Fast 800 Jahre lang, so der Mythos, gab es in Spanien unter islamischer Oberherrschaft eine relativ friedliche, tolerante und vor allem kulturschöpferische convivencia von Juden, Christen und Muslimen. Sie nahm ihren Anfang im Jahre 710, als die ersten Araber von Nordafrika aus südspanischen Boden betraten und bald darauf in Córdoba ein Kalifat etablierten, das 300 Jahre dauerte und eine der schönsten Moscheen der Welt hervorbrachte, die man noch heute besichtigen kann. Der Lebensstandard, die Bildung, die Kunst, die Musik, die städtische Infrastruktur, die Wissenschaft, die Philosophie, Medizin und Astronomie waren in dieser Zeit nirgendwo in ganz Europa so hoch entwickelt wie in Andalusien.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist dieses Andalusien zu einer Art Gegenmythos zu Jerusalem geworden. Gilt die Heilige Stadt und der Nahe Osten insgesamt als ein Ort, als eine Region permanenter Streitigkeiten und Kriege zwischen Juden, Christen und Muslime, so avancierte Andalusien zum Hort einer einmaligen und vorbildlichen Symbiose dieser drei Glaubensrichtungen. Verehrer und Verfechter dieses Mythos finden sich bei Musikern (Musikgruppe VOX, Daniel Barenboim und sein West-Östliches Divan Orchester), Dichtern (Heine, Rilke, Federico García Lorca, der 1936 in Córdoba geb. Antonio Gala: Die Handschrift von Granada) und Wissenschaftlern: vom Islamkundler und Theologen William Montgomery Watt (gest. 2006) über den Politologen Claus Leggewie (Alhambra – Der Islam im Westen 1993) bis zu den Romanisten María Rosa Menocal (Die Palme im Westen 2003) und Georg Bossong (2005, 2007). „Andalusien“ oder „Alhambra“ ist heute ein Symbol, eine Marke, ein Inbegriff für Kulturverständigung, die Harmonie zwischen den Religionen.
Die Frage ist: taugt Andalusien als Modell für die Begegnung der Religionen heute?
Inhaltsverzeichnis
- Prolog
- Die Ambivalenz der Heiligen Schriften
- Das Stereotyp „Islam contra Abendland"
- Hauptteil
- Andalusien — der Mythos vom „Goldenen Zeitalter"
- Entmythologisierung des „Goldenen Zeitalters"
- Toleranz und Intoleranz im muslimischen Herrschaftsgebiet
- Toleranz und Intoleranz im christlichen Herrschaftsgebiet
- Interreligiöser Brückenschlag: Wissenstransfer durch Übersetzerschulen
- Schluß
- Die Strahlkraft von Al-Andalus: Das Alhambra-Modell im heutigen Spanien
- Nachspiel: Eine humanitäre Katastrophe
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text untersucht die historische und theologische Frage, ob Andalusien als Modell für den interreligiösen Dialog in der heutigen Zeit dienen kann. Dabei werden die Ambivalenzen der Heiligen Schriften und die tatsächliche Praxis von Toleranz und Intoleranz in Andalusien unter muslimischer und christlicher Herrschaft beleuchtet. Der Text analysiert den Mythos vom „Goldenen Zeitalter" Andalusiens und untersucht die Rolle der jüdischen Minderheit im interreligiösen Kontext. Der Text beleuchtet auch den Wissenstransfer durch Übersetzerschulen und die Bedeutung von Andalusien als Vorbild für den interreligiösen Dialog im heutigen Spanien.
