Im März 2003 stellte der damalige Bundeskanzler der rot-grünen Bundesregierung Gerhard
Schröder im Bundestag sein Reformpaket, die so betitelte Agenda 2010, vor. Es sollte die
größte Reform in der Geschichte des deutschen Sozialstaats werden. Durch Strukturreformen
am Arbeitsmarkt und im Sozialsystem sollten mehr wirtschaftliches Wachstum und
Beschäftigung geschaffen werden. Allerdings sin sieben Jahre später, im Jahr 2010, die
Meinungen über die Wirkungen der verschiedenen Reformen der Agenda 2010 kontrovers.
Während beispielsweise das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung eine positive Bilanz
der Reformen zieht, wird von Seiten der Wohlfahrtsverbänden kritisiert, dass diese zu einer
Verschärfung der Armutsproblematik geführt hätten. Gleichzeit hat die Europäische Union
das Jahr 2010 zum Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung
erklärt, um damit das öffentliche Bewusstsein für die Situation von Menschen, die in Armut
leben, zu stärken. Auch wenn die Armutssituation in Deutschland vielleicht nicht mit der in
anderen Ländern vergleichbar ist, ist dies doch Grund genug, die Reformen der Agenda 2010
im Hinblick auf die Auswirkungen auf Armut in Deutschland zu untersuchen.
Da in den 1990er Jahren durch den deutlichen Anstieg der Armutsbetroffenheit von Kindern
Richard Hauser den Begriff der Infantilisierung der Armut (Hauser 1997: 76) geprägt hat,
muss inzwischen allerdings eher von einer Verfestigung der Kinderarmut gesprochen werden,
denn Kinder und Jugendliche sind nach wie vor die am häufigsten von Armut betroffene
Bevölkerungsgruppe. Ebenso hat sich das Verständnis für Kinderarmut verändert. Wurden
Kinder früher als Armutsrisiko oder als Mitbetroffene von Armut thematisiert, entwickelte
sich in den letzten Jahren ein Verständnis dafür, „dass Armut bei Kindern ein eigenes Gewicht
zukommt“ (Holz 2008: 483). Da dies vor allem von gesellschaftlichen und institutionellen
Rahmenbedingungen geprägt ist (ebd.), stellt sich hier die Frage, welche Folgen die Reformen
der Agenda 2010 für Familien und Kinder mit sich brachten und wie sich diese auf die
Entwicklung der Kinderarmut in Deutschland ausgewirkt haben.
Inhalt
1. Einleitung
1.1. Fragestellung und Zielsetzung
1.2. Aufbau der Arbeit
2. Armut
2.1. Wie wird Armut gemessen?
2.2. Absolute und relative Armut
2.3. Armutsbegriffe im Überblick
2.3.1. Eindimensionale Armutsbegriffe
2.3.2. Mehrdimensionale Armutsbegriffe
2.4. Kinderbezogener Armutsgriff
2.4.1. Die Begriffe „Kinder", „Jugendliche" und „junge Volljährige"
2.4.2. Der AWO-ISS- Kinderarmutsbegriff
3. Empirische Datenlage
3.1. Das Nettoäquivalenzeinkommen
3.2. Allgemeine Daten zur Armut in Deutschland
3.3. Kinderarmut im internationalen Vergleich
3.4. Armutsentwicklung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland
3.5. Wie Kinder Armut erleben
4. Ursachen von Kinderarmut
4.1. Theorien von Armut und Kinderarmut
4.1.1. „Alte" und „Neue" soziale Ungleichheit
4.1.2. Jugend und soziale Ungleichheit
4.2. Strukturelle Ursachen von Armut in Deutschland
4.2.1. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit
4.2.2. Familienstruktur
4.2.3. Mängel des sozialen Sicherungssystems
4.2.4. Umbau des Sozialstaats
5. Folgen von Kinderarmut
5.1. Frühe Folgen von Armut
5.2. Krankheit und psychosoziales Wohlbefinden
5.3. Lebensstandard und Medienkonsum
5.4. Bildung
6. Reformpolitik in Deutschland
6.1. Traditionelle Aufgaben des Sozialstaats
6.2. Strukturen des deutschen Sozialstaats
6.3. Aktuelle Sozialpolitik und die Agenda 2010
6.3.1. Die Grundgedanken der Agenda 2010
6.3.2. Reformen am Arbeitsmarkt
6.3.3. Reformen im Bereich Familie und Bildung
6.3.4. Reformen im Bereich der Gesundheit
7. Die Folgen der Agenda 2010
7.1. Die Auswirkungen der Arbeitsmarktreformen
7.2. Die Auswirkungen der Gesundheitsreformen
7.3. Die Auswirkungen der Reformen im Bereich Bildung und Familie
8. Zusammenfassung, Fazit und weitere Überlegungen
8.1. Fazit
8.2. Weitere Reformmöglichkeiten
8.2.1. Staatliche Transferleistungen
8.2.2. Arbeitsmarktreformen
8.2.3. Familienpolitische Maßnahmen
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Dimensionen von Kinderarmut
Abb. 2: Armutsschwellenwert für Familien in Deutschland 2007
Abb. 3: Haushaltseinkommen nach ALGII
