Der moderne, populäre Diskurs setzt nicht selten einen toleranten und liebevollen Jesus gegen einen vermeintlich intoleranten und bigotten Paulus. In solchen Auseinandersetzungen erscheint der Apostel oft als intolerantes Schreckgespenst, als Antisemit und Frauenfeind. Stephen Barton hat vollkommen Recht, wenn er feststellt, dass der „Kirchengründer“ Paulus in den Ruf gelangt ist jener zu sein, der Jesus verfälscht habe.
Damit macht man es sich freilich sehr einfach. Fraglich dabei ist vor allem, ob sich neuzeitliche Toleranzbegriffe überhaupt auf die Theologie des Paulus anwenden lassen oder ob sie nicht doch völlig ungeeignet für die Beurteilung einer antiken Offenbarungsreligion sind.
Die folgende Arbeit will versuchen den Römerbrief vor dem Hintergrund des modernen Toleranzbegriffes zu untersuchen. Sie wird dabei besonderes Gewicht auf die Kernaussagen der paulinischen Theologie rund um den Tod und die Auferstehung Christi legen, die mit der Toleranzfrage bei Paulus untrennbar verbunden sind. Vor diesem theologischen Hintergrund wird auf Paulus Verhältnis zu den Heiden, den Juden und den jüdischen Gesetzen und Reinheitsgeboten im Besonderen eingegangen werden. Auch der Umgang der Gemeindemitglieder miteinander wird thematisiert werden, allerdings nur am Rande dieser Arbeit, da er nicht das Kernthema des Römerbriefes bildet. Der Brief an die Römer wurde für diese Untersuchung gewählt, da er einerseits neben dem Galaterbrief den tiefsten Einblick in die paulinische Theologie zulässt, andererseits der chronologisch letzte der Paulusbriefe ist.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Was ist Toleranz?
2. Die paulinische Theologie schließt pluralistische Toleranz aus
3. Eifer für Gott – Paulus Worte an die heidnischen Philosophen
4. Paulus und die Juden
5. Ökumene
6. Die Frage des Gesetzes
7. Toleranz oder Liebe?
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Kommt man im Zusammenhang mit den christlichen Kirchen auf das Thema Toleranz zu sprechen, gelangt man ziemlich schnell an einen Punkt, an dem man um den Apostel Paulus nicht mehr herum kommt, basiert doch ein Großteil der christlichen Theologie – egal ob katholisch oder evangelisch – auf der Theologie des Paulus von Tarsus. Der moderne, populäre Diskurs setzt nicht selten einen toleranten und liebevollen Jesus gegen einen vermeintlich intoleranten und bigotten Paulus. In solchen Auseinandersetzungen erscheint der Apostel oft als intolerantes Schreckgespenst, als Antisemit und Frauenfeind. Stephen Barton hat vollkommen Recht, wenn er feststellt, dass der „Kirchengründer“ Paulus in den Ruf gelangt ist jener zu sein, der Jesus verfälscht habe.[1]
Damit macht man es sich freilich sehr einfach. Fraglich dabei ist vor allem, ob sich neuzeitliche Toleranzbegriffe überhaupt auf die Theologie des Paulus anwenden lassen oder ob sie nicht doch völlig ungeeignet für die Beurteilung einer antiken Offenbarungsreligion sind.
Die folgende Arbeit will versuchen den Römerbrief vor dem Hintergrund des modernen Toleranzbegriffes zu untersuchen. Sie wird dabei besonderes Gewicht auf die Kernaussagen der paulinischen Theologie rund um den Tod und die Auferstehung Christi legen, die mit der Toleranzfrage bei Paulus untrennbar verbunden sind. Vor diesem theologischen Hintergrund wird auf Paulus Verhältnis zu den Heiden, den Juden und den jüdischen Gesetzen und Reinheitsgeboten im Besonderen eingegangen werden. Auch der Umgang der Gemeindemitglieder miteinander wird thematisiert werden, allerdings nur am Rande dieser Arbeit, da er nicht das Kernthema des Römerbriefes bildet. Der Brief an die Römer wurde für diese Untersuchung gewählt, da er einerseits neben dem Galaterbrief den tiefsten Einblick in die paulinische Theologie zulässt, andererseits der chronologisch letzte der Paulusbriefe ist.
1. Was ist Toleranz?
Wenn man die Frage nach einer Anwendung des modernen Toleranzbegriffes auf einen der Paulusbriefe stellt, sollte man sich natürlich zunächst fragen, was Toleranz eigentlich ist. Wie viele Begriffe, so war auch der Toleranzbegriff einer Entwicklung unterworfen. Dementsprechend verbinden wir mit unserem modernen Begriff „Toleranz“ etwas ganz anderes, als ein Römer mit der tolerantia oder dem Verb tolerare. Letzteres lässt sich am ehesten übersetzen mit „erdulden“, „ertragen“ oder „aushalten“; die tolerantia galt dementsprechend als eine Tugend, beschreibt sie doch das stoische Ertragen wechselhafter Schicksalsschläge. Im Gegensatz dazu hat unser moderner, dezidiert liberaler, Toleranzbegriff eine große Spannweite. Er reicht von Ignoranz, über Duldung, kritische Auseinandersetzung bis hin zur einfühlsamen Bejahung des Anderen.
