Der Autor entwickelt in einem interdisziplinären Ansatz, in dem er sozialwissenschaftliche Theorien zur Identitätskonstruktion des Individuums einerseits und wirtschaftswissenschaftliche branding- und Marketingtheorien andererseits integriert, eine Typologie der Identitätskonstruktion, die praktisches Nutzenpotential für das Management von brands und damit für ein erfolgreiches Marketing insgesamt birgt.
Die Abhandlung eröffnet nicht nur dem Brandmanager neue Perspektiven, sondern allen, die sich wissenschaftlich mit dem Thema Identitätskonstruktion und dem Begriff der Persönlichkeit beschäftigen.
Inhalt
1 EINFÜHRUNG: I BUY, THEREFORE I AM?
2 SOZIOLOGISCHE THEORIEN ZUR AMBIVALENTEN IDENTITÄT DES INDIVIDUUMS: IDENTITÄTSKONSTRUKTION IM SPANNUNGSFELD VON VEREINHEITLICHUNG UND DIFFERENZIERUNG
2.1 GEORG SIMMELS VERALLGEMEINERTE BESONDERHEIT DER IDENTITÄT DES INDIVIDUUMS
2.1.1 Die dualistische Grundstruktur der Identität des Individuums
2.1.2 Die Mode als Mittel der Identitätskonstruktion des Individuums
2.2 PIERRE BOURDIEUS KLASSENSPEZIFISCH VIELFÄLTIGE VEREINHEITLICHUNG DER IDENTITÄT DES INDIVIDUUMS
2.2.1 Grundzüge des Habitus-Konzeptes: Der Zusammenhang zwischen Klassenlage, Dispositionen und Lebensstil
2.2.2 Zur relationalen Struktur der individuellen Geschmäcker
2.2.3Identitätskonstruktion zwischen klassenspezifischer Vereinheitlichung und Differenzierung innerhalb der Klasse
2.3 VEREINHEITLICHUNG/DIFFERENZIERUNG ALS FORM DER IDENTITÄTSKONSTRUKTION DES INDIVIDUUMS
3 ZUR FUNKTIONSWEISE DES BRANDING: DER BRAND EINES PRODUKTES ALS MITTEL DER VEREINHEITLICHUNG UND DIFFERENZIERUNG DES SOZIAL-PERSÖNLICHEN SELBSTBILDES SEINES KONSUMENTEN
3.1 BRANDING IM KONTEXT DER INSTRUMENTELLEN PERSPEKTIVE DES MARKETING
3.1.1 Die Dimensionen des Marketingmix 30
3.1.2 Interaktionseffekte zwischen den Dimensionen des Marketingmix
3.1.3 Zum Zusammenhang des managementorientierten und des identitätsorientierten Markenbegriffs
3.2 DAS BEDÜRFNIS NACH IDENTITÄTSKONSTRUKTION ALS EINGESCHRÄNKT TREIBENDE KRAFT DES KONSUMS
3.3 ZUR SYMBOLKRAFT DES BRAND
3.3.1 Brands als symbolische Mittel der Identitätskonstruktion des Individuums
3.3.2 Zur gezielten Schaffung der vom brand symbolisierten Bedeutungen
3.4 ZUR IDENTITÄTSORIENTIERUNG DES LUXURY-BRANDING
3.4.1Die vielfältige Vereinheitlichung des Konsumenten von Luxusbrands
3.4.2 Die sozial-persönliche Nutzenfunktion von Luxusbrands
3.5 VEREINHEITLICHUNG/DIFFERENZIERUNG ALS FORM DES BRANDING
4 SCHLUSSFOLGERUNGEN: DER BRAND ALS WERKZEUG DER IDENTITÄTSKONSTRUKTION - INWIEWEIT IST IDENTITÄT KÄUFLICH?
5 LITERATUR
1 Einführung: I buy, therefore I am?
Mit dem Kauf einer Schachtel Zigaretten erwerben wir neben einem Tabakprodukt ein spezifisches Image, welches durch den jeweiligen brand verkörpert wird. Während der „Marlboro“-Raucher sämtlichen Facetten des Wilden Westens und des Cowboy-Kults huldigt, steht die französische Marke „Gauloises“ für unkonventionelles Verhalten und das Streben nach kleinen Genüssen im Alltag, - für „liberté toujours“. Wer hingegen „Davidoff“ raucht, demonstriert überlegenes Wissen: „The more you know.“.
Für nahezu alle Produktkategorien ließen sich vergleichende Listen von brand-Images erstellen. Brands sind ein allgegenwärtiger Bestandteil unseres Lebens. Dem Sozialwissenschaftler stellt sich ebenso wie dem Marketingmanager die Frage, welche Rolle die Markenwelt in unserem Leben spielt. Schon eine oberflächliche Betrachtung beliebiger brand-Images legt den Gedanken nahe, dass brands bei der Konstruktion der Identität des Individuums mitwirken.
Rita Clifton, Vorstandsvorsitzende von Interbrand vertritt folgende These: „We are what we buy, not where we are born. (…) Brands say more about you these days than your birthplace.“. In Anlehnung an Descartes philosophische Grundsatzbehauptung der unmittelbaren Selbstgewissheit des Denkenden „Cogito ergo sum.“ proklamiert sie kurzerhand die Selbstgewissheit des Konsumenten und die Käuflichkeit von Identität: „I buy, therefore I am.“. (The Debating Group 2005)
In der vorliegenden Abhandlung werde ich die Annahme der Käuflichkeit von Identität einer Überprüfung unterziehen. Die Leitfrage der Untersuchung lautet: Welches Verhältnis besteht zwischen dem branding von Produkten und der Identitätskonstruktion des Individuums?
