Bilder der Gewalt existieren seit Menschengedenken und führen uns immer wieder eindrücklich vor Augen, wozu Menschen tatsächlich fähig sind. Denn Bilder können auf eine Art und Weise schockieren und in Erinnerung bleiben, der Worte niemals fähig wären. Fotografien scheinen dabei eine besondere Macht auf uns auszuüben, da sie als Zeugnisse von Realität gelten. Um diese Macht verstehen zu können, wird das Bild in dieser Arbeit zunächst in den Zusammenhang von Wahrnehmung und Realität gestellt. Dabei soll geklärt werden, welche Wirkung Bilder im Allgemeinen auf uns haben und warum.
Im Folgenden werden dann Fotografien von Gewaltverbrechen untersucht, die aus der Täterperspektive – also entweder von den Tätern selbst, von Mitschuldigen oder Befürwortern der Tat – aufgenommen wurden. Schließlich steckt dahinter immer eine gewisse Absicht des Fotografen und die Bilder sollen eine bestimmte Funktion erfüllen.
Dass sich diese Funktion im Laufe der Geschichte verändert hat und stets vom jeweiligen Kontext der Bilder abhängig ist, soll an vier verschiedenen Beispielen deutlich gemacht werden: an Knipser-Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg, Bildern von Lynchmorden an Afro-Amerikanern in den USA, Aufnahmen des Terroranschlags vom 11. September 2001 sowie an den Folterfotos von Abu Ghraib.
Die letzten beiden Beispiele sowie der aktuelle Bilderkrieg an sich werden weiterhin im Zusammenhang mit William J.T. Mitchells „biopictorial turn“ untersucht, der die technischen Möglichkeiten des Bildes in Verbindung mit dem doppelten Phänomen von Klonen und Terror sieht.
Zu guter Letzt setzt sich diese Arbeit mit der umstrittenen und äußerst brisanten Frage nach dem richtigen Umgang mit Gewaltbildern auseinander. Ob sie nun als Waffen fungieren und man durch ihre Betrachtung automatisch zum Komplizen der Täter wird, oder ob diese Bilder als Beweise des Unrechts gezeigt werden müssen, damit die Verbrechen nicht vertuscht werden können, bleibt zu klären.
In jedem Fall sollte man sich mit dem Phänomen von Bildern der Gewalt beschäftigen, da es leider auch heute noch nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat und Fotografien von grausamen Verbrechen weiter verbreitet und leichter zugänglich sind als je zuvor.
Gliederung
1. Einleitung
2. Die Macht der Bilder: Bild, Wahrnehmung und Realität
3. Fotos als Trophäen und Amulette
3.1. Knipser im Zweiten Weltkrieg
3.2. Lynchfotografie in Amerika
4. Der Krieg der Bilder: 9/11 und Abu Ghraib
4.1. Die neue Bildaktpolitik im asymmetrischen Krieg
4.2. Der „Biopictorial Turn“: Klonen und Terror
5. Der Umgang mit den Fotos: Waffen oder Beweise?
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Bilder der Gewalt existieren seit Menschengedenken und führen uns immer wieder eindrücklich vor Augen, wozu Menschen tatsächlich fähig sind. Denn Bilder können auf eine Art und Weise schockieren und in Erinnerung bleiben, der Worte niemals fähig wären. Fotografien scheinen dabei eine besondere Macht auf uns auszuüben, da sie als Zeugnisse von Realität gelten. Um diese Macht verstehen zu können, wird das Bild in dieser Arbeit zunächst in den Zusammenhang von Wahrnehmung und Realität gestellt. Dabei soll geklärt werden, welche Wirkung Bilder im Allgemeinen auf uns haben und warum.
Im Folgenden werden dann Fotografien von Gewaltverbrechen untersucht, die aus der Täterperspektive – also entweder von den Tätern selbst, von Mitschuldigen oder Befürwortern der Tat – aufgenommen wurden. Schließlich steckt dahinter immer eine gewisse Absicht des Fotografen und die Bilder sollen eine bestimmte Funktion erfüllen.
