Diese Hausarbeit, die im Rahmen des Seminars „Die europäische Sozialdemokratie zwischen Veränderungsdruck und Sozialstaatsbewahrung“ angefertigt worden ist, untersucht die Übernahme der Ideen des Dritten Weges seitens der bundesdeutschen Regierung unter Gerhard Schröder und beurteilt schließlich, ob die Reformpolitik der Agenda 2010 den Ideen Giddens’ entsprechen und mit welchem Erfolg sie umgesetzt worden sind.
Dabei wird zunächst die Politik des Dritten Weges erklärt, wie sie von Anthony Giddens vertreten wird. Die Darstellung beschränkt sich auf grundlegende Aspekte des Dritten Weges, sowie auf die Politikfelder Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik, um den Untersuchungsrahmen entsprechend den Anforderungen der Hausarbeit nicht zu weit anzulegen.
Im zweiten Schritt wird die Reformpolitik der Agenda 2010 von Gerhard Schröder insbesondere in den Bereichen der oben genannten Politikfelder dargestellt und untersucht. Letztlich wird im Fazit beurteilt, in wie weit Gerhard Schröders Politik den Ideen Giddens’ entsprechen und in wie weit seine Vorhaben von Erfolg gekrönt wurden.
1. Einleitung
„Wir müssen den Mut aufbringen, in unserem Land jetzt die Veränderungen vorzunehmen, die notwendig sind, um wieder an die spitze der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Europas zu kommen.“ [1]
Mit diesen Worten verschafft sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder am 14. März 2003 beim Plenum des Bundestages Aufmerksamkeit für seine Regierungserklärung, die die politische Richtungsänderung der rot-grünen Bundesregierung und die damit verbundene Reformpolitik besiegelt.
Vor fünf Jahren bedeutet die von Schröder initiierte Reformpolitik Agenda 2010 die Abkehr von den klassischen sozialdemokratischen Werten der SPD, hin zu der Politik des Dritten Weges, die maßgeblich von Anthony Giddens geprägt worden ist. Giddens gibt mit seinen Ideen und Werken die ideologische Grundlage für die seit 1997 regierende Labour-Regierung in Großbritannien.
Die hier vorliegende Hausarbeit, die im Rahmen des Seminars „Die europäische Sozialdemokratie zwischen Veränderungsdruck und Sozialstaatsbewahrung“ angefertigt worden ist, untersucht die Übernahme der Ideen des Dritten Weges seitens der bundesdeutschen Regierung unter Gerhard Schröder und beurteilt schließlich, ob die Reformpolitik der Agenda 2010 den Ideen Giddens’ entsprechen und mit welchem Erfolg sie umgesetzt worden sind.
Dabei wird zunächst die Politik des Dritten Weges erklärt, wie sie von Anthony Giddens vertreten wird. Die Darstellung beschränkt sich auf grundlegende Aspekte des Dritten Weges, sowie auf die Politikfelder Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik, um den Untersuchungsrahmen entsprechend den Anforderungen der Hausarbeit nicht zu weit anzulegen.
Im zweiten Schritt wird die Reformpolitik der Agenda 2010 von Gerhard Schröder insbesondere in den Bereichen der oben genannten Politikfelder dargestellt und untersucht. Letztlich wird im Fazit beurteilt, in wie weit Gerhard Schröders Politik den Ideen Giddens’ entsprechen und in wie weit seine Vorhaben von Erfolg gekrönt wurden.
2. Anthony Giddens und der Dritte Weg
Als 1997 Tony Blair in Großbritannien an die Macht gekommen ist, hat er in seiner Regierungszeit, ein umfangreiches Reformprogramm auf den Weg gebracht, um den britischen Staat zu modernisieren. Hierbei hat sich die Labour Partei von klassischen sozialdemokratischen Werten verabschiedet und sich der Politik des Dritten Weges verschrieben. Diese Politik ist hierbei vor allem den Vorstellungen des Soziologen Anthony Giddens zuzuschreiben, der als politischer Berater der Labour Party tätig ist und die Ideen und Konzepte des Dritten Wegs, die „schon seit Anfang der neunziger Jahre in Großbritannien Gegenstand des politischen Diskurses sind,“[2] zusammengetragen und ein schlüssiges politisches Konzept „als normative Grundlage für die Regierungsstrategie von New Labour“[3] daraus entwickelt hat. Giddens kann von daher als ideologischer Vater der Blair’schen Reformpolitik bezeichnet werden.