Bei der Beantwortung dieser Frage verfolge ich einen interdisziplinären Ansatz. In einem ersten Schritt werden zwei soziologische Theorien vorgestellt, die sich mit dem Problem der Konstruktion von Identität auseinandersetzen. Zuerst werfe ich einen Blick auf Georg Simmels Verständnis der Identität des Individuums als Dualismus von Verallgemeinerung und Besonderung. Sodann betrachte ich die klassenspezifisch vielfältige Vereinheitlichung der individuellen Identität, die Pierre Bourdieu im Habituskonzept vorschlägt.
Im zweiten Schritt nehme ich anhand einschlägiger Marketing- und branding-Literatur die Funktionsweise des branding in den Blick und beziehe sie auf den Prozess der Identitätskonstruktion zurück. Wir werden sehen, dass eine frappierende Korrespondenz zwischen der Form der Persönlichkeitskonstruktion des Individuums einerseits und der Form der Funktionsweise des branding andererseits besteht, woraus sich ein Verständnis der Funktion von brands als Werkzeuge der Identitätskonstruktion ableitet.
Abschließend erfolgt eine Reflexion der Untersuchung auf die Frage nach der Käuflichkeit von Identität.
2 Soziologische Theorien zur ambivalenten Identität des Individuums: Identitätskonstruktion im Spannungsfeld von Vereinheitlichung und Differenzierung
„(…) He used to wonder at the shallow psychology of those who conceive the Ego in man as a thing simple, permanent, reliable, and of one essence. To him, man was a being with myriad lives and myriad sensations, a complex multiform creature (…).“
(Oscar Wilde 1891. The Picture of Dorian Gray)
2.1 Georg Simmels verallgemeinerte Besonderheit der Identität des Individuums
Im Folgenden nehme ich Georg Simmels Begriff der Identitätskonstruktion in den Blick. Im Zentrum von Simmels Perspektive steht das Konzept der dualistischen oder ambivalenten Struktur der Identität des Individuums, deren Konstruktion er am Beispiel der Mode veranschaulicht.
2.1.1 Die dualistische Grundstruktur der Identität des Individuums
In diesem Abschnitt expliziere ich in Anlehnung an Georg Simmel die dualistische Konzeption der Identität des Individuums anhand der Unterscheidung der Ideale des quantitativen und qualitativen Individualismus.
Im 18. Jahrhundert entstand mit der Befreiung des Menschen von traditionellen Bindungen im Kontext der quantitativen Verhältnisse der Großstadt das Ideal des Individualismus (vgl. Simmel 1957, S.241f.), das Markus Schroer mit Simmel als quantitativen Individualismus bezeichnet (vgl. Schroer 2001, S.311). Inhalt dieses Ideals ist nicht der besondere, in seiner Eigenart unvergleichliche Einzelne und ganz Bestimmte, sondern der allgemeine (vgl. Simmel 1901, S.50), jedoch für sich allein stehende und für sich selbst verantwortliche Mensch als abstrakter Typus (vgl. Simmel 1901, S.51). Dieses Individuum ist zwar nicht bloßes Anhängsel eines Kollektivs, jedoch auswechselbarer Stellvertreter eines Allgemeinen (vgl. Schroer 2001, S.311f.), der durch die Einordnung unter einen überindividuellen normativen Maßstab seine Erfüllung erlangt (vgl. Simmel 1917, S.303). Der quantitative Individualismus fokussiert einen in allen Menschen enthaltenen gleichen Kern und sieht also davon ab, was die Menschen voneinander unterscheidet (vgl. Simmel 1901, S.51). Hinter der Allgemeinheit der isolierten Individuen steht das Ideal der Nivellierung des Einzelnen (vgl. Simmel 1901, S.53). Rechtsgleichheit und Wertgleichheit sind Beispiele einer solchen inhaltlichen Gleichheit (vgl. Simmel 1901, S.51).
Der verallgemeinerte Einzelne des quantitativen Individualismus ist das romanische Individuum, welches die Tendenz zur Allgemeinheit und Typisierung als eine Seite der Identität beschreibt: „(...) In dem romanischen Wesen liegt (…) ein fundamentales Streben nach dem Allgemeinen, nach dem Typus. (…)“ (Simmel 1917, S.299). Dieser Wesensteil des Individuums ist gesellschaftlich bestimmt, insofern er sich aus seinem je einmaligen Rollenrepertoire definiert (vgl. Schroer 2001, S.333).
Der Begriff der Allgemeinheit weist eine enge Verwandtschaft mit dem der stilistischen Gleichheit auf (vgl. Simmel 1908, S.376). Die Zugehörigkeit zu einem Stil bindet die Einzelnen an ein Formgesetz, d.h. sie macht sie zu Trägern eines Typus mit mehr oder weniger allgemeinem Charakter und bringt Gemeinsamkeiten des Lebensgefühls und der Gesinnung zum Ausdruck (vgl. Simmel 1917, S.299). Stil ist eine Formgebung, welche die Bedeutung der Einzigartigkeit verneint, indem sie jede Besonderheit einer allgemeinen Form unterordnet (vgl. Simmel 1908, S.375). Die Gebiete der Stilisierung sind schier unerschöpflich (vgl. Simmel 1908, S.383). Besonders augenscheinliche Stilbereiche sind Haltung, Gebärden, Kleidung und Wohnungseinrichtung (vgl. Simmel 1908, S.382). Innerhalb der Schranken der Allgemeinheit des Typus sind besondere Ausprägungen typischer Züge möglich (vgl. Simmel 1917, S.299), wobei der Wert und die Bedeutung des romanischen Individuums nicht in diesen Differenzen, sondern im Bezug zu dem Allgemeinen lokalisiert werden (vgl. Simmel 1917, S.303). So ist beispielsweise der stilisierte Anzugträger ein Typus, dem es nicht darauf ankommt, welchen speziellen Anzug er trägt. Das Wesen des Stils kann als Entlastung und Verhüllung des Persönlichen festgehalten werden: Mittels eines Stils legt das Individuum seiner Identität ein Gewand der Allgemeinheit um (vgl. Simmel 1908, S.382).
