Am Beispiel der Vasen aus der Antikensammlung im Schloss Wilhelmshöhe wird die Darstellung der Frauen auf attischen Vasenbildern der spätarchaischen und klassischen Zeit (6. und 5. Jh. v. Chr.) untersucht. Die Untersuchtung ergibt, dass die Kasseler Sammlung die wesentlichen Themen der Frauendarstellung dokumentiert. Im Vergleich der Arbeit mit dem Katalog der antiken Gefäße der Staatlichen Kunstsammlung Kassel (Konstantinos Yfantidis, Antike Gefäße, Kassel 1990) werden die Vasenbilder nicht nur dokumentiert, sondern auf die rechtliche und soziale Stellung der Frau im antiken Athen bezogen. Für die Interpretation dieser Frage werden literarische Quellen, der aktuelle Forschungsstand, sowie Vasenbilder anderer Museumssammlungen hinzugezogen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Frauen als Feinde der athenischen Gesellschaft
2.1. Gorgonen — Frauen in Dämonengestalt
2.2. Mänaden — Rasende und ekstatische Frauen
2.3. Amazonen — Frauen mit männlichen Eigenschaften
2.4. Fazit
3. Göttinnen und Personifikationen — Frauen als höhere Wesen
3.1. Athene — Göttin des Krieges
3.2. Nike — Die Personifikation des Sieges
3.3. Göttin, Nymphe, Heroin? — Eine unbekannte Schönheit auf einem Lekythos
3.4. Fazit
4. Briseis, Deianeira und andere — Die Beziehung zwischen Heroen und „normalen“ Frauen
4.1. Briseis und Achilleus
4.2. Deianeira und Herakles
4.3. Apollon und ein unbekanntes Paar
4.4. Persephone wird von Pluto geraubt
4.5. Verfolgung einer Unbekannten
4.6. Fazit
5. Frauen in Athen - Ein Vergleich von literarischen Quellen und Va- sendarstellungen
5.1. Quellenlage und Forschungsstand
5.2. Informationen über Frauen bei Xenophon
5.3. Darstellungen von Frauen auf Vasenbildern
5.3.1. Frauen und Eros
5.3.2. Isolation der Frauen
5.3.3. Frauen und Schönheit
5.4. Erklärung für die Gegensätzlichkeit der Quellen
5.4.1. Adressaten und Funktion der Quellen
5.4.2. Bedeutung der einzelnen Unterschiede
5.5. Fazit
6. Zusammenfassung
7. Literatur
1. Einleitung
Für die antike Gesellschaft erfüllten Bilder viele Funktionen — die Agora wurde mit politischen Bildern geschmückt, Heiligtümer mit Votivfiguren, Gymnasien mit göttlichen Beschützern der Athleten, Nekropolen mit Sta- tuen und Reliefs der Verstorbenen und die Wohnhäuser mit Leitbilder der Lebensführung. So erhielten die Bilder der jeweiligen Standorte ihre be- sondere Bedeutung und definierten gleichzeitig die spezifischen Aufga- ben dieser Orte.1 Griechenlands „Stadtstaaten“, genannt Poleis, waren mit Bildwerken übersät. Grabanlagen, welche an den Straßen vor der Stadt lagen, wurden mit Skulpturen und Reliefs ausgestattet. In Heiligtümern sammelten sich Kultbilder von Göttern und Heroen an. Für Tempel wurden Skulpturen, Gemälde auf Holz und Wänden sowie Votivfiguren aus Bronze und Terrakotta als Weihgeschenke gestiftet. Private Häuser und öffentliche Gebäude verschönerte man mit Skulptu- ren, Wandmalerei und bemalten Gefäßen. Die Aufstellung der Bildwerke musste durch die Behörden bald reguliert werden, da ihre Masse den Verkehr durch die Innenstädte behinderte.2
Als Grundthemen aller Bildwerke eigneten sich für die Griechen insbe- sondere die eigene Lebenswelt, die Vorzeit der Mythen und die zeitlose Präsenz der Götter. Die einzelnen Bereiche konnten getrennt voneinander, aber auch vermischt gezeigt werden.3 Dass eine Selektion der Bildmotive aus den einzelnen Themenbereichen stattfand, wird dadurch deutlich, dass manche Themen sehr oft und andere kaum oder gar nicht abgebil- det wurden. Nach TONIO HÖLSCHER wurden beispielsweise nur solche mythischen Szenen für die Bilderwelt ausgewählt, die für die griechische Gesellschaft von hoher und expliziter Bedeutung waren und z. B. als Leit- bilder, Ideale oder Wunschbilder fungieren konnten.4
Bildwerke wurden nicht für den Moment und nicht für den individuellen Betrachter geschaffen, sondern für die Dauer und für die kollektive Wahrnehmung.5 Integriert in die einzelnen Lebensbereiche der Griechen, wurden die Bildwerke nicht als Kunstgegenstände betrachtet, sondern als Gebrauchsgegenstände genutzt (wie z. B. die bemalte Keramik) oder wie lebendige Wesen behandelt (wie z. B. die Kultbilder der Götter, die gewaschen, gesalbt und angekleidet wurden).6
Der größte Teil der antiken Bildwerke ist heute nicht mehr erhalten. Skulp- turen wurden zerschlagen, Bronzen und Figuren anderer Edelmetalle ein- geschmolzen und Holzskulpturen verbrannt. Über die griechische Malerei gibt es kaum noch Zeugnisse. Allein die römische Tradition verweist auf die Malerei aus Griechenland.7 Auch das Wissen über die Farbigkeit der Statuen aus Marmor und Bronze war lange Zeit verloren. In der Renais- sance orientierten sich die Künstler zwar an der Bilderwelt der Antike, aus Unkenntnis der Farbigkeit in der Vergangenheit war jedoch das Weiß des Marmors vorherrschend.8
Die vorliegende Arbeit konzentriert sich im Besonderen auf Vasen mit Frauendarstellungen — also einem speziellen Aspekt der komplexen Bil- derwelt des antiken Griechenlands. Eingegrenzt wird dieser Themenkom- plex weiter durch die Fokussierung auf die attischen Vasen der archai- schen und klassischen Zeit. Die Frau auf Vasendarstellungen definiert sich nicht allein durch den geschlechtlichen Unterschied zum Mann, sondern sie wird in dieser Arbeit z. B. als Gorgone, Mänade, Amazone, Göttin und Personifikation näher untersucht. Der Ausdruck Frau kann also in diesem Zusammenhang ohne Zweifel als Oberbegriff für alle oben Genannten verwendet werden. In der Vasenmalerei, aber auch in der Literatur- und Kulturgeschichte, erfüllte jedoch jede dieser Frauengruppen eine be- stimmte Funktion. Auch ihre Wirkung auf den antiken Betrachter war immer für sie spezifisch. Diese Eigenheiten der einzelnen Frauengruppen werden in den vorliegenden Ausführungen genauer untersucht.
Die Beschreibung der einzelnen Objekte nimmt einen großen Raum in dieser Arbeit ein, wird jedoch durch Informationen ergänzt, die der Fragestellung der einzelnen Kapitel entsprechen. So werden die Vasen- darstellungen in jedem Kapitel unter bestimmten Aspekten betrachtet. Gorgonen wirkten beispielsweise anders auf die Betrachter der Vasenbil- der als die Göttin Athene. Und diese wirkte im Gegenzug anders als eine kultausübende bürgerliche Frau. Diese Unterschiede zwischen den ver- schiedenen Frauengruppen sind nicht spezifisch für die Vasenmalerei, sondern sind auch in den literarischen Quellen zu beobachten, welche ergänzend in die Arbeit integriert wurden. Auch die Beziehung zwischen den dargestellten männlichen und weiblichen Figuren wird genauer be- trachtet, da sich diese verändert, je nach der Situation in der sich die Fi- guren befinden.
Abschließend wird ein Vergleich von XENOPHONS Oikonomikos, als exemplarischer Stellvertreter für die literarischen Quellen, mit Vasendarstellungen der im Oikonomikos beschriebenen Thematik unternommen. Dieser Vergleich erweckt den Anschein, dass zwei vollkommen verschiedene Realitäten von Frauen in Athen beschrieben werden. Doch wie kommt es zu solchen Unstimmigkeiten und welche Auswirkungen hat es auf unsere Information über die Frauen Athens?
