Karl Marx und Max Weber entwickelten zwei große konkurrierende Theorien über den sozialen Wandel, die auch heute noch in der Soziologie eine bedeutende Rolle spielen. Bei beiden steht die wissenschaftliche Untersuchung des modernen Kapitalismus im Mittelpunkt ihrer Werke. Der Autor dieser Arbeit setzt sich mit den jeweiligen Erklärungsansätzen von Marx und Weber zur Genese des Kapitalismus auseinander. Es geht also um diejenigen historischen und verursachenden Kräfte, mit denen Marx und Weber jeweils unterschiedlich die Entstehung des modernen Kapitalismus zu erklären versuchen. Dabei scheinen die Positionen von Marx als Begründer des historischen Materialismus und von Weber als Vertreter einer bürgerlichen Soziologie auf den ersten Blick weit auseinander zu liegen und gegensätzliche Pole zu markieren. Der Autor arbeitet die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Positionen heraus und kommt zu dem Ergebnis, dass die konkurrierenden Erklärungsmodelle von Marx und Weber zur Genese des Kapitalismus näher beieinanderliegen als man zunächst vermuten würde. Relativiert man die Tendenz zum ökonomischen Determinismus bei Marx und vermeidet man gleichzeitig eine einseitig idealistische Interpretation der Position von Weber, lassen sich beide Theorien, bei allen Unterschieden, durchaus sinnvoll kombinieren.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das Modell Max Webers
2.1 Der Begriff des Kapitalismus bei Weber
2.1.1 Ältere Formen des Kapitalismus
2.1.2 Der moderne okzidentale Kapitalismus
2.2 Bedingungen der Entstehung des Kapitalismus
2.2.1 Materielle bzw. Institutionelle Bedingungsfaktoren
2.2.2 Asketischer Protestantismus und „Kapitalistischer Geist“
2.2.2.1 Prädestinationsglaube und Rationalisierung der Lebensführung
2.2.2.2 Beruf und innerweltliche Sittlichkeit
2.2.2.3 Der Sektencharakter der reformierten religiösen Organisationen
2.2.2.4 Der Geist des Kapitalismus
2.3 Paradoxe Umbrüche
2.3.1 Paradoxie der Säkularisierung
2.3.2 Paradoxie der Rationalisierung
3 Das Modell von Karl Marx
3.1 Die Geschichte als eine Geschichte von Klassenkämpfen
3.2 Die sogenannte „ursprüngliche Akkumulation“
4 Die Modelle von Weber und Marx im Vergleich
4.1 Gemeinsamkeiten
4.1.1 Die neuen sozialen Werte des Kapitalismus
4.1.2 Die Verselbstständigung der Resultate menschlichen Handelns
4.2 Unterschiede
4.2.1 Idealismus versus Materialismus?
4.2.2 Zur Frage von immanenten Entwicklungslogiken der Geschichte
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Max Weber und Karl Marx entwickelten zwei große konkurrierende Theorien über den sozialen Wandel, die auch heute noch in der Soziologie eine bedeutende Rolle spielen. Bei beiden steht die wissenschaftliche Untersuchung des modernen Kapitalismus im Mittelpunkt ihrer Werke. Meine Arbeit beschäftigt sich in erster Linie mit ihren Erklärungsansätzen zur Genese des Kapitalismus und nicht mit ihren Erklärungsansätzen zu seiner Funktionsweise. Es geht also um diejenigen historischen und verursachenden Kräfte, mit denen Weber und Marx jeweils unterschiedlich die Entstehung des modernen Kapitalismus zu erklären versuchen.
Marx Gedanken zur Entstehung des Kapitalismus finden sich am ausführlichsten im Kapital, dessen erster Band im Jahre 1867 veröffentlicht wurde. Webers Auffassung zur Genese des Kapitalismus kristallisierte sich 1904 heraus, als er erstmals „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ veröffentlichte (Birnbaum 1973: S. 38f). Webers Werk ist also etwa ein halbes Jahrhundert später entstanden und basiert zumindest in Teilen auf der polemischen Auseinandersetzung mit Marx.
In Kapitel 2 und 3 stelle ich zunächst die beiden Erklärungsmodelle jeweils getrennt vor. Ich beschäftige mich dabei weit ausführlicher und genauer mit dem Modell Webers, eine ebenso ausführliche Darstellung des Modells von Marx hätte den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. In Kapitel 4 vergleiche ich die beiden Erklärungsmodelle miteinander, indem ich die wesentlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeite. Zum Teil reicht dieser Vergleich über die eigentliche Genese des modernen Kapitalismus hinaus und betrifft grundsätzliche Sichtweisen von Marx und Weber. In Kapitel 5 ziehe ich dann ein abschließendes Fazit meiner Arbeit.