Abb. 4: Armutsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland
Abb. 5: Armutsrisiko von Kindern nach Haushaltstypen
Abb. 6: kindliche Lebenslagen und Armut
Abb. 7: Ziele und Instrumente der Hartz-Reformen
1. Einleitung
1.1. Fragestellung und Zielsetzung
Im März 2003 stellte der damalige Bundeskanzler der rot-grünen Bundesregierung Gerhard Schröder im Bundestag sein Reformpaket, die so betitelte Agenda 2010, vor. Es sollte die größte Reform in der Geschichte des deutschen Sozialstaats werden. Durch Strukturreformen am Arbeitsmarkt und im Sozialsystem sollten mehr wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung geschaffen werden. Allerdings sin sieben Jahre später, im Jahr 2010, die Meinungen über die Wirkungen der verschiedenen Reformen der Agenda 2010 kontrovers. Während beispielsweise das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung eine positive Bilanz der Reformen zieht, wird von Seiten der Wohlfahrtsverbänden kritisiert, dass diese zu einer Verschärfung der Armutsproblematik geführt hätten. Gleichzeit hat die Europäische Union das Jahr 2010 zum Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung erklärt, um damit das öffentliche Bewusstsein für die Situation von Menschen, die in Armut leben, zu stärken. Auch wenn die Armutssituation in Deutschland vielleicht nicht mit der in anderen Ländern vergleichbar ist, ist dies doch Grund genug, die Reformen der Agenda 2010 im Hinblick auf die Auswirkungen auf Armut in Deutschland zu untersuchen.
Da in den 1990er Jahren durch den deutlichen Anstieg der Armutsbetroffenheit von Kindern Richard Hauser den Begriff der Infantilisierung der Armut (Hauser 1997: 76) geprägt hat, muss inzwischen allerdings eher von einer Verfestigung der Kinderarmut gesprochen werden, denn Kinder und Jugendliche sind nach wie vor die am häufigsten von Armut betroffene Bevölkerungsgruppe. Ebenso hat sich das Verständnis für Kinderarmut verändert. Wurden Kinder früher als Armutsrisiko oder als Mitbetroffene von Armut thematisiert, entwickelte sich in den letzten Jahren ein Verständnis dafür, „dass Armut bei Kindern ein eigenes Gewicht zukommt“ (Holz 2008: 483). Da dies vor allem von gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen geprägt ist (ebd.), stellt sich hier die Frage, welche Folgen die Reformen der Agenda 2010 für Familien und Kinder mit sich brachten und wie sich diese auf die Entwicklung der Kinderarmut in Deutschland ausgewirkt haben.
Die öffentlich geführten Debatten erwecken unweigerlich den Eindruck, dass die Reformen der Agenda 2010 keinen Beitrag leisten konnten, um die Risiken der Kinderarmut zu verringern. Dieser These gilt es in der folgenden schriftlichen Auseinandersetzung nachzugehen.
Dieser Eindruck ist umso erstaunlicher, da die rot-grüne Bundesregierung bereits in ihrem ersten Koalitionsvertrag von 1998 betont hat, dass sowohl die Bekämpfung der Armut ein Schwerpunkt der Arbeit der neuen Bundesregierung sein wird und diesbezüglich besonders Armut von Kindern reduziert werden muss (Vorstand der SPD 1998: 36). Weiterhin wurde bei der Begründung zur Agenda 2010 betont, dass sich die Agenda 2010 positiv auf Familien auswirkt (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2003: 47). Dies zu überprüfen ist eine Zielsetzung der vorliegenden Arbeit. Des Weiteren versucht die Arbeit mit dem Titel Strategien gegen Kinderarmut - Agenda 2010 - Herausforderung an die aktuelle Sozialpolitik, ausgehend von der oben aufgeführten These, die Auswirkungen der Reformen der Agenda 2010 hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Armutsgefährdung von Familien und Kindern zu untersuchen und zu bewerten.
1.2. Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil soll zunächst intensiv auf die Themen Armut und Kinderarmut eingegangen werden. Hierzu werden einige Definitionsmöglichkeiten von Armut erläutert, um darauf aufbauend ein kinderbezogenes Armutskonzept zu entwickeln. Daran anknüpfend werden ein Überblick über die Armutslagen in Deutschland sowie ein internationaler Vergleich der Kinderarmut gegeben, um damit die Relevanz des Themas zu erläutern. Abschließend wird der erste Teil mit einer Übersicht über die Ursachen und Folgen von Armut bzw. Kinderarmut ergänzt.
Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der sozialstaatlichen Entwicklung Deutschlands sowie mit den Reformen der Agenda 2010 und den daraus resultierenden Folgen für die Entwicklung von Kinderarmut. Hierzu wird einführend über die Sozialstruktur in Deutschland sowie die Reformpolitik der vergangen Jahre berichtet, bevor die Grundgedanken der Agenda 2010 aufgezeigt werden und folgend auf drei ausgewählte Reformbereiche eingegangen wird. Die ausführlich vorgestellten Bereiche beziehen sich auf die Reformen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik, der Gesundheitspolitik sowie der Bildungs- bzw. Familienpolitik. Diese Politikfelder sind - wie im Verlauf der Arbeit gezeigt wird - besonders relevant im Bezug auf Kinderarmut. Abgeschlossen wird der zweite Teil dieser Arbeit mit einer Zusammenstellung der Konsequenzen, welche die Reformen der Agenda 2010 mit sich gebracht haben.
Im letzten Teil der schriftlichen Auseinandersetzung werden die erarbeiteten Aspekte kurz zusammengefasst und in einem Ausblick abschließend weitere Reformen diskutiert, die dazu beitragen können, Kinderarmut wirksam und nachhaltig zu bekämpfen.
2. Armut
„Armut, ein vieldeutiger und darum nur schwer der sozialwissenschaftlichen Operationalisierung zu unterwerfender Begriff" (Hillmann 1994: 47) lautet der Beginn der Definition von Armut nach Karl-Heinz Hillmann. Solche Ausführungen finden sich häufig, wenn es um das Thema Armut geht, so dass sich die Frage stellt, was genau der Begriff Armut bedeutet. Viele Menschen assoziieren mit Armut die Dritte Welt, aber auch „die Existenz von Armut im Wohlstand wird mittlerweile von keiner Seite mehr ernsthaft angezweifelt“ (Bäcker 2002: 243), ebenso wird weitgehend anerkannt, „dass es Armut in Deutschland gibt“ (ebd.). Die Existenz von Armut steht „im Widerspruch zum Verfassungsgebot, jedem Bürger ein menschenwürdiges Dasein im Sinne der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen“ (Bäcker 2002: 244). Aus diesem Grund kann Armut als ein besonders guter Indikator für die Beantwortung der Frage, „wird die Politik dem Sozialstaatsgebot gerecht?“, gesehen werden. ( Bäcker 2002: 244).
Aber auch das Thema Kinderarmut ist in den letzten Jahren immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit und der Forschung gerückt.
2.1. Wie wird Armut gemessen?
Ein zentrales Problem der Armutsmessung ist, dass es hinsichtlich der Frage, was Armut ist und wie gemessen werden kann, keine eindeutige Antwort gibt.
Bei der Beantwortung der Frage kann daher nicht auf objektive Maßstäbe zurückgegriffen werden. Je nachdem, welche Kriterien festgelegt werden, kann der Kreis der Armutsbevölkerung weiter oder enger gefasst werden (Bäcker 2002: 244), ebenso erfolgt die Beantwortung der Frage auf der Basis von Werturteilen (Hauser 2008: 95). Weiterhin spielen im Zuge der Diskussion um die Frage, was unter Armut zu verstehen ist, „philosophische, humanistische oder religiös begründete ethische Wertvorstellungen eine wichtige Rolle“ (ebd). Um Armutsgrenzen bestimmen zu können, muss eine gründliche Diskussion über alle Facetten des Armutsbegriffs erfolgen; hierbei gibt Hauser drei grundlegende Feststellungen. Zunächst sollen Armutsgrenzen dazu dienen, das Ausmaß von Armut sowohl auf gesellschaftlicher als auch individueller Ebene zu messen, das heißt, alle nicht messbaren Komponenten bleiben unberücksichtigt. Zweitens richtet sich aus sozialpolitischer Sicht der Blick nur auf jene Aspekte von Armut, zu denen sozialpolitische Instrumente vorhanden oder vorstellbar sind. Drittens bleibt festzuhalten, dass Armut mit fließenden Übergängen verbunden ist und zu nur unscharf erfassbaren Bereichen führt (Hauser 2008: 95). Um letztlich Armut messen zu können sind drei Schritte erforderlich. Als erstes muss eine Armutsgrenze festgelegt werden, die - bei relativer Armut - im zweiten Schritt mit Fakten zu quantifizieren ist, um anschließend im dritten Schritt das Ausmaß von Armut in der Gesellschaft zu ermitteln (Hauser 2008: 96).
2.2. Absolute und relative Armut
Bei der Definition von Armut muss zwischen zwei unterschiedlichen Auffassungen, nämlich der absoluten und der relativen Armut unterschieden werden ( Leßmann 2007: 23).
