse zu diesen können Rückschlüsse für die Entwicklung des Internets erlauben.
1. Stimme
Die Geschichte der (dominanten) Kommunikationsmittel beginnt mit der Stimme. Sie stellt den Ausgangspunkt und Bezugsrahmen für andere Kommunikationsformen und deren Einordnung dar. Die orale Kommunikationssituation ist räumlich wie zeitlich geprägt durch Unmittelbarkeit und somit förderlich für den individuellen Dialog. Auch ist die Stimme neben dem ausgesprochenen Gedanken (z.B. in Form
verschiedener Stimmtechniken) selbstpräsent in der kommunizierten Botschaft und
2
bestimmt deren Verständnis mit.
The written word spells out in sequence what is quick and implicit in the spoken word.2
Die Verständnisförderung über und die Instrumentalisierung der Wirkung dieses „semantischen Überschusses"3 waren Ziele der antiken Rhetorik. Die orale face-to-face Kommunikationssituation wurde im Hinblick auf ihre Schwächen und Stärken, aber auch ihre Instrumentalisierbarkeit hin betrachtet.
Einerseits sollte die Stimme in ihrer Leistungsfähigkeit als Kommunikationsmittel gestärkt werden. So traten die Regeln von Rede und Gegenrede, die disziplinierte Abfolge eines Streitgesprächs der gedanklichen Unstrukturiertheit einer durch akustische Eindrücke geprägten Wahrnehmung entgegen, indem sie eine Ordnung einbrachten. Die Rhetorik bändigte die Stimme zum Zweck einer rationaleren gesellschaftlichen Kommunikation.
Andererseits zeigte sie aber auch den Einfluss der den Dialog begleitenden Umstände auf. So spielen Kleidung und der Ort eines Vortrags genau so eine Rolle für die Rezeption, wie die Gestik, Aussprache und Betonung des Redners. Das Verständnis dieser Dynamik ermöglicht es Emotionen zu wecken und Menschen zu überzeugen, ohne notwendigerweise rational argumentativ schlüssig zu sprechen. Shakespeares Brutus wendet sich nach dem Mord an Caesar an das Volk und kann dieses auf seine Seite ziehen, indem er innerhalb eines kunstvollen Vortrags das Eingeständnis seiner Tat vermischt mit Lobpreisungen auf sein Opfer, aber auch der Anprangerung dessen vermeintlicher Machtgier und den Interessen des Volkes schadender Herrschaft.4 Der Mangel einer schlüssigen Begründung ist nicht bedeutungslos, kann hier jedoch mittels der Verquickung von emotionaler und sachlicher Ebene ausgeglichen werden, wie generell die Rede inhaltliche Widersprüche auszuhalten weiß, solange rhetorische Mittel geschickt eingesetzt werden. Unabhängig davon, ob die tatsächlichen Bewohner des antiken Rom so überzeugbar waren, sind hier plakativ
die manipulativen Möglichkeiten des aus der Stimme entspringenden rhetorischen Vortrags vorgeführt.
In einer von der Stimme geprägten kommunikativen Umwelt folgt die Wahrnehmung nicht einem rationalen Aufbau. Vielmehr spiegelt sie die Gleichzeitigkeit und das Fehlen von Bezugspunkten des akustischen Hörvorgangs. Die Sozialisierung und das „Leben im akustischen Raum"5 limitieren die Möglichkeiten für gesellschaftlichen Diskurs. Orale Stammeskulturen unterlagen diesen Beschränkungen besonders stark und erst die Rhetorik des antiken Griechenland widersetzte sich ihnen durch die Strukturierung und Regulierung des dialogischen Disputs. Der Meinungsaustausch nach rhetorischen Grundsätzen innerhalb der Agora Athens oder des Forums Roms stellte einen Entwicklungsschritt dar hin zu dem, was Havelock den alphabetischen Verstand6 nannte, die Wendung hin zu einer rationaleren, wissensbasierteren gesellschaftlichen Kommunikation. Im Gegensatz zum Stammeshäuptling, der Streitsituationen mittels Sprichwörtern, Redensarten und Gleichnissen zu lösen hat, versuchte man in einer antiken Gerichtsverhandlung die Wahrheit systematischer und argumentativer zu ergründen. Die zentrale Rolle der Rhetorik in dieser zeigte aber auch Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit auf. So ist ein komplexes auf Gesetzen fußendes Rechtssystem nur möglich unter Zuhilfenahme eines leistungsfähigen Speichermediums. Ohne permanente Fixierung gesellschaftlicher Regeln und Zustände in allgemein rezipierbarer und verbreitbarer Form, sind der Herrschaftsausübung wie der Beteiligung der Öffentlichkeit an Entscheidungsprozessen Grenzen gesetzt.
