Musik nimmt in unserer Gesellschaft einen immer größeren Stellenwert ein, begleitet uns im Alltag, beim Einkaufen, bei der Arbeit und in der Freizeit zur Entspannung oder als Unterhaltung. Musik hört jedeR, egal welchen Alters, welchen Geschlechts welcher Schicht oder Kultur und jedeR einzelne nutzt sie für seine und ihre Zwecke. Gleichzeitig hat Musik aber auch etwas Verbindendes, Gemeinschaftsstiftendes, Kommunikatives.
Orientiert man sich an dem geflügelten Wort, daß Musik die Sprache der Welt ist, stellt sich die Frage, wie denn diese Sprache funktioniert, wie man mit ihr kommuniziert und welche Voraussetzungen zum Verstehen nötig sind. Ich möchte dem Geheimnis von Musik ein wenig auf die Spur kommen, indem ich mich mit ihrer Bedeutung und Wirkungsweise auseinandersetze.
Dabei setze ich nicht bei konkreten pädagogischen oder therapeutischen Situationen an, in denen Musik bereits funktionalisiert ist, sondern bei grundlegenden Überlegungen.
Mich interessiert, welche individuellen Voraussetzungen man zur Musikwahrnehmung braucht, wie Menschen mit Musik umgehen und zu welchem Zweck sie Musik nutzen. Gleichzeitig interessiert mich, ob Musik überhaupt ein geeignetes Mittel ist, um es für spezifische Zwecke, mit festem, vorhersehbarem Ziel zu verwenden.
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I Musikalische Wahrnehmung
1. Grundlegende Theorien
1.1 Einleitung
Zur Wahrnehmung von Musik gibt es zahlreiche Untersuchungen, denen unterschiedliche Theorien zugrunde liegen und die unterschiedliche Phänomene untersuchen. Angefangen bei der naturwissenschaftlichen Psychologie, die sich Ende letzten Jahrhunderts unter dem Einfluß des Positivismus entwickelte, bis hin zu esoterisch anmutenden Erklärungsversuchen zur Wirkung von Musik in den 90er Jahren (z.B. Joachim- Ernst Behrendt). Kennzeichnend für die physiologisch-psychologische Forschung ist das Streben nach quantifizierender Analyse psychischer Vorgänge und der Versuch, physiologische Prozesse als Ausdruck psychischer Ereignisse experimentell zu erfassen und zu interpretieren. Es wurden hauptsächlich Einzelreize, also Töne, Intervalle, Konsonanzen, Dissonanzen etc. untersucht, wobei sich das Problem stellte, ob physiologisch aufzeigbare Reaktionen akustischer Einzelreize Grundlage für die Erklärung musikalischer Wahrnehmung sein können. Denn Musik ist mehr als die Summe akustischer Signale. Will man die Wahrnehmung von Musik als Erlebnis untersuchen, stellen sich gleich mehrere Probleme: Kann in einer Laborsituation überhaupt eine das Meßergebnis nicht beeinflussende Situation geschaffen werden, die der eines alltäglichen Umgangs mit Musik entspricht? Beschränkt sich musikalische Wahrnehmung wirklich auf meßbare Reaktionen? Was sagen physiologische Meßergebnisse über das Erlebnis des Musikhörens aus? Muß nicht der ästhetische Wert von Musik berücksichtigt werden?
Die hier nur kurz angerissenen Probleme machen deutlich, daß Wahrnehmungstheorien zur Erklärung musikalischer Wirkungen
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lediglich ein Grundstein sein können und als solcher auch in dieser Arbeit verwendet werden.