„Absolute Armut liegt vor, wenn Personen nicht über die zur Existenzsicherung notwendigen Güter wie Nahrung, Kleidung und eine Wohnung verfügen und ihr Überleben gefährdet ist“ (Bäcker 2002: 244). Menschen die unter absoluter Armut leiden erreichen nicht einmal das absolute Existenzminimum. Diese Art von Armut herrscht „nach wie vor in vielen Staaten der so genannten Dritten Welt, allerdings ist sie in Deutschland wie in allen anderen Industriestaaten weitgehend überwunden“ (ebd.). Als Problem dieser Auffassung sieht Leßmann, dass „sie mit der überzeugenden Festlegung einer absoluten Grenze steht und fällt. Die lebensnotwendigen Dinge [...] sollen bestimmt werden für alle Orte, für alle Zeiten und für alle Menschen. Doch Menschen unterscheiden sich“ (Leßmann 2007: 23).
Dem gegenüber steht die relative Armut, welche auf Raum und Zeit bezogen wird und sich am konkreten, historisch erreichten Lebensstandard einer Gesellschaft bemisst. Relative Armut muss somit immer im Bezug zum gesellschaftlichen Umfeld definiert werden (Leßmann 2007: 24).
Am deutlichsten zeigt sich der Unterschied zwischen absoluter und relativer Armutsmessung bei der Festlegung der Armutsgrenze. Die absolute Armutsgrenze kann ohne Kenntnisse der gesellschaftlichen Umstände definiert werden und beansprucht Gültigkeit über die untersuchte Gesellschaft hinaus, wohingegen sich relative Armut nicht ohne Kenntnisse der jeweiligen Gesellschaft feststellen lässt und auch nur in dieser spezifisch untersuchten Gesellschaft Gültigkeit besitzt (Leßmann 2007: 25).
Es besteht Einigkeit darüber, dass in Deutschland letztlich nur das Konzept der relativen Armut sinnvoll ist. Jedoch bleibt auch an dieser Stelle die Frage offen, welche Kriterien zur Messung von Armut sinnvoll sind. Relative Armut liegt in Deutschland dann vor, wenn Menschen das sozial-kulturelle Existenzminimum unterschreiten (Bäcker 2002: 244).
2.3. Armutsbegriffe im Überblick
Innerhalb des Konzepts der relativen Armut gibt es wiederum verschiedene Ansätze zur Messung und Bestimmung von Armut. Im Folgenden werden einige dieser Ansätze vorgestellt. Zunächst muss zwischen einem eindimensionalen und einem mehrdimensionalen Armutskonzept unterschieden werden.
Der eindimensionale Armutsbegriff beschränkt sich auf eine Dimension von Armut, wohingegen der mehrdimensionale Begriff weitere Armutsdimensionen mit einschließt.
2.3.1. Eindimensionale Armutsbegriffe
Da die Höhe des Einkommens ein zentraler Indikator für die Lebenslagen der Menschen darstellt, wird Armut häufig als Einkommensarmut verstanden (Bäcker 2002: 245). Eindimensionale Armutsbegriffe beziehen sich bei der Bestimmung von Armut lediglich auf das Einkommen. In diesem Fall wird das Unterschreiten einer bestimmten Grenze als Armut bezeichnet, jedoch werden auch hierbei verschiedene Maßstäbe herangezogen. Als politisch normativer Armutsbegriff konnte bis 2003 die Sozialhilfe, ab 2003 die bedarfsorientierte Grundsicherung und seit 2005 das Arbeitslosengeld II angesehen werden (Hauser 2008: 109). Dieses von der Politik festgesetzte Existenzminimum bietet den Forscherinnen und Forschern den Vorteil einer einfachen Definition durch bekannte Statistiken. Ebenso entspricht dieser politisch normative Armutsbegriff auch dem Verständnis von Armut bei einem großen Teil der Bevölkerung. Jedoch besteht hierbei der Nachteil, dass diese politisch festgelegte Grenze nicht variabel ist. Ein weiterer Nachteil bei dieser Verwendung des Armutsbegriffs ist, dass auf diesem Weg nur die tatsächlich gemeldete Armut erfasst werden kann (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. 2000: 22f).
Durch die Definition von Armut im Verhältnis zum durchschnittlichen Einkommen kann das Problem der verdeckten Armut vermieden werden. Beim Konzept der relativen Einkommensarmut gelten Personen als relativ arm, „deren verfügbares Einkommen unterhalb eines bestimmten Prozentsatzes des durchschnittlichen Nettoeinkommens liegt. Der jeweilige Einkommensbetrag wird als relative Einkommensgrenze bezeichnet“ (Hauser; Hübinger 1993: 53). Diese Grenze variiert je nach Erhebung zwischen 40% und 60%1 des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens2. Der Vorteil dieser Definitionen ist darin zu sehen, dass sie nie den Bezug zur allgemeinen Wohlstandsentwicklung verliert. Nimmt also der Reichtum innerhalb einer Gesellschaft zu, so steigt automatisch ebenfalls die Armutsgrenze an, wodurch Armut sehr gut feststellbar und auch bekämpfbar ist (Hauser 2008: 100). Um Einkommensarmut zu beseitigen, darf nur „der Einkommensabstand der unteren Gruppen vom Durchschnitt ein bestimmtes Maß nicht überschreiten“ (ebd.); dies kann unter anderem durch Erhöhung staatlicher Transferleistungen geschehen (ebd.).
