Frage 1: Worin liegt die politische Attraktivität einer Politik der
individuellen Selbstregierung?
Das grundlegende Prinzip der liberalen Regierungskunst ist die Freiheit autonomer
Individuen. Damit ist weniger ein postulierter Ausgangspunkt einer Ideologie oder
Utopie denn eine Voraussetzung und zugleich das Produkt der Praxis liberaler
Regierung gemeint. In diesem Sinne charakterisiert Thomas Lemke den Liberalismus
als „das Prinzip einer Gouvernementalität, die darauf abzielt, das als ihren Effekt zu
produzieren, was sie als existierend beschreibt.“1 Das freie Individuum wird
gleichzeitig zum Objekt und zum (notwendigen) Subjekt liberaler Regierung:
„Das Prinzip der (liberalen [Anm. d. Verf].) Regierung erfordert die Freiheit der
Regierten, und der rationale Gebrauch dieser Freiheit ist die Bedingung einer
„ökonomischen“ Regierung.“2 Anstelle des äußerlichen Gegensatzes zwischen der Souveränität des Staates und
der Freiheit der Individuen tritt im Liberalismus ein innere Kopplung zwischen der
Rationalität der Regierung und den rationalen, freien Handlungen der Individuen.
Eine Übereinstimmung zwischen den interessengeleiteten ökonomischen Handeln
der Regierten und den Zielen einer rechtlich souveränen Regierung herzustellen, ist
dabei das grundlegende Problem des Liberalismus:
„Damit das Handeln der Individuen für die Zwecke der liberalen Regierung eingesetzt
werden kann, ist es notwendig, der Freiheit der Subjekte eine bestimmte Form zu
geben.“3
Direkten Herrschaftstechniken wie Zwang, Disziplinierung, Marginalisierung, wie sie
die Staatsräson oder die Polizeiwissenschaft praktizierten, sind dafür „natürliche“
Grenzen in Form der individuellen Freiheit gesetzt. Statt auf Ausschluss und
Marginalisierung zu beruhen, ist die liberale Regierung auf die aktive Einbindung von
rational handelnden Subjekten in Entscheidungsprozesse und Handlungsoptionen
angewiesen.4 [...]
1 „Eine Kritik der politischen Vernunft“; Argument- Verlag Berlin, S. 172; 1997
2 Thomas Lemke, „Eine Kritik der politischen Vernunft“; Argument- Verlag Berlin, S. 173; 1997
3 Thomas Lemke, „Eine Kritik der politischen Vernunft“; Argument- Verlag Berlin, S. 185; 1997
4 Ort der Vermittlung zwischen Regierung und Regierten ist die bürgerliche Gesellschaft als Produkt
und neuer Gegenstand liberaler Regierungstechniken. Zu den Details dieses Prozesses siehe dazu
Ausführungen zum Empowerment als konkrete historische Form der Selbstregierung (Frage 3).
Hausklausur Staatstheorie I
Frage 1: Worin liegt die politische Attraktivität einer Politik der individuellen Selbstregierung?
Frage 2: Was heißt „politische Vernunft“ bei Foucault?
Frage 3: Die Strategie des Empowernment ist empirisch nicht haltbar. Woran könnte es liegen das sie trotzdem herrschende Politik geworden ist? (Cruikshank)
Frage 1: Worin liegt die politische Attraktivität einer Politik der individuellen Selbstregierung?