Der Stilbegriff lässt sich allerdings auch auf das einzelne Individuum übertragen. Im Bereich der Kunst beispielsweise kann Stil ein individuelles Formgesetz bezeichnen, welches die einzelnen Werke eines Künstlers einem ihm spezifischen Formgesetz zuordnet (vgl. Simmel 1908, S.375f.). Simmel beschreibt den individuellen Stil und dessen Träger folgendermaßen: „(…) Bei dem großen und schöpferischen Menschen strömt die einzelne Leistung aus einer solchen umfassenden Tiefe des eigenen Seins, daß sie in diesem eben die Festigkeit, Fundamentierung, das Mehr als Jetzt und Hier findet, das der Leistung des Geringeren aus dem von auswärts aufgenommenen Stil kommt. Hier ist das Individuelle der Fall eines individuellen Gesetzes; wer dazu nicht stark genug ist, muß sich an ein allgemeines Gesetz halten; tut er das nicht, so wird seine Leistung stillos (…).“ (Simmel 1908, S.383).
Die Normen des Mittelalters sehen den Menschen ausschließlich als Kollektivwesen, als sozial verschmolzenes Element kleiner sozialer Kreise, z.B. einer Zunft (vgl. Simmel 1901, S.51). Verallgemeinerung und Stilisierung treten mit der Erweiterung der sozialen Kreise und den damit verbundenen neuen Freiheiten und Spielräumen des Einzelnen in Erscheinung (vgl. Schroer 2001, S.292). Sie sind abzugrenzen von Kollektivierung, welche den Einzelnen nur als homogenes Element eines praktischen Zusammenschlusses zum Zwecke der Entstehung eines höheren Ganzen versteht (vgl. Simmel 1917, S.299). Das romanische Individuum ist vielmehr als Rollenträger im Schnittpunkt verschiedener, sich mitunter überschneidender und wechselnder sozialer Kreise konzipiert (vgl. Schroer 2001, S.298). Als solches kommt ihm zunehmend auch die Besonderheit seiner Persönlichkeit zu Bewusstsein (vgl. Schroer 2001, S.332f.).
Auf historischer Ebene bilden die Umstellung der Natural- auf die Geldwirtschaft und die Entwicklung der Großstädte als Sitze der Geldwirtschaft die Bedingungen der Möglichkeit für die verstärkte Entfaltung der individuellen Identität (vgl. Schroer 2001, S.309). Individuelle Freiheit ist keine innere Beschaffenheit eines isolierten Subjekts, sondern das Korrelat eines Allgemeinen (vgl. Schroer 2001, S.303). Sie gedeiht daher nur in einem Kontext, der auf Versachlichung und Verallgemeinerung (vgl. Schroer 2001, S.303) und der damit verbundenen Erweiterung der sozialen Kreise ausgerichtet ist (vgl. Simmel 1957, S.335). Die Zusammengehörigkeit von Individualisierung und Verallgemeinerung formuliert Simmel so:
„(…) Denn dies ist der Zusammenhang, dessen sachliche wie geschichtliche Gültigkeit hier behauptet wird: die allerweitesten und allgemeinsten Inhalte und Formen des Lebens sind mit den allerindividuellsten innig verbunden; beide haben ihr gemeinsames Vorstadium oder auch ihren gemeinsamen Gegner an engen Gestaltungen und Gruppierungen, deren Selbsterhaltungen sie ebenso gegen das Weite und Allgemeine außer ihnen wie gegen das frei Bewegte und Individuelle innerhalb ihrer zur Wehr setzt. (…)“ (Simmel 1957, S.236f.). Die Geldwirtschaft ist ein solcher verallgemeinernder Kontext, der die Herausbildung der Individualität fördert (vgl. Schroer 2001, S.303f.). Mit der Entwicklung der Geldwirtschaft wird die Organisation sozialer Beziehungen von Persönlichkeit auf Unpersönlichkeit umgestellt (vgl. Schroer 2001, S.310). Das Geld schafft eine funktionale Distanz zwischen den Menschen, die sowohl isolierende, als auch verbindende Wirkungen hat (vgl. Schroer 2001, S.306). Der moderne Mensch ist zwar von vielen, aber nicht mehr von ganz bestimmten Personen abhängig (vgl. Schroer 2001, S.302). Die funktionale Distanz ermöglicht den Individuen, nur mit einzelnen Ausschnitten ihrer Persönlichkeiten Verbindungen mit anderen einzugehen und eine grundlegende persönliche Freiheit und Selbständigkeit den unmittelbaren Gruppeninteressen gegenüber zu wahren (vgl. Schroer 2001, S.300f.).
