Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Thema Gesundheit mit speziellem Fokus auf die Tourismusbranche. Das Thema Gesundheit soll dabei im Sinne einer wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsperspektive bearbeitet werden. Insbesondere soll die Argumentation aus der Perspektive des strategischen Managements erfolgen. D.h., dass nicht Einzel- und Teilprobleme im Brennpunkt dieser Arbeit stehen, sondern es soll untersucht werden, inwieweit sich das Thema Gesundheit auf die Märkte im Tourismus auswirkt und welche Konsequenzen sich daraus für das strategische Management ergeben. Das strategische Management dient dann in diesem Bezug dazu aufzuzeigen, wie sich aus der Dynamik, dem Neuen – dem Megatrend Gesundheit – Erfolgspfade für die Zukunft ableiten lassen.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung und Forschungsfrage
1.2 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
1.2.1 Wissenschaftstheoretischer Bezugsrahmen
1.2.2 Struktur und Forschungskonzept
2 Das Thema „ Gesundheit “
2.1 Die definitorische Unschärfe des Gesundheitsbegriffs
2.2 Konzeption des Gesundheitsbegriffs
2.2.1 Gesundheit - Begriffsabgrenzung
2.2.2 Krankheit
2.2.3 Psychische Störungen
2.2.4 Behinderung
2.3 Definition von Gesundheit in der vorliegenden Arbeit
3 Gesundheit und Tourismus
3.1 Tourismus
3.2 Trends im Tourismus
3.2.1 Markttrends im Tourismus
3.2.2 Gesellschaftliche Trends und ihre Auswirkungen auf den Tourismus
3.2.3 Tourismus: ein Sehnsuchtsmarkt
3.3 Der Gesundheitsaspekt in der Tourismusbranche
3.3.1 Wellness - Begriffsabgrenzung und Konzeption
3.3.2 Kur
3.3.3 Medizintourismus
3.3.4 Barrierefreier Tourismus
3.3.5 Sporttourismus
3.3.6 Sonstige gesundheitsbezogene Einflüsse auf touristische Angebote
3.4 Gesundheitstourismus - vom Thema zum Markt
3.4.1 Gesundheit - ein neuer Markt für den Tourismus
3.4.2 Gesundheitstourismus - Begriffsabgrenzung
3.4.3 Gesundheitstourismus - Attraktivität des Marktes
3.5 Zwischenfazit: Gesundheitstourismus als Angebots- und Marktform
4 Von der Geschäftsidee zum Geschäftsmodell
4.1 Strategien im Gesundheitstourismus
4.1.1 Zum strategischen Management
4.1.2 Kernkompetenzen
4.1.3 Strategische Erfolgsfaktoren
4.1.4 Gesundheitstouristische Leistungseigenschaften im Bezugsrahmen von Dienstleistungsmerkmalen
4.2 Geschäftsmodellansatz
4.2.1 Geschäftsmodelle als Analyseeinheit
4.2.2 Geschäftsmodellansatz als strategischer Bezugsrahmen
4.3 Märkte identifizieren und verstehen
4.3.1 Marktsegmentierung
4.3.2 Marktsegmentierung im Tourismus
4.3.3 Konsumentenbedürfnisse und -verhalten im Gesundheitstourismus
4.3.4 Affinity Groups als neue Segmentierungslogik
5 Der Markt Gesundheitstourismus
5.1 Gesundheitstourismus - Strukturierung des Marktes
5.1.1 Zielsetzung der Strukturierung
5.1.2 Märkte identifizieren und strukturieren
5.1.3 Herleitung des Strukturierungsmodells
5.2 Gesundheitstourismus - Beschreibung des Marktes
5.2.1 Zielsetzung der Beschreibung
5.2.2 Herleitung des Beschreibungsmodells
5.3 Methodik und Vorgehensweise
5.3.1 Stichprobenumfang und Analyseeinheiten
5.3.2 Hypothesenbildung
5.3.3 Kategoriensystem
5.4 Ergebnisse der empirischen Analyse
5.4.1 Typisierung der Angebotsstruktur im Gesundheitstourismus
5.4.2 Analyse der gesundheitstouristischen Angebotstypen
5.5 Marktsegmente im Gesundheitstourismus
5.5.1 Segmentierung als Entscheidungsrahmen für das Strategische Management
5.5.2 Das gesundheitstouristische Segment „Krankheit / Einschränkung“
5.5.3 Das gesundheitstouristische Segment „Gesundheits-Bewusstsein“
5.5.4 Das gesundheitstouristische Segment „Wellness“
5.5.5 Das gesundheitstouristische Segment „Körper / Beauty“
5.5.6 Das gesundheitstouristische Segment „Körper / Fitness“
5.5.7 Zusammenfassung: Marktsegmente im Gesundheitstourismus
5.6 Zwischenfazit: der gesundheitstouristische Markt
6 Konzeption für Geschäftsmodelle im Gesundheitstourismus
6.1 Kundennutzen und Haltbarkeit von Wettbewerbsvorteilen
6.1.1 Kundennutzen im Gesundheitstourismus
6.1.2 Wettbewerbsvorteile im Gesundheitstourismus
6.1.3 Zusammenfassung: Kundennutzen und Wettbewerbsvorteile in der gesundheitstouristischen Geschäftsmodellkonzeption
6.2 Produkt-Markt-Kombination
6.2.1 Strategische Stoßrichtungen im Gesundheitstourismus
6.2.2 Produkte im Gesundheitstourismus gestalten
6.2.3 Produkt-Markt-Kombination im Gesundheitstourismus entwickeln
6.2.4 Transaktionsbeziehungen im Gesundheitstourismus
6.2.5 Zusammenfassung: Produkt-Markt-Kombination in der gesundheits- touristischen Geschäftsmodellkonzeption
6.3 Durchführung und Konfiguration der Wertschöpfungsaktivitäten
6.3.1 Leistungskonfiguration im Gesundheitstourismus
6.3.2 Koordination der Wertschöpfungsaktivitäten im Gesundheitstourismus
6.3.3 Zusammenfassung: Konfiguration der Wertschöpfungsaktivitäten in der gesundheitstouristischen Geschäftsmodellkonzeption
6.4 Ertragsmechanik
6.4.1 Werttreiber im Gesundheitstourismus
6.4.2 Werttreiber in der gesundheitstouristischen Leistungskonfiguration
6.4.3 Erlösmodell
6.4.4 Zusammenfassung: Ertragsmechanik in der gesundheitstouristischen Geschäftsmodellkonzeption
6.5 Zwischenfazit: Geschäftsmodellkonzeption für den Gesundheits- tourismus
7 Fazit 200
7.1 Beantwortung der Forschungsfrage
7.1.1 Die gesundheitstouristische Marktstruktur als Bezugsrahmen für Konsumentenbedürfnisse
7.1.2 Geschäftsmodellkonzeption im Gesundheitstourismus
7.2 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1: Kategorienschema Inhaltsanalyse
Anhang 2: Untersuchungsobjekte Inhaltsanalyse
Anhang 3: Exkurs zum Identitätsbegriff
Anhang 4: Zertifizierungen und Gütesiegel im Gesundheitstourismus
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Aufbau der Arbeit
Abbildung 2: Einflussfaktoren zur Abgrenzung des Gesundheitsbegriffs
Abbildung 3: Wellnesskonzept
Abbildung 4: Gesundheits-Krankheits-Kontinuum
Abbildung 5: Einordnung des Gesundheitstourismus in die Tourismusbranche
Abbildung 6: Gesundheitstourismus (1)
Abbildung 7: Gesundheitstourismus (2)
Abbildung 8: Nutzung von Wellnessangeboten
Abbildung 9: Zwischenfazit
Abbildung 10: Dimensionen eines Geschäftsmodells
Abbildung 11: Geschäftsmodell als strategischer Bezugsrahmen
Abbildung 12: Marktbearbeitungsstrategien
Abbildung 13: Einflussfaktoren touristischen Verhaltens
Abbildung 14: Bedürfnispyramide
Abbildung 15: Strukturierungsmodell Gesundheitstourismus
Abbildung 16: Beschreibungsmodell für gesundheitstouristische Angebots- elemente
Abbildung 17: Positionierungsmatrix Gesundheitstourismus
Abbildung 18: Einordnung von Angeboten in die Positionierungsmatrix
Abbildung 19: Gesundheitstouristische Angebotstypen I und III
Abbildung 20: Gesundheitstouristische Angebotstypen II und IV
Abbildung 21: Gesundheitstouristische Angebotstypen V und VI
Abbildung 22: Gesundheitstouristische Angebotstypen VII und VIII
Abbildung 23: Marktstruktur Gesundheitstourismus
Abbildung 24: Gesundheitstouristisches Segment „Krankheit / Einschränkung“
Abbildung 25: Gesundheitstouristisches Segment „Gesundheits-Bewusstsein“
Abbildung 26: Gesundheitstouristisches Segment „Wellness“
Abbildung 27: Gesundheitstouristisches Segment „Körper / Beauty“
Abbildung 28: Gesundheitstouristisches Segment „Körper / Fitness“
Abbildung 29: Zwischenfazit 2
Abbildung 30: Bezugsrahmen für eine Geschäftsmodellkonzeption im Gesundheitstourismus
Abbildung 31: Kundennutzen in der gesundheitstouristischen Geschäftsmodellkonzeption
Abbildung 32: Wettbewerbsvorteile in der gesundheitstouristischen Geschäfts- modellkonzeption
Abbildung 33: Kundennutzen und Wettbewerbsvorteile im Gesundheitstourismus
Abbildung 34: Der Markt als Handlungsfeld strategischer Entscheidungen
Abbildung 35: Motive in der gesundheitstouristischen Marktstruktur
Abbildung 36: Strategische Stoßrichtungen im Gesundheitstourismus
Abbildung 37: Gestaltungselemente gesundheitstouristischer Produkte
Abbildung 38: Elemente von Produkt-/Leistungs-Bündeln im Gesundheits- tourismus
Abbildung 39: Produkt-Markt-Kombinationen
Abbildung 40: Markttransaktionen zwischen Anbieter und Nachfrager
Abbildung 41: Leistungsentwicklung und Markterschließung im Gesundheitstourismus
Abbildung 42: Produkt-Markt-Kombination im Gesundheitstourismus
Abbildung 43: Leistungskonfiguration in der gesundheitstouristischen Geschäftsmodellkonzeption
Abbildung 44: Leistungsdefinition für Geschäfte im Gesundheitstourismus
Abbildung 45: Leistungsdesign für Geschäfte im Gesundheitstourismus
Abbildung 46: Leistungskommunikation für Geschäfte im Gesundheitstourismus
Abbildung 47: Leistungserbringung für Geschäfte im Gesundheitstourismus
Abbildung 48: Leistungskontrolle für Geschäfte im Gesundheitstourismus
Abbildung 49: Beurteilung von Leistungseigenschaften
Abbildung 50: Gestaltung der Wertschöpfungsaktivitäten für Geschäfte im Gesundheitstourismus
Abbildung 51: Organisationsformen zwischen Markt und Hierarchie
Abbildung 52: Wertschöpfungskonfiguration und -koordination im Gesundheitstourismus
Abbildung 53: Werttreiber im Gesundheitstourismus
Abbildung 54: Werttreiber in der prozessorientierten Leistungskonfiguration
Abbildung 55: Struktur der Werttreiber im Rahmen der Leistungsprozess-lkonfiguration
Abbildung 56: Werttreiber im Leistungsprozess der Dienstleistungserstellung
Abbildung 57: Wertkettenbezogenes Erlöspotenzial in der gesundheits- touristischen Wertschöpfung
Abbildung 58: Ertragsmechanik im Gesundheitstourismus
Abbildung 59: Zwischenfazit 3.
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Themeninteresse „Gesundheit“.
Tabelle 2: Bedeutung des Themas Gesundheit für Konsumentenhandeln
Tabelle 3: Gesundheitsinteresse - Prävention
Tabelle 4: Ernährungsbewusstsein.
Tabelle 5: Bezugspunkte für Gesundheit und Krankheit
Tabelle 6: Gesundheits- und Krankheitszeichen.
Tabelle 7: Tourismusarten und Tourismusformen
Tabelle 8: Abgrenzung touristischer Leistungsträgern anhand des Leistungsprogramms
Tabelle 9: Gesundheits- und Wellnessurlaube.
Tabelle 10: Angebotselemente im Kur- Gesundheits- und Wellnessurlaub
Tabelle 11: Marktvolumen gesundheitsbezogener Urlaubsformen
Tabelle 12: „Gesunde“ Urlaubsreisearten
Tabelle 13: Geschäftsmodelldefinitionen
Tabelle 14: Zuordnung der Untersuchungsobjekte in der Stichprobe
Tabelle 15: Indikatoren gesundheitstouristischer Angebotselemente
Tabelle 16: Operationalisierung der Dimension Orientierung
Tabelle 17: Operationalisierung der Dimension Nutzen
Tabelle 18: Strukturell-inhaltliche Ausrichtung gesundheitstouristischer Angebotstypen.
Tabelle 19: Verteilung gesundheitstouristischer Angebotstypen
Tabelle 20: Aufschlüsselung gesundheitstouristischer Angebotstypen nach Untersuchungsobjekten.
Tabelle 21: Übersicht der statistischen Ausrichtung gesundheitstouristischer Angebotstypen.
Tabelle 22: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Kuren / Prävention
Tabelle 23: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Beeinträchtigungs- Management
Tabelle 24: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Kuren / Heilen
Tabelle 25: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Medizintourismus i.e.S
Tabelle 26: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Gesundheitsinteresse
Tabelle 27: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Gesundheits-Konsum
Tabelle 28: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Gesundheits-Esoterik.