Abgesehen von der räumlichen und zeitlichen Eingrenzung und einer ge- naueren Betrachtung des Begriffes Frau in diesem Zusammenhang, gibt es noch eine weitere Eingrenzung in der Anzahl der Vasen, welche alle aus der Kasseler Antikensammlung stammen. Diese ist mit ihren 25 Vasen relativ klein, um das ganze Spektrum von Frauendarstellungen auf Vasen abzudecken, jedoch ist es im Rahmen dieser Arbeit auch von Vorteil, mit wenigen ausgewählten Objekten zu arbeiten, um den Überblick beibehal- ten zu können. Ein zusätzlicher Anreiz für diese Eingrenzung ist auch die unmittelbare Nähe der Kasseler Antikensammlung, die es ermöglicht im direkten Kontakt mit den Originalen zu arbeiten und sich somit nicht immer auf die Abbildungen verlassen zu müssen. Ergänzend zu den Kasseler Objekten werden aber auch Vasen aus anderen Sammlungen zum Vergleich hinzugezogen bzw. als Anschauungsbeispiele für die Aspekte mit einbezogen, welche in der Kasseler Sammlung fehlen.
Der Versuch das Leben der athenischen Frau zu rekonstruieren zeigt, dass ihre Rechte stark eingeschränkt waren. Athenerinnen waren grund- sätzlich unmündig und rechtsunfähig. Das Verfügen, Kaufen und Verkau- fen von Besitz war rechtlich gesehen ausschließlich den Männern vorbehalten.9 Um jedoch den Familienbesitz in der eigenen Hausgemein- schaft, dem „Oikos“ zu behalten, musste dieser vererbt werden. Hatte der Familienvater nur eine Tochter und keinen Sohn als Nachkommen, so war die Tochter, als Epikleros, an das Erbgut gebunden. Sie diente als Platz- halterin für den nächsten männlichen Nachkommen. Der nächste unver- heiratete, männliche Verwandte väterlicherseits hatte die Pflicht die Epik- leros zu heiraten, um den Familienbesitz zu erhalten. Eine bereits verhei- ratete Frau hatte sich von ihrem Ehemann zu trennen, um diese Heirat zu ermöglichen und somit den Besitz nicht zu spalten. Eine andere Möglich- keit bestand darin, dass sich der Ehemann der Epikleros von seinem Schwiegervater adoptieren ließ, um als sein rechtmäßiger Nachkomme auftreten zu können.10
Nicht nur aus rechtlichen Sicht war die Frau dem Mann unterstellt, auch geistig konnte eine Ehefrau ihrem Mann nur selten ebenbürtig sein. Die- ses lag an dem großen Altersunterschied der beiden Eheleute.11 Während die Athenerinnen bereis im Alter vom 14. bis zum 15. Lebensjahr verheira- tet wurden, gingen die Männer erst mit etwa 30 Jahren den Lebensbund mit einer Frau ein. Die Männer brachten mehr Lebenserfahrung in die Ehe ein als ihre Frauen. Hinzu kommt noch, dass Mädchen keine Schulen be- suchten und nur von ihren Müttern in der Haushaltsführung unterrichtet wurden.12
Bewirkt durch die Abschirmung der jungen Frauen von der Öffentlichkeit, blieben diese bis zur Hochzeit naiv und unerfahren. Erst die Ehemänner entschieden wie weit die Bildung ihrer Frauen reichen sollte. Denn zu viel Wissen und Bildung wirkte sich, nach Meinung vieler Griechen, negativ auf den Charakter der Frau aus. So äußerte sich EURIPIDES zu diesem Thema folgendermaßen: „ Denn für eine Frau ist Schweigen und Bescheidenheit das Beste, so wie draußen (sic! ) unerwähnt zu bleiben.”13 Der weitgehende Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Leben wurde durch die solonische Gesetzgebung unterstützt, welche die Jung- fräulichkeit der Mädchen bis zur Hochzeit forderte. Der Verstoß gegen diese Gesetze zog harte Strafen für die Frauen nach sich.14
Die Hochzeit setzte keinen Schlusspunkt an die Ausgrenzung der Frauen von dem öffentlichen Leben. Aus Angst vor Untreue und unehelichen Kin- dern, blieben die Frauen weiterhin in den Bereichen ihres Oikos tätig.15 Wohlhabende Frauen übernahmen dabei die Rolle der Verwalterin und überwachten die Arbeiten ihrer Sklaven. Ärmere Bürgerinnen lebten hin- gegen etwas weniger abgeschirmt, da sie ihre Erwerbstätigkeiten, zum Beispiel als Händlerinnen oder Wollarbeiterinnen, außerhalb ihres Oikos ausführen mussten.16 Die einzige Möglichkeit der Frauen aktiv am öffent- lichen Leben teilzunehmen, waren die zahlreichen religiösen Feste, bei denen die Frauen wichtige Aufgaben übernahmen.17
2. Frauen als Feinde der athenischen Gesellschaft
Das folgende Kapitel ist den drei Frauengruppen Gorgonen, Mänaden und Amazonen gewidmet. Auch, wenn sie sich auf den ersten Blick stark voneinander unterscheiden, so wurden alle drei aus Sicht des antiken Betrachters als feindliche Wesen angesehen. Obwohl keines dieser my- thologischen Wesen realen Ursprungs ist, gehörten sie zum festen Glau- ben der Griechen und wurden als real existierend betrachtet. Dass sie als tatsächlich lebende Wesen im Glauben der Griechen präsent waren, ist nicht ungewöhnlich, da alle Götter und mythologische Wesen für die anti- ke Gesellschaft diesen Status innehatten. Dieses wird z. B. durch die An- gaben zu den Lebensräumen dieser Wesen in der antiken Literatur deut- lich. Ihre Einstufung als Feind verdanken die Gorgonen, Mänaden und Amazonen ihren unweiblichen bzw. typisch männlichen Attributen, die keineswegs dem Ideal der bürgerlichen Athenerin entsprachen und die im Folgenden erläutert werden.
2.1. Gorgonen — Frauen in Dämonengestalt
Von den drei Gorgonen-Schwestern Stheno, Euryale und Medusa ist ins- besondere letztere namentlich am ehesten bekannt. Zu diesem Bekannt- heitsgrad hat ihr Tod, herbeigeführt durch Perseus, maßgeblich beigetra- gen. Im Auftrag von Polydektes, dem König von Seriphos, macht sich Perseus auf den Weg, um den Kopf der Gorgo zu beschaffen. Ausgestattet mit geflügelten Schuhen, der Kibisis und dem unsichtbar machenden Helm, schleicht sich Perseus an die schlafenden Gorgonen heran und enthauptet die sterbliche der drei Schwestern — die Medusa (Abb. 1). Um nicht durch den Anblick der Gorgonen versteinert zu wer- den, wendet sich Perseus von diesen ab und nähert sich ihnen, in dem er in sein spiegelndes Schild aus Erz schaut.18 Den abgetrennten Kopf der Gorgo versteckt Perseus in seiner Kibisis und macht sich auf den Rück- weg zu Polydektes. Derweilen erwachen Stheno und Euryale und versu- chen dem Mörder ihrer Schwester zu folgen. Dieser ist noch immer durch seinen Helm geschützt und bleibt daher für die Gorgonen unsichtbar, sodass diese bei der Verfolgung keinen Erfolg haben (Abb. 2 und Abb. 3).19
Antike Quellen beschreiben Gorgonen als fürchterliche, dämonische We- sen und so haben die Gorgonen-Schwestern bei APOLLODOR „[…] Köpfe, die mit Schuppen von Drachen bedeckt waren, große Zähne wie Wild- schweine, Hände aus Erz und Flügel aus Gold, mit denen sie fliegen konn- ten.“ (Apollod. 2,40). Auch HOMER hat Grauenhaftes zu berichten:
„ Sieh, sie ( Anm. Athene ) warf um die Schulter die Aigis, pran- gend mit Quasten, fürchterlich, rund umher mit drohendem Schrecken umkränzet. Drauf ist Streit, drauf Stärke, und drauf die starre Verfolgung, drauf das gorgonische Haupt, des ent- setzlichen Ungeheuers, schreckenvoll und entsetzlich, das Graun (sic!) des donnernden Vaters! “ (Hom. Il. 5,738-742).
EURIPIDES beschreibt, dass der bloße Anblick der Gorgonen alles Lebende zu Stein verwandelt, (Eur. Or. 1518-1522) und dass die Gorgonen anstelle von Haaren lebendige Schlangen auf dem Kopf haben (Eur. Ion 987- 1005).
Beim Betrachten der Darstellungen auf Vasen stellt man fest, dass, mit Ausnahme der Pferde-Gorgo, die Gorgonen äußerlich weiblich erschei- nen. Ihr attributives Schlangenhaar lässt die Vermutung zu, dass es sich bei diesen Wesen um eine Mischform aus Mensch und Tier handelt. Die- ses stimmt jedoch nicht, die Gorgonen sind eher den Dämonen zuzuord- nen. Ihre oft zu Fratzen verzogenen Gesichter mit herausgestreckten Zungen und gefährlichen Zähnen wirken eher maskenhaft, als einem Tier ähnlich.20 Der aufgerissene Mund und die weit geöffneten Augen der Gor- gonen sind vermutlich auf den lauten Schrei der Gorgonen, insbesondere der Euryale, zurückzuführen, den sie zur Abwehr von Angreifern einsetzten.21
Das Schlangenhaar und das maskenhafte Gesicht sind nicht die einzigen Eigenschaften, welche speziell der Gorgo zuzuordnen sind. Ab dem 7. Jh. v. Chr. gehören zu der Darstellung der Gorgo auch die Flügel und wenig später kommen noch die Flügelschuhe hinzu.
