Radbruchs Rechtsphilosophie entstammt dem Neukantianismus, der davon ausgeht, dass eine kategoriale Kluft zwischen Sein und Sollen besteht. Aus einem Sein kann, nach dieser Auffassung, niemals ein Sollen abgeleitet werden (so genannter „naturalistischer Trugschluss“). Kennzeichnend für den Heidelberger Neukantianismus, dem Radbruch anhing, war es, dass er zwischen die erklärenden Wissenschaften (Sein) und die philosophischen Wertlehren (Sollen) die wertbezogenen Kulturwissenschaften einschiebt.
Bezogen auf das Recht zeigt sich dieser Trialismus in den Teilbereichen Rechtssoziologie, Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik. Die Rechtsdogmatik nimmt dabei eine Zwischenstellung ein. Gegenständlich richtet sie sich auf das positive Recht, wie es sich in der sozialen Realität darstellt und methodologisch auf den objektiv gesollten Sinn des Rechts, der sich durch wertbezogene Interpretation erschließt.
Kernstücke der Rechtsphilosophie Radbruchs sind auch seine Lehren vom Rechtsbegriff und von der Rechtsidee. Die Rechtsidee ist durch eine Trias von Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit und Rechtssicherheit definiert. Radbruch lässt dabei die Idee der Zweckmäßigkeit aus einer Analyse der Idee der Gerechtigkeit hervorgehen. Auf dieser Vorstellung basiert die Radbruchsche Formel, die bis heute heftig diskutiert wird. Der Rechtsbegriff ist für Radbruch nichts anderes als „die Gegebenheit, die den Sinn hat, der Rechtsidee zu dienen“.
Äußerst umstritten ist die Frage, ob Radbruch vor 1933 Rechtspositivist war und sich in seinem Denken, unter dem Eindruck des Nationalsozialismus, eine innere Wende vollzog oder ob er lediglich unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Verbrechen die von ihm vor 1933 vertretene relativistische Wertlehre fortentwickelte.
Das Problem der Kontroverse zwischen Form und Inhalt der Gesetze ist in Deutschland durch die Mauerschützenprozesse (Befehlsnotstand) wieder in das Bewusstsein der Menschen gerückt. In diesem Zusammenhang wurden Radbruchs Theorien gegen die von Hans Kelsen und teilweise auch von Georg Jellinek vertretene rechtspositivistische Reine Rechtslehre ins Feld geführt.
Inhaltsverzeichnis
- I. Gustav Radbruch: Das Konzept seiner Rechtsidee
- 1 Rechtswirklichkeit und Rechtsidee
- 2. Die Prinzipien der Rechtsidee
- a) Das Prinzip der Zweckmäßigkeit
- b) Das Prinzip der Gerechtigkeit
- c) Das Prinzip der Rechtssicherheit
- 3 Unbedingte Rechtssicherheit - Die Radbruchsche Auffassung bis 1933
- a) Die Macht der Gesetze durch die Rechtssicherheit
- b) Die Schwäche der Zweckmäßigkeit
- c) Die Rolle der Gerechtigkeit
- d) Die Bedingung und Antinomie der Rechtsidee
- 4. Eine Formel gegen gesetzliches Unrecht (nach 1933)
- a) Die Forderung nach Gerechtigkeit..
- b) Der Rücktritt der Zweckmäßigkeit
- c) Der Erhalt der Rechtssicherheit
- 5 Natur der Sache zur Bestimmung der Idee (1947)
- 6. Die verborgene Religiösität (Kontinuität zur Sache)
- 11. Radbruch in der Diskussion zwischen Naturrecht und Positivismus..m.m.m..m...„
- II. Philosophie und Positivismuskontroverse
- 1. Vom Naturrecht zum Positivismus
- a) Die Definition des Naturrechtsbegriffs
- b) Zum Begriff des Positivismus... _ .
- 3 Einflüsse auf Radbruchs Rechtsphilosophie (vor 1933)
- 4. Jurisprudenz 1933 - ethische Perversion durch „legitime" Gesetze
- 5 _ Rechtsmoralismus - „Radbruchsche Formel' (nach 1945)
- a) Rechtsmoralismus zur Prävention vor gesetzlichem Unrecht.
- b) Radbruch als Vertreter des „dritten Weges"
- 6. Die Fortsetzung der Diskussion seit den fünfziger Jahren
- 7 _ Berücksichtigung von „Grundwerten" in Entscheidungen der BRD
- S. Naturrechts-IPositivismusdiskussion - persönliche Konklusion
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Rechtsphilosophie von Gustav Radbruch, einem bedeutenden deutschen Juristen, der sich insbesondere in der Diskussion zwischen Naturrecht und Positivismus einen Namen machte. Die Arbeit analysiert das Konzept seiner Rechtsidee, die sich auf die Prinzipien der Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit und Rechtssicherheit stützt. Sie untersucht, wie Radbruchs Positionen im Laufe seines Lebens, insbesondere im Kontext der NS-Zeit, beeinflusst wurden und wie er seine Philosophie im Spannungsfeld zwischen Rechtspositivismus und Naturrechtsgedanken weiterentwickelt hat.