Tabelle 29: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Gesundheits-Philosophie
Tabelle 30: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Baukasten-Wellness
Tabelle 31: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Ganzheitlicher-Wellness
Tabelle 32: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Partial-Wellness
Tabelle 33: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Gemenge-Wellness
Tabelle 34: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Native-Beauty
Tabelle 35: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Day-Beauty
Tabelle 36: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Medical-Beauty
Tabelle 37: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Schönheitsfarm
Tabelle 38: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Aktiv-/Bewegungs-Genuss
Tabelle 39: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Aktiv-Fokus
Tabelle 40: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Fitness-Training
Tabelle 41: Teilsegment im Gesundheitstourismus - Leistungs-Erlebnis
Tabelle 42: Marktsegmente im Gesundheitstourismus
Tabelle 43: Systematik der Erlösformen
Tabelle 44: Konsumentenbedürfnisse in den gesundheitstouristischen Marktsegmenten
Tabelle 45: Einfluss- und Bezugsgrößen der gesundheitstouristischen Leistungserstellung
Tabelle 46: Zertifizierung im Gesundheitstourismus: Deutschland
Tabelle 47: Zertifizierung im Gesundheitstourismus: Österreich
Tabelle 48: Zertifizierung im Gesundheitstourismus: Schweiz
Tabelle 49: Zertifizierung im Gesundheitstourismus: International
1 Einleitung
Das Thema Gesundheit ist etwas, das jeden Einzelnen unmittelbar betrifft. Bei dem einen ist es stärker im Bewusstsein verhaftet, bei dem anderen weniger - die einen tun aktiv etwas für ihre Gesundheit, sie sind sich der Bedeutung ihrer Gesundheit bewusst und nehmen aktiv Bezug darauf. Andere nehmen Gesundheit als gegeben hin: Solange die Gesundheit nicht bedroht ist und seitens ihres Gegenpols - der Krankheit - massiv und unleugbar in das individuelle Bewusstsein drängt, wird sie nicht unmittelbar relevant.
Gesundheit ist - selbst wenn es thematisch nicht permanent im Bewusstsein aller ist - das Wichtigste, was der Mensch hat, ohne Gesundheit ist fast alles andere nichts.
Der Freizeitforscher Horst W. Opaschowski hat herausgefunden, dass in Bezug auf Lebensqualität und Wohlbefinden folgende Themen im Bewusstsein der Menschen stark präsent sind und diesen Themen insgesamt hohe Bedeutung beigemessen wird, was deren Relevanz im alltagsweltlichen Bewusstsein der Individuen angeht1:
- Gesundheit,
- Natur,
- Konsum.
Im Rahmen dieser Studie Opaschowskis kam ebenso zum Vorschein, dass hinsichtlich der Sorgen bzw. Zukunftsängste das Thema „Gesundheitsvorsorge“ für zwei Drittel der Befragten einen enormen Stellenwert hat - nur das Thema Arbeitslosigkeit (bzw. die Angst davor) beschäftigt die Menschen noch mehr.2 Die Sorge um die Gesundheitsvorsorge spiegelt drei wesentliche gesellschaftliche Entwicklungselemente wider: Erstens die demografische Entwicklung, denn bedingt durch die Alterung der Gesellschaft rückt das Thema Gesundheit zwangsläufig ins Bewusstsein eines immer größeren Teils der Menschen. Zweitens - und dies hängt eng mit den sich aus der alternden Gesellschaft ergebenden Konsequenzen und Problemen zusammen - wird die Lage der öffentlichen Gesundheitssysteme zunehmend prekär; zum einen steigen deren Kosten immer weiter an und zum anderen wird der Leistungsumfang der privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen immer weiter reduziert.3 Drittens hat sich aber auch ein positiver Bezug zum Thema Gesundheit in der Gesellschaft etabliert in dem Sinne, dass Gesundheit inzwischen in fast allen Lebensbereichen relevant wird und positiv reflektiert wird - und nicht bloß aus der Bezugnahme auf die negative Perspektive der Krankheit heraus.
Die Menschen kümmern sich zunehmend selbst um den Erhalt ihrer Gesundheit und sind bereit, dafür zu zahlen - über die eigentlichen Beiträge zum Gesundheitsversicherungssystem hinaus. Zusammen mit dem gesteigerten Interesse am Thema Gesundheit (über die rein medizinische Perspektive hinaus) entsteht daraus der so genannte Zweite Gesundheitsmarkt. Der Zweite Gesundheitsmarkt umfasst all diejenigen Produkte und Dienstleistungen, die, privat finanziert, sich im weitesten Sinne mittelbar und unmittelbar auf den Themen- und Bedürfnisbereich Gesundheit beziehen. Diese reichen von frei verkäuflichen Arzneimitteln über „gesunde“ Ernährung, Fitnessstudio-Mitgliedschaften, Wellness etc. bist hin zu gesundheitsorientierten Urlaubsreisen. Schätzungen für den Umfang dieses Zweiten Gesundheitsmarktes für das Jahr 2007 belaufen sich auf etwa 60 Mrd. Euro.4
In einer GDI-Studie wird prognostiziert: „Healthstyle löst Lifestyle ab.“5 Gemeint ist, dass die Gesundheitsorientierung allgegenwärtig ist und in immer größerem Umfang in das Bewusstsein von immer mehr Menschen drängt, zu einem immer wichtigeren Motiv wird - sowohl was das Kaufverhalten angeht als auch das, was die Freizeit- und Lebensgestaltung betrifft.
In derselben Studie wird auch der Begriff „I-Health“6 eingeführt:
Gesundheitsbewusstsein, -bezug und -leistungen werden immer stärker personalisiert. Für den Einzelnen wird Gesundheit zum identitätsstiftenden Merkmal. Alles das, was in den weiten Bereich der Gesundheit fällt, ist geeignet, dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung zu genügen.
Das Thema Gesundheit ist tatsächlich überall - von allen Seiten und in allen Lebensbereichen werden wir damit konfrontiert. Immer und ständig geht es um Gesundheit, Krankheit und dem darauf bezogenen Allbegriff Wohlbefinden. Allerdings führt dies leicht dazu, dass dieser ganze Themenbereich banalisiert wird, wofür der folgend zitierte Werbeslogan exemplarisch sein mag: „Orbit Balance Papaya-Aloe Vera ist der erste Kaugummi in Deutschland für Genuss und Wohlbefinden zwischendurch.“7
1.1 Problemstellung und Forschungsfrage
In der praxisbezogenen betriebswirtschaftlichen Forschung ist das Thema Gesundheit längst zum Megatrend8 geworden - vielfach wird bereits vom Thema Gesundheit als sechstem Kondratieff-Zyklus9 gesprochen.
Das Thema Gesundheit ist dementsprechend nicht nur in der wissenschaftlichen Perspektive bedeutend (geworden), sondern es ist ganz unmittelbar im Bewusstsein der Bevölkerung verankert, wie sich zum Beispiel an den Ergebnissen einer repräsentativen Studie zum Gesundheitsinteresse der deutschen Bevölkerung ablesen lässt:
Tabelle 1: Themeninteresse „Gesundheit“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Der Markt der Gesundheit (2007), S. 32.
Weiterhin zeigt sich, dass seitens der Konsumenten eine tendenziell hohe Bereitschaft existiert, sich für die eigene Gesundheit zu engagieren - sei es in Form von gesunder Ernährung oder in aktiv gesundheitsförderlichem Verhalten. Die Ergebnisse einer darauf bezogenen Studie in Deutschland sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst.
Tabelle 2: Bedeutung des Themas Gesundheit für Konsumentenhandeln
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Der Markt der Gesundheit (2007), S. 2.
Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Thema Gesundheit mit speziellem Fokus auf die Tourismusbranche. Das Thema Gesundheit soll dabei im Sinne einer wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsperspektive bearbeitet werden.
Insbesondere soll die Argumentation aus der Perspektive des strategischen Managements erfolgen. D.h., dass nicht Einzel- und Teilprobleme im Brennpunkt dieser Arbeit stehen, sondern es soll untersucht werden, inwieweit sich das Thema Gesundheit auf die Märkte im Tourismus auswirkt und welche Konsequenzen sich daraus für das strategische Management ergeben. Das strategische Management dient dann in diesem Bezug dazu aufzuzeigen, wie sich aus der Dynamik, dem Neuen - dem Megatrend Gesundheit - Erfolgspfade für die Zukunft ableiten lassen.
Für den Tourismus werden dabei - auf das Thema Gesundheit bezogen - folgende Bereiche relevant: Bezieht sich das Leistungsangebot auf einen allgemeinen oder einen spezifischen Markt bzw. wie wirkt sich die Bezugnahme auf das Thema Gesundheit diesbezüglich aus? Wie wird der Markt segmentiert - also nach welchen Kriterien erfolgt die Einteilung der (potenziellen) Kundengruppen, welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Thema Gesundheit für die Segmentierung im Tourismus? Lässt sich das Thema Gesundheit in der Gestaltung touristischer Leistungsangebote so umsetzen, dass die Auslastung erhöht wird? Und ist Gesundheit geeignet, neue Gäste anzusprechen und zu gewinnen bzw. neue Kundengruppen zu erschließen. D.h., wie kann sich das Thema Gesundheit auf die Gestaltung bestehender und zukünftiger Geschäftsmodelle auswirken.
Es geht darum zu analysieren, wie im Feld des Gesundheitstourismus Kundenwert geschaffen werden kann, um darauf basierend Wert für Unternehmungen zu schaffen. Ausgehend davon wird die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit konkretisiert:
„ Wie lässt sich das Thema Gesundheit für erfolgreiche Geschäftsmodelle im Tourismus nutzen? “
1.2 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
1.2.1 Wissenschaftstheoretischer Bezugsrahmen
Das dieser Arbeit zu Grunde liegende Verständnis der Betriebswirtschaftslehre ist das einer angewandten Wissenschaft.10 Wissenschaft zielt auf systematischen Erkenntnisgewinn ab, Wissenschaftstheorie befasst sich mit dem Inhalt und der Methodik von Wissenschaft.11
Eine grundlegende Systematik von Wissenschaft unterscheidet nach Ulrich / Hill in Formal- und Realwissenschaften.12 Formalwissenschaften beschäftigen sich mit der logisch überprüfbaren Konstruktion von Zeichensystemen. Beispiele für Formalwissenschaften sind etwa Mathematik oder Philosophie.
Realwissenschaften suchen nach faktisch überprüfbaren Beschreibungen und Erklärungen ausgewählter Wirklichkeitsbereiche. Weiter differenzieren lassen sich Realwissenschaften in die Bereiche Grundlagenwissenschaften und angewandte Wissenschaften. Während Grundlagenwissenschaften auf die theorie- und modellgeleitete Erklärung von Ausschnitten der Wirklichkeit abzielen, fokussieren anwendungsorientierte Wissenschaften auf die wissenschaftsgeleitete Gestaltung von Systemen (soziale und technische Systeme).13 D.h.: Aufgabe der anwendungsorientierten Wissenschaft ist es, ihren jeweiligen Erkenntnisgegenstand so zu strukturieren, dass praktische Problemlösungsansätze und Handlungsalternativen abgleitet und aufgezeigt werden können.14
Im Kontext des vorliegenden Forschungsgegenstandes wird die Betriebswirtschaftslehre als Führungs- und Managementlehre verstanden. Das bedeutet, dass das Erkenntnisinteresse in der Darstellung und Erklärung der relevanten Zusammenhänge des Gesundheitstourismus liegt und diese Erkenntnisse für das strategische Management nutzbar machen will. Der sich so ergebende Anspruch spiegelt sich in dem Forschungsdesign wider. In Bezug auf das Phänomen Gesundheitstourismus im weitesten Sinne und im engeren Sinne hinsichtlich der Gestaltung von Geschäftsmodellen im Gesundheitstourismus liegen bislang nur vereinzelte Erkenntnisse vor. Das Feld Gesundheitstourismus aus der Perspektive des strategischen Managements zu betrachten, wird mit der vorliegenden Arbeit erstmalig verfolgt. Bei neuartigen Fragestellungen wird das Herausarbeiten und Strukturieren des Erklärungsgegenstandes selbst zur wesentlichen Aufgabe.15
Aus dem eingangs aufgezeigten Verständnis der Betriebswirtschaftslehre als angewandte Forschung ergeben sich nach Ulrich Anforderungen, denen in der vorliegenden Arbeit Rechnung getragen wird und die im Folgenden zusammengefasst sind16:
Der Ursprung der in der angewandten Forschung untersuchten Fragestellungen sollte in der Praxis liegen. Daher besteht das Ziel nicht in der Untersuchung von Theorien und deren Gültigkeit, vielmehr geht es um die Anwendbarkeit von Modellen und Regeln im Hinblick auf wissenschaftsgeleitetes Verhalten in der Praxis.
Zwar gibt es in Bezug auf die dieser Arbeit zu Grunde liegende Forschungsfrage Einzelansätze, die das Phänomen Gesundheitstourismus im weitesten Sinne betrachten. Einerseits betrachten diese Arbeiten das Thema nicht aus der Perspektive der Betriebswirtschaftslehre und andererseits werden keine Implikationen für das strategische Management abgeleitet. Dementsprechend wird es ein Ziel der vorliegenden Untersuchung sein, Modellvorstellungen für Geschäftsmodelle im Gesundheitstourismus unter Rückgriff auf das Instrumentarium des strategischen Managements zu entwickeln.
Aus der Praxis heraus entstehende Probleme lassen sich nicht nach Disziplinen der Grundlagenforschung einteilen. Der Charakter anwendungsorientierter Wissenschaften ist deswegen interdisziplinär.