2 Das Modell Max Webers
Weber stellt sich die Frage, wie die Entstehung des okzidentalen, westlichen Kapitalismus möglich gewesen ist. Dabei fragt Weber nicht danach, wie der Kapitalismus, hat er sich erst einmal durchgesetzt, funktioniert (Schluchter 1996: S. 19). Die „Entstehung“ des Kapitalismus ist für Weber „das eigentlich zu Erklärende“ (Weber 1963: S. 37) Weber unterscheidet also zwischen der historischen Entstehung des Kapitalismus und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung als fertigem System, das sich für ihn als „ein ungeheurere Kosmos“ darstellt, „in den der einzelne hineingeboren wird und der für ihn ... als faktisch unabänderliches Gehäuse, in dem er zu leben hat, gegeben ist“ (Weber 1963: S. 37).
In Abschnitt 2.1 erkläre ich zunächst, was Weber unter dem Begriff des Kapitalismus versteht, um mich dann in Abschnitt 2.2 mit den wichtigsten Bedingungsfaktoren der Entstehung des Kapitalismus zu beschäftigen. In 2.2.1 geht es dabei um die „materiellen“ bzw. institutionellen Bedingungsfaktoren, die Weber hauptsächlich in seiner „Wirtschaftsgeschichte“ dargestellt hat. In 2.2.2 geht es um den asketischen Protestantismus als „ideellen“ Bedingungsfaktor, den Weber vor allem in dem Text „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ herausgearbeitet hat. In Abschnitt 2.3 thematisiere ich den Begriff der Paradoxie, der in Webers Denken eine Schlüsselstellung einnimmt (Guttandin 1998: S. 182).
2.1 Der Begriff des Kapitalismus bei Weber
Bevor ich im nächsten Abschnitt auf die Bedingungen zu sprechen komme, die nach Weber die Entstehung des modernen okzidentalen Kapitalismus ermöglicht haben, gehe ich zunächst kurz darauf ein, was Weber sozusagen idealtypisch unter Kapitalismus versteht.
Weber unterscheidet in der „Vorbemerkung“[1] zu den Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie zwischen den älteren Formen kapitalistischen Wirtschaftens einerseits und dem okzidentalen modernen Kapitalismus andererseits. Im Vergleich zu den älteren Formen kapitalistischen Wirtschaftens zeichnet sich letzterer durch einige wichtige zusätzliche Charakteristika aus. Zunächst jedoch zu den älteren Formen kapitalistischen Wirtschaftens bzw. den allgemeinen Merkmalen kapitalistischen Wirtschaftens:
2.1.1 Ältere Formen des Kapitalismus
Weber definiert zunächst einmal, was er allgemein unter einem kapitalistischen Wirtschaftsakt versteht: „Ein ´kapitalistischer` Wirtschaftsakt soll uns heißen zunächst ein solcher, der auf Erwartung von Gewinn durch Ausnützung von Tausch chancen besteht: auf (formell) friedlichen Erwerbschancen also“ (Weber 1963: S. 4). Ein kapitalistischer Wirtschaftsakt beruht also grundsätzlich erst einmal auf der „Erwartung von Gewinn“. Aber nicht jeder „Erwerbstrieb“, nicht jedes Streben nach höchst möglichen Gewinn ist bereits ein kapitalistischer Wirtschaftsakt. Ein Tausch und die freiwillige Einwilligung der jeweiligen Tauschpartner bilden die Voraussetzungen für einen kapitalistischen Wirtschaftsakt. Die gewaltsame Aneignung von Gütern durch Raub, Diebstahl und Wegelagerei sind damit ebenso wenig als kapitalistische Wirtschaftsakte zu betrachten wie Bettelei, Spielhöllenbesuch etc. (Weber 1963: S. 4).[2] Darüber hinaus macht Weber deutlich: Schrankenlose Erwerbsgier ist nicht im mindesten mit Kapitalismus gleich zu setzten. Kapitalismus kann sogar im Gegenteil „geradezu identisch sein mit Bändigung, mindestens mit rationaler Temperierung, dieses irrationalen Triebes.