In der vorliegenden Arbeit soll das Thema „Katholiken in der DDR“ behandelt werden. In den Jahren zwischen 1945 und 1989 gelangte erstmals in der deutschen Geschichte eine kommunistische Regierung an die Macht. Infolge der kommunistischen, marxistisch-leninistischen Ideologie, welche die Existenz Gottes leugnet und somit die Institution Kirche als überflüssig und überholt betrachtet, entwickelte sich in der DDR eine feindliche Rivalität zwischen Kirche und Staat. Diese äußerte sich auf vielfältige Weise in unterschiedlichen Arten von Konflikten. Doch obwohl die katholischen Christen in der DDR eine absolute Minorität darstellten, gewann die katholische Kirche in diesem Konflikt an politischer Bedeutung.
Neben der Ausarbeitung wissenschaftlich fundierter Quellen zu diesem Thema, sollen die von der Autorin gesammelten, empirischen Daten die eigentliche Basis der Arbeit darstellen, da sich die grundlegende Fragestellung auf die Bedingungen und Lebensweisen der Katholiken in der DDR selbst bezieht. Dazu wurden von der Autorin eine Reihe persönlicher Interviews mit Zeitzeugen verschiedener Altersgruppen durchgeführt, die einen konkreten Einblick in das private Leben der Katholiken in der DDR ermöglichen sollen.
Nach dem Prinzip der Oral History in Bezug auf Alltagsgeschichte wurden die Interviews als qualitative bzw. narrative Befragungen mit viel Freiraum für die Interviewpartner hinsichtlich individueller Assoziationen und Exkurse durchgeführt. Die Übersicht bezieht sich auf größere Themengebiete, wie z.B. das Leben in der Familie, die religiöse Sozialisation, Frömmigkeit sowie selbstverständlich die persönlichen Erfahrungen und Empfindungen gegenüber der sozialistischen DDR. Die durchgeführten Befragungen wurden vollständig mittels eines Tonbandgerätes aufgezeichnet und anschließend verschriftlicht.
Bei der Auswahl der Interviewpartner wurden in erster Linie die Bewohner des Landkreises Eichsfeld im Norden Thüringens berücksichtigt. Diese Entscheidung beruht auf der besonderen historischen Entwicklung dieser Region. Zum einen soll der Blick auf den dortigen Katholizismus und der bis heute existierenden, dortigen Diasporasituation gelenkt werden. Zum anderen war das so genannte "Schwarze Eichsfeld" der größte zusammenhängende katholisch geprägte Landstrich der DDR, der überdies teilweise im Grenzgebiet gelegen war.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Rahmenbedingungen
1.1 Politische Ausgangslage für Religionsgemeinschaften in der DDR
1.2 Rechtliche Grundlagen für Religionsgemeinschaften in der DDR
1.3 Die Kirchenpolitik der SED
1.4 Die Organisation und Struktur der katholischen Kirche in der DDR
2. InterviewpartnerInnen
2.1 Alter
2.2 Geschlecht
2.3 Beruf
3. Auswertung der Interviews
3.1 Sozialisation und Frömmigkeit
3.1.1 Das religiöse Leben in der Familie
3.1.2 Der Religionsunterricht
3.1.3 Das Verhältnis der Gemeinde zum Pfarrer
3.1.4 Sozialisationsprozesse in Schule, Studium und Beruf
3.2 Sexualität
3.3 Divergierende Initiationsriten
3.4 Eindrücke aus dem Leben der Katholiken in der DDR
Fazit
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG
Einleitung
In der vorliegenden Arbeit soll das Thema „Katholiken in der DDR“ behandelt werden. In den Jahren zwischen 1945 und 1989 gelangte erstmals in der Geschichte Deutsch- lands eine kommunistische Regierung an die Macht. Infolge der kommunistischen, marxistisch-leninistischen Ideologie, welche die Existenz Gottes leugnet und somit die Institution Kirche als überflüssig und überholt betrachtet, entwickelte sich in der DDR eine feindliche Rivalität zwischen Kirche und Staat. Diese äußerte sich auf vielfältige Weise in unterschiedlichen Arten von Konflikten. Doch obwohl die katholischen Chris- ten in der DDR eine absolute Minorität darstellten, gewann die katholische Kirche in diesem Konflikt an politischer Bedeutung.
