2. Einleitung:
Die vorliegende Hausarbeit soll sich mit dem frühen sexualwissenschaftlichen Diskurs über Sadismus und Masochismus auseinandersetzen. Hierzu werden exemplarisch einige Werke aus dem Diskurs der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgegriffen. Wie definierte man die Begriffe Sadismus und Masochismus? Wie wurde argumentiert und welche Belege (Beobachtungen etc.) wurden angeführt. Welche Schlüsse zog man hierbei in Bezug auf die Verhaltensweisen von Mann und Frau? Welche Erklärungen fand man für Sadismus und Masochismus? Wie gingen die einzelnen Forscher methodisch vor, welche Perspektiven hatten sie? Diesen Fragen soll im Abschnitt „Sadismus und Masochismus im wissenschaftlichen Diskurs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ nachgegangen werden. Im vierten Abschnitt der Arbeit „Tendenzen in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, in der Sexualwissenschaft und Sexualhistoriographie“ soll versucht werden den frühen Sexualwissenschaftlichen Diskurs in einen historischen Kontext einzubetten: Welche gesellschaftlichen und politischen Tendenzen herrschten zur Zeit dieses Diskurses vor und was war die Aufgabe der Sexualwissenschaft dieser Zeit? Warum wurden sexuelle Kategorien geschaffen, warum Geschlechtscharaktere von Mann und Frau? Weiterhin sollen diese Aspekte in Zusammenhang mit dem Sexualhistoriographischen Diskurs gebracht werden und auch hier einige Grundzüge und Positionen dargestellt werden. Welche Aufgaben stellte und stellt sich die Sexualgeschichte? Welche Position nimmt die Sexualhistoriographie in Bezug auf frühe sexualwissenschaftliche Diskurse ein, wie werden sie gesehen und beurteilt? Den Abschluss der Arbeit bildet ein Fazit mit Ausblick auf weitere Fragen die im Zusammenhang mit Sadismus und Masochismus interessant scheinen.
Inhaltsverzeichnis
2. Einleitung
3. Sadismus und Masochismus im wissenschaftlichen Diskurs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Seiten
4. Tendenzen in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, in der Sexualwissenschaft und Sexualhistoriographie Seiten
5. Fazit und Ausblick
6. Literatur
2. Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit soll sich mit dem frühen sexualwissenschaftlichen Diskurs über Sadismus und Masochismus auseinandersetzen. Hierzu werden exemplarisch einige Werke aus dem Diskurs der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgegriffen. Wie definierte man die Begriffe Sadismus und Masochismus? Wie wurde argumentiert und welche Belege (Beobachtungen etc.) wurden angeführt. Welche Schlüsse zog man hierbei in Bezug auf die Verhaltensweisen von Mann und Frau? Welche Erklärungen fand man für Sadismus und Masochismus? Wie gingen die einzelnen Forscher methodisch vor, welche Perspektiven hatten sie? Diesen Fragen soll im Abschnitt „Sadismus und Masochismus im wissenschaftlichen Diskurs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ nachgegangen werden. Im vierten Abschnitt der Arbeit „Tendenzen in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, in der Sexualwissenschaft und Sexualhistoriographie“ soll versucht werden den frühen Sexualwissenschaftlichen Diskurs in einen historischen Kontext einzubetten: Welche gesellschaftlichen und politischen Tendenzen herrschten zur Zeit dieses Diskurses vor und was war die Aufgabe der Sexualwissenschaft dieser Zeit? Warum wurden sexuelle Kategorien geschaffen, warum Geschlechtscharaktere von Mann und Frau? Weiterhin sollen diese Aspekte in Zusammenhang mit dem Sexualhistoriographischen Diskurs gebracht werden und auch hier einige Grundzüge und Positionen dargestellt werden. Welche Aufgaben stellte und stellt sich die Sexualgeschichte? Welche Position nimmt die Sexualhistoriographie in Bezug auf frühe sexualwissenschaftliche Diskurse ein, wie werden sie gesehen und beurteilt? Den Abschluss der Arbeit bildet ein Fazit mit Ausblick auf weitere Fragen die im Zusammenhang mit Sadismus und Masochismus interessant scheinen.