“ Weiter heißt es dann bei Weber: „Allerdings ist Kapitalismus identisch mit dem Streben nach Gewinn, im kontinuierlichen, rationalen kapitalistischen Betrieb: nach immer erneutem Gewinn, nach ´ Rentabilität `“ (Weber 1963: S. 4). Wenn kapitalistischer Erwerb dadurch gekennzeichnet ist, dass rational nach Rentabilität gestrebt wird, ist jegliche Art des kapitalistischen Erwerbshandelns zwangsläufig an deren Errechenbarkeit gebunden. Das entsprechende Handeln muss sich also an irgendeiner Art der „Kapital rechnung in Geld“ orientieren (Weber 1963: S. 5). Ob dabei die Art der Kapitalrechnung eher in primitiver oder eher in moderner Form erfolgt, ist nicht wesentlich, da dies lediglich den Grad der Rationalität des kapitalistischen Erwerbs betrifft. Weber kommt es darauf an, „daß die tatsächliche Orientierung an einer Vergleichung des Geldschätzungserfolges mit dem Geldschätzungseinsatz das wirtschaftliche Handeln entscheidend bestimmt“ (Weber 1963: S. 6). Neben dem Streben nach Rentabilität nennt Weber als weiteres Kriterium des kapitalistischen Erwerbs, dass in einem „kontinuierlichen“ Betrieb gewirtschaftet wird (Guttandin 1989: S. 20f).
Kapitalistisches Wirtschaftshandeln im Sinne o.g. Definition ist nach Weber uralt und hat es in allen Kulturländern der Erde gegeben. Dafür führt Weber diverse Beispiele an: „In China, Indien, Babylon , Aegypten, der mittelländischen Antike, dem Mittelalter so gut wie in der Neuzeit. ... Jedenfalls: die kapitalistische Unternehmung und auch der kapitalistische Unternehmer, nicht nur als Gelegenheits-, sondern auch als Dauerunternehmer, sind uralt und waren höchst universell verbreitet“ (Weber 1963: S. 6).[3]
2.1.2 Der moderne okzidentale Kapitalismus
Weber wirft dann die Frage auf, was das Besondere des neuzeitlich okzidentalen Kapitalismus im Unterschied zu jenen uralten und universellen Erscheinungsformen des Kapitalismus ausmacht. Der moderne neuzeitliche Kapitalismus des Okzidents beruht für Weber – im Unterschied zu seinen Vorformen – auf der Rationalität des in ihm realisierten Erwerbshandeln (Guttandin 1998: S. 23). Er nennt drei wesentliche charakteristische Merkmale, aufgrund deren sich „eine ganz andere und nirgends sonst auf der Erde entwickelte Art des Kapitalismus“ (Weber 1963: S.7) herausgebildet hat:
1. Die rational-kapitalistische (betriebliche) Organisation von (formell) freier Arbeit:
Kapitalistisch-rational organisierte Betriebe mit freien Lohnarbeitern gab es nach Weber anderswo nur in Vorstufen.[4] Eine an den Chancen des Gütermarktes und nicht an gewaltpolitischen oder an irrationalen Spekulationschancen orientierte, rationale Betriebsorganisation stellt eine Besonderheit dar, die sich so nur im modernen okzidentalen Kapitalismus finden lässt (Weber 1963: S. 7f).
2. Die Trennung von Haushalt und Betrieb:
Erst die Trennung von Haushalt und Betrieb und die damit einhergehende rechtliche Trennung von Betriebsvermögen und Privatvermögen ermöglicht die Gründung von Kapitalgesellschaften, an denen mehrere Teilhaber partizipieren können (Guttandin 1998: S. 22).[5]
3. Die rationale Buchführung:
Die Entwicklung der rationalen Buchführung hängt eng mit der Trennung von Betriebs- und Privatvermögen zusammen. Erst diese macht es möglich, den auf der Grundlage des jeweiligen Kapitaleinsatzes an die verschiedenen Teilhaber von Kapitalgesellschaften zu zahlenden Gewinn zu berechnen (Weber 1963: S. 8; Guttandin 1998: S. 22).
Die „rational-kapitalistische Organisation von (formell) freier Arbeit“ und die „rationale Buchführung“ zählen neben der Trennung von Betriebs- und Privatvermögen damit zu den Grundbedingungen des modernen okzidentalen Kapitalismus.