Des Weiteren taucht die Gorgo in einem langen Chiton auf, der beim Lau- fen einen Blick auf ihre Beine freigibt. Im Verlauf der Zeit wird jedoch der Chiton kürzer. Diese Veränderung hängt eng mit dem so genannten „Knie- laufschema“ zusammen, bei dem ein langes Gewand hinderlich wäre (Abb. 3 und Abb. 5).22 Beim Laufen bewegt die Gorgo ihre Beine so, dass ein relativ spitzer Winkel zwischen ihren Ober- und Unterschenkeln entsteht.23 Das „Knielaufschema“ verdeutlicht die schnelle Bewegung der Figur und wird nicht singulär für die Gorgo verwendet, sondern taucht z. B. auch in der Darstellung einer fliehenden Mänade aus der Kasseler Sammlung auf (Abb. 6). Eine attische Besonderheit bei der Darstellung der Gorgo ist das Hinzufügen eines Tierfells als eine Art Überwurf über dem Chiton.
Wird eine Gorgo ohne weitere Figuren auf einem Gefäß dargestellt, so geht man davon aus, dass diese Szene als Exzerpt aus einer Verfol- gungsszene mit Perseus zu verstehen ist. Dieses gilt insbesondere, wenn die Gorgo über dem Meer fliegt, welches durch Wellen oder Delphine an- gedeutet wird.24
In der Kasseler Sammlung befindet sich ein Objekt, welches genau die oben genannte Verfolgungsszene als Motiv aufweist. Die schwarzfigurige Kylix mit der Inventarnummer T. 663 (Abb. 2 und Abb. 3) befindet sich seit ihrem Erwerb bei einer Auktion am 13. Mai 1961 in der Kasseler Sammlung.25 Das Gefäß wird auf den Zeitraum um 560 v. Chr. datiert und zeigt sowohl auf der A- als auf der B-Seite das Motiv der geflügelten Gor- go. Beide Dargestellten tragen sowohl einen kurzen Chiton als auch Flügelschuhe und wurden im „Knielaufschema“ dargestellt. Aufgrund der vergilbten weißen Farbe ist das Schlangenhaar nur noch bei der Gorgo auf der B-Seite deutlich zu erkennen — bei der anderen lässt es sich noch erahnen. Einen deutlichen Unterschied zwischen den beiden Gorgonen bildet das über den Chiton getragene Tierfell der Gorgo auf der B-Seite, welches bei der anderen Gorgo ersatzlos fehlt. Die von links nach rechts laufenden (beziehungsweise fliegenden) Gorgonen, werden jeweils von zwei Delphinen umringt, die das Meer andeuten.
Zahlreiche rote Farbspuren, wie z. B. an den Flügelschuhen, dem Tierfell und dem Schlangenhaar, geben einen Eindruck von der ehemaligen Farbigkeit dieses Objektes wieder. Die Gorgonen werden vermutlich bei der Verfolgungsszene gezeigt, bei der Perseus nicht zu sehen ist (möglicherweise weil er mit Hilfe seines Helms unsichtbar ist?).
Soviel zum Außenmotiv der Kylix. Im Inneren des Gefäßes ist die Figur eines kauernden Kriegers zu erkennen. Dieser ist mit einem kurzen Chiton und mit Beinschienen bekleidet und trägt einen korinthischen Helm auf seinem Kopf und ein Rundschild in seiner rechten Hand (Abb. 4). Eine Deutung der Zusammenfügung des Gorgonenmotivs und des kauernden Kriegers ist schwierig. Dem Krieger fehlen jegliche Attribute, um ihn als Perseus oder als einen bestimmen anderen Krieger deuten zu können.26 Die Gorgonen vereinen in den literarischen Quellen und als Figuren eines Vasenmotivs negative, fürchterliche und abstoßende Wesenszüge. Ihr lebendiges Schlangenhaar, die maskenhafte Grimasse, gefährliche Zähne und die Fähigkeit alles Lebende in Stein zu verwandeln, erheben die Gor- gonen zu gefürchteten Dämonen. Gefürchtet und abschreckend wirkt der Kopf der Medusa auch nach ihrem Tod und wird deshalb auf Athenes Schild befestigt, das so z. B. im Trojanischen Krieg zum Einsatz kommt (Hom. Il. 5,738-742). Dadurch, dass die Gorgonen für die Athener wirklich waren, war auch die von ihnen ausgehende Gefahr in der Realität gefürchtet.
2.2. Mänaden — Rasende und ekstatische Frauen
Die Mänaden wurden zwar im Gegensatz zu den dämonischen Gorgonen nicht gerade gefürchtet, jedoch erschienen sie im Auge des antiken Bet- rachters ebenso negativ. EURIPIDES widmet diesen Wesen ein ganzes Drama. In seinem Stück „Die Bakchen“ beschreibt er ausführlich die Ge- stalt und die Psyche dieser rasenden und ekstatischen Frauen. Die von Zeus geschwängerte Semele wird von ihren Schwestern versto- ßen. Als junger Mann stiftet Semeles’ Sohn Dionysos, von Rachegefühlen geleitet, die Schwestern seiner Mutter zur Raserei an. Ihr verändertes We- sen tritt nicht nur durch ihr merkwürdiges Benehmen in Erscheinung, sondern auch durch ihre äußerliche Veränderung. Lebendige Schlangen in ihre Locken geflochten, mit Efeukränzen und Rehfellen geschmückt und einen Narthex in der Hand tragend (Eur. Bacch. 100-115), unterscheiden sie sich deutlich von einer bürgerlichen athenischen Frau (Abb. 7 und Abb. 8). EURIPIDES beschreibt die Mänaden als tanzende (Eur. Bacch. 115- 120) oder vor Wut rasende Frauen (Eur. Bacch. 660-666), die häufig von Tieren wie Wölfen, Rehen und Kälbern umgeben sind und sich nicht da- vor scheuen, diese auch mit der eigenen Milch zu füttern (Eur. Bacch. 699-711). Ihre Stärke und Wildheit demonstrieren sie, indem sie mühelos wilde Tiere mit bloßen Händen in der Luft zerreißen (Eur. Bacch. 729-764). Pentheus erlebt diese Stärke und Wildheit am eigenen Körper, als er von mehreren Mänaden, seine Mutter Agaue voran, in Stücke gerissen wird (Eur. Bacch. 1092-1153) (Abb. 9 und Abb. 10). Nach Pentheus Tod, der den Höhepunkt der Rache des Dionysos darstellt, müssen die beteiligten Frauen über ihre Tat aufgeklärt werden, da sie sich an nichts erinnern (Eur. Bacch. 1259-1301).
Die Kasseler Antikensammlung bietet vergleichsweise wenig zum breiten Spektrum der Darstellung von Mänaden. Aus der archaischen und klassi- schen Zeit befinden sich momentan nur drei Objekte mit diesem Motiv in Kassel. Werden die Mänaden bei EURIPIDES als tanzend, wild, vor Wut rasend und tobend beschrieben, so ist man zunähst erstaunt über die „aktionsarmen“ Mänaden auf den Kasseler Gefäßen. Dieses ist jedoch nur dann verwunderlich, wenn man nur EURIPIDES als Vergleichsquelle hinzu- zieht. SUSANNE MORAW schlüsselt in ihrer Dissertationsschrift zahlreiche Möglichkeiten der Mänadendarstellung auf und verdeutlicht ihre Vielfalt.27 Ihre Ausführungen zeigen, dass Darstellungen von verfolgten Mänaden, der Mänaden im Gefolge des Dionysos, der im Komos tanzenden Mäna- den, die ekstatischen und die ruhigen Mänaden zum Teil sogar parallel nebeneinander existierten.28 Die Quellen von EURIPIDES geben nur eine Sichtweise auf die Persönlichkeit der Mänaden. Sein Drama ist aber insofern nicht unwichtig, da die Angaben zum Aussehen dieser Frauen sich zum großen Teil mit den Darstellungen auf Vasen decken.