2. Phonetisches Alphabet / (Hand-)Schrift
Die phonetische Alphabetschrift trennt erstmals Sprecher und Gesprochenes. Die zeitlichen und örtlichen Dimensionen der Kommunikation verändern sich, auch kann der Adressatenkreis einer schriftlichen Botschaft unbestimmt sein.
Schrift ermöglicht es, die Grenze der Interaktion unter Abwesenden zu überschreiten. Man kann nun Informationen auch für Abwesende und ins situativ Unbekannte hinein fixieren. Seither ist es möglich, gesellschaftlich zu kommunizieren und doch einsam zu bleiben. Was Kant als erhabene Haltung rühmt: „Gesellschaft nicht bedürfen, ohne doch ungesellig zu sein.", setzt eben diese
Abstraktionsleistung voraus. D.h. aber auch umgekehrt: Schrift muß die fehlende Situationsevidenz, die mangelnde Eindeutigkeit von real Präsentem durch Standardisierung und kommunikative Disziplin kompensieren.7
Im Fehlen räumlicher und zeitlicher Unmittelbarkeit während der Kommunikationssituation sah Aristoteles eine (weitere) Entfernung von der zu vermittelnden Ursprungsidee. Bereits die Sprache sei nur ein Abbild von Vorstellungen einer Idee. Die Schrift entferne die Kommunikation weiter von der Wahrheit.8 Platon sah in ihr ein reines Speichermedium, welches im Gegensatz zur Sprache nicht zu einer erörternden, dialogischen Kommunikation in der Lage ist: Schrift sei ungeeignet Weisheit zu vermitteln.9 Beide benennen die fehlende Dialogfähigkeit der Schrift im Sinne eines unmittelbar interaktiven Gesprächs,
können aber noch nicht absehen wie diese „Zerdehnung der
Kommunikationssituation" zu einer neuen Form der Rezeption und letztlich Kommunikation führt. Die schriftliche one-to-one und one-to-many Kommunikation
befördert „einen mit Begriffen arbeitenden Diskurs". Der Sender muss sich um Regelhaftigkeit und begriffliche Disziplin in der Anwendung der Schrift bemühen, um seine Gedanken zu kommunizieren. Auf Seiten des Empfängers entwickelt sich eine Methodik der Auslegung, die Hermeneutik, welche rationalen Prinzipien folgend versucht den Inhalt des Geschriebenen zu ergründen. So beginnt die Entstehung einer „geistigen Infrastruktur für kumulative, wissensbasierte Kommunikation."10
Während die Möglichkeiten einer räumlich stark ausgeweiteten Kommunikation und erhöhten Speicherkapazität die Errichtung bürokratischer Verwaltungsapparate zur Organisation größerer Gesellschaften ermöglichen, findet gesamtgesellschaftlich keine weite Verbreitung der Lesefähigkeit statt. Die Manuskripte der Klöster sind teuer herzustellende Einzelstücke und noch weit entfernt von der Gebrauchsliteratur des Buchdruckszeitalters. Diese Manuskriptkultur ist geprägt durch eine geringe Verregelung der Schriftlichkeit: Orthographie, Grammatik und Interpunktion sind nicht normiert. Einen wichtigen Bestandteil des Lesevorgangs macht somit die
Erschließung des Geschriebenen aus. Dabei ist der Lesevorgang zunächst kein privater, innerlicher Rezeptionsvorgang, sondern oralen Tradition folgend ein lautes Vorlesen. Auch ist Werken zumeist keine eindeutige Autorenschaft zuordenbar, vielmehr werden diese fortgeführt, oftmals durch die Rezipienten selbst. Dies resultiert in wechselndem Schreibstil, wechselnder Textgestaltung und wechselnden Meinungen innerhalb desselben Schriftstücks, was wiederum die folgende Rezeption erschwert.