2.3.2. Mehrdimensionale Armutsbegriffe
Da Armut Ausdruck einer gesamten Lebenslage ist (Bäcker 2002: 244), beziehen sich die mehrdimensionalen Ansätze auf die Multidimensionalität der Armut. Der Lebenslage-Ansatz ist ein älterer Ansatz zur Bestimmung von relativer Armut (Hauser 2008: 98). Begründet wurde der Lebenslage-Ansatz bereits in den 1930er Jahren von Otto Neurath, wobei der Begriff der Lebenslage erst später in den 1950er Jahren durch Gerhard Weisser gebräuchlich wurde (Leßmann 2007: 60). Beide Ansätze beschränken sich nicht nur auf das verfügbare Einkommen, sondern es geht bei ihnen vielmehr um den Spielraum, welcher den Personen zur Befriedigung ihrer Interessen zur Verfügung steht. Dieser Spielraum setzt sich unter anderem aus dem Einkommen, der Wohnsituation, der Ausbildung, sozialer Kontakte sowie Gesundheit und subjektivem Wohlbefinden zusammen (Bundesverband Arbeiterwohlfahrt e.V. 2000: 24f). Ein weiterer mehrdimensionaler Armutsbegriff, der gerade in der neueren Diskussion zur Bestimmung von relativer Armut herangezogen wird, findet sich in dem von Amartya Sen entwickelten Konzept der Verwirklichungschancen. Bei diesem Konzept wird „Armut als Mangel an Verwirklichungschancen“ gesehen (Sen 2002: 110). Obwohl Amartya Sen sein Konzept auf absolute Armut ausgelegt hatte, wird es heute für relative Armut angewendet (Hauser 2008: 97). Sen geht davon aus, dass ein zu geringes Einkommen zwar immer noch Hauptkriterium für den Mangel an Verwirklichungschancen ist, dieser aber noch von weiteren Faktoren abhängig ist. So ist Sen zufolge das Verhältnis zwischen niedrigem Einkommen und geringen Verwirklichungschancen variabel (Sen 2002: 110). Als weitere Faktoren führt Sen neben dem individuellen finanziellen Risiko wie Einkommen und Vermögen zudem noch individuelle, nicht-finanzielle Faktoren wie Gesundheit oder Bildung sowie gesellschaftlich bedingte Faktoren wie beispielweise die Möglichkeit nach politischer oder gesellschaftlicher Teilhabe oder der Informationsmöglichkeit an (Hauser 2008: 97). Ebenso vertritt die Bundesregierung sowohl in ihrem zweiten als auch im dritten Armuts- und Reichtumsbericht diese Position (Bundesregierung 2005 und 2008). Beide Ansätze kommen jedoch zu keiner konkreten Definition von Armut. Das Problem, das weiterhin bestehen bleibt, ist die Gewichtung der einzelnen Indikatoren.
2.4. Kinderbezogener Armutsgriff
In der Bundesrepublik Deutschland gehörte Kinderarmut lange Zeit zu den ignorierten Themen (Zander 2009: 93). Kinder und Jugendliche wurden nur als „Armutsrisiko“, Mitbetroffene oder Ursachen von familiärer Einkommensarmut thematisiert (Chassé; Zander; Rasch 2007: 39). Darüber hinaus blieben die Fragen sowohl nach den Auswirkungen von
Armut auf Kinder und Jugendliche sowie die Perspektiven von armen Kindern und Jugendlichen unbeantwortet. Erst seit Ende des letzten Jahrhunderts wurde Kinderarmut zu einem Thema, das Politik und Wissenschaft gleichermaßen beschäftigt (Zander 2009: 93). Um Kinderarmut zu messen, wurde lange Zeit das Einkommen der Eltern herangezogen. Dieser - bereits oben ausgeführte - Ressourcenansatz ist wenig sinnvoll, da hierbei nicht ermittelt werden kann, wie viel Geld letzten Endes dem Kind zu Gute kommt (Butterwegge; Klundt; Belke-Zeng 2008: 127).
2.4.1. Die Begriffe „Kinder“, „Jugendliche“ und „junge Volljährige“
Der Begriff „Jugend“ ist im Allgemeinen ein Wort aus dem Alltag und bezeichnet in erster Linie eine Lebensphase im Übergang zwischen der Kindheit und dem Erwachsensein (Scherr 2009: 17). Allerdings gibt es in den verschiedenen Wissenschaften (Soziologie, Pädagogik und Psychologie) für ihn keine einheitliche Definition. Das Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII), das die gesetzliche Grundlage für Kinder und Jugendhilfe bildet, unterscheidet in §7 zwischen drei Altersgruppen.