Im Folgenden soll nun diese Politik dargestellt werden, hierbei dient das von Anthony Giddens’ veröffentlichte Werk „The Third Way. The Renewal of Social Democracy“[4] als Leitfaden, um die Politik des Dritten Weges zu erklären.
2.1 Die Grundideen des Dritten Weges
„Reform of the state and government should be a basic orienting principle of third way politics – a process of the deepening and widening of democracy.“[5]
Der Dritte Weg, wie er von New Labour und Anthony Giddens seit Mitte der 1990er vertreten wird, stellt eine Alternative zur bisherigen klassischen Sozialdemokratie und dem Neoliberalismus bzw. dem Thatcherismus, wie er von den Torys vertreten wird, dar. Er sucht „nach einer politischen und gesellschaftlichen Alternative in einer bereits polarisierten Welt der Argumente und Ideen“[6], die „so viel Staat wie nötig, aber so viel Markt wie möglich“[7] zulässt, um die Folgen des Strukturwandels zu entschärfen, um den Sozialstaat zu erhalten und um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die neue Sozialdemokratie muss hierbei den Veränderungen „…
- durch Globalisierung bzw. Transnationalisierung der Finanz-, Kapital- und Warenmärkte,
- durch die engen finanziellen Spielräume der nationalen Haushalte aufgrund hoher Zinsbelastungen
- und durch Probleme der Finanzierbarkeit von sozialen Sicherungssystemen angesichts der demographischen Entwicklung…“ [8]
entgegen treten. Giddens konzipiert seinen Lösungsansatz dieser Probleme folgendermaßen als Alternative zu den klassischen sozialdemokratischen und neoliberalen Ansätzen:
Die Politik des Dritten Wegs im Vergleich
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Jun (2004), S. 206.
Der Dritte Weg beschreibt also eine modernisierende Politik, die sich von links der Mitte nähert und die rechte und linke Klassenpolitik hinter sich lässt. Die Sozialdemokratie soll pragmatisch sich den oben genannten Herausforderungen stellen, „ohne jedoch die Zugehörigkeit zum linken Lager im politischen Spektrum aufzugeben.“[9] Der Staat soll vor allem im Bereich der Lebensführung aktivierend eingreifen und im Zuge einer neuen vermischten Wirtschaft (new mixed economy) mehr Verantwortung und Engagement seitens der Bürger verlangen, die im Staat einen fördernden und zugleich fordernden Partner.
Die leistungsorientierten Marktmechanismen regeln die Zusammenarbeit zwischen Bürgern und Sozialstaat, der nicht mehr jeden Bürger gleich behandelt, sondern seine Leistungen den Bedürfnissen der Betroffenen anpasst. Giddens spricht sich zudem für Private Public Partnerships aus, die die Zivilgesellschaft erneuern sollen und zu mehr Eigenverantwortung der Bürger und zur gleichzeitigen Beibehaltung der staatlichen Interessen führen sollen[10].
2.2 Die neue Arbeitsmarktpolitik
Giddens sieht die Wiege für eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik vor allem in der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Das Verabschieden von der klassischen Vorstellung des einen Jobs für das ganze Leben gehört hier genauso dazu wie die Lockerung des Kündigungsschutzes, die den Unternehmern im Bedarfsfall mehr flexiblere Handhabung über Arbeitsplätze gewährleisten soll, die jedoch verantwortungsvoll eingesetzt werden soll, denn nach Giddens sind die Vollzeitarbeitsplätze und die langzeitlichen Arbeitsplätze in westlichen Industrieländern auf dem Rückzug[11].
Der Dritte Weg sieht zudem eine Abkehr der sozialdemokratischen Maxime der Vollbeschäftigung ab, Giddens sieht die Erfolgschancen einer Vollbeschäftigung eher als unwahrscheinlich an,[12] da im Zuge der Globalisierung und der fortgeschrittenen Modernisierung die Arbeitsplätze viel mobiler und effizienter geworden sind und deshalb Arbeitsplätze aufgrund von Marktmechanismen ständig wegrationalisiert werden. Um den eigenen Standort zu sichern fordert Giddens eine gute (Aus-) Bildung und stete Weiterbildung, so dass ein lebenslanges Lernen von statten gehen kann und dadurch der Arbeitsplatzstandort interessant und innovativ bleibt.
Hierbei muss der Staat die entsprechenden Ausbildungsangebote bereitstellen und anbieten und zwar so, dass sie für jeden gleichermaßen zugänglich sind.