3. Sadismus und Masochismus im wissenschaftlichen Diskurs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Die Sexualwissenschaft, Medizin und Psychiatrie des 19. Jahrhunderts versuchte mit ihren Forschungen sexuelle Verhaltensweisen der Menschen zu katalogisieren, zu beschreiben und, soweit möglich, zu erklären. Dabei unterschied man sexuelle Verhaltensweisen in „normale“ und „gesunde“ Formen und in sogenannte „Perversionen“, ein Begriff, mit dem man alles was nicht den erwünschten oder als lebenswert vorgegebenen (Leit-)Bildern der bürgerlichen Gesellschaft entsprach beschrieb. Es wurden Kategorien geschaffen die helfen sollten von der Norm abweichende Verhaltensweisen zu erfassen und zuordnen zu können und diese auch dem als „normal“ angesehenen gegenüberzustellen und davon abzugrenzen. Es entstand dabei ein reger wissenschaftlicher Diskurs in dessen Verlauf sowohl Themen und Begriffe, die auch vor dem 19. Jahrhundert bereits relevant waren diskutiert wurden (Geschlechterrollen, Geschlechtercharaktere, siehe näheres dazu unter 3.), aber es wurden auch völlig neue Begriffe und Kategorien geschaffen, die dementsprechend auch neu ausgehandelt und diskutiert werden mussten. Hierzu zählen auch die Begriffe Sadismus und Masochismus, die von dem Wiener Gerichtsmediziner und Psychiater Richard von Krafft-Ebing eingeführt wurden. Er schrieb unter anderem das in mehreren Auflagen erschienene Buch „psychopathia sexualis“ in dem er versuchte alle sexuell irgendwie auffälligen, krankhaften oder abnormen Erscheinungen zu erfassen und zu erklären. Er arbeitete hier mit Beobachtungen und Fallbeispielen, die als Nachweis für das Vorhandensein der von ihm angeführten perversen Sexualpraktiken dienten. In diesen Fallbeispielen ist sowohl die Rede von durch ihr sexuelles Verhalten straffällig gewordenen Personen, als auch von Klienten aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, die sich von ihm behandeln ließen. Weiterhin führt er auch Fallbeispiele aus den Werken anderer wissenschaftlicher Autoren an, lässt aber auch literarische Verweise einfließen (Mythologie, Romanliteratur), die auch durchaus als Nachweis gewisser sexueller Verhaltensweisen und als Illustration Pate stehen. So finden sich in dem Abschnitt zum weiblichen Sadismus neben zwei Fallbeispielen auch Verweise auf historische Persönlichkeiten, wie Katharina de Medici und Valeria Messalina, denen sadistische Verhaltensweisen nachgesagt wurden aber auch Verweise auf die „Penthesilea“ Heinrichs von Kleist und andere literarische Werke in denen weibliche Grausamkeit in Verbindung mit Lust beschrieben wird.[1] Auffällig sind die vielen Auflagen in denen die „psychopathia sexualis“ erschienen ist und die Entwicklung die hier deutlich wird gerade auch in Bezug auf die Begriffe Sadismus und Masochismus. In den ersten fünf Auflagen ist von diesen Begriffen noch keine Rede, vielmehr werden die sexuellen Verhaltensweisen als Einzelphänomene mit Fallbeispielen aneinandergereiht, so ist denn die Rede von der „activen und passiven Flagellation,“ die hier vor allem als präparatorisches Mittel zur Potenzförderung vor dem Koitus, als Möglichkeit die beim Koitus nicht gestillte Lust mittels Flagellation zu stillen, oder als Ersatz für den aus inneren oder äußeren Gründen unmöglichen Koitus beschrieben wird[2]. Weiterhin ist in der zweiten Auflage der psychopathia sexualis von Lustmord, Leichenschändung, Wollust und Grausamkeit, Mädchenstechern aber auch konträr sexuellen und Exhibitionisten und anderen psychopathologischen Erscheinungsformen des Sexuallebens, die Rede[3]. Erst in der sechsten Auflage jedoch führt er die Begriffe Sadismus und Masochismus als Oberkategorien ein und subsummiert jetzt all die Einzelphänomene (Lustmord, Flagellation, Leichenschändung, Koprolagnie, sowie auch einige Erscheinungen des Fetischismus unter diese Oberbegriffe. Dabei erweitert er sein Beobachtungsmaterial von Auflage zu Auflage mehr bis schließlich in der 13. Auflage über 100 Seiten allein den Begriffen Masochismus und Sadismus gewidmet sind. Er erklärt auch explizit, dass er den Sadismusbegriff nach dem „berüchtigten Marquis de Sade, dessen obszöne Werke von Wollust und Grausamkeit triefen“ benannt hat.