An der Stelle des Parzenliedes befindet sich die Protagonistin Iphigenie gerade in einer Krise, welche sich aus den vorherigen Geschehnissen entwickelt hat. Der Skythenkönig Thoas hatte ihr einst das Leben gerettet und nun verlangen Pylades und Orest von ihr, dass sie ihn hinsichtlich der Flucht der beiden Griechen belügt. Da der König sie jedoch heiraten möchte, ist Iphigenie hin- und hergerissen und bittet die olympischen Götter zu Beginn des fünften Auftritts um Hilfe ( V. 1715-1716) „ Rettet mich, Und rettet euer Bild in meiner Seele“.....
Analyse des Parzenliedes in „Iphigenie auf Tauris“
An der Stelle des Parzenliedes befindet sich die Protagonistin Iphigenie gerade in einer Krise, welche sich aus den vorherigen Geschehnissen entwickelt hat. Der Skythenkönig Thoas hatte ihr einst das Leben gerettet und nun verlangen Pylades und Orest von ihr, dass sie ihn hinsichtlich der Flucht der beiden Griechen belügt. Da der König sie jedoch heiraten möchte, ist Iphigenie hin- und hergerissen und bittet die olympischen Götter zu Beginn des fünften Auftritts um Hilfe ( V. 1715-1716) „ Rettet mich, Und rettet euer Bild in meiner Seele“ . Sie hat also Angst, dass der Glaube der Götter sie verlässt, was für sie als Priesterin katastrophal wäre. Dabei ist besonders auffällig, dass sie vor allem in der Seele den Kontakt zu den Göttern sieht, da sich dies bereits im ersten Aufzug erkennen lässt. „Sie reden durch unser Herz zu uns“ (V. 494). Während sie zu den Göttern betet, glaubt sie, das „Lied der Parzen“ (v 1720) zu vernehmen. Dieses Lied hatte ihre Amme ihr und ihren Geschwistern in der Kindheit vorgesungen (vgl V. 1720 ff). In dem Lied wird der Fall des Tantalus aus dem Götterhimmel in die Unterwelt, aufgegriffen. Tantalus, der Sage nach ein Sohn des Zeus und der Titanin Pluto, stritt sich während eines Festes im olympischen Himmel mit Zeus und wurde deshalb in die Unterwelt geschleudert; dort muss er, wie auch alle seine Nachkommen, bis in die Ewigkeit unter einem bösen Fluch leben.
Die äußere Form des Parzenliedes wird vor allem durch ihren Aufbau charakterisiert. Hierbei ist auffällig, dass das Lied aus sechs Strophen besteht, wobei es eine Art Zwischen- bzw. Zusatzstrophe gibt, welche das Lied in zwei Teile gliedert. Die Vers zahl variiert von drei bis sieben Versen in einer Strophe. Es gibt zudem kein festes Reimschema. Lediglich die Kadenzen wechseln regelmäßig. Es sind zwar teilweise jambische Einheiten zu erkennen, diese werden jedoch schnell wieder durchbrochen oder verändert.
Das Parzenlied beschreibt das Verhältnis der Menschen zu den Göttern aus Sicht der Parzen. Sie gelten als die „Götter“ des Schicksals und treten immer zu dritt auf.
Zu Beginn der ersten Strophe wird das Verhältnis zwischen Menschen und Göttern zunächst in Bezug auf die Furcht erklärt (V.1726-1727 ,,Es fürchte die Götter, Das Menschengeschlecht!"). Dieser Ausruf stellt die Basis, auf der die Beziehung sich abspielt, in den Bereich der Angst, was verdeutlicht, dass es nicht zu einer Annäherung der Menschen an die Götter kommen wird, da diese übermächtig erscheinen. In den folgenden Versen wird dies noch verstärkt. (V.1728-1731 ,,Sie halten die Herrschaft, In ewigen Händen, Und können sie brauchen, Wie′s ihnen gefällt."). Dies zeigt erneut, dass die Götter unantastbar sind und auch machthabend über die Menschen. Das Handeln der Götter wird als willkürlich dargestellt „Wie´s ihnen gefällt“ (V. 1731). Dabei fällt die Alliteration (V.1728-1729) ,,Sie halten die Herrschaft / In ewigen Händen" Alliteration (V.1728-1729) auf, die die stark gefestigte und gesicherte Stellung der Götter unterstreicht.