2. Die paulinische Theologie schließt pluralistische Toleranz aus
Paulus von Tarsus war von Natur aus ein Eiferer. Begibt man sich auf einen kurzen Exkurs, so erfährt man in Galater 1:11ff und Philipper 3:4ff, dass er sich unter den Pharisäern als Christenfeind und als besonders gesetzestreu hervorgetan hatte „und im Judentum mehr Fortschritte machte als viele Altersgenossen [...]“.[2] Daran änderte auch das Erweckungserlebnis vor den Toren von Damaskus nichts, denn ein Eiferer blieb er auch danach, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Paulus selbst rühmte sich vom größten Verfolger der Christen zu deren eifrigem Advokaten geworden zu sein, so in 1Korinther 4:7ff, wenn er fast schon stolz von den Verfolgungen berichtet, die er zu erleiden hatte. So wurde der intolerante Pharisäer keineswegs zum milden Heidenapostel, denn man kann ihn zwar (allein schon wegen der selbst gewählten Aufgabe der Heidenmission und den damit verbundenen weiten Reisen) weltoffen nennen, nicht jedoch tolerant, wenn es um die Kernaussagen seines Evangeliums ging.
Doch was sind diese Kernaussagen? Lassen sie überhaupt Toleranz gegenüber Andersdenkenden zu? Unser moderner Toleranzgedanke liberaler Prägung, egal in welcher Ausformung, setzt doch eines voraus: Dass das Individuum mit dem ihm eigenen Bedürfnissen der Dreh- und Angelpunkt menschlicher Interaktion ist. Darauf aufbauend entwickelte sich unser Glaube an einen evolutionären Fortgang menschlicher Entwicklung und Geschichte. Davon kann Paulus nicht ausgehen, denn für ihn ist es die göttliche Offenbarung, die das Zentrum unseres Seins ausmacht. Die Kernaussage dieser Offenbarung nach Paulus finden wir in Römer 3:21ff zusammengefasst: Nachdem sich durch das Gesetz alle Menschen als Sünder erwiesen haben, ist es allein die Gnade Gottes, die der Menschheit durch den Tod seines Sohnes Jesus Christus den Weg zur Erlösung eröffnet. So wie Adams Sündenfall das Zeitalter des Todes und der Sünde für alle einleitete, so eröffneten Jesu Tod und Auferstehung das neue Zeitalter des Geistes für all jene, die an diesen Gnadenakt Gottes glauben und erweiterten die Gemeinde Gottes auf die ganze Welt.[3] In Römer 5:8-10 heißt es ebenso, dass die Sünder durch das Blut Christi gerechtfertigt werden und so vor dem Zorn Gottes errettet würden. Oder, wie in 8:1, dass es keine Verdammnis für die gibt, die in Christus Jesus sind. Christi Tod versöhnt also den Sünder mit Gott und der Glaube an seine Auferstehung rettet den Gläubigen. Gott und der Mensch sind untrennbar und jede Gottferne kann nur Chaos, Verirrung und Verzweiflung mit sich bringen. Römer 8:9 drückt es klar aus: „Wenn aber jemand Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.“ Moderne Toleranz im Sinne von Pluralismus steht diesem Kernkonzept paulinischer Theologie diametral entgegen. Wer nicht an die Auferstehung Christi glaubt oder denkt, dass er auf anderem Wege, als durch Jesus Christus (zum Beispiel durch die Beachtung des mosaischen Gesetzes) Erlösung und Gottesgnade findet, kann nur der Verdammnis anheim fallen. Dazu müssen wir uns noch vergegenwärtigen, dass Paulus und seine Gemeinden (wie auch die ganze christliche Antike und später das Mittelalter) in einer ständigen Endzeiterwartung lebten, die der Evangelisierung eine gewisse Dringlichkeit verlieh. Vor diesem Hintergrund musste jedwede Verbreitung christlicher Offenbarungen, die von den Kernaussagen paulinischer Theologie abwichen, für Paulus als gefährlicher Betrug am Menschen gelten und daher nicht tolerierbar sein. Diese Meinung wird sich in der christlichen Theologie verfestigen und auch noch Jahrhunderte später bei Thomas von Aquin präsent sein, wenn jener Häretiker mit Falschmünzern, also Betrügern, gleichsetzt.[4] Statt einer evolutionären Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, sehen wir hier eine in eschatologische Zeitalter eingeteilte Menschheitsgeschichte, die ganz vom Verhältnis Gottes zu den Menschen bestimmt ist. Für Toleranz ist hier kein Platz, nicht für eine Duldung und schon gar nicht für eine positive Bejahung des Andersdenkenden. Die Botschaft des Evangeliums muss angenommen werden, wenn man zum Heil gelangen und am Zeitalter des Geistes Anteil haben will.
[...]
[1] Stephan Barton: Paul and the limits of tolerance, S. 121
[2] Galater 1:14
[3] Römer 5:12ff
[4] Summa theologica, II-II, Questio 11, Artikel 3 und 4
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- Konrad Reinhold (Autor), 2011, Paulus und die Toleranz, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/189718
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