Die Manuskriptkultur leitet den Übergang von der oralen zur literalen Kultur ein, wobei erstmals die Prinzipien rationaler, reflexiver und begriffsorientierter Kommunikation zum Tragen kommen. Lesen und Schreiben sind aber noch nicht weit verbreitete Alltagspraxis, dementsprechend kann die Schrift nicht ihre volle Prägewirkung auf die Gesellschaft entfalten.11 Individualisierung als Folge einer persönlichen gedanklichen Auseinandersetzung mit Geschriebenem ist noch nicht weit fortgeschritten und wird erst mit dem Buchdruck und der damit einhergehenden Verbreitung der Alphabetisierung zum Massenphänomen, welches den zu politischer Partizipation innerhalb einer größeren Gesellschaft fähigen Menschen hervorbringt.
3. Buchdruck
Der Buchdruck führt die „Verdrängung der Welt der Töne und Bilder in die Hintertreppenexistenz der Künste [...]"12 herbei. Der schriftliche Diskurs bricht endgültig mit den Traditionen von Materialität und Performanz rhetorischer Kommunikation. Die Standardisierung des Druckbildes, der Grammatik und Orthographie steht im Dienste der Verbreitbarkeit und vereinfachten Rezeption, führt aber auch zu einer Uniformierung und Verregelung der Sprache, die letztlich territorial übergreifende Landesprachen hervorbringt. Diese Form rational strukturierter Kommunikation lässt Gedanken hervortreten und erlaubt somit deren systematische Betrachtung und Kritik, woraus sich letztlich die wissenschaftliche Methode entwickelt.
Die Schrift lässt das gesprochene Wort erstarren und ruft damit den Grammatiker, den Logiker, den Rhetoriker, den Historiker, den Wissenschafter auf den Plan - all jene, die sich die Sprache vor Augen führen müssen, um zu erkennen, was sie bedeutet, wo sie irrt und wohin sie führt.13
Die Möglichkeit einer kurzfristigen massenhaften Vervielfältigung und Verbreitung von Druckschriften in Form von Büchern, Pamphleten und Zeitungen konstituiert letztlich das erste effektive Massenkommunikationsmittel. Gemäß der Definition von Maletzke ist Massenkommunikation „Kommunikation, bei der Aussagen öffentlich
durch technische Verbreitungsmittel indirekt und einseitig an ein disperses Publikum
vermittelt werden." Den erweiterten Medienbegriff McLuhans zugrundelegend unterfällt bereits die Alphabetschrift dieser Definition. Jedoch bleibt ihre gesellschaftliche Penetration beschränkt aufgrund technischer Limitierungen und sozialer Umstände. Der Buchdruck hingegen ist in der Lage seine Prägewirkungen gesellschaftsübergreifend zu entfalten. Dadurch nimmt er nicht nur Einfluss auf die gesellschaftliche Sphäre, die Form sozialer Organisation und Machtausübung, sondern bereitet den Nährboden für Individualität und Ich-Bildung und damit letztlich für eine Zivilgesellschaft.
Die Entwicklung findet dabei nicht kausal aufeinanderfolgend, sondern im Wechselspiel statt. Die Möglichkeiten der (technisch effizient umsetzbaren) Massenkommunikation schaffen eine Nachfrage, die wiederum Grund zu Verbesserung und Ausbau der Herstellung gibt. Im Gegensatz zu handschriftlichen Manuskripten findet eine Nutzbarmachung durch Eliten, aber eben auch durch breitere Gesellschaftsschichten statt. Die Konsequenz des Bedürfnisses nach Verbreitung der Lesefähigkeit ist die Schulpflicht innerhalb staatlich organisierter Einrichtungen. Die zentrale Organisation führt zu einer territorial übergreifenden Homogenisierung von Grammatik und Orthographie und lässt so Landesprachen entstehen.
