Die Primär- und Sekundärprävention von Kinder- und Jugendkriminalität ist trotz der Schwierigkeit, Ergebnisse zu evaluieren, ein wichtiger Beitrag von Staat und Gesellschaft, um Jugendliche über die Folgen ungesetzlichen Verhaltens zu informieren, vor den Risiken zu warnen und sie vor dem Sturz in die Kriminalität zu bewahren. Dies leistet unzweifelhaft einen wichtigen Beitrag für die positive Entwicklung unserer jungen Generation und ist Grundlage für ein gutes Zusammenleben in einer sicheren Gesellschaft.
Die folgende Arbeit soll einige Ursachen und psychologische Erklärungen kriminellen Verhaltens beschreiben und gleichermaßen Lösungsansätze für erfolgversprechende Präventionsmaßnahmen aufzeigen.
Inhaltsverzeichnis
A. Ursachenforschung
I. Begriffsbestimmung und Beschreibung
1. Kindheit
2. Jugend
3. Gewalt
4. Kriminalität
II. Entstehung der Jugendkriminalität allgemein aus
psychoanalytischer und sozialer Sichtweise
1. Jugendschutz als Gut von Verfassungsrang
2. Soziale Entstehungsfaktoren
3. Psychische Entstehungsfaktoren
III. Psychologische Ursachen für und Maßnahmen gegen delinquentes Verhalten
1. Streß und Streßbewältigung
a. Ursachen
b. Streßreaktionen
c. Persönliche Streßanalyse
d. Möglichkeiten der Streßbewältigung
2. Aggressivität und Anti- Aggressivitäts- Training
a. Aggressivität
a. Klassifizierung von Aggressionen
b. Lernprozesse für aggressives Verhalten
c. Motive und Verstärkungsfaktoren von Aggressivität
b. Anti- Aggessivitäts- Training
a. Zu untersuchende Aggressivitätsfaktoren
b. Operantes Konditionieren
c. Ergebnisfindung
B. Lösungsansätze
IV. Chancen und Risiken der Kriminalprävention
1. Was versteht man unter Prävention?
2. Psychologische Überlegungen der Prävention
3. Welche Arten gibt es?
a. primäre
b. sekundäre
c. tertiäre
4. Warum sind Primär- und Sekundärprävention besser
und haben rechtlichen Vorrang?
5. Institutionsebenen der Kriminalprävention
6. Überblick über die Wirkungen/ den Erfolg präventiver
Maßnahmen am Beispiel der Kommunalprävention
V. Mittel und Projekte der Prävention
1. Integrative Familienhilfe
a. Ziele und Motive der IF
b. Gruppenangebote und Methoden
c. Methodische Rahmenbedingungen
d. Erfahrungen und Ergebnisse
2. "KIDO - der Weg für Kids"
a. Beschreibung und Ziel des Kurses
b. Methodik und Didaktik der Kurse
c. Erfahrung und Ausblick
3. KICK - Sport gegen Jugenddelinquenz
a. Psychosoziale Aspekte einer ganzheitlichen Prävention
durch Sporttreiben
b. Methoden
c. Tätigkeitsfeld
d. Erfahrungen und Perspektive
C. Evaluation von Prävention und Ausblick
D. Literaturverzeichnis
A. Ursachenforschung
I. Begriffsbestimmung und Erklärung
1. Kindheit