Das durch die Forschungsfrage aufgezeigte Sujet dieser Arbeit erfordert eine fächerübergreifende Analyse. Es wird daher sowohl auf betriebswirtschaftliche als auch auf soziologische, psychologische und medizinische Ansätze zurückgegriffen. Diese werden miteinander verknüpft, um dem Wesen des Forschungsgegenstandes gerecht zu werden.
Ziel angewandter Forschung soll es nicht sein, zu einer Erklärung der Wirklichkeit durch allgemeine Theorien zu gelangen, sondern den Entwurf einer neuen Wirklichkeit zu schaffen. Die Fortschrittskriterien bestehen nicht darin, die allgemeine Gültigkeit bzw. Erklärungskraft von Theorien zu bestätigen oder zu messen, sondern die praktischen Nutzenkriterien der entwickelten Problemlösung aufzuzeigen.
Aufbauend auf einer theoretischen Auseinandersetzung mit den durch die Forschungsfrage berührten Themenfeldern Gesundheit, Tourismus und Geschäftsmodelle soll es um die Erarbeitung theoriegeleiteter Lösungsansätze zur Verbesserung der betriebswirtschaftlichen Praxis gehen.
Nach Schanz lassen sich die Ziele wissenschaftlicher Arbeiten in kognitive Wissenschaftsziele (Erkenntnisinteresse) und praktische Wissenschaftsziele (Gestaltungsinteresse) differenzieren.17 Einerseits ist damit das Ziel der vorliegenden Arbeit, das Feld Gesundheitstourismus aus der Perspektive des strategischen Managements heraus als Markt zu strukturieren. Andererseits sollen praxisnahe Entscheidungs- und Orientierungshilfen aufgezeigt werden, die die Frage nach erfolgversprechenden Geschäftsmodellen im Gesundheitstourismus beantworten.
1.2.2 Struktur und Forschungskonzept
Die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit wird in drei wesentlichen Schritten beantwortet. Zunächst erfolgt in Abschnitt 2 eine eingehende Analyse des Themas Gesundheit. Dazu werden verschiedene theoretische und praktische Konzepte des Gesundheitsbegriffs dargestellt. Weiterhin werden verschiedene Modelle erklärt, die das Thema Gesundheit aus wissenschaftstheoretischer Perspektive reflektieren.
In Abschnitt 3 wird das Thema Gesundheit in Beziehung gesetzt zum Tourismus. Dazu werden wesentliche Merkmale und Entwicklungstendenzen der Tourismusbranche aufgezeigt und es werden ausführlich die wesentlichen, im Tourismus existierenden und das Thema Gesundheit aufgreifenden Konzepte dargestellt.
In diesen beiden Abschnitten 2 und 3 wird damit die thematisch-konzeptionelle Basis für das Verständnis von Gesundheitstourismus und für die weitere Argumentationslogik insgesamt aufgebaut. Als Ergebnis dieser Abschnitte steht ein erstes Zwischenfazit, mit dem der Gesundheitstourismus als Angebots- und Marktform dargestellt wird.
In Abschnitt 4 werden als Bezugsrahmen für den weiteren Gang der Arbeit die Konzepte strategisches Management und Geschäftsmodelle eingeführt. Anhand dieser Konzepte wird das Thema Gesundheitstourismus in Hinblick auf die Beantwortung der Forschungsfrage weiter konkretisiert. Ziel ist, Gesundheit als Idee für Geschäfte im Tourismus zu gestalten. Geschäfte sind Produkt-Markt- Kombinationen. D.h., um erfolgreiche Geschäfte zu identifizieren und zu entwickeln, bedarf es eines fundamentalen Verständnisses dieser Kombination. Märkte sind Ressourcen-Bedürfnis-Kombinationen und Produkte sind Ressourcen- Kunden-/Zielgruppen-Kombinationen. D.h. für die Konzeption von Geschäften, dass diese sich in Form von drei wesentlichen Elementen formulieren lassen: (1) Ressourcen, (2) Bedürfnisse, (3) Zielgruppen.
Der Erfolgsbegriff wird in diesem Zusammenhang so gefasst, dass ein Bezug auf das Konzept der strategischen Erfolgsfaktoren erfolgt. D.h. für die mit der Forschungsfrage aufgegriffene Problemstellung, dass der Erfolgsbegriff gesundheitstouristischer Geschäftsmodellkonzeptionen so verstanden werden soll, dass (1) das Verständnis von Kundenbedürfnissen einerseits und (2) das Verständnis der Faktoren, welche die Unternehmung ggü. ihren Wettbewerbern positionieren als Erfolgsfaktoren maßgeblich sind. Das bedeutet, dass das Erfolgsmoment in diesem Zusammenhang über eine externe und eine interne Perspektive beschrieben wird. Das Verständnis des Marktes und der Kundenbedürfnisse (externe Erfolgsperspektive) soll über eine Strukturierung des Marktes Gesundheitstourismus erfolgen (Abschnitt 5). Das Verständnis der internen Erfolgsperspektive - insbesondere Gestaltung und Konfiguration von Wertschöpfungsaktivitäten - erfolgt durch die Konzeption für Geschäftsmodelle im Gesundheitstourismus in Abschnitt 6. Die strategische Managementperspektive verbindet damit die Bereiche Gesundheit und Gesundheitstourismus einerseits und den Bereich Geschäftsmodellkonzeption andererseits.
In Abschnitt 5 wird eine Strukturierung des Marktes Gesundheitstourismus vorgenommen. Dazu wird zunächst eine konzeptionelle Perspektive eingenommen, um ein Strukturierungsraster zu entwickeln. Dieses Strukturierungsmodell soll die grundlegenden Zusammenhänge des Gesundheitstourismus für das strategische Management greifbar machen.
Im zweiten Schritt erfolgt dann aus der empirischen Perspektive eine Prüfung. Im Ergebnis steht ein Beschreibungsmodell des Marktes Gesundheitstourismus.
Auf Basis des Struktur- und Beschreibungsmodells des Gesundheitstourismus erfolgt der Transfer in den Bezugsrahmen des strategischen Managements, indem Marktsegmente für den Gesundheitstourismus beschrieben werden. Dabei sollen die wesentlichen Elemente, Beziehungen, Charakteristika und Strukturierungselemente des Marktes Gesundheitstourismus aufgezeigt und in einen logischen Beziehungszusammenhang gesetzt werden. Insgesamt liegt dem Abschnitt 5 damit das Ziel zu Grunde, einen Bezugsrahmen zu setzen, in dem sich die weitere Argumentation im Fokus des strategischen Managements bewegen kann. Als Ergebnis dieses Abschnitts steht das zweite Zwischenfazit, in dem der Gesundheitstourismus als Markt aus der Perspektive des Strategischen Managements in Marktsegmente gegliedert wird. Die so vorgenommene Strukturierung abstrahiert wesentlich von bisherigen Versuchen der Strukturierung des Gesundheitstourismus, indem sie darauf abzielt, den Markt Gesundheitstourismus durchgängig im Bezugsrahmen des strategischen Managements zu reflektieren. Im Weiteren beziehen sich strategische Stoßrichtungen auf die in Abschnitt 5 dargestellten Marktsegmente, um das Marktgefüge Gesundheitstourismus für eine gesundheitstouristische Geschäftsmodellkonzeption greifbar zu machen.
In Abschnitt 6 wird eine Konzeption für Geschäftsmodelle im Gesundheitstourismus entwickelt. Dazu werden die Ergebnisse aus Abschnitt 5 als inhaltliche Basis herangezogen, um innerhalb des Bezugsrahmens des strategischen Managements die gesundheitstouristische Geschäftsmodellkonzeption zu konkretisieren.
Die Geschäftsmodellkonzeption erfolgt dabei anhand folgender Teilbereiche: 1) Kundennutzen und Haltbarkeit von Wettbewerbsvorteilen, 2) Produkt-Markt- Kombination, 3) Durchführung und Konfiguration der Wertschöpfungsaktivitäten und 4) Ertragsmechanik. Im Ergebnis von Abschnitt 6 steht das dritte Zwischenfazit, in dem die entwickelte Geschäftsmodellkonzeption für den Gesundheitstourismus dargestellt wird. Ausgehend von diesem dritten Zwischenfazit erfolgt in Abschnitt 7 (Fazit) die Beantwortung der zu Grunde liegenden Forschungsfrage - wie lässt sich das Thema Gesundheit für erfolgreiche Geschäfte im Tourismus nutzen . Die Forschungsfrage wird so beantwortet, dass auf die Ergebnisse der Abschnitte 5 und 6 zurückgegriffen wird. D.h., dass die Ergebnisse der Marktstrukturierung und der Geschäftsmodellkonzeption genutzt werden, um zu reflektieren, welche Faktoren aus der externen und der internen Perspektive wesentlich sind, Geschäfte im Gesundheitstourismus konzeptionell erfolgreich zu gestalten. In der folgenden Abbildung ist der strukturelle Aufbau der Arbeit noch einmal grafisch dargestellt.
Abbildung 1: Aufbau der Arbeit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2 Das Thema „Gesundheit“
Das Thema Gesundheit hat innerhalb der letzten zehn Jahre einen bedeutenden Stellenwert im gesellschaftlichen Bewusstsein eingenommen - auf der einen Seite ist die Nachfrage nach Gesundheitsinformationen drastisch gewachsen, auf der anderen Seite legen Statistiken - etwa hinsichtlich der Zahl übergewichtiger Kinder und Jugendlicher18 - nahe, dass das gewachsene Interesse sich nicht unbedingt auch in einem gesundheitsbewussteren Verhalten widerspiegelt. Und dennoch (oder gerade deswegen) ist das Thema Gesundheit so wichtig wie nie für verschiedenste Bereiche der Wirtschaft. Lange schon nicht mehr bloß für die Pharmabranche und klassische Bereiche des Gesundheitssektors, sondern zunehmend greift dieses Thema auf immer weitere Marktbereiche über. Kaum ein touristisches Angebot kommt noch ohne die Begriffe „Wellness“ und „Wohlfühlen“ aus, kaum ein Hotel, das nicht über den eigenen „großzügigen Wellnessbereich“ verfügt, Gesundheit wird zum Thema von Kreuzfahrten, indem fast alle Kreuzfahrtschiffe über gut ausgestattete Hospitäler und insbesondere Dialyseeinrichtungen verfügen.19 „Mehr Wohlergehen und mehr Schönheit werden als ein Paket angeboten und der Unterschied zwischen Medikamenten, Nahrungs- und Schönheitsmitteln wird zunehmend verwischt.“20
Um das allgemein gesteigerte Gesundheitsinteresse zu illustrieren, werden in der folgenden Tabelle die Ergebnisse einer Untersuchung aus dem Jahr 2007 zusammengefasst, die darauf abzielte herauszufinden, wie stark gesundheitsbezogene Präparate genutzt werden. So gaben etwa 25 % der Befragten an, dass sie mindestens gelegentlich Magnesium- oder Vitamin C- Präparate zu sich nehmen.
Tabelle 3: Gesundheitsinteresse - Prävention
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Der Markt der Gesundheit (2007), S. 16.
Wie weiter oben bereits gezeigt, spiegelt sich (unabhängig vom tatsächlichen Verhalten) das Thema Gesundheit auch in Lebensbereichen wie der Ernährung bzw. dem Ernährungsverhalten. So untersucht eine aktuelle Studie (Nielsen 2008) weltweites Konsumentenverhalten in Bezug auf gesundheitsbezogene Informationen bei Lebensmitteln. Wie die Zahlen in der folgenden Tabelle zeigen, lässt sich mindestens ein größeres Interesse hinsichtlich gesundheitsbezogener Informationen im Bereich der Ernährung ableiten.
Tabelle 4: Ernährungsbewusstsein
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Nielsen (2008), S. 1.
Außerhalb des eigentlichen medizinischen Systems ist also ein Markt entstanden, dessen Produkte und Leistungsangebote in großer Vielfalt auf das Thema Gesundheit abzielen (dessen Seriosität in Bezug auf den versprochenen gesundheitlichen Nutzen bei Weitem nicht immer nachvollziehbar ist - um es vorsichtig zu formulieren).21
2.1 Die definitorische Unschärfe des Gesundheitsbegriffs
In der Analyse des Begriffs Gesundheit zeigt sich schnell, dass es sich dabei um etwas handelt, mit dem jeder Mensch aus alltagsweltlicher Sicht etwas anfangen kann, dass es aber aus wissenschaftlicher Perspektive große Unterschiede dahingehend gibt, was unter dem Begriff Gesundheit zu verstehen ist22 (Dies gilt umso stärker, wenn der Fokus sich auf die Bedürfnisse von Konsumenten gesundheitsbezogener Produkte und Leistungen bezieht.23 ). Und zwar ist dieses (zunächst sehr intuitiv fassbare) Thema hochkomplex, denn es umfasst neben einer individuellen auch eine interindividuelle, also gesellschaftliche, und eine historische Dimension24. Das, was unter Gesundheit verstanden werden will, ist jeweils im zeitlichen (und damit einhergehend: gesellschaftlichen) Gesamtzusammenhang zu sehen.25 Gesundheit ist ein umfassendes Spektrum, das sich zwischen individueller Erfahrung und gesellschaftlicher Forderung bewegt. Gesundheit ist etwas, das nicht unbedingt als konkreter Begriff, wohl aber als konkretes Erfahrungsmoment unmittelbar gegenwärtig ist.26 Dies impliziert zugleich eine Komplexität im Verständnis von Gesundheit: Jeder versteht etwas anderes darunter, weil ein jeder etwas anders fühlt - Gesundheit ist ein unmittelbar psychologisches Phänomen27. Gesundheit als praktische Implikation wird damit nicht nur individuell wahrgenommen, sondern im gesellschaftlichen Kontext reflektiert.
