In dieser Film Review, deren Zielgruppe, Veröffentlichungsanlass, -ort und -zeit fiktiv sind, werden die Umsetzug und Relevanz von Volker Schlöndorffs Adaption des Romans "Die Blechtrommel" von Günter Grass bewertet. Das Urteil über den Film fällt überwiegend negativ aus, und der Ton der Review ist, der Textart angemessen, um einiges lebhafter als der herkömmlicher Textanalysen, obgleich eine nachvollziehbare Begründung der hier präsentierten Meinungen nicht zu kurz kommt. Generell sei diese nur etwas mehr als 1000 Wörter umfassende Arbeit aber eher Menschen ans Herz gelegt, die eine tiefe Abneigung sowohl gegen die Film- als auch die Romanversion der Geschichte verspüren.
Film Review:
Wiederauflage von Volker Schlöndorffs „Die Blechtrommel“
Ein didaktisches One-Night-Stand
Als Volker Schlöndorffs Version von Günter Grass´ Roman „Die Blechtrommel“ 1979 erschien hagelte es Auszeichnungen und wohlwollende Kritiken. Der Spiegel nannte Schlöndorffs Werk schon wenige Monate vor dessen Veröffentlichung „das deutsche Filmereignis des Jahres“, Die Zeit befand, das „schöne Chaos“ des Films bereite „vergnüglichen Spaß“ und Das Lexikon des Internationalen Films nennt Schlöndorffs Werk eine „brillant inszenierte“ und „opulente Bestseller-Verfilmung voll sinnlicher Kraft“. Im selben Jahr erhielt der Film die Goldene Palme, die Goldene Schale des Deutschen Filmpreises, und 1980 schließlich, neben der Goldenen Leinwand, den Oscar als besten nicht-englischsprachigen Film. Allerdings muss sich der Autor dieser Rezension nach mehrmaligem Ansehen des Films fragen, was Kritiker und auch Zuschauer zu solchen Urteilen veranlasste. Sind diese Lobeshymnen und Huldigungen in den Augen moderner Rezipienten gerechtfertigt? Um die Spannung gleich abzutöten- nein, sind sie nicht! Für all diejenigen, die sich bereits an der Romanvorlage abgequält haben, sind jene Lobhudeleien darüber hinaus der blanke Hohn.
Zunächst muss gesagt werden, dass Volker Schlöndorff, angesichts des Mammutwerkes von Grass, zwar keine Adaption, aber eine solide Transformation gelungen ist. Gott sei Dank ist das dritte Buch des Romans, und somit die gesamte Gegenwart der erwachsenen Hauptfigur Oskar Matzeraths in der westdeutschen Psychiatrie, aber auch alle anderen Ereignisse nach dessen Weggang aus Danzig, ausgespart worden. Oskar ist noch immer Erzählinstanz, aber diese drückt sich neben dem Voice-Over auch in Kameraeinstellungen in seiner Augenhöhe aus, und wie bei fast jeder Verfilmung sind einige Charaktere und Szenen weggefallen. Vielleicht auch gerade weil Grass das Drehbuch noch einmal überarbeitete, kann man Schlöndorff keine mangelnde Werktreue vorwerfen, da er die wesentlichen Elemente des Romans, Oskars Stimm- und Wachstumsphänomen, die Mischung aus historischer Realität und Fiktion, die Erzählung selbst und ihre Hauptfiguren, beibehalten hat. Kritik am Film ist also zugleich zwangsläufig Kritik an der literarischen Vorlage.
Genau wie der Roman krankt der Film nämlich an einem Übermaß an Elementen und Techniken, die alle aneinanderstoßen, und letztendlich, leider, nur durch die Hauptfigur zusammengehalten werden. Diese sind, alleine betrachtet, sehr unterhaltsam: Slapstick mit den beiden Gendarmen am Anfang des Films, Heimatfilm am Strand, mit von Hand gekurbelte Kamera-Einstellungen beim Kartoffelernten und der Beerdigung von Agnes Matzerath, die an Stummfilme der zwanziger Jahre erinnern, Loriot-ähnliche Wohnzimmeratmosphäre am Tisch der Matzeraths, Kriegsdrama in der polnischen Post und groteskes Kabarett auf dem Bunker am Atlantik. An sich gesehen besteht „Die Blechtrommel“ aus einer Aneinanderreihung von Kurzfilmen, allerdings auch mit ihren meist eher schwer zu entziffernden Botschaften und ihrer Fülle an Zeichen. Im Gegensatz zu dieser Kunstform ist das Entschlüsseln der „Blechtrommel“ aber nicht nach zehn bis zwanzig Minuten vorbei- es kann bis zu 147 Minuten gehen, wenn der Zuschauer nicht vorher kapituliert.