Dass sich diese Funktion im Laufe der Geschichte verändert hat und stets vom jeweiligen Kontext der Bilder abhängig ist, soll an vier verschiedenen Beispielen deutlich gemacht werden. Da „Krieg und Fotografie […] heutzutage untrennbar miteinander verknüpft“[1] scheinen und der „Krieg […] immer die größte Bildmaschine gewesen“[2] ist, sind drei dieser Beispiele im Kontext des Krieges zu finden.
Zunächst sollen dabei Knipser-Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg betrachtet werden, die von den Soldaten heimlich angefertigt und in ihren Brieftaschen direkt am Körper getragen wurden. Es wird deutlich, dass diese eine große Bedeutung für die Soldaten gehabt haben müssen.
Als nächstes werden dann die Bilder von Lynchmorden in Amerika untersucht, die trotz der vielen Unterschiede in ihrer Funktion erstaunliche Parallelen zu den Fotos der Knipser aufweisen. So fungieren die Bilder in beiden Fällen als Trophäen und Amulette. Dieses Beispiel soll außerdem veranschaulichen, dass grausame Hinrichtungen nicht nur im Zusammenhang des Krieges zu finden sind.
Schließlich werden zwei Beispiele aus dem aktuellen Bilderkrieg angeführt, der sich durch seine asymmetrische Struktur stark vom Zweiten Weltkrieg unterscheidet. Dass Bilder hier – trotz einiger Parallelen zu den anderen Fällen – nun hauptsächlich eine ganz andere Funktion innehaben, liegt nicht zuletzt an den neuen technischen Möglichkeiten, die Digitalisierung und Internet für das Bild bereitstellen. Bilder werden dabei in erster Linie als Waffen gebraucht und realisieren die Ereignisse erst durch ihre Verbreitung.
Hier sollen zunächst die Bilder des Anschlags vom 11. September 2001 behandelt werden. Obwohl diese nicht von den Tätern selbst, sondern von den westlichen Massenmedien verbreitet wurden, so wurden sie doch von den Terroristen inszeniert und sind daher aus der Täterperspektive entstanden. Dieses Beispiel ist das Einzige, bei dem keine Menschen selbst auf den Bildern im Vordergrund stehen, sondern im Prinzip nur die Flugzeuge und das World Trade Center zu sehen sind. Doch auch allein dies ist ein Akt der Gewalt – gegen eine Ikone des kapitalistischen Westens. Natürlich darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass hier unzählige Menschen auf furchtbare Weise ihr Leben lassen mussten.
Das letzte Beispiel, das ebenfalls diesem Bilderkrieg zuzuordnen ist, stammt diesmal nicht von den Terroristen selbst, sondern von der gegnerischen Seite: den Amerikanern. Bei den Folterfotos von Abu Ghraib ist zu vermuten, dass die Taten eigens für die Kamera begangen wurden und somit von Anfang an zur Verbreitung bestimmt waren.
Beide Beispiele sowie der aktuelle Bilderkrieg an sich werden weiterhin im Zusammenhang mit William J.T. Mitchells „ biopictorial turn “[3] untersucht, der die technischen Möglichkeiten des Bildes in Verbindung mit dem doppelten Phänomen von Klonen und Terror sieht.
Zu guter Letzt setzt sich diese Arbeit mit der umstrittenen und äußerst brisanten Frage nach dem richtigen Umgang mit Gewaltbildern auseinander. Ob sie nun als Waffen fungieren und man durch ihre Betrachtung automatisch zum Komplizen der Täter wird, oder ob diese Bilder als Beweise des Unrechts gezeigt werden müssen, damit die Verbrechen nicht vertuscht werden können, bleibt zu klären.
In jedem Fall sollte man sich mit dem Phänomen von Bildern der Gewalt beschäftigen, da es leider auch heute noch nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat und Fotografien von grausamen Verbrechen weiter verbreitet und leichter zugänglich sind als je zuvor.