1. Kinder, also Personen unter 14 Jahren, 2. Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren und 3. junge Volljährige zwischen 18 und 27 Jahren (SGB VIII § 7). Aus diesem Grund umfassen Jugendstudien eine breite Altersspanne, jedoch arbeitete die 15. Shell-Jugendstudie von 2006 mit einer Personengruppe zwischen 12 und 25 Jahren. Der DJI3 -Jugendsurvey von 1992 und 1997 arbeitete mit 16 bis 29-Jährigen und der DJI-Jugendsurvey von 2003 mit 12 bis 29Jährigen, die UNICEF-Studie hingegen mit Kindern und Jugendlichen zwischen 0 und 17 Jahren. Die AWO-ISS4 -Studie aus dem Jahr 2000 beschäftigt sich generell mit Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Wie also an den ausgewählten Beispielen ersichtlich wird, können keine pauschalen Aussagen über Kinder oder Jugendliche getroffen werden. Deshalb spielen in der Soziologie besonders „die Lebenslage bzw. Lebensphase im Hinblick auf gesellschaftliche Bedingungen des Heranwachsenden“ (Scherr 2009: 17) eine besondere Rolle. Hinsichtlich dieses Aspekts definiert Albert Scherr „Jugend“ als „eine gesellschaftlich institutionalisierte und intern differenzierte Lebensphase, deren Abgrenzung sowie Verlauf und Ausprägung [...] durch soziale [...] Bedingungen und Einflüsse bestimmt ist. Jugend [...] umfasst unterschiedliche [...] differenzierte Jugenden“(Scherr 2009: 24f).
2.4.2. Der AWO-ISS- Kinderarmutsbegriff
In der AWO-ISS-Studie „Gute Kindheit - Schlechte Kindheit“ aus dem Jahre 2000 wurde versucht ein kindgerechtes Armutskonzept zu entwickeln. Hierbei kam es wie beim Lebenslagenansatz darauf an einen mehrdimensionalen Zugang zu finden. Dieser sollte sich nicht nur auf die rein materielle Lage der Familie des Kindes, sondern vor allem auf die Lebenslage und Lebenssituation des Kindes beziehen. Die Leitfrage lautete, „Was kommt (unter Armutsbedingungen) beim Kind an?“ (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. 2000: 27f). Um ein kindgerechtes Armutskonzept zu entwickeln, mussten zunächst einige Grundbedingungen festgelegt werden (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. 2000: 28).
- Die Definition muss vom Kind ausgehen, um somit die speziellen Lebenssituationen der untersuchten Altersgruppen, die anstehenden Entwicklungen und die subjektive Wahrnehmung zu berücksichtigen.
- Des Weiteren ist es notwendig, den familiären Zusammenhang und die Gesamtsituation des Haushaltes einzubeziehen, da die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen in den meisten Bereichen direkt von denen der Eltern abhängig ist.
- Ebenso muss eine Armutsdefinition zwingend mehrdimensional sein. Allein das Einkommen der Eltern zu berücksichtigen geht an der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen vorbei. Die gewählten Dimensionen müssen geeignet sein, etwas über die Entwicklung und Teilhabe der Betroffenen aussagen zu können.
- Letztlich darf Armut nicht als Sammelbegriff für benachteiligte Kinder und Jugendliche gelten. Nur wenn eine materielle Mangellage der Familie vorliegt, kann von Armut gesprochen werden.
Die Dimensionen, die berücksichtigt werden müssen, um die Entwicklungsbedingungen und - möglichkeiten armer Kinder zu bewerten, sind (1) die materielle Situation des Haushaltes des Kindes sowie (2) die materielle Versorgung des Kindes selbst; hier sind beispielsweise Faktoren wie Wohnen, Kleidung und Nahrung zu berücksichtigen. (3) Die kulturelle und (4) soziale Versorgung spielen ebenso wie (5) die psychische und physische Lage des Kindes eine weitere Rolle (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. 2000: 28f).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. 2000 : 28)
Hieraus ergibt sich folgende Definition für Kinderarmut: „Von Armut wird immer und nur dann gesprochen, wenn ,familiäre Armut’ vorliegt [...]. Kinder, bei denen zwar Einschränkungen beziehungsweise eine Unterversorgung in den genannten Lebenslagedimensionen festzustellen sind, jedoch keine familiäre Armut vorliegt, sind zwar als ,arm dran’ oder als benachteiligt zu bezeichnen, jedoch nicht als ,arm’“ (Bundesverband Arbeiterwohlfahrt e.V. 2000: 29). Grundbedingung dieser Definition ist, dass familiäre Armut, also das Unterschreiten einer relativen Einkommensgrenze (in diesem Fall 50% des durchschnittlichen Einkommens) vorliegen muss. Nur wenn diese erste Bedingung erfüllt ist, kann davon gesprochen werden, dass das Kind arm ist.