1.2 Die klassische Psychophysik
Die klassische Psychophysik entstand Ende des 19. Jahrhunderts und beschäftigt sich mit wahrnehmungstheoretischen Gesetzmäßigkeiten, bei denen im Bereich der akustischen Wahrnehmung eine eindeutige Zuordnung von „Reiz-Konstellationen„ zu „Sinnesorgan-Reaktionen“ vorgenommen wird. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, daß Wahrnehmung eine Abbildung der Natur sei und somit natürlichen Regeln unterliege. Man geht von einer eindeutigen Ursache-Wirkung-Verknüpfung aus, die sich zwischen den Reizen und den psychischen Reaktionen zeigt. Untersuchungsgegenstand ist die Übereinstimmung dieser psychischen, subjektiven Reaktionen mit der „objektiven“ bzw. meßbaren Wirklichkeit. Einzelne Empfindungen werden addiert und als akustische Wahrnehmung mit musikalischer Wahrnehmung gleichgesetzt. An dieser Stelle setzt auch die Kritik an: Musik ist mehr als die Summe einzelner Töne und kann losgelöst von Subjekt und Kontext nicht betrachtet werden. De la Motte-Haber (1977, 34 -51) weist nach, daß als objektiv angenommene Größen, wie Tonhöhe, Lautstärke u.s.w. von Menschen unterschiedlich wahrgenommen werden. Dadurch ergeben sich individuell verschiedene Reaktionen, so daß die Annahme, es gäbe ein allgemeingültiges Reiz-Reaktions-Schema, nicht aufrecht erhalten werden kann. Außerdem schließt diese Theorie einen Lernprozeß von vorne herein aus. Handelte es sich bei Reaktionen auf musikalische Ereignisse um starre, allgemeingültige und damit auch vorhersagbare Reaktionen, wären keine Verhaltensänderungen möglich. Musikalisch unerfahrene wie erfahrene HörerInnen, egal welchen Alters und welcher kulturellen Zugehörigkeit, würden stets die gleichen Reaktionen zeigen. Faltin (1979) kritisiert, daß Musik als ästhetisches Phänomen sich
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nicht mit physikalischen Messungen beschreiben lasse.
1.3 Neuropsychologische Aspekte
Obwohl auch die Neuropsychologie sicher keinen allgemein befriedigenden Ansatz zum Verständnis der Musikwahrnehmung liefern kann, sollen dennoch einige grundlegende Aspekte genannt werden.
Ziel neuropsychologischer Untersuchungen ist meist die Lokalisation von Hirnfunktionen, insbesondere die Frage nach unterschiedlichen Verarbeitungsformen der rechten und linken Gehirnhemisphären bzw. deren Reaktionen auf Wahrnehmungsreize.
Die lange vorherrschende Meinung, Musik würde hauptsächlich von der rechten Hemisphäre wahrgenommen, kann nicht aufrecht erhalten werden. Damasio/Damasio (1978, 151f) machten Untersuchungen mit musikalisch vorerfahrenen und unerfahrenen ProbandInnen und fanden heraus, daß Unerfahrene sowohl bei expressiven als auch bei rezeptiven Leistungen eine Dominanz der rechten Hemisphäre zeigten, wohingegen bei erfahrenen ProbandInnen bei expressiven Funktionen die rechte, bei rezeptiven die linke Hemisphäre bevorzugt wurde. Auch Gates und Bradshaw (1977, 423) bestätigen, daß Musikwahrnehmung eine beidhemisphärische Beteiligung erfordert. Ein Ergebnis ihrer Forschung ist die Erkenntnis, daß Töne, Tonfolgen, Melodien und Akkorde eher in der rechten, Rhythmen eher in der linken Hirnhälfte verarbeitet werden. Da diese Elemente in der Musik nicht getrennt vorkommen, sind also stets beide Hälften gefordert. Klemm (1987) untersuchte Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Sprach- und Musikwahrnehmung und ging dabei speziell der Frage nach, ob Musik / Sprache vorzugsweise in der linken oder in der rechten Hemisphäre wahrgenommen und verarbeitet wird. Die linke Hemisphäre übernimmt bei der Sprachproduktion und -rezeption eher die rationale Verarbeitung, das heißt, den analytischen, sequentiellen, diskursiven Teil oder, anders
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ausgedrückt, die Verarbeitung von Syntax und der denotativen Bedeutung von Sprache in der Semantik. Die rechte Hemisphäre ist zuständig für die emotionalen Anteile der Sprache, beispielsweise Intention, Ausdruck oder laute Gefühlsäußerungen wie Lachen oder Weinen. Klemm gibt zu bedenken, daß eine grundsätzliche Trennung der beiden Gehirnhälften nicht möglich sei, da die Verarbeitung von Wahrnehmungsreizen noch von anderen Faktoren abhinge. So stellt er fest, daß semantisch gut strukturierte Wortlisten, die z.B. auf Assoziationen beruhen oder die Einbettung von Wörtern in Musik die Verarbeitungsfunktionen in beiden Hemisphären fördern.
