Die von der OECD ausgegebenen (nicht bindenden) globalen Verhaltensrichtlinien für multinationale Unternehmen (TNCs) werden vor dem Hintergrund normativer Anforderungen, die sich aus dem Phänomen der Globalisierung ergeben, erläutert und diskutiert. Im Hintergrund stehen u.a. der Menschenrechts- und Umweltschutz.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Begriff des multinationalen Unternehmens
3. Multinationale Unternehmen im Internationalen Recht
3.1. Anforderungen an das Internationale Recht
3.2. Umsetzungsmöglichkeiten der Anforderungen
4. Die OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen
5. Kritik an den OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen
6. Schluss
7. Literatur
1. Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit behandelt die OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen von 1976 im Kontext heutiger rechtlicher Problemstellungen, die die Aktivitäten dieser Unternehmen betreffen.
Ausgegangen wird dabei vom Prozess der ökonomischen Globalisierung, also von einer Welt, in der Wirtschaftsunternehmen in steigendem Ausmaß auf globaler Ebene handeln, über die territorialen Grenzen von Nationalstaaten hinweg. Damit entziehen sie sich dem rechtlichen Zugriff der einzelnen Staaten und begeben sich juristisch auf das Feld des Internationalen Rechts. Dabei gibt es Überlegungen, dass den multinationalen Unternehmen auf diesem Feld „aufgrund ihrer gestiegenen faktischen Bedeutung im Zeitalter der Globalisierung auch eine möglicherweise gesteigerte rechtliche Funktion zuzubilligen ist“ (Kimminich, Hobe, 2000: 152).
Die OECD-Richtlinien sind eine mögliche rechtliche Antwort auf die festgestellte gestiegene Bedeutung von multinationalen Unternehmen. Die Fragestellung, die sich daraus ergibt, lautet, inwieweit die OECD-Richtlinien den Anforderungen gerecht werden, die durch die sich erweiternde Rolle multinationaler Unternehmen an das internationale Rechtssystem gestellt werden.
In der vorliegenden Hausarbeit wird mit Hilfe dieser Fragestellung versucht, am Beispiel der OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen zu erkennen, welche Veränderungen im Internationalen Recht, das heißt, auch im Völkerrecht, möglicherweise nötig sind, um der Rolle dieser Unternehmen gerecht zu werden, die die Hauptakteure der privatwirtschaftlichen Globalisierung sind, aber im internationalen Rechtssystem bisher eine wenig profilierte Rolle einnehmen. Es soll gezeigt werden, dass es plausible Gründe gibt, das bestehende System des Internationalen Rechts in Frage zu stellen und Alternativen auszuarbeiten.
Nach einer Klärung des Begriffs des multinationalen Unternehmens, wobei auch deren Bedeutung ersichtlich werden soll (2.), wird zunächst die Rolle dieser Unternehmen im Internationalen Recht untersucht, wobei der Formulierung von rechtlichen Anforderungen aufgrund globaler Problemstellungen (3.1.) eine Untersuchung der möglichen und tatsächlich existenten Umsetzung, das heißt rechtlichen Normierung, dieser Anforderungen folgt (3.2.: bei diesem Punkt muss aufgrund der zeitlichen Begrenzung leider hingenommen werden, dass eine auf Vollständigkeit angelegte Analyse nicht zustande kommen kann; es wird versucht, die wichtigsten Strukturen und Tendenzen darzulegen). Nach dieser ausführlichen Vorleistung werden die OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen vorgestellt (4.) und im Kontext der formulierten Anforderungen an das Internationale Recht kritisch betrachtet (5.). Abschließend erfolgt eine Schlussbetrachtung der aufgestellten Fragestellung und des dargestellten Gegenstandes (6.).
Die verwendete Literatur ergibt sich außer allgemeiner Lexika und Einführungswerke zum Thema aus den Verweisen jener Werke und aus einer Computerrecherche im OPAC der FU Berlin. Die Ergebnisse blieben dabei leider weitgehend auf Monographien beschränkt, allerdings wurden auch Primärquellen wie Veröffentlichungen der OECD zugänglich.