2. Die Macht der Bilder: Bild, Wahrnehmung und Realität
Dass Bilder eine besondere Macht auf uns ausüben, scheint spätestens seit Mitchells „pictorial turn“ unbestritten.[4] Doch um ihre außergewöhnliche Wirkung verstehen zu können, muss bereits bei einer Analyse der menschlichen Wahrnehmung angesetzt werden. So sind „physische und psychische Komponenten an der Wahrnehmung gleichermaßen beteiligt“[5], weshalb „soziale Phänomene, auch Körperlichkeit und Leiblichkeit [sowie] allgemein kommunikatives Handeln“[6] in eine Theorie der Wahrnehmung mit einbezogen werden müssen. Horst Bredekamp spricht von einem „Wechselverhältnis von Blickformen, Erwartungen, Projektionen und dem, was das Bild zurückgegeben hat“[7], in welchem sich „Handlungsanweisungen“[8] aufbauten. Bild und Mensch treten somit quasi in einen Dialog und werden von Menschen oft wie „Pseudopersonen“[9] behandelt. Denn das Bild
ist nicht bloß ein transparentes Medium zur Mitteilung einer Botschaft, sondern so etwas wie ein beseeltes, lebendiges Ding, ein Objekt mit Gefühlen, Absichten, Wünschen und eigenem Handeln. […] Solche Bilder scheinen unseren Blick zu erwidern, scheinen zu uns zu sprechen und sogar fähig zu sein, zu leiden oder auf magische Weise leiden zu machen[10].
Aufgrund dessen komme es bei anstößigen Bildern auch oft zum Akt des Ikonoklasmus.[11]
Dagegen rät Hans Belting, die intermedialen Bilder nicht mit ihren Trägermedien zu verwechseln[12]: „Die Medien selber sind ein Archiv von toten Bildern, die wir erst in unserem Blick animieren.“[13] Erst durch unseren Blick erhalten Bilder also ihre Symbolkraft beziehungsweise eine Art Eigenleben. Bei der Kommunikation zwischen Mensch und Bild spielen daher nicht nur individuelle und konnotative Voreinstellungen – bewusst oder unbewusst – eine Rolle, sondern auch tradierte Sehweisen einer Kultur. Eine „Geschichte des Sehens“[14] muss somit noch rekonstruiert werden; denn:
Wie alle Sinne ist auch das Sehen kulturell disponiert – ein Produkt kultureller Sinnstiftungen […], an dem Wissen, Willen und Phantasie gleichermaßen beteiligt sind.[15]
Besonders wichtig bei der Wahrnehmung von Bildern ist auch die mentale Repräsentation. Dass Bilder, im Gegensatz zu Texten, eine solch starke Macht auf uns ausüben, scheint deshalb unter anderem auch dadurch belegt, dass wir „[i]n unserer Gedächtnisgalerie [...] überwiegend visuelle Eindrücke auf[bewahren]“[16]. Bilder scheinen von unserem Gehirn aber nicht nur nachhaltiger gespeichert, sondern auch besser verarbeitet zu werden. So können Bilder sehr komplexe Sachverhalte auf einer Zwischenebene für uns vereinfachen. Andererseits kann aber auch das einfachste Bild sehr komplex sein.[17] Somit findet zwischen Text und Bild ebenfalls eine Interaktion statt: „Die Sprache stützt die Bild- und Bilder stützen die Spracherkenntnis.“[18] Die gegenwärtige Bilderflut erfordere laut Bredekamp deshalb weniger eine Reduzierung der Bilder, als vielmehr eine Arbeit an der Sprache.[19]
Mit dem Verhältnis von Text beziehungsweise Sprache und Bild beschäftigt sich auch Mitchells „pictorial turn“, der beide als konstitutiv für das menschliche Subjekt betrachtet.[20] Die Theorie entdeckt das Bild als „komplexes Wechselspiel von Visualität, Apparat, Institutionen, Diskurs, Körpern und Figurativität“[21] wieder.