Die schwarzfigurige Kylix mit der Inventarnummer T. 487 (Abb. 6), die auf den Zeitraum um 530 v. Chr. datiert wird und 1908 aus der Sammlung Vogel erworben wurde, zeigt die Darstellung einer fliehenden Mänade.29 Zu sehen ist eine sich umblickende Frau, die von einem Silen oder einem Satyrn verfolgt wird.30 Beide Figuren sind lediglich als Schattenfiguren zu erkennen. Details am Körper und der Kleidung, die möglicherweise früher durch weiße Farbe verdeutlicht wurden, sind nicht sichtbar. Deutlich zu sehen ist jedoch, dass die Mänade ein Gewand trägt, welches ihre Beine entblößt und dass sie in dem zuvor beschriebenen „Knielaufschema“ (s. o. Gorgonen) läuft. Der Satyr ist als solcher nur aufgrund seines typisch langen Tierschwanzes zu deuten. Die Mänade und der Satyr werden von Rankenpalmetten und von weiteren Ornamenten eingeschlossen, auf die im Folgendem jedoch nicht mehr eingegangen wird.
Wie bereits in Zusammenhang mit der Arbeit von MORAW erwähnt, gibt es in Bezug auf die Mänaden in der ersten Hälfte des 6. Jhds. v. Chr. mehre- re Darstellungstraditionen. Die Mänade wird als Herrin der Tiere, als beim Komos tanzende Mänade, im Gefolge des Dionysos oder als vom Satyr verfolgte Frau dargestellt.31 Das eben beschriebene Objekt zeigt das Motiv der verfolgten Frau, welches einem bestimmten Grundschema folgt, bei dem der Satyr sein Opfer bereits mit seiner Hand erfasst hat oder kurz davor steht, dieses zu tun. Die animalischen Komponenten, wie Tierschwanz und -ohren, Hufen und Fell, bewirken, dass der Satyr wie ein wildes und unzivilisiertes Wesen wirkt.32 Die fliehenden Frauen heben ihre Arme angewinkelt in die Höhe und laufen in einem weit ausholenden Schritt vor ihrem Verfolger weg. In der Regel wirft die Fliehende ihren Kopf über die Schulter, um nach dem Satyr zu sehen.33 Dieser Blickkontakt zwischen dem Verfolger und der Verfolgten ist charakteristisch für erotisch motivierte Verfolgungen und deutet auf einen negativen Ausgang für die Frau hin.34
Das im Wind flatternde Haar der Mänade kommt bei zahlreichen Darstel- lungen vor. Ebenso auffällig ist die Gestaltung ihres Gewandes, welches sich beim Laufen über die Knie bis zum Oberschenkel schiebt. Die Ent- blößung der Beine kann auf verschiedenste Weise gedeutet werden. Rein formal betrachtet, ist es bei einer Verfolgung aufgrund der schnellen Be- wegung unvermeidlich, dass sich das Kleidungsstück nach oben schiebt. Hinzu kommt noch die erotische Komponente, bei der die Entblößung der Beine als die Zurschaustellung der weiblichen Reize und als sexuelle Verfügbarkeit verstanden werden könnte.35 Dieses Element des entblöß- ten Beines kommt auch in der Darstellung von Hetären vor und hebt ihre Funktion als Sexualpartnerinnen hervor.36 Hetären und Mänaden werden auf Gefäßen dargestellt, die im Bereich des Symposions und im Komos ihre Verwendung haben. MORAW begründet dieses Motivvorkommen fol- gendermaßen:
„ Die Präsentation dieser beiden Frauentypen als sexuell reizvoll und zudem den Männern, beziehungsweise den Satyrn, verfügbar entspricht dem Anlaß (sic!), bei welchem diese Bilder rezipiert wurden und wo realiter auf eben diese Weise definierte Frauen, die Hetären, anwesend waren. “37
Auch das zweite Objekt aus der Kasseler Sammlung zeigt das Motiv der fliehenden Mänade. Jedoch ist dieses Gefäß etwa 60 Jahre jünger als die oben beschriebene Kylix und fällt in die Klassische Zeit. Diese rotfigurige Halsamphora mit der Inventarnummer T. 696. (Abb. 11) wurde 1965 aus dem Kunsthandel erworben und wird auf etwa 470 v. Chr. datiert.38 Ein bärtiger, glatzköpfiger Silen mit einem Fell über dem linken Arm verfolgt auf der A-Seite eine nach rechts laufende Mänade. Diese ist an ihrem lan- gen Chiton, dem über die linke Schulter geworfenen Rehfell und dem Thyrsosstab zu erkennen. Die auf der Rückseite der Amphora rasende Mänade läuft derweilen von rechts nach links und ist mit flatterndem Haar und einem langen gegürteten Chiton dargestellt, eine Fackel und einen Thyrsosstab haltend. Die Figuren laufen barfuß über ein umlaufendes Band mit unterbrochenem Vierblatt-Schlüssel-Mäander.
Im Vergleich zur ersten Kylix T. 487 sind die Figuren dieses Gefäßes feiner ausgestaltet, was mit der Entwicklung der rotfigurigen Malerei zusam- menhängt, die eine detaillierte Ausarbeitung der Figuren ermöglicht. Nicht nur rein technisch, sondern auch formal sehen die Mänaden auf diesem Gefäß verändert aus. Ein langer Chiton verdeckt den Großteil ihres Kör- pers, nur die Füße und die Arme sind nicht vom Kleidungsstück bedeckt.
So zugeknöpft die Mänade hier äußerlich erscheint, so verwunderlich ist ihr Handgestus, der für den Satyrn und den Betrachter eher einladend als abwehrend wirkt. Es ist also nicht mit Sicherheit zu sagen, ob die Mänade verfolgt wird oder zusammen mit dem Satyrn läuft. Diese unklare Handhaltung kommt bereits im 6. Jh. v. Chr. vor und taucht immer wieder in den Darstellungen auf.39
Die Mänade auf der B-Seite hält eine brennende Fackel in der Hand. Diese Fackel ist als Hinweis auf den nächtlichen Charakter der stattfindenden Aktion zu verstehen und kommt erst in der klassischen rotfigurigen Malerei zum Einsatz.40
Das dritte Gefäß, welches mit dem Motiv von Mänaden verziert wurde, ist der rotfigurige Stamnos von 440 v. Chr. mit der Inventarnummer T.682, der 1963 im Kunsthandel erworben wurde.41 Auf der Hauptseite ist das Motiv der Rückführung des Hephaistos in den Olymp zu sehen. Auf der Rückseite befinden sich zwei Mänaden, die als Ergänzung zum Hauptmo- tiv zu verstehen sind (Abb. 12 und Abb. 13).42 Dionysos schreitet in einem weiten Schritt dem Zug voran. Gekleidet ist er in einen langen faltenrei- chen Chiton und einen schlichten Mantel. Auf dem Kopf des Weingottes lässt sich ein Kranz und eine Tänie zu erkennen. Zurück blickend zum Hephaistos hält Dionysos einen Kantharos in der rechten und den Thyrsosstab in der linken Hand. Da Hephaistos, nachdem er von Hera als Kind in den Ozean geschleudert wurde, verkrüppelte Beine hat und nicht wie die anderen olympischen Götter in einem Wagen stehen kann, wird er mit herunterhängenden Beinen und einem schlaffen Oberkörper, auf einem Maulesel sitzend, dargestellt, welches von einem kleinen nackten Satyrknaben mit spitzen Ohren geführt wird.43 Der Reiter ist efeubekränzt und trägt einen kurzen gemusterten Chiton, welcher durch ein Fell und einen Mantel ergänzt wird. Auffällig sind weiterhin die hohen Laschenstie- fel des Hephaistos. Ebenso wie Dionysos hält auch er den mit Efeu ge- schmückten Thyrsosstab in seiner rechten Hand und in der linken eine Zange mit glühender Kohle, die ihm als alleiniges Attribut zur Kennzeich- nung als Schmied dient. Ein Doppel-Aulos spielender und bekränzter Sa- tyr beendet den Zug.
Ein ähnlicher Satyr wird auf der B-Seite in Begleitung von zwei Mänaden gezeigt. Die Körper der beiden Frauen werden fast vollständig von einem schweren Mantel bedeckt, unter welchem ein langer Chiton hervorblitzt. Nur die nackten Füße, jeweils der rechte Arm und das Gesicht schauen aus der Stoffmasse heraus. Die linke Mänade, vom Satyr aus gesehen, hält einen Thyrsosstab in ihrer Hand und ist mit einem Haarband ge- schmückt, die rechte Mänade hält eine Fackel und hat ihr Haar in eine Haube eingebunden. Das Gefäß ist außer mit dem Motiv des Hephaistos und der Mänade mit zahlreichen Ornamenten verziert.