Das Verständnis für Begriffe, wie Besitz und Eigentum, sind nicht angeboren, sondern derartige Wertvorstellungen müssen erst allmählich durch Erziehung und Sozialisation vermittelt und erlernt werden. Erst im Verlauf der Kindheit sorgen die Intelligenz und die auf deren Grundlage erlernten Regeln für Kontrollinstanzen und ein Verständnis für Werte, Normen und Moral, damit der Besitztrieb nicht die Oberhand behält. Vorbildfunktion in dieser frühen Phase erfüllen zuallererst die Eltern, allen voran die Mutter, die als wichtigste Bezugsperson gilt. Gewissensbildung, Kommunikation, soziale Interaktion, der Erkundungstrieb und die Orientierung an Vorbildern bilden das Fundament für das entstehende Sozialverhalten des Kindes. Die Beeinflussung von anderen Personen nimmt stärker zu und das Kind erlernt auch sehr schnell, negative und falsche Handlungen und Vorstellungen. Eine ungenügende, fehlerhafte und diffuse Erziehung führt zu einer geringen und instabilen Sozialbasis, was zur Folge hat, daß das Kind auf der Suche nach Halt und sozialer Verankerung ist, und somit leicht für kriminelle Aktivitäten zu gewinnen und im Sinne der Gleichaltrigengruppe (Peer Group) zu beeinflussen ist.[1]
2. Jugend
Jugendliche bewegen sich vielfach in "Phasenkulturen"[2], um möglicherweise hier Abgrenzungs- und Protestgefühle ausleben zu können. Dort finden sie altersgemäße Anerkennung unter Gleichaltrigen, die ihnen eventuell in Familie, Schule oder allgemein in der Gesellschaft nicht zuteil wird. Diese, auch als "Jugendkultnischen"[3] bezeichneten, Gruppierungen bieten für die Jugendlichen eine gemeinsame Identität, ein "Wir-Gefühl", Solidarität, Akzeptanz und Verantwortung. Ein weiteres Merkmal dieser Jugendkultur besteht oft darin, den 'Kick' zu suchen und gefährliche Handlungen zu vollziehen, um ihre Extremität, Extravaganz und Tollkühnheit unter Beweis zu stellen. So bildeten sich aggressive und auto- aggressive Freizeitaktivitäten, wie "Airbagging", "Bungee-Jumping" oder "Elektrosmoking". Erst aufgrund von Alterungs- und Reifeprozessen etablieren sich feste Partnerschaften und berufliches Entwicklungs- und Weiterbildungsstreben von Jugendlichen und Heranwachsenden[4]. Aufgrund dessen verbreitet sich allmählich die Akzeptanz zur Übernahme von Verantwortung in Beruf und Familie und Handlungsformen, die der bürgerlichen Werteordnung und Moral entsprechen. Je klarer ein Lebensziel definiert und erreichbar erscheint, desto weniger besteht die Neigung, sich in extreme Phasenkulturen zu begeben. Die Herauslösung und das selbständige Auflösen von "Peer-Groups" gestaltet sich extrem schwierig, da soziale Bindungen zerstört werden und meist kein geeigneter Ersatz zu bekommen ist. Aussteiger aus straff organisierten Gruppen, wie sie im kriminellen Milieu die Regel sind, werden häufig bedroht, erpreßt und schwer sanktioniert, einhergehend mit einer sozialen Ächtung. Gemäß dieser Feststellung sollte sich Sozialarbeit vornehmlich dem Individuum zuwenden und nicht der delinquenten / kriminell gefährdeten Gruppe, da diese damit nur in ihrer Intension und Struktur bestätigt und stabilisiert wird.[5]
3. Gewalt
Gewalt zu definieren gestaltet sich problematisch, da es kulturell und gesellschaftlich keine einhellige Meinung gibt, welche konkreten Verhaltensformen darunter zu subsumieren sind.