Die rationale Entwicklung weiterer Bereiche, nämlich die der wissenschaftlich fundierten Technik, des Rechts und der Verwaltung einerseits und die Entwicklung einer rational-praktischen Lebensführung bzw. eines modernen Wirtschaftsethos andererseits, hat die Entstehung des neuzeitlichen modernen Kapitalismus wesentlich mitbestimmt (Weber: 1963: S. 10ff; Guttandin 1998: S. 23ff). In gewisser Weise könnte man die rationale Entwicklung dieser Bereiche mit zu den Charakteristika des modernen okzidentalen Kapitalismus zählen. M.E. ist es aber sinnvoller, die rationale Entwicklung dieser Bereiche unter 2.3 (Bedingungen der Entstehung des Kapitalismus) abzuhandeln.
2.2 Bedingungen der Entstehung des Kapitalismus
„Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ (im folgenden kurz: „Protestantische Ethik“) ist eines der bekanntesten Werke Max Webers und wohl auch der Soziologie überhaupt (Weber 1963). In diesem Text geht es Weber um einen grundlegenden Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein einer bestimmten religiösen Ethik, nämlich der Ethik des asketischen Protestantismus, und der Entwicklung eines „kapitalistischen Geistes“. Dieser wiederum bildet eine entscheidende Voraussetzung für das Entstehen des modernen, westlichen Kapitalismus. Bevor ich in Abschnitt 2.2.2 diese Argumentationslinie der Protestantischen Ethik Webers genauer nachzeichnen werde, beziehe ich mich in Abschnitt 2.2.1 zunächst hauptsächlich auf Webers Text „Die Entfaltung der kapitalistischen Gesinnung“ in der „Wirtschaftsgeschichte“[6] (Weber 1958: S. 300 – 315), welcher sehr viel später als die Protestantische Ethik entstanden ist.[7] Im Unterschied zur Protestantischen Ethik rückt Weber hier die materiellen bzw. institutionellen Faktoren, die die Bedingungen für die Entfaltung des modernen okzidentalen Kapitalismus darstellen, in den Mittelpunkt seiner Darstellung (Schluchter 1996: S. 188). Weber macht in seiner „Vorbemerkung“ zu den Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie deutlich, dass er in der Protestantischen Ethik „nur der einen Seite der Kausalbeziehung nachgegangen“ ist (Weber 1963: S. 12). Die in der „Wirtschaftsgeschichte“ dargestellten materiellen bzw. institutionellen Faktoren konstituieren die andere Seite der Kausalbeziehung. Sie spielen im Weberschen Modell der Entstehung des Kapitalismus durchaus eine entscheidende Rolle und werden deshalb hier als erstes vorgestellt.
2.2.1 Materielle bzw. Institutionelle Bedingungsfaktoren
In dem Text „Die Entfaltung der kapitalistischen Gesinnung“ versucht Weber die Frage zu beantworten, warum sich gerade im Okzident und eben nur im Okzident und nicht etwa in früheren Hochkulturen der moderne Kapitalismus entwickeln und entfalten konnte. Weber nennt zunächst einige Bedingungen, die an der Entstehung des modernen Kapitalismus im Okzident generell mitgewirkt haben. Um den modernen Kapitalismus hervorgerufen haben zu können, seien diese aber letztlich nicht hinreichend gewesen. (Weber 1958: S. 300ff). Weber nennt in diesem Zusammenhang die folgenden begünstigenden (aber eben nicht hinreichenden) Faktoren:
a) Die Bevölkerungsvermehrung in Europa hat zwar insofern zur Entstehung des Kapitalismus beigetragen, indem sie die nötigen Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt hat. Aber als solche hat auch sie den Kapitalismus nicht hervorrufen können. So hat sich die Bevölkerung in China von Anfang des 18. bis Ende des 19. Jahrhunderts ähnlich schnell entwickelt wie zur gleichen Zeit im Okzident. Trotz dieser generell den Kapitalismus begünstigenden Voraussetzung hat sich der Kapitalismus in China nicht vorwärts sondern rückwärts entwickelt. Weber führt dies darauf zurück, dass sich die Bevölkerungsvermehrung in China in anderen Schichten[8] vollzogen habe als im Okzident (Weber 1958: S. 300).
b) Auch der Edelmetallzufluss hat nach Weber den Kapitalismus begünstigt, indem in Europa im 16. Jahrhundert große Bargeldvorräte in die Hände bestimmter Bevölkerungsschichten gelangt sind und sich so der Wirtschaftskreislauf beschleunigen konnte.[9] Weber nennt empirisch-historische Beispiele, die verdeutlichen, dass auch ein vermehrter Edelmetallzufluss allein nicht ausreicht hat, um die moderne kapitalistische Entwicklung voranzutreiben (Weber 1958: 301)[10].
c) Die geographische Lage Europas mit dem Binnencharakter des Mittelmeeres und dem Reichtum an Stromverbindungen begünstigten die Entstehung des modernen Kapitalismus durch gute Verkehrsmöglichkeiten. Aber auch diese Bedingungen haben woanders vorgelegen, ohne dass dort Kapitalismus entstanden wäre (Weber 1958: S. 302).