Die zuletzt beschriebene Darstellung der Mänaden unterscheidet sich deutlich von den vorhergehenden. Gezeigt wird hier ein Typus der so ge- nannten „bürgerlichen Mänade“. Diese Frauen sind in einem Peplos oder einem Chiton mit Mantel dargestellt. Ihr Haar ist zum Knoten gebunden oder von einem Diadem gehalten. Damit haben sie praktisch keinen gro- ßen Unterschied zur Darstellung von athenischen Bürgerinnen. Kein Tier- fell oder lebende Tiere verweisen auf die Mänaden, sondern nur noch sel- ten ein Efeukranz oder wie in diesem Fall ein Thyrsosstab und eine bren- nende Fackel.44 Die Mänaden übernehmen in diesem Fall die Funktion einer Dienerin von Dionysos und haben nichts mehr mit den rasenden Wesen gemein.45
In der klassischen Zeit tauchen Darstellungen von Dionysos und Mänaden ausschließlich auf Symposiongefäßen auf. Die Beziehung zwischen den Frauen und den anwesenden Satyrn scheint harmonisch zu sein. Die Satyrn sind in das Geschehen integriert und stören nicht den Ablauf durch die Belästigung der Mänaden. Diese wirken wie ruhige Bürgerinnen im stillen Beisammensein bei einer kultischen Handlung.46
Die drei zuletzt beschriebenen Kasseler Vasen zeigen zwar nur einen kleinen Ausschnitt aus dem breiten Spektrum der Mänadendarstellungen, es wird jedoch deutlich, dass die Mänaden nicht nur rasende, wilde We- sen waren, sondern auch als ruhige Dienerinnen des Dionysos oder als durch einen Satyrn verfolgte Frauen auftreten konnten. Ein weiterer As- pekt, der ins Auge fällt, ist der große Kontrast zum Ideal der athenischen Bürgerin, die sich normgerecht verhält sowie verantwortungsbewusst und keusch ist.47
Zwar gibt es auch Mänaden, die dem Äußeren nach einer Bürgerin gleichen, jedoch heißt das nicht, dass sie auch deren Eigenschaften haben. Die Begleitung von Dionysos oder einem Satyrn impliziert immer, dass die Mänaden keine normalen Frauen sind, sondern in manchen Fäl- len sogar mit Hetären gleichgesetzt werden können. Eine attische Bürge- rin wohnte keinen Symposien bei und strebte auch nicht den Ruf einer Hetäre an. Der Charakter der Mänade wirkt dem Wesen der attischen Idealfrau entgegen und bewirkt, dass man die Mänade, die sich nicht nach den Regeln verhält, durchaus als gesellschaftsfeindlich betrachten werden kann.
2.3. Amazonen — Frauen mit männlichen Eigenschaften
Mit dem Begriff der Amazonen ist eine gewisse soziale Konvention verbunden. So assoziiert man mit diesen Frauen, dass sie keinen Wert auf die Ehefrauen- und Mutterrolle legen, dass sie mit Männern kämpfen und sogar neugeborene Jungen töten.48 Zahlreiche antike Autoren äußerten sich zu den Amazonen. So schreibt VERGIL:
„ Rasend führt Amazonenschar dort Penthesilea, mondsichel- förmig ihr Schild; sie glüht inmitten der tausend, unter der blo- ßen Brust mit goldenem Bande gegürtet. Kriegerin ist sie, wagt-die Magd!-mit Männern zu kämpfen “ (Verg. Aen. 1. 490- 493).
Auch wenn diese Aussage von VERGIL erst am Ende des ersten Jahrhun- derts v. Chr. entstand und somit viele Jahrhunderte jünger ist als die hier betrachteten Vasendarstellungen, vermittelt sie immer noch die negative Geisteshaltung gegenüber den Amazonen, wie schon zu HOMERS Zeit. Woher genau der Name der Amazonen kommt, ist bis heute unklar, da es für keine der historischen und etymologischen Thesen stichhaltige Bewei- se gibt.49 Als Heimat der Amazonen wird die Stadt Themiskyra am Schwarzen Meer genannt (Aischyl. Prom 721-727), die heute nicht identi- fizierbar ist. Afrika (Diod. III. 52-55) wird ebenfalls von DIODOR in Betracht gezogen. Als sich die Heldenmythen in Zusammenhang mit den Amazo- nen in der archaischen und klassischen Zeit entwickelten, lokalisierte man die Amazonen nur am Schwarzen Meer.50
Je nach Quelle ist entweder Andromache, Penthesileia oder Hippolyte als ihre Königin angegeben. Die Amazonen stammen von dem Kriegsgott A- res ab, was bereits bei ihrer Beschreibung in den literarischen Quellen der Antike zu erkennen ist. So werden die Amazonen bei HOMER als „ män- nisch “ oder „ männliche Hord “ beschrieben (Hom. Ilias 3, 188-190; 6, 186). Die Erwähnung der Amazonen bei HOMER ist nicht umfangreich, da der Amazonenmythos vermutlich allgemein bekannt war.51 EURIPIDES nennt sie „ Reiterhorden der Amazonen “, „ wilde Arestöchte r“ und „ barba- rische Frauen “ (Euripides, Herakles 408-416). Und ARISTOPHANES erwähnt sie in seiner Lysistrate:
„ Von Natur schon sind die Weiber ritterlich und sattelfest! Oh, die stürzen nie beim Reiten! Sieh die Amazonen an, wie auf Mi- kons Bild sie kämpfen, mit den Männern hoch zu Roß (sic!) ! “ (Aristoph. Lys. 676-678).
Diese Einordnung in die Genealogie und die Hervorhebung der Eigen- schaften der Amazonen war für die Griechen wichtig, denn nur so waren die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Amazonen im Kampf zu erklären. Der zusätzliche Aspekt, dass der Sieg über die Töchter des Kriegsgottes mehr wert war als ein Sieg über ein menschliches Frauenvolk, spielte sicherlich auch eine Rolle.52
Als reitende und kämpfende Frauen werden die Amazonen in den literari- schen Quellen beschrieben und genauso tauchen sie auch auf zahlrei- chen Vasenmotiven auf. Der schwarzfigurige Kolonettenkrater aus dem Zeitraum um 510 v. Chr. wurde 1965 für die Kasseler Sammlung im Kunsthandel erworben und mit der Inventarnummer T. 698 versehen (Abb. 14 und Abb. 15).53 Das Objekt wurde aus Fragmenten zusammen- gesetzt, wobei Brüche verstrichen und kleine Stücke ergänzt wurden.54 Der Krater ist reich mit Ornamenten und Tierdarstellungen verziert. Interessant für die vorliegenden Ausführungen ist das Motiv auf der A-Sei- te des Objektes. Dieses zeigt eine reitende Figur im kurzen, weißen, ab- wechselnd mit geritzten Kreuzen und Quadraten sowie geritzten Kreuzen und Kreisen gemusterten Chiton. Die Figur trägt eine phrygische Mütze und einen Mantel, der am Rücken flattert, und ist mit einer Lanze in der rechten Hand bewaffnet. Es ist schwer zu sagen, ob es sich bei dieser Figur tatsächlich um eine Amazone handelt, da ihre Gestaltung sowohl für als auch gegen eine Amazone spricht. Ihre orientalisch anmutende, stark gemusterte Kleidung und das weiße Gesicht lassen die Vermutung zu, dass es sich um eine Amazone handelt. Dagegen spricht jedoch, dass die Arme und Beine der vermeintlichen Amazone schwarz geblieben sind und nicht wie das Gesicht mit Weiß aufgefüllt wurden. Möglicherweise trägt sie ein langärmliges, eng anliegendes Gewand, welches die Hände und Füße frei lässt. Diese müssten theoretisch auch weiß sein, jedoch könnte dieses auf eine Unachtsamkeit des Vasenmalers zurückzuführen sein. Da männliche Figuren nicht mit weißer Hautfarbe dargestellt wurden, ist die Identität der Reiterfigur nicht sicher zu bestimmen. Es sprechen jedoch mehr Indizien für als gegen eine Amazone. In Begleitung der vermeintlichen Amazone befinden sich zwei vollständig gerüstete Hopliten, der eine vor und der zweite hinter ihr.
Die B-Seite des Kraters zeigt ein galoppierendes Viergespann mit einem davor fliehenden, sich umblickenden Hopliten. Der Verfolger ist ein bärtiger Wagenlenker in einem mit kurzen, weißen, mit geritzten Kreuzen und Kreisen gemusterten Chiton. Er hält ein Kentron in der Hand und der hinter ihm laufende Hoplit hält zwei Lanzen.