Wenn man nur den strafrechtlichen Gewaltbegriff zu Rate nimmt, so umschreibt § 240 StGB folgendes: "Gewalt im Sinne der Nötigung ist die durch körperliche Kraftentfaltung bei einem anderen herbeigeführte körperliche oder als solche empfundene Zwangseinwirkung, die geeignet und bestimmt ist, die Freiheit der Willensbildung oder -betätigung aufzuheben oder zu beeinträchtigen. Gewalt in diesem Sinne ist auch der seelische Zwang, der als körperlicher Zwang empfunden wird."[6]
Unbestritten hat jugendliche Gewalt in den letzten Jahren qualitativ und quantitativ zugenommen. Besonders besorgniserregend stellt sich die qualitative Zunahme dar, die sich z. B. darin äußert, daß sich ein jugendlicher Straftäter nicht mehr allein damit zufrieden gibt, dem Opfer die Diebesbeute zu entreißen, sondern das hilflose Opfer noch am Boden liegend zusammenzutreten, um seine Übermacht und Stärke zum Ausdruck zu bringen. Für Kinder- und Jugenddelinquenz ist vor allem die Gruppengewalt kennzeichnend, da die Täter oft nicht in der Lage sind, die körperliche Gewalt und die drohende Haltung allein auszuüben. Als kriminelle Maßnahmen, die unter Gruppengewalt fallen, wertet z.B. die Berliner Polizei Raub und räuberische Erpressung, Körperverletzungen jeder Art, Bedrohungen, Sachbeschädigungen und sonstige Begleitdelikte, wie unerlaubter Waffenbesitz.[7]
4. Kriminalität
"Kriminalität im quantitativen Sinne stellt die Summe aller mit Strafe bedrohten Norm- und Gesetzesverstöße dar, die von einer bestimmten Gruppe oder in einer festgelegten Region in einem gewissen Zeitraum begangen wurden."[8]
Nach qualitativen Merkmalen läßt sich Kriminalität etwa in Jugend-, Alters-, Rauschgift- oder organisierter Kriminalität unterteilen.
Ich möchte im folgenden die Jugendkriminalität näher unter die Lupe nehmen, die zwei konkrete Ausprägungen zeigt. Zum einen ist die entwicklungsbedingte, vorübergehende kriminelle Episode des Jugendlichen zu unterscheiden von einer dauerhaften, meist psychisch und sozial verwurzelten, kriminellen Lebensweise. Erstere ist oft häufiger Bestandteil der individuellen menschlichen Entwicklung, wobei hier die Prämisse gilt, eine derartige Phase früh zu erkennen und Normverstöße gering zu halten. Dieser entwicklungsbedingten Delinquenz trägt auch das Jugendgerichtsgesetz Rechnung und sieht Strafe nicht als Vergeltung, sondern als erforderliche erzieherische Maßnahme, was vor allem in der Strafmilde zum Ausdruck kommt. Man will hier dem jungen Menschen die Möglichkeit zur Einsicht geben und ihn auf den rechten Weg zurückführen. Bei einer Prognose der dauerhaften und bewußten Kriminalität äußern sich Strafmechanismen entschieden rigoroser und vehementer.
II. Entstehung der Jugendkriminalität allgemein aus psychoanalytischer und sozialer Sichtweise
1. Jugendschutz als Gut von Verfassungsrang
Der Jugendschutz genießt oberste Priorität in der BRD und ist verfassungsrechtlich sowohl in Art.5 II GG, als auch in Art. 6 GG verankert und legitimiert. Das Jugendschutzrecht wird durch verschiedene Gesetze vertreten, wie im Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG), im Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS) oder im Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG). Diese Rechtsnormen werden von ergänzenden Jugendschutzbestimmungen aus dem Strafgesetzbuch oder dem Jugendgerichtsgesetz eskortiert. Hauptamtlich kümmern sich die Jugendämter um die praktische Umsetzung und Einhaltung des Jugendschutzes. Verstöße gegen Jugendschutzgesetze stellen im allgemeinen aber lediglich Ordnungswidrigkeiten dar.
Ziele des Jugendschutzes sind die Sicherung einer alters- und entwicklungsangemessenen Erziehung aller Kinder und Jugendlichen und die Durchsetzung von Ge- und Verboten gegenüber Personen, Gruppen und Organisationen, die durch ihr Handeln die Entwicklung und Reife der nachwachsenden Generation nachhaltig stören könnten.