Insbesondere diese Landessprachen werden zu Massenmedien, denn sie erlauben die Ansprache eines Großteils der Bevölkerung eines Staatengebildes und nivellieren somit den Einfluss geographischer Entfernung auf die Möglichkeiten gesellschaftlichen Diskurses, aber auch staatlicher Machtausübung.14 Einheitlich strukturierte bürokratische Staatsordnungen folgen in ihrem Aufbau den Prinzipien des Buchdrucks von Kausalität und Rationalität und bedienen sich dabei dessen Speicher- und Kommunikationsmöglichkeiten zur Verwaltung und Lenkung der Gesellschaft. Solche Systeme bedürfen einer alphabetisierten Bevölkerung, sowie eines ausgebildeten Beamtenapparats.
Die fortschreitende Durchdringung der Literalität im öffentlichen, aber auch privaten Raum, erschüttert bestehende Wissensmonopole, beginnend mit der Übersetzung der Bibel aus dem Lateinischen. Breite Teile der Bevölkerung sind nun in die Lage versetzt individuell im Privaten Kommunikation zu rezipieren. Dabei wird der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen, er muss sich den Inhalt erschließen und kann nicht auf anderweitige audiovisuelle Stimulation oder kommunikative Interaktion hoffen.
Der Leser muß [sic!] sich mit intellektueller Wachsamkeit wappnen. Leicht ist das nicht, denn wenn er vor dem Text die Augen aufschlägt, ist er allein. Seine Reaktionen beim Lesen sind isoliert, sein Verstand ist ganz und gar auf sich selbst gestellt. Wer den kalten Abstraktionen gedruckter Sätze gegenübertritt, hat es mit der nackten Sprache zu tun, Schönheit oder Gemeinschaft kommen ihm nicht zu Hilfe. Deshalb ist Lesen seinem Wesen nach eine ernsthafte Tätigkeit. Und es ist eine ihrem Wesen nach rationale Tätigkeit.15
Diese Art Botschaften zu erfahren formt die menschliche Wahrnehmung und Denkweise insofern, dass nun die analytische Überprüfung eines logischen Aufbaus, sowie die Gewichtung und Beurteilung von Argumenten in den Vordergrund des Rezeptionsvorgangs rücken: Der gesellschaftliche Diskurs wird rational(er).
Gleichzeitig geht aus der Kommunikationssituation der stillen Lektüre ein in seiner Individualität gestärkter Mensch hervor. Der Leser muss Methoden und Maßstäbe entwickeln das Geschriebene nachzuvollziehen, einzuordnen und zu bewerten, während dem Verfasser als Autor eine Bühne zur Selbstentfaltung zur Verfügung steht, die innerhalb der Manuskriptkultur mit ihrer Methode des anonymen Fortschreibens bestehender, einzigartiger Werke nicht gegeben war. Paradoxerweise hat der Buchdruck aber auch eine homogenisierende Wirkung auf die Gesellschaft und damit ihren kleinsten Nenner, das Individuum. Die vereinheitlichte Sprache, das zentrale Schulsystem, Formen gesellschaftlicher Organisation und Kommunikation erschaffen einen aufgeklärteren und bewussteren Menschen, der gegen bestehende Machtmonopole für seine persönlichen Rechte einzutreten in der Lage ist, diese gewonnene Freiheit jedoch nur innerhalb der der Kommunikationssituation immanenten Grenzen ausübt. So sind die Speicherkapazitäten des Buchdrucks groß,
in Relation zur menschlichen Aufnahmefähigkeit grenzenlos, es fehlt aber an einem
„System der Eliminierung". Die Schule institutionalisiert das Wissen indem es die
für das Individuum unbeherrschbare Menge an Daten ordnet, sie schematisiert
dadurch aber auch „kulturelle Partizipation" .