2. Der Begriff des multinationalen Unternehmens
Es gibt keine einheitliche Definition des Begriffs des multinationalen Unternehmens, schon der Begriff selbst variiert sowohl im deutsch- wie im englischsprachigen Raum, obwohl im Grunde dasselbe gemeint ist. Im Englischen existieren z. B. die Begriffe transnational corporation (TNC) und multinational enterprise (MNE) nebeneinander, während im Deutschen verschiedenste Kombinationen zu finden sind, die sich jeweils aus den Attributen multi-, oder transnational sowie den Nomen Konzern oder Unternehmen zusammensetzen. In Anlehnung an den im englischen Titel der OECD-Richtlinien gebrauchten Begriff „Multinational Enterprises“ (OECD, 1997) wird in dieser Hausarbeit der Terminus „multinationale Unternehmen“ verwendet.
Die verschiedenen Definitionen des Begriffs stimmen gerade insoweit überein, dass Wirtschaftssubjekte gemeint sind, die in mindestens zwei Ländern gleichzeitig aktiv sind. Um zu einer weiter gefassten, den Anforderung der Politikwissenschaft eher entsprechenden Definition zu gelangen, kann die Bestimmung von Holtmann verwendet werden, zu finden unter dem Stichwort „Multinationale Konzerne“:
Wirtschaftlicher Verbund von Unternehmen unter der einheitlichen Leitung einer Obergesellschaft, deren Tätigkeiten sich über mehrere Länder erstrecken und die in diesen Ländern eine bedeutende Marktposition errungen haben. Die Unternehmenspolitik der M. wird weniger durch die nationalen Interessen der einzelnen Staaten (Arbeitsplätze) oder die unternehmerischen Interessen der dortigen Tochterunternehmen (Gewinne) bestimmt als vielmehr durch die unternehmerischen Interessen der Muttergesellschaft. (Holtmann, 2000: 394)
Wenn nun noch die Begriffsbestimmung von Kimminich / Hobe hinzugezogen wird, nach der unter transnationalen Unternehmen solche zu verstehen seien, „die über Produktionsstätten und Niederlassungen in mehreren Staaten verfügen, einen großen Teil ihrer Umsätze im Ausland tätigen und ihre strategische Unternehmensplanung weltweit ausrichten“ und die durch „internationale Kapitaltransaktionen“ entstünden (Kimminich, Hobe, 2000: 152), so entsteht ein differenzierteres Bild. Diesen Ausführungen folgend werden in der vorliegenden Hausarbeit unter multinationalen Unternehmen (MNU) finanzkräftige, große private Konzerne verstanden, deren innere Kohärenz verschieden ausgeprägt sein kann, die jedoch generell von einer zentralen Lenkungseinheit mit dem Ziel der Profitoptimierung global gesteuert werden, d. h. deren Operationsfeld potentiell die gesamte Welt, alle Staaten umfasst. Beispiele für solche MNU sind Automobilkonzerne wie General Motors, Mineralölkonzerne wie BP Amoco, aber auch Finanzinstitute wie die Allianz oder Softwareanbieter wie Microsoft.
Diese Unternehmen stehen in globaler Konkurrenz zueinander, die Zusammenschlüsse und Übernahmen untereinander sind ein Ausdruck dessen. Die MNU sind die „global players“ der globalisierten Weltwirtschaft und treiben den Prozess der Globalisierung weiter voran. Dies geschieht durch internationale Direktinvestitionen, also Kapitalanlagen über Staatsgrenzen hinweg, „die mit der Managementkontrolle über das investierte Kapital verbunden“ (Gabler, 1997: 538) sind, also dauerhaft angelegt und mit unmittelbarer Einflussnahme gekoppelt sind (im Gegensatz zu Portfolioinvestitionen). Solche Direktinvestitionen können durch den Kauf (die Übernahme) von anderen Unternehmen, die Beteiligung an anderen Unternehmen oder die Neugründung von Tochterunternehmen erfolgen. Unterscheidbar sind dabei absatzorientierte und kostenorientierte Direktinvestitionen. Absatzorientierte Direktinvestitionen zielen auf besseren Zugang zu ausländischen Märkten ab, während die MNU durch kostenorientierte Direktinvestitionen versuchen, von im Ausland bestehenden günstigeren Produktionsverhältnissen zu profitieren. Die Kostensenkung entsteht hauptsächlich durch niedrigere Lohnkosten, günstigere steuerliche Bedingungen und/oder niedrigere Umweltstandards im Gastland.
Multinationale Unternehmen sind also Wirtschaftssubjekte, die im Laufe des von ihnen forcierten Prozesses der Globalisierung in immer mehr Märkten verschiedener Volkswirtschaften gleichzeitig tätig werden, und zwar aufgrund ihrer großen finanziellen Möglichkeiten in beachtlichem Ausmaß. Dabei werden die Bindungen zu einzelnen Märkten relativ zu ihrem gesamten Engagement geringer, während ihre Rolle im globalen Wirtschaftssystem zunimmt.