Die Überwachung und das Eingreifen der Polizei bei Verstößen gegen den Jugendschutz ist elementar wichtig und vermag Gefährdungspotentiale für diese Zielgruppe zu minimieren und zu begrenzen, was als notwendiger Schritt der Prävention von Jugenddelinquenz anzusehen ist.[9]
2. Soziale Entstehungsfaktoren
Die Entwicklung des Kindes beschreiben wir heute als einen komplexen, fortschreitenden Prozeß von Wechselwirkungen zwischen der strukturellen Altersreife, den individuell genetischen Anlagen (Gestalt, Intelligenz), den Umwelteinflüssen und der individuellen Selbststeuerung.[10] Familie, Schule, Freundeskreis und später die Berufswelt beeinflussen Kinder und Jugendliche nachhaltig in ihrer Entwicklung und fördern durch Lernsituationen die soziale Orientierung. Aber es darf keinesfalls der Eindruck entstehen, Kinder wären passive Sozialisationsobjekte, sondern sie vermögen in ihrer Entwicklungsgestaltung aktiv und gegenüber Belastungen sehr unterschiedlich und flexibel zu agieren.
Soziale Entstehungsfaktoren von Jugendkriminalität können in allen Lebenssituationen und -bereichen lauern, gegen die sich die erwähnte Zielgruppe durch Problembewältigungsverfahren zur Wehr setzen muß. Da sich die Umwelt und die Situation von Jugendlichen im Laufe der Zeit extrem gewandelt hat, sind neue Probleme entstanden, doch alte Konflikt- und Unsicherheitskomponenten blieben bestehen.
Ein Beispiel dafür ist der gestiegene Leistungsdruck, der exzellente Ergebnisse der Schüler fordert. Schon früh wird den Lernenden von Eltern und Lehrern deutlich gemacht, daß sie ohne qualifizierten Schulabschluß im Berufsleben keine Chance haben und scheitern werden. Leistungsmängel werden immer weniger geduldet und akzeptiert, ohne oft nach Gründen des Leistungsdefizits zu fragen. Außerdem sind Kinder und Jugendliche entwicklungsspezifisch eher und häufiger gefordert, auf eigenen Beinen zu stehen und selbst Entscheidungen zu treffen, zu denen manche noch nicht in der Lage sind. So kann Unsicherheit und Streß entstehen, der sich in delinquenten Aktionen entladen kann.
Bei der Problemverarbeitung unterscheiden wir zwei Typen von Menschen, nämlich einmal den "konfliktorientierten Typ" und zweitens die "rückzugsorientierte Person". Ersterer teilt seiner Umwelt unmißverständlich mit, daß er mit sich oder seiner Umwelt unzufrieden ist. Dies kann auf verschiedene Arten geschehen, z.B. durch auffällige Kleidung, Aussehen oder durch auffälliges kriminelles Verhalten.[11a] Zu dieser Gruppe gehören besonders männliche Personen, da sie Probleme zu verdrängen versuchen und keine Schwächen zeigen wollen. Die Erwartungshaltung der Gleichaltrigengruppe, wie der Gesellschaft ist dahingehend ausgerichtet, daß Männer mit Problemen fertig werden, keine Schwächen und Schmerzen zeigen, psychisch wie physisch stabil sind und wenig "verpönte" Emotionen äußern.
Rückzugsorientierte Jugendliche verbergen ihre Probleme nach innen, sie möchten nicht, daß ihre Mitmenschen von ihren Problemen und Belastungen wissen. Auswege werden dann häufig in Drogen, Alkohol und Medikamenten gesucht.
Durch gestörte und inakzeptable Problembewältigungsverfahren von Jugendlichen entsteht also sozial geächtetes Verhalten in Form von Kriminalität. Soziale Problemherde existieren zahlreich, z.B. durch eine schlechte sozial - ökonomische Lage der Herkunftsfamilie. Kinder aus armen Verhältnissen, in Plattenbausiedlungen wohnend, mit schlechtem bis nicht vorhandenem Schulabschluß besitzen keine Aussicht auf einen Beruf und somit fehlt eine Zukunftsperspektive. Gesichertes Einkommen versetzt den Jugendlichen in eine ruhige und planbare Lage, die ihn innerlich ermutigt und zu weiteren Leistungen anspornt. Soziale Mißstände aber bieten einen günstigen Nährboden für Delinquenz, vor allem wenn diese Kinder- und Jugendlichen Reichtum und Wohlstand der anderen täglich vor Augen haben, und so ist es nicht verwunderlich, daß sich in ihnen die Intention und der Gedanke breit macht, ein Stück des Kuchens abzuschneiden, vor dem Hintergrund eh nichts verlieren zu können.