Simmel versteht den Individualisierungsprozess als Begleiterscheinung eines gesellschaftlichen Differenzierungsprozesses (vgl. Schroer 2001, S.434), der das Bedürfnis der Individuen nach Differenzierung steigert (vgl. Simmel 1957, S.241f.). Die Entwicklung blieb nicht bei dem Ideal des 18. Jahrhunderts der isolierten, aber im Wesen gleichartigen, durch ein Allgemeines zusammengehaltenen Individuen stehen (vgl. Schroer 2001, S.312). Im 19. Jahrhundert verstärkte sich die Forderung der Individuen, sich auch voneinander zu unterscheiden (vgl. Simmel 1957, S.242). Sie wollten nicht mehr nur Rollenträger im Schnittpunkt sozialer Kreise (vgl. Schroer 2001, S.298), nicht nur nivellierte freie Einzelne sein, sondern ganz bestimmte, unverwechselbare und unvergleichliche Einzelne (vgl. Schroer 2001, S.315). Sie verlangten nach Besonderung außerhalb gesellschaftlich bestimmter Funktionsbereiche und deren sozialen Rollen (vgl. Schroer 2001, S.333). Hierin offenbart sich der qualitative Individualismus als komplementäres Ideal zu dem quantitativen Individualismus des 18. Jahrhunderts (vgl. Simmel 1957, S.242; vgl. auch Schroer 2001, S.318f.): „(…) Daß auch die Verschiedenheit des Menschlichen eine sittliche Forderung sei, daß jeder gleichsam ein besonderes Idealbild seiner selbst, das keinem anderen gleich ist, zu verwirklichen habe - das war eine ganz neue Wertung, ein qualitativer Individualismus gegenüber jenem, der allen Wert auf die Form des freien Ich legte. (…)“ (Simmel 1901, S.53). Das Ideal der Gleichheit und Gleichberechtigung wird durch das Ideal des Unterschieds und der Rangdistanz ergänzt. Die Zusammengehörigkeit beider Ideale charakterisiert den Individualisierungsprozess insgesamt.
Simmel stellt neben das romanische Individuum, welches die Repräsentation einer generellen Norm oder einer überpersönlichen Typik der Identität betont, das germanische Individuum (vgl. Schroer 2001, S.315f.). Dieses beschreibt die andere Seite der Identität, die von der Tendenz zur Besonderheit und der Gleichgültigkeit gegenüber der Darstellung eines bestimmten Typus geprägt ist (vgl. Simmel 1917, S.301f.). So versteht sich der germanische Anzugträger nicht als Repräsentant eines Typus, sondern als Träger eines ganz speziellen Anzuges, obgleich er einen Typus repräsentiert.
Die qualitative Besonderheit des Einzelnen setzt ein soziales Gebilde als Bezugspunkt voraus, gegenüber dem sich seine besondere Bedeutung messen und differenzieren kann (vgl. Simmel 1917, S.302f.). Viele Gegensätzlichkeiten insbesondere auch in den Betätigungsbereichen der Lebensstile werden zum Zweck der Differenzierung erst geschaffen und täuschen als Schleier des Unterschieds über das Zusammenschließende hinweg (vgl. Simmel 1890, S.201; vgl. auch Schroer 2001, S.313).
Dem Plädoyer für eine positive Synthese der beiden Individualitätsbegriffe entspricht Georg Simmels Konzeption der Identität des Individuums (vgl. Simmel 1901, S.56): Die Idealtypen quantitativer und qualitativer Individualismus spiegeln zusammen genommen die Grundstruktur der Identität des Individuums wider (vgl. Schroer 2001, S.316f.). Identität, d.h. unsere physiologische Wesenheit, welche das Erkennen und das Gefühlsleben umfasst, ist durch eine dualistische Struktur, durch ein Doppelverhältnis charakterisiert (vgl. Simmel 1895, S.105), das sich sowohl einer subjektivistischen, als auch einer objektivistischen Deutung entzieht (vgl. Schroer 2001, S.291). Es handelt sich um den Dualismus der Bestrebung nach Verallgemeinerung, Nivellierung und Abstraktion einerseits und der Neigung zu individueller Besonderung, Differenzierung und Eigengesetzlichkeit andererseits (vgl. Simmel 1895, S.105). Simmel konzipiert also die Identität des Individuums in Ablehnung von Substanzbegriffen (vgl. Schroer 2001, S.290) als in einem permanenten Kampf gegensätzlicher Kräfte befindlich, als beständigen Antagonismus zwischen der Tendenz zum Allgemeinen und Gleichartigen und der Tendenz zum Besonderen und Einzigartigen (vgl. Schroer 2001, S.318f.), der prinzipiell niemals endgültig entschieden und aufgelöst wird (vgl. Schroer 2001, S.326, vgl. auch Schroer 2001, S.323). Nach Simmel ist „(…) der Mensch (…) ein dualistisches Wesen von Anbeginn an; und dies verhindert die Einheitlichkeit seines Tuns so wenig, dass es grade erst als Ergebnis einer Vielfachheit von Elementen eine kraftvolle Einheit zeigt. Eine Erscheinung, der solche Verzweigung von Wurzelkräften fehlte, würde uns arm und leer sein. (…) Dieser Dualismus kann nicht unmittelbar beschrieben, sondern nur an den einzelnen Gegensätzen, die für unser Dasein typisch sind, als ihre letzte, gestaltende Form gefühlt werden. (…)“ (Simmel 1905, S.9).
