„Ich werde mich deinem Urteil bloßstellen, lieber Chamisso, und es nicht zu bestechen suchen“, versichert Schlemihl seinen narrativen Adressaten Chamisso. An jenem Versprechen im siebenten Kapitel der 1814 erschienenen Novelle von Adelbert von Chamisso wird besonders deutlich, dass Schlemihls Abenteuer, so unerhört es auch sei, vor aller Verwunderung geglaubt werden will, und sich nicht scheut, seine vermeintliche Authentizität einer eingehenden Untersuchung durch den Leser preiszugeben. Trotz der Verwendung von Elementen einer Anderswelt oder intertextueller Verweise auf Märchen und Sagen versucht der Autor Chamisso der Erzählung die Illusion von Echtheit anzudichten. Hierzu werden vor allen anderen narrativen Techniken eine Herausgeberfiktion, eine persönliche Beziehung zwischen dem narrativem Adressaten Chamisso und dem Erzähler Schlemihl geschaffen und Elemente des Wunderbaren mit rationalen Elementen verbunden. Schließlich stellt der Autor den Erzähler Schlemihl trotz einiger Unzuverlässigkeiten in seiner Präsentation der Geschichte als einigermaßen vertrauenswürdigen Narrateur dar.
Authentizität zwischen Wunderbarem und Rationalem:
Narrative Techniken und ihre Funktion in Adelbert von Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte
„Ich werde mich deinem Urteil bloßstellen, lieber Chamisso, und es nicht zu bestechen suchen“,[1] versichert Schlemihl seinen narrativen Adressaten Chamisso. An jenem Versprechen im siebenten Kapitel der 1814 erschienenen Novelle von Adelbert von Chamisso wird besonders deutlich, dass Schlemihls Abenteuer, so unerhört es auch sei, vor aller Verwunderung geglaubt werden will, und sich nicht scheut, seine vermeintliche Authentizität einer eingehenden Untersuchung durch den Leser preiszugeben. Trotz der Verwendung von Elementen einer Anderswelt oder intertextueller Verweise auf Märchen und Sagen versucht der Autor Chamisso der Erzählung die Illusion von Echtheit anzudichten. Hierzu werden vor allen anderen narrativen Techniken eine Herausgeberfiktion, eine persönliche Beziehung zwischen dem narrativem Adressaten Chamisso und dem Erzähler Schlemihl geschaffen und Elemente des Wunderbaren mit rationalen Elementen verbunden. Schließlich stellt der Autor den Erzähler Schlemihl trotz einiger Unzuverlässigkeiten in seiner Präsentation der Geschichte als einigermaßen vertrauenswürdigen Narrateur dar.
Das offensichtlichste Mittel des Autors Chamisso zum Erzeugen von Authentizität in seiner Novelle ist wohl das Schaffen einer Herausgeberfiktion. Der Titel der Erstausgabe des Peter Schlemihls ist um einen Zusatz erweitert: „mitgeteilt von Adelbert von Chamisso und herausgegeben von Friedrich Baron de la Notte Fouqué“.[2] Ferner enthält jene Erstveröffentlichung Briefe zwischen den befreundeten Schriftstellern Chamisso, Fouqué und eine Widmung an Julius Eduard Hitzig.[3] In einem angeblichen Brief aus dem September 1813 wendet sich Chamisso an Fouqué und gibt hierin zu erkennen, dass er Schlemihl als persönlichen Freund kenne, und dass dieser „ein ehrlicher Mann“ sei.[4] Darüber hinaus gibt er dem Leser der Novelle, scheinbar unbewusst, durch seine Beschreibung des naturwissenschaftliche Studien betreibenden Schlemihls auch zu erkennen, dass jener tatsächlich existiere, und nicht nur in einer Märchen-, sondern auch in der realen Welt existiere.[5] Der narrative Adressat Chamisso selbst beschränkt seine Rolle hinsichtlich der Entstehung der Novelle ganz auf das demütige „Mitteilen“[6] und das Empfangen der Erzählung, und wehrt etwaige Ungereimtheiten in Schlemihls Geschichte mit dem Verweis auf „des guten Mannes Feder“ ab, unter der die Narration „nur albern geworden“ sei.[7] Eine letzte Versicherung, dass die an ihn herangetragene Geschichte nun wirklich nicht seinem Geist entsprungen sei, gibt der Autor schließlich, in dem er Schlemihl Chamisso permanent als Gesprächspartner adressieren lässt; wenn Chamisso nun der narrative Adressat ist, dann bleibt, folgt man der Logik der Narration, schließlich nur Schlemihl als Erzähler übrig.