Die schwarzfigurige „Tyrrhenische“ Amphora mit der Inventarnummer T. 386 gehört der Sammlung Calabresi in Rom an und war eine Schenkung von Edward Perry Waren an das Kasseler Museum im Jahr 1899 (Abb. 16). 1967 wurde sie gereinigt und erneut aus Fragmenten zusammenge- setzt. Dabei wurden alle Brüche verstrichen und retuschiert sowie kleine Stücke ergänzt. Als Motiv ist auf der A-Seite die Amazonomachie darge- stellt. Bei diesem Amazonenkampf sind vier unbekleidete bärtige Männer jeweils mit einer Lanze und einem Schild ausgestattet, zu sehen. Bis auf den linken Krieger tragen alle einen korinthischen Helm. Eine am Boden kniende Figur mit Helm und einem kurzen gemusterten Chiton wird von diesen Kriegern angegriffen. Sie hält ebenfalls einen Schild und eine Lanze in ihren Händen und kann als Amazone interpretiert werden. Begleitend zu dieser Amazone sind rechts im Bild zwei weitere zu sehen. Ihre Aufmachung ähnelt der am Boden Knienden und wurde zusätzlich mit Beinschienen ergänzt. Die Mittlere der drei Amazonen trägt keinen Helm wie ihre Begleiterinnen, sondern eine Kappe und hat auf ihrem Schild einen fliegenden Adler eingeritzt. Das Schild der linken Amazone wies ursprünglich einen weiß aufgesetzten Stern auf. Auf den Schilden, Helmen und Beinschienen sind Spuren von dunkelroter Farbe zu erkennen.55 Auf der Rückseite ist das Motiv eines Komos dargestellt. Diese Vase ist neben den beschriebenen großen Motiven zusätzlich mit zahlreichen Ornamenten und Tierfriesen versehen.
Die Amazonen wurden im 6. Jh. v. Chr. überwiegend in Waffenrüstung dargestellt, wie sie auch bei griechischen Kriegern üblich war und die aus einem attischen Helm, einer Brustpanzerung, Beinschienen, Rundschild, Schwert und Speer bestand (vgl. Abb. 17 und Abb. 18). Erst am Ende des 6. Jhds. tauchen Amazonendarstellungen auf, auf denen die Frauen Hosenanzüge und eine besondere Form der Kopfbedeckung (Tiara) tru- gen und nun auch mit Bogen und Streitaxt ausgestattet waren (Abb. 19 bis Abb. 21). Diese Ikonographie war bereits für die Darstellung von per- sischen oder steppennomadischen Völkern benutzt worden.56 Warum nun die Amazonen diese Attribute bekamen, ist nicht ganz klar.57 Sicher ist nur, dass die Perser und Skythen als Barbaren und Fremde an- gesehen wurden. Ihre charakteristische und fremd wirkende Kleidung verdeutlichte ihre Abgrenzung zu den Athenern. Wie man bereits aus den literarischen Quellen entnehmen konnte, waren die Amazonen, aus der Sicht der Athener, auch ein fremdes und barbarisches Volk. Der an die Skythen und Perser angeglichene Kleidungstypus kann auch hier zur Charakterisierung der Amazonen als feindliche Fremde dienen.58 Die Vasendarstellungen scheinen aber oft mit Bedacht den Interpretati- onsraum groß zu lassen, ob es sich bei den Dargestellten tatsächlich um Amazonen, Perser oder Skythen handelt, wie bereits auf dem Krater T. 698 aufgezeigt wurde.59 Alle Beteiligten sind als Fremde und auch als Feinde der Athener anzusehen und es ist fraglich, ob eine so detailreiche Unterscheidung für einen athenischen Betrachter eigentlich nötig war. Ausschlaggebend war, dass die dargestellten Skythen, Perser oder Ama- zonen als Feindbilder fungierten, die für die Griechen von Bedeutung wa- ren, denn: „ Die Feindwelt, die durch die Amazonensage in mythischer Form charakterisiert wird, dient der Dokumentation der eigenen Stärke “.60
Der Sieg über diese Feinde war wichtig und wird in den Vasendarstellun- gen, aber auch in literarischen Quellen, beschrieben, wie z. B. bei HERODOT „ Auch gegen die Amazonen, die einst vom Thermodon her in Attika einfielen, haben wir uns tapfer gezeigt. “ (Herod. 9, 27). Dieser sieht die A- mazonen als würdige Gegner an und betont mit Stolz den Sieg über diese. Für die Griechen waren diese Gegner von großer Bedeutung, da die Amazonen, wie JAN MAARTEN BREMMER schreibt:
„… are linked with two most powerful Greek heroes, Heracles and Achilles, who fight and kill them. Amazons seem to repre sent the danger females challenging masculine heroic superiority. The macho aristocrats who defend and dominate the archaic polis must have enjoyed seeing Amazonomachies on the cups, amphorae and mixing-bowls. “61
Nicht als Feindbild, sondern als Abbild der weiblichen Unterdrückung sieht EVA C. KEUL die Stellung der Amazonen in der griechischen Welt. Sie stellt die These auf, dass der Amazonenmythos als Charter des Chauvinismus der antiken Männer zu verstehen ist, indem er als Kodierung für die männliche Herrschaft über die Frauen fungiert.62
Eine positive Eigenschaft wurde von den Athenern jedoch auch den Amazonen zugestand. Ihre Schönheit wurde beispielsweise von DION CHRYSOSTOMOS erwähnt:
„ He (Anm. Herakles) loosed the girdle of the Amazon (Anm. Hippolyte), who tried to coquet with him and thought to win by means of her beauty. For he both consorted with her and made her understand that he could never be overcome by beauty and would never tarry far away from his own possessions for a woman's sake.“ (Dion Chrys. 8, 32).
Im gesamten Zeitraum der Antike galt die Sophrosyne, der gesunde Verstand, als die weibliche Kardinaltugend. Sie schließt mehrere Eigen- schaften ein wie Verantwortungsbewusstsein, Keuschheit und normge- rechtes Leben. Gleich nach der Sophrosyne war die Schönheit die zweite Eigenschaft einer vorbildhaften Frau.63 Jedoch weist MORAW darauf hin, dass Schönheit keinesfalls mit der Körperschönheit gleichzusetzen ist. Im Gegensatz zur männlichen Schönheit, die durchaus durch nackte, athleti- sche Körper, einen guten Charakter und angenehmes Betragen demonstriert werden kann, wird die weibliche Schönheit chiffriert. Ge- pflegtes und gut frisiertes Haar, reich verzierte und kostbare Kleidung so- wie weiße Arme und Füße galten als Zeichen der Schönheit.64
Weibliche Schönheit enthielt für die Griechen jedoch auch eine negative Konnotation. Da Schönheit nur vom Äußeren bestimmt wird, ist sie in der Lage, die nicht vorhandene Tugendhaftigkeit der Frau vorzutäuschen.65 Die Amazonen werden zwar als schön gepriesen, jedoch werden ihnen alle Tugenden abgesprochen. Dadurch, dass sie reiten, kämpfen und keine typisch weiblichen Aufgaben übernehmen, verstoßen sie gegen alle Aspekte der Sophrosyne und entsprechen somit nicht dem Ideal einer Athenerin.
2.4. Fazit
Zusammenfassend heißt es also, dass die Gorgonen, Mänaden und Ama- zonen drei Frauengruppen mit äußerst unterschiedlichen Charaktereigen- schaften und alle drei übernehmen verschiedene Funktionen. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie für die attische Gesellschaft bedrohlich wirkten, und zwar aufgrund ihrer gewissermaßen männlichen Eigenschaften wie Stärke, Mut und Kampfbereitschaft sowie der Tatsache, dass sie sich weit entfernt von dem Weiblichkeitsideal der Athener befanden.
3. Göttinnen und Personifikationen — Frauen als höhere Wesen
Das vorangegangene Kapitel verdeutlichte, welche Wirkungen und Funk- tionen Gorgonen, Mänaden und Amazonen für die Griechen hatten. Im Gegensatz zu den letztgenannten waren die im Folgenden vorgestellten Frauen weitaus positiver in der griechischen Kultur verankert. Der Schwerpunkt dem nächsten Kapitel dieser Arbeit liegt auf der Göttin Athene, der Personifikation Nike und einer unbekannten vermeintlichen Göttin.
3.1. Athene — Göttin des Krieges
Die schwarzfigurige Kalpis mit der Inventarnummer T. 683, datiert auf den Zeitraum zwischen 510 und 500 v. Chr., wurde 1964 aus dem Kunsthandel für die Kasseler Sammlung erworben (Abb. 22).66
Das Motiv zeigt eine Szene aus dem Kampf des Herakles mit dem Ne- meischen Löwen. Der vollständig entkleidete Herakles umklammert den Löwen mit einem Würgegriff und zieht das Tier zu Boden. Der Löwe, im Versuch sich zu wehren, reißt sein Maul und die Augen weit auf und drückt seine linke Hinterpfote auf den Kopf des Herakles. Dieser trägt ei- nen Vollbart und sein kurzes lockiges Haar wird von einem Haarband zu- sammengehalten. Im Hintergrund ist ein Strauch zu sehen, an welchem der Kämpfer seine Kleidung, seinen Bogen und seinen Köcher aufgehängt hat. Vom Betrachter aus links neben der Kampfszene sitzt die Göttin Athene. Diese ist mit einen langen, gemusterten Chiton bekleidet, der schlangenbesetzten Aegis, und sie trägt einem attischen Helm. Ihre Lanze auf die Kampfszene gerichtet, schaut sie dem Geschehen lebhaft zu. Auf der gegenüberliegenden Seite der Kampfszene sitzt Herakles' Begleiter Iolaos. In seiner linken Hand hält er die Keule des Herakles und gestiku- liert mit seiner Rechten in die Richtung des Kampfgeschehens. Die Haut- partien der Athene, der Bauchstreif und die Zähne des Löwen sowie eini- ge kleine Details sind mit weißer Farbe aufgefüllt. Rote Färbung ist am Bart des Herakles auszumachen und beim Löwen auf der Zunge, als Punkte auf der Mähne und als ein Streifen auf dem Hinterschenkel. Die gesamte Darstellung ist mit verschiedenen Ornamenten eingerahmt.