Diese Elemente sind es auch, die laut Judith Butler unsere Wahrnehmung bestimmen und strukturieren. Die durch Institutionen, zum Beispiel den Staat, festgelegten Normen „operieren auf vielfältige Weise, unter anderem durch Rahmungen, die das Wahrnehmbare festlegen“[22]. Es gibt daher ein bereits festgelegtes „Feld wahrnehmbarer Realität“[23], dem wir uns nicht entziehen können und das beispielsweise über „Vermenschlichung und Entmenschlichung“[24] entscheidet. Der Staat inszeniert also das, was wir als Realität erachten.[25]
Auch Bilder sind in einen aktiven Rahmen eingebettet, der „ausgrenzend und darstellend zugleich“[26] ist. Insofern spricht Butler hier auch von einem „Feld des Darstellbaren statt der Darstellung “[27] . Deutungen von Bildern sind deshalb auch nur innerhalb bestimmter Rahmungen möglich; zudem interpretieren Bilder selbst aktiv.[28] Die Rahmungen selbst bleiben dabei meist unsichtbar, werden sie aber doch gesehen und gedeutet, so
entlarvt und thematisiert [das Bild] die Mechanismen der Einschränkung [bei der Deutung der Realität] und konstituiert einen Akt ungehorsamen Sehens[29].
Um funktionieren zu können, muss die Macht also unsichtbar bleiben.[30]
Durch ihre „transitive Affektivität“[31] kommt Fotos indessen eine besondere Rolle zu. „Sie porträtieren nicht nur und stellen nicht nur dar, sondern leiten Affekte weiter.“[32]
Nicht nur die durch die Institutionen festgelegten Normen beeinflussen aber das Feld wahrnehmbarer Realität, sondern auch der Diskurs. So können Normen beispielsweise durch die „Kommunikation [von] Fotos umgelenkt und außer Kraft gesetzt“[33] werden. Die fotografierte Szene kann somit durch den Diskurs erweitert werden und „die gesamte soziale Sphäre, innerhalb derer das Foto gezeigt, gesehen, zensiert, veröffentlicht, diskutiert und debattiert wird“[34] umfassen. Dadurch fungieren diese Fotos zwar einerseits noch als Verweis auf die ursprüngliche Szene, verändern ihre Bedeutung aber je nach Kontext[35] und können daher in
radikal unterschiedliche Richtungen instrumentalisiert werden […], abhängig von [ihren] diskursiven und medialen Rahmen mit den jeweiligen Realitätseffekten[36].
Es wird also deutlich, dass keine von der Wahrnehmung unabhängige Realität existiert, sondern diese in der Interaktion von Subjekt und Umwelt gründet.
Peter Fonagy und Mary Target gehen gar von einem Hervorgehen der äußeren Realität aus der Intersubjektivität aus. Die innere Realität besteht aus Vorstellungen, Wünschen, Gedanken, etc., während die äußere Realität nicht einfach das physikalisch Gegebene meint, sondern vielmehr andere Subjekte. Denn an der äußeren Welt interessieren uns in der Kindheit zunächst andere Ansichten und Gedanken („minds“[37] ), die wir als Lehrer benutzen und durch die sich unsere Wahrnehmung formt. Somit ist nicht nur die innere, sondern auch die äußere Realität subjektiv. Sie bilden zusammen eine Matrix, die wir als die Wirklichkeit ansehen.[38]
Die Realität konstituiert sich also erst in der Intersubjektivität, im Akt der Wahrnehmung selbst, die wiederum durch individuelle und kulturelle Praktiken bestimmt und durch institutionelle Rahmungen und Normen einer Gesellschaft gelenkt wird.