[4] Im Abschnitt über das „Misshandeln von Weibern (Blutig stechen, Flagellieren etc.) verweist er abermals auf den Marquis de Sade als einem Beispiel für jemanden, der sich an der Verletzung des Opfers und fließendem Blut weidet und daraus Lust zieht. Auch wird de Sade hier als ein Zyniker beschrieben, der „ernstlich seine grausame Lüsternheit idealisieren und sich zum Apostel einer darauf bezüglichen Lehre machen wollte.“[5] Fraglich ist allerdings, ob Krafft-Ebing hier nicht sehr pauschal urteilt, denn es wäre in diesem Zusammenhang interessant zu fragen, was genau eigentlich de Sade mit seinen Schriften auszudrücken beabsichtigte. War es tatsächlich ein grausam-wollüstiges und obszönes Treiben das er darstellen wollte? Ging es darum der französischen Gesellschaft seiner Zeit mit all ihren Abgründen, zunächst im Ancien Regime, dann in der französischen Revolution, in der sicherlich Grausamkeiten an der Tagesordnung waren einen philosophischen Spiegel vorzuhalten? Monika Treut beschreibt in ihrem Buch „Die Grausame Frau“ die Grundzüge der Philosophie des Marquis de Sade, worauf ich nicht im Einzelnen eingehen will, es sei aber soviel gesagt, dass es hier als Programmatik der Philosophie de Sades erscheint „alles zu sagen.“ Es geht darum, den Lesern seiner Werke, ihr eigenes Wesen, wenn auch vielleicht in gewisser Weise obszön und skandalisierend so aber auch aufklärend nahe zu bringen. Das Wesen des Menschen sollte hier in seiner Natur, entkleidet von traditionellen Werten der Moral, Ethik und Ästhetik fassbar gemacht werden.[6] Es erscheint hier fast wie ein Negativ zu den Idealbildern von Tugendhaftigkeit und Sittsamkeit, wenn de Sade in seinem Roman „Juliette“ auch auf die Abgründe und dunklen Untiefen von Lust einerseits aber auch von menschlichen Verhaltensweisen andererseits eingeht.[7] Das solch eine Philosophie dann als Anstößig betrachtet wurde, sowohl von Zeitgenossen de Sades als auch in Werken wie Krafft-Ebings „psychopathia sexualis“ mag nicht verwundern, nimmt sie doch genau an dem Anstoß was gerade im wissenschaftlichen Diskurs des 19. Jahrhunderts als „normal“, „sittsam“, „ästhetisch“, „moralisch“ und „natürlich“ definiert wurde.
Aber zurück zu Krafft-Ebing und seiner Definition des Sadismus. Der Sadismus erscheint hier als eine sexuelle Perversion, die auf der „(...) Empfindung von sexuellen Lustgefühlen bis zum Orgasmus beim Sehen und Erfahren von Züchtigungen u. a. Grausamkeiten, verübt an einem Mitmenschen oder selbst an einem Tier, sowie der eigene Drang, um der Hervorrufung solcher Gefühle willen, anderen lebendigen Wesen Demütigung, Leid, ja selbst Schmerz und Wunden widerfahren zu lassen(...).“[8] Das kann von leichten Püffen, ringen, raufen und Liebesbissen, die Krafft-Ebing als durchaus nicht seltenes Verhalten unter Brautleuten beschreibt, bis hin zur Ermordung des Gegenübers gehen. Sadismus wird weiterhin als eine auf der Störung in der Entwicklung psycho-sexualer Vorgänge beruhende Anomalie beschrieben, die auf der Grundlage psychischer Degeneration entsteht.