Die Forschungslage zur katholischen Kirche in der DDR ist sehr vielseitig und reichhaltig. Zur aktuellsten Literatur zu diesem Thema zählen jedoch nur noch die Werke, die nach dem Jahr 1990 entstanden. Die Hauptliteratur, auf die sich die vor- liegende Arbeit stützt, stammt von Bernd Schäfer und trägt den Titel Staat und katholische Kirche in der DDR. Weiterhin existiert ein aufschlussreicher Band, in dem Dokumente und öffentliche Äußerungen der katholischen Kirche und des Staates der DDR gesammelt sind, die in den Jahren zwischen 1945 und 1990 getätigt wurden: Katholische Kirche - Sozialistischer Staat DDR. Schließlich bildet ein Heft ohne Ver- fasserangaben aus dem Jahr 1964 die Quelle für die offizielle Taktik der Kirchenpolitik der SED: Christentum und Sozialismus heute. Ausführliche Fassung des Gesprächs des Vorsitzendes des Staatsrates der DDR, Walter Ulbricht, mit Landesbischof D. Dr. Moritz Mitzenheim auf der Wartburg bei Eisenach am 18. August 1964 und weitere wichtige Materialien. Grundsätzlich sollen diese Werke den literarischen Teil der vor- liegenden Arbeit strukturieren.
Die Basis dieser Arbeit stellen jedoch die gesammelten empirischen Daten dar, da sich die grundlegende Fragestellung auf die Bedingungen und Lebensweisen der Katholiken in der DDR selbst bezieht. Dazu wurden eine Reihe von Interviews durchgeführt, die einen konkreten Einblick in das private Leben der Katholiken in der DDR ermöglichen sollen.
Nach dem Prinzip der Oral History in Bezug auf Alltagsgeschichte wurden die Interviews als qualitative bzw. narrative Interviews mit viel Freiraum für die Interview- partner hinsichtlich individueller Assoziationen und Exkurse durchgeführt. Wie Hubert Knoblauch in seinem Buch Qualitative Religionsforschung verdeutlicht, eignen sich narrative und biographische Interviews besonders gut für die Erforschung von Religion. Die narrativen Interviews zielen speziell auf die Rekonstruktion der subjek- tiven Perspektive zu einem Thema ab. Aufgrund der methodischen Besonderheiten des narrativen Interviews wurden die Erzählaufforderungen meist sehr allgemein gehalten. Trotzdem beruhen die Interviews auf einer Art Gesprächsleitfaden bzw. einem Themen-Mindmap, welches jedoch während der Interviews sehr flexibel angewandt und an die Interviewpartner angepasst werden konnte. Die Übersicht bezieht sich auf größere Themengebiete, wie z.B. das Leben in der Familie, die religiöse Sozialisation, Frömmigkeit sowie selbstverständlich die persönlichen Erfahrungen und Empfindungen gegenüber der sozialistischen DDR. Die durchge- führten Befragungen wurden vollständig mittels eines Tonbandgerätes aufgezeichnet und anschließend verschriftlicht.*
Bei der Auswahl der Interviewpartner wurden in erster Linie die Bewohner des Landkreises Eichsfeld im Norden Thüringens berücksichtigt. Diese Entscheidung beruht auf der besonderen historischen Entwicklung dieser Region. Zum einen soll der Blick auf den dortigen Katholizismus und der bis heute existierenden, dortigen Diasporasituation gelenkt werden. Zum anderen war das Eichsfeld der größte zusammenhängende katholisch geprägte Landstrich der DDR, der überdies teilweise im Grenzgebiet gelegen war. Obwohl die SED mit ihrem Eichsfeldplan1 großen wirt- schaftlichen Einfluss ausübte, mussten die „Kommunisten erfahren, daß die katholische Mentalität und Lebensweise der Eichsfeld-Bevölkerung nicht so leicht umzukrempeln“2 war: Heinz Siebert beschreibt das „schwarze Eichsfeld“3 in seinem Werk Das Eichsfeld unter dem Sowjetstern daher auch als „die harte Nuß in der sozialistischen DDR“4.