Bilder, insbesondere Fotos, werden generell als „wahr“ angesehen, worin ein weiterer Aspekt ihrer besonderen Macht über uns liegt. Denn trotz ihres „illustrativen Wesens“[39], vermitteln sie „in höherem Maße als andere Zeugnisse den Eindruck […], an dem dargestellten Geschehen nachträglich teilnehmen zu können“[40]. Dafür sorgt vor allem die Vorstellung, die „Zeitlichkeit des Dargestellten“[41] überwinden zu können. Dieser „aktivierende Effekt“[42] kommt dabei dem Bedürfnis entgegen, „einer Person zu begegnen oder eine Handlung mitzuerleben“[43]. Man kann hier sogar von einer „Gleichung auf der zeitlichen Ebene“[44] sprechen, da dass Foto beziehungsweise die Kamera das dargestellte Ereignis fortsetzt, verlängert und unablässig wiederholt.[45] Folglich ist Fotografieren „ein Akt, der nicht immer dem Ereignis vorangeht und ihm nicht immer folgt.“[46]
Ähnlich wie Mitchell begreift Bredekamp Bilder als selbstständige, lebendige Handelnde, die somit auch selbst Tatsachen erschaffen. Sie bilden Geschichte nicht einfach passiv ab, sondern erzeugen sie, indem sie gleichermaßen auf Ereignisse reagieren und sie selbst gestalten.[47] In diesem Sinne spricht Bredekamp von einem „ Bildakt, der Fakten schafft, indem er Bilder in die Welt setzt“[48].
Der Wahrheitsgehalt von Fotos ist also nicht höher als der anderer Bilder, da auch diese als „zu interpretierend[e] Instanz“[49], anstatt als objektive Zeugnisse von Realität anzusehen sind. Bredekamp geht dabei sogar so weit, dass er gezielte Einflussnahmen an Fotos – wie Inszenierungen, Montagen oder Retuschen – nicht als Verfälschung, sondern vielmehr als zusätzliche Verstärkung historischer Sachverhalte ansieht[50]:
Dies mindert den historischen Wert dieser Photographien nur, wenn von ihnen der Zugang zu einer Urszene erwartet wird. Was sie dagegen dokumentieren, ist der Wille, eine solche im Bild zu überliefern. Sie verweisen auf etwas, was es möglicherweise niemals gegeben hat, was sich aber ereignet haben könnte. Sie bilden die Spur einer wahren Fiktion.[51]
Fotografien sind daher stets „Metaphern“[52], deren Fiktionalität beachtet werden muss, um ihren historischen Wert ausmachen zu können.[53]
3. Fotos als Trophäen und Amulette
3.1. Knipser im Zweiten Weltkrieg
Die Frage, welche Bilder zu welchem Zweck gezeigt werden, ist essentiell. So werden Bilder durch die gesellschaftlichen Rahmungen und Normen automatisch und ständig zensiert. Welche Bilder gezeigt werden, hängt somit von den sozialen Gegebenheiten, Einstellungen und Zielsetzungen einer Gesellschaft beziehungsweise einer Regierung ab. Mit diesen Umbrüchen verändert sich mithin auch die Funktion, die diese Bilder erfüllen oder erfüllen sollen.
In der Vergangenheit dienten Bilder der Gewalt dabei meist als Trophäen[54] („Sie zeigten, wen man geschlagen hatte.“[55] ), gleichermaßen aber auch als „Amulette gegen den eigenen Tod“[56]. Und dies natürlich vor allem in Situationen, in denen das eigene Leben gefährdet war, wie zum Beispiel im Krieg.
Dass man in den Brieftaschen gefangener oder toter deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg Fotos von Hinrichtungen des Feindes und anderer Verbrechen fand[57], beweist, dass die Aufnahmen für die Soldaten von besonderem Wert gewesen sein und somit eine bestimmte Funktion für sie erfüllt haben müssen. Dies wird besonders mit dem Hintergrund deutlich, dass diese Fotografien trotz offiziellen Fotografierverbots[58] heimlich „geknipst, gesammelt und getauscht“[59] wurden.