Klemm (1987) nennt außerdem Faktoren, die die Wahrnehmungsleistungen im Bereich der rezeptiven wie der produktiven Musikverarbeitung beeinflussen: Von der Subjektseite aus gesehen, hält er die Art der Musikalität, ob analytisch-reflexiv oder ganzheitlich-emotional für wichtig, sowie die bevorzugte musikalische Tätigkeit (ob vokal oder instrumental). Gates und Bradshaw (1977) machten die Beobachtung, daß unbekannte Melodien eher analytisch und damit linkshemisphärisch, bekannte Melodien eher ganzheitlich, also rechtshemisphärisch verarbeitet werden. Außerdem scheint letztere Form für VokalistInnen typischer zu sein als für InstrumentalistInnen. Klemm vermutet, daß die Ursache für diese Unterschiede in der Ausbildung von MusikerInnen begründet liegt, die bei Instrumentalisten wesentlich analytischer als bei Sängern und Sängerinnen ist. Auf der Objektseite hält Klemm die Eigenschaften des Musikstückes, z.B. den Bekanntheitsgrad oder allgemeine musikalische Parameter, sowie die situativen Bedingungen für ausschlaggebend.
1.4 Entwicklungspsychologische Aspekte
In der Entwicklung von Wahrnehmung bei Kindern läßt sich zwischen Musik- und Sprachwahrnehmung zunächst kein großer
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Einzelreize im Gehirn nicht verarbeitet werden können 1 . Dies gilt sowohl für die musikalische als auch für die Sprachwahrnehmung. Unser Nervensystem ist nicht dazu angelegt, jeden Stimulus einzeln zu verarbeiten und entsprechend zu reagieren. “Man kann davon ausgehen, daß im Reaktionssystem rhythmische Muster durch einfache unitäre Kodierungen repräsentiert sind, mit Hilfe derer ein Bezugsrahmen geschaffen wird, in dem einzelne Stimuli rasch integriert werden können.“ (Poppensieker 1986, 66). Rhythmische Muster entstehen durch Wiederholung, aufgrund derer sich bei HörerInnen eine bestimmte Erwartungshaltung einstellt. Durch die Zusammenfassung einzelner Reize zu einer Gruppe oder einem Merkmalsverband wird Speicherplatz für neue Reizverarbeitungen geschaffen. Rhythmische Muster dienen also als „beziehungsstiftendes Ordnungssystem“ (ebend.). Um Rhythmus und Metrum generell wahrnehmen zu können, muß die Fähigkeit vorhanden sein, die zeitliche Relation von Notenwerten richtig einzuschätzen, sowie zeitliche Verhältnisse von ganzheitlichem musikalischen Erleben zu unterscheiden, denn Zeit ist nicht nur Träger musikalischer Strukturen (physikalische Zeit), sondern auch inhaltlicher und gestalterischer Aspekt (z.B. Tondauer, Pausen...) von Musik (musikalische Zeit).
2. Strukturelles Hören
Die eben erwähnten Gruppierungsvorgänge, die Poppensieker (1986) für die rhythmische Wahrnehmung beschreibt, hält Stoffer (1981) sowohl für die melodische, als auch generell für musikalische und sprachliche Wahrnehmung für relevant. Er benutzt den Begriff des „strukturellen Hörens“ worunter er folgendes versteht: Zum einen meint es die Erfassung kleiner musikalischer Einheiten von Melodie, Harmonik, Rhythmus, Dynamik etc., zum anderen das Erkennen größerer Einheiten wie Motive, Themen u.s.w. und deren Verarbeitung in der vertikalen
1 Im Kapitel I. 3.2.1 gehe ich noch genauer auf chunking und
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Schichtung (dazu genaueres in Kapitel I.3). Zum Dritten meint es die Wahrnehmung des gesamten Musikstückes, also das Erkennen des Zusammenhangs zwischen kleineren und größeren bereits identifizierten Einheiten. Zusammenfassend kann unter strukturellem Hören die Wahrnehmung musikalischer Struktur verstanden werden, die bewußt kognitiv repräsentiert ist. In seiner empirischen Untersuchung weist Stoffer (1981) die Beziehung zwischen wahrgenommenen musikalischen Strukturen und dem Hörverhalten der RezipientInnen nach. Wird die „Struktur invarianter Beziehungen zwischen Einheiten verschiedener Größe und zeitlicher Reichweite“ (Stoffer 1981, 8f) als musikalische Struktur oder Syntax erkannt, kann auf kognitiver Ebene von Musikverstehen gesprochen werden.