Die Identitätskonstruktion des Individuums kann mit Simmel als Versuch des Einzelnen bezeichnet werden, die beiden widerstrebenden Wesensteile - die Tendenz zur sozialen Verschmelzung in einer Allgemeinheit und die Tendenz zur individuellen Differenzierung von derselben - zu vereinigen, d.h. beide in einer bestimmten Proportion zu mischen und dadurch zu einem Kompromiss zu führen, ohne den grundlegenden Antagonismus überwinden zu können: „(…) In diese Doppelheit versetzt die irdische Existenz jedes geistige Wesen, das man überhaupt als „eines“ bezeichnen kann: es ist nach seinem Inhalt oder seiner Form etwas für sich, eine Einheit (…) und es ist zugleich ein Teil von einem oder von mehreren Ganzen, es steht in einem Verhältnis zu etwas außerhalb seiner, einem Umfassenden, einer über es hinausragenden Totalität. Es ist immer (…) Vollkommenes und Ergänzungsbedürftiges. Individualität nennen wir die Form, in der diese Doppelbedeutung der menschlichen Existenz sich zur Einheit zu bringen vermag oder versucht. Mit einer großen Mannigfaltigkeit von Graden und von Akzentuierungen mag dies geschehen. (…) immer bedeutet (…) Individualität (…), dass ein Wesen beide in eins zusammenlebt: (…) das (…) sich angleichende oder sich abhebende Verhältnis zu einem Ganzen, dem das Wesen zugehört. (…)“ (Simmel 1917, S.300). Die Identität des Individuums ist eine Konstruktion, die aus einer prinzipiell nicht auflösbaren Vielheit besteht (vgl. Schroer 2001, S.290). Hinsichtlich der Proportion des sozialen und des individuellen Teils bestehen, - bezogen auf die verschiedenen Betätigungsbereiche der Identitätskonstruktion, - zwischen den konkreten Individuen mehr oder minder große Unterschiede (vgl. Schroer 2001, S.291). Es kann sein, dass die Differenzierungsneigung eines Individuums in einem Bereich stärker ausgeprägt ist, während in einem anderen Bereich die Tendenz zur Verallgemeinerung überwiegt.
Schroer stellt heraus, dass Simmels ambivalentes Identitätsverständnis ein ahistorisches Moment beinhaltet, das in der festen Verankerung des Verhältnisses von Sozialität und Individualität, von Allgemeinheit und Besonderheit innerhalb der Identität des Individuums besteht. Die verschiedenen gesellschaftlichen Formationen und die Positionen der Individuen innerhalb derselben setzen unterschiedliche Schranken und Spielräume für die individuell konkrete Mischung dieses Verhältnisses. (vgl. Schroer 2001, S.309f.; vgl. auch Simmel 1890, S.173)
An dieser Stelle möchte ich noch eine Anmerkung zur Affinität von Georg Simmels Verständnis der Identität des Individuums als Dualismus von Allgemeinheit und Besonderheit zu Erving Goffmans Grundformen der Identifikation der Individuen auf der Ebene der unmittelbaren sozialen Interaktion machen.
Goffman zufolge vollzieht sich die gegenseitige Charakterisierung der Individuen in der Sphäre der unmittelbaren sozialen Interaktion auf der Basis zweier grundlegender Identifikationsformen.
In der kategorialen Identifikation ordnet das beobachtende Individuum das beobachtete Individuum sozialen Kategorien zu. (vgl. Goffman 1994, S.59) Zu diesen sozialen Kategorien gehören vor allem die status-bestimmenden Merkmale, die auch als diffuse soziale Statuskategorien bezeichnet werden: Alter, Geschlecht, Klasse und ethnische Zugehörigkeit. Die Kategorien des diffusen sozialen Status weisen zwei wichtige Eigenschaften auf. Sie bilden erstens ein Raster sich überschneidender Linien, in dem fast jedes Individuum verortet werden kann. Zweitens bringen die Individuen die vier Attribute als offensichtliche und leicht wahrnehmbare Anzeichen des Körpers in soziale Situationen ein, so dass eine kategoriale Identifikation ohne das Erfordernis des vorherigen Einholens von Information über das beobachtete Individuum erfolgt. (vgl. Goffman 1994, S.93)
Hinzu kommt die individuelle Identifikation, in der das beobachtete Individuum mit einer einmaligen Identität ausgestattet wird. Hilfsmittel der individuellen Unterscheidung von Personen sind beispielsweise die äußere Erscheinung, der Klang der Stimme oder der Name. (vgl. Goffman 1994, S.59f.)
Die kategoriale Identifikation könnte mit Simmel auf der Seite der Verallgemeinerung der Identität des Individuums und die individuelle Identifikation auf der Seite der Besonderung angesiedelt werden. Goffmans Typologie der kategorialen und der individuellen Identifikation der Individuen formuliert die dualistische Identitätsstruktur des Individuums auf der Ebene der unmittelbaren sozialen Interaktion.
Simmels Konzeption der Identitätsstruktur des Individuums ist insgesamt als Dualismus von Verallgemeinerung und Besonderung zu definieren. Die Konstruktion der individuellen Identität bedeutet die Mischung beider Seiten in einer spezifischen Proportion. Die vergleichende Beobachtung der Identitätskonstruktion von Individuen oder Gruppen von Individuen muss differenziert nach einzelnen Ausdrucksbereichen der Identität erfolgen, welche für die Individuen Mittel der Identitätskonstruktion darstellen.
2.1.2 Die Mode als Mittel der Identitätskonstruktion des Individuums
In diesem Abschnitt betrachte ich Georg Simmels Verständnis der Mode als Mittel zur Synthese des Bestrebens nach Allgemeinheit und des Bestrebens nach Besonderheit. Damit bildet die Mode einen Betätigungsbereich, an dem sich beispielhaft die Identitätskonstruktion des Individuums veranschaulichen lässt.