Somit wird folglich bei der Definition von Kinderarmut anerkannt, dass Armut mehr als nur ein Mangel an finanziellen Mitteln bedeutet. Jedoch wird im Folgenden ein Armutsbegriff gewählt, der sich lediglich auf die Dimension des Einkommens der Familien beschränken wird, da Kinder besonders dann von Armut betroffen sind, wenn die Familien nur über begrenzte materielle Ressourcen verfügen.
3. Empirische Datenlage
Das dritte Kapitel dieser Arbeit beschäftigt sich in erster Linie mit dem Ausmaß von Armut und Kinderarmut. Hierzu wird als Ausgangslage für weitere Überlegungen zunächst auf die Berechnung des bereits erwähnten Nettoäquivalenzeinkommens eingegangen, um anschließend exemplarische Zahlen als Ansatzpunkt für weitere Überlegungen heranziehen zu können Anschließend soll in einem kurzen Überblick die allgemeine Entwicklung der Armut in Deutschland dargestellt werden, bevor das Augenmerk auf die Kinderarmut im internationalen Vergleich der OECD-Länder5 gelegt wird. Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit einem Überblick speziell über die Entwicklung der Kinderarmut in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei der Definition von Armut in Deutschland letztlich nur der Begriff der relativen Armut angewendet werden kann. Um das Maß der Kinderarmut zu messen, wird sich nachfolgend allerdings lediglich auf die Dimension des Einkommens der Eltern bezogen; also ein eindimensionaler Armutsbegriff angewendet, da Familien besonders dann von Armut gefährdet sind wenn sie nur über geringe materielle Ressourcen verfügen.
3.1. Das Nettoäquivalenzeinkommen
Um die Einkommenssituation von Haushalten verschiedener Größe und Zusammensetzungen vergleichen zu können, werden alle Haushaltseinkommen in so genannte Äquivalenzeinkommen umgerechnet. Diese Berechnung ist inzwischen europaweit vereinheitlicht und wird mit Hilfe der OECD-Skala berechnet. Das Nettoäquivalenzeinkommen „ergibt sich aus dem Haushaltsnettoeinkommen dividiert durch die Summe der Äquivalenzgewichte der Haushaltsmitglieder“ (Hauser 2008: 101). Diese Gewichtung ist notwendig, da bei gemeinsamen Haushalten auch immer Einsparungen getroffen werden können; ebenso müssen die geringeren Bedürfnisse von Kindern berücksichtigt werden (ebd.). Bei der Berechnung der Äquivalenzgewichte wird dem Haushaltsvorstand der Faktor 1 zugewiesen, jeder weiteren Person ab 14 Jahren der Faktor 0,5 und allen Haushaltsmitgliedern unter 14 Jahren der Faktor 0,3. Das durchschnittliche Nettoäquivalenzeinkommen der deutschen Haushalte sank zwischen 2002 und 2005 um 2,5% von 19.255 Euro auf 18.778 Euro (Bundesregierung 2008: 17).
Die nachfolgende Tabelle zeigt die 60%-Armutsschwellenwerte für verschiedene Haushaltstypen in Deutschland aus dem Jahr 2007. Die ermittelte Armutsschwelle für alleinstehende Personen lag im Jahr 2007 bei 924 Euro.
Abb. 2: Armutsschwellenwert für Familien in Deutschland 2007
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(BMFSFJ 2010: 54)
Im Vergleich hierzu liegen die Hartz IV - Bezüge für Alleinstehende bei 359 Euro pro Monat plus Miet- und Heizkostenzuschuss von 317 Euro monatlich, also insgesamt bei 676 Euro.
Abb. 3: Haushaltseinkommen nach ALGII
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(BMAS: 2010: 86)
Wie in Abbildung 3 zu sehen ist, liegen im Vergleich die Einkommen mit Arbeitslosengeld II unter dem errechneten Armutsschwellenwert von 60%.
Auf die Regelsätze des Arbeitslosengelds II, deren Zusammensetzung und die anhaltende Kritik wird im Laufe der Arbeit noch expliziter eingegangen.
3.2. Allgemeine Daten zur Armut in Deutschland
Seit Ende der 1970er Jahren nimmt die Armut in Deutschland zu. Nachdem die kriegsbedingt hohe Armutsquote sank, blieb sie in den 70er Jahren konstant niedrig, stieg aber noch im selben Jahrzehnt wieder an. Auf Grundlage der Daten des sozioökonomischen Panels (SOEP) lässt sich die Entwicklung der Einkommensarmut in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre verfolgen. Im Jahr 1984 beginnt die Datenerhebung auf einem hohen Niveau, nimmt bis Ende der 1980er Jahre wieder leicht ab und folgt in den 1990er Jahren den konjunkturellen Schwankungen. Etwa seit der Jahrtausendwende lässt sich ein konstanter Anstieg der Einkommensarmut beobachten, wobei hier besonders bemerkenswert ist, dass dieser Anstieg monoton und ohne konjunkturelle Schwankungen verläuft. Zwischen 1999 und 2006 stieg die Armutsquote jährlich an (Groh-Samberg 2010: 10).