2.1 Auditive Mustererkennung
Auditive Mustererkennung beschäftigt sich genauer mit der kognitiven Verarbeitung von Tonfolgen oder musikalischen Strukturen und ist ein lineares Informationsverarbeitungsmodell. In dieser Linearität sind auch die Schwächen des Modells für die Erklärung kognitiver musikalischer Wahrnehmung zu sehen. Die Reduktion der Untersuchungen auf akustische Reizfolgen, die nur elementare Reize darstellen, läßt eine Übertragung auf Musik nur insofern zu, als daß Tonfolgen zwar Bestandteil von Musik sind, sich Musik aber nicht auf die Summierung einzelner Töne reduzieren läßt. Gerade die spezifischen Strukturen bleiben unberücksichtigt. Hierin sehen beispielsweise Divenyi & Hirsch (1970) und Royer & Garner (1970) ein Problem, da Gestalt, Konfiguration oder Konturenverlauf nicht miteinbezogen werden, für die ganzheitliche Wahrnehmung von Musik aber notwendig sind.
Einen weiteren Schwachpunkt der linearen Informationsverarbeitung stellt die Nichtbeachtung der
Kategorisierungsprozesse ein.
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Beeinflussung musikalischen Wissens auf das musikalische Hören dar. „Wenn musikalisches Wissen in die kognitive Analyse beim Hören von Musik eingreift, kann es sich hierbei nur um Prozesse handeln, die von abstrakteren Ebenen der kognitiven Repräsentation zu reiznäheren Repräsentationsformen verlaufen und mit den ihnen zeitlich in der Verarbeitungsreihenfolge vorgeordneten Prozessen in Interaktion treten.“ (Stoffer 1981, 76f)
Stoffer geht also davon aus, daß Musik auf unterschiedlichen Ebenen repräsentiert wird und daß eine Beeinflussung des Verarbeitungsprozesses durch musikalisches Vorwissen auf einer vorgeordneten, reiznäheren Ebene stattfindet, die wiederum mit den anderen Repräsentationsebenen in Beziehung tritt. Daraus ergeben sich für ihn folgende Problemfelder: Wie werden musikalische Strukturen ganzheitlich repräsentiert? Welche Rolle spielt musikalisches Wissen für die Identifikation musikalischer Strukturen?
An dieser Stelle treten die Gegensätze zwei verschiedener Erklärungsmodelle zum Vorschein, die sich an der Frage festmachen lassen, ob musikalische Wahrnehmung sich als Ganzes vollzieht und dadurch eine Auflösung in kleinere Einheiten möglich ist, oder ob Wahrnehmung von der Einzelreizwahrnehmung über die Summierung zum Ganzen funktioniert, wie es das lineare Modell annimmt..
2.2 Gestalttheoretische Aspekte
Die Gestalttheorie, die bereits in den zwanziger Jahren entwickelt wurde 2 , vertritt die Auffassung, daß Sinneseindrücke immer ganzheitlich und kontextabhängig wahrgenommen werden. Unter Ganzheitlichkeit werden die sogenannten „Gestalten“ verstanden, die aus Reizkonfigurationen bestehen, die über die Summe der Einzelteile hinausgehen. Dabei haben alle wahrgenommenen
2 Siehe z.B. Wertheimer (1925) oder Ehrenfels (1922)
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Harmonien, also etwas größere Einheiten und c) die syntaktischen Beziehungen wahrgenommen werden. Auf jeder (außer auf der untersten) Ebene werden Gestalten wahrgenommen, die auf der jeweils höheren Ebene zu Gestalteinheiten höherer Ordnung zusammengefaßt werden und zwar entsprechend ihrer Relationen zueinander. Damit bekommen die Beziehungen der Elemente zueinander den gleichen Stellenwert wie die Gestalten an sich, wenn nicht sogar einen höheren. Hierin sehe ich wiederum eine Bestätigung der Kontextabhängigkeit und der Übersummativität von Musik.