Das Grundwesen der Mode charakterisiert Simmel dadurch, dass sie sowohl das Bedürfnis nach sozialer Anlehnung, als auch das Bedürfnis nach Unterscheidung befriedigt: „(…) Die Mode ist eine besondere unter jenen Lebensformen, durch die man ein Compromißzwischen der Tendenz nach socialer Egalisierung und nach individuellen Unterscheidungsreizen herzustellen suchte. In dieses Grundwesen der Mode ordnen sich die einzelnen psychologischen Züge ein, die wir an ihr beobachten. (…)“ (Simmel 1895, S.106f.). Die Mode vereint also den Reiz von Unterschied mit dem von Gleichheit und Zusammenschluss in einer besonderen Proportion (vgl. Schroer 2001, S.319).
Insofern die Mode die ihr anhängenden Einzelnen auf eine Bahn lenkt, ist sie eine Art der Nachahmung. Zugleich aber ist sie auch eine Art der Differenzierung und des Sichabhebens, insofern sie im Zeitverlauf ihre Inhalte wechselt und darüber hinaus immer Klassenmode ist. Es unterscheiden sich sowohl die Moden von gestern und heute, als auch die Moden der verschiedenen Klassen. (vgl. Simmel 1895, S.106)
Obwohl die Mode als allgemeiner Begriff unvergänglich ist, besteht das Wesen jeder einzelnen ihrer Ausgestaltungen darin, nicht unvergänglich und nur von einer bestimmten Dauer zu sein (vgl. Simmel 1895, S.113). Die aktuelle Mode wird immer nur von einem Teil der Gruppe ausgeübt, während die übrige Gesamtheit sich auf dem Weg zu ihr befindet (vgl. Simmel 1895, S.108). Die aktuelle Mode ist nie allgemein verbreitet, woraus für den Einzelnen die doppelte Befriedigung erwächst, mit der Mode etwas Besonderes darzustellen und zugleich von der nach Allgemeinheit strebenden Gesamtheit getragen zu werden (vgl. Simmel 1895, S.108f.).
Als Produkt klassenmäßiger Trennung ist die Mode Ausdruck der Zusammengehörigkeit von Gleichgestellten und zugleich Ausdruck des Abschlusses gegenüber anderen. Sie markiert die Gleichheit der Erscheinung der Angehörigen einer Klasse untereinander und wirkt vereinheitlichend nach innen. Zugleich markiert sie den Unterschied gegenüber den Tieferstehenden, d.h. die Abgrenzung nach außen. (vgl. Simmel 1895, S.107) Die Mode vereint immer Anschluss und Abschluss und bildet damit eine Kompromissformel zur Versöhnung der Tendenz zur Egalisierung und der Tendenz zur Besonderung (vgl. Simmel 1895, S.107; vgl. auch Schroer 2001, S.320). Sobald eines der beiden Momente fehlt, kann von Mode keine Rede sein (vgl. Simmel 1895, S.108). Der Grund für das erhöhte Tempo des Wandels der Moden ist in der zunehmenden Durchlässigkeit der Klassenschranken und den damit verbunden Aufstiegen einzelner Individuen oder Gruppen zu sehen. Wenn eine bestimmte Kleidungsmode oder eine bestimmte Umgangsform vollkommen durchgesetzt und nicht mehr nur auf wenige Gruppen beschränkt ist, dann verliert sie ihre Distinktionsfunktion, weil das Unterscheidungsbedürfnis nicht mehr hinreichend befriedigt werden kann. Nun muss eine neue Mode erfunden werden, welche es vermag, die Homogenität unter den Gleichgestellten und die Differenz gegenüber den sozial tiefer Angesiedelten erneut zum Ausdruck zu bringen. (vgl. Schroer 2001, S.319f.)
Die typischen Stilisierungserscheinungen der Mode in den Teilbereichen Kleidung, Parfüm, Schmuck usw. tragen zu einer Auflösung der Persönlichkeit in ein Allgemeines bei, insofern sie ihr einen geformten Ausdruck verleihen. Mit der Teilhabe an der Mode weiß sich das Individuum für kurze Zeit der erdrückenden Vielheit der Stile enthoben, weil die Mode ein ganzes Repertoire des Ausdrucks bereithält. Das modebewusste Individuum unterstellt sich einem Allgemeinen und gelangt somit nicht zur Kreation eines ganz und gar eigenen, individuellen Stils, den Simmel im Typus des „großen und schöpferischen Menschen“ verkörpert sieht. Dennoch trägt es, - wenn auch nur in vorgegebener Art und Weise, - dem Bedürfnis nach Differenzierung Rechnung. (vgl. Schroer 2001, S.321)
Den stärksten Einfluss übt die Mode auf Individuen aus, deren Identität stark anlehnungsbedürftig ist, aber doch einer gewissen Besonderung bedarf. Der Modeheld oder Modenarr ist ein besonderer Repräsentant der Allgemeinheit, weil er eine Art Gleichgewichtsverhältnis zwischen dem Streben nach Verallgemeinerung und dem Streben nach Differenzierung repräsentiert. (vgl. Simmel 1895, S.109) Er mischt das Individualgefühl des Besonderen mit dem Sozialgefühl, von der Allgemeinheit nachgeahmt und von ihrem Geist getragen zu werden zu gleichen Teilen. Er schwimmt mit dem Strom und schmückt sich zugleich mit individueller Auszeichnung. (vgl. Simmel 1895, S.110) Dieser im Modehelden verkörperte Versöhnungsversuch des logischen Widerspruchs beider Tendenzen spiegelt exemplarisch die ambivalente Identitätskonstruktion des Individuums wider: „(…) So erweist sich die Mode nur als ein einzelnes, besonders charakterisiertes unter jenen mannigfachen Gebilden, in denen die sociale Zweckmäßigkeit die entgegengesetzten Strömungen des Lebens zu gleichen Rechten objektiviert hat.“ (Simmel 1895, S.114).