Als ein weiterer wichtiger Entstehungsgrund ist ganz allgemein der Zustand von instabilen und gestörten Familienbeziehungen zu nennen, der den Heranwachsenden das Gefühl von Sicherheit, persönlicher Wertigkeit und Akzeptanz zu entziehen imstande ist. Die familiäre Atmosphäre und das soziale Umfeld beeinflussen die Selbstfindung und die individuelle, schulische und berufliche Qualifikation immens, was unter normalen Umständen zum Aufbau eines eigenen Wert- und Normensystems im Sinne eines ethisch - moralischen Bewußtseins führt.[11b]
Es darf aber ein wichtiger Gesichtspunkt nicht ausgeblendet werden, nämlich, daß Aggressivität, Gewalt und im weiteren Sinne Verbrechen zum einen entwicklungsbedingt, zum anderen aber persönlichkeitsbezogen auftreten kann.
Nach Meinung von Adolf Gallwitz zeigen circa 7- 14 % der Kinder und Jugendlichen zeitweise Störungen des Sozialverhaltens, das man als "temporäre Dissozialität" bezeichnet.[11]
Gründe dafür sind Kosten - Nutzen- Überlegungen, also der positive Kick, Nutzen, Gewinn, erscheint höher als die Kosten oder der Einsatz oder eine gewisse Rollenunsicherheit bzw. die Diskrepanz zwischen der biologischen Reife und dem sozialen Status.
Problematischer erscheint aber die "dauerhafte Dissozialität", die die Persönlichkeit beeinflußt oder schon beeinträchtigt hat. Ursachen können ein feindliches Familienklima, vernachlässigende Eltern, eine negative Grundeinstellung zum Leben / sozialer Umwelt oder zu hohe Aggressivitätstoleranz sein. Zu erwähnen wären noch Bedingungsfaktoren, die Gewaltanwendung und Kriminalität fördern und sich als starke Persönlichkeitsdissonanzen nach außen hin präsentieren, wie exzentrischer Egoismus, fehlende Moral und dem Phänomen eines gesellschaftsübergreifenden Werteverfalls, der ein hergeht mit einer kategorischen Ablehnung von Vorbildern, Bindungsinstitutionen und staatlicher Herrschaft.
Kriminelles Verhalten von Kindern und Jugendlichen ist die Reaktion auf derartige soziale Mängellagen, welches natürlich fatale Auswirkungen auf den weiteren Lebensweg und die Persönlichkeitsentwicklung hat, da die 'Kriminellen' immer mehr in den Teufelskreis der sozialen Ächtung und Isolation hineingeraten. Deshalb erscheint es politisch und sozialpädagogisch notwendig, die Verhütung von Straftaten, also die Prävention, besonders hoch einzuschätzen und dementsprechend zu fördern.
3. Psychische Entstehungsfaktoren
Die charakterliche Entwicklung des Menschen hat aus psychoanalytischer Sicht ihre Ursache in der frühen Kindheit. Dabei ist die emotionale Beziehung zwischen Säugling bzw. Kleinkind und Kind zu seiner Bezugsperson von herausragender Bedeutung. Emotionale Mangelzustände in der frühen Kindheit bei Vernachlässigung oder Ablehnung durch die Bezugsperson können zu andauernden psychischen, sozialen und unter Umständen sogar zu körperlichen Störungen führen. Wenn sich die erste Bezugsperson in dieser Phase zu wenig mit dem Kind beschäftigt und eine mangelhafte Zuwendung stattfindet, dann kann es zur sogenannten anaklitischen Depression kommen. Sowohl übermäßige Freiheit und Verwöhnung, als auch zu starke Einengung können später das Kind zu kriminellen Handlungen veranlassen. Als Grundlage für die Kindesentwicklung dient das psychodynamische Modell der Instanzen: Ich, Über Ich und Es.