Die hier dargestellte Szene kommt sehr oft in der griechischen Kunst vor und hat ihre literarischen Vorlage in verschiedenen Quellen. Herakles wer- den von Hera zwölf Taten auferlegt, die er erfüllen muss. Der Kampf mit dem Nemeischen Löwen ist eine dieser Taten und wird bei HESIOD be- schrieben:
„Fünftens gebar sie die Phix, dem Volk des Kadmos zum Un- heil, niedergezwungen von Orhos, und auch den Nemeischen Löwen. Hera, die herrliche Lagergenossin des Zeus, gab ihm Nahrung, ließ ihm dann die Weiden Nemeas, den Menschen zur Plage; denn das Raubtier hauste vernichtend unter den Men- schen, herrschend über Nemeas Berge Apesas und Tretos. A- ber die göttliche Kraft des Herakles hat es bezwungen!“ (Hes. theog. 326-332).
Wie auf der Kasseler Amphora T. 384 (Abb. 76) zu sehen ist, kann an Athenes Stelle auch eine nicht weiter identifizierte Frau Herakles beglei- ten67. Die einzelnen Attribute erhält Herakles bei jeder von ihm erfüllten Aufgabe (Abb. 51) und behält diese durch die Antike hindurch, wie bei LUKIAN nachzulesen ist:
Diogenes: „Sollte das nicht Herakles sein? Beim Herakles! er ist's kein anderer! Es ist sein Bogen, seine Keule, seine Löwenhaut, seine Statur — alles an ihm ist Herakles! — Verzeihung, o du Sieger der schönsten Siege, sei so gut und sage mir, ob du tot bis. Wie ich noch am Leben war, opferte ich dir als einen Gott.“ (Lukian. XVI Diogenes, Herakles).68
Beim Betrachten der Athene fallen einige optische Gemeinsamkeiten mit den Amazonen auf. Als Kopfbedeckung tragen beide einen Kriegerhelm.
Auch ihre Bewaffnung ist ähnlich. Wenn man davon ausgeht, dass Frauen in der Regel waffenlos und ohne Rüstung dargestellt wurden, so ist diese Parallele zwischen den Amazonen und Athene unübersehbar (Abb. 17, Abb. 18 und Abb. 24, Abb. 25).
In der Kunst wird Athene typischerweise immer als Kriegerin dargestellt. Ein Helm, ein Schild mit dem Gorgoneion (zur Wirkung dieses siehe Kap. 2 Gorgonen) sowie ein Speer in der Hand sind ihre speziellen Attribute. Ihr besonderes Kennzeichen ist die Aegis, welche eine Art schuppiger und mit zahlreichen lebendigen Schlangenköpfen besetzter Umhang ist (Abb. 26). Auch einige Tiere wie die Krähe, Sphinx, Schlange und insbesondere die Eule können attributiv zur Göttin erscheinen (Abb. 27). Während das Schild und der Helm Athene als Kriegerin auszeichnen, ist die schlangen- besetzte Aegis als Zeichen der magischen und glanzvollen Stärke zu interpretieren.69
In den antiken Quellen sind zahlreiche Passagen über das Äußere und das Wesen der Athene enthalten. Bereits die Geschichte ihrer Geburt ist besonders. Der Göttervater Zeus leidet an schrecklichen Kopfschmerzen und ruft Hephaistos, um sich von diesen zu befreien. Dieser soll nämlich mit seiner scharfen Axt den Kopf des Gottes entzwei schlagen. Nach lan- gem Zögern gehorcht Hephaistos Zeus, da er nicht noch mehr Zorn auf sich ziehen möchte. Als der Schlag vollführt ist, geschieht etwas Außer- gewöhnliches:
„Ha! Was ist das?” ruft Hephaistos. „Ein Mädchen in vollständi- ger Rüstung! Nun wundert es mich nicht länger daß (sic!) du so ein arges Kopfweh hattest und eine Zeit her so böser Laune warst! Es ist kein Spaß, eine so große Jungfer, dazu noch von Kopf bis Fuß bewaffnet, unter der Hirnhaut auszubrüten! — (…) Und schau nur, jetzt hüpft sie schon herum und tanzt den Waf- fentanz, ohne ihn gelernt zu haben? Wie sie sich dreht und den Schild schüttelt und den Speer schwingt und von ihrer eigenen
Gottheit zusehends immer stärker begeistert ist!“ (Lukian. VIII, Athenas Geburt aus Zeus' Haupt)
Athene wird also aus dem Kopf des Zeus geboren und nimmt sofort ihre Identität als Kriegerin wahr (Abb. 28). Ihr Wesen als Herrin der Kriege und Schlachten wird auch bei HESIOD (Hes. theog. 924-926) beschrieben. HOMER veranschaulicht ausführlich ihr Aussehen, bei dem er auch die mit schlangenbesetzte Aegis, den Helm, ihre Waffen und das Schild mit dem Gorgohaupt erwähnt (Hom. Il. 4.733-747).
In vielen Mythen erscheint Athene an der Seite von Heroen, wie z. B. Ja- son, Perseus oder Herakles.70 Letzteren unterstützt die Göttin bei zahlrei- chen Kämpfen, und auch bei Streitigkeiten mit anderen Göttern ist sie auf seiner Seite.71 Im Auftrag von Zeus dient sie Herakles als Beschützerin, obwohl der Göttervater ihrer Meinung nach ihre Tätigkeit nicht zu schät- zen weiß:
„Drauf (sic! ) antwortete Zeus' blauäugige Tochter Athene: Wohl schon hätte mir dieser den Mut und die Seele verloren, unter der Hand er Argeier vertilgt im heimischen Lande; Aber es tobt mein Vater mit übelwollendem Herzen, grausam und stets un- billig und jeden Entschluß (sic!) mir vereitelnd. Nicht gedenkt er mir dessen, wie oft vordem ich den Sohn ( Anm. Herakles ) ihm rettete, wann er gequält von Eurystheus' Kämpfen sich härmte. Auf zum Himmel weinte der Duldende, aber es sandte ihm mich zur Helferin schnell von des Himmels Höhe Kronion.“ (Hom. Il. 8. 357-365).
THALIA PAPADOPOULOU sieht in der Aufgabe von Athene eine bestimmte Verbindung zwischen Zeus und Herakles:
„Athena's traditional patronage of Heracles was carried out un- der Zeus' will, a fact which seems to hint at the possibility of an interpretation of her dramatic intervention also as sign of Zeus' indirect 'presence'.“72
Aufgrund Athenes Geburt aus Zeus' Kopf steht sie diesem sehr nah und fungiert PAPADOPOULOUS' Meinung nach auch als seine körperliche und geistige Vertretung. Sie steht Herakles bei, wie man es z. B. auf der Darstellung der Kasseler Kalpis sehen kann und erteilt ihm Ratschläge in seinem Vorgehen, wie es die antiken Quellen berichten:
„Doch sie ( Anm. die Hydra ) erlegte der Sohn des Zeus mit grausamem Erze, er, aus Amphitryons Stamm, mit Iolaos, Liebling des Ares, — Herakles, folgend dem Rat der Athene, der Herrin des Heeres.“ ( Hes. theog. 315-317 ).73
Es wird deutlich, dass Athene in der Männerwelt beheimatet ist. So zeigt z. B. die Kasseler Amphora T. 445 die Göttin in einer Szene mit einem siegreichen Fackelläufer (Abb. 29). Zu den einzelnen Heroen, insbesonde- re Herakles, hat sie sehr engen Kontakt und ist aus der mythologischen Sicht keine Göttin der Frauen. Im Gegenteil, sie stellt sogar oft eine Ge- fahr für die Frauen in ihrer Umgebung dar, wie beispielsweise für die troi- zische Prinzessin Aithra.74 Jener erschien Athene im Traum und befahl ihr, auf die Insel Sphairos zu kommen. Dort wurde die junge Frau jedoch von Posaidon überwältigt (Pausanias 2.33.1). Mit Arachne veranstaltet sie zu- dem einen Spinn-Wettbewerb, welcher jedoch unerwünschte Folgen für Arachne hat, denn sie wird von Athene in eine Spinne verwandelt (Ovid. met. 6.5-145). Athenes Beziehung zur Wollarbeit wird in antiken Quellen darüber hinaus noch weitere Male angedeutet:
[...]