- Radbruchs Rechtsidee und ihre drei Prinzipien: Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit und Rechtssicherheit
- Die Entwicklung von Radbruchs Philosophie im Spannungsfeld zwischen Naturrecht und Positivismus
- Die Radbruchsche Formel als Versuch, die Spannung zwischen positivem Recht und politischer Gerechtigkeit zu überbrücken
- Die Rezeption und Weiterentwicklung von Radbruchs Ideen in der Rechtsphilosophie und Rechtswissenschaft der Gegenwart
- Die Bedeutung der „Natur der Sache" für Radbruchs Rechtsphilosophie
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel behandelt Radbruchs Konzept der Rechtsidee und stellt die drei gleichgeordneten Prinzipien Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit und Rechtssicherheit vor. Die Rechtsidee wird dabei als wertbezogener Kulturbegriff verstanden, der zwischen der Ethik und der Naturwissenschaft angesiedelt ist. Radbruch sieht alle drei Prinzipien als gleichwertig, da ein Werturteil nicht objektiv als richtig erkannt werden kann.
Das zweite Kapitel analysiert die drei Prinzipien im Detail. Die Zweckmäßigkeit wird als relative Größe verstanden, die vom Verhältnis zwischen Individuum, Gemeinschaft und Kultur abhängt. Die Gerechtigkeit wird in subjektive und objektive Gerechtigkeit unterschieden, wobei die formale Gerechtigkeit auf dem Gleichheitsprinzip beruht. Die Rechtssicherheit wird als autoritative Festsetzung des Rechtsinhalts verstanden, die der Wahrung der Rechtsordnung dient.
Das dritte Kapitel beleuchtet Radbruchs Auffassung von der Rechtssicherheit bis 1933. Er betont den Vorrang der Rechtssicherheit durch eine positive Gesetzgebung, um eine einseitige Zwecksetzung des Rechts oder die Gefahr der Ineinssetzung von formaler Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit zu vermeiden. Die Zweckmäßigkeit wird als relativ und durch das Ethos der Freiheit, Toleranz und Demokratie geprägt gesehen.
Das vierte Kapitel befasst sich mit Radbruchs Reaktion auf das gesetzliche Unrecht der NS-Zeit. Er verlagert die Akzentuierung seiner Prinzipien von der Rechtssicherheit in Richtung der materialen Gerechtigkeit. Die Rechtssicherheit wird als Parole „Gesetz ist Gesetz" kritisiert, die gegen willkürliche Gesetze wehrlos macht. Radbruch fordert die Juristen auf, sich gegen unverhältnismäßiges Unrecht zu stellen.
Das fünfte Kapitel analysiert Radbruchs Formel gegen gesetzliches Unrecht. Er stellt die Gerechtigkeit als absoluten Wert in den Vordergrund und fordert eine richterliche Unabhängigkeit. Die Zweckmäßigkeit wird hinter die anderen Prinzipien zurückgesetzt, da sie in der NS-Zeit zur Propagandaproklamation des überindividuellen Volkswillens pervertiert wurde. Radbruch betont die Bedeutung der Rechtssicherheit für die Ordnung, aber nicht um jeden Preis.
Das sechste Kapitel behandelt Radbruchs spätere Philosophie, die sich an der „Natur der Sache" orientiert. Er sieht diese Denkform als Ergänzung zur Auslegung des Gesetzes und als Quelle für Rechtsideen. Radbruch wendet sich zuletzt dem humanistischen Gedanken des Neuthomismus zu, der die soziale Verpflichtung des Einzelnen gegenüber der Gesamtheit betont.
Das siebte Kapitel beleuchtet die Diskussion zwischen Naturrecht und Positivismus. Es wird die Entwicklung des Naturrechtsbegriffs von der Antike bis zur Neuzeit dargestellt und der Rechtswissenschaftliche Positivismus mit seinen verschiedenen Strömungen vorgestellt. Radbruch wird als Vertreter des Rechtsmoralismus beschrieben, der die Spannung zwischen positivem Recht und politischer Gerechtigkeit nicht als Trennung, sondern als komplexe Beziehung sieht.
Das achte Kapitel beleuchtet die Rezeption von Radbruchs Ideen in der Rechtsphilosophie und Rechtswissenschaft der Gegenwart. Es werden verschiedene Strömungen wie der Neopositivismus, die Werttheoretik, die analytische Rechtstheorie und die Rechtsanthropologie vorgestellt. Die Diskussion um die Berücksichtigung von „Grundwerten" in Entscheidungen der BRD wird ebenfalls thematisiert.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Rechtsidee, die Prinzipien der Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit und Rechtssicherheit, den Naturrechtsbegriff, den Positivismus, den Rechtsmoralismus, die Radbruchsche Formel, die „Natur der Sache" und die Diskussion um das „richtige" Recht. Die Arbeit beleuchtet die Entwicklung von Radbruchs Philosophie im Spannungsfeld zwischen Naturrecht und Positivismus und untersucht, wie seine Ideen in der Rechtsphilosophie und Rechtswissenschaft der Gegenwart rezipiert und weiterentwickelt werden.
- Citation du texte
- M.A. Martina Merten (Auteur), 1998, Gustav Radbruch in der Diskussion zwischen Naturrecht und Positivismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1886
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