Da sie zum einen verboten waren und zum anderen als eines von wenigen Dingen direkt am Körper getragen wurden[60], liegt der Schluss nahe, dass die Fotos „nur für den privaten Gebrauch des Knipsers und für seine zukünftige Erinnerung bestimmt“[61] waren. Diesem Bedürfnis nach Erinnerung kommt jede Fotografie dadurch nach, dass sie das abgebildete Ereignis, wie bereits festgestellt, unablässig wiederholt und es somit auf Dauer festhält.[62] Mehr noch versucht sie laut Roland Barthes, „einem kurzen Augenblick Ewigkeit zu verleihen und den Körper zum Bild werden zu lassen“[63]. Denn im Unterschied zu anderen Bildern besitzt die Fotografie eine geradezu magische Dimension, da sie nicht einfach nur Abbild ist, sondern die vergangene Situation oder Person im Prinzip immer noch in einer „Lichtspur“[64] anwesend ist.[65] Sie ist, mit Barthes’ Worten, eine „Emanation des Referenten“[66].
In ihrer Überwindung der Zeitlichkeit beziehungsweise dem Leugnen derselben „wird die Fotografie als ein moderner Denkmalersatz auch immer zu einem Dokument der Abwehr von Sterblichkeit und Tod“[67]. Barthes erkennt hier ein „Bild, das den Tod hervorbringt, indem es das Leben aufbewahren will“[68]. Bei den Fotos der Wehrmachtssoldaten verhält es sich indes genau umgekehrt: Hier wird nicht das Leben im Bild aufbewahrt, sondern der Tod, beziehungsweise das Töten des Feindes. Folglich bringt das Foto gleichzeitig das eigene Überleben hervor, besonders, wenn man bedenkt, dass die deutschen Soldaten oft zusammen mit den Opfern für die Fotos posierten:[69] So dokumentieren diese „mit dem gewaltsamen Tod zugleich seine siegreiche Überwindung durch den am Leben gebliebenen deutschen Soldaten“[70]. Mit anderen Worten: „Todesangst wird überwunden durch Tötungsmacht.“[71] Diese Funktion wird natürlich schon durch den Akt des Mordes selbst erfüllt. Doch um jenes Augenblickes habhaft zu werden, ihn sich ständig in Erinnerung rufen und sich somit „immer wieder von Neuem gegen die Todesangst des eigenen Überlebens versichern zu können“[72], dafür ist eine Trophäe unentbehrlich. Wie Elias Canetti bemerkt:
Man will ihn [den Feind] fällen, um zu fühlen, daß man noch da ist und er nicht mehr. Er soll aber nicht ganz verschwunden sein, seine leibliche Anwesenheit als Leiche ist für dieses Gefühl des Triumphes unerläßlich. […] [M]an kann sich Teile seines Leibes herausschneiden und als Trophäen für immer bewahren.[73]
[...]
[1] Susan Sontag: Über Fotografie. Carl Hanser Verlag. München, Wien 2002. S.154.
[2] Ulrich Raulff: Die 120 Tage von Bagdad. In: Süddeutsche Zeitung (04.05.2004). URL: http://www.sueddeutsche.de/kultur/folter-im-irak-die-tage-von-bagdad-1.800490 [Stand: 23.08.2010]
[3] William J.T. Mitchell: Den Terror klonen. Der Krieg der Bilder 2001-2004. In: Christa Maar, Hubert Burda (Hg): Iconic worlds. Neue Bilderwelten und Wissensräume. DuMont Buchverlag. Köln 2006. S.255. (Hervorhebung im Original.)
[4] Vgl. Markus Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt, 4. Auflage, 2008. S.95.
[5] Ebd.
[6] Ebd. S.94.
[7] Horst Bredekamp im Interview mit Arno Widmann: Bilder sind nicht nur Show. In: Frankfurter Rundschau (04.01.2009). URL: http://www.fr-online.de/fr/in
_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/?em_cnt=1654127&em_loc=89 [Stand: 24.07.2010]
[8] Ebd.
[9] Willliam J.T. Mitchell: Bildtheorie. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2008. S.372.
[10] Ebd.
[11] Vgl. Ebd.
[12] Vgl. Hans Belting: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. Wilhelm Fink Verlag. München 2001. S.214.