Trotz jener narrativen Tricksereien kann nicht übersehen werden, dass das „Team“ aus Herausgebern letztlich einen Gesamttext aus Briefen, der Widmung und der Erzählung Schlemihls herstellt, dessen Erzähler erster Instanz es selbst, also extradiegetisch heterodiegetisch, ist. Schlemihl bleibt zwar Erzähler seiner eigenen Geschichte, also homodiegetisch, steht zu ihr aber in intradiegetischer Beziehung. Schlemihls Narration ist bei genauem Hinsehen also nicht aus erster Hand. Dennoch wird sein Bericht mit den Texten der Herausgeber Chamisso, Fouqué und Hitzig verbunden, wodurch die Illusion entsteht, die wundersame Welt Schlemihls stehe mit der realen, dem Leserpublikum zugänglichen Welt, in Kontakt, was beide einander annähert und wiederum den Eindruck von Echtheit schaffen soll.
Gerade dieses Aufeinandertreffen der Welt des narrativen Adressaten Chamissos, beziehungsweise des Leserpublikums des frühen 19. Jahrhunderts, und der Welt Schlemihls, in welcher Elemente des Wunderbaren wie selbstverständlich in einem Atemzug mit dem „König von Preußen“[8] und „Haller, Humboldt und Linné“[9] genannt werden, erzeugt eine ungewohnte Spannung. Doch obwohl die Abenteuer Schlemihls nicht mit unglaublichen Begebenheiten oder Märchenmotiven geizen, wollen sie als reale Begebenheiten verstanden werden; schließlich fügt Chamisso Teile von Anders- und realer Leserwelt ein. Colin A. Butler gibt zu bedenken, dass die Realität im Werk von Chamissos „reliance on the Märchen“ untergraben sei.[10] Tatsächlich aber schaffen Elemente einer zutiefst rationalen bis „aufklärerische[n]“ Welt[11] als auch Elemente des Wunderbaren neben der oben genannten Spannung vor allem eine Ausgeglichenheit und sind gleichsam im Peter Schlemihl verankert. So treffen in Chamissos Werk „Fortunati Glückssäckel“[12] (aus Fortunatus), die „Tarnkappe“[13] (Nibelungensage), die „Siebenmeilenstiefel[…]“ (u.a. bei Wilhelm Tieck) und „das unsichtbare Vogelnest“[14] auf „Goethe“,[15] reale „Zeitungen“,[16] die „örtliche Polizei“,[17] Verweise auf Neurobiologie („galvanische[…] Kraft“),[18] „Metaphysik“[19] und schließlich die „Berliner Universität“.[20] Annemarie Wambach behauptet, dass Realistische werde hier genutzt, um das Phantastische unerhört erscheinen zu lassen.[21] Da aber sowohl dass Realistische überspitzt rational als auch das Phantastische übertrieben wunderbar dargestellt wird, dürfte wohl kaum das eine das andere auf der Skala der Unwahrscheinlichkeiten noch erhöhen können.
Neben jener Verankerung der Anderswelt spaltet der Autor Teile davon aber zugleich ab. Wambach meint, Chamisso verwische die „Grenzen zwischen Wirklichkeit und Wundergeschehen“.[22] Dem ist jedoch entschieden zu widersprechen: Gleich zu Beginn der Narration lässt der Autor seinen Erzähler Schlemihl jene Abgrenzung andeuten. „Nach einer glücklichen, jedoch […] sehr beschwerlichen Seefahrt“[23] erreicht dieser einen dem Leser nicht näher beschriebenen Ort, der jedoch, auf der zum Meer reichenden Seite, von „widrige[n]“[24] beziehungsweise „günstigen Winde[n]“[25] und auf der anderen Seite durch „die Grenze und das Gebirg“, ein „hohe[s] Bollwerk“,[26] bewacht wird. Chamisso lässt Schlemihl jenen Ort zusammenfassend als „Unglücksboden“[27] bezeichnen; tatsächlich liegt in dieser unbekannten und abgeschotteten Welt der Ausgangspunkt der wundersamen Dinge, denen der Protagonist begegnet. Hier trifft er den Grauen, dessen Zauberei und tauscht seinen Schatten gegen den Glückssäckel ein. Zwar sind die Orte, die Schlemihl fortan bereist, nicht ausdrücklich von anderen Welten abgegrenzt, jedoch steht er durch den Schattentausch und den Glückssäckel ohnehin in ständigem Kontakt mit dem Grauen und anderen Elementen der Anders- oder Märchenwelt. Das bewusste Auslassen einer eingehenderen Beschreibung Schlemhils ersten Reiseziels und das Abgrenzen jenes Ortes macht diesen zwar zu einer unbekannten Größe, doch ist der Ursprung der unerhörten Begebenheiten der Geschichte, und somit ein Großteil ihres wunderbaren Charakters, entschärft, da er explizit von der realen Welt getrennt ist.