Aus den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen heraus lässt sich ein weiterer Bezug auf das Thema Gesundheit nehmen: „Wir leben in einer diversifizierten polyphonen Welt [...]“28 - wo jeder sehen muss, wie er zurechtkommt. Das Individuum muss seinen Platz in der Gesellschaft suchen, es findet sich zumeist nicht mehr in eine Identität hineingeboren, sondern muss gewissermaßen entwickelt werden.29 Eine zunehmende Anzahl Individuen erlebt die Konfrontation mit dem immer schnelleren Wandel von Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen als Problem. Das Gleichgewicht zu halten zwischen den Erwartungen, Anforderungen und Belastungen und den persönlichen Ressourcen30, diese zu bewältigen, gelingt vielen Menschen nicht mehr - sie werden krank. Die Zeitspannen, die der Interaktion mit den Mitmenschen zukommt, die Zeit, die der Ruhe und Erholung vorbehalten ist, diese Zeiträume (Erholungsräume) werden immer wertvoller. Nebenbei bemerkt: Solche Erholungsräume findet der postmoderne Mensch in verdichteter Form im Urlaub. Die Ferien sind die Zeitspanne, die - theoretisch - dem Individuum voll zur freien Entfaltung zur Verfügung stehen, für unbeschwerte Muße und Genuss da sind, anders als die gewöhnlichen Wochenenden, bei denen es am Montag schon weitergeht. Die Ferien im Sinne eines längeren selbstbestimmten Zeitintervalls sind wertvoll wie selten.
Gesundheit tritt stärker als je zu vor „in das persönliche Leben, in die Politik und auf den Markt. Gesundheit wird allgegenwärtig …“31 Gerade der individuelle Umgang mit dem Thema Gesundheit ist davon betroffen: Wir sehen unseren Körper nicht nur als Ressource, von der unser Lebensglück abhängt, sondern auch als ein Element, um im sozialen Kontext (und auch in der individuellen Selbstwahrnehmung) unseren Lebensstil auszudrücken, d.h., dass unser Körper immer mehr zum Objekt kosmetischer und well-being-bezogener Applikationen, Lifestyle Drogen, plastischer Chirurgie usw. wird.32
Jener Bedeutungszuwachs der Gesundheit ist maßgeblich im Prozess der Modernisierung33 begründet. Beginnend mit der Aufklärung in Europa im 18. Jahrhundert entstand erstmals ein Verständnis von Gesundheit, in dem sich das Machbarkeitsdenken im Sinne der Bezwingung der Natur widerspiegelte. Der moderne aufgeklärte Mensch und Staat waren den Bedrohungen von Krankheiten nicht länger ausgeliefert, sondern in einem neuen Selbstverständnis in der Lage, diesen entgegenzuwirken und aktiv Gesundheit zu beeinflussen. Zunächst blieb die „Machbarkeit von Gesundheit“34 allerdings eine Utopie, jedoch im Verlauf der Moderne (und mit den immensen Fortschritten im naturwissenschaftlich- medizinischen Bereich) kulminierte die Entwicklung in drei großen Entwicklungsstufen35:
- Die Sicherung der öffentlichen Gesundheit im 19. Jahrhundert fokussierte auf die Aspekte sauberes Wasser, Lebensmittelüberwachung, Abwasserentsorgung und Gesundheitserziehung.
- Durch Etablierung von Versicherungssystemen und medizinischen Versorgungssystemen erfolgte die Absicherung des Individuums bei Krankheit, Invalidität und Alter im 20. Jahrhundert.
- Zu Beginn des 21. Jahrhunderts fokussiert sich die Gesundheitsförderung auf die vielfältigen Lebenswelten des modernen Individuums.
Mit anderen Worten lässt sich diese Entwicklung so skizzieren, dass sich die vorherrschende Form des Gesundheitsverständnisses von der persönlichen Gesundheit im 18. Jahrhundert, der öffentliche Gesundheit im 19. Jahrhundert, über die medizinische des 20. Jahrhunderts hin entwickelt hat zu der des Marktes, heute, im 21. Jahrhundert.36
Dieses neue Gesundheitsbewusstsein lässt sich anhand von drei maßgeblichen Entwicklungslinien ableiten.37
Im Zuge des Wellnesstrends38 ist Gesundheit zu etwas geworden, mit dem Menschen sich auch in ihrer Freizeit beschäftigen - das Wohlbefinden ist zum zentralen Indikator für den Gesundheitszustand eines Individuums geworden.39 Gesundheit ist nicht mehr bloß das Gegenteil von Krankheit. Individuen befassen sich aktiv mit dem Thema Gesundheit, wodurch es in die Lebenswelt der Menschen und auch und maßgeblich in deren Freizeit(verhalten) und Urlaubs(verhalten) hineingetragen wird.40
Gesundheit schafft Identität41 - das moderne Individuum definiert sich u.a. auch darüber, welche Gesundheitsprogramme es als die für sich richtigen definiert. Gesundheit und Gesundheitshandeln werden zum Bestandteil der persönlichen und sozialen Identität: „Mein Urlaubshotel hatte einen ganz tollen Wellnessbereich …“ Je nachdem, ob man nun eher die klassische Kneippkur oder die Ayurveda- Behandlung für sich entdeckt - dies alles trägt zur Identitätsbildung bei. Neben der positiven Befassung mit der eigenen Gesundheit werden ebenso Krankheit und Behinderung zum Bestandteil der Identitätsfindung.42 So bekommt der Begriff Leiden schaft eine ganz neue Bedeutung, wenn Leiden Sinn schafft - man bespricht sich in Selbsthilfegruppen, identifiziert sich mit Stars, Persönlichkeiten öffentlichen Interesses, die an der Krankheit leiden, die man aus eigener Erfahrung kennt, tauscht sich in Internetforen43 oder mit Betroffenen im Bekanntenkreis aus: „Ach, du hast auch Burnout …“ - das Leiden wird nicht nur zum Identifikationspunkt, die Krankheit wird zur Geschichte.44
Gesundheit ist machbar - nie zuvor war das medizinisch Machbare so weit fortgeschritten und auch die Gesundheitssysteme sind (noch) auf einem Niveau, das im Verlauf seiner Entwicklungsgeschichte einmalig ist (vgl. Abschnitt 2). Auf der anderen Seite des gesundheitlichen Spektrums, das über das rein Medizinische hinausgeht, steht dem Individuum ein riesiges Instrumentarium zur Verfügung, um Wohlbefinden zu erlangen. Zu unterscheiden, ob es sich bei diesem oder jenem Medikament oder diesem und jenem Eingriff um eine medizinische Notwendigkeit handelt oder ob sie auf Wohlbefinden und Lebensqualität ausgerichtet sind, wird immer schwieriger.45 In den USA wurde bereits ein Begriff geprägt, der die wachsende Akzeptanz von Pharmazeutika, die die alltägliche Dosis Wohlbefinden liefern, beschreibt: cosmetic psychopharmacology.46 Darüber hinaus spielt das Internet eine wachsende Rolle bei der Informationsbeschaffung in Bezug auf Krankheiten, Symptome und Selbstbehandlungsmethoden. So zeigen beispielsweise aktuelle Studien aus den USA, dass 59 % der Erwachsenen in ihrer Informationssuche in Bezug auf Gesundheits- und Wellnessthemen dem Internet den Vorzug vor Ärzten geben.47
2.2 Konzeption des Gesundheitsbegriffs
Indem im 20. Jahrhundert die Gesundheit gewissermaßen von der Medizin vereinnahmt wurde und als medizinische Norm dichotom in gesund oder krank definiert wurde, bedeutete Gesundheit im Wesentlichen Nicht-Krankheit. Der Fokus lag damit auf der Bekämpfung von Krankheit und nicht auf der Erhaltung der Gesundheit.48 Die Vereinnahmung des Gesundheitsbegriffs durch die Medizin musste sich beinahe als logische Konsequenz vor dem Hintergrund der im vorigen Abschnitt aufgezeigten historischen Entwicklung ergeben: Gesundheit als absolute Utopie der völligen Abwesenheit von Krankheit, die durch die rasant sich fortentwickelnden naturwissenschaftlich-technischen Möglichkeiten der Medizin immer näher zu rücken schien.
Mitte der 1980er-Jahre setzte jedoch ein Perspektivenwechsel ein, der insbesondere darin begründet lag, dass zunehmend die Grenzen der naturwissenschaftlich-kurativen Individualmedizin deutlich wurden und, dass bedingt durch den sich vollziehenden Wertewandel, Gesundheit als Selbstverwirklichungswert angesehen wurde.49
2.2.1 Gesundheit - Begriffsabgrenzung
Die Literatur bietet eine schiere Fülle an Modellen, Definitionen und Bezügen zum Thema Gesundheit. Dabei erfolgt die Definition zum einen aus einer Perspektive, die das Konzept Gesundheit an sich fokussiert, d.h., Gesundheit wird jeweils im Rahmen eines spezifischen Modells rezipiert und zum anderen wird Gesundheit - unabhängig von der jeweiligen modelltheoretischen Fundierung - in Abgrenzung zu anderen in Zusammenhang mit dem Themenkomplex Gesundheit stehenden Konzeptionen verglichen und abgegrenzt. In diesem Abschnitt sollen die wesentlichen in der Literatur verwendeten Gesundheitskonzepte dargestellt und analysiert werden, um daraufhin zu einer umfassenden Definition des Gesundheitsbegriffs und Modellierung von Gesundheit Begriff) zu gelangen.
Gesundheit als Nichtkrankheit
Gesundheit in diesem Verständnis ist gekennzeichnet durch eine Störungsfreiheit des Organismus. In diesem Sinne ist der Gesundheitsbegriff dichotom: gesund (im Sinne von voll funktionsfähig) oder krank, d.h. ungesund (im Sinne von nicht-voll funktionsfähig). Ein so verstandener Gesundheitsbegriff lässt sich anhand von Kriterien operationalisieren: Experten legen messbare (statistische) Werte fest, durch die gewisse Bandbreiten definiert werden, innerhalb derer ein Individuum als gesund zu bezeichnen ist. Das Über- oder Unterschreiten bestimmter Werte kennzeichnet entsprechend den Krankheitszustand. Diese Definition von Gesundheit wird als Negativdefinition bezeichnet, weil über die Abwesenheit von Krankheit Gesundheit definiert wird. In der gesellschaftlichen und historischen Perspektive ist dieses Gesundheitsverständnis eher neu und entspringt den Paradigmen der Schulmedizin in den westlich-industriellen Gesellschaften.50
Gesundheit als Leistungsfähigkeit und Rollenerfüllung
Gesundheit kann auch funktional definiert werden, d.h. Gesundheit ist jener Zustand, der es dem Individuum ermöglicht, die ihm zugeschriebene soziale Rolle (bzw. zugeschriebenen Rollen) zu erfüllen und eine entsprechende Leistung im funktionalen Sinne zu erbringen. Gesundheit in diesem Sinne ist weit entfernt vom individuellen Bezug, denn hier wird Gesundheit als der Zustand des Individuums verstanden, die es ihm ermöglicht, die extern definierten Funktionsschemata auszufüllen.51 Beispielsweise ist dieses Verständnis charakteristisch für das Zeitalter der Industrialisierung: Es galt nicht die Befindlichkeit der Person, es ging bloß darum, die Arbeitskraft für den 14-Stunden-Fabrikarbeitstag funktionsfähig zu halten. Vor diesem Hintergrund sind jedoch auch heute noch die Kranken- und Rentenversicherungssysteme konstruiert, die an der Erwerbstätigkeit bzw. - fähigkeit einer Person ausgerichtet sind.