Es ist anzumerken, dass sich extremer Gehorsam und Opposition der Mode gegenüber entsprechen. Die absichtliche Unmodernität ist zu verstehen als Nachahmung mit umgekehrten Vorzeichen und weit davon entfernt, ihre Abhängigkeit von der Mode überwunden und einen eigenen Stil ausgebildet zu haben. (vgl. Simmel 1895, S.110)
Zusammenfassend kann die Mode als Mittel der Identitätskonstruktion festgehalten werden: Sie vereint, wenn auch nach vorgegebenem Muster, das Bestreben nach sozialer Vereinheitlichung und Egalisierung mit dem Bestreben nach individueller Differenzierung und Auszeichnung.
2.2 Pierre Bourdieus klassenspezifisch vielfältige Vereinheitlichung der Identität des Individuums
Im Folgenden stelle ich Pierre Bourdieus Verständnis der Identitätskonstruktion des Individuums vor. Bourdieus Augenmerk liegt auf der Klassenzugehörigkeit der Individuen, womit er in Georg Simmels Lesart ein spezifisches, genauer gesagt ein klassenspezifisches Dualismusschema von Besonderheit und Allgemeinheit, - von Differenzierung und Vereinheitlichung anbietet.
2.2.1 Grundzüge des Habitus-Konzeptes: Der Zusammenhang zwischen Klassenlage, Dispositionen und Lebensstil
Im Mittelpunkt dieses Abschnitts steht Pierre Bourdieus Habitus-Konzept, welches die spezifischen Lebensstile der Individuen und Gruppen, d.h. ihre bewussten wie unbewussten Vorstellungen und Praktiken unter Bezugnahme auf ihre jeweiligen Klassenlagen erklärt. Vermittlungsinstanz zwischen beiden Seiten ist der Habitus als ein den Individuen inkorpiertes Erzeugungs- und Bewertungssystem.
Indem das Habitus-Konzept den Zusammenhang zwischen dem Raum der sozioökonomischen Bedingungen und dem Raum der Lebensstile modelliert, erlaubt es dem Betrachter der sozialen Praxis einen Standpunkt oberhalb der Alltagsperspektiven einzunehmen (vgl. Bourdieu 1987, S.277).
Der soziale Raum bezeichnet den Raum der sozialen Lebenslagen und ist als provisorisch objektive Struktur konzipiert (vgl. Bourdieu 1987, S.378f.). Er konstituiert sich durch die Verteilung der zwei Grunddimensionen Kapitalvolumen und Kapitalstruktur des ökonomischen und des kulturellen Kapitals. Die sozioökonomische Position des Individuums als Inhaber dieser Kapitalsorten ergibt sich aus dem Umfang und der Struktur des ökonomischen und kulturellen Kapitals und ist nur in Relation zu anderen Positionen zu denken. (vgl. Bourdieu 1998, S.18,20; vgl. auch Bourdieu 1998, S.19, schematische Darstellung) Das soziale Kapital bezeichnet die Summe der sozialen Beziehungen eines Individuums (vgl. Bourdieu & Wacquant 1996, S.151f.). Hinzu kommt das symbolische Kapital, welches die Form des ökonomischen, kulturellen oder sozialen Kapitals ist, sobald dieses mit Wahrnehmungskategorien aufgenommen wird (vgl. Bourdieu & Wacquant 1996, S.151).
Hinsichtlich des Gesamtvolumens des Kapitals lassen sich drei Hauptklassen von Individuen unterscheiden: die herrschende Klasse, die Mittelklasse (das Kleinbürgertum) und die untere Klasse (die Volksklasse) (vgl. Bourdieu 1987, S.196). Die Kapitalstruktur erfasst das relative Gewicht des ökonomischen und des kulturellen Kapitals (vgl. Bourdieu 1987, S.411) und unterteilt jede Klasse intern in Klassenfraktionen (vgl. Bourdieu 1987, S.198). Bei den Klassenfraktionen handelt es sich um fließende Übergänge innerhalb der Klasse, die allerdings die Konstruktion relativ homogener Einheiten von Individuen gestatten (vgl. Bourdieu 1987, S.404).
Zwischen anfänglicher und gegenwärtiger Klassenlage des Individuums, d.h. zwischen Startkapital und erreichtem Kapital besteht ein Zusammenhang der statistischen Relation (vgl. Bourdieu 1987, S.190): Nicht alle Startpositionen führen mit derselben Wahrscheinlichkeit zu allen Endpositionen (vgl. Bourdieu 1987, S.189), was jedoch nicht bedeutet, dass einzelne Angehörige einer Klasse oder Klassenfraktion im Sinne von sozialer Mobilität nicht eine der kollektiven entgegen gesetzte Laufbahn einschlagen können (vgl. Bourdieu 1987, S.190).