[13] Ebd.
[14] Fauser: Einführung in die Kulturwissenschaft. S.99.
[15] Ebd.
[16] Susan Sontag: Endloser Krieg, endloser Strom von Fotos. In: Süddeutsche Zeitung (24.05.2004). URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/folteraffaere-endloser-krieg-endloser-strom-von-fotos-1.914679 [Stand: 24.07.2010]
[17] Vgl. Bredekamp, Widmann: Bilder sind nicht nur Show.
[18] Ebd.
[19] Vgl. Ebd.
[20] Vgl. Mitchell: Bildtheorie. S.121.
[21] Ebd. S.108.
[22] Judith Butler: Folter und die Ethik der Fotografie. In: Linda Hentschel (Hg.): Bilderpolitik in Zeiten von Krieg und Terror. b_books Verlag. Berlin 2008. S.209.
[23] Ebd. S.205.
[24] Ebd.
[25] Vgl. Ebd. S.206.
[26] Ebd. S.208.
[27] Ebd. S.207. (Hervorhebung im Original.)
[28] Vgl. Ebd.
[29] Ebd.
[30] Vgl. Ebd. S. 208.
[31] Ebd. S.211.
[32] Ebd.
[33] Ebd. S.213.
[34] Ebd. S.214.
[35] Vgl. Ebd.
[36] Ebd. S.223.
[37] Peter Fonagy, Mary Target: Playing with reality: IV. A theory of external reality rooted in intersubjectivity. In: International Journal of Psychoanalysis (August 2007). URL: http://findarticles.com/p/articles/mi_7581/is_200708/ai_n32235589/?tag=content;col1 [Stand: 24.07.2010]
[38] Vgl. Ebd.
[39] Bredekamp: Bildakte als Zeugnis und Urteil. In: Monika Flacke (Hg.): Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Verlag Philipp von Zabern. Mainz 2004. S.29.
[40] Ebd.
[41] Ebd.
[42] Ebd.
[43] Ebd.
[44] Butler: Folter und die Ethik der Fotografie. S.216 f.
[45] Vgl. Ebd. S.216, S.219.
[46] Ebd. S.216.
[47] Vgl. Bredekamp: Bildakte als Zeugnis und Urteil. S.29 f.
[48] Ebd. S.30. (Hervorhebung im Original.)
[49] Ebd. S.46.
[50] Vgl. Ebd. S.48.
[51] Ebd. S.47.
[52] Ebd. S.51.
[53] Vgl. Ebd.
[54] Bredekamp, Widmann: Bilder sind nicht nur Show.
[55] Ebd.
[56] Bredekamp: Bildakte als Zeugnis und Urteil. S.51.
[57] Vgl. Kathrin Hoffmann-Curtius: Trophäen in Brieftaschen – Fotografien von Wehrmachts-, SS- und Polizei-Verbrechen. In: kunsttexte.de, Nr. 3/2002. URL: http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/download/poli/hoffmann-curtius.PDF [Stand: 13.08.2010]. S.1.
[58] Vgl. Ebd.
[59] Ebd.
[60] Vgl. Ebd.
[61] Ebd. S.4.
[62] Vgl. Ebd. S.6.
[63] Ebd.
[64] Ebd.
[65] Vgl. Ebd.
[66] Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 1985. S.90.
[67] Hoffmann-Curtius: Trophäen in Brieftaschen. S.6.
[68] Barthes: Die helle Kammer. S.103.
[69] Vgl. Hoffmann-Curtius: Trophäen in Brieftaschen. S.6.
[70] Ebd.
[71] Wolfgang Sofsky: Zeiten des Schreckens: Amok, Terror, Krieg. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2002. S.30.
[72] Hoffmann-Curtius: Trophäen in Brieftaschen. S.7.
[73] Elias Canetti: Masse und Macht. Carl Hanser Verlag. München 1960. S.267.
- Citation du texte
- Laura Schomaker (Auteur), 2010, Bilder der Gewalt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/191058
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