Das Es umfaßt die triebhafte, unbewußte Seite, das Über Ich ist eine Kontrollinstanz, die unbewußt die moralische Wertung übernimmt und die moralischen Gebote und Verbote der Eltern beinhaltet. Das Ich vermittelt zwischen den Triebansprüchen des Es, den moralischen Forderungen des Über Ichs und der Realität der Außenwelt. Wenn das Instanzenmodell funktioniert, dann ist die anaklitische Identifikation mit der ersten Bezugsperson geglückt und die Charakterstruktur des kindlichen Gewissens früh geprägt.
Wenn die anaklitische Identifikation bei einer Person mißglückt ist und das Gewissen von der Norm abweicht, das Kind hat z.B. in der ersten, oralen Phase, zu wenig emotionale Liebe durch die Mutter entgegengebracht bekommen, weshalb es geschwächt in die zweite, anale, Phase eingetreten ist und sich die Störungen in der dritten, ödipalen, Phase derartig summiert haben, daß kein Identifikationstransfer zum Vater stattfinden kann, dann weist es erhebliche Charakterdeformationen auf. Es treten unter Umständen durch Über Ich - Defekte, - Lücken oder- Deformationen Zustände, wie Antisozialität, Asozialität auf, wo das Urvertrauen erheblich zurückgebildet ist. Die so entwickelte psychopathische Persönlichkeit offenbart Frustrationsintoleranz, mangelnde Impulskontrolle und ist sehr anfällig für gruppenpsychologisch negative Einflüsse, da die Stimme des Gewissens nur unzureichend ausgeprägt ist. Folglich läßt der Betroffene seinem Es, also seinen Trieben und inneren Bedürfnissen, wie z.B. einen Gegenstand zu besitzen und diesen unter allen Umständen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, also auch durch Stehlen, zu beschaffen, freien Lauf, weil sein Über Ich bzw. seine moralische Instanz ihn nicht auf die Normabweichung hinweist und das Ich sich somit für das Es entscheidet.[12]
Aus dieser Sicht erscheint es zweifelhaft, einem Jugendlichen mit innerpsychischen "Unregelmäßigkeiten" bei Straftaten eine Schuld zuzuerkennen oder sogar Absicht zu unterstellen. Entsprechend tauchen ebenso bei der Frage nach geeigneten und erfolgversprechenden präventiven Maßnahmen und Operationen gravierende Schwierigkeiten auf.
III. Psychologische Ursachen für und Maßnahmen gegen delinquentes Verhalten
1. Streß- und Streßbewältigung
Streß ist normal und eine allgemeine, unspezifische Reaktion auf Reize. Erst die subjektive Bewertung und Dosis verursachen eine individuelle Belastung.
Stressoren sind Reizereignisse, die eine angepaßte/ adaptierte Reaktion des Organismus erfordern. Eine Streßreaktion ist zusammengesetzt aus einer Vielzahl von Reaktionen auf unterschiedlichen Ebenen. Ihr Effekt hängt von Moderatorvariablen ab, die die Wirkung des Stressors mäßigen bzw. modulieren. Als Moderatoren kann man die kognitive Bewertung des Stressors und die Ressourcen zur Bewältigung bezeichnen. So entsteht ein Streßverarbeitungsprozeß, in dem Reize gefiltert, moderiert und verarbeitet werden und anschließend verschiedene Reaktionen auf vier Ebenen zur Ausprägung kommen können.[13]
a) Ursachen
1. Bedeutende Lebensveränderungen
Streß[14] durch Lebensveränderungen erhöht die allgemeine Krankheitsanfälligkeit eines Menschen, diesen Umstand beweisen sowohl retrospektive, als auch prospektive Untersuchungen. Aber Krankheit stellt nicht nur Folge, sondern auch Auslöser für Streß dar. Einschneidende Lebensveränderungen, vom Tod eines nahen Angehörigen über die Schwangerschaft bis hin zur Entlassung, können unterschiedliche individuelle Auswirkungen von der kognitiven bis hin zur physiologischen Ebene haben.