Als weitere wesentliche Bedingungsfaktoren werden von Weber in der „Vorbemerkung“[11]: die Entwicklung der wissenschaftlich fundierten Technik, des Rechts und der Verwaltung genannt (Guttandin 1998: S. 23). Erst die rationale Entwicklung der wissenschaftlich fundierten Technik hat es ermöglicht, dass die technisch entscheidenden Faktoren berechenbar wurden und in den Dienst kapitalistischer Interessen gestellt werden konnten[12] (Weber 1963: S. 10). Und erst die rationale Entwicklung des Rechts und der Verwaltung hat deren Berechenbarkeit nach formalen Regeln ermöglicht. Ohne diese Berechenbarkeit sind zwar Abenteuerer- und spekulativer Händlerkapitalismus und alle möglichen Arten von politisch bedingten Kapitalismus möglich gewesen, nicht aber rational geführte privatwirtschaftliche Betriebe mit stehendem Kapital und sicherer Kalkulation (Weber 1963: S. 11).
Die aufgeführten Faktoren stellen nach Weber wesentliche Voraussetzungen dar, die zwar das Entstehen der kapitalistischen Form ermöglicht haben, nicht aber den kapitalistischen Geist, der dem modernen okzidentalen Kapitalismus erst zum Durchbruch verholfen hat. Schluchter (1996: S. 190) spricht in diesem Zusammenhang von einer „institutionellen Transformation“ vom 11. – 13. Jahrhundert, aus der schließlich die kapitalistische Form hervorgeht (Weber 1963: S. 49ff).
2.2.2 Asketischer Protestantismus und „Kapitalistischer Geist“
Wie bereits oben in Abschnitt 2.1.2 dargestellt, ist der moderne okzidentale Kapitalismus durch Rationalität gekennzeichnet. Ihm ist es gelungen, sich mit den vorgegebenen Rationalitätsstrukturen von Recht, Verwaltung und wissenschaftlich fundierter Technik kompatibel zu machen und zu verzahnen. Dazu bedurfte es jedoch menschliche Dispositionen und Fähigkeiten, die aufgrund ihrer praktisch-rationalen Lebensführung in der Lage waren, in rationalen Strukturen mitzuspielen. Diese Fähigkeiten und Dispositionen mussten darüber hinaus stark genug sein, sich gegen eine feindliche Umwelt durchzusetzen (Guttandin 1998: S. 27). In der Vergangenheit gehörten „die magischen und religiösen Mächte und die am Glauben an sie verankerten ethischen Pflichtvorstellungen“ zu den wichtigsten formenden Elementen der Lebensführung (Weber 1963: S. 12). Die Entwicklung einer wirtschaftlich rationalen Lebensführung wurde durch diese traditionell bestimmte Art der Lebensführung gehemmt und musste sich erst gegen schwere innere Widerstände der Menschen durchsetzen. Deshalb gelang der eigentliche Durchbruch zur kapitalistischen Entwicklung erst dann – so Webers These - als im Okzident, und eben nur hier, die rationale Gesinnung, die Rationalisierung der Lebensführung und das rationale Wirtschaftsethos sich durchzusetzen begannen (Weber 1958: S. 302). Dieser sich neu entwickelnde „Geist des Kapitalismus“ ist nach Weber nicht Folge einer Revolution von außen, sondern von innen, einer „Gesinnungsrevolution“ (Schluchter 1996: S. 190). Nach Weber ist es letztlich die historische Leistung des asketischen Protestantismus, diese Gesinnungsrevolution herbeigeführt zu haben. In der Protestantischen Ethik beschreibt Weber, wie sich der Geist des Kapitalismus aus dem asketischen Zweig des Protestantismus heraus entwickelt hat, um dann gegen alle Widerstände des ökonomischen Traditionalismus letztlich dem modernen okzidentalen Kapitalismus zum Durchbruch zu verhelfen. Im folgenden werde ich Webers Argumentation in ihren wesentlichen Grundzügen darstellen.