Gesundheit als Leistungsfähigkeit und Rollenerfüllung ist also fokussiert auf die soziodemografischen Charakteristika eines Individuums: Es geht, wie bereits erläutert, darum, dass das Individuum die ihm zugeschriebenen Rollenerwartungen und damit verbundenen Leistungsanforderungen erfüllen kann.52
Gesundheit als Wohlbefinden
Im Gegensatz zum dichotomen Gesundheits-Krankheitsverständnis, das über extern messbare Faktoren definiert wird, bezieht sich Wohlsein auf die Subjektivität des Individuums. Gesundheit ist dann nicht mehr das, was sich objektiv messen lässt, sondern Gesundheit ist etwas, das individuell und subjektiv empfunden wird. So verstanden geht Gesundheit über das Freisein von physischen und psychischen Störungen hinaus. Allerdings: Was genau Wohlbefinden nun ist, das lässt sich definitorisch kaum fassen, eben weil es stets und jeweils subjektiv reflektiert wird - es mag genügen, Wohlbefinden als: „es geht mir gut“ zu verstehen.53 Deswegen führt das Verständnis von Gesundheit als Wohlbefinden jenseits der Dichotomie: messbar-krank versus definitorisch-gesund zur Kontroverse, nicht zuletzt, seit sich dieses Verständnis von Gesundheit in der WHO-Gesundheits-Definition widerspiegelt.54 In ihrer ersten Definition von 1948 definiert die WHO Gesundheit folgendermaßen:
„Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen. Sich des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen, ist eines der Grundrechte des Menschen, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Überzeugung, der wirtschaftlichen und sozialen Stellung.“55
Während diese erste Gesundheitsdefinition der WHO noch ganz im Zeichen der Aufklärung steht und sich somit an zwei maßgeblichen Aspekten orientiert: 1) Gesundheit als absoluter Zustand, d.h. die Fiktion des perfekten Gesundheitsmoments und 2) Gesundheit als menschliches Grundrecht, wurde in Hinblick auf ein sich veränderndes Gesundheitsbewusstsein im ausgehenden 20. Jahrhundert ein überarbeiteter Gesundheitsbegriff vorgelegt.56 Dieser wird 1986 in der „Ottawa Charta zur Gesundheitsförderung“ dargelegt.57 Die zweite WHO- Gesundheitsdefinition lautet wie folgt:
„Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: Dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selbst Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben, sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die all ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen.“58
Gesundheit wird nun nicht nur als Alltagsbestandteil, sondern auch als Prozess definiert. Damit wird betont, dass Gesundheit sich im Spannungsfeld verschiedener Lebensweisen und -umstände abspielt und vom Einzelnen aktiv mitgestaltet werden kann; darüber hinaus wird aber auch der zunehmend bedeutsamer werdende Fokus der Lebensumstände mit berücksichtigt - nämlich, dass Menschen auch unterstützender Rahmenbedingungen bedürfen, um gesund leben zu können.59
Homöostase und Heterostase
Die Homöostase beschreibt Gesundheit als einen Gleichgewichtszustand und umfasst einen ganzen Komplex verschiedener Gleichgewichtstheorien wie z.B. Ayurveda, deren Gemeinsamkeit darin liegt, dass der Gesundheitszustand als Zustand der Ausgewogenheit60 gefasst wird. Abweichungen vom Gesundheitszustand sind Störereignisse, die - im Sinne der Gleichgewichtstheorien - aber insofern kompensiert werden können, als es dem Subjekt gelingt, wieder in den Gleichgewichtszustand zurückzukehren. Diese Sichtweise der Gesundheit gehört, kulturhistorisch betrachtet, zu den ältesten und beständigsten.61 Der Homöostase entgegengestellt (wenngleich eng verwandt) ist die Heterostase. Während im Fokus der Homöostase das Zurückbeziehen auf einen Ausgewogenheitszustand steht, betont die Heterostase die flexible Veränderung, d.h. Gesundheit wird nicht ausschließlich durch die Abwesenheit von Krankheit bzw. die Fähigkeit, von Störereignissen (Krankheit) wieder zum Ruhezustand zurückzukehren, verstanden, sondern die Krankheit wird zum Aspekt des Normalzustandes. Indem permanent Störereignisse des Ruhezustandes in Form von Krankheit auftreten, postuliert die Heterostase die Krankheit als wesentlichen Bestandteil subjektiven Daseins - es geht darum, mit der Krankheit umzugehen, diese in den Daseinszustand zu integrieren und ihr präventiv entgegenzuwirken62.63
Gesundheit als Balance von Risiko- und Schutzfaktoren
Ausgehend davon, dass Individuen während ihrer gesamten Lebensspanne nicht bloß selbst-referentiell in einem Vakuum existieren, sondern vielmehr in eine soziale und ökologische Umwelt hineingeboren sind, lässt sich Gesundheit als vierdimensionales Modell darstellen, das sich einerseits auf die körperliche und geistige Befassung des Individuums mit sich selbst und andererseits mit seiner Umwelt bezieht. Demnach spielt sich Persönlichkeits- und Gesundheitsentwicklung innerhalb und in Wechselwirkung der folgenden Systeme ab.64
- Körper,
- Geist (Psyche),
- Soziale Umwelt,
- Ökologische (physische) Umwelt.
Innerhalb dieser vier Bereiche entstehen so genannte Risikofaktoren65 wie beispielsweise krankmachende Umwelten, genetisch bedingte Gesundheitsstörungen, Erkrankungen etc. Solche Faktoren können im Zeitablauf zu einem Cluster krank machender Einflüsse kumulieren. Entsprechend gibt es
Schutzfaktoren, die ebenso in Persönlichkeit und Umwelt verankert bzw. bedingt sind und die den Risikofaktoren entgegenwirken.66 In diesem Verständnis ist Gesundheit also das Ergebnis des Wechselspiels zwischen gesunderhaltenden bzw. krankheitsbekämpfenden und krankmachenden Faktoren.
Subjektive Gesundheitskonzepte
Subjektive Konzepte von Gesundheit, also Gesundheitsvorstellungen, die auf individueller Ebene existieren und das gesundheitsbezogene Alltagshandeln der Individuen mehr oder weniger stark beeinflussen, umfassen nicht nur körperliche, sondern auch psychische und soziale Aspekte.67 In Bezug auf verschiedene empirische Studien68 lassen sich subjektive Gesundheitsvorstellungen allgemein so zusammenfassen, dass Gesundheit negativ über die Abwesenheit von Krankheit und positiv über das Gefühl der eigenen Leistungs- und Bewältigungsfähigkeit definiert wird. Zudem drücke Gesundheit sich in „… psychischen und emotionalen Erlebnisqualitäten aus.“69
Dabei ist für subjektive Gesundheitskonzepte weiterhin charakteristisch, dass sie dynamisch sind. Faltermaier / Kühnlein70 identifizieren in diesem Zusammenhang vier Modelle von Gesundheitsvorstellungen:
On - Off („Schalter“) - man ist gesund oder man ist es nicht. Zwischen- und Übergangsstadien werden nicht wahrgenommen.
Reduktion („Batterie“) - man verfügt über ein begrenztes Reservoir an Gesundheit, welches mit der Zeit abnimmt. Der Übergang zwischen den beiden Stadien gesund - krank ist fließend.
Regeneration („Akkumulator“) - Gesundheit ist ein regenerierbares Potenzial, das verbraucht wird, durch gesundheitsförderliches Verhalten aber wieder aufgeladen werden kann.
Expansion („Generator“) - Gesundheit kann nicht nur wiederhergestellt werden, sondern unter den entsprechenden günstigen Umständen auch über den Ursprungszustand hinaus expandieren.
2.2.2 Krankheit
Auch das Verständnis von Krankheit ist - historisch, anthropologisch und ethnologisch gesehen - kein statisches Konstrukt.71
Das heute im westlich-industriellen Kulturkreis vorherrschende Verständnis von Krankheit72 lässt sich mit folgenden Kriterien fassen:
Vorliegen eines Befundes, d.h., die objektive Feststellung physischer und/oder psychischer - und auch seelischer - Defekte.
Störung des Wohlbefindens auf körperlicher, seelischer und sozialer Ebene. Einschränkung der Leistungsfähigkeit.
Betreuung (professionell, d.h. medizinisch, sozial und gesellschaftlich) des Kranken ist nötig.
Zudem wird zwischen akuten und chronischen Krankheiten unterschieden. Als akut werden Krankheiten verstanden, die relativ schnell zum Ausbruch kommen und von kurzer Dauer sind (3 bis 14 Tage). Chronische Krankheiten hingegen entwickeln sich langsam und dauern lang (Krankheitsverlauf von mehr als vier Wochen); chronische Krankheiten können sehr wohl auch akute Komponenten haben.
Es gibt allerdings neben dieser heilkundlich orientierten Krankheitsdefinition auch eine juristische Sichtweise von Krankheit.73 Medizinischer und juristischer Krankheitsbegriff müssen differenziert werden, denn der juristische Krankheitsbegriff bezieht sich immer auf das Überschreiten bestimmter (normativer) Schwellen.
Neben der eigentlichen Definition von Krankheit werden deren konkrete Krankheitsbilder zu Gruppen zusammengefasst und so klassifiziert. Das weltweit anerkannteste dieser Klassifikationssysteme ist das der WHO, die International Classification of Diseases (ICD)74.75
2.2.3 Psychische Störungen
Die Begriffe psychische Störung und psychische Krankheit sind synonym, heute hat sich in Fachkreisen die Bezeichnung psychische Störung durchgesetzt.76 77
Heute wird bei psychischen Störungen vorherrschenden psychischen Einzelsymptomen oder Syndromen keine eindeutige Ursache zugeschrieben, sondern ein multifaktorielles Ursachengefüge angenommen.78 Exemplarisch ist etwa die Definition von Bastine79: „Psychische Störungen sind Beeinträchtigungen der normalen Funktionsfähigkeit des menschlichen Erlebens und Verhaltens, die sich in emotionalen, kognitiven, behavioralen, interpersonalen und/oder körperlichen Beeinträchtigungen äußern und die von der jeweiligen Person nicht oder nur begrenzt beeinflussbar sind.“ Zudem ist für eine psychische Störung konstitutiv, dass sie nicht bloß zeitlich begrenzt auftritt, beispielsweise als Reaktion auf ein bestimmtes einschneidendes Ereignis. Als Hauptkritikpunkt und -problem bei Begriffsklärung und Diagnose psychischer Störungen steht, dass es sich dabei stets um Abweichungen von einer Norm handelt und eben in der Definition und dem Vergleich mit dieser Norm liegt die Gefahr möglicher Stigmatisierung.80
Auch im Bereich der psychischen Störungen finden Diagnose- und Klassifikationsschemata Verwendung: Neben der ICD81 kommt insbesondere dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders in der vierten Fassung (DSM-IV)82 Bedeutung zu.
Ein wichtiger Aspekt im Themenfeld der psychischen Störungen ist, dass diese weit verbreitet und tendenziell zunehmend sind.83 So gehören sie mittlerweile zu den häufigsten Beratungsfällen in deutschen Arztpraxen.84
2.2.4 Behinderung
Gerade Definitionen von Behinderungen sehen sich leicht der Gefahr ausgesetzt, diskriminierend oder stigmatisierend zu sein; unabhängig davon unterscheidet sich die Herangehensweise an das Thema Behinderung stark zwischen den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen - so etwa fokussieren Medizin und Psychologie auf Behinderung als chronischen Verlauf einer Störung bzw. Krankheit; aus der soziologischen Perspektive ist Behinderung etwas, das gesellschaftlich bedingt ist (Zuschreibung von Behinderung und Exklusion Behinderter). Erst in den 1970er- Jahre setzte sich ein Verständnis durch, das Behinderung von Krankheit abgrenzt, die WHO klassifiziert Behinderung erst seit 1980.85
Laut International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) der WHO, die in 2001 überarbeitet wurde86 und seit 2004 in deutscher Fassung vorliegt, ist Behinderung folgendermaßen definiert:
„Behinderung ist gekennzeichnet als das Ergebnis oder die Folge einer komplexen Beziehung zwischen dem Gesundheitsproblem eines Menschen und seinen personenbezogenen Faktoren einerseits und der externen Faktoren, welche die Umstände repräsentieren, unter denen Individuen leben, andererseits.“87 Demnach umfasst Behinderung zwei Teile: 1) „Funktionsfähigkeit und Behinderung“ und 2) „Kontextfaktoren". Der erste Teil wird definiert über die Komponenten „Körperfunktionen und -Strukturen“ (Beurteilung der Behinderung anhand klinisch-medizinischer Faktoren) und „Aktivitäten und Partizipation“ (Bewertung der Behinderung hinsichtlich ihres Einflusses auf die Lebenssituation). Der zweite Teil umfasst eine gesellschaftlich- soziale Perspektive, die Behinderung im Kontext des Lebensumfeldes anhand der Komponenten „Umweltfaktoren“ und „Personenbezogene Faktoren“ operationalisieren soll.88
In Deutschland ist ca. jeder 10. Einwohner behindert, das entspricht ca. 8,6 Mio. Menschen. Davon gilt der größte Teil als schwerbehindert: 6,8 Mio., von denen drei Viertel älter als 55 Jahre sind.89
2.3 Definition von Gesundheit in der vorliegenden Arbeit
Gesundheit und Krankheit hängen unmittelbar zusammen - ohne den jeweils anderen Begriff gerät die Definition des jeweils anderen schwierig und wie in den vorherigen Abschnitten aufgezeigt beziehen die meisten Definitions- und Modellierungsansätze beide Aspekte mit ein. Gesundheit bzw. Krankheit wird demnach zumeist nicht als etwas Absolutes aufgefasst. Insbesondere im Rahmen dieser Arbeit spielt das Verhältnis von Gesundheit und Krankheit zueinander eine große Rolle. Dabei lässt sich das Verhältnis von Gesundheit und Krankheit zueinander anhand dreier möglicher Relationen darstellen:
Dichotomes Konzept - hierbei werden Gesundheit und Krankheit als zwei voneinander unabhängige Zustände gesehen. Das Individuum ist entweder krank oder es ist gesund, was sich jeweils mithilfe bestimmter (objektiver) Werte bzw. Schwellen ermitteln lässt. Dieses Konzept ist hilfreich bei gut definierten Krankheitsbildern, bei denen es wohl kalkulierte Normwerte gibt, die entweder erfüllt werden oder nicht bzw. über- oder unterschritten werden - je nach dem gilt das Individuum als krank oder gesund, beispielsweise bei Infektionskrankheiten. Höchst problematisch wird dieses Konzept jedoch beispielsweise bei psychischen Störungen (vgl. Abschnitt 2.2.3).90
Bipolares Konzept - hierbei sind Gesundheit und Krankheit zwei abhängige Zustände: Sie sind Pole eines Kontinuums und das Individuum bewegt sich zwischen diesen. Somit gibt es nicht ein entweder oder, sondern ein „mehr oder weniger beides“. Der Aussagegehalt des Modells bleibt unabhängig davon wie viele Faktoren zur Operationalisierung der polaren Zustände herangezogen werden.91
Orthogonale Konzepte - diese Konzepte sind eine Weiterentwicklung bipolarer Konzepte; indem sie Gesundheit und Krankheit nicht als zwei Pole auf einer Achse betrachten, sondern ein zweidimensionales Koordinatensystem aufspannen, dessen eine Achse krank machende Faktoren (viele - wenige) abbildet und dessen andere Achse gesund erhaltende Faktoren (viele - wenige) abbildet. Der Gesundheitszustand eines Individuums wird entsprechend über die jeweiligen Anteile gesund erhaltender- und krank machender Faktoren bestimmt. Über dieses Modell lässt sich auch gut das Verhältnis von Befund und Befinden abbilden: Beispielswiese kann das Befinden eines Individuums gut sein, der Befund allerdings das Vorliegen einer körperlichen Schädigung bzw. Dysfunktion aufzeigen, etwa die Existenz eines Tumors.92
Als Ergebnis der bisherigen Analyse lässt sich festhalten, dass aktuell ein Verständnis von Gesundheit vorherrscht, das nicht ausschließlich ein von Experten definierter Zustand ist, sondern dass ein ebenso zentraler Bestandteil von Gesundheit das subjektiv empfundene individuelle Wohlbefinden ist.93 „Das Ziel ist nicht mehr die perfekte Gesundheit als Utopie, sondern Gesundheit als eine positive Lebensressource. Ihre Machbarkeit ist näher an den Alltag gerückt. Dieser Gesundheitsbegriff verwischt den Gegensatz zwischen gesund- krank ...“94
In nachfolgender Tabelle sind die Bezugspunkte für ein Gesundheits-Krankheits- Kontinuum zusammengefasst. Dabei wird dieses von mehreren Indikatoren definiert, sodass eigentlich von mehreren abhängigen und aufeinander bezogenen Kontinuen zu sprechen ist.95
Beispielsweise kann ein Individuum auf der Ebene der Funktionstüchtigkeit der Organe gesund sein, jedoch trotzdem (aufgrund psychischer oder umweltbedingter Faktoren) sein Wohlbefinden beeinträchtigt sein. Oder es kann entsprechend aller Indikatoren der linken Tabellenhälfte sich gesund fühlen, aber dennoch können auf Ebene der Morphologie Abweichungen bestehen, beispielsweise durch die Diagnose eines Tumors, was dann die Notwendigkeit therapeutischer Maßnahmen bewirkt, um mittel- bis langfristig Auswirkungen auf die alltagsbezogene Lebensfähigkeit des Individuums zu vermeiden. Anders gesagt: Der nicht bekannte und noch nicht psychosomatisch beeinträchtigend wirkende Tumor stört das Individuum nicht - allerdings, wenn die Auswirkungen desselben beginnen zu wirken, dann erfährt das Beispielindividuum erhebliche Diskrepanzen. Aus der subjektiven Perspektive ist jenes Individuum also gesund (es fühlt sich gesund und erscheint aus der nicht-medizinischen Perspektive auch so), allerdings, wenn die Krankheitszeichen erkannt werden (aus der medizinischen Perspektive), dann ändert sich der Zustand des arglosen Wohlseins. Schlussendlich ist Gesundheit damit - wie bereits dargelegt - ein Wahrnehmungszustand, der nicht nur von objektiven Tatsachenbeständen abhängt, sondern maßgeblich auch vom Wissen um die tatsächlichen (a priori nicht unmittelbar wahrnehmbaren) Stati.