In der zweiten Strophe wird zunächst die Anfangsthese untermauert, da es für Menschen noch gefährlicher wird, wenn die Götter jemanden zu sich erheben oder aufsteigen lassen. „Der fürchte sie doppelt, Den sie je erhaben“ (V 1731-1732). Dazu wird die Geschichte des Tantalus als Beispiel aufgeführt. Wie auch in der Sage des Tantalus sind „Stühle bereit, um den goldenen Tische“ (1735-1736). Es ist also ein Fest geplant. Sollte jedoch ein Streit entstehen (vgl. V. 1737) „Zwist“, so wird verallgemeinernd gesagt, dass die menschlichen Wesen in die Unterwelt gestoßen werden. Dies ist exakt die Vorgehensweise, die der Tantalus erfuhr. Für die dritte Strophe gibt es mehrere sprachlich auffällige Abschnitte. Zum einen fällt der Doppelpunkt am Ende des Verses 1737 auf, da es aussieht, als ob alles darauf folgende eine direkte Rede bzw. ein Ritual sei, welches sich jeder Zeit wiederholen kann. Das könnte darauf hinweisen, dass die Götter in gewisser Weise cholerisch reagieren, da sie bei einem Streit sofort ihrem Zorn freien Lauf lassen. Die g-Alliterationen „ Gäste/Geschmäht und geschändet“ (V. 1739 f) und „Gerechten Gerichtes“ (V. 1743) deuten in Verbindung mit dem Wort „und“ den Eindruck, als würde der Leser mit Tantalus gemeinsam „in nächtliche Tiefen“ (V. 1740) stürzen. Dieses Gefühl wird noch durch die lautmalerischen Eigenschaften der dunklen Vokale in Ausdrücken wie ,,geschmäht und geschändet" (V. 1739) oder ,,harren vergebens, Im Finstern gebunden" (V.1741-1742) verstärkt; man fühlt sich in einer bedrückten Situation und kann sich gut die Situation vorstellen, wie Tantalus auf sein unbarmherziges brutales Urteil des „Gerichtes“ (V. 1743) wartete.
Die kurze vierte Strophe erweckt den Eindruck, als sei sie spöttisch aus Sicht der Parzen ausgedrückt, da „Sie aber“ (v. 1744) an goldenen Tischen sitzen, egal was passiert. Damit sind die Götter gemeint, die anscheinend nach solch einer Verbannung des Unruhestifters das festliche Gelage fortsetzen. Untermauert wird dies durch die Wiederholung der Phrase „An goldenen Tischen“ (V.1746). Diese Ungestörtheit und in gewisser Weise auch der Hochmut wird in der folgenden Strophe erneut aufgegriffen. Denn während sie oben auf dem „Berg“ ihr Fest feiern, versuchen die Titanen den Olymp zu erklimmen. Dies nehmen die Götter jedoch lediglich als „leichtes Gewölk“ (V. 1753) wahr. Das Verhältnis der Götter zu den Menschen bzw. Titanen wird in dieser Strophe vor allem sprachlich deutlich. Die Götter ,,schreiten"(V.1747) majestätisch ,,vom Berge / Zu Bergen" (V.1747-1748) und erinnern sich der Titanen, welche sie verschleiert durch die Wolken erahnen. Dieser Absatz beinhaltet lediglich helle Vokale, was mit der Unbeschwertheit zu erklären ist. Im Gegensatz dazu stehen die dunklen Vokale der „Erstickenden Titanen“ (V. 1751). Der Dampf bzw. die Verachtung und der Hass, all derer die die Götter verachten, scheint hinauf zu steigen, die Götter jedoch nicht zu erreichen, da selbige sich anscheinend weder angegriffen, noch unwohl fühlen.
[...]
- Arbeit zitieren
- Andreas Thäwel (Autor:in), 2012, Analyse des Parzenliedes in „Iphigenie auf Tauris“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190574