Die Freiheit aller und die Garantie gleicher Rechte für alle setzen die Subsumption der Einzelnen unter ein Schema voraus.16
Auf dem Nährboden eines rationalen Diskurses konstituieren sich Zivilgesellschaften, die beginnen althergebrachte Machtstrukturen und Dogmen zu hinterfragen. Martin Luthers Bibelübersetzung gepaart mit seinen Brandschriften gegen die katholische Kirche überzeugt und mobilisiert viele Menschen. Der Versuch gesellschaftlicher Mitgestaltung äußert sich hier noch großteils im blutigen Kampf verschiedener Religionsauffassungen und Weltanschauungen.
Die französische Revolution soll der Durchsetzung der - im literarischen Diskurs entwickelten - Ideale der Aufklärung dienen. Auch sie verläuft blutig, stärkt aber mittelfristig die Idee einer partizipatorischen Gesellschaft mit individueller Teilhabe an Machtausübung sowie dem Schutz vor Willkürherrschaft.
In diesen Beispielen spielt das gedruckte Wort als Mittel und Motor des Diskurses und der daraus entspringenden Folgen zwar eine zentrale Rolle, die Literalisierung der Gesellschaften ist aber nicht so umfassend wie in Nordamerika von der Mitte des
17. bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Neil Postman beschreibt das „Amerika im
Zeitalter des Buchdrucks" als eine Gesellschaft bestimmt von einer enormen Schriftenproduktion, sowie den höchsten Alphabetisierungsraten seiner Zeit.17 Die prägende Dominanz des Buchdrucks ist hier so groß, dass die Gesetzmäßigkeiten des
Textaufbaus und der schriftlichen Argumentation übertragen werden auf Vorträge
und mündliche Dispute. So folgt auch der politische Diskurs auf beiden Seiten des Kommunikationsverhältnisses den Vorgaben der Buchdruckprodukte Buch, Zeitung und Pamphlet. Der Empfänger ist geschult Inhalte im Hinblick auf ihre logische Stringenz hin zu überprüfen und besitzt die Konzentrationsfähigkeit und Ernsthaftigkeit sich in ein Thema zu vertiefen. Der Sender verhält sich entsprechend:
Und so konnten Amerikas Politiker ihre Ideen in einem ernsthaften, öffentlichen Austausch vor einem Auditorium erörtern, das qua Wissen und qua Konzentrationsfähigkeit in der Lage war, stundenlange Diskussionen mit höchstem Engagement zu verfolgen. Denn die Buchdruckkultur hatte in Amerika die Intelligenz hervorgebracht, die dem objektiven, rationalen Gebrauch des Verstandes Vorrang gab und öffentlichen förderte, der auf ernsthaften logisch-geordneten Inhalten basierte.18
Die Entwicklung geht soweit, dass nur noch dem Buchdruck zugetraut wird die Komplexität politischer Fragestellungen zu vermitteln und deren Diskussion zu erlauben. Der Analphabet, dem die Fähigkeit fehlt dem schriftlichen Diskurs zu
folgen, ist nicht wahlberechtigt.
Der vom Buchdruck erzeugte ernsthafte und strukturierte Dialog ist in der Lage die komplexen Zusammenhänge staatlicher Verwaltung an eine über die Landesprache verbundene Gruppe von Menschen zu kommunizieren. Dabei überwindet er die Schwierigkeiten, die die geographische Ausdehnung und große Bevölkerung einer solchen Gesellschaft darstellen. Aus der Fähigkeit zur politischen Teilnahme erwächst die Forderung zum Recht dazu. Mit der Erkämpfung des Rechts brechen Machtmonopole auf und breite Teile der Bevölkerung werden an der Machtausübung beteiligt. Wahlen von Repräsentanten und Abstimmungen zu Sachentscheidungen konstituieren gesellschaftsübergreifende partizipatorische Strukturen.