Tabelle 5: Bezugspunkte für Gesundheit und Krankheit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Becker (2006), S. 25.
Vor diesem Hintergrund bietet die nachfolgende Tabelle einen Überblick über die verschiedenen auf das Thema Gesundheit bezogenen Perspektiven und Einflussfaktoren. In der Spalte „Indikatorenbereich“ sind die verschiedenen Orientierungen in Bezug auf Gesundheit erfasst. In den darauffolgenden Spalten ist jeweils der Bezug auf das Thema Gesundheit aus der Perspektive Krankheit und aus der Perspektive Gesundheit vorgenommen, wobei jeweils in die Bereiche Körper und Psyche differenziert wird. In der Gesamtbetrachtung des Themenkomplexes Gesundheit zeigt sich damit erneut, dass Gesundheit von den beiden Polen gesund und krank definiert wird. Je nachdem aus welcher Perspektive Gesundheit fokussiert wird, werden eher die Krankheits- oder eher die Gesundheitszeichen relevant.
Tabelle 6: Gesundheits- und Krankheitszeichen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Becker (2006), S. 28.
Zusammenfassend lassen sich vier Bestimmungsmomente von Gesundheit herausstellen (vgl. Abbildung 2)96:
Gesundheit ist ein Zustand, in dem es einem Individuum gelungen ist, innere und äußere Anforderungen zu bewältigen; Gesundheit ist das Gleichgewicht von Risiko- und Schutzfaktoren auf physischer, psychischer und sozialer Ebene.
Gesundheit ist relativ, da sie nicht (nur) objektiv messbar ist, sondern entscheidend von der subjektiven Wahrnehmung des Individuums beeinflusst wird.
Gesundheit (und Krankheit) sind Reaktionen auf gesellschaftliche Gegebenheiten.
Gesundheit ist demnach ein Zustand, bei dem innere und äußere Anforderungen an ein Individuum von diesem in Einklang gebracht werden. Dabei umfassen die inneren Anforderungen sowohl die psychosomatische Disposition und Konstitution eines Individuums als auch dessen Persönlichkeitsstruktur. Die äußeren Anforderungen wirken in Form der Umwelt (im weitesten Sinne), Lebensbedingungen und gesellschaftlichen Anforderungen bzw. Friktionen auf das Individuum ein.
Abbildung 2: Einflussfaktoren zur Abgrenzung des Gesundheitsbegriffs
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Becker (2003), S. 14 Franzkowiak / Lehmann (2003), S. 114 Hurrelmann / Franzkowiak (2003), S. 37 Kaba-Schönstein (2003), S. 77.
Gesundheit wird im Bezugsrahmen der vorliegenden Arbeit daher wie folgt verstanden97: Gesundheit ist der Zustand des Gleichgewichts von Risiko- und Schutzfaktoren, der durch die Bewältigung innerer (physischer und psychischer) und äußerer (sozialer und materieller) Anforderungen entsteht und einem Individuum Wohlbefinden vermittelt.
3 Gesundheit und Tourismus
3.1 Tourismus
Für die Begriffsbestimmung zum Tourismus zeigen sich in der Literatur zwei Ansätze: angebotsorientiert und nachfrageorientiert.
Angebotsseitige Tourismusdefinitionen setzen seitens der Anbieter touristischer Leistungen an, um so die Branche Tourismus abzugrenzen. Vornehmlich wird dieser Ansatz gewählt, wenn es darum geht, den Tourismus als gesamtwirtschaftliches Phänomen, insbesondere aus der Perspektive der Wirtschaftspolitik, zu analysieren.98 Schwierigkeiten bereitet bei dieser Sichtweise die einfache Tatsache, dass nicht unbedingt so klar ist, welche Anbieter Leistungen für Touristen erbringen - bei einem Reiseveranstalter ist das klar, doch hinsichtlich der unterstützenden touristischen Infrastruktur in den Destinationen verwischen die Grenzen, beispielsweise werden Restaurants oder Taxis in New York sowohl von Touristen als auch von Nicht-Touristen genutzt.99
„Im Endeffekt ist der gemeinsame Nenner [zur Abgrenzung der Branche, Anm. d. Verf.] der Konsum durch Touristen, womit angebotsseitige Tourismusdefinitionen indirekt doch wieder bei der Nachfrageseite ansetzen.“100 Nachfrageseitige Tourismusdefinitionen definieren Tourismus als die direkten und indirekten Einflüsse und Wechselwirkungen, die sich durch den Aufenthalt von Personen an einem Ort ergeben, der nicht deren dauernder Wohn- und/oder Arbeitsort ist.101 Hinsichtlich dieser allgemeinen Definitionsmerkmale: 1) Ortswechsel und 2) nicht- dauerhaft herrscht weitgehend Einigkeit; im Detail variieren Definitionen, die etwa hinsichtlich Zweck des touristischen Aufenthalts (Differenzierung in Geschäfts- und Freizeitreisen), Inlands- Auslands-Tourismus (Inbound- / Outbound-Tourism) oder Dauer der Reise differenzieren (es sei auf die einschlägige Literatur verwiesen).102
Eine Differenzierung des Tourismus hinsichtlich des Reisemotivs und der Reiseart führt zur Unterscheidung in Tourismusarten und -formen (vgl. folgende Tabelle).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Berg (2008), S. 4.
Aus struktureller und organisationaler Perspektive betrachtet, lässt sich der Tourismus als System betrachten: Das System Tourismus ist eingebettet in die Teilsysteme 1) Destination, 2) Reisemittler, 3) Verkehr bzw. Leistungsträger und 4) Nachfrage. Die Teilsysteme des Tourismus sind eingebettet in Umweltbeziehungen (Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Technologie, Ökologie).103
An dieser Stelle werden kurz die Teilsysteme Destination und Leistungsträger dargestellt, da diese in der weiteren Argumentation sowie für die Modellbildung im Rahmen der gesundheitstouristischen Geschäftsmodellkonzeption relevant sind.
Die Destination ist der „Kristallisationspunkt der [touristischen] Nachfrage.“104 Das allen Tourismusdefinitionen inhärente Reisemotiv bedingt, dass der für den Tourismus konstitutive Ortswechsel sich auf ein bestimmtes Zielgebiet richtet - die Destination.105 Eine Destination ist ein „… geografischer Raum […], den der jeweilige Gast (oder ein Gästesegment) als Reiseziel auswählt. Sie enthält sämtliche für einen Aufenthalt notwendigen Einrichtungen für Beherbergung, Verpflegung, Unterhaltung, Beschäftigung. Sie ist damit die Wettbewerbseinheit im Incoming-Tourismus …“.106
In der Perspektive der Touristen sind Destinationen zumeist Angebotseinheiten, die eine Gesamtleistung anbieten. Daraus ergibt sich, dass die Strukturen und Prozesse, d.h., dass touristische Leistungsbündel der Destination geplant, gestaltet gesteuert und entwickelt werden müssen.107 Aus organisationaler und Managementperspektive hat eine Destination damit die Charakteristik einer virtuellen Unternehmung. Die Institutionalisierung der Destination als virtuelle Unternehmung erfolgt in Form einer Destinations-Management-Organisation (DMO). Die DMO übernimmt die Managementfunktionen für eine Destination.108
Touristische Leistungsträger sind diejenigen wirtschaftlichen Akteure, die die einzelnen Bestandteile der touristischen Leistung (vgl. Abschnitt 6.3.2) erbringen. Leistungsträger stellen die Transport-, Unterkunfts-, Verpflegungs- und sonstigen touristischen Leistungen zur Verfügung. Die Leistungsträger (insbesondere Reiseveranstalter und Anbieter im Bereich der Beherbergung) lassen sich dahingehend strukturieren, wie deren Leistungsprogramm positioniert bzw. konzipiert ist. In Abhängigkeit vom jeweiligen Programmumfang lassen sich je nach Grad der Spezialisierung Generalisten, Sortimenter oder Spezialisten abgrenzen.109 In der folgenden Tabelle sind die Merkmale dieser Anbietertypen dargestellt.
Tabelle 8: Abgrenzung touristischer Leistungsträgern anhand des Leistungsprogramms
Programmspezialisierung (Programmumfang)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Berg (2008), S. 46 Pompl (1997), S. 38.
In diesem Abschnitt kann eine weitergehende Beschäftigung mit der Theorie der Destination und der Theorie des touristischen Leistungsträgers nicht weiter erfolgen.110 In den folgenden Abschnitten wird - insbesondere im Rahmen der Geschäftsmodellkonzeption - noch gezielt auf die touristische Leistungserstellung eingegangen.
3.2 Trends im Tourismus
Gegenwärtige Entwicklungen im demografischen, sozialstrukturellen und soziokulturellen Bereich führen bereits jetzt dazu, dass das strategische Management im Tourismus vor nie da gewesenen Herausforderungen steht. Es kommt zu entscheidenden Veränderungen der Markt- und Wettbewerbsstruktur.111
Aus strategischer Sicht lassen sich folgende Faktoren festmachen, die maßgeblich sind für die aktuelle Markt- und Wettbewerbssituation im Tourismus und folglich Treiber sind (und sein werden) für erfolgreiche Markt- und Wettbewerbsstrategien - in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Speziellen und Europa sowie Nordamerika im Allgemeinen:
Marktstruktur: Die Reisemärkte wachsen mittel- bis langfristig nicht mehr; die Märkte sind gesättigt und in weiten Teilen handelt es sich um produkthomogene Märkte. Durch eine fortschreitende Individualisierung des Reiseverhaltens der Konsumenten wird eine adäquate Zielgruppenbildung und -ansprache zunehmend problematisch.
Sozialstruktureller Wandel der Gesellschaft: Einerseits bedeutet dies demografischer Wandel (Alterung der Gesellschaft) und d.h. auch Wandel des Verhältnisses von Arbeitszeit und Freizeit sowie frei verfügbarem Einkommen und andererseits spielen soziokulturelle Verschiebungen eine Rolle, die mit dem Schlagworten Wertewandel112 und Erlebnisgesellschaft113 umrissen werden sollen.
3.2.1 Markttrends im Tourismus
Es lassen sich einige Trends bzw. Entwicklungstendenzen identifizieren, die maßgeblich sind, die Wettbewerbssituation in der Tourismusbranche zu charakterisieren. Auf der einen Seite sind dies Einflussfaktoren, die unmittelbar von den Nachfragern und Anbietern bzw. den durch sie gebildeten Marktstrukturen ausgehen, auf der anderen Seite sind es externe Faktoren.