3. Multinationale Unternehmen im Internationalen Recht
3.1. Anforderungen an das Internationale Recht
Durch die im vorherigen Abschnitt im Ansatz geschilderte Rolle der MNU in der heutigen Wirtschaftswelt ergeben sich Probleme, aus denen sich Anforderungen in Form von Regulierungsbedürfnissen an das internationale Recht formulieren lassen. In Bezug auf die weltwirtschaftliche Entwicklung stellt Andersen generell eine „Steuerungslücke im Weltwirtschaftssystem“ (1995: 475) fest und fordert, „den Ordnungsrahmen einer sozialen, ökologisch verträglichen Marktwirtschaft auch auf der internationalen Ebene zu verankern“ (475).
Es werden tatsächlich erhebliche Probleme ersichtlich, wenn zwei Prinzipien als erstrebenswert erachtet werden: Die globale Verbreitung umfassender Individualrechte und das Prinzip des nachhaltigen Wirtschaftens, also die Gewährleistung eines Wirtschaftens, das anstrebt, für nachfolgende Generationen eine möglichst intakte Umwelt und eine befriedete Welt zu hinterlassen.
Diese Prinzipien sind nicht die Ziele einer marktwirtschaftlich orientierten Weltwirtschaft, ihr Ziel ist die Profitmaximierung. Deshalb bedarf es einer politischen Kontrolle und Korrektur eines ansonsten frei entfalteten Kapitalismus, um Nachhaltigkeit und die Einhaltung von Menschenrechten zu erreichen. Eine rein profitorientierte Marktwirtschaft hat unter Umständen mehr Nutzen als Schaden von Umweltzerstörung (z. B. durch Tropenholzgewinnung, Ölförderung), Missachtung von Individualrechten (z. B. durch Kinderarbeit, Sieben-Tage-Woche) und im Einzelfall sogar von Kriegszuständen (z. B. durch Waffengeschäfte, Handel mit extrem verknappten Gütern); für das Überleben und den Fortschritt der Menschheit verhält es sich allerdings genau umgekehrt.
Da aber MNU marktwirtschaftlich orientierte Akteure der Weltwirtschaft sind, muss solch eine Kontrolle auch - oder besser: aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht gerade - auf sie angewendet werden. Zu Zeiten in sich relativ geschlossener Volkswirtschaften übernahm diese regulierende Rolle der Nationalstaat, indem er die auf seinem Gebiet tätigen Wirtschaftsakteure seinem Recht unterwarf und heute noch unterwirft[1].
Das Recht eines einzelnen Staates hat aber bezüglich der MNU keine volle Wirkungskraft, da MNU eben global und nicht nur national tätig sind. Hailbronner schreibt, MNU könnten „sich leichter als gewöhnliche Unternehmen nationaler Kontrolle entziehen“ (1997: 198). Erschwerend wirkt die mit der ökonomischen Globalisierung zusammenhängende Tatsache, dass Einzelstaaten tendenziell immer mehr an Gewicht in der Welt verlieren, während MNU nach allgemeiner Meinung durch die Ökonomisierung der Welt Macht hinzugewinnen.
MNU haben die Möglichkeit, einzelstaatliches Recht zu unterlaufen: „Für die meisten wirtschaftspolitischen Instrumente ließe sich nachweisen, wie eine transnationale Unternehmensstruktur spezifische Möglichkeiten eröffnet, ihre Wirkungen zu neutralisieren“ (Bryde, 1981: 7). Bei Beziehungen zu kleinen, ökonomisch und politisch schwachen Staaten wie Entwicklungsländern haben MNU zusätzlich die Möglichkeit, ihre überlegene Machtposition auszunutzen, basierend etwa auf Abhängigkeiten bezüglich Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen oder sogar auf Korruptionsgeldern an Führungseliten, sodass das nationale Recht nicht angewendet oder entsprechend abgewandelt wird. Seidl-Hohenveldern notiert, „the enterprise may use part of its wealth to gain influence on the decision-makers in such a [weak] State” (1992: 14).