1. Rahmenbedingungen
1.1 Politische Ausgangslage für Religionsgemeinschaften in der DDR
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges übernahm die Sowjetische Militärad- ministration in Deutschland (SMAD) im Juni 1945 die Verwaltung der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Im April 1946 vereinigten sich schließlich unter sowjetischem Druck die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), die das Land für die nächsten 40 Jahre regieren sollte.5 Im Oktober 1949 erfolgte die offizielle Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), deren Regierung wenige Wochen später die Verwaltungshoheit des Landes übernahm.6
Die ideologische Basis der SED bildete die marxistisch-leninistische Lehre, welche die Sowjetunion bereits Mitte der 1920er Jahre zur offiziellen Staatsdoktrin erklärte. Jene Weltanschauung wurde durch die deutschen Philosophen und Gesellschaftstheoretiker Karl Heinrich Marx und Friedrich Engels entwickelt, durch den Theoretiker und Politiker Wladimir Iljitsch Uljanow alias Lenin maßgeblich weiterentwickelt und durch den Diktator Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili alias Josef Stalin in der Sowjetunion schließlich politisch durchgesetzt.7
Die philosophische Grundlage der marxistisch-leninistischen Ideologie bildet der Materialismus, welcher als praktische Anleitung zum Aufbau des Sozialismus und Kommunismus verstanden wird. In diesem Sinne verstand sich die DDR als sozialistischer Arbeiter- und Bauernstaat, der kontinuierlich daran arbeitete, den Auf- bau des Sozialismus und Kommunismus im Land voranzutreiben.8 Die Religionsauffassung führender Vertreter des Marxismus-Leninismus verdient an dieser Stelle besondere Aufmerksamkeit. Sie bildet die wesentliche Handlungs- grundlage der sozialistischen Regierung der DDR im Umgang mit der christlichen Bevölkerung des Landes.
Folgendes Zitat macht die Auffassung des antitheistischen Gesellschaftstheoretikers Lenin von Gott, Religion und Kirche deutlich:
„ Jede religiöse Idee, jede Idee von einem Gott, ja selbst das Liebäugeln mit der Idee von einem Gott ist eine unaussprechliche Abscheulichkeit gefährlichster Art. “9
Auch der von Lenin oft zitierte Ausspruch Marx' „Die Religion ist das Opium des Volkes.“10 wurde zu einer der bekanntesten antitheistischen Leitsprüche der neueren Geschichte. Die Religionsauffassung Stalins stellt das ideologische Erbe Lenins dar:
„ Antireligiöse Propaganda ist das Mittel, durch welches die völlige Liquidierung des reaktionären Klerus bewerkstelligt werden muss. “11
Ebenfalls der von 1950 bis 1971 amtierende Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und somit Regierungschef der DDR, Walter Ulbricht, kommentiert das Thema wie folgt:
„ Ist das etwa Erziehung der Jugend zum freien selbstständigen Denken, wenn von den Jugendlichen im Konfirmationsunterricht gefordert wird zu glauben, da ß sie von überirdischen Wesen geschaffen worden seien? “12
Im Bezug auf die Pionierorganisation Ernst Thälmann, einer politischen Massenorganisation für Kinder, die dem sozialistischen Jugendverband der Freien Deutschen Jugend (FDJ) angegliedert war und ein paralleles Erziehungssystem zur Schule darstellte, ist Ulbricht der Auffassung: „Ein Pionier lehnt Mystik und Aberglauben ab. Darum nimmt er auch an der Jugendweihe teil.“13
Mit diesen und vielen weiteren diffamierenden Äußerungen sahen sich die christlichen Kirchen in der DDR konfrontiert, obgleich doch ihre Mitglieder den überwiegenden Teil der Bevölkerung ausmachten: Von den insgesamt 17,1 Millionen Menschen der DDR gehörten 15 Millionen Menschen der evangelischen und 1,9 Millionen Menschen der katholischen Kirche an.14 Dies stellt eine klassische Diasporasituation für die Katho- liken in der DDR dar.
Im Folgenden sollen die rechtlichen Grundlagen für Religionsgemeinschaften in der DDR sowie die tatsächliche kirchenpolitische Haltung der SED anschaulich gemacht werden.