1 Hölscher, Tonio: Die Griechische Kunst, München 2007, S. 9.
2 Hölscher (2007: 7).
3 Hölscher (2007: 14).
4 Ebenda.
5 Hölscher (2007: 8).
6 Hölscher (2007: 10).
7 Hölscher (2007: 16-17).
8 Hölscher (2007: 16). Ausführlicher zu diesem Thema in: Brinkmann, Vinzenz: Einführung in die Ausstellung, Die Erforschung der Farbigkeit der antiken Skulptur. In: AK: Bunte Götter, Die Farbigkeit antiker Skulptur hrsg. von V. Brinkmann, Kat. Ausst., München (Glyptothek München) 2004, München 2004, S. 25-32.
9 Reinsberg, Carola: Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland, München 1989, S. 28.
10 Reinsberg (1989: 29).
11 Reinsberg (1989: 42).
12 Reinsberg (1989: 41).
13 Reinsberg (1989: 42).
14 Reinsberg (1989: 41).
15 Reinsberg (1989: 42).
16 Pomeroy, Sarah B.: Frauenleben im klassischen Altertum, Stuttgart 1985, S. 111-112.
17 Pomeroy (1984: 112-113).
18 Das Haupt der Gorgonen ist in der Lage, Lebendiges in Stein zu verwandeln. Unklar ist jedoch, ob man beim Betrachten der Gorgonen zu Stein erstarrt oder ob der Blick dieser die Versteinerung herbeiführt. Ausführlicher zu diesen Thesen siehe: Ogden, Dani- el: Perseus, gods and heroes of the ancient world, London/New York 2008, S. 50-55.
19 Apollod. 2,36-42.
20 Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (LIMC), (Hrsg.) Kahil, Lily. Artemis Ver- lag München und Zürich 1988, Bd. IV, S. 319-321, s.v. Gorgonen (Krauskopf, Dahling).
21 Ogden (2008:54).
22 Ogden weist darauf hin, dass das Knielaufschema auf den Namen der Euryale zurückzuführen ist, der „weiter Sprung" bedeutet. Ogden (2008: 54).
23 LIMC IV (1988) S. 319-321, s.v. Gorgonen (Krauskopf, Dahling).
24 Ebenda.
25 Corpus vasorum antiquorum (CVA), Deutschland Bd. 35, Kassel, Antikenabteilung der Staatlichen Kunstsammlungen, bearb. v. Lullies, Reinhard, München 1972, S. 49-51.
26 Im Zusammenhang mit diesem Objekt wird im Auktionskatalog Münzen und Medaillen A.G. Basel Nr. 122. (Kunstwerke der Antike. Auktion XXII 13. Mai 1961) darauf verwiesen, dass die Abbildungen der Gorgonen aus einer größeren Komposition mit der Darstellung der Perseus-Sage und das Motiv des kauernden Kriegers aus einer Darstellung des Troilos-Abenteuers entnommen sind. CVA Kassel (1972: 49).
27 Moraw, Susanne: Die Mänade in der attischen Vasenmalerei des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr., Mainz 1998.
28 Moraw (1998: 31 und 57-59).
29 CVA Kassel (1972: 52).
30 Bereits in der Antike gab es in der Darstellung von Silenen und Satyrn keine großen Unterscheidungsmerkmale. In der Forschungsliteratur werden beide Begriffe teilweise synonym behandelt. Um verständlich zu bleiben, wird im Folgenden nur der Begriff Satyr verwendet.
31 Moraw (1998: 31).
32 Moraw (1998: 31-32).
33 Moraw (1998: 31).
34 Moraw (1998: 105).
35 Das Objekt mit der Inventarnummer T. 663, welches oben bereits besprochen wurde, zeigt zwei Gorgonen, die beim Laufen ihre entblößten Beine zeigen. In diesem Fall ist nicht davon auszugehen, dass eine sexuelle Komponente integriert ist. Vielmehr ist es so, dass die Gorgonen kurze, „normalerweise" nur den Männern vorbehaltene, Gewän- der tragen, die den Blick auf ihre Beine frei geben. Diese kurzen Chitone werden neben der Darstellung von Gorgonen auch für die Darstellungen von Bediensteten der Göttin- nen und Herionen wie Atalante oder die Amazonen verwendet, die sich bei traditionell männlichen Tätigkeiten behaupten, wie z. B. beim Jagen, Reiten oder Kämpfen. Ausführ- licher hierzu: Moraw (1998: 33).
36 Moraw (1998: 32).
37 Ebenda.
38 CVA Kassel (1972: 53-54).
39 Moraw (1998: 31)/ Mark D. Stansbury-O'Donnel ordnet diesen Handgestus Frauen zu, die überrascht, in Not oder in Bedrängnis sind und aufgrund ihrer misslichen Lage nicht fähig sind, ihre Gesten zu kontrollieren. Stansbury-O'Donnel, Mark D.: Vase Painting, Gender and Social Identity in Archaic Athens, New York 2006, S. 203-210.
40 Moraw (1998: 60).
41 CVA Kassel (1972: 54-56).
42 Zur Rückführung des Hephaistos in den Olymp siehe LIMC IV (1988), S. 652-654, s.v. Hephaistos (Hermary, Jacquemin).
43 LIMC IV (1988) S. 653, s.v. Hephaistos (Hermary, Jacquemin).
44 Moraw (1998: 59).
45 Moraw (1998: 121).
46 Moraw (1998: 88-89).
47 Ausführlicher im Kap. 2.3. Amazonen — Frauen mit männlichen Eigenschaften.
48 Bazant, Jan: The Amazons in Antiquity and current Amazonomania. In: Mythes et cultes: études d'iconographie en l'honneur de Lilly Kahil, Athen 2000, S.19.
49 Ausführlicher zu diesem Thema: Fornasier, Jochen: Amazonen, Frauen, Kämpferinnen und Städtegründerinnen, Mainz 2007, S.12-13.
50 Fornasier (2007: 16).
51 Fornasier (2007: 34-37).
52 Fornasier (2007: 20).
53 CVA Kassel (1972: 46-47).
54 Ebenda.
55 CVA Kassel (1972: 41).
56 Fornasier (2007: 54).
57 Ausführlicher zu diesem Thema Fornasier, Jochen (2007: 56).
58 Fornasier (2007: 58).
59 Fornasier (2007: 59).
60 Fornasier (2007: 48).
61 Bremer, Jan Maarten: The Amazons in the Imagination of the Greeks. In: Acta Ant. Hung. 40, 2000, S. 54.
62 Keul, Eva C: The Reign of the Phallus. Sexual Politics in Ancient Athens, New York 1985 S.45. Jan Bazant verweist jedoch darauf hin, dass es zu dieser Behauptung keine Beweise gibt. Vgl.: Bazant (2000: 20).
63 Moraw, Susanne: Schönheit und Sophrosyne. Zum Verhältnis von weiblicher Nacktheit und bürgerlichem Status in der attischen Vasenmalerei. In: JDAJ 2003 118, S. 4-5.
64 Moraw (2003: 5-6).
65 Moraw (2003: 6-7).
66 CVA Kassel (1972: 45-46).
67 Diese Amphora wird auf den Zeitraum um 540 v. Chr. datiert. Sie wurde 1898 von P. Hartwig erworben. CVA Kassel (1972: 43).
68 Lukian, Gespräche der Götter und Meergötter, der Toten und der Hetären, übers. und hrsg. v. Otto Seel, Stuttgart, 1967. Lukian hat im 2. Jh. n. Christus gelebt. Er bezieht sich jedoch in seinen Schriften auf Homer, Aristophanes und andere griechische Autoren.
69 Deacy, Susan: Athena, Gods and heroes of the ancient world, London/New York 2008, S. 7.
70 Deacy (2008: 59).
71 Deacy (2008: 63-65).
72 Papadopoulou, Thalia: Representation of Athena in Greek Tragedy. In: Athena in the classical world, ed. by Susan Deacy/Alexandra Villing, Brill/Leiden/Boston/Köln 2001, S. 308.
73 Hesiod, Theogonie-Werke und Tage, hrsg. und übers. von Albert von Schirnding, München 1991.
74 Deacy (2008: 72).
- Quote paper
- Magistra Artium Olessja Bojko (Author), 2010, Darstellungen von Frauen auf antiken Gefäßen aus der Kasseler Antikensammlung im Schloss Wilhelmshöhe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184627
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