Im Folgenden sind die Wichtigsten kurz dargestellt.
Das geänderte bzw. sich ändernde Reiseverhalten der Nachfrager drückt sich darin aus, dass diese flexibler und kurzfristiger verreisen und buchen und dass zunehmend nicht nur Reiseinformationen über das Internet gesammelt werden, sondern dass auch mehr touristische Leistungen im Internet gebucht werden.114 Begründet durch die zunehmend größere Reiseerfahrung der Urlauber, steigen deren Ansprüche hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen. Die Urlauber sind nicht mehr so leicht zufrieden zu stellen. So werden nicht nur die Vergleichspositionen immer umfassender, sondern es wird auch immer schwieriger, neue und besondere Erfahrungen zu erleben.115 Die veränderten Ansprüche der Touristen werden im Verlauf des nächsten Abschnitts genauer erläutert; sie lassen sich aber kurz zusammenfassen mit den Themenbereichen demografischer Wandel, Erlebnisorientierung und Sinnsuche.
Der touristische Markt ist immer weniger ein Massenmarkt.116 Es kommt zu einer Polarisierung des Reisemarktes in die beiden Segmente „Low Budget“ und „Luxus“. Einerseits ist dies in soziodemografischen bzw. gesellschaftlichen Entwicklungen begründet - das immer größere Gefälle hinsichtlich der Einkommens- und Vermögenssituation der Menschen117 ; andererseits wird das Verhalten der Konsumenten mehr und mehr inkonsistent.118 Der hybride Konsument bucht seinen einwöchigen All-inclusive-Badeurlaub Last Minute und beim Pauschalanbieter und gleichzeitig ein Wellnesswochenende in einem Luxushotel.
In fast allen Bereichen der touristischen Wertschöpfungskette tobt ein harter Preiskampf - im Bereich der quasihomogenen Produkte, z.B. standardisierter Pauschalreisen sowieso, aber auch im Bereich eigentlich hochpreisiger Leistungsangebote kommt es zum Preisverfall, da immer mehr Anbieter auch in diesen Bereich drängen.119
Es kommt zu einer immer stärkeren Fragmentierung des Marktes bzw. der Marktsegmente.120 Die Leistungserwartungen der Nachfrager beziehen sich auf immer spezifischere individuelle Bedürfnisse und die Anbieter fokussieren ständig neue Marktnischen.
Exogene Faktoren, die das Marktumfeld im Tourismus zunehmend stark beeinflussen, sind die Bedrohung durch Terrorismus und Naturkatastrophen121 sowie die Verknappung von Rohstoffen, insbesondere von Trinkwasser und Rohöl. Gegenwärtig werden der rasante Anstieg des Rohölpreises und der damit einhergehende Anstieg des Kerosinpreises zu massiven Problemen für viele Fluggesellschaften - und damit nachgelagert dann auch für weitere Teile des Tourismus.122
3.2.2 Gesellschaftliche Trends und ihre Auswirkungen auf den Tourismus
In diesem Abschnitt wird kurz der sozialstrukturelle Wandel in seinen Auswirkungen auf und seiner Bedeutung für den Tourismus analysiert. Die Analyse erfolgt unmittelbar in Hinblick auf den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit, da sich gerade im Zusammenhang mit dem sozialstrukturellen Wandel wesentliche Implikationen für das Thema Gesundheit im Tourismus aufzeigen lassen.
Demografischer Wandel
Der demografische Wandel kommt dadurch zu Stande, dass es bei einem dauerhaften Geburtenrückgang und gleichzeitig steigender Lebenserwartung zu einer gravierenden Verschiebung der Altersstruktur der Bevölkerung kommt. Waren im Jahr 2001 noch ca. 24 % der deutschen Bevölkerung jünger als 20 Jahre, so wird sich dieser Anteil bis 2050 auf voraussichtlich 16 % verringern.123
Heute stellt die Altersgruppe der 20- bis unter 65-Jährigen 61 % der Gesamtbevölkerung dar. Bis 2030 wird dieser Anteil um etwa 15 % zurückgehen. Es ändert sich also das Verhältnis von Jüngeren (bis 20-Jährige) und Älteren (über 65-Jährige.124 Zusammenfassend lassen sich zwei wesentliche Konsequenzen aus dem demografischen Wandel ableiten: Zum einen sinkt die Bevölkerungsanzahl insgesamt und zum anderen steigt nicht nur das durchschnittliche Alter der Bevölkerung, sondern der Anteil der Älteren und Alten steigt sowohl relativ als auch absolut stark an.125
Bisher war es so, dass sich das Reiseverhalten in der Altersgruppe ab 50 Jahren stabil verhielt, im Vergleich zu den früheren Lebensphasen also nicht mehr angestiegen ist; allerdings ist fraglich, ob dieses Muster auch weiterhin Gültigkeit hat, da bisherige Studien auf Kohorten mit einem völlig anderen soziodemografischen Hintergrund fußen.126 Als relativ gesichert aber gilt, dass ab dem Jahr 2015 eine große Kohorte über 65-Jähriger reisen wird. Diese Touristen verfügen über eine sehr große Reiseerfahrung und entsprechend hohe Ansprüche an das Reiseangebot, zudem wird sich ihr Reiseverhalten deutlich von dem der heute in dieser Alterskohorte reisenden Senioren unterscheiden. Diese kommende Alterskohorte betagter Reisender wird hinsichtlich Erwartungen und Verhalten sehr differenziert sein.127 Weiterhin wird das Internet in dieser Reisegruppe eine viel größere Bedeutung haben als dies heute in vergleichbaren Altersgruppen der Fall ist. Bereits jetzt wurde in Teilen der Literatur der Begriff „Silver Surfer“ für ältere im Internet aktive Menschen eingeführt.128
Arbeitszeit und Freizeit und verfügbares Einkommen
Die Arbeits- und Erwerbsformen sind vielfältiger geworden129 - bedingt durch eine zunehmende Erosion des Systems der lebenslangen Vollerwerbsarbeit kommt es zu einer Fragmentierung der Zeitstrukturen von Arbeits- und Lebenswelt bzw. zu einer Entgrenzung von Arbeits- und Freizeit130.131 Aus dieser Entwicklung ergibt sich unmittelbar, dass die Freizeit132 heterogener wird. Gerade auch durch eine massive Veränderung der Arbeitsorganisation, i.e., das Aufkommen neuer Arbeitszeitmodelle133 führt dazu, dass nicht nur die individuelle Verfügungsgewalt über die Freizeit eingeschränkt wird, sondern auch, dass die Freizeitintervalle allgemein und im Besonderen (potenzielle) Urlaubszeitintervalle unübersichtlich über die Lebenszeit verteilt sind.
Die Spaltung der Lebenswelt in die zwei Bereiche gesellschaftliche Arbeit und privates Leben, d.h. Arbeit und Leben, ist mehr und mehr hinfällig geworden. Diese einstmals klar getrennten Bereiche verlieren ihre klare Trennung, die Konturen verwischen und damit liegt es am Individuum, das Verhältnis von Arbeit und Leben zu bestimmen bzw. eine Balance zwischen diesen beiden Bereichen herzustellen.134 Die tatsächlich individuell disponible Freizeit wird zu einem wertvollen Gut und ist nicht so umfangreich, wie oft angenommen wird.135
Wertewandel
Zur Beantwortung der Frage, wie und ob es zu einem Wandel von materialistischen hin zu postmaterialistischen Werten gekommen ist, konzeptualisiert Inglehart136 zwei Schlüsselhypothesen: (1) Eine Mangelhypothese, die sich auf die Wertvorstellungen eines Menschen bezieht. Es sind Wertprioritäten, welche die sozioökonomische Umwelt eines Individuums reflektieren - Individuen messen den Dingen den höchsten Wert bei, die knapp sind. (2) Eine Sozialisationshypothese, nach der die grundsätzlichen Wertvorstellungen eines Individuums in den Sozialisationsbedingungen begründet sind. D.h., die individuellen Wertvorstellungen reflektieren die Bedingungen, unter denen ein Mensch aufgewachsen ist.
Für jüngere Generationen in westlichen Gesellschaften ergibt sich aus dem Zusammenspiel dieser beiden Hypothesen, dass sie viel weniger einer ökonomischen Sichtweise, die physischen Dingen einen hohen Wert beimisst, zugeneigt sind als ältere Menschen. Begründet ist dies insbesondere in den Lebensbedingungen der westlichen Gesellschaften, die seit 1945 eine Ära nie da gewesenen Friedens, Wohlstands und Stabilität erfahren haben.
Der Bedeutungsverlust materieller Werte für jüngere Menschen impliziert einen Bedeutungszuwachs nichtmaterieller (postmaterialistischer) Werte, wie Gemeinschaftsgefühl und Lebensqualität. Prioritär wird damit die Betonung der Lebensqualität, die sich in einem individuellen Lebensstil und einem Bestreben nach Selbstverwirklichung und -entfaltung widerspiegelt.137
Eng mit dem postmaterialistischen Wertewandel zusammen hängt der Begriff der Individualisierung: „Individualisierung meint zum einen die Auflösung vorgegebener sozialer Lebensformen […] oder auch […] de[n] Zusammenbruch […] [von] Normalbiographien, Orientierungsrahmen und Leitbilder[n].“138 Individualisierung beschreibt also jenes Phänomen moderner Gesellschaften, das die Individuen ihre Position in der Gesellschaft individuell ausloten müssen. Dabei sind sie nicht völlig frei in ihren Handlungsoptionen: Nach wie vor gibt es gesellschaftliche Regulierungen, die einen Rahmen der individuellen Entfaltung vorgeben, jedoch waren die Individuen nie zuvor so frei in der Gestaltung ihrer Lebensentwürfe, wie dies gegenwärtig in westlichen Gesellschaften der Fall ist - wenigstens was die Anzahl der Optionen anbelangt.139
[...]
1 Vgl. Opaschowski (2004), S. 65.
2 Vgl. Opaschowski (2004), S. 108.
3 So zeigt sich in einer aktuellen Studie zum Gesundheitskonsumentenindex, welcher die Einschätzung der Qualität der landesspezifischen Gesundheitsversorgung durch die Patienten misst, dass die Länder Österreich (806 Indexpunkte von 1000 möglichen), Schweiz (770 Punkte) und Deutschland (767 Punkte) in der europäischen Spitzengruppe liegen (vgl. Health Consumer Powerhouse (2007)). Und dennoch wächst nicht nur das Interesse am Thema Gesundheit, sondern auch die Bereitschaft aufseiten der Patienten bzw. Konsumenten selbstständig in Hinblick auf die Gesundheit (Gesundheitsvorsorge) aktiv zu werden.
4 Vgl. Kartte / Neumann (2007), S. 4 und (2008), S. 4ff Herzlinger (2006), S. 61.
5 Sigrist (2006), S. 4.
6 Sigrist (2006), S. 9.
7 Wrigley (2008).
8 Megatrends sind langfristig; der durch sie geprägte Wandel hält mindestens ein halbes Jahrhundert an. Megatrends sind umfassend in ihren Auswirkungen auf gesellschaftliche Schichten, Märkte und Branchen, ebenso erfassen sie alle Bereiche des menschlichen Lebens; sie müssen empirisch fassbar sein, was die durch sie angestoßenen gesellschaftlichen und ökonomischen Wandlungsprozesse anbelangt. Vgl. Naisbitt / Aburdene (1990), S. 9f.
9 Vgl. Nefiodow (2007).
10 Vgl. Schanz (2000), S. 75.
11 Vgl. Raffée / Abel (1979), S. 1 Raffée (1974), S. 13ff.
12 Vgl. Ulrich / Hill (1979), S. 163.
13 Vgl. Ulrich / Hill (1979), S. 162ff Raffée (1974), S. 21ff.
14 Vgl. Abel (1979), S. 158.
15 Vgl. Abel (1979), S. 138ff.
16 Vgl. Ulrich (1995), S. 166.
17 Vgl. Schanz (2000), S. 82ff.
18 Vgl. Homfeldt / Ritter (2005), S. 10ff.
19 Vgl. Karch (2008) Young (2007), S. 65.
20 Kickbusch (2006), S. 43.
21 Vgl. Kickbusch (2006), S. 43f und S. 79.
22 Vgl. Lutz / Mark (1993), S. 11ff.
23 Vgl. Calkins / Sviokla (2007), S. 14f.
24 Vgl. zu einer kulturhistorischen Entwicklung des Gesundheitsbegriffs: Bergdolt (1999).
25 Vgl. Franke (2006), S. 27 Zitterbarth (1995) van Spijk (1993).
26 Vgl. z.B.: Hurrelmann (2006), S. 7.
27 Vgl. Myrtek (1998), S. 21f und S. 35ff.
28 Bauman (1999), S. 360.
29 Vgl. Bauman (2003), S. 144 Hillebrandt (1999), S. 39.
30 Vgl. zum Thema Work-Live-Balance z.B.: Klimpel / Schütte (2006), S. 20ff.
31 Kickbusch (2006), S. 11.
32 Vgl. Harris (2005), S. 32f. Gimlin (2000), S. 96f.
33 Vgl. Eisenstadt (2006), S. 149ff Eisenstadt (2000), S. 20ff.
34 Kickbusch (2006), S. 12.
35 Vgl. Breslow (2006), S. 17ff. Kickbusch (2006), S. 12 und S. 32f Bauch (1996), S. 21ff.
36 Vgl. Kickbusch (2006), S. 33.
37 Vgl. Kickbusch (2006), S. 38ff.
38 Vgl. Baumgarten / Joensson (2005), S. 68f.
39 Vgl. Mayring (2003), S. 1ff.
40 Vgl. Schwaiger (2007), S. 72ff.
41 Vgl. zum Begriff „Identität“ die Ausführungen in Anhang 3.
42 Vgl. Kickbusch (2006), S. 41ff. Garrett (2004), S. 105ff. Mills (2004), S. 236ff.
43 Vgl. Raghunathan / Corfman (2006), S. 391ff.
44 Vgl. Bury (2004b), S. 82ff Gwyn (2002), S. 142ff.
45 Vgl. Kickbusch (2006), S. 85.
46 Vgl. Pettus (2006).
47 Vgl. McGuire (2008), S. 24.
48 Vgl. Hurrelmann (2006), S. 16f. Kickbusch (2006), S. 32f.
49 Vgl. Gerlinger (2006), S. 34.
50 Vgl. z.B.: Knoll et al. (2005), S. 18f.
51 Vgl. Parsons (1967), S. 429ff.
52 Vgl. Franke (2006), S. 34ff.
53 Vgl. zum Themenkomplex „Wohlbefinden“: Schlicht / Brand (2007), S. 84-87 Schwarz / Strack (2003) Gadamer (1993), S. 143f Abele / Becker (1991).