Neben den langatmigen Überblendungen und den ständigen Perspektivwechsel ist es vor allem die Figur Oskar selbst, die, anders als vielleicht beim Roman, ein Durchhalten beim Zuschauen zur olympischen Disziplin erhebt und ein freiwilliges mehrmaliges Anschauen zum masochistischen Akt macht. Bereits die erste Einstellung auf den zickigen Gnom im Mutterleib lässt keinen Zweifel offen: Dieser Film kann nur anstrengend werden. Wie gesagt, man kann Schlöndorff kaum wegen seiner Werktreue kritisieren, da die Figur Oskar bereits bei Grass dem Leser Einiges abverlangt. Es wäre aber durchaus in seiner Macht gewesen, Oskar, die Ausgeburt der Hölle, etwas weniger in seinen verabscheuungswürdigen Facetten zu zeigen, statt ihn, in seiner Form als Kitt zwischen den Einzelfilmen, in seiner ganzen Abscheulichkeit so über zu repräsentieren. Oskar schreit einfach zu viel, ist zu berechnend, hinterhältig, altklug, ohne Empathie und zu allem Überfluss, so will es die Erzählung, schon als Monster geboren und nicht einmal des Zuschauers Mitleid würdig. Ich will betonen, dass David Bennett seine Sache exzellent macht, den Oskar, vor dem sich schon der Leser gruselt, so gut darstellt, dass man sich bei seinem Anblick eigentlich nur abwenden kann. Aber wenn das das Resultat eines Filmes ist, dann hat er seine Funktion als Kulturgut, das man hegen und für Nachkommen bewahren will, glatt verfehlt, und ist eher ein One-Night-Stand, für das man sich am nächsten Morgen schämt als eine Liebe, die man so schnell wie möglich seinen Freunden vorstellen will.
Ja, höre ich meine um Haltung ringende Deutschlehrerin einwenden, die Figur des Oskars dürfe aber keineswegs zurückgenommen werden, sie müsse dem Zuschauer durch ihre offensichtliche Unmenschlichkeit die Barbarei der nationalsozialistischen Deutschen vor Augen führen, Lernen durch schlechte Vorbilder also. Durch die Gefühle des Ekels, die beim Zuschauer wachgerufen werden, kommt es erst zur Katharsis, nur so werden wir moralisch wachgerüttelt. Und ja, der Film tut weh, aber das soll er ja auch, weil Kunst immer weh tun soll, Kunst soll wachrütteln, macht gerade das allgemein Hässliche zu großer Schönheit und soll vor allem mit der gefrorenen Axt auf ein Meer von Büchern eindreschen. Oder so.
Vielleicht mag der Film tatsächlich eine moralische Wirkung gehabt haben, in der Zeit seiner Veröffentlichung, als die 68er Generation ihre Eroberung des öffentlichen Lebens veredelte und der deutsche Film auf einem Höhepunkt war. Vielleicht waren die Zuschauer noch bessere Rezipienten, die nicht durch seichtes Kinowasser vom Knall-Puff-Beng von „Inglorious Bastards“ zur Dramatik des „Untergang“ getrieben wurden, um letztendlich das bisschen Vorstellungskraft, dass ihnen die Abhängigkeit von immer realer werdenden cinematischen Effekten noch nicht genommen hat, bei „Tim und Struppi“ in 3D abzugeben. Vielleicht habe ich aber auch einfach bessere deutsche Erzählungen über bürgerliches Leben in einer deutschen Diktatur gesehen: Die Oskar-prämierten Filme „Spielzeugland“ von Jochen Alexander Freydank und „Das Leben der anderen“ von Florian Henckel von Donnersmark mussten sich zwar nicht gegen eine literarische Vorlage behaupten, aber sie unterhalten den Zuschauer. Sie lassen ihn selbst entdecken und werten. Schlöndorffs didaktischer Zeigefinger muss immer wieder die herabsinkenden Lider des Zuschauers hochschieben- Oskars ist die Personifikation des untergetauchten Bürgers (der kleine Dreijährige) und des ekelhaften Profiteur des Naziterrors (Oskar in Uniform)- Freydank und Donnersmark brauchen diesen nicht, da sie sich auf einen selbstständig denkenden Zuschauer verlassen.
Was „Die Blechtrommel“ letztlich trotz der überspitzten, alles erdrückenden Figur des Trommlers erträglich macht, sind seine Nebendarsteller und ihre köstlich grotesken Dia- oder Monologe. Wenn Alfred Matzerath (Mario Adorf) zu Oskar sagt, es sei schon lange her, dass seine Großmutter (Berta Drews) jemanden unter ihre Röcke gelassen habe, und die nur abwinkt und das Bier kippt, wenn Jan Bronski (Daniel Olbrychski) seine Abneigung gegen die Nazis bei Alfred mit seiner Nationalität zu erklären versucht („Ich bin Pole“) und der halb unsicher, halb väterlich sagt „Überleg´ dir das nochmal“, oder wenn die großartige Katharina Thalbach als Maria angesichts der Gliedmaße Alfreds, die aus dem notdürftig zusammengezimmerten Sarg hängt, abwinkt, und sagt, „Ach, dat is doch nur die Hand“. Diese und ähnliche Szenen gehen zu Herzen und geben dem Zuschauer tatsächlich die Möglichkeit, etwas selbstständig zu entdecken, Realität und Film zusammenzuführen und trotz der tragisch-komischen Elemente eine Ahnung von den Konflikten der Danziger in der nationalsozialistischen Diktatur zu bekommen- ohne zu möglichen Erkenntnissen geschubst oder getrommelt zu werden.
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- Arbeit zitieren
- Franz Kröber (Autor:in), 2012, Ein didaktisches One-Night-Stand: Wiederauflage von Volker Schlöndorffs "Die Blechtrommel", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192001