Aufgrund der Globalisierung und der verschiedensten Marktmechanismen ist zudem eine flexible Handhabung des Arbeitsplatzstandortes notwendig geworden, denn „consumers shop on a world level, in the sense that distribution is global and therefore `the best´ no longer has any generic connection with were goods and services are produced.“[13] Der Staat muss deswegen die ortsgebundene Mobilität innerhalb der Gesellschaft stärker fördern, damit die Arbeitsplätze auch sinnvoll genutzt werden, was durch eine verbesserte Verwaltung geschehen muss.
Ein weiterer Aspekt des Dritten Weges in diesem Bereich ist der familienfreundliche Arbeitsplatz[14] der vom Staat durch eine gemischte Kollaboration zwischen öffentlicher Hand und privater Eigeninitiative erreicht werden soll.
2.3 Die Neuordnung des Sozialstaats
Aufgrund des demographischen Wandels und konjunktureller Schwankungen stehen die klassischen Sozialsysteme vor dem Kollaps. Diesem Missstand trägt Giddens in seiner Arbeit auch Rechnung. Er verabschiedet sich von den klassischen Modellen des starken Wohlfahrtsstaates der Sozialdemokratie und vom Netz der sozialen Absicherung des Neoliberalismus. Für Giddens stellt das Modell des sozialen Investitionsstaates die Zukunft der Sozialdemokratie und des Sozialstaates im Rahmen einer New Mixed Economy dar. „The new mixed economy looks [...] for a synergy between public and private sectors, utilizing the dynamism of markets but with the public interest in mind.“[15] So soll „die Dynamik des Marktes zur Förderung des Allgemeinwohls“[16] genutzt werden.
Angewandt auf den Sozialstaat ergibt sich eine Umverteilung des Risikomanagements, welches nicht mehr rein beim Wohlstandsstaat angesiedelt wird, sondern immer mehr Verantwortung an die Bürger abgibt, um so eine Gesellschaft von „’responsible risk takers’ in the spheres of government, business enterprise and labour markets.“[17] Der Staat handelt nur noch in Zeiten von Fehlschlägen und hilft den Menschen wieder auf die Beine, ohne jedoch die Angewohnheit zu fördern, sich vollends auf die staatliche Unterstützung zu verlassen und das staatliche Wohlfahrtssystem auszunutzen. Der Sozialstaat behandelt hierbei jeden individuell, um so besser den Bedürfnissen gerecht zu werden. Als sozial wird dabei auch angesehen, die Ausbildungsmöglichkeiten seitens des Staates insofern zu verbessern, dass ein Bedarfsfall wie Arbeitslosigkeit außen vor bleibt und jedem Bürger die gleichen Chancen auf den Zutritt in den Arbeitsmarkt gewährt werden.
[...]
[1] Schröder, Gerhard (2003): Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 14. März 2003 vor dem Deutschen Bundestag, in:
http://archiv.spd.de/servlet/PB/show/1025523/Regierungserklaerung_Gerhard_Schroeder_2003_03_14.pdf, S.1.
[2] Jun, Uwe (2004): Der Wandel von Parteien in der Mediendemokratie. SPD und Labour Party im Vergleich. Frankfurt am Main: Campus, S. 213.
[3] Dingeldey, Irene (2006): Aktivierender Wohlfahrtsstaat und sozialpolitische Steuerung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 8-9/2006), auf: http://bpb.de/themen/RC3DBL.html. (Stand: 14.3.2008)
[4] Giddens, Anthony (1998): The Third Way. The Renewal of Social Democracy. Cambridge: Polity Press.
[5] Ebd., S. 69.
[6] Sturm, Roland (2001): Der Dritte Weg – Königsweg zwischen allen Ideologien oder selbst unter Ideologieverdacht?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B16-17.Bonn. S. 3.
[7] Ebd., S.5.
[8] Jun (2004), S.178.
[9] Ebd. S.207.
[10] Vgl. Giddens (1998), S. 125.
[11] Vgl. ebd., S.126.
[12] Vgl. ebd., S.126.
[13] Ebd. S. 123.
[14] Vgl. ebd., S. 125.
[15] Ebd., S.100.
[16] Jun (2004), S.208.
[17] Ebd., S.100.
- Citation du texte
- Jochen Bethscheider (Auteur), 2008, Anthony Giddens und der Dritte Weg im Vergleich mit der Reformpolitik unter Gerhard Schröder, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187285
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