1.2 Rechtliche Grundlagen für Religionsgemeinschaften in der DDR
Die Deutsche Demokratische Republik besaß in ihrer 40-jährigen Geschichte drei verschiedene Verfassungen, welche unterschiedliche Regelungen bezüglich der bestehenden Religionsgemeinschaften im Staatsgebiet beinhalteten. Die Verfassung der DDR von 1949 behandelt das Thema V. Religion und Religionsgemeinschaften unter Punkt B. Inhalt und Grenzen der Staatsgewalt mit insgesamt acht Artikeln noch sehr ausführlich:
In § 1 des Artikels 41 wird die „volle Glaubens- und Gewissensfreiheit“15 sowie die „ungestörte Religionsausübung“16 unter den „Schutz der Republik“17 gestellt. In § 2 „bleibt das Recht der Religionsgemeinschaften, zu den Lebensfragen des Volkes von ihrem Standpunkt aus Stellung zu nehmen, unbestritten“18, jedoch dürfen „Einricht- ungen von Religionsgemeinschaften, religiöse Handlungen und der Religionsunterricht [...] nicht für verfassungswidrige oder parteipolitische Zwecke mißbraucht werden.“19. In Artikel 42 wird die Religionsausübung in Bezug zu den staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten geregelt: Diese dürfen durch die Ausübung der Religion „weder bedingt noch beschränkt“20 werden. Außerdem sind die „Ausübung privater oder staatsbürgerlicher Rechte oder die Zulassung zum öffentlichen Dienst […] unabhängig von dem religiösen Bekenntnis“21 eines Staatsbürgers. Zudem darf niemand dazu gezwungen werden, „seine religiöse Überzeugung zu offenbaren“22 sowie an einer „kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder […] religiösen Übung[...]“23 teilzunehmen. Artikel 43 regelt das Verhältnis der Religionsgemeinschaften zum öffentlichen Recht: „Es besteht keine Staatskirche.“24 ; „Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig nach Maßgabe der für alle geltenden Gesetze.“25 Außerdem bleiben die Religionsgemeinschaften „Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie es bisher waren“26. Weiterhin werden diese öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften dazu berechtigt, „von ihren Mitgliedern Steuern auf Grund der staatlichen Steuerlisten nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen zu erheben“27. Abschließend werden Religionsgemeinschaften „Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen“28.
In Artikel 44 wird das „Recht der Kirche auf Erteilung von Religionsunterricht in den Räumen der Schule [...] gewährleistet“29. Außerdem wird der Religionsunterricht „von den durch die Kirche ausgewählten Kräften erteilt“30. „Über die Teilnahme am Religionsunterricht bestimmen die Erziehungsberechtigten.“31
In Artikel 45 werden weiterhin den Religionsgemeinschaften öffentliche Leistungen gestrichen32 ; das Recht auf Eigentum wird jedoch gewährleistet33. Religiöse Handlungen sind ferner laut Artikel 46 dem „Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge in Krankenhäusern, Strafanstalten oder anderen öffentlichen Anstalten“34 anzupassen; Artikel 47 behandelt den Austritt aus einer Religionsgemeinschaft35 ; Artikel 48 regelt letztlich „die Entscheidung über die Zugehörigkeit von Kindern zu einer Religionsgemeinschaft“36.
Schaut man sich demgegenüber die Verfassung der DDR von 1968 bezüglich der Religionsgemeinschaften an, so stellt man schnell fest, dass der eben ausführlich dargelegte Passage erheblich reduziert wurde: Der Abschnitt V. wurde auf einen Artikel gekürzt und als Artikel 39 unter dem Bereich Bürger und Gemeinschaften in der sozialistischen Gesellschaft in das Kapitel Grundrechte und Grundpflichten der Bürger integriert. Im § 1 heißt es nun hierin:
„ Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszu üben. “37
Im § 2 ist zu lesen:
„ Kirchen und andere Religionsgemeinschaften ordnen ihre Angelegenheiten und üben ihre Tätigkeit aus in übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Be stimmungen der Deutschen Demokratischen Republik. Näheres kann durch Vereinbarungen geregelt werden. “38
An dieser Stelle fällt auf, dass fast alle der noch 1949 gesetzlich verankerten Rechte der Religionsgemeinschaften grundlegend einfach wegfallen. Die überarbeitete Version der Verfassung von 1968, die Fassung von 1974, enthält bezüglich der Religionsgemeinschaften keine Änderungen.39
Zusammenfassend ist hier festzuhalten, dass in jeder Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik ein konstantes Recht auf Glaubens- und Religionsfreiheit sowie freie Religionsausübung garantiert wurde.