[9] Dementsprechend führt Krafft-Ebing in seinen Beobachtungen und Fallbeispielen auch immer Verweise auf psychische Krankheiten in der Familie, sowie auf auffällige Verhaltensweisen und Krankheiten in der Kindheit des Beschriebenen an, die, so scheint es, diese degenerativen Grundlagen auf denen der Sadismus beruht erhellen und untermauern sollen. In seinen weiteren Ausführungen beschreibt Krafft-Ebing verschiedene Ausdrucksformen des Sadismus, angefangen von Lustmord, Leichenschändung, Besudelung mit Körperflüssigkeiten, und Misshandlungen wie Flagellieren und Blutig stechen bis hin zu bloßen symbolischen Akten des Sadismus oder reiner sadistischer Fantasien ohne den Wunsch der betreffenden, diese in der Realität umzusetzen (ideeller Sadismus), oder auch sogenanntem „Sadifetischismus,“[10] bei dem das zerreißen und zerstören bestimmter als erotisch empfundener Kleidungsstücke lustvoll erlebt wird. Auch der Sadismus an Tieren wird hier als eine Form beschrieben. Viele der Ausdrucksformen des Sadismus werden analog auch im Abschnitt über den Masochismus beschrieben. Zum Lustmord führt Krafft-Ebing allerdings aus, dass der Masochismus zwar in seiner äußersten Konsequenz auch Begierden wecken muss, von einer Person des anderen Geschlechts getötet zu werden, aber das sich dem der Lebenserhaltungstrieb entgegenstellt, so das dies nicht zur Ausführung kommt[11], im Gegensatz zum aktiven Lustmord beim Sadismus. Doch kommen wir nun zur Definition des Masochismus bei Krafft-Ebing. Im Grunde erscheint er zunächst mal als Gegenstück zum Sadismus, mit dem eine Perversion beschrieben wird, bei der „(...)das von derselben ergriffene Individuum in seinem geschlechtlichen Fühlen und Denken von der Vorstellung beherrscht wird, dem Willen einer Person des anderen Geschlechtes vollkommen und unbedingt unterworfen zu sein, von dieser Person herrisch behandelt, gedemütigt und selbst misshandelt zu werden.“[12] Die Begriffsbildung „Masochismus“ erklärt Krafft-Ebing damit, dass Leopold von Sacher-Masoch, ein österreichischer Schriftsteller, in seinen Novellen und Romanen sexuelle Begegnungen beschrieb, in denen es um die Unterwerfung des Mannes unter herrische und grausame Frauen ging, weshalb er es als berechtigt empfand von Masochismus zu sprechen. An dieser Begriffsbildung scheint es einige Kritik gegeben zu haben, man äußerte den Einwand, dass es unangemessen sei, den Namen eines geachteten Schriftstellers mit einer sexuellen Perversion zu verquicken. Bezugnehmend darauf weist er diese Kritik zurück, da Sacher-Masoch als Mensch „in den Augen jedes Gebildeten durch die Tatsache dass er mit einer Anomalie seines sexuellen Fühlens schuldlos behaftet war“ nichts verliere. Interessant ist hier, dass hier eine Schuldlosigkeit des Sacher-Masoch an seinen sexuellen Wünschen angesprochen wird, was auch ein wenig an die Homosexualitätsdiskurse erinnert, in denen die Frage ebenfalls thematisiert wurde, ob homosexuelle an ihren Neigungen schuld seien oder nicht. Im weiteren aber wird Sacher-Masoch der Wert als Autor abgesprochen. So schreibt Krafft-Ebing hier, dass Sacher-Masoch sicher ein begabter Autor war und sicher großes hätte leisten können, hätte er sexuell normal empfinden können. Es erscheint fast, als ob Krafft-Ebing mit dieser Aussage seine These vom degenerativen Wesen des Sadismus bzw. des Masochismus unterstreichen wollte. In seinen weiterführenden Bemerkungen, spricht er auch davon, dass es sehr von der Intensität des Masochismus, seinem Drang nach Umsetzung ins Reale, von der psychischen und physischen „Rüstigkeit“ des betreffenden und seiner Potenz, sowie seinen moralischen und ästhetischen Gegenmotiven abhängt, ob neben dem Masochismus auch ein „normales“ Sexualleben möglich ist, oder ob er nur für masochistische Reize empfänglich ist.