Zur Vereinfachung sind die Zahlen in der nachfolgenden Abbildung noch einmal Zusammengefasst.
Abb. 4: Armutsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die folgenden Daten beziehen sich auf das Haushaltsnettoeinkommen der gesamten Bevölkerung und stammen aus dem Datenreport des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahre 2008. Zwischen den Jahren 2001 und 2006 stieg die Armutsquote in Deutschland von 11,4% auf 13,9%. Statistisch sind Frauen häufiger von Armut betroffen als Männer. Mit zunehmendem Alter sinkt das Risiko von Armut betroffen zu sein. In der Altersgruppe zwischen 61 und 70 Jahren ist die Armutsquote am niedrigsten, wohingegen diese in der Altersgruppe von 21 bis 30 Jahren den höchsten Wert aufweist. Verheiratete und Zusammenlebende sind am geringsten von Armut betroffen, dagegen hat sich das Armutsrisiko bei Ledigen oder Geschiedenen enorm erhöht (von 13,9% bei Ledigen bzw. 19,7% bei Geschiedenen im Jahr 2001 auf 18,5% bzw. 26,9% im Jahr 2006).
Für Personen ohne Bildungsabschluss oder mit niedrigem Bildungsabschluss hat sich das Armutsrisiko im Jahr 2006 im Vergleich zum Jahr 2001 noch weiter erhöht, allerdings stieg auch das - im Jahr 2001 sehr niedrige - Armutsrisiko von Personen mit hohem Bildungsabschluss leicht an. Die höchste Armutsbetroffenheit findet sich nach wie vor bei Arbeitslosen. In dieser Gruppe stieg die Armutsbetroffenheit von 39,9% im Jahr 2001 auf 57% im Jahr 2006. Innerhalb der beruflichen Statusgruppe liegt die höchste Armutsquote bei Auszubildenden und ungelernten ArbeiternInnen. Ihre Armutsquote hat sich seit 2001 um 5% erhöht. Auch bei FacharbeiternInnen und einfachen Angestellten hat sich das Armutsrisiko zum Teil deutlich erhöht. Im Gegenzug sank die ohnehin schon sehr niedrige Armutsquote bei Beamten und leitenden Angestellten weiter.
Gliedert man nun die Armutsbetroffenheit nach einzelnen Haushaltstypen so fällt auf, dass das niedrigste Armutsrisiko bei Paarhaushalten ohne Kinder zu finden ist. Besonders von Armut betroffen sind Single- oder Einelternhaushalte, wobei jeder dritte Einelternhaushalt betroffen ist. Ebenso erreicht Armut vor allem junge Familien und Familien mit Kindern (Goebel; Habich; Krause 2008: 168ff).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich das im Vergleich zum Jahr 2001 gestiegene Armutsrisiko in Deutschland ungleich verteilt. Während Armut besser Qualifizierte, Kinderlose und ältere Menschen kaum tangiert, hat sich das Armutsrisiko von schlecht Qualifizierten, kinderreichen Familien und jungen Menschen zum Teil drastisch verschlechtert.
Jedoch stellt diese Entwicklung, wie bereits beschrieben, nichts Neues dar. Auch bei den Einkommenspositionen bleiben die Strukturen über die Jahre hinweg gesehen stets stabil. Seit Beginn der 1980er Jahre weisen Zweipersonenhaushalte ohne Kinder die höchste Einkommensposition auf. Auch Paarhaushalte mit Kindern liegen bei der Einkommensverteilung konstant nur leicht unterhalb des Bevölkerungsdurchschnitts. Im Gegensatz hierzu gab es allerdings große Veränderungen bei Alleinerziehenden. Konnten diese in den 80er und zu Beginn der 1990er Jahre ihre Einkommensposition verbessern, verschlechterte sich diese seit Mitte der 90er Jahre. Gegenläufig ist die Entwicklung bei
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1 Die UNICEF-Studie Child Poverty in Rich Countries sowie das Konzept der AWO-ISS-Studie rechnen jeweils mit einer Grenze von 50%, wohingegen das Statistische Bundesamt mit einer 60%-Grenze rechnet.
2 Auf die Berechnung des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens wird in Kapitel 3 noch detaillierter eingegangen.
3 Die DJI-Jugendstudie ist eine Studie des deutschen Jugendinstitut e.V. (DJI) mit Sitz in München.
4 Die AWO-ISS-Studie ist eine Studie des Frankfurter Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) im Auftrag der Arbeiterwohlfahrt (AWO).
5 Die OECD ist eine Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Inzwischen sind 34 Staaten darin vertreten.
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- Jens Hundertmark (Author), 2011, Strategien gegen Kinderarmut - Agenda 2010, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/189234
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