Der Raum der Lebensstile skizziert das Universum der distinktiven Praktiken und Merkmale der Inhaber verschiedener Positionen im sozialen Raum (vgl. Bourdieu 1987, S.214). Die Struktur des Raums der Lebensstile entspricht der Struktur des Raums der sozioökonomischen Positionen (vgl. Bourdieu 1987, S.408). Die den Lebensstil eines Individuums definierenden Praktiken und Merkmale spiegeln dessen Klassenlage wider, insofern sie bestimmte Verteilungsstrukturen voraussetzen (vgl. Bourdieu 1987, S.212f., Diagramme 5 und 6). Wer beispielsweise nicht über ausreichend ökonomisches Kapital verfügt, zu dessen Lebensstil gehören mit statistischer Wahrscheinlichkeit keine Winterurlaube in Aspen. Der Lebensstil des Individuums bildet in diesem Sinne eine unmittelbare Manifestation des Volumens und der Struktur seines Kapitalbesitzes (vgl. Bourdieu 1987, S.332).
Der distinktive Charakter der Lebensstile besteht darin, dass die Merkmale und Praktiken ihre volle Bedeutung erst in der Differenz zu den Merkmalen und Praktiken anderer Lebensstile erlangen (vgl. Bourdieu 1987, S.217). Die Lebensstile der Individuen können in diesem Sinne nicht isoliert voneinander, sondern nur in ihren Wechselbeziehungen zueinander beschrieben werden (vgl. Bourdieu 1987, S.14). Der Aspen-Urlauber verbringt seine Ferien in Aspen und nicht in Sankt Moritz. Diesen Aspekt der Relationalität werde ich im folgenden Abschnitt mit Fokus auf die Geschmacksunterschiede der Individuen genauer untersuchen.
Im Raum der Dispositionen vollzieht sich die Umwandlung der eine spezifische Klassenlage kennzeichnenden Zwänge und Spielräume in einen entsprechenden Stil der Lebensführung (vgl. Bourdieu 1987, S.214). Die Dispositionen des individuellen Habitus vermitteln die jeweilige sozioökonomische Position in die den Lebensstil konstituierenden distinktiven Praktiken und Merkmale (vgl. Bourdieu 1998, S.20): „(…) Jeder Positionsklasse entspricht eine Habitus- (oder Geschmacks-) Klasse, ein Produkt der mit der entsprechenden Position verbundenen Konditionierungen, und, vermittelt über diese Habitus und ihre generativen Kapazitäten, ein systematisches Ensemble von Gütern und Eigenschaften, die untereinander durch Stilaffinität verbunden sind. (…)“ (Bourdieu 1998, S.20f.)
Der Habitus ist definiert als strukturierte und strukturierende Dispositionen (vgl. Bourdieu & Wacquant 1996, S.154). Als strukturierte Struktur ist er ein dem Individuum über Konditionierungsprozesse der sozialen Praxis inkorpiertes Produkt bestimmter Existenzbedingungen (vgl. Bourdieu & Wacquant 1996, S.160f.), die ein spezifisches Ensemble von Möglichkeiten und Zwängen bereithalten (vgl. Bourdieu 1987, S.382): „(…) Die Konditionierungen, die mit einer bestimmten Klasse von Existenzbedingungen verknüpft sind, erzeugen die Habitusformen als Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, als strukturierte Strukturen (…)“ (Bourdieu 1987b, S.98). In den Dispositionen des Habitus ist die gesamte Struktur seiner sozialen Herkunft und gegenwärtigen sozioökonomischen Position angelegt. Die individuellen Dispositionen entsprechen dem Zusammenspiel einer spezifischen vergangenen und einer spezifischen gegenwärtigen Klassenlage innerhalb der jeweils gegebenen Klassenstruktur. (vgl. Bourdieu 1987, S.279) Kurz gesagt: Es besteht eine Übereinstimmung zwischen den sozialen und den mentalen Strukturen (vgl. Bourdieu 1987, S.378).
Als strukturierende Struktur organisiert er die Praxis eines Individuums und ihre Wahrnehmung durch die Teilung in logische Klassen (vgl. Bourdieu 1987, S.279). Die Äquivalenz von Positionen und Dispositionen ist Resultat eines fortwährenden dialektischen Anpassungsprozesses zwischen Konditionierung und praktischem Handeln: Einerseits sind die Individuen über den Habitus von der sozialen Welt geprägt, andererseits reproduzieren sie tendenziell über die Schemata des Habitus eben diese Welt (vgl. Bourdieu & Wacquant 1996, S.156; vgl. auch Bourdieu 1987, S.280, Diagramm 8). Dabei bestehen Spielräume für Modifikationen, insofern „(…) zwischen sozialer Lage und Praxisformen oder Vorstellungen sich die strukturierende Tätigkeit von Akteuren schiebt, diese also keineswegs nur auf Stimuli reagieren, vielmehr auf Appelle wie Drohungen einer Welt antworten, deren Sinn sie selbst mit geschaffen haben. (…)“ (Bourdieu 1987, S.729).
Der Habitus ist als Vermittler von Klassenlage und Lebensstil, als strukturierende Struktur durch zwei Leistungen definiert. Er ist erstens Erzeugungsprinzip objektiv klassifizierbarer Praxisformen und zweitens Bewertungssystem dieser Formen, welches sie in distinktive Symbole klassifiziert. Die Dispositionen des Habitus bringen Praxisformen hervor und klassifizieren sie geschmacklich. (vgl. Bourdieu 1987, S.277f.) Die Schemata für Verhalten, Geschmack und Wahrnehmung des Individuums bilden die Urformen der Klassifikation (vgl. Bourdieu 1987, S.727).
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