[13] Dies erweckt den Eindruck, als ob die Intensität masochistischer Wünsche umso mehr wächst, je mehr der Betreffende in seiner Psyche und Physis „schwach“ oder degeneriert ist und dementsprechend seinen Gelüsten weniger Widerstand (durch moralische und ethische Bedenken) entgegensetzen kann. Interessant ist, dass Masochismus bei Krafft-Ebing als eine spezifisch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnende Verhaltensweise erscheint, deren Entstehungsursachen auch bei diesem Geschlecht zu suchen sind. Es ist laut Krafft-Ebing aufgrund der von jeher bestehenden sozialen Verhältnisse und der von der Natur der Frau zugewiesenen passiven Rolle bei der Fortpflanzung von vornherein für die Frau eine Geschlechterbeziehung mit der Vorstellung von Unterwerfung verbunden. Insofern sieht er eine gewisse Neigung zur Unterordnung unter den Mann durchaus noch als Normal an. Masochismus wird hier ab einem bestimmten Grad der Intensität als eine krankhafte Übersteigerung des spezifisch weiblichen Geschlechtscharakters angenommen.[14] Schon im Abschnitt über den Sadismus beschreibt Krafft-Ebing den Verkehr der Geschlechter so, dass dabei dem Mann die aktive, aggressive, der Frau aber die passive und defensive Rolle zukommt. Analog zum Masochismus erscheint hier der Sadismus als eine Übersteigerte Form der naturbedingten männlichen Aggressivität und der dazugehörigen Eroberung der Frau durch den Mann.[15] In seinem Versuch einer Erklärung des Masochismus behauptet Krafft-Ebing, dass der masochistische Mann sich zweifellos gegenüber seiner Domina in einer weiblichen passiven Rolle fühlt und derselben männliche Züge andichtet. Daraus schlussfolgert er, dass der Masochismus eine rudimentäre Form der konträren Sexualempfindung ist, was er mit seiner Beobachtung zu untermauern sucht, dass Masochisten sich selbst als mehr weiblich fühlende Naturen bezeichnen und auch dem äußeren nach weibliche Züge aufweisen.[16] Hier ist es allerdings fraglich in wieweit die Masochisten in ihrer Selbstbeschreibung von den gängigen Rollenbildern und Geschlechtscharakteren beeinflusst waren und sich diese zu eigen gemacht haben um ihre Lust möglichst verständlich zu beschreiben.
Haben wir in Krafft-Ebing einen Forscher vor uns, der vor allem aus medizinisch-psychiatrischer Sicht schrieb und argumentierte, finden wir bei Iwan Bloch in seinem Werk „Das Sexualleben unserer Zeit“ eine ganz andere Perspektive und Methodik.[17] Bloch, ein Berliner Dermatologe, bedient sich einer Anthropologisch-ethnologisch-Kulturhistorischen Perspektive um Phänomene der menschlichen Sexualität zu erfassen und bettet diese in einen universalen Kontext ein, wobei er zur Illustration und Untermauerung seiner Thesen Beispiele aus Medizin, Psychiatrie, Literatur und im weitesten Sinne der Völkerkunde anführt. Hierbei fasst er in Anlehnung an von Schrenck-Notzing die Phänomene des Sadismus und Masochismus unter dem Gesamtnamen Algolagnie zusammen. Der Begriff Algolagnie ist eine griechische Wortbildung die sich aus den Worten algos für Schmerz und lagneia für Wollust zusammensetzt. Krafft-Ebing lehnt diesen Begriff in seinem Werk ab, da er nicht den seelischen Kern masochistischen Empfindens beschreibe, denn schon am ideellen Masochismus sehe man, dass es dem Masochisten nicht unbedingt auf das Erleiden des Schmerzes ankommt, sondern der Schmerz, oder beim ideellen Masochismus die Vorstellung von zu erduldendem Schmerz, vielmehr Mittel zum Zweck ist um das Gefühl des unterworfen seins unter den Partner in der gewünschten Gefühlsintensität zu spüren.