1.3 Die Kirchenpolitik der SED
Sich auf die materialistische Ideologie stützend, betrachtete die große Mehrzahl der Kommunisten Religionen als aussterbendes Phänomen. Kirchenpolitik in der DDR war demnach eine komplizierte Angelegenheit: Die Auseinandersetzung mit einem Objekt, dessen Verschwinden man fördern wollte, welches aber dennoch politische Relevanz demonstrierte, gestaltete sich als widersprüchlicher Sachverhalt. Zwei taktische Varianten, „die jedoch grundsätzlich nur in Kombination auftraten“40, kennzeichneten die kirchenpolitische Haltung in der DDR: Die durch Überwachung und Repression gekennzeichnete Sicherheitspolitik auf der einen Seite stand der konzilianten Bündnispolitik auf der anderen Seite gegenüber. Jedoch „Überwachung, Kontrolle und Repressionsmöglichkeit waren bis 1989 die durchgängigen Voraussetzungen, um der SED-Kirchenpolitik taktische Spielräume zu ermöglichen.“41
Vor der Gründung der DDR, in der SBZ, spielten die Offiziere der SMAD eine wesentliche Rolle in der Kirchenpolitik. Bis zur offiziellen Staatsgründung waren sie die eigentliche Autorität. Erst nach der SED-Regierungsübernahme verschoben sich die Kompetenzbereiche: Von nun an beschäftigte sich das DDR-Politbüro des Zentralkomitees unter Zuarbeit des Kleinen Sekretariats von Walter Ulbricht mit den Kirchenangelegenheiten. Auch das 1950 gegründete Ministerium für Staatssicherheit (MfS), im Volksmund Stasi genannt, war dem Parteiapparat der SED unterstellt und somit ebenfalls zur Mitarbeit in Kirchenfragen gebunden.
Im MfS waren Kirchenfragen zunächst als „Sachgebiet Kirchen“42 der Hauptverwaltung in Berlin zugeordnet. Im Jahr 1952 wurde dieser Zuständigkeitsbereich an die Abteilung V der „Deutschen Verwaltung des Innern“43 übergeben, welche „detaillierte, Aufgaben zur geheimdienstlichen Vorgehensweise gegen die Kirchen“44 übernahm.
Politbüro, Sekretariat und Parteiapparat der SED steuerten somit die Kirchenpolitik unter Beihilfe des MfS im Hintergrund, während offiziell die „Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen“45 unter dem stellvertretenden Ministerpräsidenten und CDU-Vorsitzenden Otto Nuschke die Verbindungsstelle zwischen Staat und Kirche darstellte.46
Im Bezug auf die Kirchenpolitik der DDR macht der Sozialwissenschaftler Bernd Schäfer an folgender Aussage deutlich, wie sehr sich die ideologische Koexistenz von Marxismus und Christentum eigentlich ausschließt:
„ Eine Integration von Christen in die SED sowie von Kirchen in die angestrebte neue Gesellschaftsordnung war letztlich nur mit deren absoluter Unterordnung unter politische und ideologische Vorgaben bei langfristiger Bereitschaft zur Aufgabe ihrer als überholt empfundenen religiösen Anschauungen vorstellbar. “47
Und doch liest man in dem offiziellen Schriftstück Christentum und Sozialismus heute, in der eine ausführliche Fassung eines Gesprächs zwischen dem Staatsrats- vorsitzenden Walter Ulbricht und dem Landesbischof Dr. Moritz Mitzenheim abgedruckt ist: „Das Christentum und die humanistischen Ziele des Sozialismus sind keine Gegensätze.“48
An dieser Stelle wird besonders die bereits erwähnte konziliante Variante der SEDKirchenpolitik unter Ulbricht deutlich. Gerald Götting, der stellvertretende Vorsitzende des Staatsrates der DDR, wird der politischen Richtung seines Vorgesetzten im Vorwort des verschriftlichten Gesprächs ebenfalls gerecht; hier nimmt er der Kirche gegenüber eine versöhnliche Haltung ein und lastet die komplizierten ideologischen Differenzen dem kapitalistischen Klassenfeind an:
„ Dem gemeinsamen Wirken von Christen und Marxisten standen anfangs mancherlei Schwierigkeiten entgegen, die sich dadurch ergaben, da ß staatliche und kirchliche Stellen von Westdeutschland aus alles taten, um in der Deutschen Demokratischen Republik Gegensätze zu schaffen und zu schüren. “49
Mit der Aussage, dass sich „zwischen Christen und Marxisten eine immer engere, vertrauensvolle Zusammenarbeit für Frieden und den Aufbau der neuen, sozia- listischen Ordnung“50 entwickele, werden im selben Vorwort bestehende Konflikte zudem verleugnet und überdies ideologische Gegensätzlichkeiten negiert:
„ Das Leben unserer Republik und die tägliche Arbeit haben uns Christen erkennen lassen, wie [ … ] sehr die christlichen Gebote der Friedensliebe, der Nächstenliebe und Brüderlichkeit mit den Interessen der ganzen sozialistischen Gesellschaft überein- stimmen. “51
Betrachtet man die Ausführungen dieses und gleichermaßen die des vorangegangen Kapitels über die Rechtsgrundlagen von Religionsgemeinschaften in der DDR, so kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Realisierung der Gesetze aufgrund der ideologischen Disparität von Marxismus und Christentum nie erreicht, offenbar auch niemals wirklich angestrebt wurde. Die Einrichtung von staatlichen Organen zur Überwachung der Kirchen und Kirchenmitglieder widerspricht in höchstem Maße den Grundsätzen der Glaubens- und Religionsfreiheit. Dement- sprechend spiegelte die Verfassung der DDR zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte die Wirklichkeit wieder.
Bevor nun die Auswertung der Interviews erfolgt, soll die Entwicklung der Struktur der katholischen Kirche in der DDR noch einmal deutlich gemacht werden.
1.4 Die Organisation und Struktur der katholischen Kirche in der DDR
In der SBZ befanden sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 sieben kirchliche Jurisdiktionsbezirke: Neben den zwei eigenständigen Bistümern Berlin und Meißen existierten fünf weitere, zunächst noch „unselbstständige Teile außerhalb der SBZ gelegener Bischofssitze (Breslau, Paderborn, Osnabrück, Fulda und Würz- burg)“52.
Das Bistum Berlin verlor aufgrund kirchenrechtlicher Regelungen seine östlich der Oder gelegenen Territorien. Bischof von Berlin blieb der seit 1935 amtierende Konrad Kardinal Graf von Preysing, welcher sich während des Zweiten Weltkrieges besonders für die Verfolgten des NS-Regimes eingesetzt hatte.53 Kardinal von Preysing verstand sich selbst jedoch nicht als Bischof des zur DDR gehörenden Stadtteils von Berlin. Er wollte „nicht als Sprecher der katholischen Kirche in einer von ihm nicht akzeptierten SBZ/DDR fungieren, sondern sich auf sein Bistum beschränken, das er wiederum weitgehend auf Westberlin beschränkte“54. Nach Preysings Tod im Jahr 1950 wurde der Magdeburger Weihbischof Wilhelm Weskamm sein Nachfolger. Ihm folgten bis 1989 der frühere Würzburger Bischof Julius Kardinal Döpfner, weiter Alfred Kardinal Bengsch und Joachim Kardinal Meisner.55
Das Bistum Meißen befand sich fast gänzlich auf dem Gebiet der SBZ. Ausnahmen stellten lediglich vier Pfarreien östlich der Neiße dar, „die unter die Jurisdiktion des polnischen Administrators von Breslau fallen sollten“56. Bischof des exemten Bistums Meißen mit Sitz in Bautzen war seit 1932 Petrus Legge. Nach dessen Tod im Jahr 1951 wurde der bisherige Koadjutor Heinrich Wienken sein Nachfolger. Ihm folgten Dr. Otto Spülbeck und Gerhard Schaffran bis 1988, seit 1989 Joachim Reinelt.57