So führt der Buchdruck zu größeren Gesellschaften indem er deren Verwaltung und Organisation erlaubt. Dabei entwickeln sich Informationsstrukturen, die den Nährboden darstellen für den Wunsch breiterer Teile der Bevölkerung nach gesellschaftlicher Beteiligung. Die Ausgestaltung des daraus entspringenden partizipatorischen Systems fußt wiederum auf den technischen Möglichkeiten, sowie Strukturprinzipien des Buchdrucks: Wahlen von Repräsentanten basierend auf einem rationalen, argumentativem politischen Diskurs, dessen Informationsgrundlage Zeitungen und Bücher darstellen.
4. Optische-Elektronische Medien
Die Alleinherrschaft des Buchdrucks als prägendes Kommunikationsmittel geht zu Ende mit der Verbreitung des Telegraphen, der das erste in einer Reihe optischelektronischer Medien darstellt, deren Auftreten eine neue Kommunikationsumwelt konstituieren wird. In dieser verschwinden die Prägungen des Buchdrucks von Denkweise und gesellschaftlicher Organisation nicht - im Gegensatz beispielsweise zur zum Ende der Gutenberg-Galaxis hin marginalisierten Stimme - jedoch werden sie abgeschwächt beziehungsweise modifiziert durch die prägenden medientheoretischen Strukturmerkmale der neuen Techniken.
a. Telegraph
Bereits die auf transportierbaren Trägern fixierte Schrift überwindet zwar geographische Grenzen, jedoch zerdehnt sie die Kommunikation aufgrund der zum Transport notwendigen Zeit. Der Telegraph ermöglicht erstmals eine fast instantane Kommunikation über weite Strecken. In einer Kommunikationsumwelt geprägt von Erörterung und inhaltlicher Auseinandersetzung erfahrt die zusätzliche Beschleunigung der Botschaftsversendung zunächst keine Anwendung. So wird die neue Technik nicht in den Dienst bestehender Kommunikationsverfahren gestellt, es muss vielmehr erst eine Verwendung gefunden werden. Die Bedürfnisse der sich zur selben Zeit ausbreitenden Eisenbahn verhelfen dem Telegraphen zu einer solchen. Ein breites Publikum wird erst erreicht als Verleger beginnen das Produkt des Telegraphen zu einem Geschäftsmodel auszubauen. Presseagenturen entstehen und mit ihnen Zeitschriften, die die Schnelligkeit des Telegraphen zum Qualitätsmerkmal des Produkts (Tages-)Nachrichten erheben. Der Reiz des Neuen, manchmal Exotischen, meistens Aktuellem verhilft dem Leser zu einem Gefühl der Ausdehnung seiner Wahrnehmung und damit Beteiligung. Jedoch ist diese Art von Erfahrung passiv und die interessante Nachricht zwar unterhaltsam, zumeist wohnt
30 Vgl. Liebrand, Schneider, Bohnenkamp, Frahm: Einführung in die MKW, S.203.
[...]
1 Siehe dazu insbesondere die Theorien von Innis, Havelock, Mcluhan und Postman; eine Einfühung in: Kloock/Spahr: Medientheorien, S.39-76, 99-132.
2 McLuhan: Understanding Media, S.85.
3 Vgl. Liebrand, Schneider, Bohnenkamp, Frahm: Einführung in die MKW, S.143.
4 Vgl. William Shakespeare: Julius Caesar, S.97.
5 Kloock/Spahr: Medientheorien, S.59.
6 Vgl. Halverson: Havelock on Greek Orality and Literacy, in: Journal of the History of Ideas, Vol.53/1, S.148.
7
8 Vgl. Liebrand, Schneider, Bohnenkamp, Frahm: Einführung in die MKW, S.150.
9 "Vgl. Platon: Phaidros.
10 ebd.
11 Vgl. Roesler/Stiegler: Grundbegriffe der Medientheorie, S.193.
12 Castells: Aufstieg derNetzwerkgesellschaft, S.375.
13 Postman: Wir amüsieren uns zu Tode, S.22.
14 Vgl. McLuhan: Die Guttenberg Galaxis, S.293.
15 Postman: Wir amüsieren uns zu Tode, S.67-68.
16 Kloock/Spahr: Medientheorien, S.66-67.
17 Vgl. a.a.O., S. 46-49.
18 Kloock/Spahr: Medientheorien, S.112-113.
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