Im Globalisierungsprozess liegt aber nicht nur die Institution Staat als Regulator hinter der Entwicklung der MNU zurück, was Thürer anschaulich beschreibt als „gulf between two ’worlds’ or two types of systems: the highly fragmented political world of states [...] and the partially unified, integrated world of global economics“ (1999: 48), sondern auch die Gegenkraft der Arbeitnehmerorganisationen kann nationalstaatliche und kulturelle Grenzen nicht so leicht überwinden. Dieser Umstand lässt eine rechtliche Stärkung der Arbeitnehmerrechte und generell die Regulierung der Macht von MNU umso dringlicher erscheinen.
Natürlich sind nicht alle MNU prinzipiell ausbeuterisch eingestellt, doch bedeutet allein das Problem der Begrenzung des nationalen Rechts angesichts der globalen Reichweite der MNU den Bedarf einer übergreifenden, globalen Rechtsordnung. Die Grenzen des nationalstaatlichen Rechts sind für die Belange der MNU zu eng. Die Regulierung der Tätigkeiten der MNU fällt damit dem Internationalen Recht zu.
Die Problematik der Aktivitäten der MNU wird im Konkreten deutlich bei den kostenorientierten Direktinvestitionen, da hierbei zur Verringerung der Produktionskosten für gewöhnlich auf dem Feld der Arbeitskosten oder der Umweltstandards eingespart wird, indem Entwicklungsländer zum Produktionsstandort gemacht werden (während fast alle MNU aus Industrieländern stammen). Die Unternehmen nutzen bei der Rohstoffgewinnung oder Güterproduktion die kostenrechnerisch günstigeren Bedingungen in diesen Ländern aus.
Auf dem Feld der Arbeitskosten gilt in einigen Fällen mildernd, dass die Löhne, die von ausländischen MNU gezahlt werden, immer noch höher sind als das Durchschnittseinkommen im entsprechenden Land, doch bei der Ausbeutung von Rohstoffvorkommen und bezüglich Umweltbelastung verursachen die Aktivitäten von MNU unbestreitbar globale Langzeitprobleme, oft sogar mit expliziter Zustimmung der örtlichen Staatsstellen, da auch für sie (als Institutionen oder auch Privatpersonen) Gewinn abfällt.[2]
Ein weiteres gravierendes Problem der Direktinvestitionen in Entwicklungsländern ist das allein durch den Investitionsumfang gegebene machtvolle Auftreten der MNU im Gastland, wodurch sich betroffene Entwicklungsländer in ihrer staatlichen Souveränität beeinträchtigt sehen und tatsächlich von einem oder mehreren ausländischen MNU wirtschaftlich abhängig werden können[3]. „[A]ngesichts ihres wirtschaftlichen und politischen Gewichts“ würden sich gegenüber MNU „staatliche Regelungen und Politiken häufig schlecht durchsetzen; mitunter dirigieren multinationale Unternehmen die Innenpolitik ihres Gastlandes“ (Vitzthum, 1997: 504), bringt Vitzthum dieses Problem auf den Punkt.
Das Internationale Recht muss also die Arbeit der MNU auf globaler Ebene kontrollieren und regulieren, um die Rechtslücke zu füllen, die das nationalstaatliche Recht hinterlässt, denn „the fears are not unfounded which consider that the global economy, following its own inner imperatives, tends to evade the rules concerning social justice and environmental protection which have usually been created as a result of hard political struggles within the framework of traditional nation states” (Thürer, 1999: 49/50). Grundlegende Arbeitsrechte und Umweltstandards sollten garantiert werden, des weiteren die Bildung von globalen Monopolen verhindert werden. Außerdem sollten sich MNU der Einmischung in politische Angelegenheiten speziell schwächerer „Gaststaaten“ enthalten.
[...]
[1] Die gegenwärtige Kritik an nationalstaatlicher Marktregulierung hängt eng mit dem Globalisierungsprozess und der wachsenden Macht von MNU zusammen, weshalb die Schaffung supranationaler, möglichst einheitlicher Regulationsinstrumente umso wichtiger erscheint.
[2] Dies wiederum lässt einmal mehr die Notwendigkeit globaler Regelungen sichtbar werden, wobei hier bereits die Frage auftaucht, wie wirklich durchgreifende Regelungen mit der staatlichen Souveränität zu vereinbaren sind.
[3] Bornschier und Chase-Dunn (1985) argumentieren sogar, dass die Aktivität von MNU in Entwicklungsländern langfristig das Wachstum verlangsame.
- Citation du texte
- Frank Stadelmaier (Auteur), 2001, Die OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen im Kontext rechtlicher Anforderungen durch die globalisierte Weltwirtschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19161
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