Ich halte die Gestaltpsychologie für die Klärung akustischer Wahrnehmung insofern für nützlich, als sie bestimmte Phänomene anschaulich erklärt. Besonders für das Verständnis musikalischer Wahrnehmungsprozesse leistet sie einen Beitrag. Worüber sie keine Auskunft gibt, sind die Umstände, nach denen die Gestalten gebildet werden, ob es bestimmte Voraussetzungen zur Wahrnehmung von Gestalten gibt, und wie und ob diese Fähigkeit gelernt werden kann. Dieser Frage nach der kognitiven Repräsentation musikalischer Strukturen gehe ich zu einem späteren Zeitpunkt nach.
3. Kognitives Verarbeiten
3.1 Strukturalistische Aspekte
Der Strukturalismus richtet seinen Fokus auf die Strukturen, die Regeln, die Invarianzen eines Objekts und versucht, durch die Auseinandersetzung mit der Phänomenologie und der Dekonstruktion eines Objekts, dessen Funktionsweise zu erkennen. Neben den Einzelmerkmalen an sich nehmen deren Beziehungen untereinander einen besonderen Stellenwert ein. Es geht hauptsächlich um Ordnungsprinzipien und Ordnungsrelationen.
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eines Objekts ausmachten.
Da Musik sehr strukturell ist, halte ich den Strukturalismus für die Klärung musikalischer Wahrnehmung insofern für geeignet. Musik trifft in den wenigsten Fällen bestimmte Aussagen (bzw. bekommt sie diese eher durch Funktionszuweisungen, siehe auch Teil II), und selbst in der Programmusik sind es die musikalischen Strukturen, die Komposition, die ein Werk unverwechselbar machen. Trotzdem bedeutet das nicht, daß Strukturen objektiv sind, im Gegenteil, sie sind abhängig vom wahrnehmenden Subjekt, das durch De- und Rekonstruktion die (auf komparativem Wege) erkannten Strukturen individuell verarbeitet. Um diesen Verarbeitungsprozeß leisten zu können, müssen vorher bereits Denkprozesse stattgefunden haben, damit neue Informationen aufgenommen, eingeordnet, interpretiert und letztlich verstanden werden können. Der Erfahrungshintergrund der HörerInnen beeinflußt die Wahrnehmung also entscheidend mit. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß Struktur keine objektive Gegebenheit der Umwelt ist, sondern ein Phänomen, das im situativen Wahrnehmungsvorgang immer neu entsteht und somit eine Aktion der RezipientInnen darstellt. Weder Poppensiekers Auffassung, daß Struktur lediglich eine „vom wahrnehmenden Menschen in das physikalische Reizgeschehen hineininterpretierte Eigenschaft“ (Poppensieker 1986, 44) ist, noch die These, Musik sei ein vom wahrnehmenden Subjekt unabhängiges Konstrukt, halte ich für richtig. Meiner Meinung nach verhalten sich musikalische Strukturen und musikalische Wahrnehmung reziprok und sind ständiger Entwicklung und Veränderung unterworfen.
3.1.1 Die Verarbeitung von Strukturen
Musikalische Strukturen werden nicht nur vom wahrnehmenden Subjekt, sondern auch von den Strukturen des tonalen Kontextes beeinflußt. Es stellt sich nun die Frage, wie die dargebotenen Muster identifiziert werden und wie ihre Konfiguration vonstatten
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Dewar, Cuddy & Mewhort (1977) diesen Effekt: Bei Versuchen zur Identifikation von Tönen in oder außerhalb von Tonfolgen konnten deutlich bessere Leistungen bei der Darbietung im Kontext erzielt werden. Außerdem identifizierten die Versuchspersonen Töne im organisierten Kontext leichter als im unorganisierten Kontext. Diese Befunde legen nahe, daß Objektwahrnehmung nicht durch Merkmalsanalyse, sondern auf einer übergeordneten Ebene stattfindet und außerdem von der Struktur der Verarbeitungsebene, sowie von der Struktur des tonalen Kontextes abhängig ist.