Das grundlegende Prinzip der liberalen Regierungskunst ist die Freiheit autonomer Individuen. Damit ist weniger ein postulierter Ausgangspunkt einer Ideologie oder Utopie denn eine Voraussetzung und zugleich das Produkt der Praxis liberaler Regierung gemeint. In diesem Sinne charakterisiert Thomas Lemke den Liberalismus als „das Prinzip einer Gouvernementalität, die darauf abzielt, das als ihren Effekt zu produzieren, was sie als existierend beschreibt.“[1] Das freie Individuum wird gleichzeitig zum Objekt und zum (notwendigen) Subjekt liberaler Regierung:
„Das Prinzip der (liberalen [Anm. d. Verf].) Regierung erfordert die Freiheit der Regierten, und der rationale Gebrauch dieser Freiheit ist die Bedingung einer „ökonomischen“ Regierung.“[2]
Anstelle des äußerlichen Gegensatzes zwischen der Souveränität des Staates und der Freiheit der Individuen tritt im Liberalismus ein innere Kopplung zwischen der Rationalität der Regierung und den rationalen, freien Handlungen der Individuen. Eine Übereinstimmung zwischen den interessengeleiteten ökonomischen Handeln der Regierten und den Zielen einer rechtlich souveränen Regierung herzustellen, ist dabei das grundlegende Problem des Liberalismus:
„Damit das Handeln der Individuen für die Zwecke der liberalen Regierung eingesetzt werden kann, ist es notwendig, der Freiheit der Subjekte eine bestimmte Form zu geben.“[3]
Direkten Herrschaftstechniken wie Zwang, Disziplinierung, Marginalisierung, wie sie die Staatsräson oder die Polizeiwissenschaft praktizierten, sind dafür „natürliche“ Grenzen in Form der individuellen Freiheit gesetzt. Statt auf Ausschluss und Marginalisierung zu beruhen, ist die liberale Regierung auf die aktive Einbindung von rational handelnden Subjekten in Entscheidungsprozesse und Handlungsoptionen angewiesen.[4] Insofern ist es irreführend von der Attraktivität des politischen Konzeptes der individuellen Selbstregierung zu sprechen, da zu ihm innerhalb der liberalen Regierungspraxis keine prinzipiellen Alternativen bestehen.[5]
Trotzdem lassen sich über ihre prinzipielle Notwendigkeit konkrete positive Effekte des Konzeptes der Selbstregierung benennen. Diese bestehen zum einen in der Entlastung des Staates von einer Funktion, die er prinzipiell gar nicht leisten kann: Die totale Erfassung, Planung und Kontrolle der Gesamtheit aller ökonomischen, politischen, sozialen Prozesse. Dabei ist diese Unmöglichkeit totaler Souveränität des Staates keine Frage von zuwenig Macht, mangelnden Wissens oder fehlender Ressourcen, wie noch die Polizeiwissenschaft glaubte, sondern „die Bedingung der Existenz des Staates“.[6] Im Gegensatz zu diesem scheinbaren Rückzug werden die bisherigen Grenzen von Regierung weit ausgedehnt, neue Handlungsfelder (die bürgerliche Gesellschaft) für Regierung geschaffen. Insofern handelt es sich bei dem Konzept der Selbstregierung nicht um eine quantitative Veränderung (Verringerung) bestehender Machttechniken als vielmehr um eine qualitativ neue „Kunst der Regierung“, die sich an der ihr eigenen Rationalität bemisst. Entscheidendes Kriterium ist dabei der Zuwachs an Effizienz, den die „Führung durch Selbstführung“[7] mit sich bringt. Zumindest in der Theorie einer funktionierenden Selbstregierung. In ihrer Praxis fielen die liberalen Antworten auf die Frage des Wie der Absicherung und Lenkung individuellen Gebrauchs von Freiheit eher dürftig aus. Ob vernünftige Einsicht, Erziehung durch Gewöhnung, Empowerment oder Selbstachtung – alle liberalen Modelle sehen sich in der von ihnen propagierten Lösung wiederum mit dem zu lösenden Problem konfrontiert. Oder pointierter ausgedrückt: „Warum sollte sich ein Sozialschmarotzer a priori verächtlich finden?“[8]
[...]
[1] „Eine Kritik der politischen Vernunft“; Argument- Verlag Berlin, S. 172; 1997
[2] Thomas Lemke, „Eine Kritik der politischen Vernunft“; Argument- Verlag Berlin, S. 173; 1997
[3] Thomas Lemke, „Eine Kritik der politischen Vernunft“; Argument- Verlag Berlin, S. 185; 1997
[4] Ort der Vermittlung zwischen Regierung und Regierten ist die bürgerliche Gesellschaft als Produkt
und neuer Gegenstand liberaler Regierungstechniken. Zu den Details dieses Prozesses siehe dazu
Ausführungen zum Empowerment als konkrete historische Form der Selbstregierung (Frage 3).
[5] Diese Feststellung negiert nicht die Existenz weiterer Machttechnologien wie die Disziplinierung oder
den Ausschluss von Subjekten.
[6] Thomas Lemke, „Eine Kritik der politischen Vernunft“; Argument- Verlag Berlin, S. 177; 1997
[7] Wolfgang Fach, Die Regierung der Freiheit; Suhrkamp-Verlag; S. 192ff.; 2003
[8] Wolfgang Fach, Die Regierung der Freiheit; Suhrkamp-Verlag; S. 194.; 2003
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