[18] Wenn aber Bloch die Erscheinungsformen von Sadismus und Masochismus unter dem Gesamtnamen Algolagnie fasst, impliziert er damit nicht auch die von Krafft-Ebing betonte seelische Komponente? Bei Bloch erscheint die Lust am Schmerz als eine weitverbreitete Erscheinung, die eine elementare Rolle sowohl im individuellen Leben des Menschen, als auch im Kulturleben der Menschheit spielt. Es ist hier ein elementares Phänomen der menschlichen Liebesbetätigung, die in weiten Grenzen normal ist.[19] Algolagnie tritt, so Bloch, in jeder normalen Liebesbeziehung auf und beginnt schon bei der Liebesumarmung, beim Geschlechtsakt selbst, beim Zähneknirschen, den Zuckungen, den Lustschreien und dem Beißen, die Begleiterscheinungen schon des „normalen“ Koitus sein können. Auch Bloch sieht den Masochismus als ein vorwiegend jedoch nicht ausschließlich auf Seiten der Frau auftretendes Verhalten, den Sadismus dagegen als vorwiegend aber eben sowenig ausschließlich auf Seiten des Mannes auftretendes Verhalten.[20] Weiterhin erscheint die Algolagnie als ein allzeitlich und allörtlich auftretendes Phänomen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass hier Sadismus, Masochismus beziehungsweise Algolagnie aus dem rein sexuell-medizinischen Kontext gehoben werden und auch andere menschliche Verhaltensweisen in die Betrachtung mit einbezogen werden, so weist Bloch darauf hin, dass schon allein Gefühle wie Pessimismus und Weltschmerz auch immer eine Lustkomponente in sich tragen. Die Erkenntnis des Grams und des Lebensleids wird von stiller Freude begleitet. Ja selbst die Liebe wird öde wenn ihr nicht auch ein wenig Bitterkeit und Wehmut beigemischt wird, als Liebeserhaltender Kontrast zu den glücklichen Momenten der Liebe. Auch beschreibt Bloch die Algolagnie als ein Massenphänomen, das sich auch in den Gladiatorenkämpfen der Antike, der Flagellantenbewegung im Mittelalter, öffentlichen Hinrichtungen und in der Weiberherrschaft beziehungsweise Gynäkokratie und vielem anderen ausdrückte[21]. Auch hier wird einmal mehr deutlich, dass es Bloch nicht allein darum ging, die Algolagnie rein biologisch oder medizinisch-psychiatrisch zu sehen, sondern sein Bild weiter zu fassen. Wobei der Aspekt der Weiberherrschaft besonders im heutigen Matriarchatsdiskurs in Frage gestellt wird und eher davon ausgegangen wird, dass es sich hierbei weniger um Frauenherrschaft sondern eher um egalitäre, jedoch Mutterzentrierte Gesellschaften handelt. Aber dies soll nur am Rande erwähnt werden.
Auch zu der Philosophie des Marquis de Sade äußert sich Bloch in seinem Werk, so sieht er in ihm den ersten konsequenten Vertreter der anthropologisch-ethnologischen Theorie der psychopathia sexualis. Im Gegensatz zu den Ausführungen Krafft-Ebings, scheint Bloch in de Sade nicht allein ein Monstrum mit abnormen sexuellen Gelüsten gesehen zu haben, sondern, obgleich er de Sade als furchtbar bezeichnet, diesem auch seinen philosophischen und wissenschaftlichen Wert zuzugestehen.[22] An anderer Stelle heißt es, das schon de Sade gewusst habe, dass Erregung durch starke Affekte und Emotionen, wie sie sich z.B bei öffentlichen Hinrichtungen oder bei öffentlichen Veranstaltungen zeigt, auch auf die sexuelle Lust auswirkt und diese abnorm gestalten kann (er bringt hier als Beispiel ein Autorennen in Amerika an, bei dem sich die Menge an den Unfällen der Autofahrer weidete und beschreibt wie das die Emotionen aufrührte). Es sei hier nicht die Grausamkeit an sich, die als lustvoll empfunden wird, sondern die durch die Grausamkeit aufgewühlten Emotionen und Affekte. Neben dieser emotionalen These beschreibt Bloch weiter eine evolutionistische These, die vom Liebeskampf des Mannes um die Frau, unter Opferung der Mitbewerber entsteht und sich von den Mitbewerbern auf die „eroberte“ Frau übertrug und damit sadistisch werden