2. Kleine Ärgernisse
In der jüngsten Vergangenheit haben Projekte gezeigt, daß diese "kleinen Ärgernisse" einen nicht unwesentlichen Anteil an Streßreaktionen haben. Sie äußern sich als alltägliche Pannen, also vom abgebrochenen Bleistift bis hin zur vergessenen Telefonnummer.
3. Katastrophale Ereignisse
Menschen durchschreiten bei Katastrophen oder schweren Verkehrsunfällen fünf Reaktionsphasen:
a) Schock, psychisches Abstumpfen und fehlendes Begreifen
b) Automatisches Handeln und unbewußtes, anpassungsbedingtes Verhalten
c) Positives Gefühl wegen der bewältigten Situation, aber auch Erschöpfung
d) Energielos und beginnende emotionale Empfindung der Tragödie
e) Phase der Erholung, Vergangenheitsbewältigung und kognitive Aufarbeitung
4. Chronischer gesellschaftlich bedingter Streß
Hierzu kann die Furcht vor einer atomaren Katastrophe genauso gezählt werden wie Angst vor einer ungewissen Zukunft. Auch aktuelle Probleme gesellschaftlicher Art können zu Beunruhigung und Streßreaktionen führen, eine hohe Arbeitslosigkeit, rechtsradikale Ausschreitungen, Symptome einer schweren Krankheit und die Sorge wegen BSE oder der Schweinepest sind hier nur stellvertretend zu erwähnen.
Umweltbedingte Stressoren in dieser Kategorie waren die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl oder das Tankerunglück der "Exxon Valdez" vor der Küste von Alaska.
[...]
[1] Vgl. Polizeipräsident in Berlin (Hrsg.), Vorbeugung und Bekämpfung von Jugendkriminalität,in: Landespolizeischule Mediendienst, 2000, Nr.28, S.41/42; vgl. auch Schumann, Karl F., et al., Jugendkriminalität und die Grenzen der Generalprävention, Darmstadt, 1987, S.108-110.
[2] Polizeipräsident in Berlin, Jugendkriminalität, S.42.
[3] Gallwitz, Adolf et al., Horrorkids?, 2000, S.51.
[4] Vgl. Anhang I, S.40.
[5] Vgl. Polizeipräsident, Jugendkriminalität, S.42/43.
[6] Polizeipräsident ( gemäß den Kommentaren zum § 240 StGB) Jugendkriminalität, S.44.
[7] Vgl. Polizeipräsident, Jugendkriminalität, S.42-44;
Für Zahlen und Statistiken zu Gewalt und Delikten siehe auch: Jäger, Reinhold S., Gewaltprävention: Strategien und Visionen - Eine Bestandsaufnahme und Perspektiven zur Weiterentwicklung, in: Hanns- Seidel- Stiftung e.V. (Hrsg.), Politische Studien, 48. Jahrgang, Heft 4/1997, S.17-23.
[8] Polizeipräsident, Jugendkriminalität, S.40.
[9] Vgl. Polizeipräsident, Jugendkriminalität, S. 27/28; vgl. dazu auch Wolfgang Heinz, Kriminalprävention auf kommunaler Ebene, in DVJJ-Journal,1/1997, Nr. 155, S.61-63.
[10] Vgl. www.hausarbeiten.de, Schutz und Risikofaktoren in der kindlichen Entwicklung, Resilienz- Forschung, S.2/3.
[11a] Über Internet nach Hurrelmann, Klaus, Lebensphase Jugend, Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung, 3. Aufl., Weinheim, München, 1994.
[11b] Vgl. Schumann, Karl F., Jugendkriminalität, 1987, S.62-66.
[11] Vgl. Gallwitz, Horrorkids?, 2000, S. 22/23.
[12] über Internet nach Kerscher, Ignatz, Konfliktfeld Sexualität, 1977, S. 10-18; vgl. dazu auch Zimbardo, Psychologie, S.487-489.
[13] Vgl. Zimbardo, Philip G., Psychologie, 1995, S. 575/576.
[14] Vgl. Zimbardo, Psychologie, S.584-587.