Henning, Hertz & Broadbent (1975) unterscheiden, wie Banks und Prinzmetal, ebenfalls zwei Analyseebenen bei der Verarbeitung von Strukturen. Dabei ist das Hochfrequenzsystem (Detailanalyse) dem Niederfrequenzsystem (Globalanalyse) hierarchisch untergeordnet. Das ist so zu verstehen, daß das Niederfrequenzsystem mehrere Segmente gleichzeitig erfassen und ausgliedern kann, während das Hochfrequenzsystem die vom Niederfrequenzsystem ausgegliederten Segmente nur nacheineinader einer Detailanalyse unterziehen kann. Erst aufgrund dieser Detailanalyse kann eine genaue Objektidentifikation stattfinden. Das globale System ist also ständig in Aktion und versorgt das Hochfrequenzsystem mit Material. Trotz dieses hierarchischen Aufbaus sind die beiden Systeme zeitlich nicht voneinander zu trennen. Die Analyse der Teile und die Analyse des Ganzen laufen parallel. Eine zeitliche Verschiebung ist lediglich bei der Repräsentation, nicht bei der Verarbeitung, festzustellen. Das Ganze wird zeitlich vor seinen Teilen repräsentiert. Diese hierarchische Repräsentation ist aber nicht nur das Resultat des Verarbeitungsprozesses, sondern gleichzeitig auch eine die Verarbeitung steuernde Funktion.
3.1.2 Hierarchische Repräsentation
Unter einem Hierarchiekonzept soll ein strukturelles Gebilde verstanden werden, in dem verschiedene Ebenen einander über-
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zu bekommen, muß ein Handlungsplan entworfen werden, um die handlungsrelevanten Repräsentationsebenen zu aktivieren. Turvey (1977) nennt zwei Aspekte, unter denen der Handlungsplan repräsentiert sein muß: Der funktionale Aspekt, der für die Bewegungs- und Handlungsabfolge zuständig ist, und der strukturelle Aspekt, der den relevanten Ausschnitt der visuellen bzw. akustischen Welt wählt. Die Repräsentationshierarchie erfüllt als Teil des Handlungsplans die Rolle einer Wissensstruktur über die Wahrnehmungswelt. In der konkreten Umsetzung des Plans werden verschiedene Niveaus aktiviert, um die gewünschte Information entnehmen zu können. Voraussetzung ist dabei die Kenntnis der Struktur der wahrzunehmenden Welt. Will ich also Musik wahrnehmen, muß ich ihre Struktur kennen. Wolff nennt für den Wahrnehmungsvorgang mindestens drei Ebenen, die aktiviert werden müssen. Zunächst die gerade fokussierte Ebene, die die gewünschte Information repräsentiert, dann die nächst übergeordnete, die im Sinne einer globalen Analyse die Verarbeitungseinheiten steuert und drittens die unmittelbar untergeordnete Ebene, zu der die fokussierte Ebene die globale Analyse darstellt.
Diese dreifache Aktivierung ermöglicht einen Ebenenwechsel in beide Richtungen, also auch eine Fokussierungsänderung. Die Hierarchie bekommt so funktionalen Charakter, ist also kein starres Gebilde, sondern ist interaktiv. Sie kann feedback-Funktionen erfüllen und ermöglicht dadurch eine Änderung der Wissensstrukturen aufgrund neuer Erfahrungen. Das Modell läßt sich also auch als Erklärungsmodell für Wahrnehmungslernen, wie zum Erwerb neuer Wissensstrukturen verwenden. In wieweit sich dieses Modell auf Musik übertragen läßt, soll im folgenden Kapitel untersucht werden.
3.1.3 Repräsentation musikalischer Strukturen
Musik oder prinzipiell auditive Reizmuster sind zeitlich
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- Tatjana Bielke (Autor), 1996, Musik verstehen - musikalische Wahrnehmung, Rezeption und Kommunikation, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185999
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