konnte. Bloch vertritt hierbei eher die emotionale These, da sich ihm daraus auch die häufig beobachtete Grausamkeit der Frau erkläre, die im Gegensatz zum Mann leichter erregbar ist, demnach leichter durch ihre Affekte aus dem Gleichgewicht zu bringen ist und dementsprechend auch raffiniertere Grade an Grausamkeit hervorbringen kann. Bloch stellt die Vermutung an, dass man die weibliche Grausamkeit und die Grausamkeit „weibischer entarteter Wüstlinge“ auch mit Feigheit und Furcht erklären könne, aus dem erniedrigenden Bewusstsein der eigenen Schwäche gegenüber dem anderen, Grausamkeit wird hier mit einem Rachemotiv am stärkeren Gegenüber in Verbindung gebracht.[23] Ganz anders schreibt Bloch im weiteren Verlauf seiner Ausführungen, in denen er als allgemeine Ursache der Algolagnie das unterschiedliche sexuelle Verhalten von Mann und Frau sieht. Hier wird der Mann als aktiv und stürmisch begehrend, die Frau als passiv und ruhig beschrieben. Je kälter und passiver eine Frau sei, desto anziehender wirke sie auf den Mann und desto leichter gerate der Mann, sofern er ein besonders großes Geschlechtsbedürfnis habe in Abhängigkeit zur Frau und damit entsprechend leichter unter ihre Herrschaft. Koketterie und Flirt seien die Mittel der Frau um den Mann zu fesseln und zu beherrschen. Überhaupt trachte die Frau danach den Mann zu unterwerfen.[24] Setzt aber nicht Kälte und Passivität auch voraus, dass die Frau nicht so leicht erregbar ist und durch ihre Affekte mitgerissen wird? Hier scheint ein Wiederspruch zu bestehen. Und wie verträgt sich diese Argumentation mit dem Gedanken des Rachemotivs am stärkeren Gegenüber, wenn Bloch der Frau aufgrund ihrer Stille und Passivität eine Überlegenheit auf der sinnlichen Ebene unterstellt, ein Übergewicht über den Mann aufgrund ihrer physischen Natur? Hier scheinen feste Begriffe und Kategorien von stark und schwach, überlegen und unterlegen, Frau und Mann ins Schwimmen zu geraten.
[...]
[1] Richard von Krafft-Ebing, Psychopathia sexualis, mit besonderer Berücksichtigung der Konträren Sexualempfindung, Hrsg. Albert Fuchs, Stuttgart 1907, S. 97-99. Hierbei handelt es sich um die 13. Auflage des Werkes.
[2] Richard von Krafft-Ebing, Psychopathia sexualis, mit besonderer Berücksichtigung der Konträren Sexualempfindung, Stuttgart 1887, S. 48-50. Hierbei handelt es sich um die zweite Auflage des Werkes.
[3] Ebd. S. 23-103. Hier werden sämtliche Kategorien der Neuro-und Psychopathologie des Sexuallebens behandelt. Ich habe hier nur einige genannt.
[4] Krafft-Ebing, 1907, S. 64.
[5] Ebd. S.81.
[6] Monika Treut, Die grausame Frau, zum Frauenbild bei de Sade und Sacher-Masoch, Basel, Frankfurt am Main 1984, S.11.
[7] Siehe hierzu auch: A. Eulenburg, Sadismus und Masochismus, in: Grenzfragen des Nerven-und Seelenlebens, Hrsg. L. Loewenfeld und H. Kurella, Wiesbaden 1902. Hier wird in einem Kapitel das Leben und Werk des Marquis de Sade und Leopolds von Sacher-Masoch behandelt. Weiterhin das obengenannte Werk von Monika Treut, die das ebenfalls thematisiert.
[8] Krafft-Ebing, 1907, S. 64.
[9] Ebd. S.66.
[10] Ebd. S.89-90.
[11] Ebd. S.118.
[12] Ebd. S.99-100.
[13] Ebd. S.101.
[14] Ebd. S.146-147.
[15] Ebd. S.68.
[16] Ebd. S.156-157.
[17] Iwan Bloch, Das Sexualleben unserer Zeit in seinen Beziehungen zur modernen Kultur, Berlin 1907.
[18] Krafft-Ebing, 1907, S. 123.
[19] Bloch, 1907, S. 614.
[20] Ebd. S. 617.
[21] Ebd. S.618-620.
[22] Ebd. S. 616.
[23] Ebd. S. 621-623.
[24] Ebd. S. 625-626.
- Citar trabajo
- Anne Halfpap (Autor), 2011, Sadismus und Masochismus in der frühen Sexualwissenschaft, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190556
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