Das Bistum Breslau umfasste ursprünglich weite Gebiete des heutigen Polen und Deutschland. Im Juli 1945 verstarb der bisherige Bischof des Bistums, Adolf Kardinal Bertram. Daraufhin wurde dem Kapitelsvikar Ferdinand Piontek der Vorstand übertragen; er wurde jedoch gleichzeitig zum Verzicht auf seine Jurisdiktion in den polnischen Gebieten gezwungen. Faktisch führte dies zur Teilung des Bistums Breslau: Die Gebiete des ehemaligen Bistums Breslau östlich der Oder-Neiße-Grenze wurden nun durch polnische apostolische Administratoren übernommen; die übrig gebliebenen deutschen Gebiete in der SBZ übernahm Piontek als Erzbischöfliches Amt Görlitz.58
Das Bistum Paderborn wurde von 1941 bis 1973 von Bischof Lorenz Kardinal Jaeger geleitet. Dem Bistum Paderborn angegliedert war das Erzbischöfliche Kommissariat Magdeburg, welches in der SBZ lag. Bischof Jaeger stattete den Kommissar in Magdeburg Wilhelm Weskamm bereits 1945 mit den Vollmachten eines Generalvikars aus. 1949 wurde Weskamm zweiter Weihbischof des Bistums Paderborn mit Sitz in Magdeburg; 1950 trat er, wie bereits erwähnt, das Bischofsamt in Berlin an. Sein Nachfolger als Weihbischof und erzbischöflicher Kommissar in Magdeburg wurde der Paderborner Generalvikar Friedrich Maria Rintelen.59
Das Bistum Osnabrück wurde in der Zeit von 1914 bis 1955 von Bischof Wilhelm Berning geleitet. Der Teil des Bistums Osnabrück, der auf der SBZ lag, wurde zum Bischöflichen Kommissariat Mecklenburg; 1946 wurde der Schweriner Pfarrer Bernhard Schräder zum Bischöflichen Kommissar ernannt. Die katholische Kirche in Mecklenburg war seitdem direkt dem Papst unterstellt; das Gebiet gehörte kirchenrechtlich jedoch weiterhin zum Bistum Osnabrück.60
Das Bistum Fulda wurde von 1939 bis 1958 von Bischof Johann Baptist Dietz geleitet. Dieser ernannte den Erfurter Probst Joseph Freusberg 1946 zum Generalvikar für die Teile des Bistums, die in der SBZ lagen. Sein Sitz war in Erfurt.61
Das in der SBZ liegende Bischöfliche Kommissariat Meinigen des Bistums Würzburg wurde 1949 vom Würzburger Bischof Julius Döpfner zum bischöflichen Dekanat erhoben. Dekan wurde Joseph Schönauer.62
Letztgenannte thüringische Gebiete der Bistümer Würzburg und Fulda wurden 1973 unter der Leitung des apostolischen Administrators Hugo Aufderbeck zum Bischöflichen Amt Erfurt-Meinigen mit Sitz in Erfurt zusammengeschlossen.63 Regelmäßige Konferenzen von Vertretern der Verwaltungsstellen führten schon 1950 zur Bildung „einer eigenen regionalen Bischofskonferenz der katholischen Kirche in der DDR unter der Leitung des Berliner Kardinals Konrad von Preysing“64. Die Berliner Ordinarienkonferenz (BOK) trat primär für die „Sicherung kirchlicher Seelsorge […] und der materiellen Versorgung in einem zerstörten und hungernden Land“65 ein.66 Angesichts der Situation, dass die Einfuhr religiöser Zeitschriften aus Westdeutschland „seitens der sowjetischen Behörden zunehmend durch ideologische Vorauswahl eingeschränkt“67 wurde, setzte sich die BOK ebenfalls für die Möglichkeit der Verbreitung religiösen Schrifttums ein. Erst 1951 zeigten die Bemühungen der BOK Wirkung: Ein eigenes zweiwöchiges Kirchenblatt der katholischen Kirche wurde in der DDR lizenziert. Zur Herausgabe des „Tag des Herrn“ wurde der katholische St. Benno- Verlag gegründet.68
[...]