[...]
[1] Diesen Text hat Weber kurz vor seinem Tod geschrieben. Er bildet sozusagen die Grundlage zur Gesamtdeutung des Weberschen Werkes.
[2] Dieses Streben nach Gewinn findet sich nach Weber „bei ´all sorts and conditions of men`, zu allen Epochen aller Länder der Erde, wo die objektive Möglichkeit dafür irgendwie gegeben war und ist“ (Weber 1963: S. 4). Um Kapitalismus handelt es sich dabei jedoch nicht.
[3] Da Weber auch den Gelegenheitsunternehmer als kapitalistischen Unternehmer bezeichnet, weicht er hier das zuvor genannte Kriterium der Kontinuität des Betriebes in gewisser Weise auf.
[4] Plantagen, Fronhöfe, Gutsfabriken etc. seien zwar mit einer gewissen Rationalität geführt worden, aber in ihnen seien Leibeigene und Hörige beschäftigt gewesen. Die sich überall findende Bezeugung der Verwendung von Tagelöhnern erfolgte umgekehrt nicht in rational-kapitalistisch organisierten Betrieben wie Manufakturen oder anderen größeren Produktionsstätten (Weber 1963: S. 7; Guttandin 1998: S. 22).
[5] Ansätze von kapitalistischen Assoziationen mit gesonderter Betriebsrechnung gab es nach Weber schon in Ostasien, im Orient und in der Antike. Gegenüber der modernen Verselbstständigung der Erwerbsbetriebe handelt es sich dabei tatsächlich eben nur um Ansätze (Weber 1963: S. 8).
[6] Bei der „Wirtschaftsgeschichte“ handelt es sich nicht um einen Originaltext Webers, sondern um eine nicht schriftlich ausgearbeitete Vorlesung im Wintersemester 1919/20, die nachträglich anhand der Nachschriften von Hörern und anderer Texte Webers zusammengestellt worden ist (Schluchter 1996: S. 189).
[7] Der Frage, ob Weber in der „Wirtschaftsgeschichte“ seine ursprüngliche These in der „Protestantischen Ethik“ so grundlegend verändert hat, dass sie mit ihrem ursprünglichen Gehalt nicht mehr zu vereinbaren ist, werde ich hier nicht weiter nachgehen. Schluchter (1996: S. 191ff) versucht anhand werkgeschichtlicher, methodologischer und historischer Überlegungen nachzuweisen, dass die in der Wirtschaftsgeschichte ausgearbeitete Theorie identisch mit jener ursprünglichen These ist. Für Schluchter handelt es sich im übrigen bei der Wirtschaftsgeschichte um einen eher zweitrangigen Text gegenüber „Wirtschaft und Gesellschaft“ und den „Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie“ (Schluchter 1996: S. 189).
[8] China sei „durch sie [die Bevölkerungsvermehrung] ein Land mit einem Gewimmel von Kleinbauern geworden“ (Weber 1958: S. 300).
[9] Den letzten Halbsatz habe ich sinngemäß ergänzt.
[10] Weber macht dies an Indien während der Zeit des römischen Imperiums und an Spanien nach der Entdeckung Amerikas deutlich. In beide Länder seien große Edelmetallzuflüsse zu verzeichnen gewesen, was aber aus verschiedenen Gründen die Entwicklung eines modernen Kapitalismus nicht vorangetrieben habe (Weber 1958: S. 300).
[11] In der „Wirtschaftsgeschichte“ werden weitere Bindungsfaktoren nur äußerst kurz abgehandelt: „Das, was den Kapitalismus letzten Endes nach Weber geschaffen hat, ist die rationale Dauerunternehmung, die rationale Buchführung, die Technik und das rationale Recht“ (Weber 1958: S. 302). Deshalb beziehe ich mich an dieser Stelle auf die „Vorbemerkung“ in den Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie (Weber 1963).
[12] Schon vor der Entwicklung des neuzeitlichen Kapitalismus gab es Mathematik und Mechanik bei Indern, Griechen und Römern. Diese wurden allerdings nicht in den Dienst kapitalistischer Interessen gestellt (Weber 1963: S. 10; Guttandin 1998: S. 24).
- Arbeit zitieren
- Joachim Schmidt (Autor:in), 2003, Die Entstehung des modernen Kapitalismus. Das Modell Max Webers im Vergleich zu Karl Marxs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18881
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