- Die Ambivalenz der Heiligen Schriften und ihre Rolle in der Geschichte Andalusiens
- Der Mythos vom „Goldenen Zeitalter" Andalusiens und seine Entmythologisierung
- Die Praxis von Toleranz und Intoleranz unter muslimischer und christlicher Herrschaft in Andalusien
- Die Rolle der jüdischen Minderheit als Vermittler zwischen Christen und Muslimen
- Der Wissenstransfer durch Übersetzerschulen und seine Bedeutung für die europäische Kultur
Zusammenfassung der Kapitel
Der Prolog beschäftigt sich mit der Ambivalenz der Heiligen Schriften und stellt fest, dass sowohl Judentum, Christentum als auch Islam sowohl den Krieg als auch den Frieden befürworten. Der Autor kritisiert das Stereotyp vom „Islam contra Abendland" und betont, dass Muslime schon sehr lange Teil des Abendlandes sind.
Das erste Kapitel beleuchtet den Mythos vom „Goldenen Zeitalter" Andalusiens, der von Autoren wie Washington Irving geprägt wurde. Es wird die hohe kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung Andalusiens unter muslimischer Herrschaft hervorgehoben. Andalusien wird als Gegenmythos zu Jerusalem dargestellt, das als Ort permanenter Konflikte gilt.
Das zweite Kapitel entmythologisiert das „Goldene Zeitalter". Der Autor argumentiert, dass die tolerante convivencia von Juden, Christen und Muslimen nur in einer begrenzten Zeitspanne gegeben war. Die letzten 15 Jahre des 11. Jahrhunderts markierten eine Zäsur, in der Fanatismus und Heilige Kriege dominierten. Toleranz im Sinne der Akzeptanz der Vielfalt und der Gleichberechtigung der Religionen sei eine Errungenschaft der Moderne.
Das dritte Kapitel untersucht die Praxis von Toleranz und Intoleranz im muslimischen Herrschaftsgebiet Andalusiens. Juden und Christen wurden als dhimmfs, „Schutzbefohlene", behandelt. Die islamische Religionspolitik unterschied zwischen Gläubigen, Andersgläubigen und Heiden. Juden und Christen wurden als Bürger zweiter Klasse behandelt, jedoch mit gewissen Rechten, wie der Religionsfreiheit und der Befreiung vom Militärdienst. Der Autor betont, dass die Almoraviden und Almohaden eine militante Religionspolitik verfolgten, die zu einer Verschärfung der Konflikte führte.
Das vierte Kapitel beleuchtet die Praxis von Toleranz und Intoleranz im christlichen Herrschaftsgebiet Andalusiens. Die Reconquista, die Rückeroberung der iberischen Halbinsel durch die Christen, war geprägt von militärischem Kampf und religiösem Fanatismus. Der Autor zeichnet die Entwicklung des Christentums vom pazifistischen Christentum der frühen Kirche zum militanten Christentum des Mittelalters nach. Die Kreuzzüge und die Verfolgung der Juden werden als Ausdruck der neuen Aggressivität des Christentums dargestellt.
Das fünfte Kapitel beschreibt den Wissenstransfer durch Übersetzerschulen in Bagdad und Andalusien. Die „Schule von Toledo" spielte eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung des antiken Bildungserbes an das christliche Abendland. Der Autor betont die interreligiöse Zusammenarbeit von Christen, Juden und Muslimen bei der Übersetzung und Verbreitung von Wissen.
Das sechste Kapitel beleuchtet die Rolle und das Schicksal der jüdischen Minderheit im interreligiösen Andalusien. Die Juden fungierten als Vermittler zwischen Christen und Muslimen aufgrund ihrer sprachlichen Kompetenz, ihrer Bildung und ihrer Loyalität. Der Autor beschreibt die jüdischen Gemeinden in Andalusien und die erzwungenen Dialoge über Jesus, die zu Disputationen führten.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen Andalusien, interreligiösen Dialog, Toleranz, Intoleranz, Heilige Schriften, Mythos vom „Goldenen Zeitalter", jüdische Minderheit, Reconquista, Kreuzzüge, Wissenstransfer, Übersetzerschulen, Alhambra-Modell, Spanien, Islam, Christentum, Judentum.
- Citation du texte
- Dr. Martin Bauschke (Auteur), 2011, Andalusien – ein Modell für den interreligiösen Dialog? , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187991
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