Die Bemühung des Autors, den Text authentisch erscheinen zu lassen, mündet ferner in dem Erstellen von Regeln innerhalb der fiktionalen Welt, die der des narrativen Adressaten Chamisso fremd sein sollten. Abgesehen von jenem Verbinden und Abtrennen von Elementen des Wunderbaren mit Artefakten einer realen Welt ist hiermit die Haltung der im Werk auftauchenden Figuren zum Schattenverlust gemeint. Es ist bemerkenswert, dass alle präsentierten Figuren den Schattenmangel bewerten, nicht aber die Möglichkeit der Trennung von Schatten und Körper. Folglich ist es in der fiktionalen Welt der Geschichte möglich, einen Schatten u.a. „zusammenzurollen und […] ein[zu]stecken“,[28] ihn anzumalen,[29] „ein großes Loch“ in ihn zu reißen[30] oder ihn durch eine „böse[…] lange[…] Krankheit“ zu verlieren.[31] Außerdem wird jener Schattenverlust als schweres Verbrechen angesehen. Dies wird besonders durch den inneren Konflikt Bendels zwischen dem Drang, „recht“ oder „klug“ zu handeln[32] und Minas Abkehr von Schlemihl, trotz ihrer Liebe zu ihm,[33] deutlich. Der Schattenverlust wird also nicht willkürlich im Text vom Autor verwendet sondern unterliegt festen Normen, welche durch ihre Verlässlichkeit wiederum den Anschein von Authentizität konstituieren. Franz Schulz sieht den Schattenverlust zwar eher durch die „‚phantastische‘ Wirklichkeit“ bei Herrn John vorbereitet. Dennoch kommt auch er zu dem Schluss, dass „der Charakter der Wirklichkeit durch das Schattenmotiv [erzählerisch] nicht durchbrochen“, sondern Teil der Wirklichkeit werde.[34]
Auch nach Schlemihls Trennung vom Grauen und dem Glückssäckel und somit von der Welt des Wunderbaren oder der Märchen und Sagen gerät er mit ihr durch den Kauf der Siebenmeilenstiefel wieder in Kontakt. Wie der Graue und alle anderen Elemente der Anderswelt sind diese abermals mit realen Artefakten verbunden. Schulz verweist nebulös auf eine „dritte Macht“, die Peter für den Bruch mit dem Gold und dem Grauen mit den Siebenmeilenstiefeln belohnen wolle.[35] Jedoch sind es schlicht rationale Beweggründe und das Geld, welche Schlemihl in den Besitz der Stiefel bringen. Nicht umsonst lässt der Autor den Erzähler betonen, er habe „dieses Geschäft mit vielem Ernst“ gemacht und lange gewählt und gehandelt.[36]
[...]
[1] Chamisso, Adelbert: Peter Schlemihls wundersame Geschichte. In: Wersig, Peter (Hrsg.): Chamissos Werke in einem Band. Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag 1977, S.195. Aus dieser Ausgabe wird zitiert.
[2] Vgl. Titel der Erstausgabe.In: http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Chamisso/cha_psti.html, Download am 27.10.2011.
[3] Vgl. Inhalt der Erstausgabe. In: http://www.reclam.de/detail/978-3-15-010751-5, Download am 27.10.2011.
[4] Chamisso 217.
[5] Chamisso 218.
[6] Vgl. Titel der Erstausgabe.In: http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Chamisso/cha_psti.html, Download am 27.10.2011.
[7] Chamisso 218.
[8] Chamisso 174.
[9] Chamisso 163.
[10] Butler, Colin A.: Hobson´s Choice: a Note on Peter Schlemihl “. In: Monatshefte 69 (1977), S.13.
[11] Vgl. Wambach, Annemarie: „Fortunati Wünschelhütlein und Glückssäckel“ in neuem Gewand: Adelbert von Chamissos Peter Schlemihl. In: The German Quaterly 67 (1994), S.180.
[12] Chamisso 161.
[13] Chamisso 186.
[14] Chamisso 190.
[15] Chamisso 163.
[16] Chamisso 176.
[17] Chamisso 198.
[18] Chamisso 186.
[19] Chamisso 199.
[20] Chamisso 216.
[21] Wambach 1994: 182.
[22] Wambach 1994: 182.
[23] Chamisso 155.
[24] Chamisso 157, 167.
[25] Chamisso 167.
[26] Chamisso 172.
[27] Chamisso 172.
[28] Chamisso 161.
[29] Vgl. Chamisso 168.
[30] Chamisso 184.
[31] Chamisso 206.
[32] Chamisso 170.
[33] Vgl. Chamisso 194.
[34] Schulz, Franz: Die erzählerische Funktion des Motivs vom verlorenen Schatten in Chamissos Peter Schlemihl. In: The German Quaterly 45 (1972), S.433.
[35] Schulz 1972: 438.
[36] Chamisso 207.
- Citation du texte
- Franz Kröber (Auteur), 2011, Authentizität zwischen Wunderbarem und Rationalem, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/189271
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