1 Vgl. Siebert, Heinz: Das Eichsfeld unter dem Sowjetstern. Duderstadt: Mecke Druck und Verlag 1992. S. 233ff.
2 Siebert. S. 235.
3 Interview PW vom 16.04.2010.
4 Siebert. S. 237.
* Diese Interviews enthalten in erster Linie streng private Informationen und wurden ausschließlich vor dem Hintergrund der Zusicherung von Anonymität und Schutz der persönlichen Daten der befragten Teilnehmer durchgeführt. Dem entsprechend wird auf die Veröffentlichung der Interviewtranskriptionen in diesem Rahmen verzichtet. Sollte aus wissenschaftlichem Anlass tieferes In-teresse an den Transkriptionen bestehen, bittet die Verfasserin um eine persön-liche Kontaktaufnahme (heike_nolte@web.de).
5 Vgl. Mählert, Ulrich: Kleine Geschichte der DDR. München: Beck Verlag 2007. S. 26ff.
6 Vgl. Ebd. S. 53ff.
7 Vgl. Rommel, Kurt W.: Religion und Kirche im sozialistischen Staat der DDR. Diss. Kiel 1975. S. 13ff.
8 Vgl. Ebd.
9 Hermann, Friedrich-Georg: Der Kampf gegen Religion und Kirche in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Stuttgart: Quell-Verlag 1966. S. 37.
10 Ebd.
11 Ebd. S. 38.
12 Ebd. S. 40.
13 Ebd.
14 Vgl.: Geiger, Max: Christsein in der DDR. München: Chr. Kaiser Verlag 1975. S. 9ff.
15 Art. 41 (1) der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949. In: http://www.documentarchiv.de/ddr/verfddr1949.html. (Stand: 12.06.2010).
16 Ebd.
17 Ebd.
18 Art. 41 (2) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
19 Ebd.
20 Art. 42 (1) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
21 Art. 42 (2) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
22 Art. 42 (3) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
23 Art. 42 (4) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
24 Art. 43 (1) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
25 Art. 43 (2) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
26 Art. 43 (3) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
27 Art. 43 (4) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
28 Art. 43 (5) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
29 Art. 44 (1) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
30 Ebd.
31 Ebd
32 Vgl. Art. 45 (1) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
33 Vgl. Art. 45 (2) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
34 Art. 46 (1) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
35 Vgl. Art. 47 (1) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
36 Art. 48 (1) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949.
37 Art. 39 (1) der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968. In: http://www.documentarchiv.de/ddr/verfddr1968.html. (Stand: 12.06.2010).
38 Ebd.
39 Vgl. Art. 39 (1) der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968. In: http://www.documentarchiv.de/ddr/verfddr.html. (Stand: 12.06.2010).
40 Schäfer, Bernd: Staat und katholische Kirche in der DDR. 2. Aufl. Köln: Böhlau Verlag. 1999.
S. 31.
41 Ebd.
42 Ebd. S. 36.
43 Ebd.
44 Ebd.
45 Ebd. S. 37.
46 Vgl. Ebd. S. 31ff.
47 Schäfer. S. 40.
48 Christentum und Sozialismus heute. S. 85.
49 Ebd. S. 5.
50 Ebd. S. 5f.
51 Ebd. S. 7.
52 Schäfer. S. 58.
53 Vgl. Ebd.
54 Schäfer. S. 68.
55 Vgl. Ebd.
56 Schäfer. S. 58.
57 Vgl. Ebd.
58 Vgl. Ebd. S. 58f.
59 Vgl. Ebd. S. 59.
60 Vgl. Ebd.
61 Vgl. Ebd.
62 Vgl. Ebd.
63 Vgl. Ebd.
64 Schäfer. S. 59.
65 Ebd.
66 Vgl. Ebd.
67 Schäfer. S. 60.
68 Vgl. Ebd. S. 60f.
- Arbeit zitieren
- Heike Nolte (Autor:in), 2010, Katholiken in der DDR, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/189045
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