54 Vgl. Franke (2006), S. 32f.
55 WHO (2008a), S. 2.
56 Vgl. Kaba-Schönstein (2003), S. 78ff.
57 Vgl. zur Kritik an der WHO-Definition z.B.: Hurrelmann (2006), S. 117f Franke (2006), S. 32f. Schorr (1995), S. 56ff.
58 WHO (2006).
59 Vgl. Wolf / Wendt (2006), S. 9f. Homfeldt / Steigleder (2003), S. 19ff.
60 Dem Begriffsfeld der Ausgewogenheit kann sich dabei über eine Außen- als auch eine Innenperspektive, die zueinander in Beziehung stehen, angenähert werden. Die Innenperspektive, also die individuelle Ebene umfasst den Dreiklang Körper, Geist und Seele (Spiritualität) und die Außenperspektive bezieht sich auf den Bezug des Individuums in dieökologische und soziale Umwelt sowie den Bezug auf die über die individuelle Perspektive hinausgehende spirituelle Ebene (vgl. Franke (2006), S. 38).
61 Vgl. Franke (2006), S. 37f.
62 Einer der bedeutendsten Vertreter der Heterostase ist Antonovsky (1987) mit seinem Salutogenese -Modell. Der Kern der Salutogenese ist, dass Individuen in ihrer Alltagswirklichkeit mit belastenden und krankmachenden Situationen und Faktoren konfrontiert werden, denen es zu widerstehen gilt bzw. diese zu bewältigen. Dazu bedarf es eines „Kohärenzgefühls“, welches sich darauf bezieht, die Lebensumwelt als positiv, zusammenhängend und sinnvoll zu erleben. Je stärker der Kohärenzsinn entwickelt ist, desto besser gelingt es dem Individuum einen Gesundheitszustand aufrechtzuerhalten. Die Entwicklung bzw. Ausprägung des Kohärenzgefühls hängt dabei von drei Faktoren ab: 1) Verstehbarkeit, 2) instrumentelles Vertrauen bzw. Machbarkeitsgefühl, 3) Bedeutsamkeitsgefühl. Insgesamt spielen sich die Wirkungsweisen des Salutogenese-Modells damit auf drei Ebenen ab: 1) sie können direkt Einfluss auf den Organismus nehmen, 2) sie können Reaktionen auf Stress positiv beeinflussen und 3) sie können gesundheitsrelevantes Verhalten positiv beeinflussen.
63 Vgl. Franke (2006), S. 39f.
64 Vgl. Hurrelmann (2006), S. 128ff.
65 Vgl. Franzkowiak (2003a), S. 195ff.
66 Vgl. Hurrelmann (2006), S. 134f. und S. 142 Kuh / Ben-Shlomo (1997).
67 Vgl. Franke (2006), S. 215ff. Williams (2004), S. 135ff. Faltermaier (2003), S. 61ff. Franzkowiak (2003b), S. 226ff.
68 Vgl. Faltermaier / Kühnlein (2000) Frank et al. (1998) Baxter (1990) Herzlich (1973).
69 Frank et al. (1998), S. 64.
70 Vgl. Faltermaier / Kühnlein (2000), S. 145ff. Faltermaier et al. (1998), S. 83ff.
71 Vgl. Bury (2004a), S. 125ff.
72 Vgl. z.B.: Hunt (2004), S. 147f. Franzkowiak (2003c), S. 138ff.
73 Der juristische Krankheitsbegriff differiert, je nach Rechtsgebiet: während Krankheit im Strafrecht Einfluss auf die Schuldfähigkeit nimmt, werden zivil- und sozialrechtlich i.d.R. (finanzielle) Ansprüche begründet.
74 Vgl. WHO (2007).
75 Die ICD beansprucht für sich deskriptive und weitgehend ätiologie- und kulturunabhängige Diagnosen zu stellen. Trotz, dass die ICD das meistgenutzte Klassifikationssystem ist, ist kritisch zu bemerken, dass kulturelle und gesellschaftliche Dimensionen der Krankheit ausgeblendet werden - was bei Knochenbrüchen unproblematisch ist, bei gewissen anderen Erkrankungen allerdings wesentliche Dimensionen der Krankheit (Krankheitsentstehung) ignoriert.
76 Vgl. zur historischen Entwicklung des Krankheitsbilds der psychischen Störung: Franke (2006), S. 57ff.
77 Die früher übliche Einteilung psychischer Störungen in neurotische und psychotische Störungen verliert zunehmend an Bedeutung.
78 Dies wird gestützt durch neuere biologische Untersuchungen, die deutlich machen, dass das Gehirn stärker als bislang angenommen auf äußere Faktoren reagiert. Zudem hat sich gezeigt, dass scheinbar psychogen bedingte Störungen etwa durch Psychopharmaka behandelt werden können und umgekehrt auch biologisch bedingte Störungen durch psychotherapeutische Methoden behandelt werden können.
79 Bastine (1998), S. 19. Für eine weitere Definition vgl. z.B.: Saß et al. (1996), S. 944.
80 Vgl. Franke (2006), S. 71ff. Vgl. zur Problematik der Messung psychischer Gesundheit: Plöhn (1995).
81 Vgl. die entsprechenden Erläuterungen in Abschnitt 2.2.2.
82 Vgl. American Psychiatric Association (2008).
83 Ein zunehmendes Phänomen ist das Burnout - eine psychosomatische Störung, die verursacht durch Stress, körperliche und seelische Erschöpfungszustände beschreibt, in Kombination mit nachlassender Leistungsfähigkeit im beruflichen Umfeld sowie einer zynischen Einstellung gegenüber der Wertigkeit der eigenen Arbeitsleistung. Vgl. Ahola et al. (2008).
84 Vgl. Fink / Haidinger (2007) Bovensiepen (2007) Holzapfel (2006) WHO (2003).
85 Vgl. Franke (2006), S. 75ff.
86 Vgl. WHO (2008b).
87 DIMDI (2005), S. 22.
88 Vgl. DIMDI (2005), S. 16ff.
89 Vgl. Statistisches Bundesamt (2005a).
90 Vgl. Franke (2006), S. 85ff. Franzkowiak (2003d), S. 24ff. Myrtek (1998), S. 20f. Lutz (1993), S. 78ff.
91 Vgl. Franke (2006), S. 87f. Becker (2006), S. 24f. Lutz (1993), S. 78ff.
92 Vgl. Franke (2006), S. 88ff. Lutz (1993), S. 80ff.
93 Vgl. Kickbusch (2006), S. 35.
94 Kickbusch (2006), S. 35.
95 Vgl. Borgetto / Kälble (2007), S. 80ff. Becker (2006), S. 24ff.
96 Vgl. Hurrelmann (2006), S. 138ff.
97 Vgl. auch Hurrelmann (2006), S. 146 Hurrelmann / Franzkowiak (2003) S. 54.
98 Vgl. Bieger (2006), S. 33.
99 Eine mögliche Kategorisierung der Anbieter ließe sich anhand des durch den Tourismus generierten Umsatzes erreichen. Vgl. Smith (1988), S. 183.
100 Bieger (2006), S. 34.
101 Vgl. Bieger (2006), S. 35ff. Wiesner (2006), S. 16.
102 Vgl. z.B.: Keul (2007), S. 87ff. Kaspar (1996).
103 Vgl. Bieger (2006), S. 67ff.
104 Kaspar (1996), S. 70.
105 Vgl. Bieger (2006), S.142 Mak (2004), S. 10.
106 Bieger (2005), S. 56.
107 Vgl. Renner (2008) Bieger et al. (1998), S.228.
108 Vgl. Bieger (2006), S. 155ff. Bieger (2005), S. 93ff. Schertler (1999), S. 129.
109 Vgl. Berg (2008), S. 43ff.
110 Vgl. für weiterführende und detaillierte Analysen die einschlägige Literatur, z.B.: Bieger (2004) Steinbach (2003) Bastian / Born (2004).
111 Vgl. z.B.: Page (2007), S. 429ff. Beech / Chadwick (2006), S. 509-526 Petermann et al. (2006), S. 9ff.
112 Vgl. z.B. Horx (2002) und (1994) Prahl (2002) und die Ausführungen in Abschnitt 3.2.2 dieser Arbeit.
113 Vgl. Schulze (1995) und die Ausführungen in Abschnitt 3.2.2 dieser Arbeit.
114 Vgl. F.U.R. (2008).
115 Vgl. Kilian / Boksberger (2007), S. 259 Steinecke (2001), S. 67ff.
116 Vgl. Smeral / Prilisauer (2004), S. 329f.
117 Bezogen auf die internationale Ebene entwickeln sich aktuell diesbezüglich gravierende Verschiebungen: es entsteht eine sehr kaufkräftige internationale touristische Nachfrage, die sich aus bestimmten Bevölkerungsschichten in Russland und Südostasien rekrutiert. Vgl. Nunes / Spelman (2008), S. 20ff.
118 Vgl. Jimenez-Martin / Ladrón-de-Guevara (2007), S. 243ff Kirstges (2005), S. 287ff.
119 Vgl. z.B. zur Bedeutung des Preises und der Zahlungsbereitschaft in der Hotellerie: Raich et al. (2006), S. 107-115.
120 Vgl. bereits Hu (1996), S. 35f.
121 Vgl. Petermann (2007), S. 14 Henderson (2007), S. 52ff Butler (2006), S. 14f.
122 Vgl. Blinda (2008) Schultz (2008).
123 Vgl. Petermann et al. (2006), S. 10.
124 Vgl. Statistisches Bundesamt (2007) Levy (2007), S. 287f.
125 Vgl. Höhn et al. (2008), S. 11ff. Petermann et al. (2006), S. 39ff.
126 Vgl. Lohmann (2007), S. 28ff.
127 Vgl. Zahl et al. (2007), S. 96ff. Walder / Boksberger (2007), S. 186ff. Schröder et al. (2007), S. 89ff. Lehr (2006), S. 35ff. Reidl (2006), S. 202 Metz (2006), S. 231ff.
128 Vgl. Hartmann / Markus (2007), S. 207ff.
129 Vgl. Statistisches Bundesamt (2005b).
130 Entgrenzung von Arbeits- und Freizeit meint, dass die Grenzen zwischen den einstmals klar getrennten Bereiche Arbeit und Freizeit (im Sinne von Nicht-Arbeitszeit) zunehmend verwischen. D.h. es kommt zu einer Diffusion der arbeitsweltlichen Sphäre in die lebensweltliche. Eine der sich daraus ergebenden Konsequenzen ist die „Selbstökonomisierung“ der Arbeitskraft: Dies bedeutet nicht nur die Vermarktung der eigenen Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt, sondern insbesondere auch eine Ausrichtung der Lebenswelt auf die Arbeitswelt, um die Leistungsfähigkeit der eigenen Arbeitskraft aufrecht zu erhalten und zu verbessern. Es kommt somit zu einer Lebensorganisation unter Effizienzgesichtspunkten. Vgl. Voß (1998), S. 478.
131 Vgl. Kratzer / Sauer (2003), S. 96ff. Voß (2001), S. 33 und (1998), S. 474ff.
132 Freizeit (i.w.S.) bezeichnet die Zeit eines Individuums, in der es nicht erwerbstätig ist. Freizeit (i.w.S.) hängt also eng zusammen mit Erwerbstätigkeit, während Freizeit (i.e.S.) Zeit der Muße umfasst. Freizeit (i.e.S.) beschreibt also das, was allgemein unter Freizeit verstanden wird. Vgl. z.B.: Prahl (2002) Hildebrandt (2004).
133 Vgl. zu den Themenbereichen neue arbeitsorganisatorische Modelle sowie Arbeitszeitmodelle z.B.: Raehlmann (2004), S. 89ff. Graf et al. (2000), S. 19ff. Ridder (1999), S. 93ff. Schreyögg (1998), S. 52ff.
134 Vgl. Gottschall / Voß (2003), S. 19.
135 Vgl. Tokarski (2003), S. 140.
136 Vgl. Inglehart (1990), S. 76f.
137 Vgl. Oesterdiekhoff. (2001), S. 46f. Klages (1993), S. 2ff. Strümpel / Pawlowsky (1993), S. 42f.
138 Beck / Beck-Gernsheim (1994), S. 11.
139 Vgl. Beck / Beck-Gernsheim (1994), S. 12.
- Arbeit zitieren
- Felix-Sebastian Scholzen (Autor:in), 2009, Gesundheitstourismus. Das Thema Gesundheit für erfolgreiche Geschäftsmodelle im Tourismus nutzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/191966
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